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Mit Links überleben

20 Jahre Ch. Links Verlag

Christoph Links (Hg.)

Mit Links
überleben

20 Jahre
Ch. Links
Verlag



Ch. Links Verlag, Berlin

Wir danken unseren langjährigen Partnern, der Druckerei Friedrich Pustet sowie den Firmen Arctic Paper, Gebr. Schabert und Peyer, für die großzügige Unterstützung bei der Produktion dieses Jubiläumsbandes.

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Des Weiteren danken wir allen Autoren / Beiträgern dieses Buches, die uns Fotos aus ihren Privatarchiven zur Verfügung gestellt haben, insbesondere Stefan Büttner (S. 101), Lothar Deus (S. 176) und Mario Rauch (S. 107).

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

1. Auflage, Februar 2015 (basiert auf der nochmals durchgesehenen 1. Printauflage vom Oktober 2009)

ISBN 978-3-86284-292-6

Inhalt

Vorwort

Die Autoren und ihre Erfahrungen

Norbert Mappes-Niediek

Von Büchern und Menschen

Geburtshelfer, Erzieher und die Ablösung vom eigenen Werk

Bettina v. Kleist

Eine Buchung Erster Klasse

Lebenshilfe-Themen jenseits des Seichten

Frank Westerman

Was hast du eigentlich gemacht, als die Mauer fiel?

Ein deutsches Gesellschaftsspiel

Frank Nordhausen

Christoph Links, Scientology und mein Opa Richard

17 Jahre krisenfester Zusammenarbeit

Stefan Wolle

»Sind Sie ein Achtundsechziger?«

Mit dem »Traum von der Revolte« auf Lesereise

Die Bücher und Reihen

Benjamin Liebhäuser

»Faszination Freiheit« oder: Ein Hoch auf die Berliner Ringbahn

Das Kernsegment Politik und Zeitgeschichte

Martin Kaule

Geheimnisvolle Bunkerwelten

Geschichte in Bild und Text

Stephan Lahrem

»Bilderschule der Herrenmenschen«

Die Herausforderung, kolonialgeschichtliche Titel zu verlegen

Susanne Heerdegen

Auf den Spuren der Vergangenheit

Historische Reiseführer im anspruchsvollen Kleinformat

Kerstin Ortscheid

Belgien sehen und staunen oder: Das Probekapitel

Eine Entdeckung in der Länderreihe

Nadja Caspar

Respekt vor Menschen in schwierigen Lebenssituationen

»Intersexualität« in der Lebenswelten-Reihe

Edda Fensch

Frank Westermans Sachbuch-Krimis

Neue Wege in der Literarischen Publizistik

Christoph Links

»Wer war wer in der DDR?«

Das Flaggschiff der Wissenschaftsreihe

Die Mitarbeiter und ihre Arbeitsbereiche

Christoph Links

Ein Verlag mit klarem Profil

Die Programmentwicklung im zeitgeschichtlichen Sachbuch

Stephan Lahrem

Schwärmer und Korinthenkacker

Vom Beruf eines Verlagslektors

Susanne Heerdegen

Kunst und Kalkulation

Die Vielfalt der Herstellung

Benjamin Liebhäuser

Ich finde, wir hätten es langsam mal verdient!

Der Vertrieb und der Traum vom Bestseller

Martin Kaule

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Was macht der Webmaster da eigentlich?

Edda Fensch

Irrfahrt zwischen Content Desk und News Community

Die neue Dimension der Pressearbeit

Kerstin Ortscheid

Alles Geld ist meins!

Die Finanzabteilung

Maria Oehlschlegel

Von Lizenzerfolgen und Raubdrucken

Der Bereich Auslandsrechte

Übersicht zu den bisher vergebenen Auslandslizenzen

Nadja Caspar

»Der Autor ist auf Lesereise!« und »Die Daten sind im Haus!«

Veranstaltungen und Nachauflagen

Die Verlagsmannschaften der Jahre 2000 bis 2009

Die Praktikanten und ihre Entwicklung

Wiebke Ankersen und Heiko Hänsel

Am Mittagstisch wird berlinert

Praktika mit weitreichenden Folgen

Ann-Catherine Geuder

West-Göre meets Ost-Verlag

Überraschungen beim Betriebsausflug

Übersicht über die Praktikanten im Ch. Links Verlag 2000 bis 2009

Die freien Mitarbeiter und Kooperationspartner

Jana Fröbel

Patchworkarbeit und Freisein

Vom Leben einer freien Lektorin

André Kahane

Verbündete

Die Zusammenarbeit von Graphiker und Verleger

Jörg Pustet

Maschinen stopp!

Erfahrungen eines Druckers

Georg Leifels

Anstiftung zum Denken

Der Vertreter als Kundschafter zwischen Verlag und Buchhändler

Bernd Sellhorn

Hinter den Kulissen

Die Computertechnik des Verlages

Jutta Koch-Unterseher

Gut angelegtes Geld

Wie aus inhaltlicher Nähe finanzielles Engagement wurde

Wir danken für erfolgreiche Zusammenarbeit!

Ständige freie Mitarbeiter und Kooperationspartner

Das Publikum

Kirsten Willeken

Ein kleiner, aber besonderer Verlag

Impressionen aus der Stern-Buchhandlung Düsseldorf

Hannes Schwenger

Linker Durchmarsch

Beobachtungen eines Rezensenten

Klaus Wagenbach

Wirtschaftliche Selbständigkeit, selbständiges Denken, Selbstausbeutung

Die solide Basis eines Verlages

Theo Döring

Auf Erkundungstour im Osten

Erfahrungen eines Lesers aus Bamberg

Anhang

Christoph Links

Verlagschronik 2000 bis 2009

Martin Kaule

Bibliographie 2000 bis 2009

Übersicht aller erschienenen Titel
zwischen Ende 1999 und Herbst 2009

Autorenregister zur Bibliographie

Angaben zu den Autoren des Jubiläumsbandes

Vorwort

Wer hätte das gedacht: Als wir im stürmischen Herbst 1989 unseren Verlag gründeten, geschah das in jenem »wunderbaren Jahr der Anarchie«, in dem nicht viel gefragt und schon gar nicht lange vorausgeplant wurde. Nach dem Fall von Mauer und Zensur wollten wir endlich über jene Themen reden, die von anderen bisher bewusst ausgeblendet oder tabuisiert worden waren. Was auf der Straße und in den Medien möglich wurde, sollte sich auch in Büchern niederschlagen. Mit vielen anderen Neugründungen präsentierten wir unser erstes Programm im Herbst 1990 auf der Frankfurter Buchmesse. Wie wir hinterher erfuhren, belächelte man uns Neulinge ein wenig und soll es unter den markterfahrenen Kollegen sogar eine Wette gegeben haben, wie oft man uns wohl noch wiedersehen würde, zwei oder drei Mal? Nun sind es 20 Jahre geworden. Bewegte Jahre.

