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Michael Pollan

KOCHEN

Eine Naturgeschichte
der Transformation

Aus dem Englischen von Katja Hald,
Enrico Heinemann und Renate Weitbrecht

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Antje Kunstmann

Für Judith und Isaac
und für Wendell Berry

INHALT

Vorwort:
Warum kochen?

Kapitel I
Feuer
Geschöpfe der Flamme

Kapitel II
Wasser
Ein Rezept in sieben Schritten

Kapitel III
Luft
Die Schule eines Amateurbäckers

Kapitel IV
Erde
Das kalte Feuer der Gärung

Nachwort
»Handgeschmack«

Anhang I
Vier Rezepte

Anhang II
Eine kurze Liste von Büchern über das Kochen

Ausgewählte Quellen

Danksagung

VORWORT

Warum kochen?

I.

An einem bestimmten Punkt in der späten Mitte meines Lebens machte ich die unerwartete, aber erfreuliche Entdeckung, dass die Antwort auf mehrere der Fragen, die mich am meisten beschäftigten, tatsächlich ein und dieselbe war.

Kochen.

Einige dieser Fragen waren privater Natur. Zum Beispiel: Was war das Allerwichtigste, was wir als Familie tun konnten, um unsere Gesundheit und unser allgemeines Wohlbefinden zu verbessern? Oder: Wie konnte ich einen besseren Draht zu meinem pubertierenden Sohn finden? Als der beste Weg erwies sich neben den gängigen Verfahren des Kochens und Zubereitens eine spezielle Form davon, nämlich das Brauen. Andere Fragen waren dagegen etwas politischer. Schon seit Jahren hatte ich nach der Antwort auf eine Frage gesucht, die mir oft gestellt wird: Was ist das Wichtigste, was ein Durchschnittsmensch tun kann, um dazu beizutragen, die amerikanische Nahrungsmittelwirtschaft zu reformieren und sie gesünder und nachhaltiger zu machen? Eine weitere, damit zusammenhängende Frage lautet: Wie können Menschen, die in einer hoch spezialisierten Konsumgesellschaft leben, von ihr unabhängiger werden? Schließlich waren da noch die eher philosophischen Fragen, über die ich brütete, seit ich mit dem Bücherschreiben begann. Zum Beispiel die, wie wir in unserem täglichen Leben zu einem tieferen Verständnis der Natur und der besonderen Rolle unserer Spezies darin kommen können. Natürlich kann man sich mit derlei Fragen auf einem Waldspaziergang auseinandersetzen, ich stellte allerdings fest, dass man auf weit interessantere Antworten stößt, indem man einfach in die Küche geht.

Das hätte ich, wie gesagt, nie erwartet. Kochen gehörte immer zu meinem Leben, allerdings eher so wie meine Möbel, also nicht als Untersuchungsobjekt und Forschungsfeld, geschweige denn war es eine Leidenschaft. Ich schätzte mich glücklich, ein Elternteil – meine Mutter – zu haben, das gerne kochte und uns fast jeden Abend eine köstliche Mahlzeit vorsetzte. Da ich als Kind oft in der Küche herumhing, während meine Mutter das Essen zubereitete, kam ich an diesem Ort ganz gut zurecht, als ich schließlich in eine eigene Wohnung zog. Dort kochte ich zwar, wenn ich Zeit dazu hatte, doch ich nahm mir selten Zeit dafür und dachte auch nicht groß darüber nach. So hatten sich meine Kochkenntnisse kaum weiterentwickelt, als ich dreißig wurde. Ehrlich gesagt verließ ich mich bei der Zubereitung meiner erfolgreichsten Gerichte stark auf die Kochkünste anderer, wenn ich etwa meine leckere Salbeibutter über fertig gekaufte Ravioli träufelte. Ab und zu schaute ich in ein Kochbuch oder schnitt ein Rezept aus der Zeitung aus, um mein kleines Repertoire durch ein neues Gericht zu erweitern. Oder ich kaufte ein neues Küchenutensil, allerdings lagen die meisten dieser Anschaffungen am Ende unbenutzt im Schrank herum.

Im Rückblick überrascht mich mein geringes Interesse am Kochen, da mein Interesse an allen anderen Gliedern der Nahrungskette immer groß war. Seit meinem achten Lebensjahr habe ich gegärtnert, besonders Gemüse angebaut, und es hat mir immer Spaß gemacht, mich auf Farmen herumzutreiben und über Landwirtschaft zu schreiben. Ich habe auch schon recht viel über das andere Ende der Nahrungskette geschrieben – über das Essen, meine ich, und über den Einfluss unserer Ernährung auf unsere Gesundheit. Aber über die mittleren Glieder der Nahrungskette, über die Verwandlung von Natur in Dinge, die wir essen und trinken, machte ich mir eigentlich keine großen Gedanken.

Das änderte sich erst, als ich ein merkwürdiges Paradox zu ergründen versuchte, das mir beim Fernsehen bewusst geworden war: Wie kommt es, dass wir Amerikaner in einer Zeit, in der wir die Zubereitung unserer Mahlzeiten zunehmend der Lebensmittelindustrie überlassen, immer mehr Zeit damit zubringen, über Nahrungsmittel nachzudenken und anderen Leuten im Fernsehen beim Kochen zuzusehen? Je weniger wir in unserem eigenen Leben selbst kochen, desto mehr faszinieren uns anscheinend Nahrungsmittel und deren Zubereitung durch andere.

Die Amerikaner befinden sich, was dieses Thema betrifft, offenbar in einem Zwiespalt. Statistiken bestätigen, dass wir von Jahr zu Jahr weniger selbst kochen und immer mehr Fertiggerichte kaufen. Die Zeit, die in amerikanischen Haushalten auf die Zubereitung von Mahlzeiten verwendet wird, halbierte sich seit der Mitte der 60er-Jahre, in denen ich meiner Mutter beim Kochen zuschaute, auf knapp 27 Minuten pro Tag. Die Amerikaner verbringen damit weniger Zeit als der Rest der Welt, der generelle Abwärtstrend ist jedoch global. Gleichzeitig reden wir dafür mehr übers Kochen – und sehen anderen beim Kochen zu, lesen Bücher darüber und gehen in Restaurants, in denen wir live mitverfolgen können, wie dort gekocht wird. Wir leben in einer Zeit, in der Profiköche prominent sind, einige von ihnen sind so berühmt wie Sport- oder Filmstars. Die gleiche Tätigkeit, die viele Menschen als Plackerei betrachten, gelangte irgendwie in den Rang eines beliebten Zuschauersports. Wenn man sich überlegt, dass 27 Minuten weniger Zeit sind, als eine Folge von Top Chef oder The Next Food Network Star dauert, wird einem klar, dass inzwischen Millionen von Menschen mehr Zeit damit zubringen, Kochsendungen im Fernsehen anzuschauen, als selbst zu kochen. Ich muss wohl nicht darauf hinweisen, dass wir die Gerichte, die im Fernsehen gekocht werden, nicht zu essen bekommen.

