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INHALT

SCHULKINDNEWS

BLOSS SCHNELL ERWACHSEN WERDEN!

Bei Problemen in der Familie kommen Mädchen früher in die Pubertät

MATHE BE-GREIFEN

Gestikulieren hilft beim Rechnenlernen

ZAPPELIG DURCH ZUSÄTZE

Lebensmitteladditive machen Kinder unruhig

FLEXIBLES KÖPFCHEN

Die Gehirne hochbegabter Kinder sind besonders wandlungsfähig

KEINE BRILLENSCHLANGE

Grundschüler halten Altersgenossen mit Sehhilfen für klüger und ehrlicher

NICHT MIT ÄPFELN UND BIRNEN

Abstrakt vermittelte Matheregeln sind für die Lernenden leichter auf andere Fälle zu übertragen

AUF LINKS GEPOLT

Gehirne von Linkshändern lassen sich nicht auf Rechtshändigkeit umstellen

PÄDAGOGEN IN NOT

Beleidigungen durch Schüler belasten Lehrer besonders stark

MORGENMUFFEL MIT GUTER ENTSCHULDIGUNG

Körperzellen von »Nachteulen« ticken langsamer als die von Frühaufstehern

PSYCHOLOGIE

* WENN DIE SCHULBANK DRÜCKT

Bauchweh, Unlust – oder Schulangst? Wie man Warnsignale richtig deutet und Kindern die Furcht vor dem Unterricht nimmt

IM HIMMEL HABEN ALLE FLÜGEL

Die Jüngsten glauben noch, sie würden niemals sterben. Erst nach und nach entwickeln Kinder eine realistische Vorstellung vom Lebensende

SCHAU MIR IN DIE AUGEN, KLEINER!

In vielen Schulklassen gibt es ein Kind, das seine Lehrer oder Kameraden schlecht wiedererkennt. Womöglich leidet es an Prosopagnosie – der »Gesichtsblindheit«

MEDIENERZIEHUNG

FERNSEHEN WILL GELERNT SEIN

TV-Konsum schade der kindlichen Entwicklung, heißt es oft kategorisch. Trotzdem sollten Eltern ihrem Nachwuchs die Flimmerkiste nicht völlig vorenthalten – sondern ihn behutsam an das Medium heranführen

* SAFER SURFEN

Das Internet birgt für Kids viele Gefahren: Sie stoßen auf pornografische Inhalte, werden beim Chatten belästigt oder von Mitschülern gemobbt. Zum Glück gibt es Mittel und Wege, um solchen Risiken vorzubeugen

SCHULE AKTUELL

LERNEN FÜRS LEBEN

Das Thüringer Bildungsprojekt »Nelecom« setzt auf lebensnahen Unterricht und nimmt dazu Eltern und die ganze Kommune in die Pflicht

INTERVIEW

* »EIN SEELISCHES POLSTER AUFBAUEN«

Heidelberger Schüler wurden ein Jahr lang in dem neuen Schulfach »Glück« unterrichtet – mit messbarem Erfolg. Ein Gespräch mit dem Initiator des Projekts, dem Pädagogen Ernst Fritz-Schubert

* SPEZIAL HOCHBEGABUNG

CLEVER, KREATIV – ERFOLGREICH?

Außergewöhnliche Intelligenz ist noch kein Garant für schulischen Erfolg. Hochbegabte Kinder müssen auch optimal gefördert werden

HOCHBEGABUNG: FAKTEN UND FIKTIONEN

Über Menschen mit einem hohen IQ kursieren viele Klischees. Der Psychologe Detlef Rost räumt mit verbreiteten Missverständnissen auf

BESSER LERNEN

FIT FÜR BABEL

Lange dachten Lernforscher, zu viele Fremdsprachen verwirrten das Schülerhirn nur. Falsch: Kinder, die gleich in mehrere Idiome eintauchen, lernen sie oft leichter

INTERVIEW

* KINDER SIND KEINE TASCHENRECHNER

Schüler müssen die tiefere Bedeutung von Zahlen beim Rechnenlernen von Anfang an verstehen. Wie das geht, erklärt die Mathematikdidaktikerin Inge Schwank

WICHTIGE HANDARBEIT

Das Abc lernen per Tastatur? Besser nicht, sagen Forscher. Denn das Schreiben mit der Hand hilft, Buchstaben zu verinnerlichen

