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Sascha Müller-Kraenner

ENERGIESICHERHEIT

Die neue Vermessung der Welt

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Antje Kunstmann

INHALT

EINLEITUNG
Was ist Energiesicherheit?

KAPITEL 1
Vor einer neuen Energiekrise

KAPITEL 2
Das große Spiel um die Vermessung der Welt

KAPITEL 3
Energiesupermacht Russland

KAPITEL 4
Der Aufstieg Asiens

KAPITEL 5
Eine gemeinsame europäische Energiepolitik

KAPITEL 6
Die Verteidigung der letzten Paradiese

KAPITEL 7
Auswege aus der Abhängigkeit – Sonne oder Atom?

KAPITEL 8
Die Stärke des Rechts und die Diplomatie der Zukunft

QUELLEN

DANKSAGUNG

EINLEITUNG

WAS IST ENERGIESICHERHEIT?

Was ist Energiesicherheit? Die Bundesregierung und die Europäische Kommission verstehen darunter die Bereitstellung von preisgünstiger, verlässlicher und umweltfreundlicher Energie. Auf diese allgemeine Definition könnte man sich ohne Weiteres einigen. Doch der Teufel steckt wie üblich im Detail. Was eigentlich bedeutet eine verlässliche Energieversorgung? Welchen Preis, sowohl finanziell als auch politisch, sind wir bereit, dafür zu zahlen? Und wie wird sichergestellt, dass beim Zugriff auf Energieressourcen die Belange des Umweltschutzes, aber auch Transparenz, Menschenrechte und Demokratie nicht unter den Tisch fallen? Hierum geht es in der aktuellen politischen Debatte: welcher Weg zu mehr Energiesicherheit der richtige ist.

An der Energiefrage lässt sich aber auch zeigen, wie sich die Außenpolitik im 21. Jahrhundert verändert hat. Bei der Suche nach Öl, Geld und Macht scheint für die edlen Prinzipien des Völkerrechts und für das feinziselierte Instrumentarium der internationalen Diplomatie kein Platz mehr zu sein. Der Kampf um die letzten Ressourcen wird mit harten Bandagen ausgetragen; die Sicherung der nationalen Energieversorgung ist für jedes Land knallharte Realpolitik. Bündnisse werden nicht mit denjenigen geschlossen, die man mag, sondern mit denen, die man braucht. Das vorliegende Buch beschreibt, wie sich die Machtverhältnisse der Welt schon heute entlang der Frage verschieben, wer die verbleibenden Energieressourcen und den Zugang zum Weltmarkt kontrolliert. Es zeigt auf, wie die Politik reagieren muss, um die sich abzeichnenden Ressourcenkonflikte kooperativ und friedlich zu lösen.

Russland, China, die Europäische Union und natürlich die USA sind die vier Hauptakteure, die sich im Großen Spiel des 21. Jahrhunderts gegenüberstehen. Anders als beim »Great Game« des 19. Jahrhunderts, als Russland und England in den Wettlauf um die Kontrolle Zentralasiens traten, handelt es sich heute nicht ausschließlich um ein Ringen um politische und wirtschaftliche Einflusszonen. Es geht auch darum, welche Spielregeln auf den Energiemärkten im Besonderen und in der Welt von morgen im Allgemeinen gelten sollen. Dabei stehen sich zwei Philosophien gegenüber: eine neue Großmachtpolitik, wie sie die USA durch die militärische und politische Neuordnung des Nahen Ostens, wie sie Russland und China durch die expansive Politik ihrer staatlichen Energiekonzerne in Afrika und Zentralasien betreiben; oder eine Politik, die – um Ressourcenkonflikte zu entschärfen – auf Klimaschutz, Energieeinsparung, erneuerbare Energien und internationale Kooperation setzt.

Russland hat eine Schlüsselstellung für die zukünftige Energieversorgung Europas und Asiens. Deswegen ist es wichtig, zu verstehen, wohin Russland steuert und wer die Männer sind, die zurzeit im Kreml das Sagen haben. Russlands innenpolitische Entwicklung hat auch Auswirkungen auf sein Verhalten gegenüber seinen Nachbarn und dem Rest der Welt. Wie zu Sowjetzeiten gehen eine immer autokratischere Innen- und eine imperiale Außenpolitik Hand in Hand. Dabei setzt die neue russische Großmachtpolitik auf die Macht von Gazprom, nicht auf die Waffen der Roten Armee. Die Europäische Union muss sich entscheiden, wie sie mit dem unheimlichen Koloss in ihrer Nachbarschaft umgehen will. Wird Russland zum strategischen Partner, wie es in den wohllautenden Erklärungen europäischer Gipfeltreffen immer heißt, oder wächst im Osten ein Konkurrent und Gegner heran, gegen den Europa sich politisch und wirtschaftlich rüsten muss?

Auch für China und Indien, die beiden aufstrebenden Mächte des 21. Jahrhunderts, gehören Energie- und Außenpolitik eng zusammen. Die Region und ihr dynamisches Wirtschaftswachstum sind höchst abhängig von Energieimporten, sowohl aus dem Nahen Osten als auch aus Russland und Zentralasien. Die asiatischen Schwellenländer und ihre Ökonomien reagieren deshalb auf Krisen und Kriege in diesen Regionen höchst empfindlich.

Die meisten Öl- und Gasvorkommen in der Region selbst liegen unter dem Meeresspiegel. Die Oberhoheit über diese Gebiete ist heiß umkämpft und sorgt dafür, dass die Spannungen zwischen China und seinen Nachbarn steigen und regionale Kooperation auf anderen Gebieten erschwert wird. Chinas staatliche Ölkonzerne drängen zudem mit hoher Aggressivität auf den Weltmarkt, ohne Rücksicht auf Umweltprobleme und Menschenrechte zu nehmen.

Die Europäische Union ist die größte Wirtschaftsmacht der Welt, verfolgt aber bisher keine eigenständige Energiepolitik. Ohne eine gemeinsame europäische Energiepolitik kann es aber auch keine überzeugende EU-Außenpolitik geben. Sonst bleibt die EU in einer zentralen ökonomischen Überlebensfrage erpressbar. Da Europa auf absehbare Zeit von Energieexporten aus seiner südlichen und östlichen Nachbarschaft abhängig sein wird, darf die gemeinsame Energiepolitik sich nicht auf die EU im engeren Sinne beschränken, sondern muss die angrenzenden Länder Osteuropas sowie des Nahen und Mittleren Ostens einbeziehen. Entscheidend dabei ist das Verhältnis der EU zu Russland. So wie Russland den Doppelkontinent Eurasien geografisch verbindet, so verknüpfen der Energietransport und Handel Eurasien nicht nur wirtschaftlich, sondern zunehmend auch politisch miteinander. Weitere Schlüsselländer sind dabei die Ukraine, die Türkei und die Staaten des südlichen Kaukasus. Sie dienen als politische Brücke und Transitländer für den Energieimport in die EU. Deshalb müssen diese Länder politisch und wirtschaftlich stärker an die EU herangeführt werden.