Das ist schon eigenartig. Schließlich schauen wir uns ja auch keine Fernsehsendungen übers Nähen, Sockenstopfen oder den Ölwechsel beim Auto an und lesen auch keine Bücher darüber. Diese drei anderen häuslichen Tätigkeiten haben wir nur zu gern anderen überlassen – und dann umgehend aus unserem Bewusstsein verbannt. Kochen hingegen ist irgendwie etwas anderes. Diese Arbeit, oder dieser Prozess, hat sich einen emotionalen oder psychologischen Reiz bewahrt, dem wir uns nicht ganz entziehen können oder wollen. Und tatsächlich fragte ich mich, nachdem ich etliche Kochsendungen im Fernsehen angeschaut hatte, ob das Kochen, das mir immer als etwas Selbstverständliches erschienen war, es vielleicht verdiente, etwas ernster genommen zu werden.

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Ich entwickelte ein paar Theorien, um das »Kochparadox«, wie ich es nannte, zu erklären. Die erste und naheliegendste lautet, dass anderen beim Kochen zuzusehen eigentlich gar kein neues menschliches Verhalten ist. Selbst als noch »alle« kochten, gab es viele, die hauptsächlich zuschauten: Männer zum größten Teil und Kinder. Die meisten von uns erinnern sich gerne daran, wie sie früher in der Küche ihrer Mutter bei der Arbeit zuschauten. Ihre Kochkünste sahen manchmal aus wie Hexerei, und das Ergebnis war üblicherweise ein leckeres Essen. Im alten Griechenland gab es für »Koch«, »Metzger« und »Priester« nur ein Wort – mageiros. Es hat eine gemeinsame etymologische Wurzel mit dem Wort »Magie«. Ich jedenfalls sah immer fasziniert zu, wenn meine Mutter ihre magischsten Gerichte zauberte, zum Beispiel ihre panierten Hähnchenrouladen Kiew. Wenn man sie mit einem scharfen Messer aufschnitt, quollen geschmolzene Butter und würzige Kräuter heraus. Selbst wenn meine Mutter nur gewöhnliches Rührei machte, fand ich es fesselnd, wie der klebrige gelbe Schleim die Form von duftenden Goldnuggets annahm. Noch das alltäglichste Gericht durchläuft einen magischen Verwandlungsprozess, nach dem es etwas mehr ist als die Summe seiner Zutaten. Und in fast jedem Gericht finden sich neben den kulinarischen Zutaten auch die Bestandteile einer Geschichte: ein Anfang, eine Mitte und ein Ende.

Dann sind da noch die Köche selbst, die Helden, die diese kleinen Verwandlungsschauspiele aufführen. Die Rhythmen und Abläufe ihrer Arbeit verschwinden zwar allmählich aus unserem eigenen Alltag, dennoch ziehen sie uns an. Diese Arbeit wirkt so viel konkreter und befriedigender als die eher abstrakten Tätigkeiten, die die meisten von uns heutzutage in ihren Jobs ausführen. Köche haben es nicht nur mit Tastaturen oder Bildschirmen zu tun, sondern nehmen so ursprüngliche Dinge wie Pflanzen, Tiere und Pilze in die Hände. Und sie arbeiten mit den Urelementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Sie beherrschen sie und nutzen sie für ihre köstliche Alchemie. Wie viele von uns üben noch Tätigkeiten aus, bei denen sie in so direktem Kontakt zur materiellen Welt stehen, der – vorausgesetzt, die Hähnchenrouladen Kiew laufen nicht vorzeitig aus oder das Soufflé fällt zusammen – am Ende zu einem so befriedigenden und appetitlichen Ergebnis führt?

Der Grund, warum wir gerne Kochsendungen ansehen und Bücher übers Kochen lesen, könnte also sein, dass das Kochen einige Aspekte hat, die wir wirklich vermissen. Wir denken vielleicht, wir hätten nicht genug Zeit, Energie oder Kochkenntnisse, um jeden Tag selbst zu kochen, wir wollen das Kochen jedoch nicht vollständig aus unserem Leben verschwinden sehen. Wenn es, wie Anthropologen meinen, eine prägende menschliche Tätigkeit ist – der Akt, mit dem nach Lévi-Strauss Kultur überhaupt beginnt –, dann sollte es uns nicht überraschen, dass es tiefe emotionale Saiten in uns berührt, wenn wir zusehen, wie sich die Prozesse des Kochens vor uns offenbaren.

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Die Vorstellung, das Kochen sei eine entscheidende menschliche Tätigkeit, ist nicht neu. So schrieb der schottische Autor James Boswell 1773 den Satz »Kein Tier ist ein Koch« und nannte den Homo sapiens »das kochende Tier«. Womöglich hätte er diese Definition noch einmal überdacht, wenn er die Tiefkühlabteilungen unserer heutigen Supermärkte hätte sehen können. Fünfzig Jahre später behauptete der französische Gastrosoph Jean Anthelme Brillat-Savarin in seiner Physiologie des Geschmacks, das Kochen mache uns zu dem, was wir sind. Indem es die Menschen lehrte, das Feuer zu nutzen, habe es am stärksten zur Entwicklung der Zivilisation beigetragen. 1964 berichtete Lévi-Strauss in Das Rohe und das Gekochte, dass in vielen Kulturen der Welt eine ganz ähnliche Auffassung herrscht, wonach das Kochen als symbolische Handlung den Unterschied zwischen Mensch und Tier ausmacht.

Für Lévi-Strauss war das Kochen eine Metapher für die Verwandlung von roher in gekochte Natur durch den Menschen. In den Jahrzehnten nach der Veröffentlichung von Das Rohe und das Gekochte griffen andere Anthropologen seine Vorstellung auf, die Erfindung des Kochens könne der evolutionäre Schlüssel zu unserer Menschlichkeit sein. Vor einigen Jahren veröffentlichte Richard Wrangham, ein Anthropologe und Primatenforscher von der Harvard-Universität, ein bestechendes Buch mit dem Titel Feuer fangen, in dem er argumentierte, es sei die Erfindung des Kochens durch unsere frühen Vorfahren – und nicht die Herstellung von Werkzeugen, der Verzehr von Fleisch oder die Sprache – gewesen, die uns vom Affen abhob und menschlich machte. Seiner »Kochhypothese« zufolge veränderte das Aufkommen gekochter Nahrung den Verlauf der menschlichen Evolution. Weil diese Kost energiereicher und leichter verdaulich war, konnten die Gehirne unserer Vorfahren wachsen (denn Gehirne sind notorische Energiefresser) und ihre Verdauungsorgane schrumpfen. Da es viel mehr Zeit und Energie kostet, rohe Nahrung zu kauen und zu verdauen, haben Primaten unserer Größe einen deutlich größeren Verdauungstrakt als wir und verbringen viel mehr Zeit mit Kauen – etwa sechs Stunden am Tag.

