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Über dieses Buch:

1376, Aachen ist in heller Aufregung: Die Krönung des neuen Königs steht kurz bevor. Für die ausgelassenen Feierlichkeiten hat auch der Tuchhändler der Stadt Gäste bei sich aufgenommen. Seine Köchin Franziska hat alle Hände voll zu tun, das rauschende Festmahl vorzubereiten … doch dann gerät plötzlich alles aus den Fugen: Innerhalb kürzester Zeit ereignen sich mysteriöse Todesfälle – unter den Opfern ist auch Franziskas Freund, der Gaukler Joslin. Als sie bei ihm einen kostbaren Silberanhänger mit einer Rose findet, kann sie ihre Neugier nicht im Zaum halten und beginnt nachzuforschen. Gemeinsam mit dem bärbeißigen Stadtsoldaten Thomas kommt sie einem erschütternden Geheimnis auf die Spur – ein Geheimnis, für das jemand bereit ist, zu töten …

Über die Autorin:

Die Aachener Autorin Dagmar Schnabel schreibt am liebsten augenzwinkernde Geschichten ihrer Heimat, die sich in ferner Vergangenheit genau so hätten zutragen können. Schon früh entwickelte sie ein tiefgehendes Interesse an der facettenreichen Geschichte des Rheinlands und die Lust am Recherchieren. Diese beschränkt sich längst nicht nur auf das Lesen historischer Berichte und Besichtigungen eben dieser Orte, sondern wurde ab und an in Mittelalterlagern gelebt. Hier mimte die Autorin, wie sollte es anders sein, eine Feldköchin. Einige ihrer gerührten Erfolge und Fehlschläge finden sich in ihren Geschichten wieder. Heute lebt die Autorin zusammen mit ihrem Mann und zwei Katzendamen im Jülicher Land.

Bei dotbooks veröffentlichte Dagmar Schnabel auch ihren historischen Roman »Das Geheimnis der Magd«.

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe Juni 2020

Dieses Buch erschien unter dem Titel »Die Rose der Leibköchin« bereits 2006 bei Aufbau und 2015 bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe der Originalausgabe 2006 Aufbau Verlagsgruppe GmbH, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Copyright © dieser aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/faestock, Morphart Creations und Everett - Art

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95824-058-2

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Dagmar Schnabel

Die Köchin des Tuchhändlers

Historischer Roman

dotbooks.

Prolog

In einer Stadt war es niemals richtig still. Eben bimmelte eine kleine Glocke, und die wackeren Mönche erhoben sich schlaftrunken, um sich zu den Vigilien zu begeben. Ein Eselskarren zuckelte in gemächlicher Gangart vorbei, ein Bauer hockte gebeugt auf dem Kutschbock und überließ es dem Grautier, den Weg zu finden. Der Mann war hundemüde. Er bemerkte die rundliche Gestalt am Straßenrand nicht, und auch diese Gestalt hatte keinen Blick für den überladenen Karren, die in diesen Nächten keinen seltenen Anblick boten. In Gedanken war die Gestalt weit fort von den schäbigen Holzhäusern und den ewigen Streitereien in ihrer verkommenen Nachbarschaft, die sie hoffentlich schon bald nie wieder sehen mußte.

Die Frau lächelte, als sie sich vorstellte, wie sie sich in nicht allzu ferner Zukunft zu dieser Stunde in einem prächtigen Bett räkeln würde. Nie wieder muffige Strohmatratzen, nie wieder den allgegenwärtigen Gestank der Gerberlaugen, der einem den Atem raubte. Nein, auf Samt und Seide, vielleicht sogar auf Hermelinpelzen würde sie ruhen, befreit von allen Sorgen, die ihr Dasein bisher gezeichnet hatten. Jeder Tag war eine Plage, doch nun wendete sich ihr Blatt.

Endlich zeigte sich das Leben von der hellsten Seite, und lange genug gewartet hatte sie ja schließlich, mehr als ihr halbes Leben lang. Nun war ihre großartige Zeit gekommen. Mit einer Hand zog sie ihren nachtblauen Umhang zusammen, unter dem sie ihr bunt besticktes Festkleid trug. Auch wenn die Tage von strahlender Sonne erfüllt waren, schlug sich nachts die Feuchtigkeit bis in die Knochen nieder. Noch wärmte der heiße und süße Met sie von innen. Dem hatte die Frau reichlich zugesprochen, denn wann gab es bisher schon solche Gelegenheiten?

Nur noch einige hundert Schritte, dann wäre sie daheim. Pah, daheim! Ihr voller Mund verzog sich zu einem verächtlichen Grinsen. Ein Heim war die bessere Hütte, in der sie eine zugige Kammer angemietet hatte, nie für sie gewesen.

Mit beiden Händen griff sie nach hinten in ihren Nacken und löste mit klammen Fingern den Verschluß ihrer neuen Silberkette. In absehbarer Zeit hatte alle Heimlichkeit ein Ende, und wenn sie nicht ihr Wort gegeben hätte, so würde sie mit ihrem Schatz tüchtig geprotzt haben. Doch sie hatte versprochen zu schweigen, noch jedenfalls, bis nach der Krönungszeremonie, aber sie hatte es sich nicht nehmen lassen, die Kette offen zu tragen. Dies war ja schließlich nicht ausdrücklich durch den Pakt verboten. Geschwiegen hatte sie jedoch!

Die Frau lachte leise, als sie an das Gesicht des Gerbers dachte, allerdings regte sich in ihr auch ein unbehagliches Gefühl. Er war ein anständiger Mann, und sie mochte ihn wirklich gerne – als Freund, vielleicht den einzigen, den sie hatte, aber nicht als Mann. Er konnte ihr keinen Schmuck bieten, nicht einmal so einen feinen Met.

Der ernste Schneidergeselle hatte sich wenigstens nicht lumpen lassen, und es war nichts Unrechtes daran, das Kleid anzunehmen, obwohl sie den seibernden Nadelstichler verachtete. Diesem Kerl hätte sie vielleicht dennoch die Hand gereicht, sie wurde schließlich auch nicht jünger und schöner. Doch ob der sie wollte, wenn er sie näher kannte, das war eine andere, unsichere Angelegenheit. Schließlich war sie eine Frau mit Vergangenheit und hatte Qualitäten, die jenseits von Nadel und Faden lagen. Ach, Männer! Sie waren fast alle gleich, die wenigen zufriedenstellenden Ausnahmen selten.

Männer hatten schon immer eine Bedeutung in ihrem Leben gehabt, sie waren das Salz in der Suppe. Über diesen Gedanken mußte die Frau verhalten lächeln. Sie nahm sie, wie sie kamen, und ließ sich von den Männern nehmen. Sprangen noch einige Münzen oder Geschenke dabei heraus, um so besser. Gab es nichts, nun, hatte sie wenigstens Spaß gehabt.