DIE WURZELN DER LEGASTHENIE

Ein maßgeschneidertes Computertraining halbiert die Zahl der Lesefehler bei Kindern bereits nach wenigen Minuten

RUBRIKEN

Editorial

Bücher und mehr
Neue Literatur zu Schülermobbing, Lernen, Jungen und innovativen Schulkonzepten

Vorschau

 

 

 

 

Titelmotiv: fotolia/Jeff Shanes

* Das sind unsere Coverthemen

 

 

Ein Sonderheft von

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Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung aus dem Verlag Spektrum der Wissenschaft

 

 

 

 

 

Herausgeber:
Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Chefredakteur: Prof. Dr. phil. Dipl. Phys. Carsten Koenneker M.A.
Verantwortliche Redakteurin: Dr. Katja Gaschler
Slevogtstr. 3-5, 69126 Heidelberg
www.spektrum.de

EDITORIAL

WARUM KINDER AUFMERKSAME ELTERN BRAUCHEN

Angeblich malt die Erinnerung mit goldenem Pinsel. Mir erscheint es jedoch rückblickend, als habe der erste Schultag das Ende einer bis dahin unbeschwerten Kindheit eingeläutet. Plötzlich waren da so viele Ängste: vor dem Musiklehrer, der einem hart zwischen die Schultern schlug, wenn man nicht aufrecht saß. Vor der Rückgabe der Mathearbeiten, weil erst die guten, dann die schlechten ausgeteilt wurden und der Lehrer zum Schluss die »Versager« vor versammelter Klasse abkanzelte …

Sicher, die Zeiten haben sich geändert. Lehrer dürfen längst nicht mehr handgreiflich werden. Auch ist den meisten Pädagogen klar, dass die Freude am Lernen – nicht Angst vor Strafe – ihre Schüler anspornen sollte. Ein Zuckerschlecken ist der Schulbesuch heutzutage dennoch nicht: Fast jedes zweite Kind fürchtet sich laut Umfragen hin und wieder vor dem Unterricht, mehr als fünf Prozent leiden unter akuter Schulangst. Oft ahnen die Eltern nichts davon, weil der Nachwuchs morgens »nur« über Bauch- oder Kopfweh klagt. Dabei ist dem Problem gut beizukommen – wenn es erkannt wird.

Ein häufiger Grund, warum Kinder nicht zur Schule gehen wollen, sind ständige Demütigungen durch Mitschüler. Diesem »Mobbing« hat das Internet neue Dimensionen eröffnet. So werden in Chatrooms Gerüchte verbreitet, um das Opfer ins soziale Abseits zu drängen. Rund jeder fünfte Schüler in Deutschland hat solche Schikanen bereits erlebt, die wenigsten vertrauen sich einem Erwachsenen an. Seelisch belastend wirkt auf viele Kinder aber auch der stetig steigende Leistungsdruck – dies ergab kürzlich eine große Untersuchung der Technischen Universität Dresden. Selbst manch hochbegabter Schüler hasst den Unterricht: Schnell hat er beim Lehrer verspielt, wenn er seine Langeweile zu deutlich kundtut – und verbringt womöglich mehr Zeit vor der Tür als im Klassenzimmer.


Es gibt keine andere vernünftige Erziehung als Vorbild sein, wenn es nicht anders geht, ein abschreckendes

Albert Einstein (1879–1955)


Doch gibt es auch Positives zu vermelden: Die Förderung von überdurchschnittlich intelligenten Kindern an Regelschulen soll einen höheren Stellenwert bekommen. Denn Ziel darf nicht sein, die jungen Talente in Spezialinstitutionen zu isolieren – schließlich werden sie später vor allem mit Normalbegabten zusammenarbeiten. Auch entwickeln immer mehr Schulen innovative Konzepte, um den jüngeren Generationen mehr als nur fachliches Knowhow mit auf den Lebensweg zu geben. An der Heidelberger Willy-Hellpach-Schule beispielsweise beschäftigen sich Schüler im Fach »Glück« seit über einem Jahr mit der Frage, was einen Menschen wirklich zufrieden macht. Man kann nur hoffen, dass dieses Projekt viele Nachahmer findet. Bis auf Weiteres liegt es aber hauptsächlich in den Händen der Eltern, ihre Kinder stark fürs Leben zu machen. Dafür mag Ihnen dieses Heft mit ausgewählten Beiträgen aus Gehirn&Geist einige wertvolle Anregungen geben.

