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INHALT SPEZIAL: SCHLAF

 

 

SCHLAFFORSCHUNG

EINE WISSENSCHAFT, VIELE DISZIPLINEN

Wie Kompetenz gesichert werden kann

PHYSIOLOGIE

WICHTIGSTES TAGWERK: DER SCHLAF

Erholsamer Schlummer mit angenehmen Träumen – was steckt hinter diesen Zuständen jenseits des Wachseins?

STOFFWECHSEL UND IMMUNSYSTEM

WIE SCHLECHTER SCHLAF KÖRPERLICH KRANK MACHT

Seine Verquickung mit Übergewicht, Diabetes und Immunabwehr

THERAPIEN

SCHLAFLOS IM BETT

Hinnehmen muss man das häufige Problem nicht – verschiedene Maßnahmen können abhelfen

LEXIKON I

WAS IM UMFELD DES SCHLAFS PASSIEREN KANN

Albträume, Halluzinationen, Schlafwandeln, Fressattacken, Gewalttätigkeiten, selbst Morde – viel Ungewöhnliches kann im Zusammenhang mit Schlaf geschehen

LEXIKON II

SCHLAFSTÖRUNGEN BEI NEUROLOGISCHEN ERKRANKUNGEN

Epilepsie, Parkinson, Migräne, Schlaganfall, Demenz oder nur nächtliche Wadenkrämpfe: Leiden wie diese können ganz erheblich den Schlaf beeinträchtigen

MOLEKULARGENETIK

VON WÜRMERN UND FLIEGEN, MÄUSEN UND MENSCHEN

Selbst Würmer fallen in schlafähnliche Zustände. So lässt sich nun an verschiedenartigen tierischen Modellorganismen das Phänomen Schlaf, sein Entstehen und seine Funktionen untersuchen

GENETIK

WENN ERBANLAGEN DEN SCHLAF BEEINTRÄCHTIGEN

Mit modernsten Methoden wurden jüngst Risikogene für das Restless-Legs-Syndrom sowie für die Narkolepsie, einen plötzlichen Schlafzwang, entdeckt

STRASSENVERKEHR

HÄUFIGE UNFALLURSACHE: ÜBERMÜDUNG

Neu entwickelte intelligente Sicherheitssysteme beobachten kontinuierlich das Verhalten des Fahrers am Steuer – und warnen rechzeitig, wenn eine Pause nötig ist

NACHTSCHICHT UND SICHERHEIT

DER MENSCH IM MITTELPUNKT

Wie nutzt die Deutsche Bahn Forschung und Technik, um die Gesundheit ihrer nachts arbeitenden Mitarbeiter und die Sicherheit ihrer Kunden zu gewährleisten?

SPORT

LEISTUNG DURCH RICHTIGE SCHLAFKULTUR?

Was tun bei einem beruflich bedingten und nicht vermeidbaren Schlafdefizit, sei es im Profisport oder anderswo?

KUNST

SCHLAF UND TRAUM IN DER KUNST

Künstlern geht es nicht um eine rationale Erklärung, sie gehen eigene Wege, sich solchen Phänomenen zu nähern

 

 

Titelmotiv: fotolia/Ekaterina Solovieva

In Kooperation mit der

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Herausgeber:
Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Chefredakteur: Prof. Dr. phil. Dipl. Phys. Carsten Koenneker M.A.
Verantwortlicher Redakteur: Dr. Reinhard Breue
Slevogtstr. 3-5, 69126 Heidelberg
www.spektrum.de

EDITORIAL

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Reinhard Breuer
Chefredakteur

In der Nacht kommen die Geister

Es ist schon irgendwie seltsam: Jeder von uns verbringt 27 Jahre eines durchschnittlichen Lebens in einem dunklen Raum und verweilt dort liegend in quasiohnmächtiger Starre.

Das ist – einerseits – nichts Besonderes: Katzen schlafen über 13 Stunden, die Kleine Taschenmaus verbringt sogar täglich 20 Stunden in ihrer Schlafkuhle. Andererseits sind unsere sieben bis acht Stunden auch wieder relativ lang: Kühe kommen mit vier Stunden aus, Pferde mit drei, eine Giraffe wacht bereits nach knapp zwei Stunden wieder erfrischt auf.

