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Essen und
Trinken

Wie wir uns richtig ernähren

Herausgeber:

Michael Schaper

GEOkompakt

Gruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus, Am Baumwall 11, 20459 Hamburg

www.geokompakt.de

Titelbild: ©David Malan/Photographer’s Choice/Getty Images

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Mensch ist ein Hochleistungsunternehmen im Dauerbetrieb, das stetig versorgt werden muss: Das Herz eines Erwachsenen pumpt 290 Liter Blut pro Stunde durch die Gefäße, die Lungenflügel nehmen täglich zehn Kubikmeter Luft auf, ohne Unterlass kommuniziert das Hirn mit den restlichen Organen über Millionen elektrischer Nervenimpulse, ständig – auch im Schlaf – ist ein Teil der 640 Muskeln in Bewegung.

All das kostet Energie.

Und permanent muss unser Körper reparieren, was verschleißt – zum Beispiel Tag für Tag 200 Milliarden rote Blutkörperchen. Dafür benötigt der Mensch Baustoffe.

Beides – Energie und Baumaterial – kann er nur auf einem Weg gewinnen: über seine Nahrung. Homo sapiens ist dabei die einzige Spezies auf der Welt, die Art und Menge ihrer Nahrung vollständig kontrollieren und intellektuell erfassen kann.

Doch was gut und gesund ist, darüber streiten sich Experten. In wohl kaum einer anderen Disziplin herrscht ein derartiger Thesenkrieg wie in der Ernährungswissenschaft; schließlich geht es um viel Geld und um eine überaus komplexe Angelegenheit, die jeden von uns betrifft. Zudem handelt es sich um einen Forschungsgegenstand, der nicht bloß biologische oder physikalische Aspekte einschließt – sondern auch psychologische, kulturelle und ethische. Und nicht nur die Komplexität bereitet Probleme: Auch wenn jeder Mensch exakt wüsste, was zu essen ist, handelt niemand immer nur nach den Vorgaben seines Verstandes. Sondern häufig nach dem, was ihn die eigene Sozialisation gelehrt hat. Und was ihm seine Gene diktieren.

Mit dieser eBook-Ausgabe von GEOkompakt möchten wir Ihnen Orientierung verschaffen, indem wir die neuesten Forschungsergebnisse in Bezug auf den fundamentalsten Vorgang im menschlichen Alltag zusammenfassen.

Wir beschreiben unter anderem, wie unser Stoffwechsel im einzelnen funktioniert, auf welch geniale Weise unser Verdauungstrakt die verschiedenen Nahrungsbestandteile in ihre molekularen Komponenten zerlegt und was der Organimsus braucht, um seinen täglichen Energiebedarf zu decken. Wir erklären die – für Laien sicherlich überraschend wichtige – Funktion des Körperfetts, warum unser Geschmackssinn sehr viel mehr Rezeptoren für bittere als für salzige Nahrung hat. Wir erläutern, inwieweit sich der Verzehr genmanipulierter Lebensmittel auf unsere Gesundheit auswirkt, unter welchen (zum Teil grauenhaften) Bedingungen heutzutage Nahrung im großindustriellen Maßstab hergestellt wird, wie Kinder richtig essen lernen – und weshalb die Menschen im Durchschnitt immer dicker werden, obwohl der Fettanteil in Lebensmitteln beständig sinkt.

Dieses aktuelle Wissen um das tägliche Brot ist höchst wertvoll – denn schließlich lassen sich aus den Erkenntnissen von Evolutionsbiologen und Genforschern, Medizinern und Biochemikern, Psychologen und Ökotrophologen konkrete Handlungsempfehlungen ableiten: für die Wahl der richtigen Mahlzeit oder für den nächsten Einkauf auf dem Wochenmarkt.

