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Alfred Wallon
DIE ESCORT-LADY



In dieser Reihe bisher erschienen

3501 Thomas Ziegler Überdosis

3502 Renate Behr Tod am Dreiherrenstein

3503 Alfred Wallon Sprung in den Tod

3504 Ulli B. Entschärft

3505 Udo W. Schulz Unter Blendern

3506 Alfred Wallon Die Escort-Lady


Alfred Wallon


Die Escort-Lady


DER REGIONAL-KRIMI
Augsburg





Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen 
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© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Titelbild: Ismenia Löffler und 123RF
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-995-9



Kapitel 1


Ich habe manchmal ein seltsames Talent, Ärger anzuziehen, ohne dass mir das gleich bewusst wird. Vielleicht hätte ich einfach mal auf meine innere Stimme hören und zu Hause bleiben sollen, dann wäre mir vermutlich eine ganze Menge erspart geblieben. Aber nein, stattdessen ging ich in die Stadt und wollte ein bisschen feiern. Nur für mich und wegen einer schönen Erfolgsprämie, die ich heute Nachmittag kassiert hatte.

Geld für seine Arbeit zu bekommen, ist immer ein besonderer Moment, denn so was ist bei mir zum Monatsende nicht immer automatisch der Fall. Vielmehr hat es damit etwas zu tun, wie viele zahlungswillige Klienten ich bis dahin bekomme. Ich verdiene an der misslichen Lage anderer, und so was kann man schlecht planen. Aber zumindest diesmal war ich froh darüber, diese Sache endlich zum Abschluss gebracht zu haben.

Mein Name ist Frank Gerber, und ich bin Privat­detektiv. Klingt sehr spektakulär und aufregend, ist es aber nicht wirklich. Mein Job ist es, mich um Betrugsfälle, Ehebruch und Observierungen aller Art zu kümmern. Manchmal erledige ich diese Jobs sehr schnell, und manchmal dauert es auch etwas länger. Ab und zu gerate ich auch mal in Schwierigkeiten, bei denen ich hinterher froh sein kann, dass ich das halbwegs heil überstanden habe.

Ich liebe meinen Job, auch wenn ich öfters mal finanziell knapp bin und der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Daran habe ich mich jedoch schon gewöhnt, und bisher habe ich die Dinge immer regeln können.

Heute Abend hatte ich jedoch keinen Grund, mir den Kopf über Existenzängste zu zerbrechen. Heute war ein guter Tag. Ich hatte mein Honorar pünktlich bekommen, und die Frau, die mich engagiert hatte, war sogar äußerst spendabel gewesen und hatte noch einen unverhofften Bonus zu meinem Honorar dazu gezahlt. Für mich war das so wie Ostern und Weihnachten auf einen Schlag, und deshalb hatte ich mich überschwänglich für diese großzügige Geste bei der Frau bedankt. Ihr Mann dagegen würde Probleme bekommen, denn ich hatte ihn über zwei Wochenenden beobachtet und war ihm jedes Mal bis nach Garmisch-Partenkirchen gefolgt, wo er angeblich an zwei Wochenendseminaren teilnehmen wollte. Dieses Seminar gab es tatsächlich, und auch die Location stimmte, aber anstatt den Fachkongress der Chirurgen mit seiner Anwesenheit zu beehren, verbrachte er die Zeit mit einer jungen und sehr gut aussehenden Frau, die seine Tochter hätte sein können.

Er sah sehr glücklich und zufrieden auf den Fotos aus, die ich von ihm und seiner Geliebten gemacht hatte. Zusammen mit den übrigen delikaten Beweisen, die ich zusammengetragen hatte, reichte das für eine verdammt teure Scheidung aus. Und genau die würde meine Auftraggeberin auch gnadenlos durchziehen. Zumindest hatte sie mir das so gesagt, als sie mir das Honorar mitsamt dem Bonus in bar übergeben und mich dann verabschiedet hatte.