Das Kochen nahm uns also sozusagen einen Teil der Arbeit des Kauens und Verdauens ab und vollzog ihn außerhalb unseres Körpers, unter Verwendung äußerer Energiequellen. Zudem konnten wir mit dieser neuen Technologie viele mögliche Kalorienlieferanten entgiften und uns dadurch neue Nahrungsquellen erschließen, die andere Lebewesen nicht nutzen konnten. Als die Menschen nicht mehr den ganzen Tag lang große Mengen roher Nahrung sammeln und stundenlang kauen mussten, konnten sie die so gesparte Zeit und Energie für andere Zwecke wie die Entwicklung einer Kultur nutzen.

Tatsächlich bescherte uns das Kochen aber nicht nur die Mahlzeit, sondern auch die Möglichkeit, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gemeinsam zu essen. Das war etwas Neues unter der Sonne, denn als wir noch den ganzen Tag mit der Suche nach roher Nahrung beschäftigt waren, aßen wir wahrscheinlich unterwegs und allein, wie alle anderen Tiere – beziehungsweise wie die Konsumenten industriell verarbeiteter Nahrung, zu denen wir in den letzten Jahrzehnten geworden sind, die sich an einer Tankstelle Fertigsnacks besorgen und sie allein futtern, wann immer und wo immer sie wollen. Doch als wir uns zu gemeinsamen Mahlzeiten ums Feuer versammelten, Augenkontakt herstellten, Essen teilten und Selbstbeherrschung übten, förderte dies unsere Zivilisierung. Um dieses Feuer herum »wurden wir zahmer«, schrieb Wrangham.

So veränderte uns das Kochen, und zwar nicht nur, indem es uns geselliger und umgänglicher machte. Sobald es uns erlaubte, unsere kognitive Kapazität auf Kosten der Kapazität unseres Verdauungssystems zu erweitern, gab es kein Zurück mehr: Unsere großen Gehirne und kleinen Verdauungsorgane machten uns von gekochtem Essen abhängig. (Rohköstler aufgemerkt!) Das bedeutet, dass das Kochen nun eine Notwendigkeit ist – es wurde sozusagen in unsere Biologie einprogrammiert. Was Winston Churchill einmal über Architektur sagte – »Zuerst gestalten wir Gebäude, dann gestalten sie uns« –, könnte auch übers Kochen gesagt werden. Zuerst veränderten wir unsere Nahrung, dann veränderte sie uns.

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Sollte das Kochen für die menschliche Identität, Biologie und Kultur von so entscheidender Bedeutung sein, wie Wrangham annimmt, leuchtet es ein, dass sein Rückgang beträchtliche Konsequenzen für das moderne Leben hat. Sind diese Konsequenzen alle negativ? Keineswegs. Die Möglichkeit, einen großen Teil der Kocharbeit Unternehmen zu überlassen, befreite die Frauen von ihrer traditionell alleinigen Verantwortung für die Ernährung der Familie und erleichterte es ihnen, außer Haus zu arbeiten und Karriere zu machen. Diese Alternative zum Selbstkochen verhinderte oder entschärfte viele der Konflikte und häuslichen Streitigkeiten, die eine derart große Veränderung der Geschlechterrollen und der Familiendynamik auslösen musste. Sie half uns, alle möglichen anderen Belastungen des Familienlebens – wie längere Arbeitstage oder übervolle Terminkalender der Kinder – zu bewältigen, und sparte uns Zeit, die wir nun in andere Aktivitäten investieren konnten. Überdies brachte sie erheblich mehr Abwechslung in unseren Speiseplan. Selbst Leute ohne Kochkenntnisse und mit wenig Geld können an jedem Abend der Woche eine andere Küche genießen. Alles, was es dazu braucht, ist eine Mikrowelle.

Das sind große Vorteile. Doch was sie uns kosten, beginnen wir erst jetzt zu begreifen. Das industrielle Kochen hat gravierende Auswirkungen auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Unternehmen kochen ganz anders als Privatleute oder Profiköche, weshalb wir ihre Tätigkeit auch nicht kochen nennen, sondern »Lebensmittelverarbeitung«. Sie verwenden in der Regel viel mehr Zucker, Fett und Salz als Leute, die für andere Leute kochen. Und sie setzen neue chemische Zutaten ein, die in privaten Speisekammern kaum zu finden sind, um ihre Lebensmittel haltbarer zu machen und frischer aussehen zu lassen, als sie sind. Deshalb überrascht es nicht, dass der Rückgang des Selbstkochens mit einer Zunahme von Fettleibigkeit und aller ernährungsbedingten chronischen Krankheiten einhergeht.

Der Siegeszug des Fast Food und der Niedergang des Selbstkochens haben auch die Tradition der gemeinsamen Mahlzeit ausgehöhlt. Wir haben uns daran gewöhnt, unterschiedliche Dinge zu essen, oft unterwegs und allein. Statistiken besagen, dass wir mehr Zeit damit verbringen, »nebenher zu essen«, als richtige Mahlzeiten einzunehmen: Der fast ständige Nebenher-Konsum von Fertigsnacks wird inzwischen »secondary eating« genannt, während »primary eating« die recht deprimierende Bezeichnung für die altehrwürdige Tradition der Mahlzeit ist.

Die gemeinsame Mahlzeit ist keine Belanglosigkeit, sondern ein Grundpfeiler des Familienlebens. Dabei lernen unsere Kinder die Kunst der Konversation und die Umgangsformen der Zivilisation: Sie lernen sich mitzuteilen, anderen zuzuhören, zu warten, bis sie an der Reihe sind, Streitigkeiten beizulegen, zu argumentieren, ohne zu beleidigen. Die sogenannten »kulturellen Widersprüche des Kapitalismus« – seine Tendenz, die stabilisierenden sozialen Formen, von denen er abhängt, zu untergraben – prägen die heutigen amerikanischen Essgewohnheiten ebenso wie all die grellbunt verpackten Fertigprodukte, die die Lebensmittelindustrie erfolgreich auf unsere Esstische brachte.