Dann war da noch der seltsame alte Kerl, der sich als Hofnarr ausgab und der sich seit einiger Zeit am Komp herumtrieb. Ihm waren fast die Augen aus dem Kopf gefallen, als er ihren wertvollen Schmuck sah. Ganz traurig hatte er sie angeschaut, nicht neidisch. Ein undurchdringlicher Kerl – womöglich lauerte er trotzdem hinter der nächsten Ecke, um sie zu berauben.

Schaudernd beschleunigte die Frau ihre Schritte. Ihre Holzpantinen klapperten auf dem unebenen Pflaster. Sie spürte die Nähe eines anderen Menschen.

»So warte doch.«

Sie drehte sich nervös um und ließ die Kette mit einer geübten Drehbewegung aus dem Handgelenk unauffällig in ihren Umhang fallen. Dann erkannte sie die Gestalt und seufzte erleichtert: »Ach, Ihr seid es! Ich fürchtete schon, Ihr wäret jemand, der mir Übles wollte! Ich hätte es mir denken können, daß ich nicht ohne Schutz bleiben soll. Reicht mir Euren Arm.«

Als die Glocken zur Laudes schlugen, kamen drei Zecher die Großkölnstraße entlanggetorkelt. Sie hatten schon etliche Krüge geleert und waren unterwegs zu einem vergnüglichen Ort, an dem sie sich weiteres Bier versprachen. Ein zwielichtiger, rotgesichtiger Bursche beugte sich schwankend zu der liegenden Gestalt in der Gosse und trat ihr in die Seite.

»He, du! Kein Grund, nun schon schlappzumachen. Kotz dich aus, dann geht es weiter. Jetzt geht der Spaß doch erst richtig los«, lallte er und holte zu einem weiteren Tritt aus. Seine Gefährten lachten benebelt, und ein ganz Vorwitziger hob seinen halbvollen Humpen Starkbier und kippte den Inhalt auf das Ohr des reglosen Bündels.

»Steh auf! Kannst mit uns gehen!«

»Spinnst du! Laß den Kerl liegen, dann bleibt mehr für uns!«

Der Rotgesichtige wurde von den Saufkumpanen an der Schulter zurückgerissen. Johlend zogen die Zecher weiter und vergaßen das Bündel sofort.

Das verschüttete Bier mischte sich mit Blut und verrann zwischen den grauen Pflastersteinen.

Kapitel 1

Franziska wog den ledernen Geldbeutel in ihrer Hand und fühlte sich dabei recht unwohl. Die scheppernden Münzen gehörten Meister Ensbert Schnidder, der sie mit finsterer Miene anschaute. Insgeheim fragte sich die junge Frau, was hinter der gerunzelten Stirn vorgehen mochte, und trat von einem Fuß auf den anderen. Nichts wünschte sie sich mehr, als rasch die ungemütliche Stube verlassen zu können, doch darauf war nicht schnell zu hoffen.

»Ihr wißt, worauf es mir ankommt?« fragte der Meister zum wiederholten Male.

Franziska seufzte leise und leierte die Anweisungen erneut ungeduldig hinunter, ohne dabei unhöflich zu wirken.

»Ich werde auf dem Markt nur das Beste einkaufen. Einzig Zutaten, die den höchsten Ansprüchen genügen und auch den verwöhntesten Gaumen zu Lobreden hinreißen.« Mit einem Hauch von Aufsässigkeit fügte sie hinzu: »Die Speisenfolge ist längst erdacht, auch unter Berücksichtigung der Lagermöglichkeiten, und ich habe mir notiert, was ich benötige.«

»Zum kleinsten Preis, wohlgemerkt!« betonte der Meister mit erhobenem Finger. »Kauft nicht das erste, was Ihr seht, sondern vergleicht sorgsam die Preise. Es sind immerhin meine Münzen, die Ihr ausgebt. Vergeßt das nicht! Ich werde die Rechnungen einer gründlichen Prüfung unterziehen. Laßt Euch besser erst gar nicht in den Sinn kommen, auch nur eine Obole für Euch selbst abzuzweigen.«

Franziska merkte, wie ihr die Zornesröte ins Gesicht stieg, und ärgerte sich nicht zum ersten Mal darüber, das Angebot des Meisters, für ihn zu arbeiten, angenommen zu haben. Es war eine grobe Frechheit, sie so zu behandeln und ihr diebische Absichten zu unterstellen. In ihren Gedanken spielte Franziska eine Situation durch, in die sie allerdings unverschuldet geraten könnte.

Die Krönungsfeierlichkeiten standen bevor, und viele Menschen waren in die Stadt gekommen. Zweifellos würden sich auch zahlreiche Beutelschneider darunter befinden. Was, wenn sie bestohlen werden würde? Mit einem verhaltenen Seitenblick schaute Franziska zu Meister Schnidder hinüber. Nie und nimmer würde er ihr dies glauben, obwohl sie hervorragende Referenzen ihrer früheren Dienstgeber vorweisen konnte. Der Umstand, daß Meister Grever so rühmlich Franziskas Kochkunst würdigte, war der Grund ihrer Einstellung bei Meister Schnidder gewesen.

Der schwere Beutel zog Franziskas Arm hinunter. Fünfzehn Goldgulden befanden sich darin. Wahrlich ein Vermögen. Zweiundfünfzig und eine halbe Mark oder sechshundertdreißig Schillinge, die wiederum über fünfzehntausend Obolen entsprachen, rechnete Franziska in die kleinere Währung um, die ihr weitaus geläufiger war. Sie erschauderte. So viel Geld! Und alles lag in ihrer Verantwortung.

»Weshalb kann ich nicht alle Waren ordern? Ich kenne redliche Händler, die mein Vertrauen genießen. Ihr nehmt die Ware hier an, prüft sie und zahlt, was sie wert sind. Bis dahin sind die Münzen bei Euch in Sicherheit«, schlug sie vor, doch ihre Anregung fand keine Zustimmung.

Schnidder winkte knapp ab und stieß sein spitzes Kinn vor. »Seid Ihr oder bin ich hier die Köchin? Ha! Beim Anblick der Münzen werden die Händler schneller weich in den Knien, merkt Euch diesen Ratschlag! Zwar werden sie versuchen, den Preis zu heben, aber das Blinken wird sie dazu bringen, einen raschen Handel abzuschließen. So und nicht anders funktioniert das harte Geschäft. Wer will mir garantieren, daß die Ware auch die ist, die Ihr gewählt habt? Möhren und Lauch sind nichts für einen Mann wie mich. O Himmel, es ist mir ein Greuel, einer fremden Frau vertrauen zu müssen, aber ich kann mich nicht um alles kümmern. Schließlich sollt Ihr Euch Euren Lohn auch erarbeiten. Noch habt Ihr nichts weiter getan, als in allen Schränken zu wühlen und kleine Notizen auf Wachstäfelchen zu kritzeln.«

Sowie gründlich aufgeräumt und Unbrauchbares ausgemistet, die Messer geschliffen, die Bedingungen der Lieferverträge mit einem Weinlieferanten und die Biereinkäufe mit einer geschäftstüchtigen Nonne vom Theresienkloster ausgefochten, den Boden gescheuert und noch einiges mehr, fügte Franziska stumm hinzu. Sie versuchte es mit einem Kompromiß.

