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SIGGI LOCH

Plattenboss aus
Leidenschaft

Siggi Loch

VORWORT

Vorwort EIN ECHTER CHARAKTER ~ VON TIM RENNER

Auf den ersten Blick erscheint heute als das größte Problem der Musikindustrie das Internet. Die Digitalisierung von Produktion, Kommunikation und Distribution jedweder Musik führt zu großen Turbulenzen: Wenn jeder die eigenen Kreationen im Heimstudio aufnehmen und dann weltweit verbreiten kann und die Konsumenten sich nicht mehr ganze Alben beschaffen müssen, sondern problemlos einzelne Songs herunterladen können, dann müssen sich die Geschäftsmodelle und -strukturen radikal verändern. Um diesen Wandel zu bewältigen, muss die Musikbranche den nun recht unabhängigen Künstlern einen echten Mehrwert jenseits hoher Vorschüsse und großer Apparate bieten können. Der Konsument wiederum erwartet Verlässlichkeit in der Auswahl und Pflege der Interpreten durch die Labels. Weshalb sonst sollte er sich noch ganze Alben kaufen? Eine solche Glaubwürdigkeit im Sinn eines langfristigen Aufbaus von Musikerkarrieren können aber viele der multinationalen Plattenfirmen schon lange nicht mehr vorweisen. Darum besteht in Wahrheit das größte Problem der Musikindustrie heute darin, dass in ihr Figuren wie Siggi Loch fehlen.

Was ihn groß gemacht hat, ist die eigentliche Grundlage des Musikgeschäfts: Man nennt es Artist & Repertoire Management – kurz A & R. Um einen Musiker und sein Werk entwickeln zu helfen, braucht es Menschen, die ebenso von Musik besessen sind wie er. Sie müssen ein Talent frühzeitig erkennen können, Vertraute und Sparringspartner der Künstler werden und den Spagat schaffen, sowohl deren Interessen als auch die des Labels zu vertreten. Sie sind so etwas wie der große Bruder: immer gut für einen handfesten Konflikt, aber auch der wichtigste Verbündete, wenn es gegen Dritte (etwa die eigenen Eltern) geht. Gute A & R-Manager dürfen nicht kurzfristig in Hits und kleinkarierten Zeiträumen wie den Quartalreportings ihrer Unternehmen denken, sondern müssen eine langfristige Vision einer Karriere entwickeln.

Es sind in der Regel ungewöhnliche Menschen, die sich in solche Jobs begeben. Meist haben sie, wie viele der von ihnen betreuten Künstler auch, eine gebrochene Biographie und wie diese erfahren, dass ein gewisses Quantum an Rebellion unabdingbar ist, wenn man denn schöpferisch tätig sein will. Einige der besten A & R-Manager wurden wahre Legenden – man denke an Clive Davis (er entdeckte Pink Floyd, Janis Joplin, Bruce Springsteen, Whitney Houston und viele andere), der einer bitterarmen jüdischen Familie aus Brooklyn entstammt und seiner glamourösen Vision von Pop bis heute hinterherjagt, oder auch an David Geffen (der mit Joni Mitchel, The Eagles, Aerosmith, Guns N’ Roses, John Lennon und anderen arbeitete), der als schwuler Manager in einer homophoben Gesellschaft auf seine Weise Erfolg haben wollte. Ein dritter – Ahmet Ertegun – brach als Sohn des türkischen Botschafters heilige Tabus, als er die 125. Straße in New York Richtung Norden überschritt. Mitten in der Zeit der Rassentrennung brachte er den Sound Harlems und anderer »Black Neighborhoods« in weiße Wohnzimmer. Künstler wie Ray Charles, Joe Turner oder Aretha Franklin verdanken ihm ebenso wie Neil Young ihre Karriere. Und Ahmed Ertegun war zusammen mit seinem Bruder Nesuhi auch Förderer des jungen Siggi Loch.

Loch kam als Verkäufer für den Importdienst der EMI Electrola in die Musikindustrie und sammelte ab 1962 erste Erfahrungen als Produzent und Jazzlabel-Manager bei PHILIPS. Mitte der 1960er Jahre war er dann als Deutschlands jüngster Plattenfirmen-Chef in der Position, an der Entwicklung deutscher Musik und Künstler arbeiten zu können. Er entdeckte und förderte Amon Düül und Can, produzierte die Debüt-Alben von Katja Ebstein, Sigi Schwab und Jean-Luc Ponty – immer auf der Schwelle vom Jazz zum Pop, immer auf der Suche nach etwas Eigenem und Besonderem. Nach vier Jahren an der Spitze von LIBERTY / UNITED ARTISTS entschloss sich Siggi Loch dann 1970 zur Kündigung, denn er wollte sein eigenes Jazz-Label gründen. Doch da sprach ihn Nesuhi Ertegun an, der internationale WEA-Chef, und machte ihm ein verlockendes Angebot: Er solle die WEA-Filiale in Deutschland aufbauen.

Siggi Loch bewunderte die Erteguns schon lange für ihre Jazz-Produktionen und die kluge Label-Politik mit ATLANTIC. Und er nutzte seine Chance. WEA Deutschland entwickelte sich prächtig – nicht nur wegen des starken internationalen Repertoires, sondern gerade aufgrund der Erfolge mit deutschen Künstlern: Passport von Klaus Doldinger, mit dem er zuvor schon als Produzent gearbeitet hatte, wurde die erfolgreichste deutsche Jazz-Band, Marius Müller-Westernhagen der erste deutsche Stadion-Star und Ideal erreichte die Spitze der Neuen Deutschen Welle. 1982 wurde Siggi Loch zum Präsidenten von WEA Europe ernannt, um die europäische Ausdehnung des Konzerns zu steuern. Ein Deutscher in dieser Position war damals eine echte Sensation.

Ein von Kunst Besessener wie Siggi Loch musste sich zwangsläufig auch Feinde schaffen, zumal sein Verständnis für Menschen, die seine Leidenschaft nicht teilten, durchaus begrenzt war. Ein Beispiel: In seiner Funktion als WEA-Chef war er auch für die Computerspiel-Tochter ATARI zuständig und musste selbstverständlich deren Präsidenten Ray Kassar zum Essen ausführen, als dieser in Deutschland weilte. Nach der Vorspeise ließ Loch seinen amerikanischen Gast unverblümt wissen, dass er Computerspiele für erheblich minderwertiger halte als Musik – den Spielen fehle einfach der künstlerische Ausdruck. Kassar schäumte, und ATARI trennte sich im Jahr darauf von der Mutterfirma, um bereits zwölf Monate später die WEA an Umsatz und Rendite deutlich hinter sich zu lassen.

Dass Kunst in jeder Form das Motiv und der Antrieb von Siggi Loch ist, kann niemand übersehen, der ihn kennen lernt. So ging es auch mir bei meinem ersten Besuch bei ihm zu Hause in Hamburg-Uhlenhorst. Das war 1988. Bevor ich ihm die Marketingkampagne für den damaligen Pop-Sänger Wigald Boning präsentieren konnte, den Siggi Loch auf seinem Label ACT unter Vertrag genommen hatte, zeigte er mir die Bilder seiner Sammlung: Die Wände waren geradezu tapeziert mit erlesenen Kunstwerken, und Lochs Erklärungen zu den Bildern waren für mich, der ich wenig beschlagen war in der Materie, einleuchtend und spannend.

