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Jayden Leander

Pannendienst





BookRix GmbH & Co. KG
81669 München

Kapitel 1

Roland war mies drauf, weil er über die Weihnachtsfeiertage mal wieder zum Notdienst verdonnert worden war. Wie so oft, denn er war der einzige Alleinstehende in der Autoreparaturwerkstatt, in der er als Mechatroniker arbeitete. Das hieß ständig in Bereitschaft sein, falls ein Notruf reinkam, der vom Geschäft auf sein Handy weitergeleitet wurde. Auch dass er die Feiertage wie immer alleine verbringen würde, hob seine Stimmung nicht gerade. Er hoffte, dass nicht so viele Leute anriefen und er wenigstens ein bisschen Ruhe hatte. Denn auch wenn er alleine war, zum Arbeiten hatte er keine große Lust.

Zudem kotzte es ihn an, dass er wegen des Notdienstes nicht mal was trinken durfte. Das hätte ihm wenigstens etwas über die einsamen Feiertage hinweg geholfen. Roland hatte keine Familie mehr, sein Vater hatte seine Mutter noch vor der Geburt verlassen und war unauffindbar. Vor 3 Jahren war seine Mutter an Krebs verstorben und zu ihrem einzigen Bruder hatte er keinen großen Kontakt.

Dass er mit 32 Jahren immer noch Single war, lag nicht etwa daran, dass es ihm an Angeboten der weiblichen Spezies mangelte. Roland war ein Bär von einem Mann, 1,97 m groß und mit der Statur eines Kleiderschranks. Ein muskulöser Hüne ohne ein Gramm Fett zu viel, dem man deutlich ansah, dass er seinen Frust oft im Fitnessstudio abreagierte. Seine breite, behaarte Brust ging über in ein Sixpack und die schmalen Hüften. Ein Traum für alle, die auf den Typ „echter Kerl” standen. Auch wenn der finstere und harte Ausdruck in seinem sehr männlichen, markanten Gesicht einige schnell vertrieb, es gab Angebote genug.

Er interessierte sich einfach nicht für Frauen. Statt dessen hatte er erotische Fantasien von Männern, für die er sich selbst hasste. Er kam damit nicht zurecht und war überzeugt, pervers zu sein. Deshalb hielt er sich von den Menschen fern und blieb lieber für sich alleine. Sein einziger Freund war Dirk, den kannte er schon seit der Schule und sie gingen oft gemeinsam zum Fitness oder ab und zu mal ein Bierchen zischen. Meistens jedoch saßen sie bei einem von ihnen zuhause, schauten gemeinsam einen Film oder quatschten über Gott und die Welt.

Dirk war auch der einzige, der von seinem Problem wusste, das er ihm mal eines Abends, als er ein Bier zu viel hatte, erzählt hatte. Roland wollte nicht schwul sein, er war in seinem Verhalten nach außen hin schon fast homophob. Dirk redete zwar auf ihn ein, dass es heutzutage etwas ganz Normales war, aber das war ihm egal. Er wollte einfach nicht schwul sein.

 

***

Leon schaute sich in seiner Wohnung um, und was er sah, stimmte ihn fröhlich. Er hatte alles auf Hochglanz geputzt, der Weihnachtsbaum war festlich geschmückt, alles wirkte gemütlich und es roch nach den Plätzchen, die er gebacken hatte. Sein Freund Tim, in den er seit einem Monat total verliebt war, würde morgen, drei Tage vor Heiligabend, zu einem längeren Besuch kommen. Sie hatten abgemacht, dass er über die Feiertage bei ihm blieb.

Leon hatte keine Familie, zu der er an Weihnachten konnte. Seine Eltern hatten ihn rausgeworfen, als sie erfahren hatten, dass er schwul war. Da war er 19 Jahre alt gewesen. Mittlerweile war er 25, hatte einen guten Job, sein Auskommen und er freute sich, dass er die Feiertage nicht wieder alleine verbringen musste. Man sah Leon nicht an, dass er als Krankenpfleger arbeitete, er war mit 1,72 cm nicht sehr groß und eher schmal gebaut. Trotzdem war er nicht schmächtig oder dürr, er hatte schlanke, gut trainierte Muskeln.

Heute wollte er seinen Freund überraschen, damit sie morgen dann zusammen zu ihm fahren konnten. Tim besaß kein Auto und hätte die Bahn nehmen müssen. Nachdem Leon auf seine Uhr gesehen hatte und es schon nach 18 Uhr war, zog er nach einem letzten prüfenden Rundumblick die Jacke an, nahm die Autoschlüssel und machte sich auf den Weg zu Tim, der knapp 50 km entfernt wohnte.