Michael Schaper
Chefredakteur
GEOkompakt

Inhalt

1.
Evolution

Warum wir essen, was wir essen

Von Bertram Weiß

2.
Psychologie

Die Kraft des Unbewussten

Von Bertram Weiß

3.
Stoffwechsel

Was nach dem ersten Bissen geschieht

Von Ute Eberle

4.
Erziehung

Wie Kinder essen lernen

Interview mit Marguerite Dunitz-Scheer, Professorin für Kinderheilkunde

5.
Physiologie

Die Macht des Fetts

Warum wir Fett im Essen brauchen

Was Fett im Körper bewirkt

Von Sebastian Witte

6.
Lebensmittelproduktion

Die Industrie, die uns satt macht

Von Henning Engeln, Rainer Harf, Jana Hauschild

7.
Grüne Gentechnik

Schaden Gen-Pflanzen der Gesundheit?

Interview mit dem Biologen Dr. Arno Sauter

Evolution

Warum wir essen, was wir essen

Wenn wir uns für oder gegen Speisen entscheiden, sind wir nicht immer Herr unseres Handelns. Denn mitunter bestimmen archaische Mechanismen und unbewusste Entscheidungen, welche Nahrung wir bevorzugen. Forscher ergründen die Wurzeln unseres Essverhaltens

Von Bertram Weiß

Die Probanden waren gerade zwei Stunden auf der Welt, da nahmen sie schon an einem Experiment teil.

Im Krankenhaus der University of Pennsylvania flößten Forscher zwölf Neugeborenen eine Portion reinen Wassers ein, um sicherzugehen, dass sie schlucken können. Dann träufelten sie den Babys nacheinander süße, saure, salzige und bittere Flüssigkeiten auf die Zunge. Dabei beobachteten sie die Reaktionen der Kinder und zeichneten deren Gesichter mit einer Kamera auf.

Es zeigte sich: Bei bitteren Tropfen verschlossen die Kleinen rasch ihre Augen, rümpften die Nase, rissen häufig den Mund auf und streckten die Zunge hervor – gerade so, als würden sie etwas ausspucken wollen. Auf Saures reagierten sie ähnlich, jedoch weniger heftig; auf Salziges eher teilnahmslos.

Der größte Unterschied offenbarte sich bei süßer Flüssigkeit: Dann entspannten sich ihre Gesichtszüge; und sie schluckten und schluckten, als könnten sie nicht genug bekommen.

Dieses Experiment zeigte eindrücklich, was Wissenschaftler bis dahin nicht so umfassend untersucht hatten: Bereits Neugeborene vermögen verschiedene Geschmacksrichtungen zu unterscheiden, ohne je zuvor etwas geschmeckt zu haben. Und: Es gibt bei der Auswahl von Nahrung angeborene Präferenzen und Abneigungen.

Für Evolutionsbiologen und Ernährungsforscher ist diese Reaktion ein Beleg dafür, dass die Geschmacksvorlieben des Menschen keineswegs zufällig sind oder ausschließlich das Ergebnis von Erziehung und Kultur. Vielmehr müssen sie zum Teil in unserer Evolutionsgeschichte wurzeln – also als Vermächtnis unserer tierischen Vorfahren im menschlichen Erbgut verankert sein.

Psychologen, Paläoanthropologen und Genetiker erkunden deshalb, wie unser biologisches Erbe das heutige Essverhalten bestimmt. Sie erforschen, weshalb wir bestimmte Nahrung zu uns nehmen, warum uns manche Geschmacksrichtungen verlocken, andere dagegen abschrecken. Schritt für Schritt versuchen sie so zu verstehen, wie es den frühen Menschen einst gelang, eine der größten Herausforderungen ihres Daseins zu meistern – die Versorgung mit Energie und Nährstoffen.

Dabei wird deutlich: Unsere Vorfahren verfügten über Fertigkeiten, deren Entwicklung weit in die Evolutionsgeschichte der Säugetiere zurückreicht und die uns bis heute beeinflussen; sie folgten Instinkten, die uns noch immer im Supermarkt und bei Tisch steuern.

