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Das siebte Leben des Sachos SachoulisimageReihe: Via Egnatia

Die Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet dieses Buch
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Erste Auflage 2015
© Größenwahn Verlag Frankfurt am Main, Frankfurt 2015
www.groessenwahn-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN: 978-3-95771-027-7
eISBN: 978-3-95771-028-4

Lena Divani

Das siebte Leben des
Sachos Sachoulis

Memoiren eines Katers

Roman

Aus dem Griechischen
von Brigitte Münch

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IMPRESSUM

Autorin
Lena Divani

Erschienen 2012 bei
Ekdoseis Kastaniotis, (Εκδόσεις Καστανιώτης A.E.), Athen, GR
Originalausgabe:
›Εγώ ο Ζάχος Ζάχαρης‹
© Copyright: Lena Divani - Ekdoseis Kastaniotis A.E.

Übersetzerin
Brigitte Münch

Seitengestaltung
Größenwahn Verlag Frankfurt am Main

Schriften
Constantia und Lucida Calligraphy

Covergestaltung / Illustrationen
Marti O´Sigma

Coverbild
Marti O´Sigma: ›Katze Nr. 01‹

Lektorat
Maria Konstantinidou
www.lektorat-und-korrektorat.de

Druck und Bindung
Print Group Sp. z. o. o. Szczecin (Stettin)

Größenwahn Verlag Frankfurt am Main
Januar 2015

ISBN: 978-3-95771-027-7
eISBN: 978-3-95771-028-4

Für all die, die in diesem Augenblick
gerade für einen ihrer Liebsten Orangen auspressen.

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INHALT

EINE MUTTER IST NICHT UNERSETZLICH!

WAS TUT EIN GENIE, UM SEIN GENIE ZU ERHALTEN?

MEINE (ZUKÜNFTIGE) FAMILIE UND ANDERE TIERE

SIE HATTE EINE VERGANGENHEIT …

ZU VIEL LIEBE FÜHRT ZUM WAHNSINN

DIE SÜNDE MEINER MUTTER

UND WAS KANN ICH DAFÜR, DEMOISELLE?

IHR HAUS, MEIN HÄUSCHEN

WAS HAT DER FUCHS AUF DEM MARKT VERLOREN?

KRIEG IST DER VATER VON ALLEM!

FOOD FOR THOUGHT

DIE MUSENKATZE IST EIN MÄRCHEN

DIE KATZE, DIE ZUM HUND WURDE, DER ZUM MENSCHEN WURDE

EINLADUNG AN DIE WILDE NATUR (ODER: LOST IN TRANSLATION)

FREIHEIT ODER TOD?

WIE ICH IN IHR BETT GELANGTE (UND GLEICH WIEDER HINAUS)

THE WINTER OF OUR DISCONTENT

IHR ICH UND ICH

LONELY PLANET

DAS KATZENWESEN DER FREMDEN

DER MANN, DER DIE ORANGEN AUSPRESSTE

DAS TAL DER TRÄNEN

ENDE DER ZEIT

PRANA UND QUATSCH MIT SOSSE!

TSCHÜSS UND ADDIO

DER TOD BESIEGT DEN TOD

BIOGRAPHISCHES

If I die before you

which is all but certain

then in the moment

before you will see me

become someone dead

in a transformation

as quick as a shooting star’s

I will cross over into you

and ask you to carry

not only your own memories

but mine too until you

too lie down and erase us

both together into oblivion.

Galway Kinnell, Promissory Note

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EINE MUTTER IST NICHT UNERSETZLICH!

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Ich mag euch ja respektlos und undankbar erscheinen, doch ich bekenne: Von dem Augenblick, da ich zum ersten Mal meine Mutter sah, begann ich meine Flucht vom heimischen Herd zu planen. Diese »Dame« war von einer erbärmlichen Hässlichkeit, von Krankheit gezeichnet – ich wage zu sagen: schwindsüchtig –, einäugig und mit einem gleichsam räudigen Fell in der Farbe Müllgrau bekleidet. Die Schande Darwins. Ein bodenloser Kübel an Graus und Schrecken. Katzenfreunde gingen auf sie zu, um sie zu füttern, und sie fuhr ihre Krallen gegen sie aus. Kampflustig, in hohem Maß unhöflich und undankbar. Was hatte ich mit ihr zu schaffen? Die einzige kluge Wahl, die diese Dame in ihrem Leben getroffen hatte, war a) Sex mit meinem Vater zu haben und b) Zuflucht in einer Ecke des Gartens der pummeligen Madame Glyka zu suchen, um uns zur Welt zu bringen.