»Ihr erwartet mindestens zehn anspruchsvolle Gäste. Laßt mich wenigstens die schlichten Nahrungsmittel bestellen und anliefern. Ich werde ein besonderes Augenmerk auf die Spezialitäten haben und sie selbst beschaffen.«

»Darauf lasse ich mich nur ein, wenn sich die Mühe lohnt und Ihr die dann übrige Zeit nicht für Vergnügungen nutzt.«

Die kleinen geröteten Augen des Meisters blinzelten sie herablassend an, und er schniefte laut, als hätte er sich erkältet.

Franziska straffte sich, um eindrucksvoller zu erscheinen, überlegte es sich aber anders und schluckte die scharfe Erwiderung hinunter, die ihr auf der Zunge lag. Schließlich wollte sie es sich nicht mit dem Mann verderben, der ihre weiteren Referenzen schreiben sollte. Würden sie schlecht ausfallen, stände ihre Zukunft in einem trüben Licht. Dennoch muckte sie ein wenig auf.

»Ich habe die Schränke in der Küche durchgeschaut, nach dem Geschirr, den Töpfen, den Pfannen sowie nach den Rührgeräten gesehen und bin damit längst nicht fertig. Sie sind mein Handwerkszeug und müssen einwandfrei sein. Meine Einkaufsnotizen sind das A und O des Speiseplans und ersparen, peinlich eingehalten, sogar Geld.«

Des Redens müde, winkte der hagere Meister ab und stand von seinem Schreibpult auf. Wie es sehr großgewachsenen Männern oft zu eigen war, ging er leicht nach vorn gebeugt und mit hängenden Schultern. Er bedeutete Franziska mit einer abfälligen Geste, den Raum zu verlassen.

»Der Markt wird nicht auf Euch warten!«

»Herr, ich werde auch die Spezialitäten nicht allein tragen können. Wen könnt Ihr bis zum Mittag entbehren?«

»Wen schon? Die Suse soll mitgehen, und fragt im Stall den Deterich, ob er den Knecht mitschicken kann, aber trödelt nicht herum und gafft. Zeit ist Geld, hört Ihr!«

Franziska nickte dem Meister zu und schickte ein halbherziges »Danke, Herr« hinterdrein.

Die dicke Suse, der man beim Gehen die Schuhe flicken konnte, sollte sich also anschließen. Träge oder gar faul war die blutjunge Magd nicht, nur sehr behäbig, sowohl im Denken als auch – schlimmer noch – in ihrem Handeln. Allerdings war sie allemal angenehmer zu ertragen als Maria, die Haushälterin. Bei zwei Bediensteten war die Auswahl nicht üppig, und Franziska hatte keinen Grund zur Verdrossenheit. Zu Suses morgendlichen Aufgaben gehörte die Gartenarbeit, und da konnte Franziska sie vom Haus aus dort sehen. Das Mädchen rückte nicht nur den Johannisbeeren zuleibe, sondern nahm sich auch der reifen Früchte des nachbarlichen Brombeerstrauches an, dessen Äste auf den Grund des Meisters ragten. Mit unendlicher Geduld klaubte sie eine Beere auseinander, bevor sie zwischen den Lippen verschwand.

Franziska entschloß sich, die Weidenkörbe im Vorbeigehen zusammenzusuchen. Diese Aufgabe Suse zu überlassen würde sie viel zu lange unnötig aufhalten.

Außerhalb der Küche kannte Franziska sich noch nicht gut in dem Haushalt aus. Derweil sie in der überfüllten Abstellkammer kramte, dachte sie über ihren neuen Dienstherrn nach. Über Meister Schnidder erzählte man sich in den Gassen allerlei, einiges davon war widersprüchlich, andere Gerüchte deckten sich. Es hieß, er stamme aus ärmlichen Verhältnissen. Sein Elternhaus stand in der Kompgasse, dort, wo die Lederwalker arbeiteten.

Aufgrund der Krönungsfeiern hieß die schmuddelige Hauptgasse des Viertels nun hochtrabend Komphausbadstraße. Derjenige, der die Namensänderung veranlaßt hatte, mußte über einen kapriziösen Humor verfügen. Baden würde ein anständiger Bürger, der etwas auf sich hielt, dort niemals. Nicht an einem Ort, wo es nach Gerbsäure und süßlicher Fäulnis stank, denn am Ende stand ernsthaft zu befürchten, mit einem schlimmeren Körpergeruch, als einem zuvor anhaftete, das Bad zu verlassen.

Das Viertel blieb verrufen, daran änderte auch der hochtrabende Name nichts. Als Lehrjunge hatte Ensbert Schnidder das sagenhaft seltene Glück, eine Anstellung außerhalb des Komp zu finden. Mit Ehrgeiz, eiserner Disziplin und geradezu fanatischem Fleiß erarbeitete er sich einen führenden Ruf unter den Meistern der Tuchhändler. Gerne betonte er seinen Erfolg, und selbst die Neider unter den Kaufleuten mußten zugestehen, daß er sich verdient bis zur Spitze hochgearbeitet hatte. Meister Schnidder lieferte nur die hochwertigsten Tuche und achtete sorgfältig auf eine korrekte Abwicklung des Handels, gleichgültig, ob es sich um kleine Werkstätten oder Adelshäuser handelte. Trotzdem blieb er bei den alteingesessenen Händlern immer nur der Emporkömmling. Sein Erfolg forderte einen weiteren Tribut: Für ein Weib oder gar eine Familie war ihm keine Zeit geblieben. Hätte er sich allerdings mit seinen fast fünfzig Jahren noch auf Freiersfüße begeben, wäre er gewiß nicht lange alleine geblieben. Es gab kaum einen reichen Mann, dessen körperliche oder geistige Unzulänglichkeiten nicht von seinen Münzen kaschiert wurden.

Aachen wäre nicht Aachen gewesen, wenn böse Zungen dieses Thema nicht ausgiebig ausgeschöpft hätten. Der knochige Meister, den man nie lachen sah, sei geizig wie der Teufel, sagte man ihm nach. Nie würde er eine Münze ohne angemessene Gegenleistung ausgeben, so wie der Teufel keine Seele freigäbe, derer er habhaft geworden war.

Franziska fand etwas Wahres daran, nun, wo sie den Meister kennengelernt hatte. So war es auch keine Großherzigkeit, die Meister Schnidder dazu bewog, für ungefähr vierzig Leute aus dem kaiserlichen Hofstaat ein Quartier zu stellen. Zehn im Haus, plus dreißig Landsknechte im Stall. Für die sollte es allerdings nur Brei geben und die Reste, die nicht aufzuwärmen wären.

Geiz und Ehrgeiz – damit war Schnidder in zwei Worten trefflich zu charakterisieren.

