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Anmerkungen

1 Mehrere Teile dieses Buchs greifen zurück auf Flassbeck und Lapavitsas 2013 und Lapavitsas 2014.

2 Für eine Analyse der Ursachen der Krise der Eurozone und die Bandbreite der verfügbaren politischen Optionen bei ihrem Ausbruch vgl. Lapavitsas et al. 2012. Für eine weitere Erörterung der Krisenursachen, eine Untersuchung der von der EU eingeschlagenen katastrophalen Politik und die langsame Verschiebung der Krise hin zum Kern der Eurozone vgl. Flassbeck und Lapavitsas 2013.

3 Vgl. Flassbeck und Lapavitsas 2013.

4 Vgl. UNCTAD, TDR 2010.

5 Dennoch stützt sich ein Großteil der wissenschaftlichen Literatur immer noch in der einen oder anderen Weise auf die Theorie optimaler Währungsräume oder auf das sogenannte »währungspolitische Trilemma« offener Ökonomien, das heißt ihre Unfähigkeit, gleichzeitig Wechselkursstabilität, freien Kapitalfluss und währungspolitische Autonomie zu erreichen. In einem System flottierender Wechselkurse ist das Trilemma ein Dilemma, vgl. Flassbeck 2010.

6 Lohnstückkosten definiert als Bruttoeinkommen pro Kopf der abhängig Beschäftigten in ECU/Euro geteilt durch das reale Bruttoinlandprodukt aller Beschäftigten

7 Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, zwölf Länder: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande,Österreich, Portugal, Spanien Quelle: AMECO-Datenbank (per Nov. 12); eigene Berechnungen

8 Vgl. Flassbeck 2001.

9 Definiert als die gesamte nominale Bezahlung abhängig Beschäftigter, geteilt durch die Arbeitsstunden der abhängig Beschäftigten, mal die Anzahl der abhängig Beschäftigten

10 Definiert als das nominale BIP, geteilt durch die Arbeitsstunden der gesamten beschäftigten Personen, mal die Anzahl der beschäftigten Personen

Die Zahlen der Arbeitsstunden aller Beschäftigten und der abhängig Beschäftigten für 2012 sind Prognosen auf der Basis von Destatis- und AMECO-Daten

Quelle: AMECO-Datenbank (per Nov. 12); Eurostat; eigene Berechnungen

11 Die »Doktrin« wurde etwa unzweideutig in OECD 1994 ausgebreitet.

12 Spiecker und Flassbeck 2005, S. 11; Flassbeck 1997.

13 Lohnstückkosten definiert als Bruttoeinkommen pro Kopf der abhängig Beschäftigten in ECU/Euro, geteilt durch das reale BIP aller Beschäftigten

Quelle: AMECO-Datenbank; eigene Berechnungen

14 Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, zwölf Länder: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande,

Österreich, Portugal, Spanien

15 Vgl. Lapavitsas et al. 2012, Teil I.

16 Vgl. zum Beispiel Gabrisch und Staehr 2014.

17 Gabrisch und Staehr 2014. S. 22.

18 Vergleich besonders das berühmte Kapitel 19 von Keynes 2009.

19 Für eine weitgehende Analyse dieses Punktes siehe UNCTAD, TDR 2012, und Flassbeck 2013.

20 Siehe Koo 2008.

21 Vgl. Europäische Kommission 2013a.

22 Vgl. Europäische Kommission 2013b.

23 Vgl. Europäische Kommission 2014a.

24 Vgl. ebd., S. 93.

25 Vgl. Merkel 2013 und Schäuble 2011.

26 Vgl. Krugman 2013a.

27 Vgl. Krugman 2013b.

28 Krugman 1992, S. 5.

29 Vgl. Schäuble 2011.

30 Vgl. Keynes 2009, S. 177.

31 Keynes 1931, S. 129.

32 Vgl. Schäuble 2011.

33 Alle Zahlen sind von den Autoren aus Daten berechnet, die das griechische Statistikamt auf seinem Portal bereitstellt, siehe http://statistics.gr/portal/page/portal/ESYE.