Und so saß ich nun mit einem satten Grinsen in der Caipi-Bar in der Maximilianstraße in Augsburg und ließ es mir gut gehen. Es störte mich ganz und gar nicht, dass es um mich herum allmählich laut wurde, denn hier war am Abend bei gutem Wetter jede Menge los. Allerdings verkümmerte diese bekannte Augsburger Prachtstraße immer mehr zu einer Partymeile, und nach Einbruch der Dunkelheit verschärfte sich manchmal die Situation unter den Feiernden. Da ergab ein Wort das andere. Dann flogen öfters mal die Fäuste, und die Polizei musste einschreiten. Ich war mir fast sicher, dass dies auch an diesem Abend wieder der Fall sein würde. Dann schließlich war es Freitag, und das Wochenende hatte gerade erst begonnen.

Weiter unterhalb am Hotel Drei Mohren (ich nenne es immer noch so, obwohl man es mittlerweile in ­Maximilian’s aus Zeitgeistgründen umgetauft hat), waren plötzlich laute Stimmen zu hören. Ich blickte in die betreffende Richtung und sah dort eine Traube von Menschen stehen, die den Hoteleingang belagerten. Offensichtlich beherbergte das Hotel wieder mal einen Prominenten. Das kam öfters vor, aber mich interessierte das nicht. Im Gegensatz zu einigen anderen Menschen, die für ihren Star manchmal Stunden vor dem Hoteleingang lauerten, nur um ihn oder sie für einige Augenblicke aus nächster Nähe sehen zu können, war das für mich nichts anderes als verschwendete Lebenszeit. Zumal ich einige dieser sogenannten Celebrities gar nicht kannte.

Auch an den Tischen links und rechts neben mir war die Unruhe deutlich zu spüren. Die Gäste der Caipi-Bar waren meist ein jüngeres Publikum, und wahrscheinlich wussten sie längst, wer jetzt im Hotel angekommen war. Einige von ihnen hatten es sehr eilig, ihre Drinks und Cocktails zu bezahlen, und gesellten sich dann ebenfalls zu der Schar der Wartenden vor dem Hoteleingang. Ich dagegen sah keinen Grund darin, meinen Platz bei dem schönen Wetter aufzugeben und bestellte stattdessen einen weiteren Cocktail. Einen Long Island Ice Tea, von dem ich besser die Finger hätte lassen sollen, weil ich mit anderen alkoholischen Drinks bereits gut vorgelegt hatte. Aber heute war mir das alles gleichgültig, selbst wenn ich morgen mit einem Brummschädel aufwachen würde. Ich musste mir zumindest diesen Monat keine finanziellen Sorgen mehr machen. Das war ein Gefühl, in dessen Genuss ich nicht sehr häufig kam, und deshalb war an diesem Abend feiern angesagt.

Wahrscheinlich konnten einige der Gäste, die links und rechts neben mir saßen, dieses zufriedene Grinsen nicht verstehen, das mich in Momenten wie diesen überkam. Aber ich war längst über dieses Stadium hinaus, in dem ich mir noch Gedanken über Leute machen musste, denen eventuell irgendetwas an meinem Verhalten nicht passte. Heute war ich jedenfalls bereit, es ordentlich krachen zu lassen, und ich wollte nicht an morgen denken.

Nicht dass Sie denken, ich hätte womöglich ein Alkohol­problem. Das ganz sicher nicht, aber es gibt eben manchmal Tage, an denen man das Leben genießen sollte. Solche Momente gibt es nicht allzu häufig in meinem Leben, und deshalb muss man sie umso mehr genießen, wenn sich eine solche Gelegenheit ergibt.

Ich warf einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr. Es ging schon auf 22:00 Uhr zu, und drüben beim Hotel war immer noch die Hölle los. Ich sah ein Blitzlichtgewitter vor dem Eingang, das die Nacht zum Tag werden ließ. Ich hörte zahlreiche weibliche Jubelschreie, was mir wiederum sagte, dass es ein männlicher Star war, der sich dort vor seinen Fans präsentierte. Aber auch jetzt spürte ich kein Verlangen danach, dort hinzugehen und herauszufinden, wer diesen ganzen Wirbel eigentlich veranstaltete. Mit den heutigen Stars und Sternchen habe ich nicht ganz so viel am Hut. Heute sind sie ganz groß, morgen wieder schon fast vergessen, und übermorgen fragt man sich unter Umständen, wer denn der Typ eigentlich war, wegen dem man drei Stunden vor dem Hotel gewartet hat.