Es gab kontroverse und erfolgreiche Bücher, manche Prozesse, wechselnde Mitarbeiter und Quartiere, fallende und steigende Zahlen, Krisensitzungen und Feste. Jedem ist etwas anderes im Gedächtnis geblieben. Gemeinsam halten wir Rückschau: Autoren und Kollegen, freie Mitarbeiter und Praktikanten, Drucker und Computertechniker. Entstanden ist eine facettenreiche, zuweilen auch heitere Verlagsgeschichte, die Einblick gibt in den Alltag eines Hauses, das sich mit seinen Büchern immer wieder einmischt in die Vorgänge der Zeit.

Der Blick konzentriert sich dabei auf die letzten zehn Jahre, denn zum 1. Dezember 1999 ist unter dem Titel »Über unsere Bücher lässt sich streiten« bereits ein Band zum ersten Dezennium erschienen. Daran anknüpfend gibt es nun auch eine Fortsetzung der Verlagschronik und der Gesamtbibliographie für die Jahre 2000 bis 2009.

Da uns das Büchermachen weiterhin ungeheuren Spaß bereitet und es an kontroversen Themen in dieser Zeit nicht mangelt, starten wir mit Freude ins dritte Jahrzehnt und hoffen auf einen ebenso freudigen Bilanzband im Jahre 2019 – und sei es als Digitalbuch.

Berlin, im Herbst 2009

Christoph Links

Die Autoren und ihre Erfahrungen

Norbert Mappes-Niediek

Von Büchern und Menschen

Geburtshelfer, Erzieher und die Ablösung vom eigenen Werk

»Ich werde ein zweites Mal meine Bücher nicht mehr durcharbeiten: das Erlebnis ist zu furchtbar, und stört die Entstehung neuer Dinge in unberechenbarer Weise – wenn ich mich in meiner entsagungsvollen Arbeit als dadurch um 1 weiteren Monat zurückgeworfen bezeichne, so ist das milde ausgedrückt!« Schreibt Arno Schmidt, der nach seinem Selbstzeugnis »in ständigen Abwehrkämpfen begriffen« war: »mit Verlegern, Lektoren, Setzern, Lesern (von Rezensenten zu schweigen: denen antworte ich gar nicht!)«.

Mir geht es ganz anders. Gut, vielleicht ist meine Arbeit an den Büchern nicht ganz so entsagungsvoll, und mit Arno Schmidt vergleichen will ich mich sowieso nicht. Aber wundern darf ich mich schon über den Mann, der so klug »von Büchern und Menschen« geschrieben hat. Bücher und Menschen haben ja vieles gemeinsam. Sie erleben gemeinsam eine Schwangerschaft mit kritischen Phasen. Bücher werden geboren, und sie müssen danach gewogen, gewickelt, gestillt, manchmal auch nachoperiert werden. Als Mutter im Wochenbett, erschöpft von den Presswehen, kann man das alles nicht allein. Und erst recht später: Da müssen Bücher erzogen, sozialisiert werden. Fremde kommen, nehmen sie bei der Hand, lernen sie von einer ganz anderen Seite kennen. Sie stellen unsere neugeborenen Bücher anderen Fremden vor, und man selbst ist gar nicht dabei. Irgendwann kommen unsere Produkte sogar in eine Art Pubertät und rebellieren gegen einen – aber das soll hier nicht das Thema sein.

Von der »Schwangerschaft« der Autoren hört man ja immer wieder. Von Geburten und Geburtshelfern ist weniger die Rede. Ich erinnere mich gut an den ersten Ultraschall: Christoph Links wollte ganz in der Anfangsphase schon mal ein paar Absätze von mir haben. Es war ein spannender Moment, er verlief glimpflich. Das Kind wuchs und kam zum errechneten Termin, denn ich wusste ja, dass in der Klinik am Prenzlauer Berg darauf sehr sorgfältig geachtet wurde. Als ich es schließlich zur Welt gebracht hatte, nahm man es mir behutsam ab. Es wurde in Form gebracht, mit einem schönen Umschlag versehen. Geburtsanzeigen erschienen, Gratulanten kamen. Bald nahm Edda Fensch es bei der Hand und führte es den Rezensenten vor, strengen Damen und Herren, die einen ganz nüchternen Blick darauf warfen. Mein erstes Buch ist jetzt schon längst in der Schule. Es hat die vierte Auflage erreicht und lässt sich zu Hause kaum noch blicken. Andere kümmern sich darum, und ich bin überzeugt: Es kann sehr gut auf sich selbst aufpassen.

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Norbert Mappes-Niediek (Mitte) stellt am 23. April 2001 im Berliner Theater unterm Dach sein Buch »Österreich für Deutsche« im Gespräch mit Dr. Paul Schulmeister (r.) vom Österreichischen Rundfunk vor.

