Cover

Julius Pöhnert

Provokation in Rosa

Typen, Tunten, Charaktere in
Rosa von Praunheims Filmen

© 2014 Mühlbeyer Filmbuchverlag, Inh. Harald Mühlbeyer, Frankenstraße 21a, 67227 Frankenthal

www.muehlbeyer-verlag.de

Lektorat, Gestaltung: Harald Mühlbeyer

Umschlagbild: © Rosa von Praunheim Filmproduktion

Umschlaggestaltung: Steven Löttgers, Löttgers-Design Birkenheide

Bildrechte: Alle Abbildungen © Rosa von Praunheim Filmproduktion, außer Abbildung 23: Entnommen aus Der Spiegel 51/1991, S. 213.

ISBN:

978-3-945378-13-7 (Epub)

978-3-945378-14-4 (Mobipocket)

978-3-945378-15-1 (PDF)

978-3-945378-12-0 (Print)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

1. Einleitung

2. Rosa von Praunheim als Künstler

2.1 Anfänge

2.2 Privates und Öffentliches

2.3 Selbstbetrachtungen

3. Filmgestaltung

3.1 Visuelle Auffälligkeiten

3.1.1 Farben

3.1.2 Kitsch

3.1.3 Dilettantismus

3.2 Schwule Ästhetik

3.2.1 Queer

3.2.2 Camp

3.2.3 Filme im Vergleich

3.3 Spielfilm und Dokumentarfilm

3.3.1 Dramaturgien

3.3.2 Improvisation

3.3.3 Travestien

3.4 Rosa von Praunheim als Voyeur und Gestalter

4. Menschenbilder

4.1 Menschen im Fokus

4.1.1 Frauen

4.1.2 Schwule

4.1.3 Nazis und Spießer

4.2 Gegensätze

4.2.1 Leere und Fülle – Lebenslügen und Lebensziele

4.2.2 Revolte der Perversen – Normalität und Perversion

5. Aktivismus – Provokation und Reaktion

5.1 Frühe Schwulenbewegung

5.2 AIDS

5.3 Outing

6. Nachwort

Anhang

Manifest von Rosa von Praunheim aus UNDERGROUND AND EMIGRANTS (1976)

Literaturverzeichnis

Filmografie

Übersicht der Kameramänner und -frauen in von Praunheims Filmen

Anmerkungen

Danksagung:

Das vorliegende Buch ist erstmals im Jahr 2009 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Diplomarbeit im Fachbereich Mediendramaturgie vorgelegt worden und erscheint nun in einer aktualisierten und ergänzten Fassung.

Für die Betreuung der Arbeit möchte ich mich bei Prof. Dr. Norbert Grob sowie bei Dr. Bernd Kiefer herzlich bedanken. Ebenso gilt mein Dank den Korrektoren des Buches, für zahlreiche Anmerkungen besonders Renate Kochenrath, René Schuppert und Leif Murawski. Ein außerordentlicher Dank gilt dem Bibliotheksteam der Universität Mainz sowie Eva Schmitz von der Mediathek der Universität Siegen für das Zugänglichmachen zahlreicher Sichtkopien.

Ein herzliches Dankschön geht an Rosa von Praunheim und seinen Mitarbeiter Markus Tiarks für die Bereitstellung von Bildmaterial für dieses Buch, an Harald Mühlbeyer für die unermüdliche Betreuung im Mühlbeyer Filmbuchverlag sowie an die zahllosen hier ungenannten Helfer, die mich bei der Erstellung dieser Arbeit unterstützt, aufgemuntert und erheitert haben.

 

»Ich hasse Cinéasten und Leute, die akademisch übers Kino schreiben.

Und ich hasse Leute die über dem Kino das Leben vergessen.«

Rosa von Praunheim

(Filmfaust 25, 1981, Seite 13)

1. Einleitung

»Vom cineastischen Standpunkt aus betrachtet, sind Rosa von Praunheims Filme barbarisch – nur ist fraglich, ob man diesen Filmen gegenüber einen cineastischen Standpunkt einnehmen kann.«[1]