Als Gründer der Phonoakademie und Vorstand des Phonoverbandes war Siggi Loch der Chef eines Käfigs voller Narren: Die Geschäftsführer der großen Plattenfirmen waren damals noch keine Betriebswirte oder Anwälte, sondern Rockertypen, die zur Verhandlung eines Vertrags auch mal mit der Harley vorfuhren und, um ihre Künstler zu motivieren, auch mal spontan eine goldene Rolex auf den Deal drauflegten. Es gab Society-Löwen, die eigene Tennisturniere veranstalteten, um die Bussi-Bussi-Gesellschaft mit Rock und Pop vertraut zu machen, und es gab ehemalige Sänger an der Spitze der Konzerne, über deren hautnahe Beziehungen zu ihren Künstlerinnen ausgiebig getratscht wurde. Sie alle hatten ihre Spleens und begründeten so den etwas anrüchigen Ruf der Musikindustrie als halbseidene Glamour-Branche – aber sie waren echte Charaktere, die neben dem Wunsch, Geld zu verdienen, auch den festen Willen hatten, das zu verbreiten, was sie für gute Musik und spannende Künstler hielten. Kurzum: Siggi Loch war der Anführer der deutschen Musikmanager – und leider sind Persönlichkeiten wie er heute keine Selbstverständlichkeit mehr.

01 SUMMERTIME, BUT LIVING AIN’T EASY ~ DIE ERSTEN JAHRE 1940–1959

Im Sommer 1940 veröffentlichte das Billboard Magazine in den USA erstmals seine inzwischen legendären Charts, an deren Spitze wochenlang Tommy Dorsey mit I’ll Never Smile Again stand. Benny Goodman war als »King of Swing« auf dem Höhepunkt seiner Karriere, und Louis Armstrong trat mit Sidney Bechet auf, der im Jahr zuvor die erste Jazz-Version von Gershwins Summertime für ein neugegründetes Label namens BLUE NOTE aufgenommen hatte.

Im Sommer 1940 hatte Nazideutschland seine Serie von »Blitzkriegen« abgeschlossen: Polen, Frankreich, Dänemark, Norwegen und die Benelux-Länder waren besiegt. Die Bombardierung Englands begann, der Überfall auf die Sowjetunion war in Vorbereitung. Allüberall zitterten die morschen Knochen, wenn die Hitler-Jugend sang: »Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.«

Im Sommer 1940, am 6. August, wurde ich in Stolp/Pommern geboren, dem heute polnischen Słupsk, eine Stadt, an die ich keine Erinnerungen hatte und 2010 erstmals besucht habe. Der Ort nahe der Ostseeküste hat eine Reihe bedeutender Töchter und Söhne hervorgebracht, unter anderem den Bildhauer und Maler Otto Freundlich (1878 –1943), dessen Werk ich sehr schätze. Für die Nazis war sein Werk »entartet«, sie ermordeten den jüdischen Künstler im KZ Lublin-Majdanek.

Meine Vorfahren mütterlicherseits waren Bauern mit eigenem Hof nahe der damaligen Grenze zu Polen. Sie hatten fünf Kinder, drei Söhne und zwei Töchter, und wie es üblich war, erbte der älteste Sohn den Hof. Die Töchter wurden verheiratet, so auch meine Mutter. Der zehn Jahre ältere verwitwete Gemüsehändler Emil Loch (geb. 1900), der für seine fünf Kinder eine neue Frau suchte, konnte meine Großmutter überreden, ihm die hübsche Berta zu überlassen. Diese hat sich gefügt. Eine Liebesheirat war es nicht. Aus dieser Beziehung stammen außer mir, dem Ältesten, meine Schwester Christl, geboren 1944, und mein Bruder Hans-Jürgen, geboren 1947.

Der Vater war als Feldkoch im Krieg an der Ostfront. Meine Mutter und mich verschlug es in das von Deutschland besetzte polnische Kalisch, dort kam Christl zur Welt. Auf der Flucht vor der heranrückenden Roten Armee landeten wir zu Kriegsende im völlig zerstörten Halle/Saale. Aus dieser Zeit stammen meine frühesten Erinnerungen: die Flüchtlingstransporte unter Bombenangriffen, die ständigen Bunkeraufenthalte und danach die endlosen Kolonnen deutscher Kriegsgefangener, die von den Russen durch die Straßen getrieben wurden. Im Mai 1945 war der Krieg in Europa zu Ende, in Japan noch nicht: Am 6. August, meinem fünften Geburtstag, warfen die Amerikaner die Atombombe über Hiroshima ab.

Das erste Musikerlebnis, an das ich mich noch genau erinnern kann, hatte ich, als ein russischer General im offenen Sarg durch Halle getragen wurde. Die Trauermusik der Militärkapelle fand ich so großartig und schön, dass ich den Zug zum Entsetzen meiner Mutter bis zum Friedhof begleitete.

Schon bald nach Kriegsende stand mein Vater unerwartet vor unserer Tür. Ich staune bis heute darüber, wie es dem Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes trotz des allgemeinen Chaos damals gelang, Familien wieder zusammenzuführen.

Mein Vater war von Beruf Landverwalter ohne eigenen Hof und damit den sowjetischen Besatzern nicht verdächtig. Im Zuge der sozialistischen Bodenreform erhielt er die Aufgabe, den Großgrundbesitz Dippische Saatgüter in Bösewig bei Wittenberg zu zergliedern. Die Familie lebte jetzt erstmals zusammen. Wir wohnten in dem ehemaligen Herrenhaus und waren durchaus privilegiert. Wie das Leben damals aussah, davon gibt der Fernsehmehrteiler »Liebesau« von 2002, dem das verschlafene Bösewig als Kulisse diente, eine gute Vorstellung.

Zum Erntedankfest 1946 gab es ein Fest, dem ich meinen ersten Auftritt als »Musiker« verdanke. Ich hatte mich hinter der Kapelle in einem Schrank versteckt, um auf einer großen Vase den zweiten Schlagzeuger zu geben. Mein Stiefbruder Emil, der damals bei uns lebte, war ein guter Akkordeonspieler und musste meinem Vater allabendlich die alten Vorkriegsschlager vorspielen. Als Emil die Familie wieder verließ (ich sollte ihm erst 30 Jahre später wieder durch Zufall begegnen), bekam ich mein eigenes Akkordeon und Unterricht, auch wenn ich das Instrument nie wirklich gut spielen lernte. Nun war es meine Aufgabe, den Vater mit den Caprifischern und dergleichen Liedgut zu erfreuen, er spielte dazu auf einer Mini-Mundharmonika.

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Siggi mit Akkordeon, 1950

Wenige Jahre nach der Neuaufteilung der ehemaligen Großländereien wurde deutlich, dass sich die Kleinbauern von den Erträgen ihrer 20 Morgen Land nicht ernähren konnten, geschweige denn, dass sie ihr Abgabesoll hätten erfüllen können. Viele suchten ihr Glück im Westen. Nach Gründung der DDR 1949 begann die Zeit der LPGs, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Als Kreiswirtschaftsberater – ein höheres politisches Amt – war mein Vater bei der erneuten Umwandlung beteiligt, die Kleinbauernbetriebe wurden kollektiviert. Wir zogen von Bösewig nach Merseburg.