Doch letztlich sind das eher Äußerlichkeiten. Was uns und vor allem viele Schlafmediziner interessiert, ist die Frage: Warum schlafen wir eigentlich? Als ich im Sommer an einer Schlafkonferenz teilnahm, die von der Gottlieb-Daimler-und-Karl-Benz-Stiftung in der Berliner Charité veranstaltet wurde, und aus der auch die Beiträge dieses Sonderhefts hervorgegangen sind, konnte ich die Crème de la Crème der Schlafforscher hautnah erleben. Einhellig war ihre Meinung, dass die tiefsten Ursachen für dieses Alltagsphänomen noch lange nicht wirklich enträtselt sind. Kein Wunder, dass sie die Einrichtung von mehr interdisziplinär organisierten Schlafinstituten fordern.

Für ihre therapeutische Arbeit untersuchen die Mediziner Patienten vor allem in Schlaflabors. Wer dorthin kommt, hat in der Regel ein Problem: etwa nächtlichen Atemstillstand oder narkoleptische Anfälle. Firmenmediziner untersuchen die Auswirkungen von Müdigkeit bei Lkw-Fahrern, Flugzeugpiloten oder Menschen, die Nacht- und Wechselschicht arbeiten. So stehen denn die weit verbreiteten Schlafstörungen oder auch so genannte Parasomnien wie Schlafwandeln im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen, hängt doch davon nicht nur das individuelle Wohlbefinden, sondern auch die Volkswirtschaft ab.

Was bedeutet Schlaf nun wirklich in unserem Leben? Die nächtliche Phase scheinbarer Passivität mit Schlaf und Traum ist in Wahrheit eine, wenn auch äußerlich kaum sichtbare Zeit großer Hirnaktivität. Erlebnisse und Informationen werden im Gedächtnis abspeichert, Probleme werden umgewälzt, Träume oder auch geisterhafte Albträume dominieren bestimmte Schlafphasen, das Gehirn regeneriert sich. Die Wurzeln all dieser Prozesse auch in den biologischen Tiefen der Neurone zu ergründen, haben sich Genetiker und Molekularbiologen vorgenommen.

Unter den Forschern hat mich auf der Schlafkonferenz am meisten Alan I. Pack beeindruckt. Der amerikanische Neurobiologie von der University of Pennsylvania untersucht unter anderem den Schlaf von Würmern und Fliegen – ja, auch diese Organismen »schlafen«! Am Fadenwurm etwa mit seinem Gehirn von exakt 302 Nervenzellen lassen sich modellhaft Prozesse untersuchen, die den Schlafprozess direkt auf der Ebene der Moleküle aufklären. Warum wir schlafen, ist auch damit noch nicht völlig verstanden – aber wir nähern uns der Enträtselung des Phänomens Schlaf mit atemberaubendem Tempo.

Herzlich Ihr

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SCHLAFFORSCHUNG

 

Eine Wissenschaft,
VIELE DISZIPLINEN

 

Um den Schlaf und die zahlreichen mit ihm verbundenen Prozesse zu erfassen und zu verstehen, ist die Schlafforschung auf verschiedene wissenschaftliche Disziplinen angewiesen – im akademischen System aber noch immer nicht verankert.

Von Thomas Penzel

In Kürze

Image Nach internationalem Vorbild sollten auch in Deutschland interdisziplinär ausgerichtete »Kompetenzzentren für Schlaf« entstehen.

Image Die medizinische Versorgung von Menschen mit Schlafstörungen kann dadurch verbessert, gleichzeitig aber auch die Aus- und Weiterbildung von Ärzten gesichert und eine Erforschung des Phänomens Schlaf interdisziplinär und auf hohem Niveau gewährleistet werden.

Wachen und Schlafen sind zwei grundlegend lebensbestimmende Verhaltensweisen – für den Menschen wie für viele andere Organismen. Dabei ist Schlafen nicht einfach das Gegenteil von Wachen. Vielmehr handelt es sich um ein biologisches Programm, das mit dem Einschlummern unbewusst abläuft und seine eigenen Funktionen erfüllt.