Mein Vater, leider unbekannt und zum Glück wohl sexy, muss ein edler Angorakater reinen Geblüts und Haustier gewesen sein. Jedenfalls gehe ich jede Wette ein, dass er schneeweiß, schönäugig und ein Adonis war. Was ihn an dieser Kreatur aus der Gosse gereizt haben mochte, weiß nur der Herrgott. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er auch ein bourgeois de salon, der eines schönen Tages aus seinem trauten Heim ausbüchste, seine durchlauchten Glieder durch die Straßen und Gassen spazieren führte und dabei den Weltläufigen markierte, als er sich plötzlich von Raufbolden attackiert sah und endlich begriff, dass »seidene Unterhosen auch einen geschickten Hintern erfordern«, wie es so schön heißt. Bekanntlich ist das Gesetz der Straße unerbittlich. Als der unglückliche Herr Vater nun in die Grube des Selbstmitleids fiel, trat die Frau Mutter auf den Plan und regelte die Angelegenheit für ihn. Und natürlich war der milchreisgenährte bourgeois überaus entzückt von ihrer Gewandtheit. Denn um die Wahrheit zu sagen: Die Frau Mutter mag wie die Verkörperung einer ansteckenden Krankheit gewesen sein, doch war sie eine Meisterin des savoir faire auf der Straße. Zudem befand sie sich gerade auch auf der Höhe ihrer Heißblütigkeit und ließ sich herab, ihn in die Reihe ihrer zahlreichen Liebhaber aufzunehmen, um dem aufstrebenden Tank der Gene, den sie beförderte, auch ein blaublütiges hinzuzufügen. Als Ergebnis ging ich daraus hervor, schneeweiß wie ein Sahnebaiser, ein adliger Bastard, eine vierbeinige Ausnahmeerscheinung mitten in einem Haufen lahmer, krummbeiniger und – ihr werdet mir verzeihen – potthässlicher Geschwister, die mich mit schiefem Blick beäugten.

Und hochintelligent. Besser gesagt: ein Genie.

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WAS TUT EIN GENIE, UM SEIN GENIE ZU ERHALTEN?

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Das ist ganz einfach: Es sucht sich seine Eltern aus. Auch wenn Freuds Schlussfolgerungen in unseren Kreisen nicht besonders verbreitet sind, unser Instinkt ist weitaus leistungsfähiger als eurer. Neugeboren und noch blind erkannte ich hinter den Büschen der Madame Glyka bereits, dass mein Leben mitten unter den Herumtreibern und Katzenraufereien zur Hölle werden und meine Mission höchst gefährdet sein würde. Sowie ich endlich die Augen geöffnet hatte, fand ich die Bestätigung: Meine drei Schwestern hätten am besten auf die Namen Unrat, Finsternis und Elend getauft werden können. Ich dagegen war der Triumph der Mendelschen Regeln. Ich war etwas anderes. Und nie, aber auch nie war es für jemanden von Nutzen, sich so sehr von den andern zu unterscheiden. Habt ihr schon mal einen Eskimo gesehen, dem es in Äthiopien gut geht? Die umgehende Konsequenz: Ich musste so schnell wie möglich von dort verschwinden.

Doch wohin? Das war die Frage! Ich wusste, dass die Umgebung nicht nur von ungeheurer Bedeutung ist, sie ist es, worauf es überhaupt ankommt: Wenn man tagein, tagaus in einem See herumschwimmt, dann wird man schon bald zum Fisch. Das heißt, ich wählte kein Haus. Ich wählte das Leben. Seht euch doch zum Beispiel die Katze von William Burroughs an. Wundert euch nicht, dass sie sich ein Leben mit diesem Herrn ausgesucht hat. Ja, er war leicht psychotisch. Ja, er hat seine Lebensgefährtin aus Spaß erschossen. Doch seine Katze behandelte er wie die Königin von Saba. Die Gerüchte besagen, dass er eher von seiner Benzedrin-Schnüffelei hätte lassen können als von seiner Mylady. Und das Wichtigste, er hat sie in der Geschichte der Katzen verewigt. Ich wette, dass ihr sämtliche Schnappschüsse der Lady mittels der Schreibmaschine des mythischen Yankees kennt. Und somit bravissimo, Miss Burroughs-Cat. Sie haben ins Schwarze getroffen.