Eine inspirierende Lektüre wünscht Ihnen
Ihre

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SCHULKINDNEWS

SEXUELLE REIFE

Bloß schnell erwachsen werden!

Mädchen aus Familien, die wenig sozialen Rückhalt bieten, kommen früher in die Pubertät.

In einem harmonischen Zuhause lässt es sich gut ein Weilchen aushalten. Kein Grund also, frühzeitig auszuziehen oder gar eine eigene Familie zu gründen. Das könnte der Grund sein, warum sich manche Kinder mit dem sexuellen Heranreifen mehr Zeit lassen als ihre Altersgenossen. Tatsächlich kommen Mädchen schneller in die Pubertät, wenn sie in ärmeren Verhältnissen aufwachsen und von den Eltern wenig Rückhalt bekommen. Das haben Bruce J. Ellis von der University of Arizona in Texas und Marilyn J. Essex von der University of Wisconsin in Madison herausgefunden.

Die Entwicklungsforscher begleiteten rund 180 Mädchen und ihre Familien von der Geburt bis zum fünften Schuljahr und befragten die Eltern in Interviews zu Familienklima, Erziehungsstil, Konflikten in der Ehe und etwaigen Depressionen.

Als die Mädchen mit rund sieben Jahren in der 1. Klasse waren, untersuchten die Forscher frühe Indikatoren geschlechtlichen Reifens. Dazu nahmen sie viermal Speichelproben der Versuchsteilnehmerinnen, um die Konzentration an »Dehydroepiandrosteron« zu erfassen, einer Substanz der Nebennierenrinde, aus der der Körper männliche und weibliche Sexualhormone entwickelt. Als die Mädchen dann mit im Schnitt elf Jahren in die 5. Klasse kamen, wurde ihre sexuelle Reife noch einmal bestimmt. Diesmal schätzten die Mütter ein, wie weit sekundäre Geschlechtsmerkmale wie Schambehaarung und Brüste entwickelt waren.

Ergebnis: Je positiver das Familienklima und je unterstützender der Erziehungsstil, desto zögerlicher stellten sich erste Anzeichen eines sexuellen Reifungsprozesses ein. Gleichaltrige Kameradinnen aus weniger harmonischen Familien waren ihnen in der geschlechtlichen Entwicklung voraus. Dabei war es gleichgültig, ob die Forscher die Einschätzung der Mutter oder des Vaters zu Rate zogen.

Die sekundären Geschlechtsmerkmale hingegen entwickelten sich nicht nur bei familiären Konflikten und autoritärer Erziehung schneller, sondern auch dann, wenn die Eltern über weniger Bildung und Einkommen verfügten. Eine unglückliche Ehe oder elterliche Depressionen beeinflussten die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale bei den Sprösslingen nur mittelbar in Form von Übergewicht, das seinerseits wiederum die geschlechtliche Reifung förderte. Auch das Alter der Mutter bei ihrer ersten Regelblutung spielte eine Rolle – ein Hinweis auf genetische Faktoren.

Um die Befunde zu deuten, ziehen die Forscher unter anderem evolutionsbiologische Erklärungsmöglichkeiten heran: Töchter, die in instabilen Verhältnissen heranwachsen, würden demnach schneller geschlechtsreif, damit sie früher einen Partner finden und ihre Eltern verlassen können. So hätten sie eine höhere Chance, zu überleben und selbst eine – hoffentlich harmonischere – Familie zu gründen. (cg)

Child Development 78(6), S. 1799–1817, 2007

DENKEN

Mathe be-greifen

Gestikulieren hilft beim Rechnenlernen.

Der Umgang mit Zahlen will gelernt sein. Dabei hilft oft – jenseits des An-den-Fingern-Abzählens – eifriges Gestikulieren, wie Entwicklungspsychologen der University of Chicago berichten. Sie stellten Dritt- und Viertklässlern Aufgaben wie diese: 6 + 4 + 5 = x + 5. Für welche Zahl steht hier wohl x?

Den untersuchten Grundschülern waren derartige Formeln zumeist eine Nummer zu groß. Doch Sara Broaders und ihre Kollegen interessierte nicht die Fehlerquote – sie wollten wissen, ob die Kleinen nicht doch immerhin den richtigen Lösungsweg einschlugen. Und dieser offenbart sich eher in Gesten als in den mündlichen Erklärungen, die Kinder beim Rechnen abgeben. Wenn man die Schüler also ausdrücklich bat, beim Vorrechnen an der Tafel zu gestikulieren – würde ihnen das die Sache vielleicht sogar erleichtern?