Klaus Kreimeier

Rosa von Praunheim ist mit einem Werk von rund 80 Filmen[2] einer der produktivsten Filmschaffenden Deutschlands. Weltweit ist er einer der ersten Filmemacher, die sich in ihrem Werk intensiv mit Homosexualität beschäftigen und die deutsche Schwulenbewegung herausfordern. Dennoch wird Praunheim in der Filmwissenschaft bislang nur wenig Beachtung geschenkt. Im einleitenden Zitat deutet sich ein Grund hierfür an: Praunheims Filme zeigen gegenüber ihrem Medium eine starke Aggression. Praunheim selbst wird zum Anti-Filmemacher, indem er sich über filmästhetische Konventionen hinwegsetzt und Dilettantismus zum Stilmittel erhebt. Sein Film DIE BETTWURST (1971) erlangt durch dessen auffällige, naive Machart hohe Bekanntheit und avanciert zum Kultfilm. NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS, SONDERN DIE SITUATION, IN DER ER LEBT (1971) ruft im Deutschland der 70er Jahre einen Skandal hervor. Gerade deshalb ist es bedeutsam, diese Filme zu untersuchen und zu ermitteln, wie Praunheim Film gleichermaßen zur Selbstverwirklichung wie als aktivistische Handlungsaufforderung einsetzt.

 

Abbildung 1: PFUI ROSA

Zunächst ist es dafür wichtig, in Punkt zwei dieser Arbeit, die Ursprünge von Praunheims Schaffen zu untersuchen. Durch zahlreiche Kunstformen beeinflusst, ist er zunächst einmal mehr als Künstler denn als Filmemacher zu betrachten. Kunst und Film schließen sich zwar nicht aus – ganz im Gegenteil – dennoch steht in Praunheims Filmen die Künstlerpersönlichkeit Rosa von Praunheim stets im Vordergrund. Für ein Verständnis seiner Filme ist es wichtig zu ergründen, welche Bedeutung Privatheit und Öffentlichkeit für ihn haben und wie er diese in seinen sehr persönlichen Filmen verbindet. Eine Trennung von Praunheims Filmen und seiner Person scheint unmöglich, besonders deutlich wird dies an zwei filmischen Selbstporträts: NEUROSIA (1995) und PFUI ROSA! (2002).

Im dritten Kapitel der Arbeit werden besondere Auffälligkeiten an Praunheims Filmen festgehalten; es wird untersucht, wie er seine Filme gestaltet. Besonders augenfällig sind dabei die Farbgestaltung, die Ausstattung mit Kitsch und Nippes sowie der Kontrast zwischen Werken mit naiver und professioneller Ästhetik. Bei Rosa von Praunheim als schwulem Filmemacher drängt sich zudem die Untersuchung einer möglicherweise schwulen Ästhetik auf. Hierzu geben zahlreiche Analysen der Queer-Studies sowie die Untersuchung des amerikanisch geprägten Camp einige Aufschlüsse.

Besonders charakteristisch ist an Praunheims Œuvre die Synthese von Dokumentar- und Spielfilmen. Hierzu sollen Praunheims Dramaturgien für deren Verbindung untersucht werden sowie die Frage, warum eine Trennung beider Erzählformen bei ihm nicht möglich ist. Rosa von Praunheim bezeichnete sich einmal selbst als Voyeur, weil er Vorgefundenes aufnimmt. Die improvisatorische Arbeit mit seinen Darstellern ist deshalb ein zusätzlicher, wichtiger Untersuchungsaspekt.

Im Fokus des vierten Teils der Arbeit stehen die thematischen Inhalte der Filme. Von besonderem Interesse sind dabei die Menschen, die Praunheim filmisch porträtiert. Vor allem sind dies starke, alternde Frauen wie Luzi Kryn oder Lotti Huber, aber auch Aktivisten der Schwulenbewegung, die von Praunheim in intensiver Nähe durch Dokumentationen und Spielfilme begleitet werden. Auffällig in diesen Filmen ist die stete Suche der Protagonisten nach persönlichem Glück, anhand der verschiedene Lebensentwürfe vorgestellt werden. Die meisten seiner Protagonisten haben Angst, Lebensinhalte zu verpassen und setzen dem Horror vacui, einer unerträglichen Leere, eine unermessliche Fülle von Inhalten und Erfahrungen entgegen. Um diese Lebensentwürfe zu diskutieren, versucht Praunheim stets dem vermeintlich Normalen eine Perversion entgegenzusetzen. Es wird mit immer empörenderen Perversionen provoziert, wobei sich stets die Frage neu stellt, wo Normalität endet und wo Perversion beginnt, und ob letztere für Praunheim überhaupt existiert.