Dagegen hat die Katze der Sylvia Plath es vermasselt. Wohl hatte sie in der jungen Amerikanerin eine hoch empfindsame Seele und Talent diagnostiziert und demzufolge beschlossen, sie zu adoptieren. Vor lauter Freude jedoch, diesen Diamanten entdeckt zu haben, übersah sie das Wesentliche: Die Dichterin lag mit sich selbst im Clinch. Schon seit ihrem zwanzigsten Jahr war sie lebensmüde. Nun, einmal, zweimal, dreimal – schließlich hatte sie es geschafft. Ihr Kopf wurde im Gasofen gefunden, und die Katze blieb verwaist und verzweifelt mit zwei weinenden Babys zurück. Ah! So was geht zu weit: Für solche Dramen war ich nicht geschaffen.

An dieser Stelle muss ich euch etwas anvertrauen. Der verbreitete Mythos stimmt: Wir posaunen es nicht gerade viel herum, aber wir haben tatsächlich sieben Leben. Solltet ihr mal einer hoffnungslos idiotischen Katzen-Kollegin begegnet sein, von der Sorte, die beim Jagen einer unschuldigen Taube vom achten Stock fällt und zerschmettert liegen bleibt, dann wisst ihr, wie wir sind, wenn wir uns im ersten, meinetwegen auch zweiten Leben befinden. Und mal so ganz unter uns gesagt: Ich selbst war in meinem ersten Leben derart blöde, dass ich nicht das reale Ziel, also den Vogel selbst (ein nervtötender Kanarienvogel namens Baby) attackierte, sondern seinen Schatten! Jeden Tag kratzte ich Volltrottel von Neuem meine Krallen an der Wand blutig. Noch immer schäme ich mich, wenn ich daran zurückdenke. Zum Glück gehen wir aus jedem Leben weiser hervor, und im siebten respektieren wir dann wirklich die Nahrungskette. Wir empfangen keine Lehren mehr, sondern erteilen sie. Falls man jedoch unbelehrbar ist, dann sollte man nicht erwarten, etwas von uns zu lernen. Bekanntlich lernt man nur etwas, was man im Grunde ohnehin schon weiß …

Wie ihr richtig vermutet, bin ich in meinen vergangenen sechs Leben durch Feuer und Wasser gegangen. Die Zeit der Lehre ist eine harte Angelegenheit. In den Baracken der bettelarmen Schwarzen von New Orleans lernte ich, dass die Liebe nahrhafter ist als selbst ein frischer Fisch, in Venedig zur Zeit der Pest lernte ich, mich von allem, was ich hatte, zu trennen, in den Gefängnishöfen der Jugendlichen, wie viel Unrecht die Gerechtigkeit birgt. Der Schmerz – mein eigener und der der andern – hat mich Milliarden Mal das Fell gekostet. Ich habe ein Auge und meine ganze Selbstachtung eingebüßt angesichts eines halben verfaulten Herings. Ich opferte ein halbes Ohr, um bis auf den Grund die Volksweisheit zu verstehen, die sich in dem Satz verbirgt: »Egal, ob wir die Hucke voll bekamen, die Prügelei war notwendig.« Zweifellos bin ich bei allen Prüfungen mit der Bestnote eins bewertet worden, denn das sechste Leben warf mich in die Nationalbibliothek zu London, bitte schön. Hier reden wir von einem Jackpot in der Lotterie des Karmas. Dolce vita, geschätzte Freunde – vor allem für eine culture cat von meiner Art. Ihr könnt euch unmöglich vorstellen, was ich alles aufgesogen habe, während ich sechzehn volle Jahre auf den Tischen der Leser und unter der Wärme der grünen Lampen den Schlafenden markierte. Ja, ich wurde zu einem Bürohengst, meine Krallen verloren ihre Schärfe und meine Zähne die Fähigkeit, lebendes Fleisch zu reißen, doch im Gegenzug gewann ich das Universum. (Lektion Nr. 1234 aus dem MIAU = Manifest Internationalen Allgemeinen Urwissens: Man kann unmöglich alles haben. Und nein, ich habe nichts Selbstverständliches gesagt. Kennt ihr irgendetwas, das dem Unverständigen selbstverständlich ist?) Ich erkläre in aller Kühnheit: Tausendmal hätte ich wieder das Geschenk des Wissens gewählt. Ich schätze, dass euer Gott anderer Meinung ist, doch ich persönlich begrüße die Courage der beiden ersten Menschen. Natürlich behaupte ich nicht, dass das Wissen die Eintrittskarte ins Paradies bedeutet, aber die Unwissenheit ist ganz sicher die Hölle.