34 Vor allem Journalisten trugen zur Aufdeckung dieser Zustände bei, vgl. Geddes 2012 und Politaki 2013.

35 Wenn auch ihre Erklärung dafür, es mangele an »institutionellenVeränderungen«, sowohl in analytischer als auch in ökonomischer Hinsicht schwach ist; vgl. Böwer, Michou und Ungerer 2014.

36 Vgl. O’Neill und Terzi 2014, die feststellen, dass EU-Länder, besonders diejenigen in der Währungsunion, immer weniger Handel untereinander treiben, während sie ihre Exportabhängigkeit von anderen Märkten steigern.

37 Für eine weitergehenden Analyse der Finanzialisierung Vgl. Lapavitsas 2013.

38 Der Schuldendienst umfasst Rück- und Zinszahlungen, vgl. Ministry of Finance of Greece 2014.

39 Vgl. Lapavitsas und Muneyar 2014.

40 Vgl. ebd.

41 Die hier folgende Analyse stützt sich stark auf Lapavitsas und Munevar 2014.

42 Vgl. Antonopoulos 2014.

43 Angesichts der zerstörerischen Auswirkungen einer hohen Besteuerung auf die griechische Wirtschaft, wie oben gezeigt, würde eine Linksregierung gut daran tun, mit Vorschlägen für Steuererhöhungen vorsichtig umzugehen, besonders wenn dahinter die Vorstellung steckt, dass Steuererhöhungen eine Lösung für die Krise sein können. Eine so niedergedrückte Wirtschaft wie die griechische braucht eine Erleichterung, keine Erhöhung der Steuerlast.

44 Vgl. IMF 2013.

45 Vgl. Artavanis, N., Morse, A. und Tsoutsoura, M. 2012.

46 Zahlen von den Autoren geschätzt nach Angaben des ECB Statistical Data Warehouse.

47 Vgl. Bank of Greece 2012.

48 Vgl. Hellenic Financial Stability Fund 2013.

49 Zahlen von den Autoren geschätzt nach Angaben des ECB Statistical Data Warehouse. Vgl. auch die Zahlen der Weltbank unter: http://data.worldbank.org/indicator/FB.AST.NPER.ZS.

50 Zahlen von den Autoren geschätzt nach Angaben des ECB Statistical Data Warehouse.

51 Zahlen geschätzt nach Angaben des ECB Statistical Data Warehouse.

52 OECD 2014, S. 4.

53 Vgl. International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies 2013.

54 Schätzungen nach Daten der Weltbank, unter: http://data.worldbank.org/country/greece.

55 Vgl. UNICEF 2014.

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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-586-9

1. Auflage 2015

Umschlaggestaltung: Max David, Westend Verlag

Satz: Publikations Atelier, Dreieich

Heiner Flassbeck & Costas Lapavitsas

Nur Deutschland kann den Euro retten

Der letzte Akt beginnt

Vorbemerkung von Oskar Lafontaine
Vorwort von Paul Mason
Nachwort von Alberto Garzón Espinoza

Heiner Flassbeck arbeitete von 2000 bis 2012 bei den Vereinten Nationen in Genf und war dort als Direktor zuständig für Globalisierung und Entwicklung. Zuvor war er Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen. 2005 wurde Flassbeck von der Hamburger Universität zum Honorar-Professor für Wirtschaft und Politik ernannt. 2012 ist sein Blog flassbeck-economics.de mit täglichen Analysen und Kommentaren zu Wirtschaft und Politik online gegangen.