Europas Energiepolitik muss aber auch Alternativen zu der wachsenden Abhängigkeit von Energieimporten aus seinen Nachbarregionen entwickeln. Dazu gehört, die Energieeffizienz der europäischen Wirtschaft weiter zu verbessern und die Führungsrolle des alten Kontinents bei den erneuerbaren Energien weiter auszubauen.

Auf der Suche nach den letzten Öl- und Gasvorkommen des Planeten geraten sowohl Umwelt als auch Demokratie unter Druck. In der Arktis, auf den Weltmeeren, in tropischen und nordischen Wäldern wird bisher unberührte Natur durch den Rohstoffabbau bedroht. Für den Transport von Öl und Gas werden neue Schneisen durch Gebirge, Eis und Wälder geschlagen. Giftige Abfälle und Unfälle bedrohen einheimische Tier- und Pflanzenarten und entziehen der einheimischen Land- und Jagdwirtschaft damit die Grundlage. Die Menschen vor Ort werden meist nicht gefragt, wenn das Energieministerium aus der Hauptstadt oder der multinationale Ölkonzern aus dem Ausland bei ihnen bauen und investieren.

Wo das Öl regiert, kommt die lokale Mitbestimmung meist zu kurz. Die Verletzung von Menschenrechten und die Störung traditioneller Lebensweisen der einheimischen Bevölkerung führen zu sozialen Konflikten und politischer Instabilität. Die Interessenvertretungen indigener Völker und internationale Umweltverbände werden bei ihrem Versuch, der Kolonisierung der letzten Naturparadiese durch die internationalen Energiekonzerne Einhalt zu gebieten, von den Regierungen oft alleingelassen.

Wenn das Zeitalter der fossilen Energien wirklich zu Ende geht, stellt sich – vielleicht schneller als gedacht – die Frage, was danach kommt. Nicht jeder Tropfen Öl, nicht jeder Kubikmeter Gas und nicht alle Kohle werden noch gefördert werden. Natürliche Herausforderungen und politische Krisen machen die Erschließung der verbleibenden fossilen Ressourcen schwieriger und teurer. Gerade die Ärmsten der Welt sind deshalb die Hauptbetroffenen. Sie werden ihre Öl- und Gasrechnung in Zukunft schlicht nicht mehr bezahlen können. Deswegen sucht die Energiewirtschaft mit Hochdruck nach Alternativen. Dabei stehen sich zwei Strategien diametral gegenüber: der verstärkte Ausbau der Atomenergie, eventuell ergänzt durch futuristische Fusionsreaktoren, einerseits sowie eine anspruchsvolle Klimaschutzpolitik, die auf Energieeinsparung und erneuerbare Energien setzt, andererseits. Im Zeitalter des internationalen Terrorismus steigt jedoch auch die Sorge vor der nuklearen Proliferation. Nicht nur aus umwelt-, sondern auch aus sicherheitspolitischer Sicht gehört den erneuerbaren Energien deshalb die Zukunft.

Doch die Wende »Weg vom Öl« erfordert nicht nur entsprechende betriebswirtschaftliche Weichenstellungen der einzelnen Energieunternehmen sowie eine volkswirtschaftliche Entscheidung jedes Staates über seinen Energiemix; sie kann letztendlich nur durch internationale Kooperation geleistet werden: durch eine internationale Energiediplomatie.

Die Menschheit steht vor der Alternative, ob die Entscheidung über ihre gemeinsame Energiezukunft friedlich fällt oder ob in naher Zukunft Ressourcenkriege drohen. Das Gefüge völkerrechtlicher Verträge und Institutionen, die den Bereich der internationalen Energiepolitik regeln, ist jedoch noch lückenhaft. Eine neue Weltumweltorganisation und eine Agentur zur Förderung erneuerbarer Energien könnten etablierte Einrichtungen wie die Internationale Energieagentur ersetzen.

Wie sieht also eine weltweite Energiepolitik aus, in der nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts regiert? Wie können knapper werdende Ressourcen gemeinsam bewirtschaftet und Ressourcenkriege abgewendet werden? Wie kann verhindert werden, dass beim Zugriff auf die letzten Rohstoffe unberührte Naturräume unwiederbringlich zerstört werden? Und wie sieht letztendlich eine internationale Energiepolitik aus, die nicht nur sichere, preiswerte Energie zur Verfügung stellt, sondern auch die Menschheitsfrage des Klimaschutzes beantwortet?

KAPITEL 1

VOR EINER NEUEN ENERGIEKRISE

Die Welt steht vor einer neuen Energiekrise. Im Gegensatz zu den Ölkrisen der siebziger und achtziger Jahre handelt es sich nicht um einen der bekannten zyklischen Preisanstiege, sondern um einen langfristigen Trend zur Ressourcenverknappung, der durch den Eintritt wichtiger Schwellenländer wie Indien und China auf den Weltenergiemarkt hervorgerufen wurde. Den knapper werdenden Vorräten an Öl und Gas steht ein stetig wachsender Bedarf gegenüber. Nur Kohle scheint über einen längeren Zeitraum in ausreichendem Maße vorhanden zu sein. Die Verbrennung aller fossilen Kohlevorräte wäre jedoch eine enorme Umweltbelastung, weil sich dadurch der weltweite Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid nochmals erhöhen würde. Neben der Energiekrise rückt auch die drohende Klimakrise immer mehr ins Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit. Die ersten Auswirkungen des globalen Klimawandels sind in der Arktis und anderen empfindlichen Ökosystemen schließlich schon heute zu beobachten.

Die sich abzeichnende Energiekrise droht außerdem, die politischen Gewichte auf der Welt zu verschieben. Die verbleibenden Öl- und Gasvorräte konzentrieren sich am Persischen Golf, in Zentralasien und Russland. Für Europa besteht daher die Gefahr, in die Abhängigkeit politisch instabiler und undemokratisch verfasster Länder, der neuen Energiegroßmächte der Zukunft, zu geraten. Wenn es Europa und anderen Ländern aber gelingt, auf erneuerbare Energien zu setzen, können sich auch die Machtverhältnisse im geopolitischen Kräftespiel wieder zu ihren Gunsten ändern.

