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Seit Corrie eine Castingshow gewonnen hat, geht es bei ihr von Erfolg zu Erfolg. Nun steht ein großes Konzert in Hamburg an – ein weiterer wichtiger Schritt in ihrer Gesangskarriere. Und sie hofft, damit endlich ihren ihr unbekannten Vater auf sich aufmerksam zu machen und seine Zuneigung zu gewinnen.

 

Doch dann wird sie von einem Security-Mann, der eigentlich auf sie aufpassen sollte, entführt. Oder hat Jan Wächter sie nur vor den Leuten ihrer Plattenfirma beschützt? Hängt das mit den Drohungen gegen sie zusammen, die ein Unbekannter im Internet postet? Und was hat es mit Jans mächtigem Freund auf sich, der angeblich bei allem seine Hand im Spiel hat?

Foto Gaba MertinsGaba Mertins wurde 1965 geboren. Sie ist glücklich verheiratet und Mutter von vier Kindern. Im turbulenten Familienalltag ist Jesus Christus ihr Fels in der Brandung. Schon in ihrer Kindheit spielten Glaube und Musik eine wichtige Rolle für sie. Im Teenageralter war Gaba Sängerin einer kirchlichen Jugendband. Später schrieb sie – inspiriert durch ihre eigenen Kinder – drei Kindermusicals, in denen ihre Leidenschaft für den Glauben und die Musik zum Ausdruck kommen. So überrascht es nicht, dass sich nun auch in ihrem ersten Roman alles um eine junge Sängerin dreht.

www.gaba-mertins.de

Gaba Mertins

Von langer Hand geplant

 

 

 

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Bibelzitate sind der „Hoffnung für alle“-Übersetzung, 5. Auflage 2001, Copyright ©1983, 1996 by International Bibel Society entnommen.

 

Titelfotos:

Sängerin © mrswilkins - fotolia.com

Mann © apops - fotolia.com

Foto Coverrückseite: © Judith Mertins

 

Lektorat: Friedhelm von der Mark

Umschlaggestaltung und Satz: DTP-MEDIEN GmbH, Haiger

eBook Erstellung: ceBooks.de, Eduard Klassen

 

Paperback:

ISBN 978-3-942258-41-8

Bestell-Nr. 176.841

 

eBook (ePub):

ISBN 978-3-942258-91-3

Bestell-Nr. 176.891

 

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14589.png   Prolog

Als die fanfarenartige Musik verstummte, presste Corrie Nielsen die Fäuste zusammen. Die Fingernägel bohrten sich in ihre Handballen.

Dumpfe, den Herzschlag imitierende Drumbeats dröhnten durch die Lautsprecher. Die Bühne war abgedunkelt, nur ein einzelner Spot war auf die beiden Finalisten gerichtet und blendete sie.

„Gleich wissen wir’s“, flüsterte Antonio, aber Corrie antwortete nicht. Sie versuchte, ihren Konkurrenten auszublenden.

„Und der Sieger ist ...“

Corrie hielt die Luft an, doch Lukas, der Moderator, brach mitten im Satz ab. Er durfte die Spannung nicht vorschnell beenden. Genau dieser Nervenkitzel brachte Einschaltquoten und Geld. Corrie wusste das – eigentlich. Aber jedes Mal wieder hoffte sie, dass es diesmal schneller gehen würde. Diese künstliche Pause war so überflüssig, so quälend.

Rede weiter, flehte sie Lukas innerlich an. Und bitte, nenn meinen Namen. Ich muss gewinnen!

Die Pause zog sich in die Länge. Im Zuschauerraum herrschte atemlose Stille. Zum ersten Mal, seit die Liveshows dieser Castingstaffel begonnen hatten, schrien die Fans bei der Verkündung des Votingergebnisses nicht dazwischen.

Die Stille zerrte an Corries Nerven. Es war, als würde ihr Leben für einige Minuten angehalten, als würde alles aussetzen, sogar ihr Herzschlag. Sie wagte nicht zu atmen, nicht mal zu blinzeln, als könnte sie den entscheidenden Augenblick während eines Wimpernschlages verpassen.

Lukas’ Blick war starr auf den geöffneten, goldenen Umschlag in seiner Hand gerichtet. Wer war das beste Gesangstalent dieses Jahres?

Corrie brauchte langsam Sauerstoff! Rede!

„Der Sieger ist ...“ Lukas riss die Hand hoch. „... Cooorriieee!“

Das Publikum tobte, doch Corrie bewegte sich nicht. Ihr Körper war wie gelähmt. Tränen brannten in ihren Augen. All ihre Kraft hatte sie für dieses eine Ziel investiert. Sie wollte ihren Vater auf sich aufmerksam machen, ihn endlich kennenlernen. Und jetzt stand sie hier, hatte es geschafft und hatte plötzlich nur noch Angst, dass ihr Vater trotzdem nicht kommen würde.

„Unser blonder Engel hat gewonnen!“, wiederholte Lukas und schaffte es gerade so, das Getrampel des Publikums zu übertönen.

Immer noch rührte Corrie sich nicht. Wie auch? Sie brauchte alle Kraft, um ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Wenn nur eine Träne floss, würde sie zusammenbrechen. Dann würde die ganze Anspannung der letzten Monate wie eine Flutwelle über sie hinwegschwappen. Noch immer wagte sie es nicht zu atmen. Sie merkte, wie es anfing, sich in ihrem Kopf zu drehen.

