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Michael Schmitz

Teamcoaching

Grundlagen, Anleitungen, Fallbeispiele

Über den Autor

Dr. Michael Schmitz coacht seit vielen Jahren – vornehmlich Führungskräfte, einzeln und in Teams. Studium in Chicago, Harvard und Wien. Er unterrichtet als Professor für Psychologie und Management an der Lauder Business School und hat mehrere Bücher und zahlreiche Artikel für Magazine, Zeitschriften und Zeitungen verfasst.

E-Mail: coaching@schmitz.at

Impressum

Dieses Buch ist auch als Printausgabe erhältlich:

ISBN 978-3-407-36605-4


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© 2015 Beltz Verlag • Weinheim und Basel

www.beltz.de

Lektorat: Dr. Erik Zyber

Herstellung: Lelia Rehm

Umschlaggestaltung: Lelia Rehm

Umschlagabbildung: © iStock, Owen JC Smith

ISBN 978-3-407-29405-0

Inhaltsverzeichnis

Was ist funktionelles Teamcoaching?

Schluss mit der Heldenverehrung

Leute, Gruppen, Teams – Was ist der Unterschied?

Im Team oder als Team

Teamgröße: Wie viel ist genug?

Aufstellungen, Abläufe, Prozesse

Meetings

Teams, die sich selbst steuern

Wechselnde Führung

Teamentwicklung

Rollen in Teams

Rollen durch Aufgaben bestimmen

Coaching und Führung

Teamfitness

Übertragungsfallen

Mit Pep

Effektive Teams

Proaktives Verhalten – erwünscht oder unerwünscht?

Wissen, was abgeht

Dysfunktionalitäten aufdecken

Zunehmende Komplexität fordert Teams

Mehr Chancen für jeden Einzelnen

Prozessverantwortung

Klärung der Aufgaben

Machtbedürfnisse

Lernen braucht Gemeinschaft

Teaming

Fallbeispiel »Durchstarter«

Gut starten

Realistische Ziele

Konsens – kein taugliches Prinzip

Uns durch Feedback verstehen

Vertrauen – mehr als Verlässlichkeit

Ein Wort zu »Tools«

Re-Teaming

Fallbeispiel »Gains«

Bestandsaufnahmen

Lösungsansätze

Einzelinterviews

Coach-Report für das Team

Verborgene Ressourcen heben

Merger & Aquisition: Aus zwei mach eins

Innovation fördern

Gute Kommunikation – Die Grundlage für Kooperation und Teamerfolg

Wir senden ständig Botschaften

Was ist wirklich Kommunikation?

Konfliktmanagement

Dynamik der Eskalation

Konflikte am Band – ein Beispiel aus der Arbeitswelt

Verstand und Gefühl

Bauchgefühle und Blähungen

Homo oeconomicus – Der Ritter von der traurigen Gestalt

Risikomanagement

Angst vor Fehlern

Gefühle können vereinnahmen

Wie wir Emotionen managen können

Emotionale Intelligenz – Golemans fauler Zauber

Gruppendenken

Willen stärken

Einflüsse

Tipps und Leitideen

Das Erfolgsprinzip

Zufrieden, aber nicht selbstzufrieden

Wie Erfolge zu managen sind

Trittbrettfahrer, Arschlöcher, Narzissten

Social Loafing

Arschlöcher loswerden

Die schlechten guten Vorbilder

Gesunde Teams

Gefragt ist Gesundheitsmanagement

Die Burnout-Falle

Belastungsquickcheck

So geht es nicht weiter

Diversity

Chancen und Herausforderungen

Vielfalt lernen

Krisenfest

Absturz aus dem Sternenhimmel

Krisenursachen

Mit Krisen rechnen

Krisenkommunikation

Krisenprophylaxe

Machtfaktoren

Wie Vorgesetzte ticken

Machtkämpfer

Die Macht, gebraucht zu werden

Topteams

Friktionen im Führungszirkel

Die Rolle des Vorsitzenden

Führung und Macht

Neue Konzepte mit alten Idealen

Kollektive Vernunft organisieren

Kollaboration und Widerstand

Leadership neu

Den Klinsmann machen

Literatur

Was ist funktionelles Teamcoaching?