So langsam war es an der Zeit für mich, zu gehen. Deshalb gab ich der Bedienung ein Zeichen, dass ich zahlen wollte. Das erledigte ich auch prompt, und anschließend erhob ich mich vom Tisch. Oder besser gesagt, ich versuchte es und hätte dabei beinahe das Gleichgewicht verloren. Ich sah die grinsenden Blicke der anderen Gäste, die sich ganz offen darüber zu amüsieren schienen, dass dieser alte Sack (in deren Augen war ich das wahrscheinlich auch, obwohl ich mich gar nicht so fühlte) mit dem Trinken etwas übertrieben hatte.

Beim zweiten Versuch stand ich sicher auf beiden Beinen und machte mich auf den Weg. Kurz vor dem Ulrichsdom befand sich ein Taxistand, und an diesem Abend wollte ich mir den Luxus gönnen, mich nach Hause kutschieren zu lassen. Bis zu meiner Wohnung in der Fichtelbach­straße brauchte ich zu Fuß gut vierzig Minuten, aber in meinem angeheiterten Zustand dauerte das unter Umständen länger. Deshalb wollte ich kein Risiko eingehen und beschloss deshalb, mir ein Taxi zu nehmen. Ich war heute ohnehin nicht mit dem Auto unterwegs, weil ich mir vorgenommen hatte, etwas zu trinken, und mein Führerschein war mir zu wertvoll, als ihn leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Mein Gang war etwas unsicher, wie ich jetzt merkte. Das lag aber ganz sicher nicht am Kopfsteinpflaster der Maximilianstraße, sondern vermutlich an dem Long Island Ice Tea, den ich noch getrunken hatte. Das begann sich allmählich zu rächen, und ich spürte ein Rumoren in meinem Magen, das mir gar nicht gefiel. Vielleicht war es doch besser, noch ein paar Meter zu Fuß zu gehen, bevor ich ins Taxi stieg.

Ich kam gerade an der Hallstraße vorbei, als ich plötzlich das Geräusch von quietschenden Reifen und eine Autotür zuschlagen hörte. Dann erklangen zwei wütende Stimmen, und eine Frauenstimme schrie um Hilfe.

Ich bin gewiss kein Held, aber wenn eine Frau in Not ist, dann sollte man nicht wegsehen, sondern eingreifen. Und was ich jetzt gerade sah, das war nicht nur eine Belästigung, sondern eine handfeste Bedrohung.

Zwei Typen waren aus einem Mercedes ausgestiegen und hatten eine Frau in die Mangel genommen. Die rechte hintere Tür stand bereits offen, und die beiden waren gerade dabei, die Frau mit Gewalt ins Auto zu zerren. Sie wehrte sich natürlich heftig dagegen und schrie die beiden an, sie in Ruhe zu lassen. Irgendetwas an ihr kam mir bekannt vor, aber ich wusste in diesem Moment nicht, warum das so war. Mir war klar geworden, dass niemand ihre Hilfeschreie hörte, denn vor dem Hotel war zu viel los, als dass man darauf achtete, was zwei Straßen weiter geschah.

Also beschloss ich, mich einzumischen, obwohl die beiden Typen alles andere als friedlich aussahen. Breite Schultern, jede Menge Muskeln und ein verächtliches Grinsen im Gesicht, als einer von beiden mich näherkommen sah.

„He, lasst die Frau in Ruhe!“, rief ich und hob dabei die rechte Hand. „Verschwindet, sonst kriegt ihr Ärger!“

Wenn das wie eine Drohung klingen sollte, kam sie bei den beiden Typen jedoch nicht an. Der eine nickte seinem Kumpel kurz zu, während der sich nach wie vor bemühte, die Frau ins Auto zu zerren, und kam dann mit erhobenen Fäusten auf mich zu.

