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»Eine solche Jagd hat es in der Geschichte der Bundesrepublik bis dato nicht gegeben.« Mit diesen Worten beschrieb Heribert Prantl die Berichterstattung in der Affäre um Christian Wulff. Wie kaum ein anderes Ereignis in den vergangenen Jahren hat uns die Causa Wulff das spannungsreiche Verhältnis von Presse und Politik vor Augen geführt. Ein spektakulärer Fall. Aber nicht der erste und sicher nicht der letzte seiner Art, denn Journalisten, so die These von Thomas Meyer, nutzen ihre Position immer häufiger, um in der politischen Arena mitzumischen. Eine problematische Entwicklung, schließlich können wir Fernseh- und Zeitungsmacher, anders als Politiker, nicht einfach abwählen.

 

Thomas Meyer, geboren 1943, ist Prof. em. für Politikwissenschaft an der TU Dortmund; er ist Chefredakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte. In der edition suhrkamp erschien 2001 sein vieldiskutiertes Buch Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien (es 2204).

 

 

Thomas Meyer

Die Unbelangbaren

 

Wie politische Journalisten mitregieren

Suhrkamp

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der edition suhrkamp 2692.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2015

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Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

 

eISBN 978-3-518-74083-5

www.suhrkamp.de

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Ein demokratisches Paradox

 1. Immun gegen Selbstkritik

 2. Grenzgänger und Grenzverletzer: Sechs Episoden

 3. Die Logik der Massenmedien

 4. Eine antagonistische Symbiose

 5. Verführung als System

 6. Die Macht des Einflusses

 7. Journalistische Selbstbilder

 8. Meute, Mainstream und Hierarchen

 9. Die politische Ökonomie des Rechtbehaltens

10. Die Rückseite des Spiegels

11. Die Kultur des letzten Wortes

12. Wechselnde Aggregatzustände

13. Eine Art Journalistendemokratie

14. Hoffnung Netz

Eine Trendumkehr tut not

Vorwort

Die Unbelangbarkeit der Einflussjournalisten sowie die Folgen, die sich daraus für die Demokratie ergeben, wären möglicherweise längst in aller Munde (vor allem innerhalb jener Gruppe, um die es hier geht: die der politisch einflussreichen Journalisten), hätte ein unerwartetes Ereignis die sich anbahnende Diskussion nicht im Keim erstickt. Im März 2014 meldete sich Frank Schirrmacher, selbst ein Alphajournalist ersten Ranges, dem es immer wieder gelang, zielsicher Themen aufzuspüren und sie mit großer Durchschlagskraft auf die Agenda zu setzen, mit der schonungslosen Analyse eines Phänomens zu Wort, das er als wachsende Tendenz zum »journalistischen Übermenschentum« bezeichnete.[1] Leider beendete Schirrmachers früher Tod die Debatte, bevor sie wirklich beginnen und die Republik in ihren Bann ziehen konnte. Der Artikel, in dem diese beißende und alarmierende Formulierung fällt, befasst sich am Beispiel eines Interviews, das einer der bekanntesten Nachrichtenmoderatoren im heute journal des ZDF mit Joe Kaeser, dem Vorstandsvorsitzenden von Siemens geführt hat, mit der Neigung maßgeblicher Großjournalisten, ihr Publikationsprivileg zu missbrauchen, um selbst im politischen Prozess mitzumischen, ja, um mitzuregieren, anstatt sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die ihnen in demokratischen Gemeinwesen zukommen: die treuhänderische Information über das politische Geschehen sowie die Orientierung durch Kommentare, die sachlich formuliert und als Meinungsäußerungen gekennzeichnet sein müssen.