Schlaf als Ganzes – so lehrt die simple Alltagserfahrung – dient in erster Linie der Erholung und ist Voraussetzung für das Bereitstellen von physischer und psychischer Energie am Tag. Ohne erholsamen Schlummer leidet unser soziales und berufliches Leben, sind die an uns gestellten Anforderungen nicht erfolgreich zu meistern.

Was aber bewirkt das innere Schlafprogramm und was bedeuten Programmstörungen für die Gesundheit? Seit über 50 Jahren sind zwar seine Grundelemente bekannt: eine Abfolge einzelner Phasen mit Leicht-, Tief- und Traumschlaf. Doch eben diese Phasen und ihre Funktionen für die psychischmentalen und körperlichen Aspekte zu erforschen, stellt noch immer eine besondere Herausforderung dar (siehe den Beitrag »Physiologie«). Denn die physiologischen Veränderungen beschränken sich nicht auf ein einzelnes Organ – sie umfassen den gesamten Organismus. Es reicht deshalb auch nicht, einen einzelnen Zustand durch eine punktuelle Messung zu erfassen. Es geht vielmehr darum, die funktionellen Prozesse in ihrer zeitlichen Veränderung mit Langzeitmessungen zu untersuchen.

Ein Großteil der derzeitigen medizinischen Untersuchungsmethoden wie auch die einschlägige Forschung konzentriert sich auf biochemische, zelluläre und genetische Fragen – und dort meist auf punktuelle Zustände. Man nimmt dazu etwa Blut ab, misst Puls sowie Blutdruck und setzt mitunter die Kernspintomografie oder ein anderes aufwändiges Verfahren zur Bildgebung ein. Immer häufiger folgen nach einer gewissen Zeit erneut punktuelle Messungen, um beispielsweise zu erkennen, wie sich eine Therapie oder eine Verhaltensänderung ausgewirkt hat. Nur wenige Untersuchungsmethoden zielen auf ein engmaschigeres oder kontinuierliches Erfassen eines Zeitraums. Am bekanntesten sind das Langzeit-EKG beim Herz und die Langzeitblutdruckmessung, jeweils über 24 Stunden hinweg.

Die Schlafforschung jedoch benötigt eine Kombination aus physikalischen, biochemischen, genetischen und neurophysiologischen Langzeituntersuchungs- und Messmethoden. Nur so lassen sich Antworten auf derart wichtige und bislang offene Fragen finden wie: Warum schlafen wir? Wo im Gehirn entsteht Schlaf, wo wird das Aufwachen gesteuert? Wie lässt sich das Ganze dann gezielt beeinflussen? Welche Rolle spielen die hormonelle Regulation, das Immunsystem und die verschiedenen Organsysteme mit Herz, Kreislauf, Atmung und Verdauung für den Schlaf? Was geschieht bei Schlafentzug mit all diesen Systemen?

Die methodischen Herausforderungen haben den systematischen, wissenschaftlich fundierten Zugang zum Schlaf lange Zeit erschwert. Die quantitative Schlafforschung ist daher eine noch relativ junge Wissenschaft. Da hier nur mit innovativen Messverfahren wegweisende Fortschritte zu erzielen sind, kommt der Entwicklung moderner biomedizinischer und physikalischer Methoden eine herausragende Bedeutung zu, um das Rätsel Schlaf zu lösen.

Derzeit erfolgt die Untersuchung des normalen und des gestörten Schlafs in so genannten Schlaflaboren. Dort werden über ein Sortiment von Elektroden die »Hirnströme« erfasst. Dieses Elektroenzephalogramm (EEG) zeigt vereinfacht gesagt die Schwankungen des Summenpotenzials, das sich als Resultat der elektrischen Aktivität des Gehirns außen am Kopf abgreifen lässt. Hinzu kommen am Körper Messfühler, welche die Atmung, das Schnarchen, den Sauerstoffgehalt im Blut, Herzschlag, Blutdruck sowie die Bewegungen der Gliedmaßen und der Augen ebenfalls kontinuierlich erfassen.