Im Herbst 1950 erhielt mein Vater vom DRK die Nachricht, dass sich Lothar, sein verschollener jüngster Sohn aus erster Ehe, in Delmenhorst bei Bremen im Kinderheim befand. Vater bekam als Parteifunktionär einen Interzonenausweis und fuhr nach Westdeutschland, um dort zu beschließen, nicht wieder zurückzukehren. Für die DDR-Machthaber war das eine besonders niederträchtige Republikflucht, und fortan hatten wir die Staatssicherheit am Hals. Meine Mutter erhielt striktes Reiseverbot, man drohte mit Arbeitslager und damit, ihr die Kinder wegzunehmen. 1951 gelang es ihr dennoch, Merseburg bei Nacht zu verlassen, und zum zweiten Mal flohen wir gen Westen. Nur mit dem, was wir tragen konnten und am Leib trugen, überschritten wir bei Helmstedt die noch grüne Grenze. Der Vater wurde derweil im Westen nicht als »politischer Flüchtling« anerkannt und erhielt keine Aufenthaltsgenehmigung – wer nicht anerkannt wurde, durfte zwar bleiben, hatte aber kein Anrecht auf Unterstützung. So lebte er ohne Arbeit in einer Gartenlaube bei Hannover. Wir landeten im Notaufnahmelager Uelzen. Nach Monaten wurde auch uns die Aufenthaltsgenehmigung verweigert, und wir fanden zunächst Unterschlupf bei einer Tante in Hannover. Als in Westdeutschland der Wiederaufbau seine ersten Früchte zeitigte, standen wir erneut vor dem absoluten Nichts.

Ein Bruder meiner Mutter war vor dem Krieg Diakon in den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel bei Bielefeld gewesen, und über diese Verbindung bekamen wir drei Kinder einen Platz in einem Heim. 1952 suchte Dr. Editha von Rundstedt über eine Anzeige eine Pflegerin für ihre Schwiegereltern, den Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt und seine Frau. Rundstedt war einer der führenden deutschen Heeresoffiziere im Zweiten Weltkrieg gewesen und wegen Differenzen mit Hitler mehrfach entlassen und wieder berufen worden, zuletzt als Oberbefehlshaber West. Berühmt war er mit seiner Kritik an der obersten Führung vom Juli 1944 geworden (»Ihr müsst den Krieg beenden, ihr Idioten!«). Bei den Nürnberger Prozessen hatte man Rundstedt nicht verurteilt, sondern als Kriegsgefangenen nach England geschafft. 1949 war er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands entlassen worden.

Meine Mutter nun pflegte den alten Feldmarschall und seine Frau. Meine beiden Geschwister kamen zu Verwandten der Rundstedts in die Schweiz bzw. in Schweden, und ich zog zu den Eltern in das Gartenhaus nach Hannover-Kleefeld. Auf rund 25 Quadratmetern wurde gelebt, gekocht und geschlafen, im Garten stand ein Klohäuschen. Mein Vater arbeitete inzwischen als Hilfsarbeiter in einem Eisenwerk. Meine Mutter pflegte Rundstedt bis zu seinem Tod im Februar 1953. Ein Jahr später stellte man bei ihr selbst die Diagnose Krebs, und nach schwerer Operation lag sie fast ein Jahr lang im Krankenhaus. Editha von Rundstedt erwies sich für uns immer wieder als Retterin in der Not, und sie nannte sich meine »Vize-Mutter«.



In dieser Zeit machte ich meine erste Erfahrung mit einer cleveren Marketing-Idee. Ich hörte von dem Deutschen Seifenkisten-Derby, das die Amerikaner seit 1949 in ihrem Sektor ausrichteten und das inzwischen alljährlich in über 100 deutschen Städten ausgetragen wurde. Veranstalter waren General Motors und die Opel AG. Die Jungs zwischen zwölf und 15 Jahren mussten ihre Seifenkisten (von den genormten Rädern abgesehen) selbst bauen, auch wenn man vielen Fahrzeugen die helfende Vaterhand ansah. 1953 nahmen bundesweit 17.500 Jungs teil. Von einer Rampe rollte man eine zwei Kilometer lange abschüssige Strecke herunter. Die örtlichen Sieger wurden zur Deutschen Meisterschaft eingeladen, der deutsche Meister flog zu den Soap-Box-Weltmeisterschaften nach Dayton, Ohio. Außerdem gab es eine gut dotierte Ausbildungsbeihilfe.

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In der Seifenkiste, 1955

In Hannover fand das Rennen auf dem Lindener Berg statt. Ich baute meine erste Seifenkiste, obwohl ich noch nie ein echtes Rennen gesehen hatte. Das Geld für das Baumaterial verdiente ich mir durch Lieferdienste, das Blech erbettelte ich von den Vereinigten Leichtmetallwerken. Meine erste Fahrt im Juni 1954 endete allerdings nicht im Ziel, sondern in einem Strohballen.

Inzwischen hatte Frau von Rundstedt meinem Vater eine Anstellung als Hausmeister mit Dienstwohnung bei einer Behörde in Hannover-Linden vermittelt. Mutter kam aus dem Krankenhaus und auch die Geschwister kehrten wieder zurück zur Familie. Ich machte meinen Volksschulabschluss und war glücklich, eine Lehrstelle als Großhandelskaufmann bei Blaupunkt bekommen zu haben.

Am 19. Juni 1955 ging ich erneut mit meiner Seifenkiste an den Start. Ich belegte den zweiten Platz und fuhr zur deutschen Meisterschaft nach Duisburg. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich etwas erreicht, auf das ich richtig stolz war. Mein Name stand gedruckt im Programmheft und in der Zeitung. In Duisburg gewann ich drei Zwischenläufe, aber nach der letzten Zieldurchfahrt vor dem Endlauf versagten die Bremsen und ich landete mit einem eleganten Überschlag im Stroh. Aus der Traum wegen »Motorschaden«. Aber ich machte Schlagzeilen mit dem Foto von meinem Überschlag auf der Titelseite der »Hannoverschen Presse«. Ich hatte gekämpft, Respekt und Freunde gewonnen, und zum ersten Mal fühlte ich mich nicht mehr abgelehnt und ausgestoßen.



Mein musikalischer Horizont war damals beschränkt auf die Schlager, die ich meinem Vater vorspielte, sowie die gängigen Schnulzen im Radio und aus den Musikboxen, die emotionalen Begleiter des Wiederaufbaus. Bill Haleys Rock Around the Clock mischte 1954 die Welt der populären Musik auf, doch an mir ging das vorbei. Aber dann hörte ich im Radio die Ankündigung eines Jazzkonzerts mit Sidney Bechet in der Niedersachsenhalle, und das machte mich neugierig. Mangels Geld stieg ich durch das Kellerfenster in den Heizungskeller ein, um gerade rechtzeitig in die Halle zu gelangen. Die Musik des kleinen weißhaarigen Mannes mit dem Sopransaxophon verzauberte mich auf der Stelle.