Ich weiß, das sind recht pauschale Argumente für die zentrale Bedeutung des Kochens (und des Nicht-Kochens) in unserem Leben, und ein oder zwei Einwände sind durchaus in Ordnung. Unser Entscheidungsspielraum ist heute natürlich größer, als ich ihn darstellte. Wir haben nicht nur die Wahl, entweder eine Mahlzeit von Grund auf selbst zu kochen oder von Unternehmen zubereitetes Fast Food zu konsumieren. Die meisten von uns entscheiden sich für irgendetwas dazwischen. Wir bewegen uns zwischen den beiden Polen hin und her, je nach Wochentag, Anlass oder Stimmung. Vielleicht kochen wir am einen Abend alles selbst und am anderen gehen wir essen oder bestellen uns eine Mahlzeit nach Hause, oder wir improvisieren und nutzen dabei die vielfältigen und praktischen Möglichkeiten, uns das Kochen zu vereinfachen, die eine industrialisierte Lebensmittelwirtschaft bietet: die Packung Spinat aus der Tiefkühltruhe, die Dose Wildlachs aus der Speisekammer, die fertig gekauften Ravioli aus einem Laden in der Nachbarschaft oder vom anderen Ende der Welt. Seit vor über einem Jahrhundert die ersten abgepackten Lebensmittel in die Küchen gelangten, hat sich die Definition von »selbst kochen« verändert – so sehr, dass sie es mir erlaubte, meine Fertigravioli mit selbst gemachter Salbeibuttersoße als kulinarische Heldentat zu betrachten. Unter der Woche greifen die meisten von uns beim Kochen mal mehr und mal weniger auf verarbeitete Lebensmittel zurück. Neu ist jedoch, dass inzwischen sehr viele Leute an den meisten Abenden Fertiggerichte essen, die sie nur noch warm machen müssen. Alles andere hat die Lebensmittelindustrie bereitwillig für sie erledigt. »Auf ein Jahrhundert abgepackter Lebensmittel folgt nun ein Jahrhundert abgepackter Mahlzeiten«, erklärte mir ein Lebensmittelmarktforscher.

Das ist nicht nur ein Problem für unser aller Gesundheit oder unser Familienleben. Uns geht auch das Bewusstsein dafür verloren, wie unser Essen uns mit der Welt verbindet. Wir entfernen uns immer weiter von jeder direkten physischen Beteiligung an den Prozessen, durch die Rohstoffe der Natur in eine gekochte Mahlzeit verwandelt werden, und dadurch verändert sich unser Verständnis von Nahrung. Es ist tatsächlich schwer zu glauben, dass ein Essen etwas mit Natur, menschlicher Arbeit oder Fantasie zu tun hat, wenn es fertig zubereitet aus einer bunten Packung kommt. Essen wird einfach zu einem weiteren Konsumgut, zu etwas Abstraktem. Und sobald das geschieht, werden wir zu einer leichten Beute für Unternehmen, die künstliche Versionen von echter Nahrung verkaufen – ich nenne sie essbare nahrungsähnliche Substanzen. Am Ende versuchen wir uns von Bildern zu ernähren.

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Vielleicht wurmt es einige Leser, dass ein Mann diese Entwicklungen kritisiert. Denn immer wenn ein Mann die Bedeutung des Kochens betont, klingt das für gewisse Leute, als wolle er die Uhr zurückdrehen und die Frauen wieder in die Küche schicken. Aber das habe ich überhaupt nicht im Sinn. Ich bin zu der Auffassung gelangt, dass das Kochen zu wichtig ist, um es nur einem Geschlecht oder einem Familienmitglied zu überlassen. Männer und Kinder sollten ebenfalls in der Küche aktiv werden, und das nicht nur aus Gründen der Fairness oder Gleichberechtigung, sondern weil sie dort so viel zu gewinnen haben. Tatsächlich konnte sich die Lebensmittelindustrie vor allem deshalb in diesen Bereich unseres Lebens hineindrängen, weil das Kochen so lange als »Frauenarbeit« abgestempelt wurde, die nicht wichtig genug war, um von Männern oder Jungen erlernt zu werden.

Es ist allerdings schwer zu sagen, was am Anfang stand: Wurde das Kochen abgewertet, weil diese Arbeit hauptsächlich von Frauen verrichtet wurde, oder blieb das Kochen größtenteils an ihnen hängen, weil die Gesellschaft diese Arbeit gering schätzte? Das Thema Küchenarbeit und Geschlechterpolitik, auf das ich in Teil II näher eingehen werde, ist hoch kompliziert und war es wohl schon immer. Seit der Antike haben bestimmte Sonderformen des Kochens einen hohen Prestigewert: Homers Krieger grillten ihr Fleisch selbst, ohne dass dies ihrem Heldenstatus oder ihrer Männlichkeit Abbruch tat. Und seither genießen Männer, die in der Öffentlichkeit oder berufsmäßig – also gegen Bezahlung – kochen, gesellschaftliche Anerkennung. Allerdings erlangten Profiköche erst in unserer Zeit den Status von Künstlern. Doch während des größten Teils der Menschheitsgeschichte wurde das meiste Essen von Frauen gekocht, die diese Arbeit außerhalb der Öffentlichkeit verrichteten und dafür keine gesellschaftliche Anerkennung erhielten. Abgesehen von den wenigen Ausnahmesituationen, in denen Männer für das Essen zuständig waren – bei religiösen Opferritualen, Grillfesten am Nationalfeiertag oder in Vier-Sterne-Restaurants –, war das Kochen traditionell Frauensache, ein wesentlicher Bestandteil der Hausarbeit und der Fürsorge für die Kinder. Deshalb verdiente es keine weitere – das heißt männliche – Beachtung.

Doch gibt es möglicherweise noch einen anderen Grund, der nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Janet A. Flammang, eine Politikwissenschaftlerin und Feministin, die eloquent die soziale und politische Bedeutung der »Arbeit mit Nahrungsmitteln« aufzeigte, vermutet in einem kürzlich erschienenen Buch mit dem Titel The Taste for Civilization, dass das Problem etwas mit den Nahrungsmitteln selbst zu tun hat, die von ihrer Natur her zur falschen Seite – zur weiblichen Seite – des Geist-Körper-Dualismus der westlichen Kultur gehören.

»Nahrung wird mit dem Tastsinn, dem Geruchssinn und dem Geschmackssinn wahrgenommen, die in der Hierarchie der Sinne einen niedrigeren Rang einnehmen als das Sehvermögen und das Gehör, die beiden Sinne, über die wir nach landläufiger Meinung Wissen erlangen«, schreibt sie. »In Philosophie, Religion und Literatur wird Nahrung meistens mit dem Körper, dem Tierischen, dem Weiblichen und dem Appetit in Verbindung gebracht – mit Dingen, die zivilisierte Männer durch Wissen und Vernunft zu überwinden suchten.«

Sehr zu ihrem Schaden.

II.

Die Prämisse dieses Buches lautet, dass das Kochen eine der interessantesten und lohnendsten menschlichen Tätigkeiten überhaupt ist, wobei es so allgemein definiert wird, dass es das ganze Spektrum an Techniken umfasst, die Menschen entwickelten, um Rohstoffe der Natur in nahrhafte und wohlschmeckende Speisen und Getränke zu verwandeln. Wirklich zu schätzen und zu verstehen begann ich dies jedoch erst, als ich mich aufmachte, es selbst zu lernen. In den drei Jahren, in denen einige begabte Lehrerinnen und Lehrer mich mit den vier wichtigsten Verwandlungen vertraut machten, die wir kochen nennen – dem Grillen über einem Feuer, dem Kochen mit Flüssigkeit, dem Brotbacken und dem Fermentieren aller möglichen Nahrungsmittel –, erwarb ich eine ganz andere Art von Wissen, als ich erhofft hatte. Klar, am Ende meiner Ausbildung gelang mir manches recht gut – besonders stolz bin ich auf mein Brot und einige meiner Schmorgerichte. Aber ich lernte auch einiges über die Natur und unsere Verbundenheit mit ihr, was ich, glaube ich, auf keine andere Art hätte lernen können. Ich lernte viel mehr, als ich je erwartet hätte, über die Natur von Arbeit und die Bedeutung von Gesundheit, über Traditionen und Rituale, über Selbstvertrauen, Gemeinschaft und die Rhythmen des täglichen Lebens. Und ich weiß nun aus eigener Erfahrung, wie befriedigend es ist, Speisen und Getränke, die ich bisher nur konsumierte, selbst herzustellen, und dies außerhalb eines merkantilen Zusammenhangs, aus reinem Vergnügen.