In seinem Artikel hat Schirrmacher zwei manifeste Probleme des politischen Journalismus auf informative Weise in ein kausales Verhältnis zueinander gesetzt: zum einen die zunehmende Bereitschaft der Medienleute, per Selbstermächtigung im politischen Betrieb mitzumischen und sich zu politischen Großinquisitoren aufzuschwingen, wenn sich damit ein publikumsträchtiges »Remmidemmi« (Schirrmacher) auslösen lässt; zum anderen die objektiven Produktionsbedingungen in einer Branche, in welcher der permanente Echtzeitdruck dazu führt, dass eine auf Eskalation zielende Dramatisierung immer weniger Raum lässt für Distanz, genaue Prüfung und kritische Selbstreflexion. Schirrmacher arbeitet am konkreten Beispiel des Gesprächs zwischen dem Nachrichtenmoderator und Joe Kaeser, der im Frühjahr 2014 während der Ukrainekrise nach Russland gereist war, heraus, mit welcher Rücksichtslosigkeit ein anderer Alphajournalist sich hier live und vor einem Millionenpublikum die Freiheit nahm, mit allen Regeln der verantwortlichen Informationsvermittlung zu brechen und mit einem inquisitorischen Verhör selbst Politik zu machen. Dieser Polit-Journalist habe sich, so Schirrmacher, angemaßt, »der deutschen Wirtschaft die rote Linie« aufzuzeigen, indem er mit überlegener kommunikativer Cleverness dekretierte, welche Politik gegenüber Russland moralisch erlaubt und welche verboten sei, welcher Akteur noch mit demokratischer Anerkennung rechnen dürfe und wer an den großen öffentlichen Pranger der Nation gehöre.

Dieser Zusammenhang zwischen Produktionsbedingungen und professionellem Selbstverständnis, besonders aber die im Hinblick auf die Bedingungen demokratischer Medienkommunikation mittlerweile destruktive Selbstüberschätzung eines maßgeblichen Teils der politischen Journalisten sind die Themen des vorliegenden Essays – wobei der Autor sich schon an dieser Stelle vor der Handvoll Journalisten verbeugen möchte, die die Grenzen nach wie vor wahren, die im Text selbst aber ebensowenig namentlich aufgelistet werden sollen wie (bis auf wenige Ausnahmen) die exemplarischen Grenzverletzer. Interessanter als individuelle Akteure sind ohnehin ihre Texte sowie die Strukturen, die das von Schirrmacher gegeißelte »journalistische Übermenschentum« möglich gemacht haben und allmählich zur Gewohnheit werden lassen. Dabei handelt es sich vor allem um das enge Zusammenwirken von drei Faktoren: der von der wachsenden Konkurrenz forcierten, an Aufmerksamkeitsmaximierung orientierten Medienlogik; des strukturellen Veröffentlichungsmonopols der Schlüsseljournalisten; und der zunehmenden (auch als »Mainstreaming« bezeichneten) Homogenisierung des journalistischen Feldes infolge der Konzentration und Flexibilisierung des Medienmarkts.

Schon die wissenschaftlich gut untersuchte Ausgangslage erscheint paradox, da die Produktionsgesetze der Massenmedien und die Logik der demokratischen Politik sich offenkundig beißen. Die Folge sind oft systematisch verzerrte Darstellungen der politischen Welt, die Fokussierung auf Gezänk und Geschacher, auf psychologisierende Diagnosen über die handelnden Personen, deren Beziehungen untereinander nach dem Modell privater Beziehungen gedeutet werden. Zwar stemmen sich einige Spitzenjournalisten gegen den Strom, indem sie zeigen, dass die schwierige Synthese von attraktiver Verpackung und dem Ziel, politische Vorgänge wirklich zu verstehen, nach wie vor möglich ist. Der Mainstream hingegen folgt oft und gern der Neigung, das Politische um spektakulärer Effekte willen systematisch zu entpolitisieren. Doch selbst wenn es mehr geduldige und kenntnisreiche Medienleute gäbe, die Kompetenz, sprachliche Virtuosität und die Bereitschaft mitbringen, den Dingen auf den Grund zu gehen, ist guter Journalismus zudem auf zwei weitere Ressourcen angewiesen, die immer knapper werden: ein Zeitbudget, das Entschleunigung und Sorgfalt begünstigt, sowie eine die Vielfalt fördernde journalistischen Kultur der wechselseitigen Kritik. Was die erschlaffende Demokratie heute dringend braucht, ist daher unter anderem eine Erneuerung des demokratisch-kulturellen Mandats des politischen Journalismus.

Eine Klarstellung vorab: Obgleich das Material der folgenden Analysen großteils aus dem Wahlkampfjahr 2013 stammt, soll hier nicht die These vertreten werden, die Medien (allein) hätten diese Wahl entschieden. Das Problem liegt tiefer.



[1] Schirrmacher, Frank, »Dr. Seltsam ist heute online«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (28. März 2014), S. 11.