Franziska hatte genau gesehen, über welche Pergamente sich der Meister gebeugt hatte, und ein Schmunzeln huschte über ihr sonnengebräuntes, hübsches Gesicht. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und zog an mehreren verbeulten Weidenkörben, die auf einem Ablagebrett standen.

Kapitel 2

»Endlich ist dieses fordernde Frauenzimmer fort! Früher waren die Dienstboten im wahrsten Sinne des Wortes dienlich. Sie nahmen die Anweisungen entgegen, wiederholten sie wortgetreu, so, wie ich es auch noch gelernt habe, und verschwanden ohne Lamento, um sie zu erledigen«, klagte Meister Schnidder laut einer uninteressierten Taube, die auf dem Fenstersims hockte. Dann wedelte er ungeduldig mit der Hand und schloß das Fenster heftiger, als es nötig war. Die wertvollen Glasscheiben erzitterten, und magisch angezogen blieb er noch einen Moment lang am Fenster stehen.

Er seufzte.

Die Sitten verfielen. Trotz der Herrgottsfrühe zogen Betrunkene, laut unsinniges Zeug diskutierend und sich gegenseitig stützend, durch die Mostardgasse in Richtung Neupforte. Angewidert rümpfte Meister Schnidder die Nase und kehrte dem Fenster den Rücken. Zechen schlechthin war ihm verhaßt, nicht, weil er einen edlen Tropfen nicht zu schätzen wußte, o nein, sein Gaumen konnte sich sehr wohl an gutem Wein erfreuen, aber spätestens wenn die Blase drückte und er die Brühe, die sein Körper ausschied, betrachtete, reute ihn jeder Schilling, der in die Latrine floß und im Sand versickerte.

In zwei Tagen würde das kaiserliche Gefolge eintreffen. Hoffentlich hatte ihn der Grever nicht übers Ohr gehauen, indem er ihm diese Köchin empfahl. Durch Erfahrung erworbenes Mißtrauen durchzuckte erneut Meister Schnidders Gedanken. Gute, erfahrene Köchinnen hatten nun mal für ihn alt und korpulent zu sein, doch diese Frau Franziska entsprach dem genauen Gegenteil. Dünn war sie und auch nicht alt. Zugegeben: Sie wirkte kraftvoll, gesund, war nicht begriffsstutzig und hatte sogar der lahmen Suse schon Beine gemacht. Seltsam, verheiratet war sie nicht, obgleich sie nicht übel aussah. Geradezu feindselig hatte sie die Frage verneint. Aber mal ehrlich, wer wollte solch ein vorlautes Weib?

Mit einem Lächeln ließ er sich nieder und betrachtete mit liebevoller Hingabe die Pergamente, auf denen alle Wappen der Gäste verzeichnet waren, die Kaiser Karl zum Feste lud. Fast zärtlich zog er mit dem gichtigen Zeigefinger die Linien nach. Da war das stolze Wappen derer von Jülich, das Farbenfrohe der Brandenburger, der Markgrafen von Meissen, derer von Bayern und Sachsen … Mit heimlicher Freude holte Meister Schnidder ein neues Pergament hervor, griff nach der gespitzten Taubenfeder und begann, schwungvoll zu zeichnen.

Keine Frage, bald war seine Zeit gekommen: Er würde die hoheitlichen Vasallen fürstlich bewirten. Ohne Zweifel würden sie ein gutes Wort bei dem herrschenden Kaiser Karl IV. für ihn einlegen. Man würde nicht umhin können, den Untertanen Meister Schnidder wohlwollend zu beachten. Ein feudaler Hofstaat verschlang unendlich viele Münzen.

Und Münzen hatte er! gratulierte Schnidder sich selbst.

Welches Wappen sollte er für sich wählen, wenn man ihn bald aus Dankbarkeit in den Adelsstand erheben würde? Ganz bescheiden würde er sich geben, wenn man ihn berief, und niemand würde bemerken, wie sehr es ihm nach dieser Ehre dürstete. Meister Schnidder hatte viel Zeit darin investiert, herauszufinden, von welcher Art Peter Jaurenus, der kaiserliche Kämmerer, war. Allerdings ließ sich Jaurenus abschirmen, als sei er der Kaiser höchstselbst. So war Schnidder darauf angewiesen, den gewisperten Meinungen anderer zu lauschen. Ein korrekter Mann, sagten manche, andere behaupteten das Gegenteil, und einer flüsterte tatsächlich von einem düsteren Geheimnis, das den Kämmerer umgab.

Diese Informationen waren für die Katz! Sollte die Bewirtung allein ihm keinen Vorteil bringen, wäre Schnidder sogar geneigt, mit klirrender Münze ein wenig nachzuhelfen. Dafür mußte der Kämmerer offene Ohren haben!

Fast brach der feine Federkiel unter den eifrigen Fingern, die kunstvolle Bahnen auf das Pergament kratzten. Bald würde der Meister Schnidder der Vergangenheit angehören. Graf Ensbert von Schnidder, Fürst Ensbert zu Schnidder … Freiherr Schnidder. Tonlos übte der Meister den Klang der anzunehmenden Titel, was ihm große Freude bereitete.

Dann aber legte er die Pergamente fort und widmete sich seinem zweitgrößten Anliegen. Man mußte ja Vorsorge treffen.

Kapitel 3

Schnaufend richtete sich Suse auf und streifte den schmutzigen Rock über ihre runden Waden. Hatte sie nicht eben ihren Namen gehört? Zunächst stellte sie die Schütte ab, in die sie bis gerade noch reife Johannisbeeren gepflückt hatte. Gewissenhaft rückte die Magd ihr Kopftuch zurecht, was bei ihrer üppigen, strohfarbenen Lockenpracht nicht einfach war, und sah sich um.

»Suse! Los! Wasch dir die Hände! Wir gehen in den Stall, holen noch einen Helfer, und dann besuchen wir den Markt. Mach rasch!«

Die neue Köchin stand am Rande des schattigen Beetes und winkte mit Nachdruck. Die Neue und nicht Maria, freute sich Suse aufrichtig und schaute genauer hin. Franziska trug einen braunen Rock, ein verblichenes helles Hemd, darüber eine grobe Weste und ein farblich dazu passendes Haartuch. Um die schmale Taille saß ein breiter, abgewetzter Ledergurt, an dem ein gebräuchlicher Handbeutel befestigt war.

Der Beutel war schwer gefüllt, bemerkte Suse, die Eisenschließe des Gurtes war stark belastet. Das freundliche Gesicht der Köchin drückte Aufregung aus, von der sich Suse nur zu gerne anstecken ließ. Endlich wieder einmal in die Stadt zu kommen – allein der Gedanke ließ sie frohlocken. Für eine Magd wie sie bedeutete dies weitaus mehr, als sich Franziska vorstellen konnte. Es ging nicht allein darum, durch die Gassen zu gehen, dies machte Suse häufiger bei Botengängen für Meister Schnidder. Doch sie hatte den beißenden Spott der jungen, nichtsnutzigen Männer kennengelernt, die immer in Gruppen an irgendwelchen Ecken herumlungerten und nach Opfern ausschauten, über die sie herziehen konnten.

