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Axel Hacke

OBERST VON HUHN
BITTET ZU TISCH

Speisedeutsch für Anfänger

Mit Zeichnungen von Dirk Schmidt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Antje Kunstmann

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Zwiebel ruft an – oder:
Zur Poesie des Speisedeutschen

Jeder kennt das: Man sitzt in einem Restaurant im Ausland, möchte etwas essen, nimmt die Speisekarte zur Hand. Links sieht man die Speisen in der Landessprache verzeichnet, die versteht man oft nicht, rechts in einer Sprache, bei deren Anblick man sich sagt: Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Sieht aus wie die Sprache, die ich selbst spreche, ist aber viel schöner. Kommt einem vor wie Deutsch, ist aber kein Deutsch. Es ist etwas Drittes, ganz Neues.

Beginnen wir mit einem Beispiel. Einer meiner Leser war in Griechenland. Von dort brachte er eine Speisekarte mit. (So etwas tun meine Leser seit vielen Jahren für mich: Sie stehlen unter erheblichen persönlichen Risiken überall auf der Welt Speisekarten und schmuggeln diese außer Landes. Wenn das nicht möglich ist, fotografieren sie die Menülisten. Oder kopieren sie. Oder lernen die Texte auswendig und schreiben sie auf – und füttern mich damit, nur um mir eine Freude zu machen. Ist das nicht reizend? Ich danke allen herzlich.) Man sah auf dieser Karte links alles auf Griechisch, rechts erblickte der Leser jenes erwähnte seltsam-poetisch verfremdete Auslandsdeutsch. In der Mitte aber waren alle Gerichte auf Englisch verzeichnet, darunter ein kleines Essen, das man vielleicht nebenbei, zum Ouzo, Retsina, vielleicht auch zu einem Bier hätte nehmen können.

Es hieß Onion rings. Ganz rechts hatte es auch einen Namen. Der lautete »Zwiebel ruft an«.

Darum geht es in diesem Buch, um solche Gerichte. Denn »Zwiebel ruft an« ist ja nicht richtig. Es ist aber auch, nimmt man es genau, nicht ganz falsch, denn onion ist die Zwiebel, to ring bedeutet anklingeln, anrufen.

Und vor allem ist es wunderbar.

Und damit wollen wir uns beschäftigen, mit den ganz und gar großartigen Veränderungen des Deutschen im Ausland und der besonderen Erscheinungsform, die unsere Sprache außerhalb des Landes und dort besonders an Tischen und in Küchen annimmt. Im Grunde auch: mit der Sprache in den Zeiten der Globalisierung.

Man macht einen sehr großen Fehler, wenn man nur das Falsche daran sieht. Denn in dem, was wir auf diesen Speisekarten lesen, offenbart sich uns das Deutsche auf eine ganz neue Weise, von jedem Sinn und allem Ballast irgendeiner Bedeutung befreit, als reiner Klang und voller Witz, ja, man hat das Gefühl, als finde das Deutsche erst außerhalb Deutschlands zu sich selbst, gelöst aus den Fesseln der Grammatik.

Ein weiteres Beispiel: »Oberst von Huhn und Breitet sich drastisch in einer Weißweincreme Aus, mit Penne Nudeln Federn und Parmesankäse.« Das fand Frau J. aus Bielefeld im Finnstown Country House Hotel in Dublin. Sehen wir ihn nicht vor uns, den Oberst aus altem Adel? Der nie den Sprung zum General schaffte, weil er einmal von seinem Vorgesetzten in der Weißweincreme erwischt wurde, drastisch sich dort ausbreitend, von Federn und Käse bedeckt, ein bisschen pervers und sehr daneben, bürgerlichen Konventionen Hohn sprechend, aber doch eben äußerst lebensfroh.

Das ist unsere Galionsfigur. Oberst von Huhn ist der Mann, dem wir folgen wollen, getreu dem Motto, welches das Ehepaar B. aus Haltern auf einem Schild im portugiesischen Ort Alvor an der Algarve entdeckte: »Hier windaugh DEUTSCH gesproghen.«

Wobei der Satz, den Leser B. im Restaurant Monteverde auf Teneriffa vorfand, auch sehr schön wäre: »Wir Aprachen Deutsches.«

Und im Zusammenhang mit Onion rings möchte ich die englische Version dieses Satzes nicht unerwähnt lassen: We spoke English.

Aber nun geht’s los!

Oberst von Huhn bittet zu Tisch.