Verzweifelt suchte Corrie unter den Zuschauern das Gesicht ihrer Mutter. Wie bei jeder Show saß sie in der ersten Reihe. Ihr Blick spiegelte das wider, was sie Corrie von klein auf eingetrichtert hatte: Du musst stark sein! Nimm dich zusammen! „Du musst jubeln“, befahlen ihre Lippen lautlos.

Zaghaft hob Corrie einen Arm und machte eine Siegesfaust.

„Ja“, flüsterte sie. Damit hatte sie die letzte Atemluft verbraucht, doch nun strömte endlich wieder Sauerstoff in ihre Lungen.

„Ja!“ Dieses Mal schrie sie und reckte die Faust nach oben, ganz wie es erwartet wurde. Sie funktionierte wieder.

Auch Antonio löste sich aus seiner Starre, schlang die Arme um Corrie und wirbelte sie herum. Als ihre Füße wieder den Boden berührten, wollte sie ihn wegdrücken, aber er ließ sie nicht gehen. Sein Griff war eisern.

„Wir müssen reden“, rief er, um den Lärm zu übertönen. „Es gibt da etwas, das ich dir unbedingt ...“ Weiter kam er nicht.

Lukas trat zu ihnen, um Corrie ebenfalls zu gratulieren. Sie war dem Moderator dankbar für die Rettung. Ihre Mutter hatte sie gewarnt, dass Antonio bestimmt versuchen würde, ihr ein Duett abzuquatschen. Doch das entsprach nicht Corries Plan für ihr erstes Album.

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte Lukas und lächelte breit. Dann beugte er sich vor und raunte ihr ins Ohr. „Wenn dein Vater die Möglichkeit gehabt hätte, heute hier zu sein, wäre er stolz auf dich gewesen.“

Corrie erstarrte. Was sagte Lukas da? Aber es blieb keine Zeit für Fragen. Alle Kandidaten, die bei dieser Staffel mitgemacht hatten, stürmten auf die Bühne, um ihr zu gratulieren und wenigstens noch einmal zusammen mit der Gewinnerin vor der Kamera zu stehen.

Während Corrie zig Mal umarmt wurde, überschlugen sich ihre Gedanken. Wusste Lukas etwas über ihren Vater? Kannte er ihn?

Aber schließlich drängte sie diese Gedanken entschlossen zurück. Die Show ging weiter. Jetzt war es erst einmal wichtig, eine strahlende Gewinnerin zu sein und mit den Kameras zu flirten.

Corrie lächelte, warf Kusshände ins Publikum, hielt ihre spontan klingende Dankesrede und performte schließlich den Siegertitel ein weiteres Mal. Nach dem Ende der Sendung folgten Interviews für Radiosender und Klatschblätter. Erst als das Pflichtprogramm beendet war, erlaubte Corrie sich, wieder an den sonderbaren Kommentar von Lukas zu denken.

 

Die After-Show-Party war in vollem Gange, als sie den Festsaal betrat. Ihre Augen scannten den Raum ab. Wo war Lukas? Sie sah die anderen Casting-Teilnehmer mit ihren Verwandten und Bekannten, dann die Leute, die sie während der Show betreut hatten, und in einer Ecke ihren neuen Arbeitgeber, Herrn Rubens. Der Chef des Labels, bei dem sie nun unter Vertrag war, sprach gerade mit einem alten Mann, den Corrie noch nie zuvor gesehen hatte.

Als ob der Alte ihren Blick gespürt hätte, drehte er sich in ihre Richtung. Er deutete eine leichte Verbeugung an. Obwohl Corrie ihn aus dieser Entfernung nicht richtig erkennen konnte, lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Der Mann machte einen sonderbaren Eindruck, er gehörte nicht hierher. Was wollte er auf ihrer Feier?

Doch dann sah sie Lukas und vergaß den komischen Alten sofort wieder. Der Moderator stand mit seiner Freundin Evie, einer der Maskenbildnerinnen, in einer Ecke. Als Corrie sich den Weg zu ihm bahnte, zog sich ihr Magen vor Anspannung zusammen. Lukas musste irgendetwas über ihren Vater wissen, sonst hätte er nicht so einen Spruch rausgehauen. Die brennende Frage war nur: Was?

Corrie hatte bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt, als jemand sie am Arm festhielt und herumdrehte. Antonio! Er zeigte sein breitestes italienisches Lächeln.

„Hallo, du Siegerin. Ich hab dir noch gar nicht richtig gratuliert.“

„Soweit ich mich erinnern kann, warst du der Erste“, entgegnete Corrie knapp.

Sie wollte sich aus dem Staub machen, doch Antonio packte sie am Handgelenk und hielt sie fest. Seine Stimme wurde plötzlich ernst. „Ich muss mit dir reden.“

„Ich bin müde“, wehrte Corrie ab. „Und außerdem wollte ich gerade ein paar Worte mit Lukas wechseln.“

„Fünf Minuten“, sagte Antonio, „dann kannst du zu Lukas gehen. – Lass uns tanzen.“ Er zog sie mit sich fort. Sein Griff war so fest, dass ihr Handgelenk zu schmerzen begann.