DIE SUCHE NACH NAHRUNG ist, so trivial es klingt, ein Urproblem des Lebens. Viele andere Bedürfnisse und Triebe muss ein Organismus dieser Suche unterordnen. Er muss sich erst ernähren, ehe er sich um andere Fragen des Lebens kümmern kann – etwa, sich vor Gefahren zu schützen, Biotope zu besiedeln oder sich fortzupflanzen.

Schon für den Naturforscher Charles Darwin, der seit rund 150 Jahren unsere Vorstellungen vom Evolutionsprinzip entscheidend prägt, zählten deshalb das Aufspüren von Essbarem und der Wettbewerb um Nahrungsquellen zu den wichtigsten Faktoren bei der Entfaltung der Lebewesen. Jene Individuen, die Nahrungsressourcen erschlossen und erfolgreich verteidigten, konnten ihre Gene in eine neue Generation weitertragen – und erwiesen sich somit als evolutionär erfolgreich.

Das gilt auch für die Stammesgeschichte des Homo sapiens: Überleben konnten unsere Urahnen nur, wenn der Nachschub an Essbarem funktionierte. Wer da versagte oder sich gar versehentlich Schädliches in den Mund steckte, hatte geringere Überlebenschancen.

Schon unsere Ur-Urahnen folgten einer naheliegenden Strategie: Die affenähnlichen Vormenschen ernährten sich zwar hauptsächlich von Blättern, Beeren und Wurzeln, verzehrten aber gelegentlich auch Fleisch. Zu Beginn der Altsteinzeit durchstreiften sie die südostafrikanischen Wälder und Savannen, entbeinten mit scharfkantigen Steinen die energiereiche Nahrung.

Auch die ersten Vertreter der Gattung Homo, die sich vor 2,5 Millionen Jahren entwickelten, hielten hier und da nach der tierischen Kost Ausschau. Vermutlich stöberten diese Urmenschen anfangs Kadaver toter Tiere auf, die nach Verletzungen, Krankheiten oder Geburten verendet waren. Später entwickelten sie sich zu geschickten Jägern, die vor allem in der Gruppe Beute machten.

Damit kam ein Prozess in Gang, der die Entwicklung des Gehirns förderte. Denn die tierischen Eiweiße und Fettsäuren begünstigten eine Vergrößerung des Denkorgans.

Zudem entdeckte der Mensch das Feuer sowie die Kunst des Kochens und fand so einen Weg, die wertvolle Energie im Fleisch noch effizienter zu nutzen.

Die Gattung Homo – und mit ihr der Homo sapiens, der vor rund 200 000 Jahren entstand und sich letztlich gegen alle anderen Menschenarten durchsetzte – war (und ist) wissenschaftlich gesehen ein Omnivor (von lat. omnia, alles), ein „Allesfresser“.

Als Generalist nutzte er, wie heute unter anderem Ratten, Schweine oder viele Primatenarten, unterschiedliche Nahrungsquellen, und das hatte Vorteile: Ging eine zur Neige, etwa durch den Wechsel der Jahreszeiten, standen zumeist andere zur Verfügung.

Das unterschied den Menschen fundamental von den Spezialisten. Löwen etwa fressen vornehmlich Fleisch, sie sind Carnivoren (von lat. carnis, Fleisch). Antilopen oder Büffel bevorzugen pflanzliche Kost, sie sind Herbivoren (von lat. herba, Kraut). Der Große Panda ist hauptsächlich auf eine einzige Pflanze aus, den Bambus. Ebenso der Koala, der sich nahezu ausschließlich von Eukalyptusblättern ernährt.

Der Mensch dagegen ist nicht sehr wählerisch. Er verspeist Fleisch, Fisch und Milch, zudem Nüsse, Früchte, Wurzeln, Knollen, Pilze; auch Algen oder Insekten wie Heuschrecken – und sogar Weichtiere, etwa Muscheln.

Die vielseitige Mischkost stellte den Menschen in seiner Evolutionsgeschichte allerdings auch vor große Probleme. So musste er im Laufe der Evolution vor allem lernen, was genießbar ist, und dieses Wissen erfolgreich an folgende Generationen weitergeben.