Nach dem Konzert wartete ich am Künstlerausgang auf den Meister, um mir auf einem Zettel ein Autogramm geben zu lassen, das ich später mit einem Porträt verzierte. Am nächsten Tag kaufte ich zum stolzen Preis von 7 Mark 50 meine erste Schallplatte, natürlich von Sidney Bechet – eine EP von BLUE NOTE, ein Mittelding zwischen Single und Langspielplatte mit drei Stücken darauf. Nur hatte ich keinen Plattenspieler. Also stellte ich monatelang abends in einer Kegelbahn die Kegel auf, bis ich genügend Geld verdient hatte, um mir ein tragbares Philips-Gerät mit eingebautem Verstärker und Lautsprecher kaufen zu können. Das weitere Geld investierte ich in neue Schallplatten.

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Zeichnung Sidney Bechet

Im Dezember 1956 mussten wir unsere Eltern zu einer Weihnachtsfeier der Pommerschen Landsmannschaft nach Miesburg begleiten. Inzwischen fand ich als stolzer Jazzfan jede andere Musik und insbesondere die der Kapelle jenes Weihnachtsabends grauenhaft. Der Abend bot mir nichts für die Ohren, aber umso mehr für die Augen: Sie sahen sich an einem Mädel im Saal fest. Irgendwann nahm ich all meinen Mut zusammen und forderte sie zum Tanz auf. Sie hieß Liselotte Reinhard, ihre Familie stammte ebenfalls aus Stolp. Wir verabredeten uns für den nächsten Sonntag.

Sie wurde die Liebe meines Lebens und ist es bis heute. Nur den Namen Liselotte fand ich altbacken. 1956 kamen die jungen amerikanischen Rebellen in die deutschen Kinos: Der Wilde mit Marlon Brando, Die Saat der Gewalt mit Glenn Ford und Sidney Poitier und vor allem James Dean und Natalie Wood mit Denn sie wissen nicht, was sie tun. Die deutsche Antwort darauf waren Die Halbstarken mit Horst Buchholz und Karin Baal. Mit meiner neuen Liebe ging ich in diesen Film, in dem Karin Baal eine Sissy spielte und die Titelmusik der Sissy Blues war. Nach dem Kinobesuch wurde aus Liselotte meine Sissy.

Sidney Bechet mit seiner Vitalität und Spontaneität hatte mich für den Jazz begeistert. Ich wollte mehr erfahren über diese Musik und kaufte mir ein Buch, das zwei Jahre zuvor erschienen war: Das Jazzbuch des jungen Rundfunkredakteurs Joachim Ernst Berendt. Damals hatte es schon eine Auflage von 100.000 Exemplaren. Das mehrfach überarbeitete und bis heute erfolgreichste Jazzbuch aller Zeiten bleibt die Bibel aller Fans und ein sehr guter Einstieg in die Materie.

Berendt hat darin, dem Musikwissenschaftler Marshall W. Stearns folgend, eine »Definition des Jazz« versucht: »Jazz ist eine improvisierte amerikanische Musik, die europäische Instrumente gebraucht und Elemente europäischer Harmonik, europäisch-afrikanischer Melodik und afrikanischer Rhythmik miteinander verbindet.« Damit war ich in Sachen Theorie fürs Erste ins Bild gesetzt, wenn auch nicht viel schlauer. Weit wichtiger waren für mich die vielen neuen Namen und Zusammenhänge und Berendts Einblicke in die Geschichte des Jazz und damit auch in die Sozialgeschichte Amerikas.

Damals galt meine ungeteilte Zuneigung dem traditionellen Jazz mit seinen Wurzeln in New Orleans. Diese Musik, auch Dixieland genannt, war relativ leicht zu erlernen und gelangte in Europa zu großer Popularität. Monty Sunshine (der seine Karriere mit einer Einspielung von Sidney Bechets Petite Fleur begann) und Chris Barber kamen groß mit ihr heraus und spielen sie bis in die jüngste Zeit. Auch bei uns schossen Dixieland-Bands wie Pilze aus dem Boden, und ich begann von einer eigenen Jazzband zu träumen. Jazz, das war für mich die Verwirklichung von individueller Freiheit in einer Gruppe von Gleichgesinnten, und da wollte ich dabei sein, nicht nur als Fan und ganz sicher nicht mit meinem Akkordeon. Ein Schlagzeug sollte es sein.

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Mit der Band Red Onions am Maschsee, 1959

In dem Behördengebäude in Hannover-Linden, das wir bewohnten, gab es viele ungenutzte Kellerräume, einer wurde mein Musikraum. Dort konnte ich die »Negermusik«, die meine Eltern quälte, ungestört und in voller Lautstärke genießen und fand bald Freunde, die sich zum »New Orleans Club Hannover« zusammentaten. 1958 gründete ich die Red Onions, benannt nach einem Titel meines Helden Sidney Bechet, mit Banjo, Trompete, Klarinette, Posaune und mir am Schlagzeug. Erste Auftritte hatten wir im Musikpavillon am Maschsee. Dort spielte in den Sommermonaten sonntags ab elf Uhr eine Platzkapelle, wir bauten uns einfach eine Stunde früher auf und legten los. Später fuhren wir an den Wochenenden über Land und hielten auf den Dörfern nach Hochzeiten Ausschau, die wir spontan beschallten. Zu einem richtigen Konzert brachten es die Red Onions nur ein einziges Mal, als Vorgruppe der Old Heidetown Ramblers aus Celle, einer wahren Power-Truppe.

Zu dieser Zeit entdeckte ich auch die Fotografie für mich. Mit meiner Kamera nahm ich bei Konzerten Bilder auf. Das früheste gelungene Ergebnis ist ein Foto von Louis Armstrong in der Niedersachsenhalle.

Die Entwicklung des Jazz war inzwischen beim Cool Jazz von Gerry Mulligan, Chet Baker und des Miles Davis Capitol Orchestra angelangt, aber das nahm ich nicht wirklich zur Kenntnis. Die coolen Jazzfans in schwarzem Rollkragenpulli und mit Pfeife im Mund gaben sich existenzialistisch. Sie verkehrten in Hannover im »Tabu« und der »Kajüte« und fuhren zum Jazzfestival nach Frankfurt.

Das war nicht meine Welt. Mein Mekka war das Deutsche Amateur-Jazz-Festival in Düsseldorf, zu dem ich im Oktober 1958 erstmals fuhr – mit dem Moped meines Vaters. Im Jahr darauf hatte ich dort ein weiteres Schlüsselerlebnis meines Lebens. Die populärste traditionelle Jazzband waren damals die Feetwarmers aus Düsseldorf, die bereits Schallplatten aufgenommen hatten. Posaunist war Manfred Lahnstein, der später deutscher Finanzminister wurde, Star der Band war der Klarinettist und Sopransaxophonist Klaus Doldinger. Der spielte auf dem Festival nicht nur Dixieland, sondern mit Oskar’s Trio, begleitet von Bass und Schlagzeug, auch modernen Jazz auf dem Tenorsaxophon. Erstmals hörte ich mit offenen Ohren Modern Jazz. Ich bekam einen Begriff von seiner Logik und Bedeutung und verstand, warum ich beim Dixieland nicht stehenbleiben konnte. Und die Tage meiner Schlagzeuger-Karriere waren gezählt.