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du mich ordentlich aufgefordert hättest“, zischte sie. „Und noch weniger, dass ich mit dir tanzen will.“

„Ich sagte ja schon, dass ich mit dir reden muss.“

Corrie gab es auf, höflich zu sein. Sie riss ihre Hand los. „Aber ich nicht mit dir! Auf mein Album kommt kein Duett. Fertig. Siehst du? So schnell kann man alles Wichtige sagen.“

Antonio lachte auf. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und strich ihr mit dem Daumen zärtlich über die Wange. Tief blickte er ihr in die Augen. „Bambina, ich will nicht auf dein Album. Aber mit deinen süßen 17 bist du blauäugiger, als es ein blondes, hübsches Mädchen mit blauen Augen sein sollte. Du brauchst ein paar Informationen, und die will ich dir geben. Danach verschwinde ich und vermutlich sehen wir uns nie wieder.“

Irritiert schaute sie ihn an. Sie merkte, wie sich ihre Stirn in Falten zog. Ihre Mutter würde schimpfen, wenn sie sie so sehen würde, schoss es Corrie durch den Kopf. Aber sie war gerade dermaßen verwirrt, dass es ihr egal war.

„Meine Nonna würde es mir nie verzeihen, wenn ich meine Sorellina nicht warnen würde“, fuhr Antonio fort.

„Ich kann kein Italienisch.“

„Du bist wie eine kleine Schwester für mich. Und meine Oma hat mir eingetrichtert, dass ich mich um meine Geschwister zu kümmern habe. Aber keine Angst, ich werde Deutsch mit dir reden. Es ist wichtig.“

Was wusste Antonio, das so wichtig für Corrie war? Es konnte nicht wichtiger sein als das, was sie von Lukas zu erfahren hoffte.

„Fünf Minuten“, wiederholte Antonio, aber diesmal griff er nicht wieder nach ihrem Handgelenk, sondern streckte ihr abwartend die Hand entgegen.

„Und das muss beim Tanzen sein?“, seufzte Corrie.

„Es muss nicht jeder wissen, dass wir eine ernste Unterhaltung führen. Vertrau mir.“

Ich vertraue niemandem, wollte Corrie sagen, aber sie verkniff es sich. Sie hatte keinen Grund, ihm zu vertrauen, aber auch keinen, misstrauisch zu sein. Er war zehn Jahre älter als sie und hatte sich während des Wettbewerbs ihr und den anderen jungen Mädchen gegenüber wirklich wie ein großer Bruder verhalten. „Na gut, aber nur ein Tanz.“

Sie betraten die Tanzfläche in der Nähe des DJs und Antonio nickte ihm zu. Sofort ließ er den stampfenden Rhythmus eines Songs im Upbeat-Tempo ausklingen und spielte einen langsamen Kuschelsong ein.

Corrie klappte der Mund auf. Was sollte das? Kehrte Antonio nun doch den Latin Lover heraus?

Er schien ihre Gedanken zu erraten. „He, du bist nicht mal 18! Ich sag dir lieber nicht, was meine Nonna mit mir machen würde, wenn ich auch nur an so etwas denken würde.“

Dann zog Antonio sie sanft an sich und hielt sie locker in seinen Armen. Sie ließ es geschehen.

„Du hast das ernst gemeint, nicht wahr?“ Beim Sprechen strich sein Atem warm über ihr Ohr.

„Wovon redest du?“

„Von dem, was du vorhin in deiner Dankesrede gesagt hast.“

Fieberhaft überlegte Corrie, ob ihr irgendein Patzer unterlaufen war.

Das Fragezeichen schien ihr auf die Stirn geschrieben zu sein. „Dass du dich noch mehr anstrengen willst“, soufflierte Antonio.

Ach das. „Natürlich! Meine Fans verdienen es, dass ich alles gebe ...“

Als sie Luft holte, um die auswendig gelernten Phrasen fortzusetzen, unterbrach er sie. „Mein Onkel wollte dich am liebsten umbringen. Aber ich habe ihm gesagt, dass du nichts von deinem reichen Unterstützer weißt.“

Umbringen?! Das sollte wohl ein Scherz sein! Und was für ein reicher Unterstützer?

„Ich hab nicht den geringsten Schimmer, wovon du redest“, sagte Corrie aufgebracht. Statt ihr die versprochenen hilfreichen Informationen zu geben, gab Antonio ihr Rätsel auf.

Er schaute sie so eindringlich an, als wolle er ihre Aufrichtigkeit prüfen. „Das habe ich mir gedacht, und das ist ja das Schlimme. Ein Geldgeber, der anonym bleibt, ist in der Regel nicht sauber.“

Corries Herz begann wild zu hämmern. Sie dachte an ihren Vater. War er reich? Hatte er sie heimlich unterstützt? „Rede Klartext!“, forderte sie Antonio auf.