Funktionelles Teamcoaching hilft Teams, optimal zusammenzuarbeiten, ihre Aufgaben effektiver und effizienter zu bewältigen und ambitionierte Ziele schneller zu erreichen. Funktionelles Coaching ist wirkungsvolles Coaching. Es stärkt die Funktionalität von Teams. Es ist zielorientiert, zweckmäßig, zugeschnitten auf die besonderen Funktionen, die ein Team zu erfüllen hat.

Funktionelles Coaching hilft Teams, ihre Leistung zu steigern und das Miteinander zu verbessern. Beides findet im Einklang statt. Fähigkeiten von Teammitgliedern werden so gefördert, dass die Einzelnen mit Freude und Engagement dabei sind und mit ihrem Beitrag das Team insgesamt voranbringen.

Funktionelles Training ist im Spitzensport internationaler Standard. Jürgen Klinsmann hat es als Nationaltrainer dem deutschen Fußball beigebracht und damit Training und Spielweise der Nationalmannschaft revolutioniert. Anfangs wurde er belächelt, kritisiert, angefeindet, bis der Erfolg ihm recht gegeben hat. Dann erst gaben die etablierten Funktionäre der etablierten Verbände und Vereine den Widerstand gegen ihn auf und begannen sich ernsthaft anzuschauen, was von funktionellem Training zu lernen, was dadurch zu gewinnen ist.

Funktionelles Training basiert auf einem ausgeklügelten Konzept. Es bezieht alles mit ein, was einem Team hilft, besser zu werden. Beispiel Fußball: Fußball ist Teamarbeit vor großem Publikum. Fußball ist mehr als Rennen, Kicken und Tore schießen. Es ist ein komplexer Sport mit feinsinnigen Spielsystemen, mit Strategie und Taktik, die sich mit jedem Gegner ändern und sogar während eines Spiels mehrfach variiert werden können, sofern es die Situation erfordert.

Kein einzelner Spieler kann allein erfolgreich sein. Individuelle Klasse wird zwar verlangt und ist schön anzuschauen. Doch wie sehr auch der eine oder andere als Individualkünstler auftrumpfen mag, letztlich zählt nur, was sie gemeinsam zustande bringen, was das Team als Team leistet.

Coaches schicken Spieler nicht mehr mit einfältigen Parolen auf den Platz. Früher glaubten sie, es reiche aus, ihnen zuzurufen: »Spielt schön«, oder sie zu mahnen, »sich den Arsch aufzureißen«. Das war vor gar nicht langer Zeit noch gang und gäbe. Selbst unter National- und Ligatrainern. Mit solcher Schlichtheit ist es nun vorbei. Die Entwicklung des Spiels ist über sie hinweggegangen.

Funktionelles Training entspricht den veränderten Anforderungen der Branche. Gute Spieler müssen denken, nicht nur mitdenken. Sie müssen verstehen, welche jeweilige Rolle sie spielen und wie sich verschiedene Teamrollen zusammenfügen zu einem stimmigen Konzept.

Gefordert ist die Einheit von Körper und Geist – vor allem, wenn Spieler »Hochleister« sein wollen. Dann trainieren sie mentale Stärke. Sie lernen, Druck auszuhalten, sich und das Geschehen um sie herum besser zu beobachten, gut zu kommunizieren. Sie müssen all ihre persönlichen Stärken einbringen und gleichzeitig ihr Ego bremsen, weil Egozentrik das Zusammenspiel stört und dem Teamerfolg schadet.