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Louis Armstrong, 1955

In Hannover machten alle großen Jazztourneen Station, also besuchte ich nun Konzerte von Benny Goodman, Count Basie, Duke Ellington, Dizzy Gillespie, Coleman Hawkins, Roy Eldridge, Gerry Mulligan, Gene Krupa, Jimmy Giuffre, Cannonball Adderley oder Ella Fitzgerald. Man kann sich heute nicht mehr recht vorstellen, dass diese Jazzmusiker nicht in Clubs, sondern vor über 2.000 Besuchern in Deutschlands größten Hallen gastierten, im Berliner Sportpalast, in Hamburg in der Ernst-Merck-Halle, in der Grugahalle Essen, der Frankfurter Kongresshalle, der Kölner Messehalle und in Hannover in der Niedersachsenhalle. Zunächst waren es die Größen des traditionellen Jazz wie Louis Armstrong, Sidney Bechet, Mezz Mezzrow oder Kid Ory. Ab Ende der 50er-Jahre brachte Norman Granz mit seiner Konzertreihe »Jazz at the Philharmonic« regelmäßig einige der besten Jazzmusiker der Gegenwart nach Deutschland. Vor Ort war Horst Lippmann für sie zuständig. Der Musikagent schickte einen gewissen Fritz Rau als Tourmanager für das Oscar Peterson Trio. Rasch fand Norman Granz Gefallen an dem zuverlässigen jungen Rechtsreferendar und Amateur-Jazzbassisten und übertrug ihm 1961 die gesamte Tour-Organisation. Aus der Agentur Lippmann wurde bald Lippmann + Rau, die Konzertveranstalter-Legende mit Sitz in Frankfurt.

Zu den unvergesslichen Konzerten dieser Zeit gehörte die erste Tour des Miles Davis Quintetts mit John Coltrane. Der »Master of the Jazz Universe« persönlich stand in Hannover im eleganten Maßanzug und mit grüner Trompete auf der Bühne! Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Miles Davis bereits mit Coltrane überworfen, musste aber noch den Tourneevertrag erfüllen, was zu der kuriosen Situation führte, dass die beiden zu keinem Zeitpunkt des Konzerts gemeinsam auf der Bühne standen. Vor der großartigen Rhythmusgruppe mit Wynton Kelly am Piano, Paul Chambers am Bass und Jimmy Cobb am Schlagzeug spielten entweder Miles oder Trane. Es war dennoch ein denkwürdiges Konzert. Nach der Tour gründete John Coltrane sein berühmtes Quartet mit McCoy Tyner, Piano, Jimmy Garrison, Bass, und Elvin Jones am Schlagzeug. Auch die habe ich erlebt, 1961, als Vorgruppe zum Dizzy Gillespie Quintet. Damals gehörte es zu den Gepflogenheiten, dass die Stars später noch in den lokalen Jazzclubs mit einstiegen. Man musste nur wissen, wo, und möglichst schnell nach dem Konzert dort eintreffen. In Hannover war das aber kein Jazzclub, sondern die »Rote Mühle« am Steintor. Ihr Betreiber war ein Jazzfan, der dafür sorgte, dass die Stripperinnen Pause hatten und dafür die Star-Jazzer »after hours« jammen konnten. Ich hatte meine Kamera stets dabei.

Großes Aufsehen machte 1960 das Modern Jazz Quartet mit seiner ersten Europatour. Mit dem Kammermusikjazz der Alben Django und Fontessa hatte es weltweit Furore gemacht. Für diese Tour sollten es nicht die großen Hallen sein, sondern die klassischen Musiksäle. In Hannover war das der Mozartsaal in der Kuppelhalle. Als die vier elegant gekleideten Musiker John Lewis, Milt Jackson, Percy Heath und Conny Kay die Bühne betraten, herrschte ehrfurchtsvolle Stille. Das Modern Jazz Quartet spielte nicht, nein, es zelebrierte seine Kunst, und zwar ohne Verstärker und Lautsprecher – heute würde man sagen unplugged.

Einige Wochen später, ich war mit dem Fahrrad auf dem Heimweg, stand neben mir an einer Kreuzung ein VW-Bus und darin saß das komplette Quartett mit John Lewis am Steuer. Ich nahm die Verfolgung auf. Der Bus hielt am Kino Capitol, dort lief Odds Against Tomorrow mit Harry Belafonte. Die Band besuchte die Vorstellung, ich ging hinterher und ergatterte einen Platz direkt hinter ihr, wo ich dann sah, dass John Lewis die Musik zu diesem Film geschrieben hatte. Natürlich war ich viel zu scheu, um mich als Fan erkennen zu geben. Erst viele Jahre später, als ich John Lewis bei ATLANTIC kennen gelernt hatte, klärte sich das Geheimnis des Kinobesuchs auf: Das Modern Jazz Quartet war nur neugierig, den Film in der deutschen Synchronisation zu sehen.



Ende der 50er-Jahre gab es noch keine Schallplattenläden, wie wir sie kennen (und in naher Zukunft wohl nicht mehr haben werden). Platten wurden in Elektro- und Rundfunkgeschäften verkauft, aus einem einfachen Grund: Alle Produzenten von Schallplatten waren auch Gerätehersteller. Das Geschäft machte man im Wesentlichen mit Schlagern, veröffentlicht auf 17 cm-Singles. Nach der Entwicklung der EP (Extended Play) und der LP (Langspielplatte) kam auch für den ernsthaften Musikfreund ein zunehmend interessantes Angebot auf den Markt. Schallplatten zu hören und zu sammeln wurde ein Lebensgefühl.

In Hannover eröffnete am Hauptbahnhof »Die Schallplatte«, das erste Spezialgeschäft dieser Art in Deutschland. Ich wurde Dauergast, jeden Samstag verschanzte ich mich mit einem Berg neuer LPs in einer Abhörkabine, um am Ende des Tages vielleicht eine oder zwei Platten zu kaufen. Die BILD kostete 10 Pfennige, eine Kinokarte 1,50 DM, eine LP 22 DM. Otto Traupe, der Geschäftsführer, war von Beruf Kontrabassist. Ihm erzählte ich von meinem Kummer: Ein Profimusiker würde aus mir nicht werden, aber ich wollte mein Leben mit dieser Musik verknüpfen, am liebsten ein Jazzlabel wie BLUE NOTE führen. Deren Gründer Frank Wolff und Alfred Lion waren schließlich auch keine Musiker und hatten trotzdem das beste Jazzlabel der Welt. Nur: Wie bekam man Einlass in diese Welt?

Traupe schlug vor, ich solle bei der ELECTROLA in Hannover vorstellig werden, und er besorgte mir einen Termin bei Geschäftsstellenleiter Gerhard Gebhardt. Zufällig suchte ELECTROLA gerade einen Vertreter ohne festes Gebiet, der für den Auslands-Sonderdienst (ASD) in Deutschland noch unveröffentlichte Platten an die größeren Schallplattenläden verkaufte, eine Art Testpilot also (Importdienste nach dem Vorbild des ASD wurden danach von allen Major Companies gegründet, sie fielen aber Anfang der 90er-Jahre alle wieder dem Rotstift der Gewinnmaximierer in den Konzernen zum Opfer, inklusive dem ASD). Der 2. Januar 1960 war mein erster Arbeitstag in der Musikindustrie, mit einem Anfangsgehalt von 350,00 DM monatlich und einem VW Standard als Dienstwagen.