Eltern neigen dazu, ihre Kinder festzuhalten. Kindergärten und Schulen sind dazu da, sie ihnen behutsam wegzunehmen. Genauso machen gute Verlage es mit Büchern. Sie erkennen die mütterliche oder väterliche Autorität des Autors an, wissen aber auch um deren Grenzen und um ihre Vergänglichkeit. Darin sind sie besser als die Autoren. Ich erinnere mich genau, wie Christoph Links anrief, um das Manuskript meines ersten Buches mit mir durchzugehen. Ich nahm Kampfhaltung ein, bereit, jeden Angriff auf mein Junges abzuwehren. Ich selbst hatte das Buch wieder und wieder gelesen. Ich wusste von jeder Formulierung, wie falsch sie wäre, wenn sie anders lauten würde. Ich kannte jede Unebenheit, jedes Dilemma, die Tücken der Gliederung und verfügte über eine genaue Erinnerung an meine logischen Bocksprünge. Wollte mir da etwa jemand etwas über mein eigenes Buch erzählen? Nach einer halben Stunde Stellungskampf hörte ich am anderen Ende der Leitung ein tiefes Stöhnen. »Was ist?«, fragte ich. »Ich habe ja nicht irgendetwas dahingeschrieben. Da ist es doch ganz normal, dass ich meine Formulierungen verteidige.« Links stimmte zu. »Es ist nur so mühsam«, fügte er matt an.

Für Kritik an ihren Büchern sind Autoren so wenig empfänglich wie Eltern für Kritik an ihren Kindern. Sie sind schließlich ein Stück von einem selbst, und man kennt sie viel besser als jeder Kritiker sie je kennenlernen wird. Eltern können über ihre Kinder schlecht urteilen, und das ist auch gar nicht ihr Job. Andere müssen die Funktion übernehmen – mit etwas Distanz schon, aber auch noch mit Liebe und Solidarität. Bei liebenden Eltern geht das ohne Kampf nicht ab. Man muss nur einmal am ersten Tag nach den Ferien die Szenen im Garderobenraum des Kindergartens beobachten: Die Mütter, denen immer und immer noch etwas einfällt, die immer noch rasch ein Stück Rotz von der Backe ihres Lieblings wischen müssen, einen Träger glattstreichen, eine Warnung aussprechen. Die Erzieherinnen, die so vertrauenerweckend dreinschauen, wie sie eben können, fast schon mitleidig, und die dann, wenn die Tür geschlossen ist, sich über die verrückten Eltern lustig machen.

Es ist mühsam. Aber es lohnt sich.

Bettina v. Kleist

Eine Buchung Erster Klasse

Lebenshilfe-Themen jenseits des Seichten

Niemals hätte er in einem politisch profilierten Verlag »Psycho-Themen« vermutet. Ähnlich wie ein Bekannter reagierte ich erstaunt, als mir meine Literaturagentin den Weg in die Schönhauser Allee 36 empfahl, wo ich wenig später einen Vertrag für die Sachbuchreihe Lebenswelten / Lebenshilfe unterschrieb. Sie war kurz zuvor aus der Taufe gehoben worden, mit dem Anspruch, Konflikte im Alltag von Menschen umfassend zu beleuchten und sogenannte »weiche Themen« vom Ruch des Seichten zu befreien. Inhaltlich war der Spagat groß zwischen »Parteien im Kalten Krieg« und dem Gefühlschaos von Frauen, deren Partner sich nach zwei oder 20 Ehejahren als homosexuell outen. Doch schon beim ersten Gespräch mit Christoph Links und Edda Fensch beflügelte mich das Gefühl, beruflich in guten Händen zu sein und zwei Menschen gegenüberzusitzen, die professionelles Interesse spürbar mit persönlicher Neugier verbinden.

Dass die berufliche Erforschung soziologischer, politischer oder psychologischer Zusammenhänge nicht unbedingt durchschlägt auf die Bereitschaft, realen Menschen zuzuhören, beobachte ich oft. Ob Wissenschaftler, Journalisten, Autoren, Redakteure: Ihr Fokus auf Gesellschaftsprobleme scheint die Anteilnahme am Lebensrest häufig aufzusaugen. Vielleicht züchtet das beständige Eintauchen in fremde Biographien und Gedankenwelten ein überdurchschnittliches Bedürfnis, im Privaten die Schotten dicht zu machen. Vielleicht ist der ausgeprägte Hang zu Monologen die déformation professionelle einer Zunft, die einen Großteil des Tages einsam am Schreibtisch sitzt und bei Ausflügen in die Außenwelt der unfreiwilligen Schweigsamkeit entrinnt.

Im dritten Stock der KulturBrauerei stehen die Türen der Mitarbeiter einladend offen. Neun sind es inzwischen, ein Drittel mehr als vor sieben Jahren, als mich die Lektorin Heike Olbrich mit pädagogischem Geschick durch die Fußangeln meines ersten Sachbuches manövrierte und mich beim Nachtrag von Fußnoten unaufdringlich bei der Stange hielt. Hektik, Zeitdruck, der Tunnelblick auf Abgabetermine: Wohl unvermeidbar gehören sie zum Verlagsgeschäft dazu. Doch bei meinen gelegentlichen Besuchen im Verlag empfängt mich stets eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre, die wohltuend frei ist von Gereiztheit und Stress.

Häufig überlege ich, wie man es schafft, für derzeit 284 AutorInnen Ansprechpartner zu sein. Und das heißt nicht nur, ihre Namen und Bücher im Kopf zu haben, sondern ebenso, ihren Hochs und Tiefs das Ohr zu leihen. Auch wenn die Zuständigkeit für Podiums- und Privatthemen unter Christoph und Edda spürbar aufgeteilt sind, die ruhige Zugewandtheit beider versiegt selbst dann nicht, wenn sich vor Buchmessen im Flur die Kartons stapeln, Interessengruppen den Verlag mit Gerichtsterminen überziehen oder alle Mitarbeiter daran mitwirken, ein 500-Seiten-Manuskript noch rechtzeitig auf die Hälfte zu kürzen.

Verträge schließe er nur mit Autoren, zu denen er einen Draht finde, verriet Christoph einmal seinen Grundsatz, auf erfolgversprechende Titel lieber zu verzichten als in Kauf zu nehmen, dass die Chemie nicht stimmt. Bis ich mich einklinkte in das verlagsübliche Du, das aus den jährlichen Verlagsfesten eine Art Familientreffen macht, dauerte es einige Jahre. Erschwerte die vertraute Anrede nicht das Behandeln sachlicher Meinungsverschiedenheiten? Obwohl der Ernstfall bisher nicht erfolgte, meine Bedenken, dass gravierende Differenzen den freundlichen, ja herzlichen Umgangston belasten könnten, haben sich längst aufgelöst. Der prompte Rückruf, die schnelle Beantwortung einer E-Mail, Christophs souveräne Gelassenheit und Eddas großräumiger Speicher für persönliche Anliegen und Vorlieben gehören für mich ebenso zu den Markenzeichen des Verlages wie die gleichwohl professionelle Distanz, die all das vor Hemdsärmeligkeit bewahrt.