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Vitello Tornado – oder:
Vorspeisen und kleine Gerichte

Oberst von Huhn bittet zunächst in München zu Tisch, in einem Lokal in der Frauenstraße, wo Frau S. aus Martinsried unter den Vorspeisen ein »Thunfischfilet auf Frisbeesalat« entdeckte, eine weltweit vermutlich einzigartige Spezialität. Eine Alternative wäre, was Leser H. mir aus Oberursel schickte, gefunden in einem dortigen Lokal: »Vitello Tornado«. Hinreißend der Beitrag von Herrn R. aus Wasserburg am Bodensee, der auf La Palma »Suppe von des Kükens Erbse« aß, wobei ihn besonders der korrekt zubereitete Genitiv entzückte, der ist ja selbst in Deutschland heutzutage kaum noch zu bekommen.

Und damit beginnen wir erst ein Menü, wie es den Sprachfreund entzückt; man fragt sich schon gar nicht mehr, was denn die Erbse eines Kükens überhaupt sein soll, man bestellt einfach wegen dieses schönen Wesfalls – wie man ja auch in jenem Lokal in Barr/Bas-Rhin im Elsass, das Herr B. aus Konstanz vor Jahren besuchte, kaum an dieser Speise vorbeikommt: »Überbackener Oberbegriff für Schalen- und Krustentiere«.

So etwas liebt der Sprach-Gourmet. Überbackene Oberbegriffe! Geröstete Substantive! Ein Soufflé von Verben! Pochierte Präpositionen!

Und wie entzückt es uns, wenn wir ganz nebenbei einmal ein Wort entdecken, das die Sache, um die es geht, viel besser trifft als der vom Koch (oder in diesem Fall der Fast-Food-Firma) gewählte Begriff. Frau G. aus Starnberg zum Beispiel fand bei McDonald’s auf Mallorca einmal das Angebot von »Huhnklumpen«, welche sich als Chicken McNuggets entpuppten – doch wer je vor einer Schale Hühnernuggets saß, der weiß, welches Wort das bessere ist. Übrigens entdeckte dieselbe Leserin in Ungarn auf mehreren Speisekarten »Drahthuhn«, das sich dann als »Truthahn« entpuppte. In diesem Fall hofft man einfach, dass »Drahthuhn« nichts Treffendes hatte, wer mag schon drahtige Hühner, oder waren es Käfigtiere? Handelte es sich gar um jene Wesen, die ich auf einer amerikanischen Speisekarte fand, im »Caesar Salad mit Vergitterten Hühner 9$: Der frische Römische Salat mit dem vergitterten Huhnbrust, shredded Parmesan-Käse rollte in dem sahnigen Ankleiden von Caesar und überstiegen mit Croutons«?

Jedenfalls, wenn wir gerade bei Hühnern sind: Leser B. erwähnt in einer Mail, es habe in Budapest einmal »gebügeltes Hühnchen« gegeben – und bei dieser Gelegenheit findet man es plötzlich fast seltsam, dass unter all den Innovationen, die Jahr für Jahr unsere Küchen heimsuchen, noch nie die Idee war, ein Bügeleisen zur Zubereitung einer Mahlzeit zu verwenden. Mag sein, dass es beim Hühnchen nicht einmal sooo naheliegt, es zu bügeln, aber ein Kotelett zum Beispiel…?

Als kleines Zwischengericht biete ich »Gefühlten Hühnersack« an, Leser G. brachte ihn aus Kutná Hora/Tschechien mit.

Hier lässt sich übrigens ein Trend beobachten: Überall auf der Welt werden auf Deutsch gefühlte Gerichte angeboten. Herr H. aus Oldenburg brachte von einer Radtour durch die slowenische Provinz »gefühlte Tintenfische« mit, Frau L. verspeiste in der Tumblinger Straße in München »gefühlte Tomaten«, die Regensburger Leserin D. las in Fazana/Kroatien von »gefühlten Halchfleisch-Snitzeln«, aß sie aber doch nicht, im Gegensatz zu Frau T. aus Hannover, die in Monschau bei Aachen »gefühlte Paprikaschoten« verzehrte. Ein Münchner Italiener in der Tegernseer Landstraße schließlich bot Frau K. und allen anderen Gästen »gefühlte involtini« an.

Wie kommt das? Wir leben ja in gefühligen Zeiten, man redet von gefühlter Inflation und gefühlten Temperaturen, überall bekennt man sich zu seinen Gefühlen – liegt es daran? Und was ist letztlich ein gefühlter Hühnersack, zum Beispiel? Haben wir es dann gar nicht mit einem Hühnersack zu tun, sondern mit etwas anderem, das wir nur als Hühnersack empfinden? Kann man uns etwas, das kein Hühnersack ist, als Hühnersack servieren, weil wir fühlen, dass es ein Hühnersack ist? Oder sein könnte?

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Das sind im Letzten doch sehr tief gehende Fragen.