Ein weiterer Aspekt von Praunheims Filmschaffen ist schließlich die erzielte Wirkung seiner Filme. Praunheim macht unangepasste und unbequeme Filme, um den Zuschauer zum Nachdenken anzuregen. Besonders mit seinen Schwulenfilmen der 70er Jahre regt er einen frühzeitigen Aktivismus an. Am Beispiel dieser wird untersucht, mit welchen Gestaltungsmitteln und welchem didaktischen Aufbau sein Werk eine Provokation erzielt. Eine ähnliche Herangehensweise lässt sich bei Praunheims Filmen zu AIDS in den 80er und 90er Jahren beobachten. Begleitet werden Praunheims agitatorische Filme von eigenen Artikeln in der deutschen Presse sowie zahlreichen Auftritten im Fernsehen, die schließlich im Outing von homosexuellen Prominenten durch Praunheim münden. Hierzu wird das öffentliche Meinungsbild betrachtet und die Methoden, mit denen Praunheim dieses in seinen Auftritten zu formen versucht.

Aufgrund der geringen Anzahl eigenständiger Publikationen zu Rosa von Praunheim bietet sich in der Arbeit die besondere Chance für grundlegende Analysen. Von großer Hilfe ist dabei eine von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte herausgegebene Aufsatzsammlung aus der (inzwischen eingestellten) Reihe Film des Hanser-Verlags. Zudem geben viele zeitgenössische Filmkritiken und -essays aus der Tagespresse und aus Magazinen wertvolle Aufschlüsse über die Rezeption von Praunheims Filmen. Gleichwohl wurden, besonders im englischsprachigen Raum, viele kürzere wissenschaftliche Untersuchungen im Rahmen schwuler Filmtheorien angestellt. Praunheims schriftliche Autobiografien Sex und Karriere und 50 Jahre pervers sowie eine Vielzahl von Interviews, die er über die Jahre gegeben hat, veranschaulichen hingegen Praunheims Arbeitsweise und die Intention seiner Filme, die für die Betrachtung seines Werkes unerlässlich sind.

Nicht alle seiner Filme sind im Handel erhältlich. Viele der diskutierten Filmbeispiele wurden deshalb als Kinovorführung oder aufgezeichnete Fernsehausstrahlung gesichtet. Zudem bietet der Regisseur selbst einige seiner Filme zum Kauf an. Die vorliegende, thematisch orientierte Arbeit bezieht sich stets auf jeweils prominente und anschauliche Beispiele und beschränkt sich damit hauptsächlich auf einige herausragende Filme innerhalb Praunheims umfangreichen Schaffens. Sofern notwendig und sinnvoll werden aber auch stets Vergleiche mit weiteren Produktionen herangezogen, um ein vollständiges und differenziertes Bild von Praunheims Werk zu zeichnen.

2. Rosa von Praunheim als Künstler

»Nieder mit der Intelligenz, es lebe der Tod!«

Carla Aulaulu in ROSA ARBEITER AUF GOLDENER STRAßE – 2. TEIL

2.1 Anfänge

Rosa von Praunheims Ursprünge liegen in der bildenden Kunst. Unter dem Künstlernamen Rosa von Praunheim stellt Holger Mischwitzky Anfang der 1960er Jahre Bilder von geköpften Königen aus. 1967 veröffentlicht er in seinem Band Männer, Rauschgift und der Tod[3] Skizzen und Gedichte, 1968 den Fotoroman Oh Muvie[4], gemeinsam mit seiner späteren Kamerafrau Elfi Mikesch. Sein Werk umfasst außerdem Theaterstücke und Hörspiele. Den Film scheint Praunheim zunächst nur als eine weitere Ausdrucks- und Experimentierform zu sehen. Seine frühen Kurzfilme haben experimentellen Charakter. Der Erstlingsfilm VON ROSA VON PRAUNHEIM (1968) erzählt in kontrastreichen und groben Bildern eine moderne Aschenputtelgeschichte: Eine junge Frau (Carla Aulaulu) muss für ihre Schwestern und die Familie erniedrigende Dienste übernehmen. Die Handlung lässt sich kaum ausmachen. Der Film lebt von den perspektivreichen Kamerabeobachtungen der Hauptdarstellerin Carla Aulaulu und deren teils spasmisch anmutenden Bewegungen, die in einem exzessiven Tanz enden. Auch der dem stummen Film übergesprochene und gesungene Kommentartext kann den Inhalt nicht erläutern. Teils singt Rosa von Praunheim selbst in einer dem Französischen nachempfundenen Fantasiesprache. Carla Aulaulu versucht in ihrem deutschsprachigen Sprech- und Gesangspart den Gefühlszustand der von ihr verkörperten Figur zum Ausdruck zu bringen:

Mein Herz, ach mein Herz ist voller Quaaaal.