„Mein Onkel wollte mir den Sieg kaufen. Keine leichte Sache, denn in manchen Bereichen kommt man mit Bestechung in Deutschland nicht weit. Mister X, der dich gewinnen ließ, hatte da eine bessere Idee und vermutlich auch mehr Geld, das er investieren konnte. Er hat ein paar Callcenter samt Personal gemietet.“

„Was? Ich verstehe nicht. Was für Callcenter? Wovon redest du?“

„Na, die Mitarbeiter dutzender Callcenter in ganz Deutschland haben stundenlang für dich gevotet.“

„Das ... Das glaub ich nicht.“

Antonio lachte ein trockenes, freudloses Lachen. „Glaubst du, dass du eine Castingshow gewinnen kannst, nur weil die Fans dich lieben? Geld regiert die Welt. Bringt man euch das in eurem Land nicht bei?“

„Du lügst!“ Was redete er da? Ein geheimnisvoller Unterstützer? Antonio tat gerade so, als wäre es völlig egal, was sie geleistet hatte.

Corrie wollte sich losmachen und verschwinden, doch er hielt sie fest in seinen Armen.

„Lass mich!“

„Du kannst gleich gehen. Ehrlich. Glaub, was du willst, aber bitte sei vorsichtig. Verkauf dich nicht an diesen Fremden. Bei einem reichen Familienangehörigen würde ich nichts sagen, aber so ein Typ? Mein Onkel hat versucht, mit ihm zu verhandeln ...“

„Er hat ihn kennengelernt?“

„Nein, es war nur ein anonymes, sehr kostspieliges Telefonat. Aber dein Mister X ist ein unangenehmer Typ. Und glaub mir, wen mein Onkel unangenehm findet, der ist unangenehm.“ Endlich ließ Antonio sie los. „Ciao, Bambina. Pass auf dich auf. Und kämpf nicht so verbissen, deine Karriere liegt nicht in deiner Hand.“

Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und verschwand. Corrie starrte ihm hinterher, wieder einmal unfähig, sich zu bewegen. Ihr Gehirn schien Purzelbäume zu schlagen. Konnte das, was Antonio gesagt hatte, wahr sein? Wurden Siege gekauft? Und dann war da wieder die Frage nach ihrem Vater. Steckte er dahinter? Und wer war er?

„Sag bloß nicht, du hast was mit Antonio angefangen.“

Corrie zuckte zusammen und fuhr herum. Ihre Mutter stand hinter ihr, ihre Augen waren zu Schlitzen verengt.

„Wir hatten eine Abmachung. Keine Jungs, keine Drogen, kein Alkohol. Er will nur auf dein Album. So naiv kannst du doch nicht sein.“

Dieser Spruch brachte das Fass fast zum Überlaufen! Ein Anpfiff war das Letzte, was sie jetzt brauchte, vor allem, da sie ihn nicht einmal verdient hatte. Nur mit Mühe konnte Corrie den Drang unterdrücken, ihre Mutter anzuschreien.

„Da läuft nichts zwischen mir und Antonio. Er hat sich nur verabschiedet“, zischte Corrie. „Aber bei dir selbst hat dein großartiges Erfolgsrezept offensichtlich versagt.“

„Was meinst du?“

„Dass man solo nicht schwanger wird! Ich will endlich wissen, wer mein Vater ist.“

Ihre Mutter verzog ihren Mund zu einer missbilligenden Grimasse. „Jetzt und hier? Ich glaube kaum, dass das ein gutes Timing ist. Hier lungern immer noch Reporter rum.“

„Das Timing passt dir nie, wenn es um das Thema geht.“

„Du weißt bereits alles, was es zu wissen gibt. Ich dachte, ich hätte einen Prinzen gefunden, und als ich schwanger wurde, entpuppte er sich als Frosch. Er hat sich nie für dich interessiert, warum solltest du dich für ihn interessieren?“

„Ist er reich?“

Einen Augenblick starrte ihre Mutter sie mit weit aufgerissenen Augen an. „N... Nein. Er konnte nicht mit Geld umgehen, er hat immer mehr ausgegeben, als er besaß. Wie kommst du darauf?“ Sie kniff die Augen wieder zusammen. „Und woher das plötzliche Interesse?“

„Antonio hat behauptet, jemand hätte den Sieg für mich gekauft.“

Ein leises, bitteres Lachen blubberte aus dem Mund ihrer Mutter. „Glaub mir, wenn dein Erzeuger zu Geld gekommen wäre und sich dazu herabgelassen hätte, dich wahrzunehmen und zu unterstützen, dann hätte er es lautstark getan. Er hätte sich dafür feiern und einen Thron bauen lassen.“

„Vielleicht wird er sich ja jetzt zu erkennen geben und hofft, dass ich ihm dankbar bin und ...“

Mit einer wegwerfenden Handbewegung schnitt ihre Mutter ihr das Wort ab. „Da liegst du völlig falsch. Er ist der Typ Mensch, der sich im Voraus für seine geplanten, guten Taten bejubeln lässt und dann gar keinen Grund mehr sieht, sie auszuführen. Er denkt nur an sich.“

Sie schwiegen eine Weile.