„Zieh Leine, Alter!“, sagte er zu mir. „Oder du bekommst die Prügel deines Lebens!“

Mir war ziemlich flau im Magen, und das lag gewiss nicht nur an dem Long Island Ice Tea. Als der Kerl nur noch wenige Schritte von mir entfernt war, bemerkte ich, dass er fast zwei Köpfe größer war als ich. Er hatte so breite Schultern, dass ich nur noch einen Teil von dem erkennen konnte, was sich gerade am Auto abspielte. Aber dann hörte ich einen überraschten und sehr schmerzhaften Schrei, der mir sagte, dass sich die Frau offensichtlich doch erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte.

Der Typ, der sich jetzt vor mir aufgebaut hatte, zuckte einen Moment zusammen und drehte sich um in Richtung Auto. Das gab mir die Chance, ihm einen Stoß zu versetzen, der ihn ins Taumeln geraten ließ. Ich nutzte diese entscheidenden Sekunden, rannte an ihm vorbei und wollte mich jetzt um den zweiten Kerl kümmern, den die Frau dort getroffen hatte, wo es für einen Mann verdammt unangenehm war.

Aber ich kam nicht mehr dazu, das Auto zu erreichen, denn genau in diesem Augenblick spürte ich, wie mich eine Faust am Kragen meiner Lederjacke packte und nach hinten riss. Sekunden später schlug mir der Kerl ins Gesicht, und meine Oberlippe platzte auf. Das machte mich jedoch noch umso wütender, und der genossene Alkohol schien meine Kampfeslust sogar noch zu steigern.

Ich duckte mich, als ein zweiter Schlag nach meinem Kopf zielte, mich aber nicht traf, weil ich ausgewichen war. Stattdessen versetzte ich dem Kerl einen Tritt gegen das Schienbein, der ihn fluchen ließ.

„Was ist da los!“, hörte ich auf einmal eine Stimme von weiter hinten. „Hört sofort auf! Ich rufe die Polizei!“

Der Kerl, dem ich einen Tritt verpasst hatte, schien das jedoch nicht abzuschrecken. Er versetzte mir noch einen zweiten Schlag. Diesmal in den Magen, und das reichte aus für den Long Island Ice Tea, um sich freie Bahn zu schaffen. Über meine Lippen auf die Schuhe des Schlägers. Der stieß jede Menge Flüche aus und wollte mir in seiner Wut einen gemeinen Tritt verpassen. Das ließ er dann aber bleiben, als jemand herangerannt kam.

„Alexej, komm!“, hörte ich eine hektisch klingende Stimme, während ich mich zu erheben versuchte. Ich bekam gerade noch mit, wie die beiden Kerle hastig ins Auto stiegen und dann mit quietschenden Reifen ­davonfuhren.

Erst dann begriff ich, wer mir zu Hilfe gekommen war. Mein alter Freund Jo Poschmann streckte die rechte Hand aus und versuchte, mir beim Aufstehen zu helfen. Er grinste ein bisschen, als er meine aufgeplatzte Oberlippe sah. Jo ist bekannt dafür, dass er in solchen Momenten immer ein bisschen überheblich dreinblickt, und das ging mir gewaltig gegen den Strich.

„Ich war gerade dabei, den Kerl fertigzumachen“, brummte ich, nickte ihm aber dennoch dankbar zu, als ich mit seiner Hilfe wieder fest auf beiden Beinen stand.

„Ah“, meinte Jo. „Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin. Ich dachte, du könntest ein bisschen Hilfe gebrauchen, wenn du den Lebensretter spielen willst. Muss ich mir merken, wenn du das nächste Mal Pro­bleme hast.“

„Frank!“, hörte ich auf einmal eine erleichtert klingende Stimme hinter mir. „Frank Gerber! Bist du das wirklich?“

Ich war noch ein bisschen benommen, und mein Magen protestierte immer noch ein wenig, aber das Schlimmste schien ich überstanden zu haben. Ich drehte mich um und schaute die Frau an, der ich hatte helfen wollen. Sie war groß, hatte lange schwarze Haare sowie ein umwerfendes Lächeln und eine Figur, die jeden Mann in Höchststimmung versetzte. Oder lag es vielleicht an dem kurzen Rock, den hohen Stiefeln und dem eng anliegenden Blazer, den sie trug?