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Mit »Wenn der Wecker nicht mehr klingelt« gelang Bettina v. Kleist (Mitte) ein Bestseller. In der Buchhandlung an der Thomaskirche in Leipzig stellte sie ihn zur Buchmesse 2006 vor.

Über den Verdacht des kommerziellen Kalküls ist ein Verlag, der über den Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika aufklärt oder die »Urangeheimnisse« im Erzgebirge aufspürt, ohnehin erhaben. Gewiss träumt jeder Verleger davon, einen Bestseller zu landen; die aufgestockte Programmpalette umwirbt eine breitere Zielgruppe. Doch auch im 21sten Verlagslebensjahr genießen randständige Themen Artenschutz; die Sparte Lebenswelten bietet auf dem umkämpften Buchmarkt einen immer selteneren Zufluchtsort vor der grassierenden Weichspülung psychosozialer Themen.

Reich wird niemand in einem kleinen Verlag. Immer wieder blicke ich in ungläubige Gesichter, wenn ich Auskunft gebe über Autorenhonorare. Wer die durchschnittlichen Beitragssätze für die Künstlersozialkasse (KSK) kennt, weiß, dass der arme Poet eine ganze Berufsgruppe repräsentiert. Von der Zahnarztpraxis an der Elbe bis zur Zimmervermietung an der Spree reicht das Spektrum des zweiten beruflichen Standbeins, wobei das Zubrot nicht selten die Haupteinnahmequelle ist. Die Frage, ob sich Bücherschreiben lohnt, verliert jedoch spätestens dann an Gewicht, wenn ein neues Thema lockt. Vielleicht wird es 3000, vielleicht 30 000 Leser finden. Der Hauptgewinn jedoch steht fest: Die Begegnung mit Menschen, die man sonst nie treffen wird, der Einblick in Lebenswelten, die sonst verschlossen blieben. Auch der Fahrschein für die spannende Reise ist ausgestellt: ein Vertrag mit Christoph Links. Was die Reisebegleitung betrifft, empfinde ich ihn als Erste-Klasse-Buchung.

Frank Westerman

Was hast du eigentlich gemacht, als die Mauer fiel?

Ein deutsches Gesellschaftsspiel

Jedes Los ein Treffer, wenn man mit Deutschen am Tisch sitzt und ihnen die Frage stellt, wo sie waren / was sie gemacht haben, als die Mauer fiel.

Es entwickelt sich ein Gesellschaftsspiel, interessanter als Rummikub, enthüllender als Wahrheit oder Pflicht.

Man kann auch fragen: »Woher kennt ihr euch?« oder, falls es sich um ein Pärchen handelt: »Wo habt ihr euch das erste Mal geküsst?« – aber das mit der Mauer bringt doch mehr Überraschungen.

»Christoph«, sagte Christoph. »Ich bin dein deutscher Verleger.«

Er stand, die Ärmel aufgekrempelt, mit einer fleckigen Schürze vor dem Bauch in der Küche (!) seines Verlages – und drehte Koteletts um.

Ob ich ein Bier wolle?

Der Verlag Christoph Links hat seinen Sitz in einer ehemaligen Brauerei.

»Setz dich schon mal, die anderen kommen auch gleich.«

Es war für acht gedeckt, das vollzählige Personal des Ch. Links Verlages. Für mich (einen ausländischen Autor, der zu früh zu seinem Termin erschienen war) wurde sofort ein neunter Stuhl dazugerückt.

»Edda«, sagte Edda, die, wenn man darauf achtete, vielleicht tatsächlich etwas Isländisches hatte. Die blonde, resolute Edda bediente mich wie in einem Restaurant – Besteck, Serviette, Bierdeckel – Alles nach Wunsch?

Edda war für die Pressearbeit des Verlagshauses zuständig.

Die übrigen Mitarbeiter ließen die Manuskripte, Druckfahnen und Verkaufsstatistiken auf ihren Schreibtischen zurück und folgten dem Geruch gebratenen Fleisches.

Ich war in der Stimmung, Fragen zu stellen, also bekam ich als Erstes zu hören, dass sich die Ossis und Wessis im Links-Verlag zahlenmäßig die Waage hielten. Das Verhältnis war vier zu vier. Dennoch: Alle acht liebten es, in der Mittagspause warm zu essen – am liebsten etwas Deftiges.

»Okay«, dachte ich, als Holländer, der an sein Käsebrot zum Mittagessen gewöhnt ist, »wenn du in Rom bist, verhalte dich wie die Römer.«

Ich stellte noch mehr Fragen, was nicht unbedingt Sinn der Sache war, zumindest nicht für die anderen: Das Mittagsmahl im Haus Links, so entdeckte ich erst später, war die tägliche Redaktionssitzung.

Das Gespräch kam auf die Mauer – und ich nutzte meine Chance. In den Antworten auf die Frage, wer am 9. November 1989 wo gewesen war, taten sich plötzlich Welten zwischen Ost und West auf.

Edda (Ost) kam mit der Geschichte, dass sie ausgerechnet im November 1989 zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer Dienstreise im Ausland war – im Westen. Am Abend des 9. steckte sie in London, am 10. November fragte Hanif Kureishi sie auf einer Party des Faber & Faber Verlages, was sie jetzt machen wolle. »Zurückfahren natürlich«, antwortete sie. »Bist du verrückt«, entgegnete Kureishi, »dann ist doch niemand mehr da!«

Edda erzählte, dass sie in Rostock Englisch studiert hatte. Damit konnte sie Lehrerin in der DDR werden, das war ihre Zukunft. Doch gerade, als sie mit ihrer Karriere beginnen wollte, wurde sie aus medizinischen Gründen abgelehnt: Ihre Stimmbänder seien nicht stark genug, um den Anforderungen des Unterrichts gewachsen zu sein. Und so war sie in den Redaktionsräumen eines Verlages gelandet. Ende der 80er Jahre, sobald aus dem Osten ein freierer Wind zu wehen begonnen hatte, war sie auf Einladung des British Council nach London gereist, um Kontakte zu englischen Autoren und Verlagen zu knüpfen.