Börsenkurse als Vorbild

Alle über Nacht als Kurven registrierten Messdaten werden anschließend in Abschnitten von jeweils 30 Sekunden ausgewertet – bislang am Computermonitor von einem Schlafmediziner, Schlafforscher oder einer speziell ausgebildeten medizinisch-technischen Assistenz. Das kann mehrere Stunden dauern – und natürlich hängt die Qualität des Ergebnisses auch von der wiederum variablen Aufmerksamkeit der Person vor dem Bildschirm ab.

Die Auswertung zu beschleunigen und zu präzisieren – dies ist einer unserer Schwerpunkte an der Charité in Berlin. Dazu greifen wir auf Methoden der statistischen Physik zurück. Entwickelt wurden sie dort für andere Zeitreihenanalysen – etwa für Wetterbeobachtungen, Wasserstandsberechnungen oder Börsenkurse –, um letztlich Vorhersagen zu machen. Zunächst geht es also darum, ein Modell für den Schlafablauf zu entwickeln. Anschließend soll – darauf basierend – eine Vorhersage getroffen werden. Wir hoffen, auf diese Weise einmal Schlafstörungen besser vorhersagen zu können. Damit eröffnet sich zugleich die Möglichkeit, eher therapeutisch eingreifen zu können – lange bevor sich die Probleme als starke Beeinträchtigung der Gesundheit äußern.

Wir beispielsweise analysieren zurzeit Zusammenhänge zwischen Hirntätigkeit (erkennbar im EEG), Atmung und Herzschlag, um den Ablauf des Schlummers, also das laufende Programm seiner Stadien, vorherzusagen. Die gewonnenen Erkenntnisse können dann auch zur Entwicklung neuer Messmethoden dienen, die weniger aufwändig sind als die gegenwärtig im Schlaflabor genutzten. Wenn es gelänge, den Schlaf und seine Stadien bereits anhand des Herzschlags und der Atmung vorherzusagen, wird es auch denkbar, Schlaf und seine Störungen zu Hause mit einfachen Messgeräten zu erfassen. Aufwändige Hirnstrommessungen, die nur in abgeschirmten Schlaflaboren erfolgen können, gehörten dann der Vergangenheit an. Ebenso möglich würde es, rechtzeitig das drohende gefährliche Einschlafen bei Überwachungstätigkeiten, während der Schichtarbeit oder von Fahrzeugführern während der Fahrt zu erkennen – und eine Art plötzliche Sturmwarnung zu geben, um beim Bild des Wetterberichts zu bleiben.

Wenn sich unsere Modelle bewähren und zu einer Vorhersage taugen, können wir auch wesentliche neue Erkenntnisse über die Funktionen des Einschlafens, des Aufwachens und des Schlafs selbst gewinnen. Beobachtbar wäre beispielsweise, wie bei Schlafstörungen die normalen Funktionen beeinträchtigt oder außer Kraft gesetzt werden. Darüber hinaus könnten wir geeignete Gegenmaßnahmen systematisch untersuchen. Eine derart quantitativ und qualitativ verbesserte Schlafforschung ist heute mehr denn je erforderlich: Die Industriegesellschaft stellt immer größere Anforderungen an unsere Leistung am Tag und verlangt einen erholsamen und in diesem Sinn gut »funktionierenden« Schlaf.

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Statt aufwändiger Hirnstrommessungen im abgeschirmten Schlaflabor soll einmal allein aus einfacher zu registrierenden Parametern die medizinisch relevante Information extrahiert werden. Der Patient könnte dann zu Hause in vertrauter Umgebung schlafen. So arbeitet das Team des Autors zusammen mit der Fraunhofer-Gesellschaft daran, beispielsweise aus Atmung und Herzschlagvariabilität das laufende Programm der Schlafstadien zu erkennen beziehungsweise vorherzusagen.

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH: H.-J. MÖRSDORF, FRAUNHOFER IIS

Der Zweck des Schlafens besteht darin, sich auszuruhen und Energie für die Anforderungen des nächsten Tages aufzutanken. Nach Schlafentzug sind Versuchspersonen weniger leistungsfähig, die Konzentration lässt nach, Reaktionszeiten werden länger und Fehler häufen sich. Doch nicht nur unsere körperliche, auch unsere emotionale Belastbarkeit hängt von ausreichendem und qualitativ gutem Schlaf ab.