Costas Lapavitsas ist Professor der Volkswirtschaft an der Universität London. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kapitalwirtschaft, Politische Ökonomie und der volkswirtschaftlichen (Ideen-)Geschichte. In den vergangenen Jahren galt sein wissenschaftliches Interesse verstärkt den finanziellen Implikationen der Euro-Krise. 2013 erschien sein Buch »Profit ohne Produktion« (engl. »Profiting without Producing«, Verso), das international große Anerkennung erlangte.

Ebook Edition

Inhalt

Vorbemerkung

Vorwort

I. Die Europäische Währungsunion rutscht tiefer in die Krise

II. Die theoretische Begründung für die Währungsunion

II. Deutschland als Auslöser der Eurozonenkrise

IV. Das Dilemma der Strom- und Bestandswerte in der EWU

V. Die europäische und globale Unfähigkeit, mit externen Ungleichgewichten umzugehen

VI. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion steuert auf ein Desaster zu

VII. Was kann und was sollte die Linke tun?

VIII. Einen konfrontativen Austritt aus der Währungsunion bewältigen

IX. Die Demontage der Währungsunion

X. Die griechische Katastrophe

XI. Ein alternativer Weg für Griechenland

XII. Ein Hoffungsschimmer für Griechenland und Europa

Nachwort: Eine Gelegenheit für Europa

Bibliografie

Vorbemerkung

Oskar Lafontaine, ehemaliger Vorsitzender der SPD und der Partei Die Linke

Europa befindet sich Anfang 2015 in einer kritischen Phase seiner Entwicklung. Angesichts einer anhaltenden Rezession, einer schwindelerregend hohen Arbeitslosigkeit und einer politischen Führung, die unfähig ist, auf die komplexen Fragen der langwährenden Krise der Europäischen Währungsunion Antworten zu geben, beginnt die Idee eines friedlich vereinten europäischen Kontinents zu verblassen.

Für jemanden wie mich, der in einer Kleinstadt ganz nahe an der französischen Grenze aufgewachsen ist und in einem starken paneuropäischen Geist erzogen wurde, ist die Vision eines vereinten Europa, das durch allmähliche Angleichung der Lebensstandards, die Vertiefung der Demokratie und das Aufblühen einer wahrhaft europäischen Kultur zusammenwächst, seit vielen Jahrzehnten ein politischer Leitstern.

Heute, angesichts einer nicht enden wollenden Krise der europäischen Institutionen und der Not, die Millionen unschuldiger Menschen in ganz Europa aufgezwungen wird, ist es zutiefst besorgniserregend, den Aufschwung rechtsextremistischen Gedankenguts zu beobachten, Vorstellungen, von denen wir glaubten, dass sie unwiderruflich abgewirtschaftet hätten. Ein ausdrücklich gegen die Idee eines vereinten Europa gerichteter Nationalismus gewinnt im Norden wie im Süden an Boden.

Die Gründe dieser traurigen Entwicklung legen in diesem Buch die Ökonomen Heiner Flassbeck und Costa Lapavitsas, beide mit ausgiebiger internationaler Erfahrung in Forschung und Politik – der eine aus dem Norden, der andere aus dem Süden –, meisterhaft dar. Sie führen deutlich vor Augen, dass die von Deutschland seit Beginn der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion verfolgte merkantilistische und deflationäre Politik für den tiefen Bruch verantwortlich gemacht werden muss, der gegenwärtig Europa bedroht. Noch beunruhigender ist, dass im Gefolge der globalen Krise von 2007 bis 2009 ein Gläubigerland wie Deutschland enorme Macht gewonnen, diese aber schlecht eingesetzt hat. Sparpolitik und Lohnkürzungen, die den Schuldnerländern aufgezwungen werden, haben in ganz Südeuropa und insbesondere in Griechenland eine große Rezession ausgelöst und die Idee eines gemeinsamen »europäischen Projekts« ausgelöscht. Es ist gerade im Lichte dieser Erfahrungen schlicht unerträglich für demokratisch gewählte Regierungen in Paris, Rom oder Athen, sich weiterhin die Richtung ihrer Wirtschaftspolitik von Berlin diktieren zu lassen.