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Frank Westerman (l.) gibt Christhard Läpple vom ZDF auf dem »Blauen Sofa« Auskunft über sein Buch »Ararat« (2008).

Eine Geschichte war anrührender als die andere.

Wo ich selbst gewesen war?

Ich hatte auch vor dem Fernseher gehockt, und selbstverständlich war ich beeindruckt von dem, was sich in Berlin abspielte. Zusammen mit einem Freund, der, so wie ich, Journalist werden wollte, war ich auf dem Sprung, in einem gebrauchten R5 auf Reportagereise nach Rumänien zu fahren, in das Land Ceauşescus. »Oder sollen wir nach Berlin? Wenn wir jetzt losfahren, sind wir in fünf Stunden am Brandenburger Tor!« Wir sahen uns an, unsere Augen sprühten vor Aufregung, und begingen schließlich doch einen historischen Fehler: Wir fuhren nach Bukarest.

Während ich dies erzählte, spürte ich, wie unbedeutend mein Nine-eleven-Dilemma (die 1989er Variante, wohlgemerkt) eigentlich war – hier, in dieser Gesellschaft.

Christoph (ebenfalls Ost) hatte all die Zeit über mit seiner Meinung hinter dem Berg gehalten. Er saß da und aß. Ich dachte, dass er jetzt das Wort ergreifen würde, als Letzter. Um eine Geschichte zu erzählen, gegen die alle anderen Geschichten verblassen würden.

Was hatte Ch. Links vom Ch. Links Verlag gemacht, als die Mauer fiel?

Mein Verleger nahm noch einen Schluck Bier und wischte sich mit einer Serviette den Mund ab. Ein vages Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

Doch er sagte nichts.

Erst später begriff ich, dass er es war, der die Mauer umgeworfen hatte.

Übersetzung: Gerd Busse

Frank Nordhausen

Christoph Links, Scientology und mein Opa Richard

17 Jahre krisenfester Zusammenarbeit

Christoph Links ist mein Verleger. Er ist auch der Mann, der meinen Kindheitstraum wahr werden ließ. Neulich gab mir meine Mutter ein bräunliches DIN-A6-Heft, das mich tief zurück in die Vergangenheit führte. Eine Indianer- und Cowboygeschichte, handgeschrieben mit blauem Füller: »von Frank Nordhausen, sieben Jahre«. Das kleine Heft war, so sieht es rückblickend aus, der Beginn meiner Tätigkeit als Autor. Der Einstieg in den Traum meiner Kinderwelt. Ich träumte mich damals empor, wollte einmal »Rechts am Wald« werden, Rechtsanwalt wie mein imponierender, zwei Meter großer Onkel Rolf – aber viel lieber noch Schriftsteller wie mein Opa Richard, den ich leider nicht mehr kennenlernte, weil er viel zu früh starb. An Richard Nordhausen wurde bei uns zu Hause Erfolg gemessen. Er schrieb Feuilletons für die Vossische Zeitung, sozial-monarchistische Romane wie »Gib uns Brot, Kaiser!«, publizierte aber auch in einem Genre, das damals, zur Jahrhundertwende, als Begriff noch gar nicht existierte – das Sachbuch. 1910 gab er sein opus magnum »Unsere märkische Heimat« heraus, das in zwei Jahrzehnten vier Auflagen erlebte. Ein früher Sachbuchbestseller – und damit sind wir bei Christoph Links.

Der Traum des Enkels ging an einem trüben Novembertag 1992 in Erfüllung, als ich zum ersten Mal das Büro des Ost-Berliner Verlegers im ersten Stock der Zehdenicker Straße betrat. Den Termin hatte Liane v. Billerbeck vereinbart, meine damalige Lebens- und Arbeitsgefährtin. »Er ist ein sehr ernster Mensch«, sagte sie. Tatsächlich sprach der junge Verleger mit einer superseriösen Schnarrstimme, trug eine riesige Brille und einen Kinnbart wie Pfarrer Eppelmann. Das blaue Jeanshemd relativierte die Strenge und ließ ihn ein wenig hemdsärmelig wirken. Er hätte auch ein Pädagoge sein können, ein Revolutionspfarrer, ein Aktivist der Chile-Solidarität. Er schenkte uns starken Kaffee ein. Er war mir sympathisch. Wir duzten uns.

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Welche Messeparty ist die beste? Christoph Links und Frank Nordhausen testen gerade die des Ullstein-Verlages (2008).

Christoph Links kam gleich zur Sache. Er sprach über Scientology, den Psychokult aus Amerika. »Ein hoch spannendes Thema«, sagte er. Ob wir uns vorstellen könnten, ein Buch über die Organisation zu schreiben, eine kurze, aber umfassende Darstellung des Sektenkonzerns mit brisanten aktuellen Reportagen? Er kannte unsere Artikel über Scientology in der Wochenpost und der Berliner Zeitung, er hatte sich vorbereitet.

»Kein Problem!«, sagte ich. »Wann sollen wir liefern?«

Am 4. Dezember 1992 unterzeichnete ich meinen ersten Buchvertrag mit dem Links-Verlag. Damals haben wir mit Champagner angestoßen. Aber wir hatten auch Bammel. Mächtigen Bammel. Denn wir wussten schließlich, worauf wir uns einließen mit einem Enthüllungsreport über Scientology – dem ersten, der sich ganz auf deren mafiaähnliche Geschäfte konzentrieren sollte. Der Verleger aber, er konnte es nur ahnen.