Dann legte ihre Mutter den Kopf zur Seite. „Lass dich von dieser alten Geschichte nicht runterziehen. Es ist gut, dass du früh genug gelernt hast, dass dein Glück in deiner eigenen Hand liegt. Nun hast du den ersten großen Schritt zu deiner Karriere getan.“

„Aber wer hat dann meinen Sieg bezahlt?“

„Niemand.“

„Antonio hat erzählt, dass jemand ganze Callcenter gemietet hat, damit das Personal für mich votet.“

Ihre Mutter lachte spöttisch. „Und solche Geschichten glaubst du?“

„Warum sollte er lügen?“

„Um deinen Kampfgeist zu untergraben. Ich habe läuten hören, dass er als Zweitplatzierter auch einen Vertrag an Land gezogen hat. Damit bist du im Showbiz immer noch eine Konkurrentin für ihn.“

„Das glaube ich nicht. Antonio war echt besorgt.“

„Oh ja. Und er hat schöne braune Augen und ist so fürsorglich.“ Corries Mutter seufzte. „Ich habe damals auch geglaubt, dass dein Vater es gut mit mir meint. Aber es ist nicht immer alles, wie es scheint. Antonio versucht gerade, dich zu manipulieren und zu verunsichern. Merkst du das denn nicht? Als Nächstes erzählt er dir noch, sein Onkel ist bei der Mafia und wird dich umbringen, wenn du nicht von der Bildfläche verschwindest.“

Corries Wangen wurden warm. Nach Antonios Äußerung vorhin hatte sie wirklich vermutet, sein Onkel wäre bei der Mafia.

Mit einem missbilligenden Kopfschütteln wandte ihre Mutter sich um und stapfte davon.

Unbändige Wut stieg in Corrie auf. Mit diesem Ammenmärchen hatte Antonio sie davon abgehalten, mit Lukas zu sprechen. Auch wenn ihr Vater kein geheimer Geldgeber war, gab es ihn trotzdem, und vielleicht wollte er Kontakt mit ihr aufnehmen. Vielleicht hatte er vergeblich versucht, eine Karte für die Finalshow zu bekommen. Zumindest hatte Lukas’ Andeutung danach geklungen.

Ihre Augen wanderten zu dem Platz, an dem der Moderator vorhin gestanden hatte. Dort war er nicht mehr. Hektisch drehte Corrie sich um und sah gerade noch, wie Lukas mit seiner Freundin durch eine Seitentür verschwand.

So unauffällig wie möglich eilte sie hinter ihnen her. Im Flur war von dem Moderator schon nichts mehr zu sehen. Sie fing an zu laufen.

„Lukas!“

Hinter der nächsten Biegung rannte sie in ihn hinein.

„Corrie?“

„Lukas“, japste sie, „ich muss dich etwas Wichtiges fragen.“

Er nickte. „Geh schon mal vor“, sagte er an die Maskenbildnerin gewandt. „Ich komme gleich nach.“

Kaum war sie außer Hörweite, sprudelte es aus Corrie heraus: „Was hast du vorhin gemeint? Wollte mein Vater in die Show und hat keine Karte mehr bekommen? Was weißt du über ihn?“

Lukas zögerte. „Nichts. Nur das, was du selbst erzählt hast. Dass du ihn nicht kennst.“

„Irgendetwas musst du wissen“, beharrte Corrie, „sonst hättest du nicht einfach so von ihm angefangen.“

„Vielleicht habe ich da etwas falsch verstanden ...“ Er brach ab.

„Jemand hat etwas über meinen Vater gesagt? Wer? Bitte, Lukas“, flehte sie. „Ich muss es wissen.“

„Dein neuer Chef, Herr Rubens, hat sich während der Sendung hinter der Bühne mit jemandem unterhalten, und dieser Mann meinte, dass dein Vater sicher gern zur Show gekommen wäre, es aber nicht in den großen Plan gepasst hätte. Keine Ahnung, worum es ging.“

„Wer war der Mann?“

Lukas zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ein alter, weißhaariger Mann.“

Der Typ, vor dem Corrie sich vorhin gegruselt hatte? Ihr Herz fing wieder an, wie wild zu hämmern.

„Du, ich muss los“, sagte Lukas und murmelte etwas von einer Verabredung, aber das bekam Corrie nicht mehr richtig mit.

Wie eine Schlafwandlerin ging sie zurück zum Festsaal. Sie würde mit dem Alten reden müssen. Aber warum ließ dieser Gedanke sie so frösteln?

Als sie die Halle betrat, scannte sie mit ihren Augen wieder den Raum ab. Von dem fremden, alten Mann war nichts mehr zu sehen. Dann würde sie eben mit Herrn Rubens sprechen.

Corrie schluckte, diese Aussicht war auch nicht viel erfreulicher. Ihr neuer Chef war eine Respektsperson, niemand, mit dem man Small Talk halten konnte. Allen Mut zusammennehmend, trat sie zu ihm.