Tatsächlich fanden die Pennäler im zweiten Durchgang, als sie die Hände zu Hilfe nehmen sollten, häufiger den korrekten Lösungsansatz. Zum eingesetzten Gestenrepertoire zählte dabei zum Beispiel das Unterstreichen der linken und der rechten Seite der Gleichung (»Hier und da muss gleich sein«) oder das Abdecken zweier identischer Zahlen (»Da steht eine Fünf und da auch, die kann man weglassen«).

Manche Kinder fuhren auch mit dem Finger unter der linken Hälfte der Gleichung entlang, zeigten dann auf die Fünf auf der rechten Seite und zogen die Hand schließlich zurück, bevor sie auf die Lücke deuteten: »Erst muss man links alles zusammenzählen und dann die Fünf von rechts abziehen.«

Dennoch hielten die Schüler fast ausnahmslos an der in der ersten Runde mündlich geäußerten Lösung fest – auch wenn diese falsch war! Sie kamen also nicht zum richtigen Ergebnis, hatten mit Hilfe der Hände jedoch neue Strategien erkundet.

Der Lernerfolg stellte sich freilich mit Verzögerung ein: Das zeigte sich, als eine Gruppe von Kindern – die ebenfalls ausdrücklich mit Gesten rechnen sollte – später eine Unterrichtslektion zum Thema Gleichungen erhielt. Im anschließenden Test schnitten sie deutlich besser ab als ihre Altersgenossen, denen die Forscher die Handarbeit zuvor untersagt hatten. Der Befürchtung, übermäßiges Gestikulieren könne dem Rechnenlernen im Weg stehen, erteilen Broaders und Kollegen eine Absage. Im Gegenteil: Es förderte das mathematische Verständnis. »Die Kinder entwickelten die richtige Lösungsstrategie von selbst«, erklären die Forscher. »Alles, was sie dazu brauchten, war die Aufforderung, ihre Hände zu benutzen.« (sa)

Journal of Experimental Psychology 136(4), S. 539–550, 2007

HYPERAKTIVITÄT

Zappelig durch Zusätze

Lebensmitteladditive machen Kinder unruhiger.

Die Ursachen für ADHS, das »Zappelphilipp«-Syndrom, sind heiß umstritten. Während Mediziner meist angeborene Störungen des Hirnstoffwechsels als Schuldige ansehen, spekulieren Eltern betroffener Kinder eher über schädliche Umwelteinflüsse. Vor allem künstliche Nahrungszusätze werden in einschlägigen Internetforen an den Pranger gestellt – etwa Konservierungsstoffe und Lebensmittelfarben.

Bisher fehlte diesen Mutmaßungen aber die wissenschaftliche Basis. Diese lieferte nun eine britische Forschergruppe um Jim Stevenson an der School of Psychology in Southampton mit einer Studie an jeweils über 100 Dreijährigen und Acht bis Neunjährigen. Zunächst wurden die Versuchsteilnehmer auf eine Diät ohne Lebensmitteladditive gesetzt. In den folgenden sechs Wochen erhielten dann alle jeden Tag zusätzlich ein Glas Saft.

Bei einigen Kindern hatte es der Fruchttrank jedoch in sich: Er enthielt einen Mix aus verschiedenen gängigen Lebensmittelfarbstoffen, etwa Tartrazin (E102) oder Chinolingelb (E104), sowie das Konservierungsmittel Natriumbenzoat, das in manchen Limonaden enthalten ist. Die Menge der Zusätze entsprach bei den Dreijährigen der von rund 100 Gramm bunten Süßigkeiten; bei einem Teil der älteren Kinder wurde die doppelte Ration eingesetzt. Dabei war Saft mit und ohne Zusätze farblich und geschmacklich nicht zu unterscheiden.

In der Testphase beurteilten nun Eltern und Lehrer einmal pro Woche das Verhalten der kleinen Probanden. Und siehe da: Kinder, die Zusatzstoffe schluckten, wurden im Schnitt als unruhiger und unkonzentrierter eingestuft als solche, die lediglich den Placebosaft serviert bekamen.

Erklärt das ADHS? Nein, betont Studienleiter Stevenson. Doch Eltern, deren Kinder unaufmerksam und zappelig sind, sollten ihren Nachwuchs von künstlich gefärbten Süßigkeiten, Softdrinks oder Eissorten fernhalten – so schwer das im Alltag auch sein mag.