Spieler trainieren Kraft und Kondition völlig anders als noch vor wenigen Jahren. Sie müssen mehr und schneller laufen können. Sie müssen insgesamt fitter sein. Sie brauchen mehr Ausdauer, mehr Beweglichkeit und eine bessere Körperbeherrschung. »Core-Training« ist dafür entscheidend: die Entwicklung der Rumpfmuskulatur. Sie trainieren nicht mehr einzelne Muskeln, sondern Muskelketten, so wie sie in echten Spielbewegungen beansprucht werden. Sie trainieren die Koordination von Bewegungen, Balance und Stabilität. Zu ihrem Programm gehört »Life Kinetik«, ein Training, das Wahrnehmung und Bewegung verkoppelt. Damit trainieren sie nicht nur den Körper, sondern auch ihr Hirn. Sie entwickeln neue neuronale Verschaltungen, mit denen sie komplexe Aufgaben besser bewältigen können. Sie stärken ihre Merkfähigkeit, ihr Multitasking, ihre Konzentration und Kreativität.

Differenzielles Lernen ist angesagt. Dabei geht es um große Variationen in Bewegungen und Abläufen. Sture Wiederholungen schlichter Übungsreihen, früher selbstverständlich, finden bei Profis nicht mehr statt. Dem Ansatz liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es eine ideal reproduzierbare Bewegung im Sport unter Wettkampfbedingungen nicht gibt. Bewegungsabläufe sind ähnlich, und doch ist jede Bewegung etwas anders.

Durch die große Bewegungsvariation beim differenziellen Lernen kommt es häufiger zu Fehlern. Während es beim traditionellen Training darum ging, Fehler zu minimieren, werden sie mit der modernen Trainingsmethode geradezu provoziert. Denn Variation entspricht dem wirklichen Wettkampfgeschehen: In der Dynamik des Spiels stellen sich immer wieder andere Anforderungen an die Koordination. Ein klasse Spieler muss sie erfüllen, wenn er bedrängt wird und es darauf ankommt. Mit diesem Training erhöhen Spieler zugleich ihre Stressresistenz.

Als Jürgen Klinsmann einen Hockeytrainer einstellen wollte, schüttelten alle den Kopf. Alle Ignoranten, die von Hockey keine Ahnung haben und nicht ermessen, was Fußballer von Hockeyspielern lernen können – ein noch schnelleres Spiel, auf noch engerem Raum, eine andere Funktionalität der Spielerrollen, mit viel stärkerem Antrieb schon aus der Verteidigung. Ein solches »Crosstraining« wird auch in anderen Sportarten bevorzugt, weil damit funktionell spezifische Fähigkeiten aufgebaut werden, die aber auch woanders zur Geltung kommen können. Außerdem sorgt Crosstraining für Abwechslung und erhöht die körperliche und geistige Fitness.

Dieses Buch ist kein Sportbuch. Also Schluss mit all den sportspezifischen Auslassungen. Nur so viel noch: Funktionelles Training ist mittlerweile auch im Freizeitsport angekommen – dort, wo es um persönliche Fitness geht –, weil es weit wirksamer ist als alle herkömmlichen Methoden.

Meine Idee, funktionelles Coaching als konsistentes Konzept für Teams in Unternehmen und Organisationen zu entwickeln, wurde angestoßen durch die Veränderung von Teamtrainings im Sport, durch eigene Coaching-Erfahrungen und neue Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaften, die – richtig kombiniert – Coaching und Teamarbeit noch effektiver machen.

Funktionelles Coaching ist mehr als Methodik und Didaktik. Es begründet sich aus Psychologie, Managementwissen und -erfahrung, Sport- und Neurowissenschaften, Medizin und Philosophie. Und ist dabei strikt orientiert auf nützliche Anwendung. Theorie ist für funktionelle Coaches kein intellektueller Selbstzweck. Sie muss sich in der Praxis des Alltags bewähren.