Dass wir uns damals mit Scientology befassten, war reiner Zufall. In einem Florida-Urlaub waren wir 1991 am Golf von Mexiko über das »spirituelle Hauptquartier« der Psychosekte »gestolpert«, das journalistische Interesse war geweckt und wurde nach unserer Rückkehr von den Zeitungsredaktionen geteilt. Es war die Zeit, als Scientology zum öffentlichen Thema aufstieg. Nur war das Feld in den Medien so gut wie unbeackert – eine Chance für freie Journalisten, wie sie sich selten bietet. Schnell machten wir uns mit investigativen Reportagen einen Namen. Wir halfen, ein Sektenzentrum auf Usedom zu verhindern, deckten dubiose Deals von Scientologen mit der russischen Mafia auf, publizierten die erste große Enthüllungsgeschichte einer ehemaligen deutschen Topscientologin.

Dass der wahre publizistische Schatz aber erst noch zu heben sei – zu dieser Erkenntnis führte erst der Instinkt von Christoph Links. Was macht den Sachbuchverleger perfekt? Wie gute Investigativjournalisten muss er die Themen erkennen, die funkeln und zünden. Aber er muss sich auch festbeißen können. Nicht mehr lockerlassen. An die Sache glauben, auch wenn sie völlig vertrackt und aussichtslos wirkt. Genau wie mein Opa Richard, der bekannt war für seine Ausdauer. Er war nicht nur Schriftsteller, Journalist und Preuße, sondern auch Begründer des Märkischen Rudervereins und Erfinder des Wanderruderns. Bei einem Sturm auf dem Wolziger See drohte das Boot mit ihm und seinen drei Söhnen zu kentern. Er trieb seine Jungs zum Äußersten und erreichte glücklich das rettende Ufer.

Wir ruderten erst mal drauflos. Natürlich war es gewagt, ein Buch über Scientology zu publizieren, das »Namen und Hintermänner« nennen, »die gesamte Geschichte« erzählen und »umfassend aufklären« sollte. Doch gehört ein Schuss Naivität zum Wagnis dazu wie der Apfel zur Armbrust. Das Manuskript mit dem Titel »Der Sekten-Konzern. Scientology auf dem Vormarsch« sollten wir bis zum Jahresende liefern, schließlich gab es reichlich Vorarbeiten.

Die Zeit war trotzdem knapp bemessen, um 200 Seiten abzufassen, jeder Absatz musste gründlich recherchiert und belegt werden. Wir hatten den Verleger gewarnt: Mit Scientology sei nicht zu spaßen. Das Manuskript müsse von mindestens zwei Anwälten geprüft werden. Juristische Angriffe seien das Mindeste bei einer Organisation, deren sechs Jahre zuvor verstorbener Chef L. Ron Hubbard einst die Devise ausgab: »Es geht nicht darum, die Verhandlungen zu gewinnen. Der Zweck einer Klage ist es, den Gegner zu zermürben und zu entmutigen. Falls möglich, sollte sie ihn auch vollständig ruinieren.«

Jetzt waren wir der Gegner, und für einen Moment dachte ich, kann der Bart-Mann das überhaupt? Viel Mühe für viel Ärger auf sich nehmen? Der Name Links war durchaus passend. Immerhin ging es gegen faschistoide Sektierer. Aber hatte ein Jungverleger, der bis dahin vor allem Bücher über die alte DDR publizierte, Atem genug, es mit einer weltumspannenden Organisation aufzunehmen, die Kritiker bedrohte, einen eigenen Geheimdienst besaß und über scheinbar unendliche Geldmittel verfügte?

Christoph Links bewies Standvermögen. Zuerst kamen die anonymen Anrufe. Dann wurden Dossiers über uns »Scientology-Jäger« an ihn geschickt. Das Verlagsauto vor der Tür hatte plötzlich über Nacht zerstochene Reifen: Schließlich rückten Fanatiker in sein Büro ein, um auf ihn einzureden und von dem angekündigten Buch abzubringen. Zum Glück waren alle Unterlagen des »Sekten-Konzerns« ausgelagert worden. Sicherheit war oberstes Gebot. Nichts durfte vorzeitig durchsickern. Aber die Recherchen brauchten auch Zeit. Erst kurz vor der Leipziger Buchmesse ging das Manuskript, nun 360 Seiten stark, in den Druck – nach vier Monaten mit Siebentagewochen und Fünfzehnstundentagen und ohne Fernsehen.

Das Ergebnis überrollte alle Beteiligten – die Autoren, den Verleger, die Buchhändler. Kurz nach dem Erscheinen Ende März 1993 begann die erwartete Auseinandersetzung. Der Postbote stellte Drohbriefe und Klageankündigungen zu. Die Sekten-Juristen schickten gepfefferte Schriftsätze. Der Scientology-»Geistliche« Peter-Uwe Krumholz, »Roncalli«-Gründer Bernhard Paul, der süddeutsche Scientologe Dr. P., die Hamburger Scientology-Sprecherin, die Frau des Scientologen und Schockmalers Gottfried Helnwein – sie alle wünschten Unterlassungserklärungen, forderten Schwärzungen, Schadenersatz, Auslieferungsstopp. Renate Helnwein wollte sogar »alle noch im Besitz des Verlages befindlichen Exemplare vernichten« lassen.

Wenn Christoph Links damals anrief, in den Tagen nach der Buchpremiere, ging ich am liebsten in Deckung und nicht mehr ans Telefon. Jedes Klingeln verhieß neues Unheil. »Schickt mir sofort die Dokumente!«, sagte er mit gepresster Stimme. »Bis morgen Mittag muss unsere Erwiderung beim Anwalt sein.« Anfangs klang er noch kämpferisch, später auch verzweifelt. Plötzlich schien die Existenz des kleinen Verlages in der Zehdenicker Straße auf dem Spiel zu stehen. Und wir waren schuld. Ich machte mir Vorwürfe. Was um Himmels willen hatten wir getan?

Am 14. Mai 1993 erschien die Hamburger ZEIT mit einer großen Schlagzeile: »Einschüchtern, zermürben, zerstören«, illustriert mit unserem Buchcover aus dem Links-Verlag, das von einem schwarzen Keil mit der Aufschrift »Scientology« gespalten wurde. Es war der Aufmacher des »Modernen Lebens«. Der Aufmacher! In dem Artikel schilderte Dieter E. Zimmer, wie die Scientology-Sekte Kritiker mundtot zu machen und die publizistische Aufklärung zu verhindern sucht. Als Beispiel wurde unser Buch genannt. Am Schluss stand: »Wohl haben auch Sektenangehörige Anspruch darauf, dass keine Unwahrheiten über sie verbreitet werden. (…) Dürfte aber niemand mehr namentlich Scientologe genannt werden, so würde jede Berichterstattung über die Umtriebe der Sekte unmöglich.« Die ZEIT habe ich damals gleich dreimal gekauft, die Exemplare aufbewahrt. Bis heute.