„Das gibts doch nicht“, murmelte ich. „Ismenia?“ Dutzende von Gedanken gingen mir in diesen Sekunden durch den Kopf, und zwar so schnell, dass mir zumindest jetzt die richtigen Worte fehlten. „Das ist ja schon fast sieben Jahre her, oder?“

„Kann gut sein“, erwiderte sie immer noch lächelnd. „Komm, lass dir helfen. Du siehst ja schlimm aus.“

Sie griff in ihre Handtasche, holte ein Taschentuch heraus und wollte mir das Blut von meiner Oberlippe abwischen.

„Es geht schon“, sagte ich rasch. „Ist gar nicht so schlimm. Ich kann sogar noch grinsen.“

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, ergriff nun Jo das Wort. Er schien mehr um Ismenias Wohl besorgt zu sein, als um den Gesundheitszustand seines besten Freundes. Aber ich kann es verstehen. Ismenia war schon damals eine Frau gewesen, nach der man sich umdrehte und den Anblick genoss. Und das hatte sich auch heute nicht verändert. Die Zeit schien spurlos an ihr vorbeigegangen zu sein.

Das war kein Blick eines neugierigen Reporters, den mein Freund Jo Ismenia zuwarf. Aber selbst, wenn Ismenia das bemerkt hatte, so ignorierte sie das völlig. Sie wirkte noch ziemlich nervös. Kein Wunder bei dem Vorfall von eben. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn ich mich da nicht rechtzeitig eingemischt hätte?

„Danke, Frank“, sagte Ismenia. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gut es ist, dass du in der Nähe warst. Ich hatte schon fast gedacht, dass ich ...“ Sie brach mitten im Satz ab und schien einen kurzen Moment zu überlegen, weil sie wohl nicht so recht wusste, was sie mir sagen wollte.

„Kann ich vielleicht helfen?“, bot sich Jo an und warf mir einen kritischen Blick zu, der vieles beinhaltete. „Soll ich dich nach Hause fahren, Frank? Du siehst mir nicht so aus, als wenn du noch Auto fahren kannst.“

„Mein Auto steht in der Tiefgarage in der Fichtelbachstraße“, sagte ich. „Ja, das wäre sehr freundlich von dir. Was ist mir dir, Ismenia?“, fragte ich sie. „Möchtest du auch mitkommen? Ich meine natürlich nur zu deiner Wohnung. Lebst du denn überhaupt noch hier in Augsburg?“

Erst nachdem ich das gesagt hatte, wurde mir bewusst, was das für seltsame Fragen waren. Aber mir gingen in diesem Augenblick alle möglichen Dinge durch den Kopf. Die Tatsache, dass mir Ismenia überhaupt begegnet war, war die eine Sache. Aber die andere Sache war etwas schwerwiegender. Sie schien Probleme zu haben, das war offensichtlich. Probleme, die man nicht so einfach aus der Welt schaffen konnte. Das hatte ich ihr sofort angesehen, und ich fragte mich natürlich, was das bedeutete.

„Könnte ich mitkommen zu dir?“, fragte sie mich unvermittelt. „Zumindest für diese Nacht? Ich glaube, es wäre besser, wenn ich erst mal nicht in meine Wohnung zurückkehre.“

„Natürlich“, versicherte ich ihr sofort und bemerkte, dass Jo wieder diesen Blick an sich hatte, der mir sehr vertraut war. Er witterte eine Story und wollte mehr wissen. Aber er hatte zum Glück auch begriffen, dass dies der falsche Zeitpunkt war, um hier den rasenden Reporter zu spielen.

„Mein Auto steht gleich um die Ecke“, sagte er und deutete mit dem Daumen hinter sich. „Kommt einfach mit. Keine Sorge“, sagte er mit einem Grinsen zu ­Ismenia. „Frank kann Ihnen bestätigen, dass ich absolut verschwiegen bin.“

Ismenia erwiderte nichts darauf, sondern nickte nur. Damit war es beschlossene Sache. Es war auch gut, dass wir uns auf den Weg machten, denn am Ende der Straße standen einige neugierige Gaffer, die den Zwischenfall wohl mitbekommen hatten. Falls die Polizei jetzt doch noch auftauchen sollte, hatte ich keine Lust, irgendwelche Fragen zu beantworten, denn ich ahnte längst, dass diese kurze Auseinandersetzung zwischen Ismenia und den beiden Typen nur die Spitze des Eisberges war.