Als Leon in seinen Beetle stieg, fing es gerade an zu schneien und er war froh, dass er noch neue Winterreifen hatte aufziehen lassen. Es schneite immer heftiger und er musste langsam fahren, deshalb dauert es fast eineinhalb Stunden, bis er endlich bei Tim ankam. Er nahm die Plätzchen vom Rücksitz und ging ins Haus. Zum Glück musste er nicht unten klingeln, da gerade ein Bewohner des Mehrparteienhauses die Tür öffnete . Leon schlüpfte ins Haus und ging die Treppe hoch in die zweite Etage, wo Tims Wohnung lag. Er war schon gespannt auf Tims überraschtes Gesicht, wenn er ihm öffnete.

Als er vor der Tür stand, betätigte er den Klingelknopf. Es dauerte eine Weile, bis er Schritte und dann Tims Frage hörte. „Hallo, wer ist da?“ Tim nahm wohl an, dass unten jemand geklingelt hatte und war deshalb an die Gegensprechanlage gegangen. Leon grinste und klopfte an die Tür, die gleich darauf geöffnet wurde. Tim streckte seinen Kopf raus und entdeckte Leon, der erwartungsvoll im Flur stand. Die Farbe wich aus Tims Gesicht und er schaute ihn mit schreckgeweiteten Augen an.

„Was machst du hier?“, stammelte er nicht gerade geistreich. Leon wunderte sich über Tims Reaktion und meinte, „Na, Freude sieht aber anders aus. Ich wollte dich überraschen und morgen mit dir zusammen zu mir fahren.“

Tim, der die Tür noch immer nicht weiter geöffnet hatte, starrte Leon wortlos an.

„Willst du mich nicht rein lassen?“, lächelte der, als plötzlich eine männliche Stimme von drinnen rief „Tim was ist denn? Kommst du bald?“

„Du hast Besuch? Wer ist das?“, wollte Leon wissen.

Tim lief rot an und schüttelte den Kopf. „Leon, du kannst jetzt gerade nicht rein kommen … ich …“, stotterte er und brach verlegen ab.

Nun war es an Leon, seinen Freund fassungslos anzustarren, „Wie bitte?“, fragte er. „Wieso kann ich nicht rein kommen?“ Er trat einen Schritt vor und drückte die Tür auf, so dass Tim zurückweichen musste. Dann sah er, dass Tim nur mit einer Boxershorts bekleidet vor ihm stand. „Was ist hier los?“, fragte er ihn und betrat die Wohnung.

Tim versuchte ihn zurückzuhalten, aber Leon schob sich an ihm vorbei und ging ins Wohnzimmer. Als sein Blick auf die Couch fiel, erstarrte er vor Entsetzen zu Eis. Auf der Couch lag splitternackt ein Typ und hatte noch die Hand an seinem erigierten Schwanz. Als er Leon sah, stieß er einen überraschten Schrei aus, setzte er sich ruckartig auf und versuchte, seinen steifen Schwanz mit den Händen zu verbergen. „Ey, was soll das, wer bist du denn?“ fauchte er.

Leon schluckte schwer. „Ich bin… oder besser gesagt ich war Tims Freund!“, antwortete er tonlos und starrte den Typen immer noch ungläubig an. Dann wandte er sich zu Tim um und dieser stammelte „Leon … ähm … es tut mir leid … bitte, ich … ich …“

Leon unterbrach ihn. „Spar dir deine Ausreden, du Mistkerl!“

Nur weg hier, dachte er, hielt aber nach ein paar Metern in einer Seitenstraße an, da er vor lauter Tränen, die ihm jetzt über die Wangen liefen, nichts mehr sehen konnte. Er umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten und fing an zu schluchzen. Nach einer Weile, als er sich etwas beruhigt hatte, startete er den Wagen und fuhr wieder los.

Es war mittlerweile schon dunkel und Leon fuhr gerade die Landstraße entlang, als der Motor anfing zu stottern. Nein, nicht auch das noch, dachte er, aber das Stottern wurde schlimmer und schließlich setzte der Motor ganz aus. Leon schaffte es gerade noch, das Auto halb in die Wiese neben der Straße rollen zu lassen, schaltete den Warnblinker ein und versuchte mehrmals, den Wagen wieder zu starten.

Nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, holte er sein Smartphone aus der Jackentasche und suchte die Nummer der Werkstatt, wo er den Wagen gekauft hatte. Da heute Samstag war, hatte er wenig Hoffnung, dort jemanden zu erreichen. Nachdem er die Nummer eingetippt hatte, ertönte das Freizeichen und es wurde wider Erwarten abgenommen.