Business as usual

Die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris wurde nach der ersten Ölkrise 1973 gegründet; sie beobachtet die Entwicklung der weltweiten Energiemärkte. Ihr jährlicher World Energy Outlook veröffentlicht regelmäßig erhobene Daten über die Trends des Energieverbrauchs, der Förderung und Preisentwicklung in allen großen Industrie- und Schwellenländern. Ein Blick auf die neuesten von der IEA veröffentlichten Zahlen lohnt sich, um zu verstehen, welche dramatischen Entwicklungen sich in den weltweiten Energiemärkten abzeichnen und welche politischen Herausforderungen darin liegen.

Im World Energy Outlook 2005 hat die IEA ein Szenario für den Zeitraum von 2005 bis 2030 erstellt. Grundannahme ist, dass die Energiepolitik der großen Industrie- und Schwellenländer sich in diesem Zeitraum nicht wesentlich ändert. Die Amerikaner nennen so etwas »business as usual«, das heißt »die Geschäfte laufen weiter wie bisher«. Bei Fortsetzung der heutigen Trends sowie auf Grundlage der erwarteten Entwicklung der Weltwirtschaft haben die Experten der IEA errechnet, dass der weltweite Energieverbrauch bis 2030 um 50 Prozent ansteigen wird.

Nach diesem Trendszenario wird die Energieversorgung auch 2030 im Wesentlichen auf fossilen Energieträgern beruhen. Der globale Verbrauch von Öl, Gas und Kohle wird demnach weiter zunehmen. Der Hauptteil des Anstiegs erfolgt in den großen Schwellenländern Indien und China. In der Folge wird der Ausstoß des Treibhausgases CO2 jährlich um 1,6 Prozent ansteigen. Ziel der UN-Klimakonvention, die 1992 auf dem Weltgipfel von Rio verabschiedet wurde, war, diesen Trend bis zum Jahr 2000 umzukehren und den CO2-Ausstoß unter den Stand von 1990 zu senken. Dieses Ziel ist heute schon nicht mehr zu schaffen. Der Anteil der Kernenergie würde bei Fortsetzung des jetzigen Trends sinken, da derzeit weniger neue Reaktoren geplant als stillgelegt werden. Der Anteil erneuerbarer Energien wie Sonne, Wind, Wasser und Biomasse würde schneller steigen als der aller anderen Energieformen. Da die erneuerbaren Energien ihr Wachstum auf niedrigem Niveau beginnen, würden sie trotz einer hohen jährlichen Steigerungsrate von erwarteten 6,2 Prozent jedoch auch 2030 nur zwei Prozent des gesamten Primärenergiebedarfs decken.

Der jährliche Energiereport des deutschen Bundeswirtschaftsministeriums bestätigt die Zahlen der IEA. Für Deutschland würde demnach bis 2030 der rechnerisch zusammengenommene Anteil der nichtfossilen Energien, also von Atomenergie und erneuerbaren Energien, bei Fortsetzung jetziger Trends, also einem moderaten Ausbau der erneuerbaren Energien bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Atomenergie, eher ab- als zunehmen. Der Anteil von Öl und Erdgas am Energiemix würde im gleichen Zeitraum von 59 auf 70 Prozent steigen. Das Wirtschaftsministerium weist außerdem darauf hin, dass die europäische Produktion aus den Öl- und Gasfeldern der Nordsee weiter zurückgehen, also die Importabhängigkeit von Russland und dem Nahen Osten wachsen wird.

Dabei bereitet den Ministerialexperten die politische Entwicklung in beiden Regionen Sorgen. Die politischen Transformationsprozesse in Russland sind noch nicht abgeschlossen. Niemand weiß, ob Russland sich langfristig zu einer stabilen Demokratie und Marktwirtschaft entwickeln wird. Der Nahe Osten ist sicherheitspolitisch die Krisenregion Nummer eins. Eine verlässliche Energieversorgung aus dieser Region ist also nicht sichergestellt. Hinzu kommt, dass bisher weder Russland noch die meisten Golfstaaten Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO sind. Im Fall eines Handelskonflikts ist für sie also nicht einmal das Streitschlichtungsinstrumentarium der WTO anwendbar. Das Bundeswirtschaftsministerium prognostiziert deshalb, dass bei wachsender Abhängigkeit von den genannten beiden Exportregionen die Energiesicherheit Deutschlands wohl abnehmen wird.

Insgesamt geht die IEA davon aus, dass die vorhandenen Ressourcen an fossilen Energieträgern ausreichen werden, auch die Weltwirtschaft von 2030 anzutreiben. Die Prognose der IEA ist allerdings mit Unsicherheiten behaftet. Da ihrer Grundannahme zufolge in den kommenden Jahren neue Ölfelder entdeckt und damit weitere Raffineriekapazitäten eröffnet werden, geht sie von einer nur moderaten Erhöhung des weltweiten Ölpreises – und des daran gekoppelten Gaspreises – aus. Für 2010 prognostizierte sie im Jahr 2005 einen durchschnittlichen Preis von 35 US-Dollar pro Barrel Öl, der bis 2020 auf 37 US-Dollar und bis 2030 auf 39 US-Dollar ansteigen würde. Doch bereits Mitte 2006, während der politischen Krisen im Irak, Iran und Libanon, bewegte sich der Preis pro Barrel knapp unter 80 US-Dollar, war also mehr als doppelt so hoch.

Zu Recht weisen die Experten der IEA darauf hin, dass Naturkatastrophen, politische Krisen und Kriege die Energiesicherheit für die Verbraucherländer erschüttern können, auch wenn die weltweiten Öl-, Gas- oder Kohlevorräte rein mengenmäßig ausreichen. Besonders beunruhigt zeigt sich die IEA jedoch über die wachsende Asymmetrie zwischen wenigen Export- und vielen Konsumentenländern. Insgesamt würde bei Fortsetzung der jetzigen Trends die Abhängigkeit der Welt von einigen öl- und gasexportierenden Ländern, vor allem des Nahen und Mittleren Ostens, dramatisch anwachsen. Für Westeuropa wächst außerdem die Abhängigkeit von Erdgasimporten aus Russland. Westeuropa und Ostasien haben im Vergleich zu dem dritten Pol der industrialisierten Welt, Nordamerika, nur geringe eigene fossile Energievorräte. Neben dem Verlust an Energiesicherheit ist es vor allem der steigende Ausstoß an Treibhausgasen bei ungebremster Verbrennung fossiler Energien, der den Experten der IEA Sorgen macht. In den Schlussfolgerungen des World Energy Outlooks 2005 heißt es deswegen: »Es wird weithin anerkannt, dass der Ausgang dieses Referenzszenarios unerwünscht und nicht nachhaltig ist.«