Inzwischen rief die Studie sogar die EU-Kommission auf den Plan: In deren Auftrag prüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit derzeit die fraglichen Farbstoffe auf ihre Unbedenklichkeit. (hh)

The Lancet 370(9598), S. 1524–1525, 2007

HIRNFORSCHUNG

Flexibles Köpfchen

Die Gehirne hochbegabter Kinder sind besonders wandlungsfähig.

Nicht die Größe zählt – das gilt auch fürs Gehirn. Wie Forscher schon lange wissen, lässt weder die pure Hirnmasse noch die Dicke der für kognitive Höchstleistungen zuständigen Großhirnrinde (Kortex) verlässliche Rückschlüsse auf die Intelligenz eines Menschen zu. Sie ist vielmehr eine Frage der internen Organisation und Verknüpfung der Hirnareale.

Neurowissenschaftler um Philip Shaw vom National Institute of Mental Health in Bethesda (US-Bundesstaat Maryland) konnten nun zudem zeigen, dass sich die Denkorgane hochbegabter Heranwachsender besonders dynamisch entwickeln. In einer Längsschnittstudie untersuchten die Forscher 307 Kinder und Jugendliche im Alter von 5 bis 19 Jahren. Auf der Basis ihrer Leistungen im IQ-Test wurden die Youngster in drei Gruppen eingeteilt: Schlaumeier, normal Intelligente und eher Minderbegabte. Durchschnittlich alle zwei Jahre wurden die Gehirne der Probanden dann per Hirnscan exakt vermessen.

Dabei erwies sich der Kortex der Klügsten in jüngeren Jahren als vergleichsweise dünn, legte fortan aber viel stärker zu als bei den weniger Begabten – vor allem im Stirnhirn, das am Denken und Planen entscheidend beteiligt ist.

Während die Großhirnrinde im Schnitt bereits mit acht Jahren ihre maximale Dicke erreichte, war dies bei den Intelligenzbestien erst mit rund elf Jahren der Fall. Danach nimmt die Kortexstärke wieder leicht ab – eine ganz normale Entwicklung, die vermutlich mit dem »Ausjäten« überflüssiger, weil kaum genutzter Nervenverbindungen zu tun hat. Seine endgültige Gestalt erreicht der Kortex bei den Schlaumeiern somit erst im jungen Erwachsenenalter.

Wie die Studie zeigt, lassen sich kluge Köpfe beim Reifen nicht nur mehr Zeit; sie erweisen sich vor allem als deutlich flexibler. In dieser Wandlungsfähigkeit sehen Forscher denn auch den entscheidenden Vorteil intelligenter Menschen. (sa)

Nature 440, S. 676, 2006

SOZIALE WAHRNEHMUNG

Keine Brillenschlange

Grundschulkinder halten Altersgenossen mit Sehhilfe nicht nur für klüger, sondern auch für ehrlicher.

Jeffrey Walline und seine Kollegen von der Ohio State University in Columbus legten 80 Schülern im Alter von sechs bis zehn Jahren nacheinander 24 Bildpaare von jeweils einem Kind mit und einem ohne Brille vor. Die Kids sollten entscheiden: Wen von beiden würden sie als Spielgefährten bevorzugen? Wen hielten sie für klüger, wen für sportlicher, schüchterner, attraktiver oder ehrlicher?

Ergebnis: Zwei Drittel der Kinder schätzten Brillenträger als intelligenter und etwas mehr als die Hälfte − 57 Prozent – zudem als ehrlicher ein, übrigens unabhängig davon, ob sie selbst Gläser trugen. Aber wenn es um die Wahl eines Spielgefährten, um sportliche Fähigkeiten oder um das Aussehen ging?

Erstaunlicherweise beeinflusste hier die Brille die Antwort überhaupt nicht. Grundschulkinder gelten bei ihren Mitschülern also nicht als unattraktiv, sobald sie eine Brille bekommen – im Gegenteil, sie können davon sogar profitieren. (kg)

Ophthalmic and Physiological Optics 28(3), S. 218–224, 2008

UNTERRICHT

Nicht mit Äpfeln und Birnen

Abstrakt vermittelte Matheregeln sind für Lernende leichter auf andere Fälle übertragbar.