Es könnte aber auch alles viel banaler sein, nur ein Schreibfehler, und man wollte »befühlt« sagen, also: dass der Koch die Hühnersäcke, Tintenfische, Tomaten, Paprikaschoten, Involtini und das Halchfleisch sorgfältig befühlt habe, bevor er sie zubereitete.

Jedenfalls erinnert mich das Ganze an das Foto eines mit Kreide beschriebenen Schildes vor einer Bäckerei, das man mir mal schickte. Dort stand: »Das bewußte Frühstück-Brötchen Mit weniger Fett – Fett reduzierter Wurst u. Käse«.

Hier sind es nun nicht mehr wir, die etwas fühlen, hier ist es ein Brötchen, das über Bewusstsein verfügt. Aber wer, um Himmels willen, brächte es fertig, ein »bewußtes Brötchen« zu essen?! Hier geht es doch nicht mehr um ein »gefühltes Brötchen«, also um etwas, das wir – mag es nun ein Brötchen sein oder nicht – jedenfalls doch als Brötchen sehen. Hier ist es das Brötchen, das über ein Bewusstsein seiner selbst verfügt, sich also persönlich als Brötchen empfindet – und zwar noch im Zustand seines Brötchenseins. Das ist etwas anderes, als einen Kalbsbraten zu essen, der einmal ein Kalb war. Hier nehmen wir quasi ein noch lebendes Wesen zu uns.

Vor vielen Jahren wurden übrigens in einem Lebensmittelgeschäft in dem italienischen Dorf, in das ich regelmäßig fahre, »beleckte Brötchen« angeboten, das muss man sich einmal vorstellen: dass ein bewusstes Brötchen vor dem Verkauf nicht nur von Lebens mittelhändler fingern befühlt, sondern auch von einer Lebensmittelhändlerzunge beleckt wird!

Herr G. aus Bachern war vor Jahren in Bardolino am Gardasee. Überall im Hafen sah er Hinweisschilder, das Anlegen von Booten sei verboten. Einmal las er aber auch eine zusätzliche Mahnung: »Ungenehmigt parkende Boote werden abgeschlegt.«

Eigentlich nett, fand G., dass man sein Boot nur ohne Erlaubnis anlegen müsse, um es nach einem kleinen Spaziergang komplett abgeschlegt wiederzufinden. Aber seltsam doch andererseits, wozu italienische Zungen fähig und bereit sind …

Noch einige weitere Worte zu den Vorspeisen.

Es lässt sich feststellen, dass unter den Entree-Spezialisten der Weltküche Avantgardisten von Rang arbeiten, denken wir nur an jenen Kollegen, der in San Antonio auf Ibiza tätig ist und dessen Speisekarte Frau B. aus Riemerling ausfindig machte. Gleich als erste kleine Speise unter den »Appetitanregern« finden wir dort »Käse und Frühstücksspeck über Kartoffelschalen montiert, begleitet mit sauerer Creme«.

Nun ist ja das Verb »montieren« auch in der Küche gebräuchlich, allerdings eher im Zusammenhang mit dem Aufschlagen von Saucen. Beim Montieren von Käse und Frühstücksspeck über Kartoffelschalen hingegen denkt man an die in Werkstätten übliche Montage, an ein Verschrauben, Verlöten und Zusammennieten, und mir fällt sofort der »Pfeffer-Wagenheber-Käse« ein, der nach Auskunft von Frau K., die als Reisebegleiterin in den USA lebt, unter den »Aperitifs« der Karte des Quality Inn des Mountain Ranch Resorts in Williams/Arizona auftauchte, gleich um die Ecke des Grand Canyons, leider nur bis etwa ins Jahr 2008.

Zum Wagenheber-Käse würde als Wein ein »Sattelschlepper libies weiss« aus einer Pizzeria in Montefiascone am Lago di Bolsena passen. Den gäb’s auch in Rot, schreibt Herr T. aus Radolfzell.

Was dann unter den unter dieser Menüliste angebotenen »Chilitos jalapeños peniert« zu verstehen ist, nun ja, das geht vielleicht etwas zu weit, nicht wahr? Wir kennen von der Arbeit am Herd das Verbum »panieren«, aber ob wir um das vom Koch vorgenommene »Penieren« wirklich wissen wollen und ob wir eine »penierte« Speise bestellen wollen würden? Ich zweifle.

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Bei der Verarbeitung von Rohstoffen ist unter den Vorspeisen-Köchen neben das Montieren und Penieren in den vergangenen Jahren offensichtlich auch das Rauchen getreten: Herr S. aus Wörrstadt brachte aus ImagewinoujImageFinnstown Country House Hotel