Peak Oil – das Ende des billigen Erdöls

Ein Gespenst geht um in der Energiebranche. Es nennt sich »Peak Oil« und verkündet das Ende des Ölzeitalters – oder doch zumindest das Ende der Verfügbarkeit eines billigen, scheinbar unerschöpflichen Schmierstoffs für die Weltwirtschaft. In einer Zeitungsanzeige des amerikanischen Ölkonzerns Chevron hieß es unlängst: »Wir haben 125 Jahre gebraucht, um die erste Billion (1.000 Milliarden) Barrel Öl zu verbrauchen. Die nächste Billion werden wir schon in 30 Jahren schaffen.« Gemeint ist damit die Förderung der gesamten Branche, nicht nur der Firma Chevron. Die Frage ist nur, ob die nächste nicht auch die letzte Billion ist. Mit dem Zeitpunkt und den Folgen des Peak Oil beschäftigt sich ein veritabler neuer Wissenschaftszweig. Kjell Aleklett, Physikprofessor an der Universität im schwedischen Uppsala, hat die Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO) gegründet und beschäftigt sich wissenschaftlich mit diesem Thema. Aleklett veröffentlicht Nachrichten und Zeitungsartikel, die belegen, dass es mit Öl und Gas langsam, aber stetig bergab geht. In seinem Blog www.peakoil.net, einem Diskussionsforum im Internet, diskutieren Geologen, Energiehändler und Ölexplorationsexperten über ihre gemeinsame Sorge, dass das Ende des Ölzeitalter näher sein könnte, als man denkt.

Peak Oil bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem die weltweite Gesamtförderung von Rohöl ihren Höhepunkt erreicht hat und anschließend zurückgeht. Nach Angaben der Ölgesellschaft BP reichen die geschätzten Reserven an Rohöl weitere 40 bis 50 Jahre. Seit Anfang der achtziger Jahre wird mehr Öl gefördert als neues gefunden, und die Lücke öffnet sich immer weiter. Auf vielen alten Ölfeldern lohnen sich langfristige Investitionen nicht mehr. Die alten, maroden Förderanlagen und die rostigen Tanker werden deswegen weitergenutzt, bis die Quelle versiegt ist. Dann werden sie, da das Ölzeitalter ohnehin zu Ende geht, verschrottet.

Die Reserven der verschiedenen Hauptförderländer reichen unterschiedlich lange. Während Saudi-Arabien jährlich 1,5 Prozent seiner Reserven fördert, sind es in Afrika drei und in Russland fünf Prozent. Grob gerechnet werden Russlands Ölreserven deshalb in 20 Jahren aufgebraucht sein. Hinzu kommen weitere Ressourcen, die momentan nicht unter wirtschaftlich und technisch vertretbarem Aufwand gefördert werden können. Bei steigenden Ölpreisen kann sich das aber ändern. Schließlich gibt es noch die unkonventionellen Ölquellen wie Ölschiefer und -sande, die erheblich länger reichen würden.

Das üblicherweise zitierte Verhältnis von Reserven und statistischem Verbrauch ist allerdings irreführend, da damit fälschlicherweise suggeriert wird, dass man bis zur Erschöpfung aller Reserven eine konstante Förderung aufrechterhalten könne. Wichtig ist deswegen der Zeitpunkt, ab dem die Förderung abnimmt. Die oben erwähnte ASPO glaubt, dass dieser Zeitpunkt schon 2010 erreicht sein könnte. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften rechnet mit dem Peak Oil bis zum Jahr 2025. Spätestens ab dann steht Öl als billiger und scheinbar unerschöpflicher Rohstoff nicht mehr zur Verfügung, und es beginnt die Mangelwirtschaft – oder die Suche nach Alternativen. Wichtigste Folge des Ölmangels jenseits des Peak Oil sind steigende Preise, da das Angebot die Nachfrage nicht mehr befriedigen kann. Nicht alle können diese Preise bezahlen. Sie erleben eine neue Form der Armut, die so genannte »Energiearmut«.

Die verbleibenden Vorräte konzentrieren sich wie gesagt in immer weniger Regionen. Etwa 70 Prozent der konventionellen Erdöl- und 65 Prozent der Erdgasreserven befinden sich in einem relativ eng begrenzten Gebiet. Dieses Gebiet, die sogenannte strategische Ellipse, reicht vom Nahen Osten über den kaspischen Raum bis nach Nordwest-Sibirien. Auf diesen Raum konzentrieren sich deswegen auch die Überlegungen außenpolitischer Strategen in Washington, Moskau oder Peking. Hier findet das Große Spiel (Great Game) um die letzten Ressourcen des fossilen Energiezeitalters statt. Andere Regionen, vor allem das energiearme Europa, geraten in eine immer stärkere Importabhängigkeit, sollte es ihnen nicht gelingen, die fossilen Energien durch erneuerbare Energien zu ersetzen und die Effizienz der Energienutzung drastisch zu erhöhen.

Ein illustratives Beispiel, wie das Ende des Ölzeitalters aussehen könnte, bietet das Nordseeöl. Nach dem ersten Ölpreisschock Anfang der siebziger Jahre half die Entdeckung neuer Ölvorkommen unter der Nordsee den Westeuropäern, von Importen aus den arabischen OPEC-Ländern unabhängiger zu werden. Auch wenn Öl aus der Nordsee erheblich teurer war als die Importe vom Persischen Golf, so wurde doch die Marktmacht der OPEC gebrochen. Dazu kamen neu entdeckte Ölvorkommen in Alaska. In den neunziger Jahren drängten außerdem Russland und die zentralasiatischen Staaten auf den internationalen Ölmarkt.

Heute geht die Förderung aus der Nordsee zurück. Bis 2020 werden die meisten Quellen erschöpft sein. Großbritannien ist heute schon wieder zum Nettoimporteur von Erdölprodukten und Erdgas geworden. Norwegen, die zweite Nordsee-Ölgroßmacht, erschließt Gasfelder in seinem arktischen Norden und möchte mit einer Pipeline entlang seiner Küste der Ostseepipeline und dem russischen Handel mit Flüssiggas Konkurrenz machen. Norwegen wird auf absehbare Zeit Westeuropas einziger Energieexporteur sein.