02 EIN KÄFER VOLLER PLATTEN ~ IM DIENST DER ELECTROLA 1960/61

Am Anfang stand ein kleines Schaf: 1877 gelang es Thomas Alva Edison, Musik mit Hilfe eines Schalltrichters auf eine Walze aufzunehmen und auch wieder abzuspielen. Seine erste Aufnahme: das Kinderlied Mary had a little lamb. Edison hatte mit dem Phonographen die Urform des Abspielgeräts erfunden, aber mit der Walze noch keinen zukunftsweisenden Tonträger. Auf ihn kam der Erfinder und Industrielle Emil Berliner aus Hannover, 1870 in die USA ausgewandert, der sich 1887 die horizontale Schneidtechnik in eine Wachsplatte patentieren ließ – der Erfinder der Schallplatte. 1889 ließ Berliner in Deutschland erstmals Schallplatten in Serie produzieren, zunächst auf Hartgummi, was sich langfristig nicht bewährte. Im selben Jahr gründete er die AMERICAN GRAMOPHONE COMPANY, die zunächst erfolglos die Verwertung seiner Erfindung übernahm.

Grammophon und Schallplatte waren zukunftsweisende Erfindungen, doch wie Topf und Deckel voneinander abhängig. Beide mussten gleichermaßen praktikabel sein, um eine perfekte Einheit zu bilden. Bis Berliner aus seiner Erfindung einen wirklich tauglichen Tonträger gemacht hatte, der sich auf zuverlässigen und einigermaßen gut klingenden Geräten abspielen ließ, vergingen weitere Jahre der Entwicklung. Der entscheidende Schritt gelang 1896 mit der Verwendung von Schellack als Trägermaterial: Der Siegeszug der »Platte« begann und mit ihr die eigentliche Geschichte der Schallplattenindustrie. Berliner witterte das Geschäft und wollte es nicht den anderen überlassen: Er gründete die GRAMOPHONE COMPANY in England und die DEUTSCHE GRAMMOPHON-GESELLSCHAFT in Berlin. Mit der PATHÉ in Frankreich und CARL LINDSTRÖM in Schweden folgten weitere Schallplattenhersteller in Europa und mit der COLUMBIA GRAPHOPHONE COMPANY eine erste Konkurrenz in den Vereinigten Staaten. An dieser Stelle hätten sich die alteingesessenen Musikverlage engagieren müssen. In ihren Händen lag die Verbreitung von Musik und die Wahrung der Rechte an ihr: Sie verdienen Geld, wenn eine Komposition aufgeführt wird, wenn Noten verkauft oder vermietet werden. Doch die großen Traditionsverleger wie Breitkopf & Härtel (gegründet 1719) und Schott (1770) in Deutschland, Ricordi (1808) in Italien oder Boosey & Hawkes (1760) in England gaben sich auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit den Einkünften aus öffentlichen Aufführungen (Opernhäuser, Konzerte) sowie dem Verleih und Verkauf von Noten zufrieden. Das Potenzial der Schallplatte verkannten oder unterschätzten sie und führten lediglich das mechanische Vervielfältigungsrecht ein, das Verleger und Autor einen Anteil an der weiteren Verwertung sicherte. Ein historischer Fehler, denn die Musikverleger hatten damit ohne Not die Kontrolle über den Markt der Zukunft aus der Hand gegeben. Statt den Kuchen selbst zu backen, forderten sie nur ihr Stück. Das Geschäft mit der Schallplatte machte ein neuer Typus von Unternehmer. In der Folgezeit sollten sich ausschließlich Industrielle – die Hersteller von Geräten und Schallplatten – mit der Aufnahme, Vervielfältigung und dem Vertrieb von Musik befassen. Ich bin mir sicher, die Geschichte der Musikindustrie wäre anders verlaufen, wenn die Musikverleger die Zeichen der Zeit damals rechtzeitig erkannt hätten.

Ein Fahrradfabrikant stellt ein Produkt her, mit dem der Käufer sofort losfahren und glücklich sein kann. Das ist in der Musikindustrie anders: Wer Grammophone verkaufen will, braucht attraktive Schallplatten und immer genügend Nachschub. Also nahmen die Hersteller von Grammophonen die Produktion von Aufnahmen selbst in die Hand. Doch für sie, tendenziell eher Fabrikanten als Kulturinteressierte, war die Musikaufnahme vor allem ein notwendiges Produkt in einer Vermarktungskette. Musiker, Komponisten und Texter waren darin Mittel zum Zweck. So mangelte es an Gefühl dafür, dass mit dem neuen Geschäft auch eine vielseitige Verantwortung verbunden war, etwas, das sich bei Verlegern von Musik und Büchern über zwei Jahrhunderte entwickelt hatte. Denn mit künstlerischer Arbeit kann man nicht beliebig umgehen wie mit Patenten. Künstler und Autoren wollen mindestens ebenso umworben und gepflegt werden wie die Konsumenten – eine Erfahrung, die die Musik- und Literaturverleger verinnerlicht hatten. Aber Schallplattenfabrikanten hatten kein Verlegerbewusstsein.

Grammophone und Schellackplatten wurden in den USA und in Europa rasch beliebt, besonders beim Bildungsbürgertum. Für das gemeine Volk wurden die Musikboxen entwickelt. 1939 erfand Peter Carl Goldmark das Prinzip der Langspielplatte. Statt der bisherigen Spieldauer von drei bis vier Minuten pro Seite bei einer Abspielgeschwindigkeit von 78 Umdrehungen pro Minute konnte die LP bei einer Geschwindigkeit von 33 1/3 UpM bis zu 20 Minuten Musik aufnehmen. Vorläufer der Vinyl-Langspielpatte war die V-Disc. Das amerikanische Kriegsministerium versorgte über diese »Victory-Scheiben« die GIs im Zweiten Weltkrieg mit aktueller Musik. Auf V-Disc landeten viele musikalische Juwelen, Aufnahmen, die nicht in den kommerziellen Studios, sondern meist bei Truppenbetreuungskonzerten fürs Radio entstanden waren. Nach dem Krieg wurden V-Discs wertvolle Sammlerstücke.

1948 erschien bei COLUMBIA RECORDS die erste kommerzielle 30cm-Langspielplatte mit 33 1/3 Umdrehungen und einer Kapazität von rund 20 Minuten Musik pro Seite. Die Langspielplatte war auf dem Markt, wenn auch noch lange nicht durchgesetzt. Im Folgejahr brachte RCA VICTOR die 17cm-Single mit 45 UpM und großem Mittelloch – um 1960 hatte sie die Schellackplatte endgültig abgelöst. Die ersten LPs in Deutschland erschienen 1951 bei der DEUTSCHEN GRAMMOPHON GESELLSCHAFT. Und noch ein Datum: MERCURY RECORDS brachte 1958 die erste kommerzielle Stereo-LP heraus.