Qualität entscheidet

Das »Auftanken« von Energie beim Schlummern darf allerdings nicht als Gegenstück zum »Verbrauchen« während des Wachseins verstanden werden. Der Organismus folgt im Schlaf eigenen Regeln. Neuere Forschungsarbeiten zeigen, dass die Energieressourcen des Körpers in Form von Glukose auch nachts angezapft werden. Denn im Schlaf werden – wie kürzlich bei Tieren festgestellt – molekulare Schlüsselkomponenten von Hirnnervenzellen gleichsam restauriert (siehe die Beiträge »Physiologie« und »Molekulargenetik«).

Eine andere Funktion des Schlafs ist das Festigen von Gedächtnisinhalten. Nach neueren Erkenntnissen sind aber die Zusammenhänge zwischen Schlafphasen, Lernaufgaben und Gedächtnisleistungen komplexer als zunächst angenommen – viel Bedarf also für weitere Forschungen, zumal womöglich auch Träume mithelfen, manches Erlebte und Gefühlte in neuer Kombination und überarbeiteter emotionaler Färbung ins Langzeitgedächtnis zu übertragen (siehe den Beitrag »Physiologie«).

Die Phasen des Schlafens und Wachens werden über verschiedene Systeme im Körper reguliert. Eines davon ist die so genannte innere Uhr, die einen autonomen ungefähr 24-stündigen Rhythmus aufweist, zugleich aber vom äußeren Tag-Nacht-Zyklus synchronisiert wird. Ihr Takt ist, genetisch bedingt, individuell etwas verschieden – deshalb gibt es Frühaufsteher und Langschläfer (siehe die Beiträge »Genetik« und »Sport«).

Diese Zentraluhr, ein winziger Hirnkern, schickt elektrische Impulse an verschiedene Areale des Gehirns und steuert damit Organ- und Zellfunktionen des gesamten Körpers. Unabhängig davon regulieren jedoch noch andere Mechanismen das Schlafen und Wachen. Dazu zählen beispielsweise spezielle Botenstoffe des Immunsystems. Dies kann erklären, warum man zu Beginn einer Infektion oft müde ist und ein starkes Schlafbedürfnis hat (siehe den Beitrag »Stoffwechsel und Immunsystem«).

Neben einer angemessenen Schlafdauer, die individuell variieren kann, ist es vor allem die Qualität des Schlafs, die darüber entscheidet, ob dieser körperlich und psychisch erholsam ist. Beeinträchtigen können ihn beispielsweise äußere Einflüssen wie Lärm oder verhaltensbedingte Faktoren (etwa Alkoholkonsum, Stress, Ernährungsgewohnheiten und Schichtarbeit), ferner genetische, organische oder psychische Erkrankungen (siehe die Beiträge »Therapien«, »Lexikon I« und »Lexikon II«). Insgesamt verzeichnet die »Internationale Klassifikation der Schlafstörungen« 88 verschiedene Diagnosen.

Angesichts der zahlreichen Funktionen von Schlaf verwundert es nicht, dass seine Störungen viele Auswirkungen haben, vor allem am Tag. Genau das ist die Aufgabe der Schlafmedizin: Sie will die schlafbezogenen Erkrankungen finden und darüber hinaus untersuchen, wie sie sich am Tag auswirken – immer auch mit dem Ziel, therapeutisch zu helfen.

Aus Sicht der Schlafforschung kann Schichtarbeit zu Schlafstörungen führen und das Risiko für Herz-Kreislauf- und Verdauungserkrankungen erhöhen. Reine Nachtarbeit scheint, entgegen allgemeiner Vorstellung, besser verträglich zu sein als wechselnde Schichtarbeit – zumindest lässt die Selbsteinschätzung betroffener Mitarbeiter der Deutschen Bahn darauf schließen (siehe den Beitrag »Nachtschicht und Sicherheit«).