Eine letzte Analogie zum Sport: Funktionelles Coaching dient dazu, Teamfitness systematisch zu verbessern. Geistige und körperliche Fitness sind Grundvoraussetzung für Leistung. Fit müssen Teams und ihre einzelnen Mitglieder auch in Unternehmen oder Organisationen sein, wenn sie gut, effektiv, effizient sein wollen. Auch sie haben zunehmend komplexe Aufgaben zu erledigen, müssen sich immer wieder auf neue Situationen und Anforderungen einstellen, ständig Neues lernen, individuelle Fähigkeiten optimal einbringen, sich persönlich weiterentwickeln, sich gut miteinander abstimmen und gut miteinander auskommen, Konflikte bewältigen, Krisen managen, aus Fehlern lernen, Emotionen regulieren, Druck aushalten, Frust wegstecken und Erfolge so feiern, dass sie damit weitere Stärken aufbauen. All das gelingt ihnen besser mit funktionellem Coaching.

Einzelne Elemente des funktionellen Coachings werden auch in anderen Coaching-Ansätzen genutzt. Aber als einzelne Elemente werden sie oft falsch verstanden und sind in der Anwendung allenfalls von begrenztem Nutzen. Wer zum Beispiel annimmt, den Schlüssel für effektive und effiziente Teamarbeit in Kommunikation und Team-Building zu finden, greift zu kurz und versteht nicht wirklich, was einzelne Elemente bewirken und nicht bewirken können. Schlechte Kommunikation hat meist tiefer liegende Ursachen. Wenn Interessen und Erwartungen nicht zusammenpassen, reichen Kommunikationstechniken nicht aus, um eine gute Verständigung und ein kooperatives Miteinander herzustellen. Team-Building mag ein Label für erste sinnvolle Schritte hin zu Kooperation sein. Doch Zusammenhalt und zweckmäßige Zusammenarbeit müssen ständig gepflegt und individuelle Interessen integriert werden, um Teamziele über eine längere Strecke zu erreichen. Das verlangt einen Prozess, den ich »Teaming« nenne und der immer wieder auch »Re-Teaming« erfordert (siehe S. 124 ff.). Führung leistet dazu einen entscheidenden Beitrag. Der Kontext, in dem das Team agiert, muss verstanden werden.

Oft werden in Coaching-Programmen zudem Ideen vorgestellt, die luftig und ohne nachweisbare Wirkung sind. Dazu zählen zum Beispiel Verfahren, die als Persönlichkeitstest ausgewiesen werden, aber keine alltagstauglichen Ergebnisse liefern können. Dazu zählen auch diverse »Optimierungsprogramme«, krude Leadership-Ideen oder Auslassungen über emotionale Intelligenz. Vieles davon ist populär, hilft aber nicht wirklich, wie in diesem Buch noch auszuführen ist, Einzelne und Teams effektiver zu machen.

Funktionelles Coaching ist keine bloße Ansammlung von Fähigkeiten. Vielmehr soll das Konzept helfen, die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten so zu entwickeln, dass sie ineinandergreifen, aufeinander aufbauen, sich wechselseitig verstärken und so zu einem größeren Nutzen und Erfolg führen. Zu diesen Fähigkeiten gehört die Fähigkeit,

Jedes Team ist anders. Jedes Team besteht aus unterschiedlichen Persönlichkeiten. Rollen und Funktionen sind unterschiedlich verteilt. Teams haben unterschiedliche Aufgaben und sind mit unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert. Es kann daher kein Rezept geben, das für jedes Team vorgibt, wie Coaching dort zu praktizieren ist. Aber es gibt definierbare Kernkompetenzen, über die jedes Team verfügen sollte und die durch Coaching entwickelt oder gestärkt werden können.

Um diese Kernkompetenzen, die jedes Team braucht, geht es in diesem Buch. In der Anwendung müssen Coaches stets die besonderen Bedingungen berücksichtigen, die jeweiligen Menschen und Zusammenhänge, in die sie eingebunden sind. Wie das gelingen kann – auch das wird hier dargestellt.

Das Buch ist eine Einladung, sich selbst von dem praktischen Nutzen und von dem Gewinn zu überzeugen, den funktionelles Teamcoaching bringt. Es richtet sich an Führungskräfte, Coaches und all diejenigen, die dazu beitragen möchten, dass ihre Teams ihre Ziele besser, schneller, kooperativer und mit mehr Freude erreichen.