Denn während ein Nahrungsspezialist stets mehr oder weniger die immer gleichen Dinge erfassen und sie von der Umwelt unterscheiden muss – ein Leopard etwa Maße und Gesundheitszustand einer Gazelle, ein Schmetterling die Qualität des Blütennektars –, ist bei einem Generalisten die Gefahr eines Fehlgriffs, bei dem etwas Unverdauliches, vielleicht sogar Giftiges in den Körper gelangt, deutlich größer.

Denn ob Früchte, Pilze oder Nüsse: Vieles von dem, was zunächst nahrhaft erscheint, enthält Giftstoffe, da zahlreiche Pflanzen Abwehrstoffe herausgebildet haben, um ihr Überleben zu sichern.

So enthält etwa der Eisenhut den Wirkstoff Aconitin. Bereits einige Milligramm dieser Substanz führen bei einem Erwachsenen zu Herzversagen oder Atemstillstand. Vom Rizin der Rizinusstaude genügen dafür gar 0,25 Milligramm: Schon wenige Samen dieses Gewächses können für einen erwachsenen Menschen tödlich sein.

Doch schon unsere tierischen Ahnen entwickelten ausgefeilte Mechanismen, um bedrohliche Substanzen zu erkennen: Manche ihrer Sinne formten sich nach und nach zu feinen Sensoren, dank deren schließlich die frühen Menschen Verträgliches und Nährstoffreiches von giftigen Speisen unterscheiden konnten.

Vor allem die Augen halfen dem Homo sapiens dabei, schon aus der Ferne ein geeignetes Nahrungsmittel zu erkennen und dessen Güte einzuschätzen. Ist etwa eine Frucht reif, hebt sie sich in leuchtenden Farben aus dem grünen Blattlaub hervor. Beginnt sie jedoch zu faulen, verfärbt sie sich bräunlich.

Um solche Nuancen zu unterscheiden, war es besonders wichtig, Farben ausgesprochen differenziert wahrnehmen zu können. Deshalb, so glauben Forscher, verfügten schon die gemeinsamen Ahnen von Mensch und Affe über drei Sorten von Farbsehzellen, während die meisten anderen Säugetiere nur zwei Typen ausgebildet haben.

Mit diesen drei Zellarten vermögen wir Rot, Grün und Blau voneinander zu unterscheiden – und können so rund zwei Millionen Nuancen und Mischungen dieser Farbtöne auseinanderhalten. Unser Sehsinn ist also gleichsam ein empfindliches Navigationssystem, das uns durch die Fülle des Angebots führt.

DOCH AUF DIE AUGEN allein konnten sich die Allesfresser nicht verlassen. Noch wichtiger bei der Nahrungsauswahl war in unserer Stammesgeschichte die Ausbildung empfindlicher Sensoren für Geschmack und Geruch. Noch heute schützen sie uns vor Gefahren – etwa vor verdorbenen oder gar giftigen Nahrungsmitteln.

Rund 10 000 verschiedene Gerüche vermag der Mensch zu unterscheiden. Forscher teilen diese Aromen gemeinhin in sieben Klassen ein: blumig, ätherisch, moschusartig, kampferartig, schweißig, faulig, stechend. Manche Gerüche, etwa der von faulem Fleisch, stoßen uns von Natur aus ab. Steigen uns modrige oder stechende Düfte in die Nase, schrecken wir zurück.

Gelangt dennoch ein ungenießbarer Bissen in den Mund, erfassen unsere Geschmacksrezeptoren meist dessen Inhaltsstoffe. Diese Sensoren haben sich vermutlich sehr früh in der Evolution entwickelt: Denn schon Tiere, deren Vorfahren bereits vor Hunderten von Jahrmillionen entstanden sind, nehmen Futter- oder Gefahrstoffe in ihrer Umgebung wahr – darunter Fadenwürmer oder Insekten wie etwa Fruchtfliegen.

