Darleen Alexander

 

 

 

Wölfe des Lichts

 

 

 

Novelle

 


1. Kapitel

 

Detty hasste Bordelle. Es roch immer nach billigem Parfüm, Alkohol und Sex. Als sie die Schwelle überschritt und ins innere des Hauses ging, kam ihr ein älterer Diener entgegen und streckte die Hand nach ihrem Umhang aus. Mit seinen ergrauten Haaren und der mageren Gestalt passte er nicht unbedingt in dieses Etablissement.

»Nein. Ich behalte ihn an. Ich habe eine Verabredung mit Mr. Nudge.« Der Diener verbeugte sich steif und führte sie dann in ein Hinterzimmer. Was er wohl dachte? Als sie am großen Salon vorbei kamen, überblickte sie schnell alle anwesenden Frauen und entdeckte prompt, weswegen sie hier war.

Am Fenster stehend, in einem weißen Kleid und so unscheinbar, dass man sie erst auf den zweiten Blick sah. Und trotzdem war sie von solch einer erlesenen Schönheit, dass es Detty fast körperlich weh tat, sie noch eine weitere Minute hier in diesem Rattenloch zu lassen.

»Madam?« Der Diener öffnete eine Tür am Ende des Ganges und ließ sie eintreten, bevor er diese wieder hinter ihr schloss. Detty sah sich angespannt in dem dunklen Raum um, der vor Zigarrenqualm stand und nur von einer kleinen Lampe auf dem Schreibtisch erhellt wurde. Wie konnten Menschen nur so leben? Ihre Art bevorzugte helle und saubere Umgebungen. Reinheit, so wie sie selbst in ihrer Ursprünglichkeit waren. Ein leises Rascheln ließ sie aufhorchen.

»Ah. Miss Fleur. Ich freue mich, Sie in meinem bescheidenen Heim begrüßen zu dürfen.« Er trat aus dem Schatten rechts von ihr und ging zu seinem Schreibtisch. Im Schein der Lampe konnte sie seine füllige Gestalt sehr gut erkennen, die er auf den ledernen Sessel fallen ließ. Eingehüllt in maßgeschneiderte Garderobe, zog er genüsslich an seiner Zigarre und blies ihr den Rauch entgegen. Sie trat einen Schritt zurück und beobachtete ihn. Bei Menschen konnte man nie vorsichtig genug sein.

»Sie wissen, warum ich hier bin?« Er grinste und sah auf ein Blatt Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag. Sobald sie erfahren hatte, dass eine ihrer Schwestern hier war, hatte sie sofort ein Angebot unterbreitet. Normalerweise ließen sich die Besitzer solcher Bordelle recht schnell überzeugen, doch bei diesem hier war sie sich nicht so sicher. Seine ganze Art war aalglatt und unsympathisch.

»In der Tat weiß ich das. Sie wollen meine Selana kaufen.« Und zwar zu einem guten Preis. Nach einer kurzen Pause sah er wieder auf, direkt in ihre Augen. »Den Preis, den Sie zu zahlen bereit sind, befindet sich weit unter meiner Vorstellung.« Er legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander und grinste verschlagen. »Aber ich könnte mich durchaus umstimmen lassen.« Er musterte sie eindeutig von oben bis unten und reiner Ekel machte sich in ihr breit. Wie sehr sie Männer verabscheute. Das waren alles nur triebgesteuerte Arschlöcher.

»Das steht nicht zur Debatte. Ich will das Mädchen, und zwar für den Preis, den ich Ihnen genannt habe.« Und das war wirklich mehr als genug. Der Betrag übertraf alles, was sie bisher einsetzen musste, um eine ihrer Schwestern zu befreien.

»Sie sind eine störrische junge Frau, was?« Störrisch stimmt, jung nicht mal ansatzweise. »Aber ich bin mindestens genau so unnachgiebig. Das Mädchen bringt mir viel Geld ein und diesen Gewinn werde ich durch Ihren Preis nicht ersetzt bekommen.« Er stand auf und kam auf sie zu. »Aber Sie könnten mich etwas herunter handeln, wenn Sie nett zu mir sind.« Wie ein Löwe, der seine Beute maß, schlich er um sie herum und begutachtete sie von allen Seiten. Sie fühlte sich wie ein Pferd, dessen Preis man aushandelte. Wut stieg in ihr auf. Sie war von einer Göttin erschaffen worden. So etwas musste sie sich nicht bieten lassen.