*


„Warst du auch beim Hotel?“, fragte ich Jo, nachdem ich eingestiegen war und Ismenia auf dem Rücksitz Platz genommen hatte. Um die Spannung etwas zu entkrampfen, beschloss ich, über ganz andere Dinge zu reden. „Da war ja jede Menge los. Um wen ging es denn überhaupt?“

„Ein Meet and Greet mit bekannten Influencern“, klärte mich Jo auf, während er am Ulrichsdom dem Predigerberg in Richtung City Galerie folgte. Er nannte dann mehrere Namen, die mir alle nichts sagten. Was einen weiteren kritischen Blick von Jo auslöste, der mir galt. „Mann, du bekommst auch gar nichts mit, was im Moment angesagt ist. Die verdienen in einem Monat mehr als wir beide in zwei Jahren zusammen“, fügte er hinzu.

„Von mir aus“, murmelte ich. „Es ist mir egal.“ Während ich das sagte, drehte ich mich kurz zu Ismenia um. „Alles in Ordnung bei dir?“

„Ja“, erwiderte sie. Ich merkte aber trotzdem, dass sie noch nicht alles gesagt hatte oder vielleicht auch nicht wollte. Trotzdem wusste ich, dass in den sieben Jahren offensichtlich so einiges geschehen war, das Spuren hinterlassen hatte. Ein kurzer Blick in Ismenias Gesicht zeigte mir, dass ihre Augen immer noch etwas Angst widerspiegelten. Sie drehte sich auch ab und zu um und blickte zurück. Als wenn sie sich sorgte, dass diese beiden Kerle uns womöglich noch folgten.

Jo ahnte das auch, aber er sagte nichts und hielt sich zum Glück zurück. Bei einem neugierigen Reporter wie ihm war das nicht selbstverständlich. Aber zumindest schien er heute so viel Taktgefühl zu besitzen, um zu wissen, dass es weder der richtige Zeitpunkt und noch der richtige Ort waren, um Fragen nach dem Wie und Warum zu stellen.

Eine knappe Viertelstunde später erreichten wir die Fichtelbachstraße, wo sich meine Wohnung befand. Jo hielt seinen Wagen vor dem Haus an, während ich die Tür öffnete.

„Melde dich morgen doch mal!“, rief er mir zu. „Sobald ich den Artikel über das Meet and Greet geschrieben habe, hätte ich Zeit.“

„Danke, Jo“, sagte ich zu ihm. „Auch dafür, dass du zu Hilfe gekommen bist. Dafür hast du was gut bei mir.“

„Ich werde dich daran erinnern“, meinte Jo abschließend und wartete ab, bis auch Ismenia ausgestiegen war. Dann fuhr er weiter in Richtung Glaspalast.

Ich ging zur Haustür. Ismenia folgte mir schweigend. Sie wirkte immer noch mitgenommen und ­eingeschüchtert. Das gefiel mir nicht, aber ich sagte nichts dazu. Zumindest nicht jetzt. Ich knipste das Licht im Treppenhaus an, und wir gingen nach oben. Mir entging ihr überraschter Blick nicht, als sie das Schild an meiner Wohnungstür sah.

„Das gibts doch nicht“, murmelte sie und sah mich ganz erstaunt an. „Du bist ein Privatdetektiv? Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet, Frank.“

„Das ist eine längere Geschichte“, erwiderte ich und schloss die Wohnungstür auf. „Aber das hat noch Zeit bis später. Ich glaube, jetzt bist du erst mal an der Reihe, Ismenia. Komm rein und mach es dir gemütlich.“

Ich ließ sie eintreten, schloss die Tür hinter mir zu und bemerkte, wie in diesem Moment die Spannung ein wenig von ihr abfiel. Erst jetzt schien sie sich wirklich sicher zu fühlen. Aber für wie lange?