Angesichts des deutschen Widerstandes gegen jede Änderung des Kurses, sowie der nationalistischen Gefahren, die diese Haltung in noch weiteren europäischen Ländern anstacheln dürften, dürfen die Warnung von Flassbeck und Lapavitsas nicht ignoriert werden. Manchmal ist es notwendig, einen Schritt rückwärts zu gehen, wenn Fortschritt erzielt werden soll. Die Europäische Währungsunion, als Krönung der europäischen Integration entworfen, sollte nicht zu ihrem Grabstein werden. Wenn Länder dem Sparzwang und den anderen Anpassungsbedingungen nicht nachkommen können, ohne ihre Demokratie und ihren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden, muss ihnen ein Ausweg aus der Zwangsjacke der Währungsunion geöffnet und ermöglicht werden, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Wenn die Europäische Union unfähig ist, den Ländern in wahrhaft kollegialer und verbindender Weise beizustehen, sollte sie daran gehen, die lebensunfähige Währungsunion aufzulösen und so ein frisches Fundament für einen glaubwürdigeren Integrationsprozess legen.

Vorwort

Paul Mason
Wirtschaftsredakteur beim britischen TV-Sender Channel 4 und Autor von Postcapitalism. A Guide to Our Future, London 2015 (im Druck)

Die OECD selbst wird es nicht so offen sagen, aber die Projektionen ihrer Ökonomen von 2014 für ihren Wirtschaftsausblick der kommenden 50 Jahre verheißen nichts Gutes: Für die Industrieländer sind die besten Jahre des Kapitalismus vorbei. Die langfristigen Wachstumsraten dürften gering bleiben – aufgrund niedriger Produktivität, einem hohen Anteil alter Menschen im Verhältnis zu jungen Beschäftigten und einem überhandnehmenden Schuldenproblem, das wiederum nach stärkerer Lohnmäßigung und Einschlägen in den Wohlfahrtsstaat verlangt.

Der unmittelbaren Zukunft beschert die Krise ein Überangebot von Arbeitskräften und Kapital und eine Knappheit an Profiten, Lohnzuwachs, Inflation und Wirtschaftswachstum. Und das ändert das makroökonomische Spiel. In der gesamten neoliberalen Ära gründete die volkswirtschaftliche Strategie auf der Annahme, dass die globale Wirtschaft nur Sieger kenne, ein Gewinnspiel für alle, das am besten durch Zusammenarbeit klappt.

Doch im siebten Jahr der Sparpolitik nach der Lehman-Pleite gilt das nicht mehr. Die Rezession hat sich für die Industrieländer in eine zählebige Stagnation verwandelt; und da sich jeder der BRIC-Staaten – sprich die aufstrebenden Volkswirtschaften Brasilien, Russland, Indien und China – nun einer Strukturkrise gegenübersieht, ist es für Politiker an der Zeit, den wirtschaftlichen Horizont der kommenden 50 Jahre einmal genauer zu betrachten und umzudenken.

Wenn das Wachstum schwindet, wird es für jeden Staat zum obersten Gebot, sich einen ordentlichen Anteil daran zu sichern – und, wo möglich, mehr als das.

Und das ist es praktisch, was drei der vier großen Spieler der Weltwirtschaft in Angriff genommen haben: Die Vereinigten Staaten haben durch ihr Haushaltsdefizit, die Bankenrettungen und die expansive Geldpolitik ihrer Zentralbank einen Großteil des im Westen verfügbaren Wachstums auf sich gezogen, während Japan und China nun in einem unerklärten Währungskrieg festsitzen, in dem jede Seite mittels lockerer Geldpolitik ihr Wachstum zu bewahren sucht.