»Nie im Leben.« Er blieb ruckartig neben ihr stehen und packte sie grob an den Haaren. Damit hatte sie nicht gerechnet. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an und musste sich fast übergeben, als sie seinen sauren Atem roch.

»Sag niemals nie, kleine Schlampe. Wenn du dich mir nicht freiwillig ergeben willst, kann ich mir dich auch einfach nehmen.« Sie schluckte schwer und besann sich wieder auf ihr professionelles Auftreten. Immerhin hatte sie Freunde und Familie, die nicht einfach zusehen würden, wenn dieser Mistkerl sie misshandeln würde.

»Meine Mitarbeiter wissen, wo ich bin, und werden Ihnen die Polizei auf den Hals hetzen.« Er lachte nur über ihre Aussage. Warum hatte sie nicht mehr Kraft? Hekate hatte ihren anderen Wesen sogar Magie eingeflößt, doch die Nymphen hatten nur ihr Aussehen. Und das war in solchen Fällen eher hinderlich.

»Aber die Polizei wird dich hier nicht entdecken. Ich habe viele Verstecke, die niemand finden könnte, selbst wenn sie uns folgen sollten.« Detty schluckte und versuchte gegen die aufsteigende Panik anzukommen. Nicht den Kopf verlieren. Das war ihre oberste Regel. Sie senkte den Kopf, soweit es ging, da er immer noch seine Hand in ihrem Haar hatte, und ergab sich scheinbar.

»Ah. Sehr gut, kleines Täubchen. Du wirst es nicht bereuen.« Er löste seine Hand aus ihrem Haar und begann, ihre Brust zu begrabschen.

 


2. Kapitel

 

Evan war an diesem regnerischen Abend mit Jonathan und ein paar menschlichen Freunden in einen beliebten Club am Stadtrand, um sich vom Rudelgeschehen etwas abzulenken.

Dass Cassandra wieder da war, hatte alle sehr gefreut, aber auch verunsichert. Es war, als würden alle einen Eiertanz aufführen, der jeden Moment in einer Katastrophe enden konnte. Er sah sich im Club um und blieb wie magisch an einer hübschen Gestalt an der Bar hängen. Sie war göttlich. Groß, brünett und schlank. Und sie hatte ihn ebenfalls bemerkt.

Die hübsche Frau sah ihn schelmisch grinsend ins Gesicht und rutschte schließlich elegant vom Barhocker. Dabei lenkte sie absichtlich seine Aufmerksamkeit auf den Saum ihres Kleides, der bei der Aktion nach oben rutschte und einen Blick auf ihre halterlosen Strümpfe erlaubte. Er verfolgte jede ihrer wohl überlegten Bewegungen, wie ein Wolf, der er auch war. Mit einem letzten sinnlichen Grinsen verschwand sie Richtung Toiletten. Das war so was von einer Einladung.

»Ich bin mal kurz für kleine Wölfe.« Er hatte keine Ahnung, ob es die anderen gehört hatten, aber das war ihm in den nächsten Minuten auch schon wieder egal. Die hübsche Frau trug ein dezentes Parfüm, das schwach nach Blumen roch. Alle seine Sinne stellten sich darauf ein, sodass er sie gut durch die Gänge des Clubs verfolgen konnte. Sie war nicht zur Toilette gegangen, wie er angenommen hatte, sondern wartete ein Stück weiter auf ihn. Lasziv lehnte sie an der Wand und lächelte ihn wohlwollend an.

»Hab ich mir doch gedacht, dass so ein gut aussehender Mann eine gesunde Libido hat.« Sie grinste frech und verschwand in dem dunklen Raum hinter ihr. Natürlich folgte er ihr auf dem Fuße. Natürlich konnte das genauso gut eine Falle sein, aber er wäre ihr trotzdem nachgelaufen. So eine Chance konnte man sich doch nicht durch die Lappen gehen lassen.