Dieser kurze Blick in die Geschichte der Musikkonservierung zeigt, dass es seit Edisons Schalltrichter zahlreiche technische Neuerungen gegeben hat, die sich wieder überlebten. Die Single als kleine schwarze Scheibe ist Vergangenheit und mit ihr der einstmals so riesige Markt für den physischen Absatz einzelner Songs. An den Plattenspielern verschwand irgendwann der Schalter, der ein Abspielen mit 78 UpM ermöglichte. Das Tonband, ob mehrere Zentimeter breit fürs Tonstudio oder in Form der Cassette für den heimischen Gebrauch, kam und ging. Inzwischen wird der CD auch kein langes Leben mehr zugetraut. Ich sehe das anders. Mögen ihre Tage als Massenkonsumartikel auch bald der Vergangenheit angehören, so bin ich doch fest davon überzeugt, dass der physische Tonträger sich neben dem gedruckten Buch weiterhin behaupten wird. Der Sammelinstinkt ist dem Menschen nicht auszutreiben.



Als ich 1960 meinen ersten Schritt in die Welt der Musikproduktion machte, sangen sich die dänischen Brüder Jan & Kjeld mit Banjo Boy in die Herzen der Deutschen; auf Platz zwei der Jahreshitparade landete Rocco Granata mit Marina. Noch vor Elvis Presleys It’s Now or Never (Jahrescharts Platz 15) etablierte sich Ted Herold mit Moonlight (Platz 11). Deutschland war Schlagerland, seine Helden hießen Freddy Quinn, Lolita oder Peter Alexander.

1960 waren in Deutschland vier große internationale Schallplattenfirmen als Anhängsel von Geräteherstellern tätig, POLYDOR / DEUTSCHE GRAMMOPHON GESELLSCHAFT gehörte zum Siemens-Konzern, TELDEC zur englischen DECCA, ELECTROLA zur ebenfalls englischen EMI, und auch der holländische Elektrokonzern PHILIPS veröffentlichte inzwischen Schallplatten. Dazu gesellt hatte sich 1958 der Buchkonzern Bertelsmann mit dem Label ARIOLA – das einzige Label, das nicht zur Elektroindustrie gehörte.

Daneben gab es zwei große Importeure, sie bezogen Schallplatten, die auf dem deutschen Markt nicht durch die vier Konzerne vertrieben wurden. Der jazzbegeisterte Ur-Berliner Bernhard Mikulski war nach New York gereist, um sich bei den Blue-Note-Eigentümern Francis Wolff und Alfred Lion die Importrechte an dem führenden Jazz-Label zu sichern. Auch die Musik der Jazz-Labels VERVE, RIVERSIDE und PACIFIC vertrieb Mikulski in Deutschland. Mit seiner Frau Anita baute er in Frankfurt ein respektables Unternehmen auf, das später verkauft und Basis der deutschen CBS-Tochter wurde. Neben Mikulski gab es in Bremen den Schallplattenimport Plötz, der sich auf europäische Jazzmarken wie VOGUE (Frankreich) und METRONOME /SONET (Skandinavien) konzentrierte.

Plötz musste die traurige Erfahrung machen, wie man mit einem Hit Pleite gehen kann. Er war Importeur der Platten von Papa Bue’s Viking Jazzband aus Dänemark, die Emil Knutson auf dem Label SONET veröffentlichte. Nach einigen mäßig erfolgreichen EPs produzierte Knutson mit Arne »Papa« Bue Jensen eine Dixieland-Version von Mozarts Schlafe mein Prinzchen. Die auf rotes Vinyl gepresste Single wurde ein Hit in Deutschland: Platz 9 der Jahrescharts! Um die extrem große Nachfrage zu bewältigen, erwarb Plötz die Lizenzrechte und ließ die Singles selbst in Deutschland pressen. Aber als Importeur verfügte er nicht über die notwendigen Kreditlinien bei einem Presswerk und seiner Bank. Für die Herstellkosten musste er in Vorleistung treten, doch die Händler bezahlten die Ware erst Monate später. Das wurde Plötz zum Verhängnis. Sein Unternehmen wurde insolvent und METRONOME /SONET gründete eine eigene Gesellschaft in Hamburg, um die Gewinne mit Papa Bue selbst einzufahren.

Mein erster Arbeitgeber in der Schallplattenindustrie, die ELECTROLA, war 1925 in Berlin gegründet worden und fusionierte später mit der schwedischen Carl-Lindström-Gesellschaft, um danach von der englischen EMI übernommen zu werden. Der deutsche Stammsitz und das Presswerk in Berlin waren im Krieg total zerstört worden, daher entschloss sich die EMI 1952 zur Neugründung der ELECTROLA Schallplatten GmbH in Köln. Dort entstanden ein modernes Presswerk sowie Aufnahmestudios, Lager und Verwaltungsgebäude, alles zusammen in einem Komplex am Maarweg in Köln-Braunsfeld.

Als ich 1960 bei der ELECTROLA begann, wurde der Umsatz hauptsächlich mit Schlagern gemacht. Die Stars des Hauses waren Fred Bertelmann (1958 Platz 1 mit Der lachende Vagabund, Conny Froboess, Ralf Bendix (Ciao Ciao Bambina) und Paul Kuhn, bald auch Rex Gildo und Gitte. Marktführer war die DEUTSCHE GRAMMOPHON, die ihr Geld aber nicht so sehr mit dem gelben Klassik-Label verdiente, sondern mit den Schlagern auf POLYDOR und deren Stars wie Freddy Quinn, Caterina Valente und Conny Francis. Der Branchenumsatz betrug 280 Millionen DM und setzte sich zusammen aus dem Verkauf von 33 Millionen Singles, 10 Millionen EPs, 3,2 Millionen 25 cm-LPs und 3,4 Millionen 30 cm-LPs. Der Anteil nationaler Produktionen lag bei über 70 Prozent.

Weiterhin war wie in den ersten Nachkriegsjahren das Radio das zentrale Medium für Information und Unterhaltung. Nur langsam entwickelte sich der Markt für Plattenspieler, zunächst wurden hauptsächlich preiswerte Geräte verkauft, die an das Radio angeschlossen wurden und zum Abspielen der 17 cm-Singles mit den aktuellen Schlagern genügten. Ende der 50er-Jahre wurde die Musikkommode mit Radio, Plattenwechsler und eingebauter Bar sichtbarer Ausdruck des neuen Wohlstands – ob bürgerlich-gediegen als Musiktruhe »Dominante« oder state of the art in der Phonokombination SK 4 von Braun, dem legendären »Schneewittchensarg«. Mit besseren Geräten stieg das Interesse an den Möglichkeiten der LP. Sie war wie geschaffen für Klassik-Hörer, doch die Welt der Unterhaltungsmusik ergriff ihre Chancen nur zögerlich: Bevor Anfang der 60er-Jahre die Alben der Beatles weltweit Furore machten, »dachte« der Markt noch ganz in Single-Dimensionen.

Die EMI war internationaler Marktführer mit einem weltweiten Netz von nationalen Gesellschaften, die alle eigenes Repertoire produzieren konnten: ein unglaublich großer Fundus an Musik, der von Werner Raschek, Programmdirektor International der ELECTROLA, auf seine Verkäuflichkeit für den deutschen Markt beurteilt werden musste. Für deutsche Musikfreunde, die sich mit dieser sehr beschränkten Auswahl nicht zufriedengeben wollten, gab es den Auslands-Sonderdienst (ASD). Er importierte EMI-Platten auf Festbestellung.