Wenn der Schlaf nicht erholsam ist, erhöht sich auch das Risiko, Unfälle zu verursachen und andere Menschen dabei in Mitleidenschaft zu ziehen. Selbst Personen, die nicht unter Schlafstörungen leiden, können vom Schlaf übermannt werden, wenn sie über einen längeren Zeitraum monotone Tätigkeiten ausführen: Sekundenschlaf am Steuer gehört zu den häufigsten Ursachen schwerer Unfälle. Große Automobilhersteller wie die Daimler AG entwickeln Systeme, die müde Fahrer, die einzuschlafen drohen, rechtzeitig alarmieren – bevor sie die Kontrolle über ihr Fahrzeug verlieren. Das Unternehmen untersucht auch, wie Lärm Schlafqualität und Schlafverhalten von Berufskraftfahrern beeinträchtigt. Es geht letztlich um eine geeignete Konstruktion der Fahrerkabine mit Bett, damit ein Lkw-Fahrer auf Autobahnraststätten besser schlafen kann (siehe den Beitrag »Straßenverkehr«).

Akademisches Stiefkind: Schlafmedizin und Schlafforschung

Doch was tun bei einem beruflich bedingten Schlafdefizit? In der Regel genügt ein zehn- bis dreißigminütiges Nickerchen, um Wachheit, Konzentration und physische Leistungsfähigkeit rasch zu verbessern (siehe den Beitrag »Sport«). Ein solches Powernapping, ein kurzer Zusatzschlaf wie etwa in Japan schon üblich, sollte in unserer Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft in allen Lebensbereichen Fuß fassen.

Da die Regulation des Schlafs beim Menschen ein halbautonomes System ist, können wir zwar eine Nacht durchmachen, wir können Schichtarbeit leisten – aber wir können den Schlaf nicht erzwingen und schon gar nicht den inneren Ablauf seines Programms beeinflussen.

Um nun die biologischen Grundlagen der Schlafregulierung und die vielen damit verbundenen kognitiven, psychischen, hormonellen und immunologischen Prozesse zu verstehen, ist die Schlafforschung auf die verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen angewiesen: neben der Medizin, Genetik, Molekularbiologie und Biochemie sind ebenso Psychologie und Psychiatrie gefragt. Nur: Die Schlafmedizin ist zwar in der medizinischen Standesordnung und Prüfungsordnung verankert, aber eben nicht in der akademischen Ausbildung. Das heißt: In Deutschland gibt es keinen einzigen Lehrstuhl, geschweige denn ein Institut, Kurse werden nur außerhalb des Lehrplans gehalten.

Was wir in Deutschland nach internationalem Vorbild brauchen, sind »Kompetenzzentren für Schlaf und Schläfrigkeit«. Dort könnten Konzepte entwickelt werden, wie sich die Somnologie in Lehre und Forschung der Universitäten verankern lässt. Kompetenzzentren sollen Grundlagenforschung und klinisch angewandte Forschung auf international höchstem Niveau betreiben und eine Vernetzung mit ähnlich herausragenden Zentren in anderen europäischen Ländern und den USA anstreben.

Vielleicht vier solcher einzurichtender Zentren sind in Deutschland erforderlich. Unterstützt werden sollten sie auf der nächsttieferen Ebene durch etwa 20 schlafmedizinische Zentren mit umfassender Ausbildungskompetenz, anzusiedeln an den meisten medizinischen Fakultäten. Ihre besondere Aufgabe: eine interdisziplinäre schlafmedizinische Aus- und Fortbildung zu bieten und den wissenschaftlichen Nachwuchs zu liefern. Das Angebot muss gewährleisten, dass Ärzte, Wissenschaftler und medizinisch-technisches Personal sich umfassend in Schlafmedizin qualifizieren können und dass die Voraussetzungen für die Zulassung zur Prüfung zum Somnologen erfüllt werden. Diese Zentren sollen auch eine sehr gute klinische Forschung leisten und damit an multizentrischen klinischen Studien teilnehmen.