 

»Bis bald, Süße.« Sie winkte ihm grinsend nach und richtete ihr Kleid in der kleinen Kammer, die mittlerweile nach Sex roch. Heißen und wilden Sex. Solche Frauen mochte Evan. Für ein kleines Abenteuer zu haben und danach keine Allüren, wie: »Ich dachte, du magst mich« oder »War das für dich nur bedeutungsloser Sex?«

Nein. Solchen anhänglichen Frauen ging er lieber aus dem Weg. Das gab nur Ärger. Während er noch dem kleinen Stelldichein nachsann, bahnte er sich seinen Weg durch die Massen. Allerdings musste er nach wenigen Minuten feststellen, dass die Anderen schon gegangen waren. Super. Echt toll. Jetzt konnte er allein nach Hause fahren.

Während er sich umdrehte, um an der Bar noch ein Bier zu holen, kramte er in seiner Jackentasche nach seinem Smartphone. Vielleicht waren sie noch nicht zu weit weg und würden ihn noch abholen kommen, wenn das Glück ihm hold war. Aber noch, bevor er es überhaupt gefunden hatte, wurde er prompt von hinten angerempelt.

»Kannst du nicht aufpassen?« Trotz der heißen Nummer von eben war seine Laune schon wieder auf Bodenniveau. Keine Seltenheit bei ihm. Leider hatte sein gutes Aussehen zur Folge, dass ihm die Frauen reihenweise verfielen und er die freie Wahl hatte. Allerdings wurde das schnell langweilig und er bemühte sich nicht unbedingt um gute Umgangsformen. Aber als er sich in diesen Moment umdrehte, sah er etwas, das er so in dieser Form nicht erwartet hatte. Nicht hier.

In einem knielangen, schwarzen Kapuzenmantel stand eine Frau vor ihm, die ihn mit weit aufgerissenen Augen ansah. Wie ein erschrockenes Reh, das in die Scheinwerfer eines Autos sah. Sie schien ihm so unwirklich. Diese Augen. Wie Brandy, wobei Bernstein wohl eine poetischere Verbildlichung wäre. Ihre Haut war sehr hell und glatt, nur ihre Wangen waren gerötet. Wahrscheinlich lief sie schon eine Weile durch den Regen und fror.

Wieso konnte er seine Augen nicht mehr von ihr abwenden? Und warum interessierte es ihn auf einmal, wie sie sich fühlte? Sein Blick wanderte zu ihren rosigen Lippen, die vor Verwunderung einen Spalt offen standen und so verlockend waren, wie Alibabas Schatzhöhle. Am äußersten Rand war sie aufgesprungen, aber es floss kein frisches Blut heraus.

Was wohl passiert war? Wie in Trance packte Evan ihren Arm und bei dieser einen Berührung, die sogar von mehreren Schichten Stoff gedämpft wurde, durchzuckte es ihn wie ein Blitz. Reflexartig wollte er loslassen, aber sein innerer Wolf ließ das nicht zu. Komisch. Bisher hatte er sich noch nie dermaßen eingemischt. Die Frau wandte den Blick ab und schüttelte den Kopf. Anscheinend hatte sie ebenfalls diese enorme Anziehung gespürt.

»Lass mich auf der Stelle los, Wolf.« Die wütend hervorgestoßenen Worte vertrieben den Nebel in seinem Kopf und ließen dieses Mal eine sachliche Musterung seinerseits zu, aber durch den Mantel war sie komplett verhüllt. Nur ihr herrliches Gesicht konnte er eindeutig sehen und es würde sich für immer und ewig in sein Gedächtnis einbrennen. Und trotzdem. Sie war eindeutig kein Mensch und auch kein Wolf. Dazu fehlte ihr der starke Knochenbau und die Größe, die bei weiblichen Wölfen etwas über dem Durchschnitt lag. Vielleicht hatte er es mit einer Hexe zu tun? Eine gewisse Ähnlichkeit ließ sich nicht leugnen. Obwohl von ihr keine Magie ausging. Nur ihre Aura hatte etwas ... Ursprüngliches. Es war denkbar, dass sie ihre Macht zu tarnen wusste.