Schluss mit der Heldenverehrung

Diese Schlagzeilen und Geschichten kommen an beim großen Publikum: »Thielemann erobert Salzburg.« – »Van Persie erledigt Piräus im Alleingang.« – »Marchionne haucht Chrysler neues Leben ein.« – »Bezos lässt seine Effizienzmaschine Amazon weiter auf Hochtouren laufen.« Zeitungen servieren uns mit Vorliebe Heldengeschichten. Selbst Journale, die sich zugutehalten, uns nüchtern und sachlich zu informieren, machen da keine Ausnahme. So schreibt etwa die FAZ über den Chef des Unternehmens Linde: »Reitzle hat den Konzern neu ausgerichtet, ihn unabhängig und resistent gegen äußerliche Begehrlichkeiten gemacht und auf eine stabile, Wachstum versprechende Basis gestellt« (»Der Vielumworbene«, FAZ vom 28.12.2013, S. 18).

In der Rubrik »Menschen & Wirtschaft« schwärmt das Blatt uns großartige Leistungen vor, die es als Erfolge großer Menschen beschreibt, als das Werk Einzelner. Wer sonst zu den Erfolgen beigetragen hat, lesen wir nicht. Es gilt als nicht so bedeutend, dass Christian Thielemann als Dirigent für seine künstlerischen Darbietungen ein fulminantes Orchester braucht, Robert van Persie als Sturmspitze von Manchester United nur Tore schießen kann, weil brillante Mitspieler sie für ihn vorbereiten, Sergio Marchionne für die Entwicklung von Fiats und Chryslern auf hoch qualifizierte Teams angewiesen ist, Jeff Bezos die Effizienzmaschine Amazon nicht mit eigener Hand montiert hat und Wolfgang Reitzle zwar ein außerordentlicher Konzernlenker, aber eben nicht der Konzern ist.

Wir lesen die Geschichten dennoch gern. Sie unterhalten uns gut. Sie bedienen unsere Wünsche. Offenbar sehnen wir uns nach Helden, nach Menschen, denen wir zuschreiben, verantwortlich zu sein für große Leistungen: charismatische Politiker, die das Wahlvolk faszinieren und erobern, Sportler, die alle besiegen und Rekorde aufstellen, Manager, die ganze Unternehmen umkrempeln, Industrien auf den Kopf stellen und enorme Gewinne einfahren.

Wir neigen dazu, Erfolge zu personalisieren, sie Einzelnen zugutezuhalten, diese dafür zu bewundern und zu heroisieren. Dabei wissen wir, dass niemand große Erfolge allein hervorbringen kann. Jeder große Erfolg beruht auf den Leistungen von vielen – sie müssen ihr Können einbringen, ihr Engagement, ihre Leidenschaft. Kein Politiker reüssiert ohne eine Vielzahl aufopferungswilliger Helfer. Kein Sportler siegt ohne Mannschaft neben oder hinter ihm. Kein Firmenboss führt ein Unternehmen zu Größe ohne Management und Mitarbeiter. Trotzdem neigen wir immer wieder dazu, die Einsichten unseres Verstandes beiseitezuschieben und Teamleistungen bis zur Bedeutungslosigkeit zu relativieren.

Wir wissen, dass wir auf uns allein gestellt, wie jeder andere, wenig zustande bringen. Wir schaffen uns dennoch unsere Helden. An Helden können wir Verantwortung abgeben. Wir feiern und glorifizieren sie, solange mit ihrer Regentschaft Erfolge einhergehen. Und wir schreiben es ihnen zu, wenn Erfolge ausbleiben, Rückschläge und Niederlagen zu verzeichnen sind. Läuft im Team etwas schief, besteht unter den Mitgliedern die starke Neigung, ein schlechtes Ergebnis dem Teamleiter anzukreiden. Welche Verantwortung das Team dafür hat, wird nicht mehr gefragt.