Beim Menschen alarmieren die Geschmacksrezeptoren bestimmte Bereiche der Großhirnrinde, aber auch das limbische System – eine Region, die bei der Entstehung von Emotionen mitwirkt und für Gedächtnis und Bewusstsein eine wichtige Rolle spielt – und den Hypothalamus, eine Zellstruktur im Zwischenhirn. Je stärker der Sinnesreiz an den Geschmacksknospen, desto heftiger unsere Empfindung.

Vor allem ein Aroma ist für den menschlichen Körper dabei ein deutliches Warnsignal: Bitterkeit. Viele Stoffe, die uns schaden können, schmecken abstoßend bitter. Sie können uns helfen, Schädliches zu vermeiden. Das ist womöglich auch die Erklärung dafür, dass Frauen in den ersten Monaten einer Schwangerschaft häufig eine Abneigung gegen bittere Pflanzenkost zeigen – denn etwa Brokkoli und Rosenkohl enthalten Substanzen, die für einen jungen, sich entwickelnden Körper in zu großen Mengen schädlich sein können. Vermutlich weigern sich auch Kinder aus diesem Grund so häufig, gerade diese Gemüse zu essen.

Wie universal die Aversion gegen Bitteres ist, zeigten chinesische Forscher, als sie das Pennsylvania-Experiment wiederholten: Wieder reagierten die Babys auf keinen anderen Geschmack mit solch eindeutiger Abwehr. Weit rissen sie den Mund auf, verzogen die Stirn, kniffen die Augen zusammen.

Vermutlich ist dieser Gesichtsausdruck zugleich ein Alarmsignal für Artgenossen, dass ein Kind in Gefahr sein könnte. Einen Hinweis darauf gibt ein weiterer Versuch in Pennsylvania: Die Forscher führten 40 Studenten an Monitoren die Aufnahmen der Babys vor und baten die Probanden, die Reaktionen den vier Geschmacksrichtungen zuzuordnen und zu interpretieren.

Besonders leicht fiel es den jungen Erwachsenen, bitteren von süßem Geschmack in den Gesichtszügen zu unterscheiden. Zugleich meinten sie, in Bitter und Sauer einen starken Widerwillen der Säuglinge zu erkennen.

Je sensibler unsere Urahnen Bitteres erfassen konnten, desto größer muss die Wahrscheinlichkeit gewesen sein, dass sie überlebten. Denn während verdorbene Lebensmittel meist sauer schmecken, aber selten lebensbedrohlich sind, war es einst viel gefährlicher, sich durch eine Pflanze zu vergiften.

Als sich Homo sapiens vor rund 60 000 Jahren von Afrika aus über die Erde auszubreiten begann, stieß er in neuen Gegenden auf noch unbekannte Pflanzen und bittere Giftstoffe.

Deshalb verfeinerte sich das Gespür für Bitteres noch weiter – wie Forscher aus Vergleichen menschlicher Bitterrezeptoren mit denen etwa von Mäusen ableiten konnten. Während der Evolution hat sich sowohl die Anzahl als auch die Empfindlichkeit unserer Sensoren für Bitterstoffe verändert. Wir besitzen heute mehr davon als unsere tierischen Vorfahren.

Fest steht zudem: Für keinen anderen Geschmack sind wir heute so empfindsam, keinen anderen können wir auf so vielfältige Weise wahrnehmen; mittlerweile kennen Forscher beim Menschen 25 unterschiedliche Bitterrezeptoren – weitaus mehr als für jede andere Geschmacksrichtung. Diese Sensoren sitzen in der Zunge, in Kehlkopf und Rachen. Und jeder dieser winzigen Fühler vermag etliche Bitterstoffe zu erkennen – insgesamt können wir vermutlich einige Tausend identifizieren.

Darüber hinaus reagieren mehrere Arten von Rezeptoren mitunter auf den gleichen Stoff; ist ein Rezeptor nicht funktionstüchtig, gewährleisten eben andere die Überwachung. Wenn beispielsweise Amarogentin in die Mundhöhle gelangt, eine bitter schmeckende Substanz des Enzians, senden gleich sieben unterschiedliche Typen von Rezeptoren ein Warnsignal an das Gehirn.