Ich leide bis zum Überdruss.

Mein Besen in meinem Herzen ist vergoldet und ich bin voller Bluti;

Bluti in meinem Herzen, denn der Schmutzi in meinem Herzen ist feucht

und voller Asseln.[5]

 

Die Verwendung von Sprache erinnert an den Dadaismus und experimentelle Lyrik, ähnlich wie Praunheims frühe Gedichte:

                                            ein                                   SCHAUKELN

im gang deutete bei den nervösen zuschauern auf FALLEN. sie hoben schon

die HÄNDE um unverhinderbares zu verhindern. ich liebe einen KÖNIG, die

krone hat mehr LÖCHER als ein sieb, und ich liebe mich vor dem SPIEGEL[6]

heißt es in einem Gedicht, das mit »Die Bettwurst« betitelt ist. Praunheims Gedichte evozieren, wie seine Kurzfilme, eindeutige sexuelle Konnotationen. Ein Verständnis des Gezeigten erschließt sich im Film durch die Tonlagen und Betonungen des Gesprochenen, im Gedicht wird diese Funktion durch Groß- und Kleinschreibungen und Texteinrückungen übernommen. Auch in weiteren frühen Kurzfilmen fällt die ungewöhnliche Form auf. Geprägt durch den amerikanischen Experimental- und Undergroundfilm sowie durch eine Regieassistenz bei Gregory Markopoulos, findet Praunheim für den deutschen Kurzfilm experimentelle Erzählweisen. Gleichermaßen prägt ihn die frühe Zusammenarbeit mit Werner Schroeter, mit dem er in GROTESK – BURLESK – PITTORESK (1968) Co-Regie führt. In späteren Filmen greift Praunheim wieder Sprachspiele auf. Mit »mein krutschi grunzi brunzi frunz«, »mein watscheli patscheli popeli poo« und »mein schmusi, rumsi bumsi frotzi plotzi«[7] liebkosen sich Praunheim und Lotti Huber in Unsere Leichen leben noch (1981). Praunheim versucht ein Lebensgefühl zu vermitteln und testet die Grenzen von Verständlichkeit und Ausdruck des filmischen Mediums aus.

 

»Kunst muß immer auch revolutionär sein und selbst in Zeiten einer Revolution eine Gegenposition einnehmen, aufrütteln, erschrecken«[8], schreibt Praunheim über die Arbeit an einem seiner späteren Filme (ROTE LIEBE (1982)). Er möchte durch seine Filme etwas Neues zeigen und ausprobieren, ebenso interessiert er sich für Menschen, die ähnliche Ansichten vertreten. Praunheim stiftet mit seinen Filmen einen Sinn, der bereits von Walter Benjamin in einem berühmten Zitat formuliert wurde: »Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen, für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist.«[9] So erschafft Praunheim zwar keine neue Kunstform, allerdings eine neue Art der filmischen Weltsicht. Wenn Benjamin noch die Entfremdung von Kunst und Betrachter beklagt[10], so findet Praunheim in seinen Filmen eine Symbiose aus Kunst und Alltagsnähe. Mit Figuren, die auch als »große Volksschauspieler, wie man sie schon lange tot glaubte«[11] bezeichnet werden, führt er dem Publikum eigene Schwächen und Missstände vor. Zudem beanstandet er das »totsubventionierte Kultursystem«[12] der Deutschen, welches keine wirklichen Freiheiten biete: »beamtetes Theater ohne Risiko«[13]. Durch seine Erfahrungen im amerikanischen Underground bewegt, versucht er den unabhängigen und freien kulturellen Schaffensdrang aus den USA in Deutschland weiter zu führen. In UNDERGROUND AND EMIGRANTS (1976) dokumentiert er diese Erlebnisse und verliest im Off ein Manifest[14] über die Kulturlandschaften in Deutschland und Amerika: »Ich bin nach New York gefahren aus Wut auf den sterilen deutschen Kulturbetrieb, der akademisch, steif und unvital ist.«[15] Er bewundert die Energie der Amerikaner, die trotz widriger Umstände eine vitale Kultur erschaffen haben: »In New York sind die Theater viel schlechter dran [als in Berlin]. Viele Schauspieler müssen auf den Strich gehen oder mit Drogen handeln, aber sie lieben ihren Beruf, sie können ohne kreativ zu sein nicht leben.«[16] Praunheim möchte einen Kampf gegen in Deutschland bestehende Ideologien und Fantasielosigkeit aufnehmen, da er sich in seiner eigenen künstlerischen und persönlichen Freiheit eingeschränkt sieht.