Dieses Buch erzählt die Geschichte meiner Ausbildung in der Küche, aber auch in der Bäckerei, der Molkerei, der Brauerei und in der Restaurant-Küche, also an einigen jener Orte, an denen in unserer heutigen Kultur ein Großteil des Kochens stattfindet. Es ist in vier Teile untergliedert, je einen für jede der großen Verwandlungen von Natur in Kultur, die wir kochen nennen. Wie ich zu meiner freudigen Überraschung feststellte, entspricht jede Verwandlung einem der klassischen Elemente – Feuer, Wasser, Luft und Erde – und hängt von ihm ab.

Ich weiß nicht genau warum, doch diese Elemente wurden jahrtausendelang und in vielen verschiedenen Kulturen als die vier unteilbaren und unzerstörbaren Bestandteile betrachtet, die die Natur ausmachen. Und sie spielen in unserer Vorstellungswelt nach wie vor eine große Rolle. Die moderne Wissenschaft verwarf zwar das traditionelle Konzept von den vier Elementen und reduzierte jedes davon auf noch elementarere Substanzen und Kräfte – das Wasser auf Wasserstoff- und Sauerstoffmoleküle, das Feuer auf einen Prozess schneller Oxidation etc. –, doch dies hat unsere gelebte Erfahrung der Natur oder unsere Vorstellung von ihr nicht wirklich verändert. Die Wissenschaft ersetzte die vier großen Elemente durch ein Periodensystem der 118 Elemente, die sie dann auf noch winzigere Teilchen reduzierte, doch diese Neuigkeiten sind bei unseren Sinnen und in unseren Träumen noch nicht angekommen.

Kochen zu lernen bedeutet auch, dass man sich mit den Gesetzen der Physik und der Chemie sowie mit Erkenntnissen der Biologie und Mikrobiologie vertraut macht. Ich stellte jedoch fest, dass die älteren vorwissenschaftlichen Elemente, allen voran das Feuer, für das Verständnis der größten Verwandlungen, aus denen das Kochen besteht, von großer Bedeutung sind, jedes auf seine eigene Weise. Denn jedes Element steht für andere Techniken der Verwandlung von Natur in Kultur, aber auch für eine andere Haltung gegenüber der Welt, eine andere Art von Arbeit und eine andere Stimmung.

Feuer ist das erste Element (beim Kochen sowieso), deshalb begann meine Ausbildung mit der elementarsten und frühesten Form des Kochens: dem Grillen von Fleisch. Mein Vorhaben, die Kunst des Kochens mit Feuer zu erlernen, führte mich weit weg von meinem Gartengrill, zu den Grillmeistern des östlichen North Carolina, wo man unter Fleischzubereitung immer noch ein ganzes Schwein versteht, das sehr langsam über einem glimmenden Holzfeuer gebraten wird. Dort lernte ich, unter Anleitung eines erfahrenen und energischen Grillmeisters, eine Form des Kochens kennen, deren Grundelemente ein Tier, Holz, Feuer und Zeit sind, und fand einen klar markierten Weg in die Vorgeschichte des Kochens: Ich begriff, was unsere frühen Vorfahren, die Urmenschen, dazu trieb, sich um das Kochfeuer zu versammeln, und wie diese Erfahrung sie veränderte. Ein großes Tier zu töten und über einem Feuer zu braten, war immer ein mit Emotionen befrachteter und spirituell aufgeladener Akt. Diese Kochform war von Anfang an mit Opferritualen verbunden, und ich stellte fest, dass deren Echos selbst heute, im 21. Jahrhundert, noch nachhallen, wenn gegrillt wird. Damals wie heute ist die Stimmung beim Kochen über einem Feuer heroisch, männlich, theatralisch, voll Prahlerei, unironisch und ein bisschen, mitunter auch mehr als nur ein bisschen, lächerlich.

Tatsächlich ist das Grillen alles, was das Kochen mit Wasser, das Thema von Teil II, nicht ist. Historisch gesehen kommt diese Methode nach dem Kochen mit Feuer, denn sie setzte die Erfindung des Kochtopfs voraus, und dieses Artefakt der Menschheitsgeschichte ist erst etwa zehntausend Jahre alt. Nun verlagert sich das Kochen nach drinnen, in den häuslichen Bereich. In diesem Kapitel widme ich mich dem alltäglichen Kochen zu Hause, seinen Techniken und Freuden sowie dem Unmut daran. Der zweite Teil dieses Buchs nimmt, passend zu seinem Thema, die Form eines einzigen langen Rezepts an und beschreibt Schritt für Schritt die uralten Techniken, die Großmütter entwickelten, um aus gewöhnlichsten Zutaten ein köstliches Essen zu zaubern: ein paar aromatische Pflanzen, etwas Fett, einige Stückchen Fleisch und ein paar Stunden Zeit zu Hause. Auch hier ging ich bei einem großartigen Profi in die Lehre, allerdings kochten wir meistens bei mir daheim in der Küche und oft mit Unterstützung meiner Familie. Das Zuhause und die Familie sind eng mit dem Thema von Teil II verknüpft.

In Teil III geht es um das Element Luft. Es ist alles, was einen schön aufgegangenen Laib Brot von einem kümmerlichen Brei aus gemahlenem Getreide unterscheidet. Indem wir herausfanden, wie wir unserer Nahrung Luft zuführen konnten, erhöhten wir sie und uns. Und verbesserten auf diese Weise erheblich, was die Natur uns in einer Handvoll Grassamen gibt. Die Geschichte der westlichen Zivilisation ist gleichzeitig die Geschichte des Brotes, dessen Herstellung wohl die erste wichtige Technologie der »Nahrungsmittelverarbeitung« ist. (Das Gegenargument kommt von den Bierbrauern, deren Technologie möglicherweise früher entwickelt wurde.) Dieses Kapitel, das in verschiedenen Bäckereien im ganzen Land spielt, unter anderem in einer Wonder-Bread-Fabrik, beschreibt, wie ich zwei persönliche Ziele verfolgte: ein perfektes, besonders lockeres und bekömmliches Brot zu backen, sowie den genauen historischen Zeitpunkt zu lokalisieren, an dem das Kochen seine verhängnisvolle Wendung nahm: nämlich wann die Zivilisation Nahrungsmittel so zu verarbeiten begann, dass sie nicht nährstoffreicher, sondern nährstoffärmer wurden.