Die durchschnittlichen Kosten für die Förderung eines Barrel Rohöl sind zwischen 1995 und 2005 von fünf auf zehn US-Dollar gestiegen. Der Grund dafür ist, dass die meisten billig zu erschließenden, nah an der Oberfläche liegenden Ölquellen langsam versiegen und die Förderung in unzugänglicheren Regionen teurer ist. Auch die Kosten für die Förderausrüstung, etwa Stahl oder Bohrtürme, steigen weiter. Für die immer komplizierter und technisch anspruchsvoller werdende Ölförderung in den Tropen, unter dem Meeresboden (offshore) oder in der Arktis macht sich schon jetzt ein gravierender Mangel an Fachkräften bemerkbar. In Ländern mit schlechten Ausbildungssystemen, beispielsweise den ölexportierenden Staaten Zentral- und Südafrikas, nimmt dieser Fachkräftemangel dramatische Formen an. Dazu kommt, dass westliche Techniker und Experten wegen der schlechten Sicherheitslage nur ungern in diesen Ländern arbeiten. So werden in Nigeria Mitarbeiter internationaler Ölfirmen regelmäßig attackiert oder entführt. Die Folgen des Technikermangels sind Produktionsausfälle und eine steigende Zahl von Unfällen.

Auch die Politik hat erkannt, dass das Ölzeitalter langsam zu Ende geht. US-Präsident Bush forderte in seiner Rede an die Nation Anfang 2006 überraschend, Amerika aus seiner Ölabhängigkeit zu befreien. Bush gab sogar zu, die USA seien »süchtig nach Öl«. Das amerikanische Verteidigungsministerium lässt sich vom Papst der alternativen Energien, Amory Lovins, beraten, wie das Endspiel des Ölzeitalters gewonnen werden kann (»Winning the Oil Endgame«). Schwedens Regierung hat erstmals einen Plan vorgelegt, wie ein fortgeschrittenes Industrieland bis zum Jahr 2020 ohne Ölimporte auskommen kann. Der Energiekonzern BP nennt sich in einer Anzeigenserie nicht mehr »British Petroleum« sondern »Beyond Petroleum« – und gibt damit zu erkennen, dass er für seine Geschäfte auch jenseits des Erdöls eine Perspektive sieht. Mit Öl macht der BP-Konzern aber immer noch sein Hauptgeschäft.

Trotzdem wird weiter in die Fortsetzung des Öl- und Gaszeitalters investiert. Die IEA nimmt an, dass bis zum Jahr 2030 weltweit insgesamt 13 Billionen US-Dollar in die Zukunft der Energieversorgung fließen werden. Zu entscheiden ist nur, in welche Technologien diese Investitionen gesteckt werden. Eine der größten Ölfirmen der Welt, die britische BP, plant jährliche Investitionen von 15 Milliarden US-Dollar sowie weiteren zwei Milliarden durch ihre russische Tochterfirma TNK-BP. Mit diesem hohen Investitionsbedarf rechtfertigen die Energiemultis auch ihre Gewinnabschöpfung in Zeiten hoher Öl- und Gaspreise.

Kann der Peak Oil verschoben, kann das Ölzeitalter verlängert werden? Wenn man die ganzseitigen Anzeigen studiert, die Firmen wie Chevron und Shell zum Thema Peak Oil geschaltet haben, dann lautet die Antwort »Ja«. Die Frage aber ist: um welchen Preis?

Ölsande – Kanadas Saudi-Arabien

Illustrativ ist die jahrzehntelang vorgetragene Saga um das angeblich unerschöpfliche Potenzial der Ölsande Kanadas und Venezuelas. Schon Anfang der siebziger Jahre erschien in der deutschen Illustrierten »Stern« ein mit spektakulären Bildern aufgemachter Artikel über die kanadischen Ölsande. Dort, in der westkanadischen Provinz Alberta, machten die Reporter die Zukunft unserer Energieversorgung jenseits von OPEC und Ölembargo aus.

Öl- oder Teersande bergen potenziell gigantische Reserven an noch unerschlossenen Rohölvorräten. Dabei handelt es sich um mit Öl durchtränkte Erd-, Schiefer- oder Sandschichten, die es in einer Vielzahl von Ländern gibt. Die größten Lagerstätten finden sich in der kanadischen Provinz Alberta, am Orinoko-Fluss in Venezuela und in den Weiten Russlands. Allein die kanadischen Reserven werden größer eingeschätzt als die konventionellen Ölreserven Saudi-Arabiens. Die Ölsand-Großmacht Kanada könnte theoretisch also den Saudis Konkurrenz auf dem Weltölmarkt machen und damit das geostrategische Gleichgewicht massiv verändern.

Natürlich wäre genau das schon längst passiert, wenn es nicht auch ein paar Probleme bei der Sache gäbe. Denn nicht nur die Kosten liegen erheblich über denen der konventionellen Energieförderung, sondern auch der Aufwand an eingesetzter Energie, Wasser und Naturressourcen.

Ölsande werden mit Schaufelbaggern im Tagebau gewonnen. Wer einmal die Braunkohletagebaugebiete von Garzweiler oder in der Lausitz gesehen hat, weiß, dass danach eine wenig romantische Mondlandschaft zurückbleibt. Anschließende Renaturierungsmaßnahmen, so sie denn überhaupt durchgeführt werden, können die verlorene Natur nicht wieder herstellen, sondern produzieren eine arten- und abwechslungsarme Ersatzlandschaft. Aber die ursprüngliche Natur, die es beispielsweise in Kanada noch gibt, kann nicht wieder zurückgeholt werden. Der Ölsandabbau im Westen Kanadas ist außerdem um Dimensionen größer angelegt als der Kohletagebau, wie wir ihn aus Deutschland kennen. Ganze Wälder werden heute dafür abgetragen, Flüsse umgeleitet und Menschen umgesiedelt. Bei Unfällen können Gewässer und Trinkwasser mit Öl verunreinigt werden.

Ein Viertel des Energiegehalts des gewonnenen Rohöls muss für die aufwändige Förderung und Aufbereitung der Teersande sowie die anschließende Renaturierung aufgewendet werden. Das Öl wird durch Wasserdampf aus dem Sand herausgepresst, der durch die Verbrennung von Erdgas erhitzt wurde. Von der kanadischen Regierung wurde sogar schon erwogen, ein eigenes Atomkraftwerk zu errichten, um die notwendige thermische Energie zur Wasserdampferzeugung bereitzustellen. Neben dem hohen Energieverbrauch sind auch die benötigten Wassermengen ein Problem: Das Wasser muss anschließend aufwändig gereinigt und über eigens angelegte Kanäle in das denaturierte Flusssystem zurückgeleitet werden.

In den abgelegenen Fördergebieten Sibiriens oder am tropischen Oriniko wäre die Gewinnung vermarktbaren Öls aus Schiefer und Sand keinesfalls kostengünstiger. Die Umweltauswirkungen des großflächigen Abbaus von Ölsand im Tagebau können dort nur geschätzt werden. Während jedoch in der Demokratie Kanada die Medien und Umweltverbände für ein Mindestmaß an Transparenz und Kontrolle sorgen, spielt sich die Ölexploration an den letzten Grenzen der Tropen oder der Arktis weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab.