Die Erwartungen des Zuschauers in Praunheims frühen Filmen werden grundlegend gebrochen, so findet sich beispielsweise zwischen ROSA ARBEITER AUF GOLDENER STRAßE - 1. TEIL (1968) und ROSA ARBEITER AUF GOLDENER STRAßE - 2. TEIL (1969) kein direkter Zusammenhang außer den identischen Titeln. Im ersten Teil zeigt Praunheim eine Liebesszene zwischen Carla Aulaulu und dem durch ganzkörperliche Verbrennungen entstellten Rainer Kranich, »der das ästhetische Empfinden von Spießern testen sollte.«[17]

Abbildung 2: Rainer Kranich in ROSA ARBEITER AUF GOLDENER STRAßE – 1. TEIL

Im zweiten Teil wird Aulaulu in eine Liebesgeschichte mit einem Revolutionär verwickelt, die in einer Enttäuschung mündet. In beiden Filmen wird die Geschichte durch einen Offkommentar erläutert, bzw. durch diesen erst erzählt. ROSA ARBEITER AUF GOLDENER STRAßE - 2. TEIL endet mit einer Nahaufnahme Carla Aulaulus: »Schweine, Mörder, diese Bande von Intellektuellen haben mir meinen Mann genommen, die Freude am Besitz gestohlen und mich meiner Lebensaufgabe entfremdet. Nieder mit der Intelligenz, es lebe der Tod.« Diese absurde und gleichermaßen provokative Aussage erscheint auf der Titelseite des seinerzeit populären Magazins film[18], und Praunheim erlangt frühe Bekanntheit.

Mit diesen Texten, einer politischen Parodie, gelang mir etwas aufregend Neues in der humorlosen linken Filmszene. Ich entwickelte ein perverses Interesse an bürgerlichen Formen, um sie zu verarschen; doch auch die Linke war mir suspekt. Ich war zu sehr Individualist, wollte mich nirgendwo eingliedern. Mich interessierten die kleinen Leute, die Spießer und Taxifahrer. Intellektuelle waren mir fremd, denn das Theoretische stand oft im Gegensatz zum Privaten, Persönlichen.[19]

Mit dieser Ablehnung einer Kategorisierbarkeit schafft sich Praunheim eine Sonderrolle, die er in seinen weiteren Filmen aufrecht erhält. Er entwickelt weder politische oder ideologische Sympathien noch Antipathien, so dass er besonders in Dokumentarfilmen die Rolle als neutrale Instanz wahren kann. Im Großteil seiner Arbeit beobachtet er Menschen, die sein Interesse geweckt haben. Ob Nazis, Juden, Diven, Tunten oder Obdachlosen: Praunheim begegnet seinen Figuren stets unvoreingenommen und mit Interesse. Rosa von Praunheim stellt aber auch eigene Meinungen dar und schlägt sich zeitweilig auf die Seite seiner Protagonisten. In TODESMAGAZIN ODER: WIE WERDE ICH EIN BLUMENTOPF? (1979) zeigt er beispielsweise seine Sympathie für den Interviewten Al Goldstein dadurch, dass er ein T-Shirt mit dem Werbeaufdruck seines Magazins »Death« trägt. Bekundungen wie diese zeigen, dass sich Praunheim auch als Teilnehmer seiner Filme begreift. Sein angesprochenes Interesse an den »kleinen Leuten« stellt er in frühen Langfilmen wie DIE BETTWURST dar, in denen er sich von experimentellen Formen vorerst abwendet und beginnt, bürgerliche Lebensrealitäten zu verfilmen.