Ich habe mit meinen eigenen Augen die Augen tausender Leser gesehen, wie sie glänzten beim Durchblättern der sogenannten Bücher. Ich begriff, wieso die Menschen – hochgradig unvernünftige und selbstsüchtige Tiere – seitdem die Herrschaft über unseren Planeten innehaben und erhalten: Statt all das, was sie gelernt haben, von Leib zu Leib und von Mund zu Mund weiterzugeben, haben sie es in Papierschiffe eingeschlossen und treiben es der Menschheit entgegen. Genial, werte Freunde! Einstein mag ja im Jahr 2011 eine aufgedunsene Leiche sein, dennoch fährt er fort, sich umherzutreiben und seine Theorien zu analysieren. Und, bei allen köstlichen Garnelen des Ozeans, du hörst ihn, als säße er höchstpersönlich neben dir im Wohnzimmer und tauschte seine Ansichten mit dir aus.

Ich bekenne: Ich verehrte diese Kammern des menschlichen Wissens, sog ihren Geruch ein und entschlüsselte ihre Hieroglyphen mit einer Mühe, die sich lohnte. Gemeinsam mit ihnen wandelte ich über den Roten Planeten und erforschte seine Ringe. Ich lernte das Rezept der Bouillabaisse à la mode de Marseille. Ich hörte die indianischen Schamanen in der Wüste Mexikos, wie sie mir von der Pflanze der Kraft, des Stechapfels erzählten (MIAU Nr. 3678: Bitte kommt nicht auf die Idee, ihn zu probieren, ihr närrischen Menschen des Westens. Um mit seiner Kraft umgehen zu können, erfordert es Kraft, und die habt ihr nicht. Ihr bringt euch nur um damit.).

Warum das kosmische Geschick mir auferlegte, meinen Dienst auf der Erde als Sohn einer nachthässlichen Straßenkatze zu Ende zu bringen, ist mir schleierhaft. Warum mein erstes Bild die Azaleen der katzenfreundlichen Madame Glyka sein sollte, weiß ich nicht. Das Einzige, was ich wusste, war, dass es einen Grund dafür gab. Ich hatte nichts weiter zu tun, als das Rätsel um diesen Grund zu lösen. Was bedeutete, dass ich meine Augen und Ohren offen halten musste. Zum Glück war ich ein lebendes Reservoir an Geduld und Ausdauer. Ich saugte ein wenig Milch aus den Zitzen meiner unsäglichen Mutter, und anschließend brachte ich endlose Stunden an einer strategisch günstigen Stelle hinter dem nunmehr dicht belaubten Busch zu. Ich beobachtete aufmerksam. Schlaflos hielt ich Ausschau. Leider war der Garten der Madame Glyka nicht der Hyde Park – nicht einmal der Park Pedion Areos Athens. Schon cool: Rasen, angemessene Blumen und so weiter, aber eine Einöde, geschätzte Freunde. Verschwindend wenige gingen dort ein und aus. Wie, zum Teufel, sollte ich da den Eltern-Schönheitswettbewerb ausrichten, den ich im Sinn hatte? Tatsächlich war ich meinem unverbrüchlich optimistischen Wesen zum Trotz schon drauf und dran zu verzweifeln und zu einem besseren Beobachtungsposten umzuziehen, als sich endlich der Himmel auftat (im vorliegenden Fall die Gartentür) und SIE auf den Plan traten!