Die Ölsande Kanadas sind nur ein – wenn auch besonders illustratives – Beispiel dafür, dass die Erschließung neuer Öl- und Gasvorkommen immer teurer, immer schwieriger und auch immer gefährlicher für Mensch und Natur wird. Die ersten Ölquellen Nordamerikas und im Mittleren Osten wurden noch dadurch entdeckt, dass Öl natürlich an die Oberfläche trat. Viele dieser Quellen waren seit der Antike bekannt: In Mesopotamien wurden Teer und Öl zur Dichtung von Booten und als medizinische Wundersalbe genutzt. Im heutigen Aserbaidschan entstand der Feuerkult des Zarathustra dort, wo sich an der Erdoberfläche austretende Ölquellen selbst entzündeten. Solche leicht zugänglichen Quellen werden heute nicht mehr neu gefunden, und die meisten bekannten sind inzwischen erschöpft. Es muss immer tiefer gebohrt werden, durch härteren Stein, durch Eis oder unterm Meeresboden. Da die globale Ölindustrie auf der Suche nach den letzten Verstecken des Schwarzen Goldes mittlerweile in die letzten Wildnisse vordringt, steigt auch der Preis für die Natur.

Alternative Erdgas

Gleichzeitig wird deutlich, dass auch die lange gefeierte Alternative Erdgas nicht unbegrenzt und billig zur Verfügung steht. Das Peak Gas, also der Scheitelpunkt der weltweiten Gasförderung, liegt allerdings weiter in der Zukunft als der Höhepunkt der Ölförderung. Viele Länder sind gerade erst dabei, Kraftwerke und Wärmeerzeugung von Öl oder Kohle auf Erdgas umzustellen. Erdgas hat eine Reihe von Vorteilen. Es verbrennt schadstoffarm und hat einen geringeren CO2-Gehalt pro Energieeinheit als Kohle und Öl. Viele Umweltpolitiker, die dafür eintreten, langfristig komplett auf erneuerbare Energien umzustellen, akzeptieren Erdgas als Übergangslösung. Für diese umweltpolitische Strategie stellen die neuerdings stark ansteigenden Gaspreise ein massives Problem dar.

Oftmals tritt Erdgas auf schon erschlossenen Ölfeldern auf, wurde bisher jedoch unzureichend genutzt. Vielerorts wird das austretende Erdgas weiterhin abgefackelt und erzeugt damit keine Energie, wohl aber das Treibhausgas CO2. Das Potenzial der Erdgasnutzung aus vorhandenen Quellen ist also erheblich. Seitdem die systematische Erkundung begonnen hat, werden außerdem jährlich mehrere große neue Erdgasfelder entdeckt.

Der Transport von Erdgas zum Kunden erfolgt in der Regel über Pipelines. Da es über längere Strecken immer aufwändiger wird, den Gasdruck in solchen Rohrleitungen aufrechtzuerhalten, gilt als Faustregel, dass Gaspipelines eine maximale Reichweite von 4.000 km haben. Deswegen gibt es bisher keinen globalen Gasmarkt, sondern nur regionale Netzwerke.

Das könnte sich mit dem zunehmenden Trend zur Verwendung von Flüssiggas (Liquid Natural Gas, LNG) ändern. Erdgas kann unter Druck und niedrigen Temperaturen verflüssigt werden. Der Vorteil liegt einerseits darin, dass so das Volumen des Erdgases reduziert wird. Außerdem kann es wie Öl mit Tankern zu seinem Zielort transportiert werden. Die größte Flüssiggasanlage der Welt wird momentan für den ostasiatischen Markt auf der russischen Pazifikinsel Sachalin errichtet. Von der arktischen Jamal-Halbinsel aus soll LNG mit Tankschiffen nach Nordamerika exportiert werden. Neben Europa und den ostasiatischen Staaten hätte Russland damit einen dritten Abnehmermarkt für seine Gasexporte. Auch Nigeria und Algerien setzen auf Flüssiggasexporte nach Europa. Japan und China interessieren sich besonders für den von Pipelines unabhängigen Zugang zum sauberen Erdgas.

Durch die unbegrenzte Transportfähigkeit von Flüssiggas per Tanker wird der Markt für Erdgas zum Weltmarkt. An den Küsten Nordamerikas und Ostasiens werden derzeit überall Flüssiggas-Terminals errichtet. Auf den Werften herrscht ein Auftragsboom für neue Tankschiffe.

Bisher bildet sich der Erdgaspreis nicht am Markt. Die meisten Lieferverträge sehen eine langfristige Preisbindung vor. Nur so waren die immensen Investitionen in das gigantische Pipelinenetz möglich, das beispielsweise Ost- mit Westeuropa verbindet. Enge Bündnispartner Russlands, beispielsweise das diktatorisch regierte Weißrussland, erhalten Preisnachlässe. Der Gaspreis für die Ukraine soll zwar stufenweise erhöht werden, wird aber weiterhin durch die Beimischung billigeren turkmenischen Erdgases niedrig gehalten. Ansonsten ist der an den weltweiten Spotmärkten gehandelte Gaspreis an den Ölpreis gekoppelt. Diese Koppelung wird, wenn beide Produkte zukünftig unabhängig voneinander gefördert und gehandelt werden, über kurz oder lang aufgehoben werden.

Erdgas ist wahrscheinlich der für politische Krisen anfälligste Rohstoff, der auf dem Weltmarkt gehandelt wird. Die festen Pipelines sind teuer, haben lange Bauzeiten und sind danach nicht mehr zu verlegen und umzuleiten wie ein Öltanker. Wer auf Gas setzt, setzt deswegen auf zweierlei: auf die wechselseitige Abhängigkeit von Produzent und Verbraucher sowie auf die Diversifizierung der Quellen. Europa hat das Glück, von erdgasexportierenden Ländern umgeben zu sein. Auch wenn einige osteuropäische Länder ihr Gas fast ausschließlich von Russland beziehen, so hat die EU insgesamt eine diversifizierte Versorgerstruktur. Die EU versucht außerdem, die sie umgebenden Länder nicht nur als Rohstoffimporteure zu betrachten, sondern sie Schritt für Schritt in den gemeinsamen europäischen Markt zu integrieren. Der Grundgedanke dabei ist, dass durch gegenseitige Abhängigkeit politische Zusammenarbeit und letztendlich Stabilität entsteht. Das außenpolitische Konzept der Europäischen Nachbarschaftspolitik, an dem die EU auch ihre finanziellen Hilfen für die Länder Osteuropas und Nordafrikas ausrichtet, stellt deswegen das gemeinsame Management der Energieressourcen in den Mittelpunkt.