Lehrer sollen abstrakte Inhalte möglichst konkret mit vielen anschaulichen Beispielen unters Schülervolk bringen, heißt es. Doch darunter kann unter Umständen die Fähigkeit leiden, die erlernten Gesetzmäßigkeiten auf einen neuen Zusammenhang zu übertragen und anzuwenden – das fanden jetzt Forscher vom Center for Cognitive Science der Ohio State University (USA) heraus.

Sie stellten 80 Studierenden die Aufgabe, bestimmte mathematische Regeln zu lernen. Entweder verwendeten sie dazu geometrische Symbole wie Image und so fort. Dabei galt es schließlich die Regel zu erkennen, welche Figur sich konsequenterweise aus jeweils zwei oder mehr vorgegebenen ergibt. Oder aber die Probanden lernten die Gesetzmäßigkeiten lebensnäher – etwa anhand verschieden großer Pizzastücke.

Die Versuchspersonen begriffen die Regeln in beiden Fällen relativ problemlos, wie anschließende Tests zeigten. Doch dann sollten sie eine Transferleistung erbringen und ihr Wissen in einem anderen Zusammenhang anwenden – nämlich in Form eines fiktiven Kinderspiels mit den Objekten Vase, Ring und Käfer.

Dabei deutete ein Kind nacheinander auf zwei der Objekte, und es galt, das sich logisch daraus ergebende dritte zu bestimmen (Beispiel: Käfer, Vase Image Ring; Vase, Ring Image Vase …). Zu Grunde lagen hier die gleichen Gesetze wie die zuvor gelernten.

Während die abstrakt trainierten Probanden in diesem Test sehr gut abschnitten, versagten die anderen auf der ganzen Linie. Ihre Trefferquoten waren statistisch nicht von reinem Raten zu unterscheiden.

Außerdem schnitten auch solche Versuchspersonen schlechter ab, die das Prinzip zuerst an einer konkreten Anwendung und danach zusätzlich abstrakt gelernt hatten.

Die Forscher vermuten, dass die in bildhaften Beispielen zusätzlich enthaltenen Informationen die Aufmerksamkeit vom zu lernenden Gesetz ablenken könnten. Dies scheint auch für Kinder zu gelten: Eine Wiederholung des Versuchs mit Elfjährigen führte zu ähnlichen Resultaten. (hh)

Science 320, S. 454–455, 2008

HÄNDIGKEIT

Auf links gepolt

Die Gehirne von Linkshändern lassen sich nicht auf Rechtshändigkeit umstellen.

Ob Messer, Schere oder Stift: Linkshänder mussten noch vor wenigen Jahrzehnten nicht nur mit Vorurteilen kämpfen, sondern meist auch das Schreiben und andere Handgriffe mühsam mit der »guten«, sprich: rechten Hand erlernen. Weil Bewegungen der einen Körperseite stets von der gegenüberliegenden (»kontralateralen«) Hirnhälfte kontrolliert werden, hat die linke Hemisphäre im Kopf von umgeschulten Linkshändern dabei eine besondere Last zu tragen.

Die neuronale Aktivität von 16 solcher Personen verglichen Forscher um Stefan Klöppel vom University College in London mit der von echten Rechts- und Linkshändern. Die Aufgabe der Probanden war simpel: Sie sollten während der Messungen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) mal mit der einen, mal mit der anderen Hand einen Knopf drücken.

Wie zu erwarten, regten sich bei geborenen wie »gewordenen« Rechtshändern die gleichen Regionen im linken somatomotorischen Kortex, wenn es galt, Bewegungsbefehle an die rechte Hand zu senden. Bei den Umgeschulten war die linke Hirnhälfte sogar umso stärker »am Drücker«, je intensiver die nichtdominante Hand trainiert worden war.

Anders dagegen solche Areale, denen die vorangehende Bewegungsplanung obliegt: Wie bei waschechten Linkshändern arbeiteten diese auch bei den Umgeschulten vor allem rechtsseitig! Die ursprüngliche Händigkeit trat hier also deutlich zu Tage – unabhängig davon, wie geübt der Betreffende im Hantieren mit rechts war.

Den Forschern zufolge bereitet das Gehirn Bewegungen demnach zeitlebens mit der von Geburt an dominanten Hirnhälfte vor. In der Tat unterschieden sich die umgeschulten von den tatsächlichen Linkshändern allein dadurch, dass die Areale der Bewegungsplanung noch stärker feuerten.