Suse war ein solches Opfer.

Die Magd konnte sich einfach nicht mit Worten wehren. Viel zu spät, wenn sie lange genug darüber nachgedacht hatte, fielen ihr freche Erwiderungen auf die gemeinen Zoten ein. Sobald sie nun diese Burschen sah, senkte sie demütig den Kopf und wischte später verstohlen die brennenden Tränen fort. Der unverhohlene Hohn, den sie vorgab nicht zu hören, brannte schlimme Male in ihre arme Seele. Diesmal aber würde sie in Begleitung gehen, und ganz sicher würde niemand wagen, über sie zu lästern!

So geschwind wie möglich ging Suse zu dem Wasserzuber und wusch sich den roten Beerensaft von den Händen und Mund. Dann setzte sie sich nieder und kratzte mit einem Stöckchen den Lehmboden von ihren Schuhen.

»Ich warte vor der Tür auf dich, Suse. Verplempere die Zeit nicht! Sei so gut und nimm die beiden Körbe, die noch in der Küche stehen. Wir haben heute viel vor«, rief Franziska und schickte sich an, im Haus zu verschwinden, um an der Frontseite auf die Gasse zu treten.

Die Mostardgasse war belebter denn je, stellte Franziska fest. Arme wie offenkundig Reiche, Tagediebe, Adlige, Handwerker, Zecher und auch eine Gruppe Beginen durchschritten die sonnendurchflutete Gasse – letztere allerdings in einem angemessenen Schritt und mit gesenkten Häuptern, die Arme vor der Brust verschränkt und in grauem Linnen gewandet. Eine einzige von ihnen hielt den Kopf erhoben. Franziska lächelte sie an, und die Frau lächelte fröhlich zurück.

Es mußte einfach ein guter Tag werden. Die Unterredung mit dem knöchernen Meister Schnidder würde sie schlicht aus der Erinnerung streichen.

Franziska huschte die steinernen Treppenstufen wieder hoch und vernahm das unverwechselbare Türknirschen des Nachbarhauses. Alsbald schaute eine der Witwen Knauff heraus. Franziska grüßte freundlich, obgleich sie nicht auf Anhieb wußte, welche der beiden Schwestern sie vor sich sah. Die zwei sahen sich so verflixt ähnlich. Beide waren verhutzelte, kleine Frauen, die stets nur schwarze Gewänder trugen. Angela oder Agnes?

Agnes, die unwesentlich Ältere, stand an der Tür. Franziska war nun nah genug, um das kleine Muttermal auf dem spitzen, mit schwarzen Haaren bewachsenen Kinn entdecken zu können. Die Witwe war seltsam bleich, fast wachsgleich, und die ansonsten vergnügten Augen funkelten geradezu ängstlich in das Innere ihres Hauses. Der erste Satz, den sie über die Schulter rief, klang voller drängender Ungeduld.

»Bist du fertig, Angela? Wir wollen doch nicht den ganzen Tag hier verbringen. Es ist immer dasselbe mit dir. Was machst du denn da noch?« Als sie ihre Nachbarin bemerkte, schlug sie zusammenzuckend ihre Hand vor den Mund. »Oh! Guten Morgen, Frau Franziska, entschuldigt bitte meine Unhöflichkeit.«

»Ebenfalls einen guten Morgen. Ihr seid früh unterwegs heute.«

»Ich habe, nein, wir haben eine weitere schreckliche Nacht hinter uns. Wir wollen, wenn meine Schwester endlich fertig wird, zur Kirche St. Foillan, da können wir auf tröstliche Seelsorge hoffen, besser als in unserem Münster. Diese Fremden nehmen überhand und belagern geradezu unsere Kirche. Andauernd wird man angesprochen. Wo ist dies, wo ist das und wo jenes zu finden? Von den absonderlichen Dialekten verstehe ich so gut wie nichts! Mit Händen und Füßen muß man alles erklären, und so mancher finstere Gesell ist gekleidet wie ein Weib. Nie und nimmer sind das Christen!« wetterte Agnes drauflos.

»Andere Länder, andere Sitten! Übt Euch ein wenig in Langmut. Diese Fremden sorgen für einen schwunghaften Handel. Die Gasthäuser sind ausgebucht, und der Markt ist so reichhaltig bestückt wie nie zuvor. Die Geldtruhen der Stadt füllen sich wie von selbst. Viele Menschen haben eine Arbeit gefunden und müssen nicht mehr um Almosen betteln. Außerdem verschwinden die Besucher ja auch bald wieder«, beschwichtigte Franziska nachsichtig lächelnd die sichtlich aufgebrachte Nachbarin und lenkte das Gespräch in eine andere Bahn. Angela rumorte im Haus. »Aber weshalb habt Ihr üble Nächte, Frau Knauff? Der Mond ist nicht rund, er kann es nicht verschuldet haben. Die große Hitze, die uns in den letzten Tagen plagte, hat sich verzogen. Nahmt Ihr vielleicht schwere Speisen vor der Nacht zu Euch?«

Zögernd trat die kleine Witwe über die Schwelle. Sie hielt mit spitzen Fingern das wollene Schultertuch zusammengerafft und schwang einen knorrigen Gehstock. Sich umspähend und voller Heimlichtuerei, trat sie auf ihre Nachbarin zu und winkte ihr. Franziska, obwohl selbst nicht groß, mußte sich hinunterbeugen, um die gewisperten Worte verstehen zu können.

»Erzählt es, um aller Heiligen willen, nicht weiter: Bei uns geht der Spuk um! Gar schrecklich rasselte er in der letzten Nacht. Bislang gab sich der Geist damit zufrieden, mit Schindeln auf dem Dachboden zu werfen oder, ich kann es kaum aussprechen, richtig … lustvoll zu stöhnen. Gruselig! Wir schlafen schon längere Zeit unruhig. Bisher konnten wir uns leidlich gut mit Wachskügelchen behelfen, die wir uns in die Ohren stopften, aber gegen dieses höllische Gerassel kommen wir nicht an. Warum nur sucht er uns gottgefällige Frauen auf? Ich habe ja nicht so viel Angst wie Angela. Die Arme dreht bald durch, und mich macht ihr Zähneklappern irre. Ich fürchte um meinen Verstand.«

Gerne hätte Franziska noch einiges gefragt, doch zum einen trat die Witwe Angela grüßend aus dem Flur, woraufhin Agnes verstummte. Die Schwestern machten sich, miteinander zankend, auf den Weg. Zum anderen stand ein älterer Mann vor dem Haus. Er suchte etwas, denn seine Augen wanderten aufmerksam zwischen den Giebeln hin und her.

Der Mann hatte bestimmt schon bessere Zeiten gesehen oder aber eine weite Reise hinter sich. Die dünne Kleidung schlotterte an ihm herab, und ein schweres Bündel aus braunem Sackleinen hing über seine eckige Schulter.