Der EMI brachte dieses kundenfreundliche Geschäftsmodell nur Verluste ein. Daher war der ASD den Electrola-Bossen ein Dorn im Auge und sollte geschlossen werden. August Batzem, sein Leiter, kämpfte um seine Zukunft und bat zur Rettung seiner Abteilung um Einstellung nur eines einzigen Vertreters, um beweisen zu können, dass auch mit seiner Abteilung Geld zu verdienen war. Dieser Testverkäufer wurde ich. Bislang mussten Kunden wochen- und monatelang auf ihre Bestellungen warten und nahmen sie dann oft nicht mehr ab, weil sie inzwischen das Interesse verloren hatten. Die neue Vorwärtsstrategie war, Platten selbst auszusuchen und zu importieren, von denen ich überzeugt war, dass ich sie auch verkaufen konnte. Es stellte sich bald heraus, dass in Deutschland ein Bedarf existierte, und dann trat Herr Raschek wieder auf den Plan und machte daraus eine reguläre Veröffentlichung.



Damals hörte ich unentwegt Musik, geradezu unglaubliche Mengen von Schallplatten. Der authentische Blues des Labels DELMARK und die Rhythm & Blues-Platten von Chuck Berry und Muddy Waters auf dem Label CHESS waren eine wertvolle und logische Erweiterung meiner Jazz-Begeisterung. Auch die berühmten Capitol-Sessions von Miles Davis und Aufnahmen von Stan Kenton und Frank Sinatra gehörten dazu. Aber die allermeiste Musik, die ich hören musste, entsprach nicht meinen bisherigen Vorlieben. Die Bandbreite reichte von Klassik und Filmmusik über Folk, Chanson, Blues und Gospel bis zur gerade aufkommenden Rockmusik. Mein musikalischer Horizont wurde explosionsartig erweitert. In jeder Minute meiner Freizeit hörte ich Musik und fasste das zu keinem Zeitpunkt als Arbeit auf. Auf diese Weise entdeckte ich die Welt des Flamenco, den frühen Bossa Nova aus Brasilien, argentinischen Tango, indische Raga-Musik von Ravi Shankar, und auch elisabethanische Musik aus England weckte mein Interesse.

Daneben ging ich ständig in Konzerte. Willkommener Nebeneffekt meines Jobs war, dass ich sie jetzt offiziell und auf Firmenkosten besuchen konnte. Das größte Festival seiner Art waren die Essener Jazztage. Ich machte die Bekanntschaft von Ulrich Zimmermann, einem gelernten Fotografen, der bei ELECTROLA die Hüllen gestaltete. Mit ihm teilte ich meine Begeisterung für Jazz und Fotografie. Unsere lebenslange Freundschaft nahm ihren Anfang in langen Nächten im Kölner »Kintop Saloon« (in dem die ersten Avantgardisten um Manfred Schoof zu hören waren) und gemeinsamen Festivalbesuchen. Im April 1960, ich war gerade drei Monate im Dienst, erlebten wir in Essen an einem Abend mit 8.000 begeisterten Zuschauern mehrere grandiose Auftritte. Den Auftakt machte das Michael Naura Quintett, gefolgt von einer Allstar-Besetzung mit Coleman Hawkins, Bud Powell, Oscar Pettiford und Kenny Clarke, dem schloss sich der erste Europaauftritt des Dave Brubeck Quartet an, und zum Schluss kam die Quincy Jones Big Band.

Wie eine ganze Reihe amerikanischer Jazzmusiker lebte der Bassist Oscar Pettiford damals in Kopenhagen, wo er wenige Monate nach seinem Essener Auftritt vom Fahrrad stürzte und starb. Das Konzert war zum Glück aufgenommen worden, bei PHILIPS konnte ich es später veröffentlichen. Für Pettiford sollten dies die letzten Aufnahmen seines Lebens sein. Die Essener Jazztage zogen später um und wurden zum Jazz Fest Berlin. Es ist bis heute eines der wichtigsten deutschen Jazzfestivals, auch wenn sein größter Saal nicht mehr die Philharmonie mit 2.400 Plätzen ist, sondern das Haus der Berliner Festspiele mit 800 Plätzen. Die Zeiten haben sich geändert.

Ich wurde im wahrsten Sinn des Wortes ganz Ohr und habe in dieser Zeit leider kaum einmal ein Buch in die Hand genommen. Eine Woche im Monat gehörte dem Dienst in der Zentrale in Köln und der Auswahl der zu importierenden Platten. Diese verstaute ich dann in Kisten bis unter die Decke meines VW-Käfers, dessen Beifahrer- und Rücksitz ausgebaut waren. Den Rest des Monats war ich in ganz Norddeutschland unterwegs, um diese Musik in den größeren Schallplattenläden anzubieten und gleich auszuliefern. Die Schallplatten hatten ihr Gewicht, es war ein Knochenjob. Aber er war erfolgreich und machte viel Spaß. Denn außerdem besuchte ich abends noch Jazzclubs, um meine Schätze vorzuspielen. Am nächsten Tag konnte ich die lokalen Händler gleich mit den so beworbenen Platten beliefern. Das hat sehr zu meiner Beliebtheit beigetragen, denn welcher Vertreter der Konkurrenz sorgte schon selbst für die Promotion?

Mit meinem Dienstwagen fuhr ich an den Wochenenden regelmäßig nach Hamburg, um auf der Reeperbahn im »Trichter« englische Bands wie Ken Colyer und Humphrey Lyttelton zu hören oder im »Barett« moderne Gruppen wie das Michael Naura Quintett mit Wolfgang Schlüter am Vibraphon. Meine Firma bezahlte mir ein Abo des amerikanischen Jazzmagazins »DownBeat«, so war ich über die wichtigsten Entwicklungen in Jazz und Blues ebenso im Bild wie über alles, was auf dem US-Markt geschah. Diesem Umstand verdankte ich meinen nächsten Job.

1958 war Porgy and Bess von Miles Davis und Gil Evans bei COLUMBIA in den USA erschienen. Mit anderer Hülle wurde das Album vom internationalen Lizenznehmer PHILIPS auch in Europa veröffentlicht und entwickelte sich zum ersten größeren Erfolg einer Jazz-Langspielplatte in Deutschland. Ende 1961 betrat ich das Musikhaus Mewes in Braunschweig, um die Einkäuferin zu besuchen, da sah ich, dass sie bereits Vertreterbesuch hatte. Ich war schon fast wieder zur Tür hinaus, als sie mich zu sich rief: Ein Kunde wollte die neue LP von Miles Davis bestellen, die in den USA angeblich schon erschienen war. Der für Miles Davis zuständige Philips-Vertreter behauptete nun, das könne nicht sein, über eine so wichtige Neuerscheinung hätte ihn seine Zentrale informiert. Nun hatte ich dank »DownBeat« einen Wissensvorsprung und erklärte dem Kollegen, dass es in der Tat ein neues Album von Miles Davis mit Gil Evans gebe, es heiße Sketches of Spain. Der Philips-Mann war keineswegs amüsiert. Der Vorfall fand offenbar Niederschlag in seinem Wochenbericht an die Zentrale in Hamburg, denn noch im Dezember erhielt ich von dort eine Einladung zu einem Gespräch.