Nur Europa weigert sich, am Wettstreit teilzunehmen. Seine nationalen Eliten und die supranationale Elite in den Institutionen der Europäischen Union können nur die ausgeleierten Schlagwörter nachbeten, die den Kontinent in die Stagnation geführt haben.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat beharrlich verspätet und konservativ agiert, wo es um den Einsatz der Geldpolitik zur Linderung der Stagnationskrise ging. Erst 2012 hat sie, mit einer existenzbedrohenden Krise an den Anleihemärkten konfrontiert, damit begonnen, unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen. Selbst jetzt noch, wo dieses Buch erscheint, ist nicht klar, ob sie sich zu einer umfänglichen geldpolitischen Lockerung wird durchringen können.

Bei der Fiskalpolitik sitzt der ganze Kontinent – auf Geheiß Deutschlands – in einer abträglichen und unnötigen Austerität gefangen: Von der Politik verursachte Wachstumsschmälerungen von zwei oder drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts selbst noch der gesündesten Volkswirtschaften werden – unseren Enkelkindern – wie Wahnsinn anmuten. Uns droht ein Jahrhundert des wirtschaftlichen Stillstands, also erzwingen wir noch ein bisschen mehr Stagnation, um Regeln gerecht zu werden, die für eine frühere Ära entworfen wurden.

Der Wasserstandsanzeiger der politischen Untüchtigkeit ist die Politikverdrossenheit, und die ist offenkundig. Die Parteiensysteme in Japan, China und sogar – trotz aller Unkenrufe – in USA bleiben zwar intakt. Doch in vielen europäischen Ländern gibt es jetzt eine erzkonservative bis rechtsextrem-nationalistische Opposition mit zweistelligen Stimmanteilen: UKIP, die Partei für ein unabhängiges Großbritannien, der Front National in Frankreich, die Schwedendemokraten. In Spanien und Griechenland sind fast aus dem Nichts heraus linksradikale Parteien aufgetaucht, mit einer echten Chance, die nächsten Wahlen zu gewinnen.

Angesichts von Massenarbeitslosigkeit und der neu erwachsenen Bedrohung durch Parteien von den äußeren Rändern ist die Selbstgefälligkeit der europäischen Elite verblüffend. Sie war innerhalb des Neoliberalismus immer der verlegen dreinschauende Schwächling: Die Europäische Union war das einzige Projekt einer freien Marktwirtschaft, das sich einen kostspieligen Wohlfahrtsstaat und einen offen mit seiner Arbeitnehmerschaft eingegangenen Gesellschaftsvertrag aufhalste. Die Union glaubte an den Neoliberalismus mehr, als sie ihm frönen konnte.

Während sich also der amerikanische Präsident ein erfolgreiches Tauziehen nach dem anderen mit dem Kongress liefern kann, um die »Fiskalklippe« drohender Zahlungsunfähigkeit zu umschiffen, bleibt die Europäische Union bei ihren eigenen Regeln und ihrer eigenen zerschlissenen Ideologie, und als Folge davon hocken Millionen junger Menschen arbeitslos daheim, liegen ihren Eltern auf der Tasche oder verlieren ihre Zeit mit irgendwelchen »Mistjobs«, die einen kargen Lohn und einen noch kärgeren Nutzen abwerfen.

Konservative Parteien, deren Massenbasis die Mittelklasse ist, die Finanzelite und nun das große Heer der Bediensteten, das die Blasenwelt der superreichen Rentiers bevölkert, können solche politischen Krisen überleben. Für Mitte-links-Parteien sieht es anders aus. Selbstzufriedenheit hat sich bei ihnen als selbstmörderisch erwiesen.