 

Rosa von Praunheim hat Glück, dass sein Talent bereits früh honoriert wird. Schon seinen ersten Film kauft der WDR an und ermöglicht durch den finanziellen Gewinn weitere Produktionen mit steigenden Budgets, die ebenfalls von Fernsehanstalten gefördert werden. Praunheim zeigt sich beeindruckt von diesen frühen Erfolgen, ohne die sein weiteres Filmschaffen vielleicht finanziell nicht machbar gewesen wäre.[20] Besonders gesellschaftliche und filmpolitische Hintergründe jener Zeit schaffen einen günstigen Nährboden für Praunheims ausgefallene Filme. Der Neue Deutsche Film begünstigt unabhängige Produktionen. Das Oberhausener Manifest (1962) fordert neue Freiheiten für den deutschen Film und wird von zahlreichen Mitgliedern der kreativen Filmszene unterschrieben. Auch die Mannheimer Erklärung (1967) illustriert einen starken Aufbruchsdrang.[21] Durch günstige Umstände war es Praunheim möglich, sich ganz auf das Filmschaffen zu konzentrieren, ansonsten hätte er sich auch einem anderen Medium zuwenden können. Zum Filmemachen kam er durch Zufall.[22] »Ich spürte immer eine dumpfe Intensität, einen Willen, kreativ zu sein, in welchem Bereich auch immer.«[23] Das Fernsehen und das Kino bieten allerdings ein größtmögliches Publikumsspektrum, um seine Themen, Ideen und Aufrufe präsentieren zu können.

2.2 Privates und Öffentliches

Mit seinen ersten Langfilmen, den Fernsehproduktionen DIE BETTWURST und NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS, wendet sich Praunheim gezielt an große Zuschauerzahlen. Die Handlung dieser Filme ist erstmals in allgemeinverständliche Bilder und Dialoge, bzw. Voiceovers gegliedert. Zudem festigt Praunheim in diesen Filmen eine Ästhetik, Themen und Erzählstile, die in späteren Filmen immer wieder aufgegriffen werden.

Was früher Carla Aulaulu war, sind später Luzi Kryn, Evelyn Künnecke, Lotti Huber und viele andere starke Frauenfiguren. Rosa von Praunheim arbeitet mit Filmdarstellerinnen, die auch sein persönliches Umfeld prägen. Personen aus dem Privatleben wie Luzi Kryn treten in die Filmwelt ein, während für die Filme ausgesuchte Charaktere wie Lotti Huber zunehmend Praunheims Privatleben dominieren. Mit Aulaulu war Praunheim für einige Zeit verheiratet, Luzi ist tatsächlich mit ihm verwandt und mit Lotti Huber verband ihn eine »erotische Beziehung«[24]. Auch männliche Darsteller sind in diesen Prozess einbezogen, wie Dietmar Kracht aus DIE BETTWURST, der zeitweise in Praunheims Wohnung lebt und in späteren Filmen oft in kleinen Rollen zu sehen ist. Auch zahlreiche Charaktere aus Dokumentarfilmen, wie Evelyn Künnecke, Helga Goetze oder Ichgola Androgyn, treten in vielen von Praunheims Spielfilmen auf.

 

Die persönliche Arbeitsweise spiegelt sich in den Filmthemen wieder. Neben ungewöhnlichen Frauenporträts, der Bewunderung von Kitsch und Schrillem sowie der Beschäftigung mit dem Tod drehen sich viele Dokumentationen und Spielfilme um Homosexualität. Sich selbst als »produktivster Schwulenfilmer der Erde«[25] bezeichnend, macht Praunheim Privates öffentlich und nutzt seine Filme gleichermaßen als öffentlichen Diskurs sowie zur persönlichen Weiterentwicklung. »Ich möchte nicht Filme machen um Filme zu machen, sondern Film ist sozusagen ein Nebenprodukt von einer persönlichen Entwicklung, zum Beispiel. Und diese persönliche Entwicklung, die ist mir viel wichtiger.«[26] Durch die intensive Auseinandersetzung mit seiner Sexualität in den Schwulenfilmen beleuchtet er das Sujet aus zahlreichen Perspektiven, verwickelt sich dadurch aber auch in Widersprüche. In NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS wendet sich Praunheim gezielt an ein schwules Publikum und fordert es auf, seine eigene gesellschaftliche Situation zu überdenken. Er kritisiert Rituale und Verhaltensweisen der schwulen Subkultur, in der er selbst lebt. »Ich hatte Angst und Schuldgefühle, hatte ich doch die Subkultur in meinem Film zutiefst verdammt und war der erste, der davon abhängig war,«[27] schreibt Praunheim über seine Gefühle nach der Ausstrahlung des Films.