Es war auch ein Befreiungsschlag. Wir verkauften 7000 Bücher in sieben Wochen, bald wurde nachgedruckt, sechs Auflagen insgesamt. Jedes Mal konnte mit kleinen Änderungen einem Angriff pariert werden. Der »Sekten-Konzern« wurde einer der ersten Erfolgstitel des Links Verlages und unter Sektenexperten bekannt als »die gelbe Bibel«. Es war wirklich eine große Sache. Wahrscheinlich hat sich Opa Richard ähnlich gefühlt, als ihm Kaiser Wilhelm einst bescheinigte, »zu den bedeutendsten Schriftstellern unserer Zeit« zu zählen.

Allerdings war der Erfolg teuer erkauft. Wir teilten uns die Prozesskosten mit Christoph Links. Und die Verfahren mit den Scientologen kosteten Geld. Viel Geld – und viel Zeit. Fast immer gewannen wir. Am teuersten war es, wenn wir uns auf einen Vergleich verständigten. Dann – nach Dutzenden Schriftsätzen, Telefonaten, durchgearbeiteten Nächten, Drohungen, Klagen auf Hunderttausende Mark und zerrütteten Nerven – standen wir am 10. Juni 1993 vor dem Richter am Tegeler Weg und warteten auf die alles entscheidende Verhandlung in der Sache Krumholz gegen den Links-Verlag. Elf Aussagen sollten verboten werden. Doch kaum hatte der Prozess begonnen, zog die Anwältin des Scientologen die Klage zurück. Sie hatte wohl erkannt, dass wir die besseren Argumente besaßen. Oder hatte es von Anfang an gewusst.

»Zermürben, nicht gewinnen, am besten vollständig ruinieren«, die Devise Hubbards rotierte damals wie eine Endlosschleife in meinem Kopf. Jetzt stoppte sie. Mit einem Mal wurde der Kopf frei. Christoph Links lächelte, unser Rechtsanwalt steckte seine Akten wieder ein. Das war der Durchbruch. Erleichtert stellten wir uns vor dem Gerichtsgebäude zum Gruppenfoto auf.

Nie werde ich diesen sonnigen Tag vergessen. Wir hatten gewonnen, weil wir nicht aufgegeben hatten. Weil wir nicht das halbe Buch schwärzen wollten. Weil wir auf einem Urteil bestanden. Weil Christoph Links sich nicht unterkriegen ließ. Diese Haltung hatte vielleicht mit seiner Ost-Berliner Vergangenheit zu tun. Mit der friedlichen Revolution und all den Wendegeschichten, dachte ich. Und mit einem Mal war ich sehr froh, einen Ost-Berliner Verleger zu haben.

Damals hat Christoph Links ein neues Kapitel in der Geschichte der Pressefreiheit geschrieben. Er hatte ein umfangreiches Enthüllungsbuch über Scientology publizistisch und juristisch durchgesetzt. Alles in allem wurden rund 85 000 Exemplare vom »Sekten-Konzern« verkauft. Das mutige Engagement des Verlegers zahlte sich am Ende doch noch aus.

Mit dem Buch begann eine Freundschaft, aber auch eine Autorenbindung, die nun schon 17 Jahre hält. Mal habe ich den Verleger, mal der Verleger mich für neue Projekte begeistern können. Auf den »Sekten-Konzern« folgten die »Psycho-Sekten« (1997, mit Liane v. Billerbeck), ein Buch, das heute ebenfalls als Standardwerk gilt. Dann gingen wir neue Wege, die zunächst auf den Balkan (»Entkommen. Tagebuch eines Überlebenden aus dem Kosovo«, 2000, mit Bardhyl Hoti), später in den Irak (»Soldat im Golfkrieg«, 2003, mit Steven Kuhn) und schließlich zu den letzten Naturvölkern führten (»Kirahé – der weiße Fremde«, 2007, mit Roland Garve). Als er mich mit dem Völkerforscher und Zahnarzt Garve zusammenbrachte, hat mir Christoph Links erneut einen Kindertraum erfüllt – einmal zu echten Indianern zu kommen. Für »Kirahé« reisten wir im Juli 2006 an den Amazonas zum Stamm der Kalapalo. Zu »Rothäuten«, wie sie im Karl-May-Buch stehen. So kam es, dass ich nach 43 Jahren wieder über Indianer schreiben konnte.

Man kann sagen, Christoph Links ist eine feste Größe in meinem Leben geworden. Und wenn er heute anruft, dann zittere ich nicht. Meistens jedenfalls. Denn er ist wahrscheinlich der einzige Verleger, der es nicht fertigbringt, seinen Autor ernsthaft zu disziplinieren. Die »Psycho-Sekten« wuchsen von geplanten 350 auf knapp 700 Seiten an, wie zehn Jahre später »Kirahé – der weiße Fremde«. Wer außer Links würde das durchgehen lassen? Ich sehe meinen Opa vor mir, der als humorvoll, aber auch sehr streng galt. »Enkel«, sagt er zu mir. »Disziplin tut not. Sonst kommt das Boot aus dem Takt.«

Wie schön, denke ich dann, dass die Jahrhundertwende nun 110 Jahre zurückliegt und es heute so coole Chefs wie Christoph gibt. Unser neues Buch »Laleo – die geraubte Steinzeit«, die Fortsetzung der Abenteuer von Roland Garve, schreibe ich in Kairo, wo es schon deshalb nicht ausufern kann, weil tagsüber 40 Grad im Schatten herrschen. Die Hitze macht träge und vereitelt Vielschreiberei. Vielleicht haben die alten Ägypter aus diesem Grund Hieroglyphen verwendet. Aber das ist lange her.