PASOK, die Panhellenistische Sozialistische Bewegung in Griechenland, würde sich eher selbst abschaffen als die Arbeiter- und Mittelklasse vor der Sparpolitik zu schützen. Die Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) musste mit ansehen, wie sie von einer rivalisierenden, dynamischen Linkspartei ins Abseits geschoben wurde. In Schottland sieht die Labour Party ihrer Auslöschung entgegen, nachdem sie sich mit letzter Kraft für die Einheit mit England in die Bresche geworfen hat, während Heerscharen junger Leute und Arbeiter für Unabhängigkeit auf Basis einer Plattform für soziale Gerechtigkeit eintraten.

Es ist eine blasse, untalentierte, übervorsichtige Generation von Sozialdemokraten, die heute das Heft in der Hand hält. Sie spricht nicht mehr die Sprache ihrer eigenen traditionellen Anhängerschaft, der Arbeiterklasse, noch jene der vernetzten jungen Leute, die 2012 auf die Straßen strömten. Und das, weil sie keine Alternative zur Austerität erkennen kann.

In diesem Buch präsentieren die Autoren Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas eine Alternative: einen kontrollierten Austritt aus dem Euro und eine Rückkehr zu national souveränen Zentralbanken. Sie argumentieren, dass die politische Union und eine »Transferunion«, in der Steuern und Ausgaben zusammengelegt werden, innerhalb der Europäischen Union unmöglich sind, und dass jedes Projekt sozialer Gerechtigkeit unweigerlich mit den europäischen Institutionen in Konflikt geraten muss.

Jenen, die im Gegenteil noch glauben, Europa ließe sich reformieren, um soziale Gerechtigkeit, Wirtschaftswachstum und eine umfassende Wohlfahrt der Gesellschaften zu schaffen, erweisen die Autoren den wertvollen Dienst, auszubuchstabieren, was dies bedeuten würde: die Niederlage nicht nur der tonangebenden konservativen Parteien, sondern auch ihrer rechtsgerichteten nationalistischen Herausforderer; die völlige Umkrempelung der europäischen Sozialdemokratie, die zu einer unorthodoxen, expansiven Finanz- und Wirtschaftspolitik übergehen müsste; den Triumph der bislang noch unerprobten neuen Linksparteien.

Die Jahre 2015 und 2016 werden von entscheidender Bedeutung sein: Was in Großbritannien, Griechenland, Spanien und schließlich in Frankreich geschieht, wird darüber entscheiden, ob Europa unter dem kombinierten Druck der neuen Rechten und unorthodoxen Linken auseinanderbrechen wird. Sollte es überleben, werden die allermeisten Verfechter der aktuell herrschenden Politik, die das wollen, dafür sorgen, dass dieses Überleben gleichbedeutend mit Stagnation, Sparpolitik und gesellschaftlichem Zerfall sein wird.

Das Überleben Europas als Projekt zur Schaffung sozialer Gerechtigkeit, einer nachhaltigen und gerechten Entwicklung und demokratischer Werte ist heute ernstlich bedroht, während sich die neoliberalen Eliten des Kontinents selbstvergessen in den modernen Versailles scharen: Davos, die Yachthäfen, die geschützten Wohnsitze …

Diejenigen, die ein Europa mit expansiver Fiskal- und einer mutigen, unorthodoxen Geldpolitik wollen, ein Europa, das beherzt mit dem Rest der Welt um Wirtschaftswachstum, Menschen und High-Tech-Kompetenz konkurriert, müssen sich fragen: Was, wenn es nicht dazu kommt? Die Autoren dieses Buches erläutern die logischen Schlussfolgerungen: Austritt, Auseinanderbrechen und Rekonstitution sozialer Gerechtigkeitsprojekte innerhalb der Nationalstaaten und kleinerer Allianzen von Nationalstaaten.

Niemand will eine Rückkehr in die 1930er Jahre; doch wenn, wie ich vermute, die Konkurrenzphase um den Austritt aus der Krise von 2008 begonnen hat, dann ist die Lehre aus den 1930er Jahren, dass die Nachzügler auch die Verlierer sein werden. Europa hatte sieben Jahre Zeit, um die Lehman-Krise mithilfe der alten Regeln und Methoden zu überwinden, und ist daran gescheitert. Es muss sich nun entweder vereinigen und im Wettbewerb behaupten oder auseinanderbrechen. Seine eigene Bevölkerung wird diese Kombination von wirtschaftlicher Stagnation und politischer Kraftlosigkeit nicht mehr viel länger dulden.