So unterschiedlich diese ersten drei Kochmethoden sind, bei allen wird Hitze benötigt. Nicht so bei der vierten. Wie die Erde selbst ist die variantenreiche Kunst der Fermentierung darauf angewiesen, dass biologische Prozesse organische Materie von einem Zustand in einen anderen verwandeln, in dem sie interessanter und nährstoffreicher ist. Dieser Verwandlungsprozess ist der wundersamste von allen: Pilze und Bakterien, von denen viele aus der Erde stammen, erzeugen für uns intensive appetitliche Aromen und starke berauschende Getränke, indem sie ihre unsichtbare Arbeit der schöpferischen Zerstörung verrichten. Dieser Teil ist in drei Kapitel untergliedert, in denen die Fermentierung von Gemüse (zu Sauerkraut, Kimchi und Pickles aller Art), von Milch (zu Käse) und von Alkohol (zu Met und Bier) behandelt wird. Einige »Fermentos«, wie die Spezialisten auf diesem Gebiet sich nennen, zeigten mir die raffinierten Techniken, mit denen der Zersetzungsprozess gesteuert wird. Andere erklärten mir die gravierenden Folgen des modernen Krieges gegen Bakterien, die erotischen Aspekte von Ekel und die etwas verdrehte Vorstellung, dass der Alkohol, den wir durch einen Gärungsprozess gewannen, uns selbst zum Gären brachte.

Ich hatte das Glück, dass all diese Profis, bei denen ich in die Lehre gehen durfte, weibliche wie männliche, ebenso begabt wie großzügig waren. Die Köche, Bäcker, Brauer, Pickler und Käsemacher nahmen sich Zeit für mich, machten mich mit ihren Techniken vertraut und verrieten mir ihre Rezepte. Man könnte meinen, ich wäre bei der Auswahl meiner Lehrmeister unbewusst einseitig vorgegangen, denn am Ende waren viel mehr Männer als Frauen darunter. Das hatte ich nicht erwartet, doch sobald ich beschlossen hatte, mich lieber von Profis als von Amateurköchen unterrichten zu lassen – in der Hoffnung auf eine möglichst gründliche Ausbildung –, war es wahrscheinlich unvermeidlich, dass gewisse Klischees verstärkt wurden. Wie sich herausstellte, sind Grillmeister fast ausnahmslos Männer, ebenso wie Brauer und Bäcker (mit Ausnahme der Konditoren), während relativ viele Käsemacher Frauen sind. Ich entschied mich, bei einem weiblichen Küchenchef zu lernen, wie man Topfgerichte zubereitet, und wenn ich dadurch das Klischee unterstrich, dass das häusliche Kochen Frauenarbeit ist, dann nur aus einem Grund: Ich wollte mich mit genau dieser Frage näher beschäftigen. Wir können nur hoffen, dass all die Geschlechterklischees rund ums Kochen bald überwunden werden, doch wer annimmt, dies sei bereits geschehen, macht sich etwas vor.

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Alles in allem ist dieses Buch ein Ratgeber, jedoch ein sehr spezieller. Jeder seiner vier Teile umkreist ein einziges Grundrezept – für ein Barbecue, ein Schmorgericht, ein Brot oder ein paar fermentierte Nahrungsmittel –, und am Ende sollten jede Leserin und jeder Leser das nötige Rüstzeug haben, um es nachzukochen, falls sie oder er das möchte. (Die genauen Rezepte stehen im Anhang I.) Obwohl alle von mir beschriebenen Speisen und Getränke in einer ganz gewöhnlichen Küche hergestellt werden können, geht es nur in einem Teil des Buches direkt um die Art von Arbeit, die die meisten Leute unter »häuslichem Kochen« verstehen. So handelt es sich bei mehreren Rezepten um solche für Dinge, die die meisten Leserinnen und Leser wahrscheinlich nie selbst herstellen werden – Bier, Käse oder Brot zum Beispiel. Ich hoffe allerdings, dass sie es doch tun, denn ich stellte fest, dass man viel lernen kann, wenn man sich, zumindest einmal, an diese ehrgeizigeren und zeitaufwendigeren Formen des Kochens heranwagt. Das dabei erworbene Wissen mag zunächst nicht besonders nützlich erscheinen, doch es verändert nachhaltig die eigene Einstellung zu Nahrung und zu allem, was in der Küche möglich ist. Ich will versuchen, das zu erklären.

Das Kochen ist im Grunde kein Einzelprozess, sondern besteht aus verschiedenen Techniken, die zu den wichtigsten gehören, die die Menschen je erfanden. Sie veränderten uns zunächst als Spezies und anschließend auf der Ebene der Gruppe, der Familie und des Individuums. Diese Techniken reichen von der kontrollierten Nutzung des Feuers über die Manipulation von bestimmten Mikroorganismen, um Getreide in Brot oder Alkohol zu verwandeln, bis hin zur Mikrowelle – der letzten großen Erfindung. Das Kochen ist also in Wirklichkeit eine Abfolge mehr oder weniger komplexer Prozesse, und dieses Buch versteht sich unter anderem als eine Natur- und Sozialgeschichte dieser Verwandlungen, von denen nur noch einige Bestandteil unseres Alltagslebens sind. Heute halten die meisten von uns das Käsemachen und Bierbrauen für »extreme« Formen des Kochens, weil sie sich noch nie darin versuchten, früher hingegen fanden all diese Verwandlungen ganz selbstverständlich zu Hause statt, und jeder wusste zumindest in groben Zügen, was dabei zu tun war. Heutzutage scheinen wir nur noch eine Handvoll Kochtechniken zu beherrschen. Das ist nicht nur ein Wissens-, sondern auch ein gewisser Machtverlust. Und es ist durchaus möglich, dass es der nächsten Generation bereits so exotisch und ehrgeizig – so »extrem« – erscheinen wird, eine Mahlzeit von Grund auf selbst zu kochen, wie den meisten von uns heute, selber Bier zu brauen, Brot zu backen oder Sauerkraut einzulegen.

Wenn das geschieht – wenn wir nicht mehr wissen, wie man diese wundervollen Dinge selbst herstellt –, wird Nahrung jeden Bezug zur Arbeit menschlicher Hände, zur Natur der Pflanzen und Tiere, zur Fantasie, zur Kultur und zum sozialen Leben verloren haben. Und sich stattdessen auf dem Weg in den Äther der Abstraktion befinden, wo sie zu nichts weiter als einem Energielieferanten oder zum bloßen Bild wird. Wie also können wir sie wieder auf die Erde zurückholen?