Franziska wollte gerade nach Suse rufen, als der Mann sie mit fester Stimme anredete. »Verzeiht, edle Dame, wenn ich Euch anspreche. Ist dies das Haus des Meister Schnidder? Die Wegbeschreibung, die ich erhielt, ist leider nicht sehr genau.«

Umgangsformen hat er jedenfalls, dachte Franziska überrascht und fühlte sich ein weiteres Mal in ihrer Meinung bestätigt, die sie vehement in ihren Kreisen vertrat: Man sollte Menschen nicht nur nach dem Äußeren beurteilen.

»Ja, Herr, wenn Ihr bei Meister Schnidder, dem Tuchkaufmann, vorsprechen wollt, dann habt Ihr Euer Ziel gefunden.«

Da sie sich unsicher fühlte, Köchinnen waren schließlich keine Empfangsdamen, fragte sie: »Soll ich Euch melden lassen, Herr …?«

Suse könnte dies übernehmen, und wie auf ein stummes Kommando hin erschien sie, bepackt mit den Körben, auf der Schwelle. Der Mann neigte beflissen den Kopf.

»Wenn der Meister so ist, wie man es mir bedeutete, dann würde ich gern nur meine Habe unterstellen. Man sagte mir, der Herr sei auf Genauigkeit aus. Ich bin erst für heute abend gemeldet. Joslin ist mein Name, ich bin der Narr.«

Es folgte eine halbwegs galante Verbeugung, die gewiß vor zwanzig Jahren die Herzen vieler Damen hätte schmelzen lassen, doch nun hatten die steifen Knochen der Eleganz etwas Glanz genommen. Herr Joslin unterlag einem offensichtlichen Irrtum, den Franziska rasch korrigierte.

»Oh, ich bin nicht die Meisterin Schnidder, auch wenn ich die Vordertür benutze. Ich bin die Köchin, auf dem Weg zum Markt. Und sie hier ist Suse, die mich begleiten wird.«

Mit offener Hand deutete sie auf die junge Magd, die das Gespräch mit unverhohlenem Interesse verfolgte. Franziska hielt Joslin die Tür auf und wies ihm den Weg in die Küche.

»Wenn es Euch recht ist, dann stellt Euer Gepäck gleich hier vorne ab und begleitet uns, nachdem Ihr Euch erfrischt habt. Ihr mögt doch einen kühlen Trunk, nicht wahr?«

Joslin nickte. »Ich habe das Gefühl, als könnte nicht einmal eine Quelle meinen Durst stillen.«

Dankbar nahm er den Becher entgegen und sah sich aufmerksam um. Sein Blick blieb an den bunten Kräutersträußchen hängen, die Franziska unter den großen Balken zum Trocken aufgehängt hatte.

»In einem so schönen Haus habe ich lange nicht mehr gespielt.«

»Und ich nicht mehr gekocht.«

»Ist es ein guter Ort?«

»Wenn man den Meister zufriedenstellt, dann schon. Er hat einige Eigenheiten, aber wer hat die nicht?«

»Die Eure glaube ich zu kennen.« Joslin lachte und prostete ihr zu.

»Ach, herrje! Ihr müßt mich für unbändig neugierig halten, weil ich Euch die ganze Zeit anstarre. Entschuldigt, aber ich habe noch nie einen Spielmann kennengelernt. Schon als Kind war es eines meiner liebsten Vergnügen, bei jeder Gelegenheit den Possen zuzusehen. Einige Tricks habe ich bis heute nicht enträtselt.«

Joslin nickte anerkennend. »Dann waren die Spielleute auch wirklich gut.«

Franziska schenkte den Becher erneut voll und strahlte wie ein kleines Mädchen. Sie wartete, bis der Gast ausgetrunken hatte. »Wenn ich Euch inständig bitte, würdet Ihr mir beizeiten ein paar kleine Kunststücke vorführen?«

»Natürlich, aber die Tricks verrate ich Euch natürlich nicht.«

»Dann wäret Ihr ja auch ein schlechter Gaukler, nicht wahr? Kommt, der Meister ist beschäftigt, und Ihr könnt ihm später Eure Aufwartung machen. Wir holen noch einen Knecht, und dann erobern wir den Marktplatz.«

Stallknecht Deterich machte keine Schwierigkeiten und gab dem Trio einen Burschen mit. Er sei neu und könne nicht ohne Anleitung arbeiten, aber schleppen werde er auch ohne Ausbildung, meinte der Stallknecht und rief einen jungen Mann heran, den er als Hans vorstellte.

Hans war ein stattlicher Kerl mit breiten Schultern und weizenblondem Haar, einem runden Gesicht und dem verträumten Ausdruck eines Kindes. Er hatte sich noch nicht lange genug im Stall aufgehalten, um den Geruch des Pferdedungs anzunehmen, registrierte Franziska.

Es begab sich ohne ihr Zutun, daß Franziska und Joslin vorangingen und Hans mit Suse an seiner Seite folgte. Franziska war nicht entgangen, wie sehr sich die Magd darüber freute, durch die Stadt zu schlendern. Immer wieder blieb Suse ein wenig zurück, zupfte an ihrer Haube oder nestelte an ihrem Schuhwerk. Hans blieb bei ihr und nahm dem Mädchen die Körbe ab.

Suse versuchte, für ihre Mitmenschen den Anschein zu erwecken, alleine mit dem ansehnlichen Knecht unterwegs zu sein. Nun sollten die Gecken nur wagen, sie zu verlachen. Keiner würde sich dies trauen! Schüchtern versuchte Hans ein Gespräch über das sonnige Wetter, ein unverfängliches Thema, auf das Suse mit zurückhaltender Begeisterung einging. Noch nie zuvor hatte sie jemand gefragt, was sie vom Wetter hielt!

Joslin und Franziska bemerkten das nicht. Zu sehr waren sie selbst in eine interessante Unterhaltung vertieft. Gegenseitige spontane Sympathie beflügelte den regen Austausch trotz des beachtlichen Altersunterschiedes, der sie trennte. Franziska schätzte Joslin auf über fünfzig Jahre, also fast doppelt so alt wie sie selbst.

Seine wenigen verbliebenen Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab. Zahlreiche Lachfältchen, die seine hellen Augen umgaben, standen in einem krassen Gegensatz zu den beiden tiefen Sorgenfurchen um seinen Mund. Mit einem Umhang und einer Guggelkapuze, die er in den Nacken geschoben hatte, war er praktisch gewandet. Wie Franziska nun sah, war seine Kleidung von guter Qualität, nur staubig und viel zu weit. Von kundiger Hand ausgebessert und gewaschen, würde sich seine Erscheinung verbessern. Joslin trug, bis auf einen schmalen Bronzering am linken Zeigefinger, keinen schmückenden Tand.

Er stammte aus Köln und hatte dort lange Jahre als Unterhalter gearbeitet, aber nun hatte er seiner Heimatstadt den Rücken gekehrt und sich auf die Reise begeben.