Solange die Dinge gut für uns laufen, huldigen wir – unter dem Glanz noch strahlender Helden – unserem Ego und preisen unsere Individualität. Wir leben in individualistischen und egozentrierten Gesellschaften. Wir neigen dazu, die eigenen Ansichten und Leistungen höher zu bewerten als die jener, mit denen wir in Teams zusammenarbeiten. Wie passt das zusammen? Wie sehr steuert diese Ambivalenz unser Verhalten? In welche Richtung schlägt es aus? Wie teamwillig und wie teamfähig sind wir?

Erfolge brauchen Teamarbeit. Teamarbeit heißt Kooperation und verlangt eine gute Verständigung untereinander, gemeinsame Ziele, Zuordnung von Rollen und Verantwortung, die Fähigkeit, Fehler zu erkennen, Rückschläge wegzustecken, Ideen einzubringen, Meinungsunterschiede auszuhalten, Konflikte zu lösen, persönliche Ambitionen zurückzustellen, wenn dadurch das Große und Ganze beeinträchtigt würde.

Um große Erfolge zu schaffen, müssen Egoismus und Individualismus gezügelt werden. Und doch dürfen wir beides nicht völlig zurücknehmen. Denn aus Eigeninteresse entsteht Antrieb, Kraft, Ausdauer, Durchsetzungswille, und Individualität schafft Kreativität. Auch das zeigt uns der Fußball: Besondere individuelle Leistungen tragen oft zum entscheidenden Erfolg bei – das eigenwillige Dribbling eines Stürmers, der drei gegnerische Spieler umkurvt und dem vierten durch die Beine schießt, unhaltbar für den Torwart. Dafür lieben wir Stars wie Robert Lewandowski, Arjen Robben, Lionel Messi, James Rodriguez, Christiano Ronaldo oder Robert van Persie. Aber wir sehen auch, wie sehr sie Erfolge verhindern, wenn sie zu sehr sich selbst im Sinn haben und Mitspieler übersehen, die mehr zustande bringen könnten.

Große Erfolge verlangen eine besondere Einstellung: Gelingende Teamarbeit ist wichtiger als persönlicher Erfolg. Die daraus entstehende Spannung ist oft nicht leicht auszuhalten. Individuelle Interessen und Bedürfnisse fachen sie immer wieder an. Es gibt keinen natürlichen Ausgleich. Dafür muss hart gearbeitet werden. Es bedarf dazu einer klaren Haltung. Die muss jeder im Team einnehmen. Und am Ende muss sie sich lohnen, für jeden Einzelnen.

Die Anforderung erscheint paradox. Jeder soll sein Bestes geben, das Beste für alle herausholen, keine Ansprüche geltend machen, die für andere zu Hindernissen werden, und so auch das Beste für sich selbst erreichen. Denn nur auf diese Weise können die anderen ihr Können so einbringen, dass aus der Kombination der jeweiligen Fähigkeiten mehr wird als die Summe aller Einzelleistungen. Jeder investiert in den Erfolg des anderen und sorgt so für den größtmöglichen persönlichen Erfolg.

In der Theorie klingt das einfach, überzeugend, logisch. Im wirklichen Leben findet es so jedoch oft nicht statt – und wenn, dann nur unter Mühen. Oft hapert es schon an ausreichender Verständigung und obendrein an der entsprechenden Haltung. Zwar wird miteinander geredet, aber das Reden führt nicht zu einer richtigen Verständigung. Viele haben sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was ihre Aufgabe und was ihr Beitrag sein soll. Persönliches Weiterkommen zählt mehr als Teamerfolg.

Die großen Herausforderungen für Organisationen und Unternehmen, notiert Leadership-Professor Peter Hawkins, bestünden nicht mehr in einzelnen Menschen oder Teilen, »sondern in den Schnittstellen und Beziehungen zwischen den Menschen, Teams, Funktionen und verschiedenen Interessengruppen (Stakeholdern)« (Hawkins 2011, S. 13).