In ARMEE DER LIEBENDEN ODER REVOLTE DER PERVERSEN (1979) dokumentiert er ebenfalls seine Umgebung, allerdings in Form einer Reportage über die Schwulenbewegung in Amerika. Der in den 70er Jahren teilweise in New York lebende Regisseur begleitet mit der Kamera über mehrere Jahre hinweg die Bewegung und zeichnet das Porträt einer sich im Aufbruch befindenden Generation.

Praunheim selbst teilt sein Privatleben in den Büchern Sex und Karriere und 50 Jahre pervers auf exhibitionistische Weise mit und bringt dieses mit seinem Filmschaffen in Verbindung. Zudem veröffentlicht er mit NEUROSIA und PFUI ROSA! filmische Selbstporträts, die Filmschaffen und Privatleben miteinander verbinden.

Er stellt sich in seinen Filmen selbst aus, und wenn er nicht selbst im Bild zu sehen ist, dann doch seine Ängste, Meinungen und Gefühle. Er selbst wird zum Gegenstand seines Werkes. Michel Foucault fordert in seinen Spätschriften eine Verbindung zwischen Mensch und Kunstwerk. »Richtig zu leben heißt dort [bei Foucault], sich durch einen Prozeß intensiver Selbstdisziplin in ein Kunstwerk zu verwandeln.«[28] Diesen Prozess hat Praunheim verinnerlicht und nutzt die Kunst als Ausdrucksmittel tatsächlich um die von Foucault beschriebene »Hegemonie über das eigene Ich«[29] zu erlangen.

2.3 Selbstbetrachtungen

In NEUROSIA inszeniert Praunheim seinen eigenen Tod. Der Regisseur tritt am Anfang des Films in einem Kinosaal auf, um seine filmische Autobiografie vorzustellen. Aus dem Publikum schallen ihm Buhrufe entgegen, viele seiner Gegner haben sich dort versammelt. Tunten schneiden Grimassen. In einer kurzen Ansprache versucht Praunheim die Argumente seiner Kritiker provokativ zu entwaffnen:

Vielleicht werden jetzt einige Kritiker meinen, dass man einen autobiografischen Film erst machen kann, wenn man achtzig ist oder scheintot. Aber man hat mir immer wieder vorgeworfen, dass ich meine Darsteller lächerlich mache oder ausbeute [Zwischenruf: »Ausbeuter!«]. Deswegen habe ich mich nun entschlossen, mich selber lächerlich zu machen und auszubeuten. Vielleicht werden nun einige sagen, das entspräche nur meinem Exhibitionismus und meiner Eitelkeit. Aber dazu möchte ich demütig bemerken: Verzeiht mir, dass ich so berühmt bin, verzeiht mir meine Schönheit, verzeiht mir meine künstlerische Begabung.[30]

Es fällt ein Schuss, Rosa von Praunheim stürzt zu Boden und das Licht geht aus. Im weiteren Verlauf des Films erhält die Journalistin Gesine Ganzman-Seipel (Désirée Nick) von ihrem Fernsehsender HAU-TV den Auftrag, den Mord an Praunheim zu untersuchen und das Rätsel um seinen verschwundenen Leichnam zu lösen. Ihre Ergebnisse soll sie in einer mehrwöchigen Reportage präsentieren. Ganzman-Seipel erschleicht sich Zugang zu seiner Wohnung und interviewt zahlreiche Bekannte und Zeitgenossen Praunheims, die ein facettenreiches Bild des Selbstdarstellers zeichnen. In die fiktionale Reportagestory um Frau Ganzman-Seipel werden reale Meinungen, Geschichten und Erfahrungen von und mit Rosa von Praunheim eingeflochten. Bekannte Darsteller aus seinen Filmen, wie Luzi Kryn, Evelyn Künneke und Lotti Huber kommen zu Wort, aber auch ehemalige Liebhaber und Gegner. Ganzman-Seipel findet sogar einen Nazi-Drohbrief in Praunheims Büro, in dem ihm Vergasung angedroht wird.