I. Die Europäische Währungsunion rutscht tiefer in die Krise1

Europa erlebt seit der großen Finanzkrise, die 2007 begann, turbulente Zeiten, und die Krise ist beileibe noch nicht vorbei. Der Kontinent, Deutschland eingeschlossen, wurde von globaler Kreditkontraktion und einem schrumpfenden Welthandel arg gebeutelt. Die eigentliche Krise Europas begann jedoch danach, in den Jahren 2009 und 2010, als die Bankenrettung und die Rezession die staatlichen Defizite aufblähte und die Kapitalmärkte Euroland in gewaltige Turbulenzen stürzten.

In der Anfangsphase schlug die Krise der Eurozone besonders heftig in den Peripherieländern zu, vor allem in Griechenland, Portugal, Spanien und Irland. Diese Länder wurden praktisch von den globalen Finanzmärkten abgeschnitten und schlitterten in eine tiefe Rezession. Griechenland war das erste betroffene Land und zollte, wie sich bald herausstellte, auch den schwersten Tribut. Noch 2010 sahen viele Beobachter die Turbulenzen in erster Linie als Krise Griechenlands, vor allem aufgrund des Ausmaßes seiner Staatsverschuldung und seiner Leistungsbilanzdefizite. Und in der Tat, Griechenland leidet an besonders gravierenden Problemen, die in den letzten Kapiteln dieser Studie eingehend erörtert werden. Fünf Jahre später ist jedoch unbestreitbar, dass im Kern in der Europäischen Währungsunion ein weit tieferer Konflikt gärt: der zwischen Deutschland und seinen großen Nachbarn. Weil Frankreich und Italien in einer Überbewertung ihrer realen Wechselkurse gefangen sind – was, wie wir im Detail zeigen, einen Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit aufgrund des deutschen Lohndumpings widerspiegelt –, sind die Aussichten für das Überleben der Europäischen Währungsunion und der Europäischen Union zugleich düster.

Wie die EU-Behörden auf die Krise reagierten, sagt viel über das Wesen der Europäischen Union selbst aus. Nach einer anfänglichen Phase der Verwirrung, in der die Schuld direkt bei der hohen Staatsverschuldung der Peripherieländer gesucht wurde (mit besonders großer Gehässigkeit gegen Griechenland), wurde klar, dass der Kern der Währungsunion selbst in Gefahr war. Nach und nach wurde eine politische Reaktion in Form von »Rettungsmaßnahmen« formuliert, die sich an den Interventionen des Internationalen Währungsfonds (IWF) früherer Jahre auf der ganzen Welt sowie an der neoliberalen Wirtschaftslehre orientierte, die das Denken in der Europäischen Union beherrscht. Die Reaktion hatte fünf grundlegende Komponenten:

  1. Die Banken erhielten Liquidität von der Europäischen Zentralbank, um einen Bankenkollaps zu verhindern.
  2. Die Peripheriestaaten erhielten Notkredite, um ihren Bankrott zu verhindern, aber auch, um sicherzustellen, dass einzelne Länder in der Lage blieben, Kapital in ihre nationalen Bankensysteme zu schießen.
  3. Den Peripherieländern wurde eine Sparpolitik aufgezwungen, um ihre öffentlichen Finanzen zu stabilisieren und ihre Staatsverschuldung zu senken.
  4. Deregulierung und Privatisierung wurden angeregt, um die Löhne zu senken (»die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern«) und privates Kapital zu mobilisieren in der Hoffnung, so das Wirtschaftswachstum zu stimulieren.
  5. Strenge Regeln wurden in den EU-Verträgen verankert, um Haushaltsdisziplin sicherzustellen. Einige kleinere Schritte wurden in Richtung einer Bankenunion unternommen.