Kohle

Am längsten reichen noch die weltweiten Steinkohlevorräte. Neben Russland, den USA, Australien und Südafrika weisen auch China und Indien immense einheimische Steinkohlelager auf, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Die IEA schätzt, dass allein in diesen beiden Ländern der Kohleverbrauch bis 2030 um 60 Prozent steigen wird. Auch in den USA und Russland ist die Kohle mit Abstand die reichhaltigste fossile Energiequelle. Selbst in Deutschland, das sonst kaum eigene fossile Energievorräte besitzt, liegen noch bedeutende Stein- und Braunkohlevorkommen unter Tage. Würde jedoch alle bekannte Steinkohle auf die bisherige Weise in thermischen Kraftwerken und ohne CO2-Filter verbrannt, hätte das unabschätzbare Negativfolgen für das globale Klima. Da jedoch weder die großen Schwellenländer noch Russland und die USA auf die Nutzung dieser preisgünstigen einheimischen Energiequelle verzichten werden, müssen bei der Kohleverbrennung möglichst saubere und effiziente Technologien zum Einsatz kommen, um die Umweltauswirkungen in Grenzen zu halten.

Grundsätzlich stehen drei Möglichkeiten zur Verfügung, um die Kohleverbrennung umweltfreundlicher zu machen. Neben hocheffizienten thermischen Kraftwerken kann die Kohle verflüssigt und als vielfältig verwendbarer Treibstoff eingesetzt werden. Außerdem ist es möglich, das bei der Verbrennung fossiler Energieträger entstehende Kohlendioxid technisch abzutrennen und unter der Erde zu lagern, sodass es nicht in die Atmosphäre gelangt.

Die Steigerung des Wirkungsgrades konventioneller Kohlekraftwerke ist ein erster wichtiger Schritt. Vor allem in Ländern wie Russland, Osteuropa, Indien und China, die alle zu den größten Kohlekonsumenten weltweit gehören, besteht ein enormes Potenzial zur Verbesserung der Energieeffizienz. Der Erhöhung der Energieausbeute pro Einheit Kohle sind jedoch technisch Grenzen gesetzt. Der höchste erreichte Wirkungsgrad liegt bei 65–70 Prozent. Bei der anschließenden Rauchgaswäsche, also dem Herausfiltern von Schwefel und anderen giftigen Stoffen aus den Kaminen, geht ein Teil der gewonnenen Energie wieder verloren. Moderne Kraftwerke mit aufwändiger Abgasreinigung können wirtschaftlich außerdem nur als Großanlagen gebaut werden. Deswegen eignen sie sich schlecht für die Wärmeversorgung von Industrieanlagen und Haushalten durch Kraftwärmekopplungsanlagen. Wärme kann wirtschaftlich nämlich nur über verhältnismäßig kurze Strecken transportiert werden. Die meiste Abwärme aus großen Kraftwerken wird deshalb in die Atmosphäre abgestrahlt.

Die Verflüssigung von Kohle hat in Deutschland einen schlechten Ruf. Im Dritten Reich und später in der DDR wurde im sächsischen Chemiedreieck Treibstoffersatz aus Braunkohle hergestellt. Inzwischen hat sich aber durch den Einsatz von Katalysatoren, Informationstechnologie und moderner Messtechnik die Qualität der aus Kohle hergestellten Mineralölprodukte sehr verbessert. Schadstoffe können in der flüssigen Phase problemlos abgetrennt werden. Der Wirkungsgrad liegt in Versuchsanlagen bei bis zu 95 Prozent. Die Kohleverflüssigung löst außerdem ein Problem, das viele erneuerbare Energien haben: Der flüssige Energieträger kann gut gelagert und auch als Kfz-Treibstoff verwendet werden. Bei bleibend hohen Ölpreisen trägt sich die Kohleverflüssigung auch wirtschaftlich. Sie ist deshalb eine wirkliche Alternative zum Erdöl. Die südafrikanische Firma Sasol, die ihre Methode zur Kohleverflüssigung während des Wirtschaftsboykotts in der Apartheidszeit entwickelt hatte, stellt verflüssigte Kohle für 25 US-Dollar pro Barrel her und liegt damit deutlich unter den zukünftig zu erwartenden Rohölpreisen. Selbst für deutsche Kohle gelten Produktionskosten von etwa 60 US-Dollar pro Barrel als realistisch. Im Jahr 2006 lag der Weltölpreis monatelang über diesem Wert. Kohle kommt auf der Erde so häufig und in solchem Umfang vor, dass der weltweite Kohlemarkt für politische Krisen weit weniger anfällig ist als der Öl- und Gasmarkt. Die meiste deutsche Importkohle kommt heute aus der stabilen Demokratie Australien. Aus klimapolitischer Sicht ist die Kohleverflüssigung allerdings noch ungünstiger als ihre Verbrennung. Schließlich muss für die Umwandlung der Kohle in Treibstoff zusätzliche Energie aufgewendet werden.

Grundsätzlich ist es möglich, die Kohleverbrennung dadurch klimafreundlicher zu gestalten, dass das Treibhausgas CO2 herausgefiltert wird. Dann könnte die Bedeutung der Kohleverbrennung auch in den westlichen Industriestaaten wieder wachsen. Dieselbe Technik der CO2-Ausscheidung und -Lagerung ließe sich bei Öl- und Gaskraftwerken einsetzen. Der Stromkonzern Vattenfall plant in der ostdeutschen Lausitz ein erstes CO2-freies Kraftwerk auf Braunkohlebasis. British Petroleum entwickelt ähnliche Projekte für Kalifornien und Schottland. Doch auf dem Weg zum routinemäßigen Einsatz dieser Technik müssen noch einige Probleme gelöst werden. Bei den bisherigen CO2-Filtertechnologien sinkt die Energieausbeute der Kraftwerke erheblich. Dadurch wird die Technik vor allem für Entwicklungsländer zu teuer. Ein internationaler Klimaschutzfonds könnte jedoch die Kostendifferenz übernehmen. Bei den bisherigen Pilotanlagen des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall in der Lausitz sowie ähnlichen Plänen der RWE für Nordrhein-Westfalen handelt es sich, gemessen an den Tausenden traditionellen Kohlekraftwerken, die derzeit vor allem in China, Indien und anderen Entwicklungsländern gebaut werden, außerdem nur um den berühmten Tropfen auf den heißen Stein. Die entscheidende Zukunftsfrage für die Kohle heißt: Bleibt es bei wenigen CO2-freien Pilotanlagen mit Alibifunktion, oder wird die kostspielige moderne Abscheidetechnik flächendeckend und weltweit in modernen Kraftwerken eingesetzt?