»Ich habe Aachen noch nie verlassen. Erzählt mir bitte von der Welt, die hinter den Stadtmauern liegt«, sagte Franziska.

»Was wollt Ihr wissen?«

»Einfach alles. Über die Gasthäuser. Über die Spezialitäten, die Märkte und ob in Köln viele wohlhabende Leute leben …«

»Oh, es gibt vornehme Gegenden. Köln liegt direkt am Rhein. Der Fluß ist gigantisch. Man liebt und fürchtet ihn zugleich. Am Wasser zu leben ist zuweilen gefährlich, aber der Strom bringt auch Reichtum und Handel. Wir haben das Stapelrecht, so daß die edelsten Waren zuerst uns Kölnern angeboten werden. Nach drei Tagen dürfen die Händler sie anderweitig feilbieten. Die Gastwirtschaften in der Nähe des Hafens florieren. Besucher mögen übrigens sehr gerne einen aufgewärmten Erbsenmus, in dem fetter Speck und Würste gekocht sind.«

Köln mußte eine wundervolle Stadt sein, aber größer noch als Aachen? Das sollte man sich erst mal vorstellen können. Dabei war Aachen schon gewaltig und füllte mit seinen Häusern fast das gesamte Tal. Die Reise war nicht ungefährlich, die Wälder schier endlos und schwarz. Joslin war leibhaftigen Räubern entgangen, mußte Flüsse überwinden, doch all dem, was er zu erzählen hatte, gewann er einen heiteren Teil ab. Franziska hing an seinen Lippen und geriet bei der überschwenglichen Unterhaltung so in Fahrt, daß sie sich alsbald auf privates Terrain begab.

»Ein freundlicher Herr, wie Ihr es seid, hat doch bestimmt auch Familie in Köln. So ein Ereignis wie die Krönung feiert man nicht alle Tage! Ihr hättet Eure Gattin mitbringen sollen, es wäre die Strapazen sicherlich wert gewesen. Sie wird es nicht abwarten können, davon zu hören. Wir Frauen lieben solche Zeremonien! Unsereins bekommt nie wieder eine solche Gelegenheit, bunte Gewänder zu betrachten oder etwas zu erwerben, was eine weite Reise aus fernen Ländern hinter sich hat.

Ich habe mir auch schon einige schmückende Zierden gemerkt, die mein einfaches Gewand vorteilhaft herausputzen könnten.«

»Das habt Ihr nicht nötig. Die feinste Zierde einer Frau ist ihre Herzensgüte, und mir scheint, damit seid Ihr gesegnet.«

»Mit einigen Bändern umwunden, ist sie noch lieblicher anzusehen. Wenn Ihr wollt, dann zeige ich Euch einen Stand, an dem Ihr gute Ware erwerben könnt. Die Beschenkte wird lange Freude daran haben.«

Joslin wollte anscheinend nicht über seine Gattin reden, und Franziska war nicht so begriffsstutzig, als daß sie es nicht bemerkt hätte. Er sah an sich hinunter und grinste schelmisch. »Ich fürchte, bei mir reichen ein paar Bänder nicht aus, um wieder ansehnlich zu werden. Glaubt jedoch nicht, ihr Frauen wäret die einzigen Wesen, die ihren Eitelkeiten nachgeben. Gefallsüchtige Kavaliere stopfen sich allerlei Liebeskräuter und Gemüse in die Hosen, in der Hoffnung, eine Frau würde ihnen sofort zu Willen sein.«

»So etwas gibt’s?« Belustigt krauste Franziska die Nase. »Und ich dachte schon, die Herren hätten ein eher nahrhaftes Interesse an Kohlrabi und Rettichen. So denken manche Männer von uns Frauen? Und muten ihnen doch eine solch herbe Enttäuschung zu?«

»Die Damen müssen nicht hungern, dafür ist gesorgt. Die Geschmäcker sind halt verschieden. Was würde Euch an einem Mann gefallen?«

»Das ist eine sehr persönliche Frage, doch ist die Antwort kein Geheimnis. Es ist das Herz, welches entscheidet.«

»Und die Vernunft?«

»Die Vernunft bleibt außen vor, was manchmal wirklich dumm ist und einen hohen Preis fordert. Na ja«, räumte sie nach einer kurzen Pause ein, »es mag auch Frauen geben, die sich nach Münzen orientieren. Aber da spreche ich nicht für mich. Warum fragt Ihr?«

»Ich bin alt geworden und habe immer noch nicht gelernt, Frauen zu verstehen.«

Die Unterhaltung drohte in eine merkwürdige Stimmung abzugleiten. Erleichtert streckte Franziska die Hand aus und wies auf das Ende der Gasse. »Wir sind am Ziel. Laßt uns warten, bis Suse und Hans aufschließen.«

Sie gingen nun langsamer, blieben zwischendurch stehen, um ein Auge auf die Auslage der Handelsstände zu werfen, die dem Marktplatz vorgelagert waren. Hier oben befand sich der Salzmarkt. Die Krämer waren von weit her angereist, wie man dem kehligen Sprachgewirr entnehmen konnte. Laut priesen sie ihre Angebote und verwiesen auf klein gemahlene Krümel in Schalen, die zum Kosten einluden. Mit angefeuchtetem Finger stippte Franziska in das wertvolle Gut, rieb es und versuchte davon. Sie erwarb von einem bärtigen Riesen eine Schütte grobes Salz. Angeblich stammte es aus dem atlantischen Meer, aber das würde dem Braten, den sie damit einreiben wollte, gleichgültig sein.

Joslin nahm Franziska den Sack ab und warf ihn sich über die Schulter. »Da paßt noch viel mehr hinein. Nun, von mir und meiner Stadt haben wir genug geredet. Bitte erzählt nun von Euch und von Aachen.«

Das Quartett hatte nur einen kurzen Weg über die Großkölnstraße hinter sich zu bringen. Franziska wunderte sich über sich selbst. So gerne und leicht erzählte sie für gewöhnlich nicht über ihr Leben, aber der Herr neben ihr wirkte überaus vertrauenswürdig. Außerdem würde er wie alle anderen Angereisten die Stadt bald wieder verlassen.

»Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Von klein an kenne ich die Winkel und Gassen. Jetzt, wo die Stadt stetig wächst, kommt Geld hinein, und ich profitiere von dem Reichtum.«

»Als Köchin bei Meister Schnidder?«

»Leihköchin, ein Umstand, den meine Mutter gutheißt, der aber meinem Vater als unschicklich erscheint. Mein Vater ist ein stadtbekannter Handwerker, der Tuchmacher Wyell.«

»Ihr könnt stolz auf Eure Herkunft sein.«

Diese Worte hatte Franziska schon zu oft gehört, daher fiel ihre Antwort nicht so gelassen aus. Einem Unbekannten jedoch konnte sie die Wahrheit unverblümt gestehen.