Abbildung 3: NEUROSIA

Désirée Nick präsentiert in NEUROSIA Praunheims Leben in betont grotesker Form. Frau Ganzman-Seipel ist der Prototyp alles Spießigen. Für die Reportage über Praunheims Verschwinden und den vermeintlichen Mord muss sie ihr Lieblingsthema, eine Sendung über gemeine Gartenrotschwänzchen, unterbrechen. Nur widerwillig nimmt sie den Auftrag von ihrem Chefredakteur an. Dennoch ist sie für die Aufgabe scheinbar geeignet: Der Bruder ihrer Tante zweiten Grades habe sich wegen Homosexualität behandeln lassen (allerdings erfolglos), sie habe deshalb mit dem Thema etwas Erfahrung. Désirée Nick verkörpert eine punkig karikierte Spießerin, die in sich Unvereinbares miteinander verbindet: einerseits ihre Angewidertheit von Praunheims Leben und Art, andererseits das zur Darstellerin passende Auftreten in extravaganten Kostümen und wasserstoffblonder Kunstfrisur. Nick ist in NEUROSIA tatsächlich so schrill, dass sie von der Literaturwissenschaftlerin Alice Kuzniar in ihren Studien über Praunheims Filme einmal irrtümlicherweise als Transvestit betrachtet wird.[31] Das seinerzeit öffentliche Profil von Nick als Kabarettistin und die von ihr dargestellte Figur stehen konträr zueinander. Mit Nick lässt er eine Gegnerin von einer Sympathieträgerin verkörpern. Durch diese Besetzung »gegen den Strich« erreicht Praunheim eine kritische, aber nie die Sympathie des Publikums verlierende Führung durch sein Werk und Leben. Gegenüber verständnislosen Kritikern setzt Praunheim zu einer taktischen Umarmung an, indem er seine Gegner zu Wort kommen lässt. Kuzniar sieht in NEUROSIA eine geschickt kalkulierte Strategie des Rückzugs:

She [Désirée Nick] interviews relatives, former friends, and colleagues, most of whom have little good to say about him. Paradoxically the film becomes more a vehicle for these other characters than for its director, a strategy of withdrawal that explains many of von Praunheim’s tactics both cinematically as well as politically.[32]

Tatsächlich bringt NEUROSIA zahlreiche interessante Personen in Zusammenhang mit Praunheim, die alle etwas über ihn berichten möchten. »Viel Feind, viel Ehr«, scheint die Prämisse des Films zu sein, wobei fast alle Protagonisten ihre Feindschaft bewusst künsteln und schließlich ihre grundlegende Sympathie für Praunheim bekunden. Der Regisseur wirkt im Verborgenen und behält in der Inszenierung – letztlich im Schnitt – die Kontrolle über sein Werk.

 

Abbildung 4: Desirée Nick, im Hintergrund Rosa von Praunheim

Die Arbeit der Journalistin ist nur eine Travestie der realen Klatschspaltenkolumnisten, die über ihn tatsächlich »Pfui Rosa!« und »Nervensäge der Nation« titelten. Ganzman-Seipel ist keine Gefahr, ganz im Gegenteil. Mit großer Hingabe betreibt sie investigativen Qualitätsjournalismus, indem sie in wochenlanger Arbeit herauszufinden versucht, wer Rosa von Praunheim tatsächlich ist. Am Ende des Films hat sie sich mit ihrem journalistischen Sujet angefreundet und rettet den noch lebenden Rosa von Praunheim aus den Fängen eines Tuntenclans. Auf einem Hausboot halten ihn die vier Tunten, deren Leben er später in TUNTEN LÜGEN NICHT (2002) dokumentiert, fest und zwingen ihn dazu, niedere Arbeiten zu verrichten. »Er gehört zu mir« bricht Désirée Nick singend in das Boot ein. »Alles fangen wir gemeinsam an«, singen die Tunten, dem Rosa von Praunheim nur ein weinerliches »weil ich alleine gar nichts kann« hinzufügt. Er kommentiert dabei seine filmische Arbeitsweise, sich von seinen Darstellern inspirieren zu lassen. Drehbücher und Filme entstehen in Gemeinschaftsarbeit. Praunheim präsentiert sich in Abhängigkeit der von ihm Gefilmten. So wie er den Film mit dem Vorwurf eröffnet, er würde seine Darsteller ausnutzen, so wird dieser durch die gegenseitige Abhängigkeit entkräftet.

 

hat sie jedoch zahlreiche Funde gemacht, die sie in ihrer Sendung verwerten kann.