Somit beseitigt das Umlernen auf rechts die Linkshändigkeit keineswegs, sondern erhöht lediglich den neuronalen Aufwand, der um die Hands- und Fingermotorik getrieben werden muss. Ob sich dies auch im Verhalten bemerkbar macht – etwa durch geringere Geschicklichkeit von umgeschulten Linkshändern mit rechts –, bleibt allerdings noch offen. (jd)

Journal of Neuroscience 27, S. 7847–7853, 2007

SCHULE

Pädagogen in Not

Feindselige Schüler und Eltern machen Lehrer krank.

Jeder vierte Lehrer geht gesundheitsbedingt in den Vorruhestand – die Mehrheit wegen psychischer Probleme. Zwei Freiburger Mediziner haben nun untersucht, was genau den Lehrkräften so zusetzt. Joachim Bauer und Thomas Unterbrink befragten 949 Pädagogen von Gymnasien und Hauptschulen nach ihrer seelischen Gesundheit sowie typischen Burn-out-Symptomen wie Erschöpfung und übermäßigem Engagement.

Den größten Einfluss darauf hatte das Maß der erlebten Feindseligkeit: Je mehr die Lehrer von Schülern beleidigt wurden, desto stärker fühlten sie sich belastet – das galt auch für Verbalattacken seitens der Eltern. Als bester Stresspuffer für Lehrerinnen erwies sich die erlebte Unterstützung durch Kollegen. Ihre männlichen Mitstreiter profitierten hingegen mehr von dem subjektiven Eindruck, dass ihnen der Schulleiter den Rücken stärkte.

Auch positive Rückmeldungen von Schülern und ihren Eltern schützten vor Burn-out. Außerdem halfen eigene Kinder offenbar dabei, den Schulstress zu verarbeiten, während kleinere Klassengrößen nur wenig Erleichterung brachten.

Bauer und Unterbrink fordern, Lehramtsstudenten besser auf die zu erwartenden Belastungen vorzubereiten. Insbesondere sollten angehende Pädagogen lernen, ihre Beziehungen zu Schülern und Kollegen zu pflegen. (cg)

International Archives of Occupational and Environmental Medicine 80(5), S. 433–441, 2008

INNERE UHR

Morgenmuffel mit guter Entschuldigung

Die Körperzellen von Langschläfern ticken langsamer als die von Frühaufstehern.

Die Zeiten, in denen sich Schüler in der ersten Stunde für ihre Verschlafenheit rechtfertigen mussten, sollten eigentlich vorbei sein. Denn ob jemand frühmorgens gut gelaunt aus den Federn springt oder erst am späten Vormittag auf Touren kommt, ist wohl größtenteils eine Frage des »Chronotyps« und damit der Veranlagung. Verantwortlich dafür ist die innere Uhr, und die geht nun einmal bei jedem Menschen etwas anders. Und wo tickt der interne Wecker?

Als »Zentraluhr« gilt der Suprachiasmatische Nucleus (kurz SCN), eine Nervenzellansammlung im Gehirn. Über das Auge erhält er Informationen über die Tageslänge und regelt so im strikten 24-Stunden-Takt etwa den Schlaf-wach-Rhythmus, die Nierenfunktion und die Verdauung. Aber selbst, wenn sich Menschen viele Wochen abgeschottet in einem Bunker aufhalten, bleibt ein zirkadianer (»etwa eintägiger«) Rhythmus all dieser Körperfunktionen erhalten. Das Sonnenlicht dreht also offenbar nur an einem Stellrädchen, damit die innere Uhr nicht vor- oder nachgeht.

Seit einigen Jahren wissen Forscher, dass zirkadiane Uhren nicht nur im Kopf vorkommen. Zellen aus Leber, Niere oder Haut zeigen sogar isoliert vom Körper noch wochenlang periodisches Verhalten: Gene werden zyklisch an- und abgeschaltet, Proteine synthetisiert und wieder abgebaut. Dieses Oszillieren funktioniert autonom, ein äußerer Taktgeber ist nicht erforderlich.

Möglicherweise, so fand ein Team um Steven A. Brown von der Charité Berlin sowie der Universität Zürich heraus, steckt der Chronotyp bereits in jeder einzelnen Körperzelle. 28 ausgewiesene Nachteulen oder Frühaufsteher hatten einige Bindegewebszellen geopfert. Mit Hilfe fluoreszierender Marker verfolgten die Forscher dann die periodische Aktivität bestimmter Gene. Ergebnis: Die zirkadianen Zykluslängen der Hautzellen schwankten je nach Spender zwischen 23 und 26 Stunden. Und: Die Zelluhren von Personen, die laut Fragebogen als ausgesprochene Langschläfer gelten mussten, tickten dabei im Schnitt gemächlicher.