»Bin ich auch, aber es gibt auch viel Ärger. Man könnte wirklich glauben, Vater sei der einzige, der die Zunftregeln achtet. Andere haben längst erkannt, daß sich viel bessere Geschäfte machen lassen, wenn man die Tuche auch selbst zu Kleidungsstücken verarbeitet. Unsere Zünfte sind nach außen hin traditionell und streng, nach innen aber miefig und verstaubt, und unter der Decke wimmelt es nur so von gegenseitigem Gemauschel.«

»Glaubt nicht, daß es sich in anderen Städten nicht so verhält. Der Ruhm der Tuche ist dennoch über die Grenzen Aachens geachtet. Bis nach Flamen hinein und noch viel weiter, habe ich gehört.«

»Zum Glück sieht man ihnen nicht an, durch welch dunkle Kanäle sie geschoben werden. Doch Aachen hat noch sehr viel mehr zu bieten.«

Mit angewidertem Gesichtsausdruck stieg Franziska über einen Hundehaufen und wies zu den umliegenden Häusern. »Schaut Euch um, Herr Joslin, hier haben wir viele berühmte Bäder. Schon die Römer schätzten die Entspannung, die unsere warmen Heilquellen einem erschöpften Körper bieten können. Es gibt Ruinen, die es belegen. Auch die Seele findet eine schöngeistige Ablenkung.«

»Dessen kann sich nicht nur Aachen rühmen, auch Köln hat heilende Quellen. Doch sind da nicht alle Bäder gut angesehen.«

»Wir machen natürlich auch Unterschiede«, erklärte Franziska. »Das Wasser ist immer gut, was man von den Badewirten indes nicht behaupten kann.« Sie schwenkte beide Körbe auf ihren Unterarm, um eine Hand fürs Aufzählen frei zu haben. Leicht schlug sie mit dem Zeigefinger auf den erhobenen Daumen. »Da haben wir zum einen das Kaiserbad, das ist sogar beheizt, aber nun, wo der Kaiser Karl seinen Sohn Wenzel und dessen Gattin Johanna von Bayern krönen läßt, soll das Bad künftig das Neue Königsbad genannt werden. Dann ist da das Coci-Bad. Der Herr Coci ist ein schrecklicher Angeber und schreibt täglich eine neue Tafel mit den Namen der Berühmtheiten, die seine Stätte aufgesucht haben. Den Gecken gefällt dies natürlich. Wir in Aachen sagen: Die Namen der Jecken stehen an allen Ecken, und das trifft auch zu. Einige Gastwirte nehmen sich den Herrn Coci zum Beispiel und lassen die Namenstafeln der Besucher bei den Beginen fertigen. Für die Frauen ein leicht erworbenes Zubrot und für die Wirte ein Gewinn, denn das lockt Gebildete an. Die sind gerne unter sich, in der Gastwirtschaft wie auch in den Bädern. Dabei gehört Herrn Coci das Bad nicht einmal selbst. Er muß wie alle anderen Pächter den Erbzins an die Pfalz zahlen.«

Mit einem Schnaufen machte Franziska deutlich, was sie davon hielt, holte dann Luft und fuhr mit der Aufzählung fort. »Des weiteren haben wir noch das Quirinusbad, klein, aber gesellig, peinlich sauber, gutes Essen. Das solltet Ihr aufsuchen, wenn Ihr Euch von den Reisestrapazen erholen wollt. Laßt Euch nicht in eines der Bäder am Komp schicken! Die Preise für diese …«

Ein schriller Schrei, unmittelbar vor ihnen, unterbrach Franziskas Belehrungen.

Ein Mädchen hatte den gellenden Ruf von sich gegeben. Die Kleine, eine schmuddelige, barfüßige Göre mit speckigen Haaren, deutete fassungslos auf eine ältere Frau, die bäuchlings in der Gosse lag. Die Hand des Mädchens war mit bräunlichen Flecken behaftet, die sie entsetzt anstarrte.

Das Kind hatte die Frau wohl für eine Betrunkene gehalten, die am Straßenrand ihren Rausch ausschlief. Nichts Ungewöhnliches. Für das arme Volk gab es nicht viele Möglichkeiten, sich zu betrinken. Bier und Wein gehörten zwar auf den täglichen Speiseplan wie Brot, wurden aber derart mit Wasser versetzt, daß man sich kaum daran berauschen konnte. Nun aber, wo die Krönungsfeierlichkeiten begonnen hatten, gab es so manchen puren Schoppen frei. So verlockt, trank der eine oder andere mehr, als er vertrug, und wurde als leichtes Opfer von Straßenkindern ausgeraubt. Diese Frau mochte vielleicht auch getrunken haben, jedenfalls roch sie nach reichlich Bier.

Wie magisch angezogen, trat Franziska näher, ließ aber Joslin an sich vorbei, der neben der Frau niederkniete und sie zu sich herumdrehte. Schillernde Fliegen stoben auf. Die Frau war tot. Der Körper stank furchtbar. In Vorahnung des Todes hatten die Schließmuskeln des Opfers versagt. Eine dunkle, blutige Linie um ihren Hals sah fast aus wie eine enge Halskette. Die Großkölnstraße war etwas abschüssig, und der Mörder hatte die Tote so liegengelassen, daß ihr Blutrinnsal von den eigenen Kleidern aufgesogen wurde, ohne unter ihrem Leib hinweg zu fließen. Die tödliche Halswunde hatte kaum geblutet.

»Sie hat sich doch tatsächlich im Todeskampf die Zunge abgebissen. Heilige Mutter Gottes«, rief jemand entsetzt aus der schnell anwachsenden Menge.

Die Frau mußte schon längere Zeit hier, inmitten aller vorbeieilenden Menschen liegen, denn das Blut um den Mund und auf dem Kinn war bereits getrocknet.

Franziska wurde übel, aber sie konnte den Blick nicht abwenden. Suse erging es ebenso. Hans hingegen erbrach sich, und einige Leute hoben kreischend zur Klage an. Eine dünne Stimme rief nach der Wache, und andere, kräftigere, fielen ein. Es wurde gestoßen und gedrängelt, um einen Blick zu erhaschen. Franziska schaute Joslin an, der die unbekannte Frau noch immer im Arm hielt. Sein schmerzverzerrtes Gesicht war schwer zu deuten. Als habe man ihm sein Herz aus der Brust gerissen, dachte Franziska flüchtig. Trotz des Schreckens hielt sie ihre Hand schützend über den Geldbeutel, aus Angst, bestohlen zu werden.

Die Tote war gewiß einmal hübsch gewesen, auch wenn ihr Gesicht nun entstellt wirkte. Die Haube war zum Hinterkopf verrutscht, und darunter kam ergrautes, aber sorgfältig geflochtenes Haar zum Vorschein. Vor Grauen weit aufgerissene blaue Augen starrten gebrochen zu den Wolken empor. Fast zärtlich drückte Joslin die Lider über die toten Augäpfel und zitterte leicht, als spüre er den Hauch des Todes als einen eisigen Windstoß auf seiner eigenen Haut.

Der Narr schlug ein Kreuzzeichen über die Frau und senkte betroffen den Kopf.