„Herr Rubens?“

„Ach, Corrie.“ Ein anerkennendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Guter Job heute Abend. Einmal dachte ich, du fällst gleich in Ohnmacht, aber zum Glück hast du dich gefangen. Zusammenbrüche kommen bei einer Siegesfeier nicht gut an, musst du wissen. Das Publikum hat lange mit dir mitgefiebert und will dann auch jubeln. Aber wie gesagt, du hast dich ja noch rechtzeitig zusammengerissen.“

„Danke.“ So richtig geschmeichelt fühlte Corrie sich allerdings nicht. Wie immer wirkte ihr zukünftiger Chef überkritisch. Aber sie war ja nicht gekommen, um sich ein Lob abzuholen. „Wer war der Mann, mit dem Sie vorhin gesprochen haben?“

„Welcher?“, lachte er zynisch auf. „Ich habe heute Abend mit unzähligen Männern gesprochen.“

„Ich meine den alten Herrn mit dem weißen Haar.“

Herrn Rubens’ Lächeln wurde breiter, aber es wirkte dadurch nicht fröhlicher, ganz im Gegenteil. „Ein Bekannter von mir. Für dich nicht von Belang. Er wollte gerne einmal bei einer großen Show dabei sein und das habe ich ihm ermöglicht. Wieso?“

„Lukas ... also, der Moderator ... er hat gehört, wie er von meinem Vater gesprochen hat.“

Missbilligend presste ihr zukünftiger Chef die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. „Unmöglich. Wo will er so etwas Absurdes gehört haben? Es ist undenkbar, dass mein Bekannter mit deinem Vater in Kontakt steht. Das wüsste ich.“

Ein komisches Gefühl breitete sich in Corries Magengegend aus. Es kam ihr vor, als würde Herr Rubens sie eiskalt belügen.

Er musterte sie abfällig.

Obwohl sie spürte, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss, ließ Corrie nicht locker. „Lukas hörte es während der Show hinter der Bühne. Ihr Bekannter sagte wohl, dass mein Vater gerne zur Show gekommen wäre, aber ...“

Mit einem lauten, harten Auflachen unterbrach Herr Rubens sie.

Corrie zuckte zusammen.

„Der alte Herr sprach von meinem Vater. Die beiden waren befreundet. Leider ist mein Vater vor drei Jahren verstorben und so konnte er verständlicherweise heute nicht hier sein. – Ah, da ist der Intendant des Senders. Du entschuldigst mich?“

Corrie sah ihrem zukünftigen Chef nach. Er hatte gelogen, da war sie sich sicher. Aber warum? Steckte ihre Mutter dahinter? Es wäre ihr zuzutrauen, dass sie jeden Versuch ihres Ex, hier reinzukommen, mit allen Mitteln verhindern würde. Corrie war den Tränen nah. Doch dann kam ihr ein tröstender Gedanke. Falls ihr Vater sie tatsächlich sehen wollte, würde er es bestimmt wieder versuchen.

Sie musste einfach weitermachen, weiterkämpfen, Erfolg haben. Hatte ihre Mutter ihr nicht immer gepredigt, wenn sie etwas wirklich wollte und alles dafür tun würde, könnte sie es auch erreichen? Sie würde sich den Weg zu ihrem Vater erkämpfen, und mochte es Wochen, Monate oder Jahre dauern!

14597.png   Kapitel 1

10 Monate später

Schwere Schritte stampften den Flur herunter. Es klang, als wollte jemand sein Büro stürmen. Jan Wächter sah von seinem Bildschirm auf. Im selben Moment wurde die Tür aufgestoßen und krachte gegen die Wand.

„Jan! Nimm deinen Kaffee und komm!“, rief Gerald und war schon wieder draußen.

Es war wohl besser, wenn er dem Befehl seines Chefs kommentarlos Folge leistete. Jan schaffte es allerdings kaum, hinter ihm herzulaufen, ohne dass der Kaffee aus seinem Becher schwappte.

Ein entgegenkommender Kollege sprang dem Grauen Hünen, wie sie ihren Chef liebevoll nannten, aus dem Weg.

„Ärger?“, raunte er, als Jan an ihm vorbeischritt.

Jan zuckte mit den Schultern. Er konnte sich nicht erinnern, in der letzten Zeit irgendetwas verbockt zu haben, was sonst zugegebenermaßen gelegentlich vorkam.

In seinem Büro angekommen, riss Gerald das Fenster sperrangelweit auf. Er atmete schnaufend ein und aus. „Ich bekomme keine Luft.“

Bei dem geringen Sauerstoffgehalt hier drinnen war das eigentlich kein Wunder. Nur dass Gerald gewöhnlich zu den seltenen Geschöpfen gehörte, die mit einem Minimum an Sauerstoff auskamen.

Jan blieb vor dem Schreibtisch seines Chefs stehen und schaute auf die dort verstreut liegenden Papiere. Über Kopf zu lesen war eine Leidenschaft von ihm. In den 15 Jahren seines Berufslebens war es immer wieder nützlich gewesen. Damals, bei der Kriminalpolizei, hatte er oft schneller Dinge erfahren, als seinem Gegenüber lieb gewesen war. Und auch jetzt, als Angestellter einer Securityfirma, half es ihm gelegentlich.

Schnell verschaffte er sich einen Überblick, was bei seinem Chef anlag. Augenscheinlich nichts Besonderes.

„Setz dich endlich!“, herrschte Gerald ihn an.

Jan nahm Platz, lehnte sich zurück und nippte an seinem Kaffee. Früher oder später würde sein Chef schon damit rausrücken, was los war. Vermutlich eine Beschwerde. Was sonst konnte ihn so auf die Palme bringen? Noch einmal durchforstete Jan sein Gedächtnis, ob er kürzlich irgendeinem Klienten auf den Fuß getreten war, doch ihm fiel nichts ein.

Immer noch stand sein Chef am Fenster. Er sah grau im Gesicht aus. Hoffentlich schadete ihm so viel frische Luft nicht.