Auch Scientology scheint hier so lange her, so weit weg zu sein. Doch es war die Sekte, die mich im Sommer 2007 wieder in das Büro des Verlegers führte, diesmal in die KulturBrauerei im Prenzlauer Berg. Wir sprachen über Roland Garve, die Erfolgschancen von »Kirahé«, über Werbemaßnahmen. Ich fragte ihn: »Und Scientology? Was hältst du von einer Neuauflage des Sekten-Konzerns?«

»Warum?«, wollte Christoph wissen.

»Die Eröffnung der neuen Deutschlandzentrale in Berlin; Tom Cruise, der Scientology-Star, der Stauffenberg mimen soll; Mediengeschrei und Politikerworte – Scientology ist wieder da«, sagte ich. »Die Leute wissen aber nichts darüber, und unser Buch ist vergriffen. Ich könnte ein Überarbeitungskonzept schreiben.«

»Mach mal«, sagte Christoph.

Ich glaube, er fand die Idee bestechend. Damals konnten wir noch nicht mal ahnen, dass Tom Cruise einen Bambi für Mut bekommen und der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher ihm dabei eine unfassbare Lobrede widmen würde – vor einem Millionenpublikum am Fernseher. Wir wussten auch nicht, dass der Lady-Diana-Biograph Andrew Morton ein Enthüllungsbuch über Tom Cruise schreiben würde, das über weite Strecken von Scientology handelt und 2008 ein Weltbestseller wurde. Schon gar nicht konnten wir voraussehen, dass Tom Cruise kurz darauf mit irren Internetvideos Schlagzeilen machen würde.

Für das neue Buch sichteten wir unter anderem die Informationsflut im Internet. Wir konnten die besten Scientology-Experten Deutschlands dafür gewinnen, das Werk gegenzulesen. »Scientology. Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will« wurde die weltweit erste Gesamtdarstellung seit rund 20 Jahren. Ein großes Projekt für einen kleinen Ost-Berliner Verlag.

Nur dauerte die Fertigstellung drei Monate länger als vereinbart. Und das Manuskript umfasste am Ende 900 statt 300 Seiten. »Total interessant«, sagte Christoph Links am letzten vereinbarten Abgabetag. Er blickte auf den riesigen Papierstapel. »Aber absolut inakzeptabel. 900 Seiten können wir nicht drucken, niemand wird sie lesen.« Er machte sein Verzweiflungsgesicht. »Frank, das kannst du nicht mit uns machen.«

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200 Leute kommen am 4. September 2008 zur »Scientology«-Buchpremiere ins Rathaus Charlottenburg (links Ko-Autorin Liane v. Billerbeck).

Es stimmte. Die Sache war mir aus dem Ruder gelaufen. Aber diesmal war ich vorbereitet. Es hatte mich eine lange Nacht gekostet, dann war die Lösung klar. »Wir publizieren einfach zwei Bücher«, sagte ich zu Christoph. »Ich kürze ein Drittel, das legen wir zurück und nehmen es als Basis für den Nachfolgeband.« Genauso ist es gekommen. Im September 2008 haben wir das erste Buch im Rathaus Charlottenburg vorgestellt, dann haben wir gewartet … und gewartet …, ein bisschen gezittert …, aber nichts ist passiert. Scientology meldete sich nicht, obwohl Gegendarstellungen angekündigt worden waren. Niemand forderte aber konkrete Schwärzungen. Keiner wollte das Werk verbieten. Es war fast ein bisschen langweilig. Wir kamen ins Fernsehen und ins Radio, aber die Zeitungen ignorierten uns. Das Buch wurde kaum rezensiert.

Scientology hatte dazugelernt, so schien es. Oder doch nicht? Acht Monate später erreichte den Verlag eine »Kurzstellungnahme« der Scientology-Sprecherin Sabine Weber. 50 Seiten zu dem Thema: Was ist falsch am neuen Nordhausen / Billerbeck-Buch?

Ja, was ist nun falsch? Wie üblich war von »Hysterie« und »Hexenjagd auf Mitglieder dieser noch jungen Religionsgemeinschaft« die Rede und davon, wir hätten mit unserer »Reise durch die gegnerische Literatur der vergangenen fünf Jahrzehnte jeder noch so obskuren Lüge neue Glaubwürdigkeit« geben wollen. Angeblich würde eine vollständige Dokumentation der »Lügen und Unzulänglichkeiten des Werks ein ganzes Archiv füllen«. Aber gegen Meinungsäußerungen dieser Art könne man ja leider nichts machen. Das war’s im Wesentlichen. 616 brisante Seiten über Scientology – und wie es aussieht, hat der Sektenkonzern keinen substantiellen Fehler entdeckt. Nicht einen einzigen. In den Worten von Frau Weber: »Ignoranz ist in Deutschland nicht strafbar. Daher mögen Sie sich rechtlich abgesichert haben. Moralisch verantwortlich bleiben Sie dennoch.«

Solch ein Eingeständnis der Ohnmacht hatten wir von der Milliarden-Dollar-Sekte nicht erwartet. Es war die Bestätigung unserer Arbeit – vermutlich sogar von höchster Stelle, vom Hauptquartier des Psychokults am Hollywood Boulevard in Los Angeles, denn jede Angelegenheit von Bedeutung muss mit der Zentrale dort normalerweise abgestimmt werden. Und so kamen wir gleichsam in einer Ellipse zum Anfang zurück, Christoph und ich, und hatten die Vergangenheit doch weit hinter uns gelassen. Keine Naivität mehr. Es war wie die Erfüllung jener Idee, die einst in der Zehdenicker Straße in Berlin-Prenzlauer Berg entstand. Wie das Ende im Märchen, wenn alles richtig gut wird.

Okay, es hat im Verlag noch andere berühmte Bücher gegeben. Und Christoph Links hat noch andere Krisen gemeistert. Aber nur wenige Autoren können von sich sagen, dass sie fast von Anfang an dabei waren. »Enkel, darauf kannst du stolz sein«, höre ich meinen Großvater sagen. Recht hat er.

Stefan Wolle

»Sind Sie ein Achtundsechziger?«

Mit dem »Traum von der Revolte« auf Lesereise