Ich behaupte in diesem Buch, dass der beste Weg, uns wieder bewusst zu machen, was Nahrung wirklich ist, und ihr wieder den Platz in unserem Leben zu geben, den sie verdient, darin besteht, die physischen Prozesse ihrer traditionellen Herstellung beherrschen zu lernen. Die gute Nachricht ist, dass uns das jederzeit möglich ist, egal wie begrenzt unsere Kochkenntnisse sind. Meine eigene Lehrzeit machte es erforderlich, dass ich meine Küche und meine Komfortzone verließ und mich in entlegenere Gefilde des Kochens begab, in der Hoffnung, dort die grundlegenden Fakten zu dessen verschiedenen Formen zu erfahren und herauszufinden, was genau an diesen Verwandlungsprozessen dazu beitrug, uns zu dem zu machen, was wir sind. Meine vielleicht erfreulichste Erkenntnis war jedoch, dass die Wunder der Kochkunst, selbst ihre anspruchsvollsten Formen, auf einer Magie beruhen, die uns allen nach wie vor zugänglich ist, sogar in unserer eigenen Küche.

Ich sollte hinzufügen, dass mir diese Reise großen Spaß machte, wahrscheinlich den größten, den ich je hatte, während ich angeblich »arbeitete«. Welche Entdeckung ist erfreulicher als die, dass man etwas Köstliches oder auch Berauschendes, von dem man bisher annahm, dass man es immer auf dem Markt würde kaufen müssen, tatsächlich selbst herstellen kann? Welcher Zustand ist entspannender als der, in dem die Grenze zwischen Arbeit und Spiel in einer Wolke aus Brotmehl oder duftendem Dampf aus einem kochenden Kessel verschwindet?

Selbst aus scheinbar völlig misslungenen Kochexperimenten lernte ich unerwartet nützliche Dinge. Wenn man schon probiert hat, Gemüse einzulegen, Bier zu brauen und ein ganzes Schwein langsam zu grillen, traut man sich beim alltäglichen Kochen viel mehr zu, und in mancher Hinsicht wird es auch einfacher. Was ich von den Grillmeistern lernte, half mir, meine Grillkünste im eigenen Garten zu perfektionieren. Das Arbeiten mit Brotteig lehrte mich, in der Küche auf meine Hände und Sinne und deren Botschaften zu vertrauen, was mich von Rezepten und dem Messbecher unabhängiger machte. Seit ich einige Zeit in traditionellen Bäckereien und in einer Wonder-Bread-Fabrik verbrachte, weiß ich besser, was ein gutes Brot ausmacht, und schätze es noch viel mehr. Das Gleiche gilt für eine Ecke Käse und eine Flasche Bier: Was bisher nur ein – gutes oder schlechtes – Produkt war, erwies sich als viel mehr – als eine Leistung, als eine Ausdrucksform und als etwas Verbindendes. An sich würde schon diese Steigerung des Ess- und Trinkvergnügens allein die ganze sogenannte Arbeit rechtfertigen.

Aber die vielleicht wichtigste Erkenntnis, die ich bei dieser Arbeit gewann, war, dass uns das Kochen in ein ganzes Netz sozialer und ökologischer Beziehungen einbindet: mit Pflanzen und Tieren, mit dem Boden, mit Bauern, mit den Mikroben in uns und um uns herum, und natürlich mit den Leuten, die das, was wir kochen, ernährt und erfreut. Was ich in der Küche vor allem lernte, war, dass Kochen verbindet. In all seinen Varianten, von den alltäglichen bis zu den extremen, weist es uns in der Welt eine ganz besondere Position zu, an der wir mit der natürlichen Welt auf der einen Seite und der sozialen Welt auf der anderen konfrontiert sind. Der Koch steht genau zwischen Natur und Kultur. Er übernimmt die Rolle des Vermittlers zwischen den beiden Welten und bringt sie zusammen. Diese Arbeit verwandelt sowohl die Natur als auch die Kultur und, wie ich dabei herausfand, den Koch ebenfalls.

III.

Mit der Zeit wurde ich in der Küche immer sicherer. Ähnlich wie das Gärtnern nimmt einen das Kochen auf eine angenehme Art in Anspruch, ohne einen intellektuell allzu sehr zu fordern. Es lässt einem reichlich Raum für Tagträume und Reflexionen. Ich dachte dabei unter anderem über die Frage nach, warum ich freiwillig eine Arbeit verrichtete, die in unserer Zeit eigentlich unnötig geworden ist, eine Arbeit, für die ich weder besonders begabt noch qualifiziert bin, sodass ich vielleicht nie wirklich gut darin werde. Das ist die unausgesprochene Frage, die in der modernen Welt immer im Raum steht, wenn wir etwas kochen. Warum machen wir uns diese Mühe?

Rein rational betrachtet ist wohl selbst das tägliche Kochen zu Hause keine kluge Nutzung unserer Zeit – vom Brotbacken oder Fermentieren von Kimchi ganz zu schweigen. Diese Auffassung vertraten zumindest die Zagats – das Ehepaar, das die Zagat-Restaurantführer herausgibt – in einem Artikel über die Gastronomie, der kürzlich im Wall Street Journal erschien. Statt nach der Arbeit heimzugehen und zu kochen, sollten die Leute lieber eine Stunde länger im Büro bleiben und das tun, was sie gut können, und dann preiswerte Restaurants das tun lassen, was diese am besten können, meinten die Zagats.

Das ist, in Kurzform, das klassische Argument für die Arbeitsteilung, der wir, wie Adam Smith und unzählige andere betonten, viele Segnungen der Zivilisation verdanken. Sie ermöglicht es mir, davon zu leben, dass ich vor einem Bildschirm sitze und schreibe, während andere meine Nahrung anbauen, meine Kleidung nähen und die Energie erzeugen, die mein Haus beleuchtet und heizt. Wahrscheinlich verdiene ich mehr Geld, wenn ich eine Stunde lang schreibe oder unterrichte, als ich spare, wenn ich eine Woche lang selbst koche. Die Spezialisierung hat unbestreitbar große soziale und wirtschaftliche Vorteile. Aber sie schwächt uns auch. Sie erzeugt Hilflosigkeit, Abhängigkeit und Ignoranz und untergräbt letztendlich jedes Verantwortungsbewusstsein.

Unsere Gesellschaft weist uns sehr begrenzte Rollen zu: Wir stellen bei der Arbeit ein bestimmtes Produkt her und konsumieren in der restlichen Zeit eine ganze Menge anderer Produkte, und einmal im Jahr oder so schlüpfen wir kurz in die Rolle des Staatsbürgers und geben eine Stimme ab. Wir delegieren die Erfüllung buchstäblich all unserer Bedürfnisse und Wünsche an Spezialisten der einen oder anderen Art – für unsere Mahlzeiten sind die lebensmittelverarbeitenden Unternehmen zuständig, für unsere Gesundheit die Ärzte, für unsere Unterhaltung Hollywood und die Medien, für unsere geistige Gesundheit die Psychotherapeuten oder die Pharmakonzerne, für den Naturschutz die Umweltschützer, für politische Maßnahmen die Politiker und so weiter. Allmählich können wir uns kaum noch vorstellen, irgendetwas selbst zu tun, außer der Arbeit, mit der wir unser Leben bestreiten. Wir glauben, dass wir alles andere verlernt haben oder dass andere es besser können. Unlängst etwa hörte ich von einer Agentur, die, falls man keine Zeit findet, seine alten Eltern zu besuchen, stellvertretend eine nette Person bei ihnen vorbeischickt. Anscheinend meinen wir, dass nur Fachleute oder spezielle Einrichtungen oder bestimmte Produkte unsere täglichen Bedürfnisse befriedigen und unsere Probleme lösen können. Diese erlernte Hilflosigkeit ist natürlich von großem Vorteil für die Unternehmen, die sich darum reißen, all diese Dinge für uns zu erledigen.