Vor einer Entscheidung über den großflächigen Einsatz dieser neuen Technologie sollte aber das grundsätzliche Problem gelöst werden, wo das abgetrennte CO2 anschließend gelagert wird. Bisher wurde vorgeschlagen, es entweder in alten Öl- und Gaslagerstellen, in Salzstöcken oder unter dem Meeresboden unterzubringen. Über das langfristige Verhalten dieser CO2-Blasen weiß die Wissenschaft jedoch noch zu wenig, um einen großflächigen Einsatz dieser Technik guten Gewissens empfehlen zu können.

Energiearmut

Der neue Fluch, der auf den ärmsten Ländern der Welt liegt, heißt Energiearmut. Unter den 85 Prozent aller Länder, die Öl importieren müssen, befinden sich nicht nur die wohlhabenden Industrieländer oder die Wachstumsökonomien China und Indien, sondern auch die Ärmsten der Armen in Schwarzafrika, Lateinamerika oder Zentralasien. Steigende Preise haben auf diese Länder überproportional hohe Auswirkungen. Steigen die Energiepreise weiter, droht den ärmsten Entwicklungsländern eine neue Schuldenkrise. Nach Berechnungen der Weltbank kostet ein Anstieg der Rohölpreise um zehn US-Dollar die Industriestaaten ein halbes Prozent Wirtschaftswachstum. Für die ärmsten Länder, deren Energiekostenanteil an der Herstellung von Gütern in der Regel erheblich höher liegt, können die Einbußen bis zu dreimal so hoch sein.

Energiearmut trifft nicht nur die Wirtschaft dieser Länder, sondern auch ihre Bürger. Die Mieter in der Ukraine können angesichts steigender Gaspreise bald ihre Heizkosten nicht mehr bezahlen. Wer sich die teure Energie nicht leisten kann, muss frieren. Schulkinder in Afghanistan können abends nicht mehr lernen, weil der Strom abgeschaltet wird. Menschen in energiearmen Ländern, Stadtteilen oder Haushalten haben geringere Chancen, im Leben weiterzukommen. Viele Regierungen der ärmsten Länder müssen am Schul- und Gesundheitssystem sparen, um die Rechnungen für die Ölimporte zu begleichen. Energiearmut versperrt den Weg für Entwicklung.

In manchen Ländern, die auf dem Weltmarkt zu den Energieexporteuren zählen, leiden die eigenen Bürger trotzdem unter Energiemangel. Der Grund sind regionale und soziale Ungleichheiten. In Nigeria, dem größten Erdölexporteur Afrikas, bilden sich vor den Tankstellen der Hauptstadt Lagos lange Autoschlangen. Nigeria exportiert zwar Öl, hat aber keine ausreichenden eigenen Raffineriekapazitäten. Das Nigerdelta, in dem das meiste Öl des Landes gefördert wird, zählt gleichzeitig zu den ärmsten Regionen Nigerias. Die meisten Dörfer haben keinen Stromanschluss. Geheizt wird mit Holz.

Selbst in Russland, dem größten Erdgasproduzenten weltweit, sind zahlreiche Dörfer von der Moderne abgeschnitten. Im Winter stockt in den Städten der Nachschub. In manchen sibirischen Dörfern sieht man die Fackeln der Erdgasbohranlagen in der Ferne leuchten und muss trotzdem mit Holz heizen.

Energiearmut trifft nicht nur die Wirtschaft armer Länder und führt zu einem Verlust an Gestaltungschancen für die dort lebenden Menschen, sondern erschüttert auch die Stabilität fragiler Staaten und junger Demokratien. Die einseitige Entwicklung des exportorientierten Energiesektors geht auf Kosten anderer Sektoren der Volkswirtschaft. Dadurch wachsen bestehende soziale Unterschiede und steigen politische Spannungen. Dabei macht es meist keinen Unterschied, ob private multinationale Konzerne oder staatliche Energieunternehmen die Branche beherrschen. In Russland, dem Iran oder Venezuela ging die Verstaatlichung der Energieindustrie auch mit einem Abbau der Demokratie und einer aggressiven Außenpolitik einher.

Die beste Chance für arme Länder, der Falle Energiearmut zu entkommen, bestünde darin, ihren eigenen nachhaltigen Weg in der Energieversorgung zu gehen. Die ineffiziente Wirtschaft der am wenigsten entwickelten Länder verbraucht heute doppelt so viel Energie pro Einheit wirtschaftlicher Leistung wie die der westlichen Industrieländer. Das Energieeinsparpotenzial wäre enorm, wenn in die entsprechende technische Ausstattung investiert würde. Eine weitere Alternative zum Import teurer fossiler Energieträger wäre es, einheimische Ressourcen besser zu nutzen. In vielen landwirtschaftlich geprägten Entwicklungsländern kann Biomasse zum Heizen sowie zur Elektrizitätserzeugung und Äthanol aus Getreide als Benzinersatz genutzt werden. Wind- und Solarenergie sind vor allem für abgelegene Standorte, die durch das nationale Elektrizitätsnetz nicht erreicht werden können, eine gute Alternative. Moderne Entwicklungszusammenarbeit stellt deshalb den Zugang aller zu erschwinglicher Energie aus erneuerbaren Quellen in ihren Mittelpunkt.

Klimasicherheit

Die neue Energiekrise ist auch eine Klimakrise. Wer von Energiesicherheit redet, wird deshalb zukünftig auch von Klimasicherheit sprechen müssen.

Anfang 2007 soll der neue Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dem Wissenschaftlerrat, der für die Vereinten Nationen den weltweiten Klimawandel beobachtet, erscheinen. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler sind alarmierend. Schon jetzt weiß man, dass die Konzentration der den Treibhauseffekt beeinflussenden Gase Kohlendioxid (CO2), Methan und Stickoxid heute höher ist als zu irgendeinem Zeitpunkt in den vergangenen 650.000 Jahren. Zwischen 1999 und 2004 stieg der CO2-Gehalt der Atmosphäre um jährlich 0,5 Prozent. Insgesamt hat sich die Erdoberfläche seit Anfang des 20. Jahrhunderts um 0,65 Grad Celsius erwärmt.

Jared Diamond, Professor für Geographie an der Universität von Kalifornien und Gewinner des Pulitzer Preises für sein Buch »Guns, Germs, and Steel« über die natürlichen Grundlagen unterschiedlicher menschlicher Zivilisationen, beschäftigt sich in seinem neuen Werk »Collapse« damit, wie unterschiedliche Kulturen auf ökologische Krisen erfolgreich reagieren oder untergehen.