Zugleich aber bildeten sich bei verschiedenen menschlichen Ethnien Unterschiede heraus. So fand das Deutsche Institut für Ernährungsforschung heraus, dass bei einem Teil der afrikanischen Bevölkerung aufgrund einer Genmutation ein Rezeptor für eine Gruppe von Bitterstoffen (die etwa in Maniok enthalten sind) weniger empfindlich reagiert. Das ist evolutionär durchaus sinnvoll, da der – maßvolle – Verzehr dieser giftigen Substanzen Afrikanern vermutlich bis heute dabei hilft, den Schutz gegen die Erreger von Malaria zu erhöhen: Die Stoffe machen den Körper für die Parasiten weniger anfällig.

ÄHNLICH ABWEHREND wie auf Bitteres reagieren wir sonst nur auf Saures, das zeigte auch das Pennsylvania-Experiment: Die Babys spitzten den Mund, kniffen ihn zusammen und legten die Stirn in Falten, als empfänden sie eine starke Abneigung. Signalisiert dieser Geschmack uns doch, dass eine Frucht noch unreif oder Fleisch bereits verdorben ist.

Schlucken wir trotz des Warnsystems von Zunge und Gaumen doch einmal etwas derart Unbekömmliches, so hat der menschliche Körper auch dafür raffinierte Techniken entwickelt.

Zwar toleriert der Organismus potenziell schädliche Stoffe in bestimmten Dosen. So kann etwa die Leber ein gewisses Maß an Alkohol unschädlich machen. Zugleich filtern die Nieren permanent Schadstoffe aus dem Blut, um sie wieder auszuscheiden.

Reichen diese Schutzmechanismen aber nicht aus, so tritt zumeist ein weiterer in Kraft: Wir übergeben uns. Ein Verbund verschiedener Nervennetze im Gehirn, das „Brechzentrum“ im Hirnstamm, steuert dann auf komplizierte Weise die Revolte des Magens.

Doch auch bei der Entdeckung besonders hochwertiger Nahrung halfen unseren Urahnen Geschmackssensoren – vor allem die für Süßes und Salziges. Denn was süßlich schmeckt, birgt nur selten giftige Substanzen. Zudem enthalten solche Pflanzen mit großer Wahrscheinlichkeit hohe Konzentrationen an Zucker und damit reichlich Kalorien, die der Körper ohne aufwendige Prozesse in Energie umwandeln kann.

Deshalb entwickelten viele Lebewesen im Verlauf der Evolution schon frühzeitig ein feines Gespür, um etwa reife Früchte an ihrem betörend süßen Geschmack zu erkennen. Denn in ihrem Fruchtfleisch befinden sich große Mengen von Trauben- und Fruchtzucker, deren Energie für den Körper besonders schnell verfügbar ist.

Wie stark dieser Instinkt für Süßes ist, zeigt sich noch heute: Menschen jedes Alters und jeder Herkunft neigen dazu, sich bei einer Auswahl von Nahrungsmitteln für das süße zu entscheiden.

Auch die gerade geborenen Testkandidaten, die in Pennsylvania und China untersucht wurden, reagierten auf süßliche Tropfen weitaus empfänglicher als auf jeden anderen Geschmack: Merklich lockerten sich ihre Züge, manchmal zeigte sich gar ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen – gerade so, als erfüllte sie ein Gefühl von Genugtuung und Zufriedenheit.

Ähnlich wie die weit verbreitete Vorliebe für Süßes ist auch der Appetit auf Salziges nicht zufällig – besonders auf die Mineralstoffe Natrium und Chlorid, die zusammen als Kochsalz bekannt sind. In unserem Blut muss stets eine bestimmte Menge dieser Substanzen zirkulieren. Durch Schweiß und Harn verlieren wir indes ständig etwas davon.