In unserer komplexen Wirtschaft besteht das Problem mit der Arbeitsteilung darin, dass sie es uns erschwert, die konkreten Auswirkungen unserer täglichen Handlungen und damit unsere Verantwortung für sie zu erkennen. Die Spezialisierung lässt uns leicht vergessen, wie viel Dreck das Kohlekraftwerk produziert, das unsere Hightech-Bildschirme leuchten lässt, oder welche Knochenarbeit es ist, die Erdbeeren für unser Müsli zu pflücken, oder was für ein elendes Dasein das Schwein fristete, das starb, damit wir seinen Schinken genießen können. Die Spezialisierung verschleiert unsere Verwicklung in all das, was unbekannte andere Spezialisten irgendwo auf der Welt für uns tun.

Was ich am Kochen vielleicht am meisten schätze, ist, dass es ein wirkungsvolles Korrektiv dieser Lebensweise ist – eine Möglichkeit, etwas an ihr zu verändern, die wir alle nach wie vor haben. Wenn man eine Schweineschulter zerlegt, wird man zwangsläufig daran erinnert, dass dies die Schulter eines großen Säugetiers ist, die aus verschiedenen Muskelgruppen besteht, deren ursprünglicher Zweck nicht darin bestand, uns zu ernähren. Die Arbeit selbst weckt bei mir ein größeres Interesse an der Geschichte des Schweins: Wo kam es her? Und auf welchem Weg gelangte es in meine Küche? Sein Fleisch fühlt sich eher an wie ein Naturprodukt als wie ein Industrieprodukt, eigentlich gar nicht wie ein Produkt. Und der Anbau des Blattgemüses, das ich zu diesem Schwein serviere und das im späten Frühjahr fast so schnell nachzuwachsen scheint, wie ich es schneiden kann, erinnert mich ständig an die Fülle der Natur, an das tägliche Wunder der Verwandlung von Lichtphotonen in etwas Köstliches.

Die Beschäftigung mit diesen Pflanzen und Tieren, die Erzeugung und Zubereitung von zumindest einem Teil des eigenen Essens haben die heilsame Wirkung, dass sie die Verbindungen wieder sichtbar werden lassen, die durch Supermärkte und Fertiggerichte erfolgreich ins Undurchschaubare gerückt wurden, aber natürlich nach wir vor bestehen. Gleichzeitig übernimmt man dadurch auch wieder eine gewisse Mitverantwortung und wird zumindest ein wenig bedachter in seinen Äußerungen.

Das gilt besonders für Äußerungen über »die Umwelt«, die plötzlich nicht mehr »irgendwo da draußen« ist, sondern viel näher erscheint. Denn was ist die Umweltkrise, wenn nicht eine Krise unserer Lebensweise? Das große Problem ist nicht mehr und nicht weniger als das Gesamtergebnis unzähliger kleiner alltäglicher Entscheidungen, die größtenteils wir Verbraucher treffen – die Konsumausgaben machen fast drei Viertel der amerikanischen Wirtschaft aus –, und die übrigen fällen andere im Namen unserer Bedürfnisse und Wünsche. Wenn die Umweltkrise letztlich eine Krise des Charakters ist, wie Wendell Berry uns in den 1970ern erklärte, dann werden wir uns früher oder später auf dieser Ebene mit ihr auseinandersetzen müssen – zu Hause, in unseren Gärten und Küchen.

Sobald man diese Sichtweise einnimmt, erscheint der alltägliche Wirkungskreis Küche in einem ganz neuen Licht. Sie wird wichtiger, als wir uns je vorstellen konnten. Der unausgesprochene Grund, warum politische Reformer von Wladimir Iljitsch Lenin bis Betty Friedan die Frauen aus der Küche holen wollten, war, dass dort nichts von Bedeutung stattfand – nichts, was ihren Talenten, ihrer Intelligenz und ihren Überzeugungen entsprach. Die einzig angemessenen und anerkannten Arenen, um etwas zu bewirken, waren der Arbeitsplatz und der öffentliche Raum. Aber das war, bevor die Umweltkrise sich abzeichnete und die gravierenden Auswirkungen der Industrialisierung unseres Essens auf unsere Gesundheit erkennbar wurden. Öffentliches Engagement wird immer nötig sein, um die Welt zu verändern, doch in unserer Zeit genügt das nicht mehr. Wir müssen auch unsere Lebensweise ändern, denn die Orte unseres täglichen Umgangs mit der Natur – unsere Küchen, Gärten, Häuser, Autos – sind heute für das Schicksal der Welt von größerer Bedeutung als je zuvor.

Kochen oder nicht kochen wird also zu einer wichtigen Frage. Ich weiß, das ist etwas überspitzt formuliert. Kochen hat für unterschiedliche Leute zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Bedeutungen. Es ist selten eine Alles-oder-Nichts-Option. Doch selbst wenn man an mehr Abenden kocht als bisher, am Sonntag ein paar Mahlzeiten für die Woche zubereitet oder vielleicht ab und zu versucht, etwas selbst zu machen, was man bisher immer fertig kaufte, sind diese kleinen Veränderungen eine Art Votum. Ein Votum wofür genau? Nun, in einer Welt, in der nur noch wenige von uns gezwungen sind, überhaupt zu kochen, ist die Entscheidung, es trotzdem zu tun, ein Protest gegen die Spezialisierung – gegen die totale Rationalisierung des Lebens. Gegen das Vordringen kommerzieller Interessen in die allerletzten Winkel unseres Lebens. Wenn wir aus Vergnügen kochen, in unserer Freizeit, erklären wir uns unabhängig von den Unternehmen, die aus jeder Minute unseres Tages eine weitere Gelegenheit zum Konsum ihrer Produkte machen wollen. Und wenn ich es mir recht überlege, auch aus jeder Nacht: Schlaftablette gefällig? Es bedeutet, die lähmende Vorstellung zurückzuweisen, wonach die Herstellung von etwas, zumindest in unserer Freizeit, eine Arbeit ist, die am besten von jemand anderem erledigt wird, und dass die einzig legitime Form von Freizeit und Muße Konsum ist. Diese Abhängigkeit nennen Marketingfachleute »Freiheit«.