Der SCN fungiert demnach nicht als Schrittmacher, sondern eher als Dirigent, der das Zelluhrenorchester zum synchronen Klingen bringt. Kein Wunder, dass Kinder mit einem Ensemble von »Schlafmützen« Mühe haben, morgens ihren Einsatz nicht zu verpassen. (kg)

Proceedings of the National Academy of Sciences 105(5), S. 1602–1607, 2008

PSYCHOLOGIE | SCHULVERWEIGERUNG

Wenn die Schulbank drückt

Jeden Morgen Bauchschmerzen, Kopfweh, Übelkeit – Kinder mit Schulangst leiden. Die gute Nachricht: Werden die Alarmsignale rechtzeitig erkannt und richtig gedeutet, ist in drei von vier Fällen schnelle Besserung möglich.

VON GERD LEHMKUHL UND RABEA RENTSCHLER

Als ihn der Lehrer vor der ganzen Klasse einen Hohlkopf schimpfte, hatte Thomas endgültig die Nase voll. Der Achtjährige rannte aus dem Unterricht schnurstracks zur Mutter nach Hause und schwor, nicht in die Schule zurückzukehren. Und so kam es. Er besuchte nie wieder eine der üblichen Bildungseinrichtungen – weder die Dorfschule noch ein Gymnasium oder gar eine Universität – und wurde dennoch einer der genialsten Erfinder aller Zeiten: Thomas Alva Edison (1847–1931).

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Drei Formen der Schulverweigerung
Im Fall von Schulangst versucht das Kind Situationen oder Personen zu meiden, die direkt mit der Schule zu tun haben. Bei der Schulphobie fürchtet es die Trennung von seiner primären Bezugsperson. Schuleschwänzen ist zunächst vor allem eine Protestreaktion des Kindes oder Jugendlichen. Häufig treten Symptome der drei Varianten gemeinsam auf.

Viele Kinder wären froh, wenn sich ihre Mütter ein Beispiel an Frau Edison nähmen und ihre Schulverweigerung einfach akzeptierten. Einen Gefallen täten die Eltern ihnen mit einer Ausschulung jedoch nicht. Einmal abgesehen davon, dass Heimunterricht in Deutschland gar nicht erlaubt ist, bleibt eine Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär à la Edison in den meisten Fällen doch nur ein Wunschtraum – auch in Ländern wie den USA oder Österreich, wo nur Unterrichts- statt Schulpflicht besteht.

Geschätzte fünf bis zehn Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden unter allgemeiner Schulangst. Das entspricht 600 000 bis 1,2 Millionen Schülern, wobei mehr Jungen als Mädchen betroffen sind. Unter den Sechsjährigen sowie den Zehn- bis Elfjährigen tritt das Phänomen besonders häufig auf. Der Grund liegt auf der Hand: In diesem Alter steht normalerweise die Einschulung beziehungsweise der Wechsel auf eine weiterführende Schule an. Ein neuer Lebensabschnitt also, der die Kinder vor neue Herausforderungen stellt. Nicht alle stecken das leicht weg.

Zahlreiche Studien zur Jugendgesundheit aus den letzten Jahren stimmen darin überein, dass Eltern über die Beschwerden und Probleme ihrer Kinder nur teilweise Bescheid wissen. Um zu verstehen, warum ein Kind nicht zur Schule gehen will, muss zunächst geklärt werden, wovor es sich genau fürchtet. Psychologen unterscheiden grundsätzlich zwischen Schulangst, bei der die Schule selbst Auslöser des Vermeidungsverhaltens ist, und Schulphobie. In letzterem Fall spielt die Schule selbst nur eine untergeordnete Rolle. Das betroffene Kind fürchtet vielmehr den Abschied von seiner wichtigsten Bezugsperson. Zwei Drittel der Kinder, die unter Trennungsangst leiden, weigern sich hartnäckig in die Schule zu gehen. Lernblockaden, Disziplinprobleme oder Unkonzentriertheit spielen anders als im Fall von Schulangst oder beim Schwänzen meist keine Rolle. In der Praxis finden sich häufig Mischformen.