„Ich werde alt“, sagte Gerald. „Es wird Zeit, dass ich in Rente gehe.“

„Ich will dir ja nicht die Laune verderben, aber du musst mindestens noch fünf Jahre durchhalten.“

„Meine Laune verderben! Wie willst du das schaffen? Meine Stimmung ist bereits beim Erdmittelpunkt angekommen.“

„Nun erzähl schon. Welcher unserer VIPs hatte diesmal etwas an meiner Arbeit auszusetzen? Waren die Sicherheitsvorkehrungen übertrieben oder zu mangelhaft? War ich zu unhöflich oder zu hässlich?“

„Ach, halt die Klappe! Und überhaupt, was hat unsere Klienten euer Aussehen zu interessieren? Wir sind keine Modelagentur.“ Er zog die Stirn kraus. „Obwohl es in deinem Fall wirklich mal eine Anfrage gab, ob wir dich für ein Bademoden-Shooting ausleihen könnten.“

Jan verschluckte sich fast an seinem Kaffee. Sein Körper war durchtrainiert, okay, aber es gab einige Spuren von Verletzungen, die es nicht gerade wünschenswert erscheinen ließen, seinen Oberkörper nackt abzulichten.

Gerald kam zum Schreibtisch und ließ sich auf den Bürostuhl fallen, der bedenklich ächzte. Weiterhin schwieg er. Es musste wirklich etwas Hammerhartes vorgefallen sein, wenn es den Grauen Hünen so aus der Fassung brachte.

Jan warf einen Blick auf seine Uhr. Acht Minuten war er schon hier, die neunte begann.

„Corrie“, stieß sein Chef nach zwei weiteren Minuten endlich hervor.

„Das Girl aus der Castingshow, das letztes Jahr gewonnen hat?“, hakte Jan nach. Es war keine Frage, es sollte Gerald nur zum Weiterreden animieren. Wenn der Name Corrie fiel, war klar, dass es um dieses achtzehnjährige, blauäugige Sternchen ging.

„Mir scheint, als lege ihr Musiklabel es darauf an, sie loszuwerden.“

„Das wäre absurd“, wandte Jan ein. „Sie ist total angesagt und sorgt für volle Konzerthallen. Drei Number-One-Hits hatte sie schon. Die Veröffentlichung einer weiteren Single steht vor der Tür, und sie wird damit bestimmt wieder in den Top Ten landen. Dieses Mädel ist ein Goldesel.“

„Du sollst nicht quatschen, sondern zuhören! Wir wurden angeheuert, Corrie nach Hamburg zu holen.“ Pause.

Ja und? Wo war das Problem? Es war schon lange klar, dass sie kommen würde. Seit Jahren arbeitete ihre Securityfirma mit dem Musiklabel zusammen, bei dem der junge Star unter Vertrag stand. Für Corries Aufenthalt in Hamburg waren sie bereits vor einem halben Jahr angeheuert worden. Ein Konzert, der Dreh eines Videoclips und diverse Auftritte bei verschiedenen Funk- und Fernsehanstalten – die Sicherheitsvorkehrungen bei all diesen Aktionen lagen in den Händen ihrer Securityfirma.

Der zusätzliche Auftrag, diesen angehenden Star hierher zu befördern, war doch mühelos zu bewerkstelligen. Zwei gepanzerte Wagen, eine Handvoll Leute – wenig Aufwand, viel Geld. Sein Chef zog allerdings eine Miene, als hätten sie den Auftrag, Michael Jackson aus dem Reich der Toten zurückzuholen.

Jan hielt einfach die Klappe und wartete, dass der Graue Hüne weitersprach. Das Rätsel würde sich lösen. Weitere vier Minuten verstrichen.

Gerald atmete tief durch. „Bestellt ist eine Limousine inklusive Fahrer. Und übernehmen sollen wir das Sternchen auf der Autobahnraststätte Waldruhe.“

„Das ist ein Witz.“

„Seh ich so aus, als ob ich Witze mache? Kein Begleitfahrzeug, kein Team zur Sicherung. Und dann noch auf einer Raststätte! Die wollen wirklich sparen.“

„Vielleicht ist ihr eigenes Team groß genug.“ Schon während er es aussprach, wusste Jan, dass es nicht so war.

„Oh, es ist sehr groß!“, bemerkte sein Chef und der sarkastische Unterton war nicht zu überhören. „Corrie reist in einem stinknormalen Mercedes, in Begleitung einer Assistentin und ihres Bodyguards. So ein Kerl, der seine Ausbildung in einem Sommerkurs gemacht hat. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ihr Chauffeur neben einem dreitägigen Fahrsicherheitstraining über langjährige Berufserfahrung verfügt. Er war früher Taxifahrer!“

Jan stellte seine Tasse so schwungvoll auf den Tisch, dass Kaffee über den Rand spritzte. „Sch... Scheibenkleister!“

„Endlich hast du begriffen, was ich meine.“

„Was sagt unser Oberhäuptling?“

„Was soll er sagen? Jeder bekommt, was er bestellt und bezahlt.“

„Das kann doch nicht sein Ernst sein. Wenn irgendetwas passiert, wirft das doch auch ein schlechtes Licht auf unsere Firma.“

„Soll ich zitieren?“, schnaubte Gerald. „Es wird ein Leichtes sein, zu beweisen, wer die Schuldigen sind. Vielleicht beginnt die Kundschaft dann endlich, unsere Empfehlungen ernst zu nehmen.