1

„Ich will nicht, dass du wegen mir Ärger bekommst“, meinte sie trotz allem. „Erst recht nicht wegen unserer alten Freundschaft.“

„Sieben Jahre sind zwar eine lange Zeit, aber das ändert nichts an gewissen Dingen“, hielt ich dagegen. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich morgen so einfach gehen lasse, ohne mich zu vergewissern, was an der ganzen Sache dran ist. Eigentlich müsstest du bei der Polizei Anzeige erstatten, weil dir diese beiden Typen so arg zugesetzt haben.“

„Dann bin ich tot“, sagte Ismenia mit gepresster Stimme. „Und du hast verdammt viel Glück gehabt, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. Die beiden hätten dich fertiggemacht, wenn dein Freund Jo nicht eingegriffen hätte. Du lagst doch schon am Boden und ...“

„Ich kann auch ganz schnell wieder aufstehen“, unterbrach ich sie. „Also was ist jetzt? Soll ich dir helfen? Du musst nur ja sagen. Und für dich würde ich es sogar honorarfrei tun.“

Der Himmel mochte wissen, warum ich so was jetzt gesagt hatte. Jemand wie ich, der heilfroh sein kann, wenn am Monatsletzten der Gerichtsvollzieher mal nicht vor der Tür steht, brauchte eigentlich jede Einnahme, die er kriegen konnte. Trotzdem war ich fest entschlossen, Ismenia zu helfen. In solchen Dingen merkt man dann, was eine alte Freundschaft eigentlich wert ist.

Allerdings bekam ich nur wenige Sekunden später eine Antwort, die an Eindeutigkeit nicht zu übertreffen war.

„Ich kann dich bezahlen, Frank“, sagte Ismenia, nachdem sie wieder etwas Wein getrunken hatte. „Ich verdiene 1.500 Euro pro Nacht.“

Was für ein Glück, dass ich mein Weinglas schon auf den Tisch gestellt hatte, denn ansonsten hätte ich es jetzt fallen gelassen.

„Wie bitte?“

„Ich schlafe mit Männern“, sagte Ismenia, als handele es sich um die selbstverständlichste Sache auf der ganzen Welt. „Man nennt es auch Escort-Service. Du weißt, was das ist?“

„Ja sicher“, erwiderte ich, während der Rest meines heldenhaften und kostenlosen Hilfsangebotes zerplatzte wie eine bunte Seifenblase. „Aber wie kommst ausgerechnet du ... ich meine ...?“

„Das ist eine lange Geschichte“, antwortete Ismenia. „Willst du sie hören, oder bist du jetzt so schockiert, dass du mich am liebsten wieder vor die Tür setzen möchtest?“

Ich brauchte ein paar Sekunden, um das zu verdauen. Dann hatte ich meine Gedanken wieder geordnet.

„Natürlich nicht“, entgegnete ich. „Ich hätte mit vielem gerechnet. Aber ganz sicher nicht damit. Ist das nicht gefährlich?“

„Nicht, wenn man sich eine bestimmte Klientel von Leuten aussucht, bei denen Geld keine Rolle spielt, Frank“, erwiderte sie. „Ich brauchte Geld, als ich mich von Josef trennte, und ich hatte weiß Gott keine Lust, in irgendeinem Supermarkt an der Kasse zu sitzen und nur so viel zu verdienen, dass es gerade mal für die Miete reicht. Also warum sollte ich nicht nach einer anderen Möglichkeit suchen, um schnell gutes Geld zu verdienen?“

Was hätte ich darauf noch erwidern sollen? Ismenia bemerkte das und lächelte für einen Moment. Aber in ihren Augen war kurz etwas zu erkennen, was mir sagte, dass in diesen sieben Jahren wirklich sehr viel geschehen war. Und nicht vieles davon war gut gewesen.

„Dann bin ich mal gespannt“, forderte ich Ismenia auf. „Erzähl einfach alles so, wie du denkst, und wenn ich noch was wissen will, frage ich dich einfach.“