Menschen funktionieren nicht wie Maschinen. Ihnen ist kein Handlungsprogramm eingeschrieben, das stets nach demselben Muster abläuft. Durch die Verteilung von Rollen, durch Funktions- oder Arbeitsplatzbeschreibungen ist nicht garantiert, dass alles so zusammenläuft wie gedacht oder, besser, wie vage fantasiert. Optimale Funktionalität erwächst nirgendwo von selbst, in keinem Team, egal wie einfach oder komplex seine Aufgabe ist. Es bedarf immer einer klaren Aufgabenorientierung und eines Prozesses, in dem Einzelne sich zu einem Team zusammenfinden und als Team zusammenhalten.

Mit zunehmender Komplexität der Aufgabe werden Abstimmung, Verständigung, Orientierung, Evaluierung und Korrektur immer wichtiger und schwieriger. Manager müssen daher neue Konzepte für Führung und Kooperation entwickeln, die zu ihrer Organisation, ihrem Unternehmen, ihrem Umfeld passen. Das Große und Ganze im Auge zu behalten wird immer schwieriger.

Verfolgen Führungskräfte nur ihre eigene Agenda, mögen sie vielleicht ihren unmittelbaren Verantwortungsbereich einigermaßen managen, doch fehlt ihnen die Vorstellung, wie sie als Mitglieder eines Führungsteams kooperieren müssten, um das Unternehmen insgesamt optimal aufzustellen und zu entwickeln. Zuweilen fehlt ihnen der Wille, sich über den eigenen Bereich hinaus zu engagieren, das eigene Denken und Handeln nach der Perspektive des Unternehmens auszurichten, weil sie einen Abstimmungs-, Koordinations-, Kooperations-, Zeit- und Kraftaufwand fürchten, den sie lieber für das persönliche Weiterkommen aufbringen.

Wir bewegen uns ständig in Paradoxien. Wir sollen einerseits auf den persönlichen Vorteil bedacht sein, die Unternehmen und die Gesellschaft verlangen das von uns. Ein guter Schuss Egoismus und die Bereitschaft, sich gegen andere durchzusetzen, gehören dazu, um persönlich voranzukommen. Doch mit solchen persönlichen Motiven gefährden wir andererseits immer wieder die Zusammenarbeit. Meist merken wir es nicht einmal, weil wir uns gerne einreden, kooperativer, verständnisvoller, einfühlsamer, hilfsbereiter und teamorientierter zu sein, als wir sind. Deshalb ist es wichtig, dass alle Beteiligten das Gefühl haben, dass es fair zugeht – sowohl bei den persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten als auch bei den Gratifikationen. Miteinander, nicht gegeneinander. Sonst ist die Kooperation gefährdet, sonst lässt die Leistung nach, bleiben Ziele unerreicht. Dann heizen wir Konflikte sogar an und betrachten uns als unschuldig, wenn sie eskalieren.

Die Helden, nach denen wir uns sehnen, sind diejenigen, die es schaffen, viele Menschen auf eine Aufgabe hin zu orientieren, sie oft sogar dafür zu begeistern. Es sind die Personen, die mit der koordinierten Unterstützung anderer Projekte starten, Ziele erreichen, Positionen erobern. Sie üben Einfluss aus, sie verfügen über Macht.

Macht verändert Menschen. Nicht jeden in gleicher Weise. Doch nur wenige erliegen nicht ihrer Verführung. Macht gibt Wirksamkeit, sie macht Macher. Mit Macht sind Ideen umzusetzen. Mit Macht ist etwas zu erreichen. Macht schafft Ergebnisse. Macht stärkt das Selbstwertgefühl. Wer sie ausübt, erkennt darin die eigene Leistungsfähigkeit. Was er oder sie erreicht hat, gilt als Bestätigung des eigenen Könnens. Machtmenschen neigen in besonderer Weise dazu, den eigenen Anteil an der Leistung überzubewerten. Was andere zu Ergebnissen beitragen, schätzen sie zu gering. Erfolge halten sie sich vornehmlich selbst zugute. Für Fehler machen sie dagegen andere verantwortlich. Damit nehmen die Achtung und die Anerkennung für sie ab. Macht stärkt Egozentrik. Sie verändert Haltung und Verhalten.