„Argh! Er will doch wohl nicht seinen ewigen Machtkampf auf dem Rücken eines jungen Mädchens austragen, das für solche Sparentscheidungen gar nichts kann. Was ist mit: Personenschutz ist kein Job, sondern Berufung?“

„Damit hab ich ihn dann auch gekriegt.“

„Und was genau hast du gekriegt?“ Jan machte sich keine große Hoffnung, dass Gerald viel hatte ergattern können.

„Ein Begleitfahrzeug und einen Mann zur Sicherung des Umfelds.“

„Besser als nichts.“ Fragend hob Jan eine Augenbraue. „Du willst, dass ich das übernehme?“

„Kluges Kerlchen“, brummte Gerald.

„Wann soll die Limousine unsere Klientin aufnehmen?“

„Freitagvormittag um zehn.“

„Welchen Wagen bekomme ich?“

„Such dir einen aus.“ Ein selbstgefälliges Grinsen erschien auf Geralds Gesicht. „Ich bin gegangen, bevor unser Oberhäuptling zu genaue Anweisungen geben konnte.“

Jan fuhr sich mit beiden Händen durch sein kurzes, braunes Haar und verschränkte die Finger im Nacken. Da Corries Name schon lange auf ihren Dienstplänen stand, hatten sie bereits haufenweise Informationen über den Castingstar gesammelt. Bei ihr sah es etwas anders aus als bei den meisten Stars, die nur eine Handvoll hasserfüllte Feinde und ein paar Fans mit Stalker-Ambitionen hatten.

Die Abteilung ihrer Firma, die im Internet recherchierte, war vor einiger Zeit auf einen Typen gestoßen, der das Zeug zu einem echten Psychopathen hatte. Er mischte auf allen Fanseiten und in allen Foren mit, in denen es um Corrie ging. Er gab sich so tolle Namen wie Sonnengott, Ra und Apollon und beanspruchte für sich, uneingeschränkten Einfluss auf Corries Karriere zu haben.

Sie hatten das Label darüber unterrichtet. Dass die Verantwortlichen Corrie trotzdem nur unzureichenden Schutz gewähren wollten, war irritierend. Wollten sie das Sternchen wirklich loswerden und sich dabei dieses Verrückten bedienen?

Energisch schüttelte Jan diesen Gedanken ab. Er schloss die Augen. Was das Label vorhatte, war im Augenblick belanglos. Die Frage war, wie er seinen Auftrag bestmöglich ausführen konnte. Vorausgesetzt natürlich, Corrie kam überhaupt auf dem Parkplatz Waldruhe an. Wenn er alleine das Umfeld sichern musste, brauchte er vor allem eins: Zeit.

„Wie wäre es, wenn ich den neuen Sprinter nehme?“ Er schaute seinen Chef an.

Gerald zog die Stirn in Falten. „Du willst die große Ausrüstung mitnehmen?“

„Warum nicht? Gibt es irgendwelche zeitlichen Begrenzungen?“

Gerald grinste. „Plan die Stunden, die du für nötig hältst.“

„Schön. Ich wollte schon immer mal eine Nacht auf einem Rastplatz verbringen.“ Jan erhob sich. Er würde sofort mit den Vorbereitungen beginnen.

Als er die Klinke bereits in der Hand hatte, rief sein Chef ihm hinterher. „Ach, Jan!“

„Ja?“ Er drehte sich um.

„Nur weil du deinen Part eigenverantwortlich gestalten darfst, heißt das nicht, dass du dir eine deiner Extratouren leisten kannst.“

„Ich würde nie ...“

„Red nicht! Du bist mein bester Mann, aber trotz allem trau ich dir nicht völlig. Deine Loyalität gehört nicht hundertprozentig unserer Firma.“

Da wollte Jan nicht widersprechen.

Gerald starrte ihm einige Sekunden durchdringend in die Augen. „Du trägst irgendein Geheimnis mit dir herum“, fuhr er dann fort, „und ich bin nicht sicher, ob es sich am Ende als ein gutes entpuppt.“

Jan lächelte breit und setzte eine Unschuldsmiene auf. Er hatte nicht vor, darauf etwas zu erwidern, schließlich hatte sein Chef ihm keine Frage gestellt.

Genervt wedelte Gerald mit der Hand. „Verschwinde und mach deinen Job.“

Jan ging zurück in sein Büro, meldete sich von seinem Laptop aus in der Datenbank der Securityfirma an und öffnete die Datensammlung zu Corrie Nielsen. Er scrollte zu den zuletzt gefundenen Internetbeiträgen des Psychopathen. Diesmal hatte er sich als Der Allmächtige an einer Diskussion über die voraussichtliche Länge von Corries Karriere beteiligt.

Ihr Erfolg hält so lange an, wie ich es will. Sie ist nur meine Marionette. Wenn ich die Fäden loslasse, fällt Corrie auf die Nase, schrieb er.

„Wenn du dich da mal nicht täuschst und in Wirklichkeit jemand ganz anderes die Fäden in der Hand hält“, murmelte Jan.