Oscar Wilde


Das Gespenst von Canterville

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-945667-69-9


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Letztes Kapitel



Vier Tage nach diesen seltsamen Ereignissen verließ gegen elf Uhr abends ein Trauerzug Canterville Chase. Der Leichenwagen wurde von acht Rappen gezogen, die auf dem Kopf große Büschel nickender Straußenfedern trugen, und den Bleisarg bedeckte ein kostbares purpurnes Bahrtuch, auf das mit Gold das Wappen derer von Canterville gestickt war. Neben dem Leichenwagen und den Kutschen schritten die Diener mit brennenden Fackeln, und der ganze Zug war wunderbar ergreifend. Lord Canterville war der Hauptleidtragende und eigens aus Wales hergekommen, um an dem Leichenbegängnis teilzunehmen; er saß mit der kleinen Virginia im ersten Wagen. Dann folgten der Gesandte der Vereinigten Staaten und seine Gattin, dann Washington und die drei Buben, und im letzten Wagen saß Mrs. Umney. Alle waren sich einig gewesen in dem Gefühl, daß sie ein Recht habe, sein Ende mitzuerleben, da sie mehr als fünfzig Jahre ihres Lebens von dem Gespenst erschreckt worden war. Ein tiefes Grab war in der Ecke des Friedhofs ausgehoben, just unter der alten Eibe, und Ehrwürden Augustus Dampier hielt auf höchst eindrucksvolle Weise den Gottesdienst. Als die feierliche Handlung beendet war, löschten die Diener nach einem alten Brauch des Hauses Canterville ihre Fackeln, und als der Sarg ins Grab gesenkt wurde, trat Virginia vor und legte ein großes Kreuz aus weißen und rosa Mandelblüten darauf nieder. Im gleichen Augenblick kam der Mond hinter eine Wolke hervor und überflutete den kleinen Friedhof mit seinem lautlosen Silber, und in einem fernen Hag begann die Nachtigall zu singen. Virginia dachte daran, wie ihr das Gespenst den Garten des Todes geschildert hatte, ihre Augen wurden trüb von Tränen, und auf der Heimfahrt sprach sie kaum ein Wort.

Am nächsten Morgen, ehe Lord Canterville nach London fuhr, hatte Mr. Otis eine Unterredung mit ihm über den Schmuck, den das Gespenst Virginia geschenkt hatte. Er war einfach herrlich, vor allem ein Halsband von Rubinen, eine Arbeit aus dem sechzehnten Jahrhundert, und er war so ungemein wertvoll, daß Mr. Otis erhebliche Bedenken hatte, ob er seiner Tochter gestatten dürfe, ihn anzunehmen.

"Mylord", sagte er, "ich weiß, daß in ihrem Land Schmucksachen ebenso als unveräußerliches Gut gelten wie Grund und Boden, und es ist mir völlig klar, daß dieser Schmuck ein Familienerbstück ist oder sein sollte. Ich muß Sie demnach bitten, ihn nach London mitzunehmen und durchaus als einen Teil Ihres Eigentums zu betrachten, der Ihnen unter ungewöhnlichen Umständen zurückerstattet wurde. Was meine Tochter betrifft, so ist sie ja ein reines Kind und hat, wie ich mit Freuden behaupten kann, noch wenig Interesse für dergleichen Zubehöre eitler Prachtliebe. Mistress Otis, die, ich darf sagen, in Dingen der Kunst keine geringe Autorität ist, da sie den Vorzug genoss, als junges Mädchen mehrere Winter in Boston zu verbringen, hat mir überdies mitgeteilt, daß diese Edelsteine von ganz erheblichem Wert sind und bei Verkauf einen hohen Preis erzielen würden. Ich bin überzeugt, Lord Canterville, daß Sie zugeben werden, wie unmöglich es unter diesen Umständen für mich wäre, sie im Besitz eines Mitgliedes meiner Familie verbleiben zu lassen, und in der Tat wäre all dieser Putz und Tand, wie angemessen oder unerlässlich auch immer für das Ansehen der britischen Aristokratie, völlig fehl am Platze bei denen, die in den strengen und, ich glaube, unvergänglichen Grundsätzen republikanischer Einfachheit erzogen sind. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, daß Virginia sehr viel an Ihrer Erlaubnis gelegen ist, das Kästchen als eine Erinnerung an Ihren unglücklichen, aber irregeleiteten Vorfahren behalten zu dürfen. Da es sehr alt ist und sich folglich in einem ziemlich schlechten Zustand befindet, werden Sie vielleicht nichts dagegen haben, ihre Bitte zu erfüllen. Ich für mein Teil muß gestehen, daß es mich einigermaßen überrascht, bei einem meiner Kinder Interesse für etwas Mittelalterliches festzustellen, und kann es nur dem Umstand zuschreiben, daß Virginia in einem Ihrer Londoner Vororte geboren wurde, kurz nachdem Mistress Otis von einer Reise nach Athen zurückgekehrt war."

Lord Canterville hörte sich die Rede des vortrefflichen Gesandten ganz ernst an, wobei er hin und wieder an seinem grauen Schnurrbart zupfte, um ein unwillkürliches Lächeln zu verbergen, und als Mr. Otis geendet hatte, schüttelte er ihm herzlich die Hand und erwiderte: "Mein lieber Mister Otis, Ihre reizende kleine Tochter hat meinem unglücklichen Vorfahren, Sir Simon, einen höchst bedeutenden Dienst erwiesen, und ich und meine Familie sind ihr für ihren erstaunlichen Mut und ihre Unerschrockenheit zu großem Dank verpflichtet. Der Schmuck gehört zweifellos ihr, und wahrhaftig, ich glaube, wenn ich so herzlos wäre, ihn ihr zu nehmen, würde der böse alte Gesell binnen vierzehn Tage aus seinem Grab steigen und mir das Leben verteufelt sauer machen. Was den Begriff Erbstück betrifft, so ist nichts ein Erbstück, was nicht als solches in einem Testament oder Aktenstück aufgeführt ist, und das Vorhandensein dieses Schmucks war völlig unbekannt. Ich versichere Ihnen, daß ich nicht größeren Anspruch auf ihn habe als Ihr Butler, und ich möchte behaupten, wenn Miss Virginia heranwächst, wird sie sich freuen, so hübsche Dinge tragen zu können. Außerdem vergessen Sie, Mister Otis, daß Sie die Einrichtung und das Gespenst zum Taxpreis übernahmen, und somit ging alles, was dem Gespenst gehörte, in Ihren Besitz über; denn welche Tätigkeit Sir Simon auch nachts im Korridor entwickelte, vom gesetzlichen Standpunkt aus war er einwandfrei tot, und Sie haben sein Eigentum durch Kauf erworben."