Wer in seiner Funktion mit Einfluss über andere, also mit Macht ausgestattet ist, nimmt für sich schnell in Anspruch, vieles besser zu wissen. Die Meinungen anderer werden oft gar nicht mehr richtig zur Kenntnis genommen. Machtmenschen reden mehr als diejenigen, die ihnen unterstellt sind. Sie unterbrechen hemmungsloser. Sie geben ihre Meinung vor und erwarten Zustimmung. Widerspruch halten sie für störend. Er wird ihnen schnell lästig. Sie dominieren Kommunikation. Sie geben dem Handeln anderer gerne eine Richtung vor. Sie erwarten loyale Gefolgschaft. Sie fördern Opportunisten und Ja-Sager. Damit untergraben sie die Effektivität ihrer Teams.

Darum geht es in der Teamarbeit – ob in der Führung oder im Coaching: Teams so effektiv und effizient wie möglich zu machen, um optimale Resultate zu erreichen, etwas zu schaffen, was kein Einzelner und auch keine Gruppe schaffen. Ein Team muss wissen, wozu es besteht, was es soll, was sein Zweck, sein Sinn ist. Wenn es in einem Unternehmen oder einer größeren Organisation agiert, sollte eine klare Vorstellung darüber bestehen, was das Team an Nutzen und Mehrwert bringt, durch welche Beiträge es dafür sorgt, Strategien zu entwickeln und Ziele zu erreichen, die sonst nicht erreichbar wären.

Um seine Aufgaben zu erfüllen, braucht das Team die notwendigen Kompetenzen, eingebracht durch seine Teammitglieder. Außerdem braucht es ausreichende Ressourcen, eine funktionale Struktur, wechselseitige Unterstützung und einen guten Umgang miteinander, damit persönliche Reibungen und Spannungen nicht den Erfolg verhindern.

Teamführern kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Deshalb sollten sie um die Verführungen der Macht wissen. Macht beginnt nicht irgendwo »da oben«. Sie ist mit jeder Funktion gegeben, die Einfluss über andere Menschen schafft. Hierarchie verkörpert Macht. Auf jeder Stufe. Das Wissen um die (oft schleichenden) Einflüsse der Macht auf die eigene Person kann Führungskräfte dazu anhalten, sich vor diesen Einflüssen zu schützen – wenn sie zum Beispiel verstehen, wie Macht die Neigung verstärkt, sich selbst zu überschätzen und zu wichtig zu nehmen.

Führungskräfte müssen zielstrebig sein. Aber sie müssen unterscheiden können, was persönliche und was Teamziele sind, begreifen, wie beides zusammenpasst und wie nicht. Führungskräfte müssen, wieder ein Paradox, führen und gleichzeitig lernen, Macht zu delegieren, eine Teamkultur zu fördern, die Teammitglieder ermutigt und befähigt, ihr volles Potenzial einzubringen, zu benennen und zu korrigieren, was schiefläuft, auch wenn es den Teamchef betrifft.

Wenn komplexe Aufgaben zu bewältigen sind, neue Zugänge für bisher ungelöste Probleme gefunden werden müssen, kann kein Einzelner wissen, was gut und richtig ist. Teams gelangen – mit geballter Kompetenz – viel eher zu Lösungen, wenn sie unterschiedliches Wissen, diverse Erfahrungen, originelle Ideen nutzen. Teamleiter, die sich in den Vordergrund drängen, verhalten sich kontraproduktiv. Anstatt sich in Machtpositionen zu verschanzen, sollten sie Prozesse moderieren, die eine optimale Nutzung der Teamkapazitäten erlauben.