In der Flächenversorgung ist die schlafmedizinische Kompetenz durch akkreditierte, somit qualitätsgeprüfte schlafmedizinische Zentren an regionalen Schwerpunktkliniken jenseits von medizinischen Fakultäten zu sichern. Etwa 300 bis 400 solcher Zentren, geleitet von entsprechend geprüften Schlafmedizinern, dienen nach diesem Konzept als Anlaufstellen für schlafmedizinische Fragen, die in der ambulanten medizinischen Versorgung in Deutschland auftreten. Außerdem sollen sie Stätten regionaler Aus- wie Weiterbildung sein, die zwar nicht immer alle Aspekte des interdisziplinären Anspruchs abdecken kann, aber auf jeden Fall niedergelassenen Ärzten die Möglichkeit bietet, sich relativ ortsnah über aktuelle Diagnose- und Therapiemöglichkeiten zu informieren und fortzubilden. Da es in Deutschland bereits 330 zertifizierte regionale Schlafzentren gibt, ist die breite Basis schon vorhanden. Seit 2005 verleihen die Ärztekammern zudem nach einer Prüfung einem Mediziner das Zertifikat für die Zusatzbezeichnung »Schlafmedizin« (so der Terminus).

Dies macht die Aufgabe überschaubarer. Im Prinzip fehlt in Deutschland »nur« noch der akademische Überbau, nämlich die Etablierung einer universitären Ausbildung, und ein Aufbau von Kompetenzzentren, welche im internationalen Wettbewerb mit anderen europäischen Ländern und den USA konkurrieren können. Mit der vollen Verwirklichung dieses Konzepts würde man dem interdisziplinären Charakter des Querschnittsfachs Schlafmedizin gerecht werden.

Thomas Penzel ist Physiker, Humanbiologe, Medizininformatiker und Schlafforscher. Er leitet zusammen mit Ingo Fietze das schlafmedizinische Zentrum des Universitätsklinikums Charité in Berlin und erforscht die Möglichkeiten neuer diagnostischer Methoden sowie die Grundlagen und Funktionen des Schlafs. Darüber hinaus setzt er sich für die Integration der Schlafforschung und Schlafmedizin in die medizinisch-wissenschaftliche Aus- und Fortbildung ein. Penzel erhielt 2008 den Bill-Gruen-Preis für Innovationen in der Schlafforschung.

 

Lo, C.-C. et al.: Common Scale-Invariant Pattern of Sleep-Wake Transitions across Species. In: Proceedings of the National Academy of Science 101, S. 17545–17548, 2004.

Peter, H., Penzel, T., Peter, J. H.: Enzyklopädie Schlafmedizin. Springer, Heidelberg 2007.

PHYSIOLOGIE

Wichtigstes Tagwerk:
DER SCHLAF

 

Die moderne Forschung zeigt, dass Schlafen und Träumen kein überflüssiger Luxus, sondern lebensnotwendig sind. Wie weit ist aber das Rätsel von Schlaf und Traum gelöst?

Von Thorsten Schäfer

In Kürze

Image Schlaf ist eine aktive Leistung des Gehirns, wobei unterschiedliche Hirnregionen an seiner Steuerung beteiligt sind.

Image Zur Funktion von Schlafen und Träumen existieren verschiedene Modelle und Theorien.

Image Doch eins ist klar: Schlafverzicht oder -entzug beeinträchtigt nachhaltig die energetische, strukturelle und funktionelle Balance des Gehirns.

Der Schlaf hat ein Imageproblem. Unermüdlichkeit, Durchhaltevermögen und Schlafverzicht finden gesellschaftliche Anerkennung. Wer aber rasch ermüdet, schnell einnickt oder zeitig zu Bett geht, wird belächelt. Ausgiebig zu schlummern gilt in der Leistungsgesellschaft als verlorene Zeit, als Luxus, den man sich allenfalls am Wochenende oder im Urlaub erlauben darf. Erst wenn der Schlaf ausbleibt, die wachen Stunden in der Nacht immer quälender werden oder die Zeiger der Uhr beim Aufwachen erst auf drei Uhr morgens zeigen, beginnen wir, ihn wertzuschätzen und sind irritiert, wenn er unsere Erwartungen nicht mehr erfüllt: Acht Stunden hat er zu dauern, ungestört und ununterbrochen soll er sein und uns nach erfolgter »Entmüdung« frisch und tatenfreudig erwachen lassen. Gerne dürfen noch die Erinnerungsreste eines angenehmen Traums nachhallen – aber bitte keine Albträume und auch keine Rückenschmerzen der schlechten Matratze wegen.