Im Lauf der Zeit hat sich gezeigt, dass die Reaktion der EU eine durchgreifende konservative Restrukturierung der Europäischen Währungsunion und die Konsolidierung zutiefst problematischer Wirtschafts- und Machtbeziehungen in Europa bewirkt hat. Dennoch wurde die Beseitigung des fundamentalen Mangels der Währungsunion im Herzen der europäischen Krise, nämlich die in hohem Maß durch die deutsche Politik der Lohnmoderation verursachte Divergenz der Lohnstückkosten, weder wirkungsvoll noch gerecht in Angriff genommen. Die Last der Anpassung wurde weitgehend zuerst auf die Peripherieländer und zunehmend auf die Defizitländer des Kerns der Eurogruppe verschoben. 2014 befanden sich Frankreich und Italien, die sich beide weitgehend an die Regeln hielten und aufgrund der deflationären deutschen Politik an Wettbewerbsfähigkeit einbüßten, in einer außerordentlich schwierigen Lage.

Der auf die Kernländer ausgeübte Spardruck war dort zwar nie so hart wie bei den Peripherieländern, allerdings reichte er aus, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu schwächen und die Einkommen zu drücken, was die Wirtschaftsleistung schmälerte. Mit einer weniger strengen Sparpolitik, einer »Austerität light«, kann es jedoch nicht gelingen, den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit wettzumachen, daher blieb die Wirtschaftsleistung beider Länder kläglich, und sie verloren gegenüber Deutschland weiter an Boden. Aber gleichzeitig wäre das Durchsetzen einer Sparpolitik im Ausmaß der Peripherieländer ein beängstigender Ausblick sowohl für Frankreich wie für Italien. Weitere Austerität und Lohnkürzungen würden zu einer noch tieferen Rezession der gesamten Eurozone führen. Das aber würde den Parteien der extremen Rechten neuen Aufwind geben. Kurz, der Kern der Eurozone steckt in einer Sackgasse von historischen Ausmaßen 2.

Deutschland wurde durch die Krise der Eurozone gestärkt, es wurde zum dominanten Exportland und wichtigstem Kapitalgeber des Kontinents. Es hat Frankreich in den Schatten gestellt und verfügt in der EU nun über eine beispiellose politische Macht. Doch Deutschlands gegenwärtig so mächtige Position steht auf tönernen Füßen. Die Politik der systematischen Deckelung von Lohnzuwächsen hat dem Land innerhalb der Währungsunion einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil verschafft, weil die Abwertung von Währungen nicht mehr möglich war. Die Lohnzurückhaltung hat aber auch zu einer dauerhaft niedrigen Inlandsnachfrage geführt. Deutschland hat sich dadurch in eine riesige Exportmaschine verwandelt, die Nachfrage von der ganzen Welt absaugt, während seine Binnenwirtschaft sehr schwach läuft. Das ist eine sehr dünne Wachstumsgrundlage, wie sich an der schwachen Wirtschaftsleistung Deutschlands zwischen 2011 und 2014 gezeigt hat.

Mehr noch, durch die »Strukturreformen« hat sich die Europäische Währungsunion in einen Mechanismus zur Förderung von Rezession, hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Wachstumsraten in ganz Europa verwandelt. Das Diktat der Troika schmälerte die nationale Souveränität der Mitgliedsländer der EWU und untergrub die Demokratie. Deutschland dominiert die EU, aber die von Deutschland verordnete Politik und die neuen institutionellen Strukturen haben den Geist des »vereinten Europa« zerstört und in mehreren Ländern zu heftigen sozialen und politischen Spannungen geführt. Heute ist die Union wahrscheinlich schwächer als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt ihrer Geschichte.