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MEINE (ZUKÜNFTIGE) FAMILIE UND ANDERE TIERE

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Er war der einzige Sohn der Madame Glyka – das merkte ich daran, dass der Zuckerguss ihrer Stimme bei der Begrüßung einen Diabetiker ins Grab befördert hätte. Ich schwöre euch: Sie sah ihn mit einem Blick an wie Iktinos, der Architekt des Parthenon die Akropolis. Der junge Herr Ziggi war groß, dünn (so dünn, dass ich mir gleich große Sorgen machte: Ob es in ihrem Haus wohl nichts zu essen gab? Das muss ich klären!) und ein wahrer Aristokrat. Eine gedämpfte, tiefe Stimme und eine akzentuierte Redeweise – im Rundfunk könnte er es zum grand succès bringen. Ein Mensch von eher verborgenem Feuer. Er setzte sich in seinen Sessel und stand nicht mehr auf, außer, als er seinem Vater beim Umstellen des Grills helfen musste. Sie wiederum war auch groß, doch zum Glück wohlgenährt, sodass sich die Sorge erübrigte – zu essen gab es also. (Nächste Sorge: Ob sie wohl alles allein verschlingt und keinem andern was abgibt? Das muss ich klären!) Diese hochwohlgeborene Demoiselle, um die es geht, war jedenfalls nicht nur so einfach von äußerem Feuer. Bei den Garnelen des Ozeans, sie hatte Hummeln unter dem Hintern. Ihr wisst schon: diese Sorte Töchter des Superlativs, die gleichzeitig mit drei Händen rauchen, mit vier Zungen reden, mit fünf Mündern lachen, mit sechs Augen heulen. Oh my God, der Orkan und sein Auge, dachte ich, noch bevor sie sich richtig in ihrer kleinen Rattan-Lounge auf dem Rasen eingerichtet hatten. Cool!

Wie sich erwies, handelte es sich um einen dieser Abende im August mit traditionellem Barbecue im Kreis der Familie. Die Tische wurden gedeckt, und schon vom frühen Morgen an war das Bier kaltgestellt und das Fleisch mariniert. Mister Jinny, der ewig alte Gatte der Madame Glyka, war überaus tüchtig. Er hatte goldene Hände. Heizungen, Wasserrohre, automatische Sprenkelanlagen, zerbrochene Dachziegel, Isolationen – mit allem konnten sie meisterhaft umgehen. Vor allem andern aber fühlten seine Hände sich zum Grill hingezogen. An jenem schicksalsträchtigen Tag also organisierte er sein geliebtes Festival des Cholesterins. Des unwiderstehlichen Cholesterins. Höchst köstlichen Cholesterins, versteckt in Würstchen, Koteletts, Schinken, Hamburgern. Die Düfte brachten mich um den Verstand: Bekanntlich brauchen alle Wildkatzen Proteine, viele Proteine. Behaltet die Zucchini und Tomaten für euch, werte gesundheitsbewusste und vegetarische Freunde. Wir begehren Fisch und Fleisch, Punktum. Die Jinnys dieser Welt beten wir an. Wenn ich gekonnt hätte, dann wäre ich zu seinem Hals hinaufgeklettert und hätte lebenslang den Pelz für ihn gespielt. Doch ich konnte nicht. Ich maß fünfzehn Zentimeter und war noch undercover. Ich befand mich auf Mission.

So spitzte ich also meine Ohren. Ich formte sie zu Trichtern. An dieser Stelle muss ich etwas erläutern. Bekommt es nicht in den falschen Hals, aber wir hören deutlich besser als ihr. Wir erfassen Differenzen von 1/5 und 1/10 des Tons, während euer schwerfälliges Gehör auf einer Basis von nur ¼ beruht! Wahr ist allerdings auch, dass die schneeweißen Katzen da ein Problem haben. Manche von ihnen sind völlig taub, andere halbtaub. Was jedoch mich betrifft, so muss man mich nicht anschreien. Ein kleines graues Mal über meinem linken Auge, der einzige Fleck auf meiner Schneeweißheit, bezeugte es: Ich hörte für zwei! Ich hörte meinen Gott Mister Jinny, wie er die Zitrone auf dem Grillgut als unpassend anprangerte, ich hörte Glyka darauf drängen, noch mehr Tyropita zu verschlingen, und schließlich hörte ich das Paar aus dem Agia-Paraskevi-Viertel über Bücher reden. Achtung: nicht über Bücher, die sie gelesen hatten, sondern über Bücher, die sie schrieben!

Das war es! Halleluja! Hatte der Himmel sich aufgetan und Schreiberlinge in meinen Hof regnen lassen? Ich dehnte meine Horcher zu Satellitenschüsseln und hörte überdeutlich den sich nahenden Schritt meines Schicksals. Jawohl, die Typen waren Schriftsteller. Verfallt nicht gleich in Enthusiasmus, werte Freunde, es handelte sich weder um Burroughs noch um die Plath. Sie hatten kürzlich je ein Bändchen mit Erzählungen herausgegeben und beglückwünschten sich gegenseitig dazu. Aber was soll's. Ich war kein Snob. Besser ein Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, wie der Volksmund so richtig sagt.

Die Begegnung mit einem Schriftsteller war meiner Schneeweißheit in noch keinem Leben vergönnt gewesen. Nur ihre Bücher. Was zum Teufel das für eine Art von Arbeit ist und wie sie entsteht, davon hatte ich keine Ahnung. Auf den ersten Blick jedenfalls sah es gut aus. Meine Mitbewohner (ich deute schon etwas in die Zukunft, merkt ihr es?) schienen offensichtlich nicht unter Zeitdruck zu stehen, da sie sechs, sieben Stunden lang ganz entspannt auf dem Rasen zubrachten, sie litten nicht unter Depressionen, da sie in einem fort mit allen plapperten, während sie von allem aßen, sie waren nicht arm, da sie zum Schluss mindestens fünf riesige Koteletts übrig ließen. Freilich bestand die Gefahr, dass sie zu dieser Sorte einschüchternder Schriftsteller gehörten, die solche Sätze verfassen wie: »Die zügellose Intertextualität der Existenz belegt das Ende der Individualität« – doch ich war entschlossen, es zu riskieren.

Hier sind wir richtig, sagte ich mir. Das Glück gehört dem Mutigen! Ich unterzog mein Fell einer umfassenden Wäsche, leckte sorgfältig Beine, Pfoten und Schwanz, setzte die Miene »ich bin ein bildhübsches und unglückliches Waisenkind« auf und trat heraus, um sie zu adoptieren. Und da ich nicht naiv bin, lokalisierte und belagerte ich zuerst die uneinnehmbare Festung: sie.

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SIE HATTE EINE VERGANGENHEIT …

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… doch meine Schneeweißheit würde ihrer Vergangenheit nicht gestatten, mich meiner Zukunft zu berauben. Ich mag ja kleiner als eine Faust gewesen sein, aber auch ich hatte so meine Tricks. (MIAU Nr. 4567: Lasst euch nicht von Heulen und Jammern beeindrucken, werte Freunde. Es gibt keine Stärkeren als die, die vorgeben, schwach zu sein.) Also, das Erste, was Madame Glyka ihnen kundtat, während sie fünf verschiedene Kräuterfleischschinkenkäsetaschen, Quiche Lorraine, Auberginensoufflé und Russischen Salat mit hausgemachter Mayonnaise servierte, alles nur so, um den Appetit anzuregen, war, dass hinter ihren Azaleen eine Katze (aller Wahrscheinlichkeit nach die Frau Mutter), und zwar eine sehr hässliche (bestimmt die Frau Mutter), ein paar Kätzchen (paar Kätzchen? Sie haben mich noch nicht gesehen, wieso also so abwertend, Madame?) geworfen habe. Ihro Gnaden rannte unverzüglich zu dem Busch der Geburt hinüber, doch Madame Glyka bremste ihren Elan. »Um Himmels willen! Bleib bloß weg von der Hexe«, sagte sie zu ihr. »Da tut sie mir leid in ihrem Wochenbett und ich bringe ihr was zum Futtern, und sie fährt die Krallen gegen mich aus. Wenn du eins ihrer Kätzchen anfasst, dann zerreißt sie dich in der Luft!«

Demoiselle setzte sich wieder und nahm sich ein Stück Käsetasche. »O weh, o weh«, murmelte ich. Verdammtes Getratsche! Warum hat sie sie denn nicht nach und nach den Busch untersuchen lassen? Könnt ihr euch vorstellen, wie viel größerer Hollywood-Glanz meine Schneeweißheit ausgestrahlt hätte, eingerahmt von drei Missgeburten der Natur? (MIAU Nr. 9875: Die Wahrnehmung der Wirklichkeit unterliegt dem Vergleich. Mein lieber Hephaistos, geh nicht mit Adonis aus, er wird dir die Chancen vermasseln!)

Und dann setzte endlich der Fluss der wertvollen Informationen ein. Dabei kam heraus, dass der Demoiselle Katzen herzlich gleichgültig waren. (Mais pourquoi, du dummes Mädchen?) Sie wollte immer einen Hund. (Oh my God, ich hoffe nicht, dass Sie sich nach so etwas wie einer Hitlerschen Unterwürfigkeit sehnen?) Eine Cousine jedoch hatte sie vor Jahren heimtückisch dazu gezwungen, ein unvergessliches männliches getigertes Katzenbébé