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Über dieses Buch:

Kann aus den Tränen der Vergangenheit eine neue Hoffnung erblühen? Viele Jahre hat Dara in der Fremde gelebt, doch seine Heimat in Pakistan hat er nie vergessen. Eine Heimat voller zerbrochener Träume, in die er nun zurückkehren muss, um ein altes Versprechen einzulösen. Erst als Dara seine alten Freunde aus Jugendzeiten wiedertrifft, mit denen er für eine Zukunft voller Toleranz und Offenzeit kämpfte, beginnt er allmählich wieder Hoffnung zu schöpfen. Doch kann es die auch für ihn und Jindié geben? Die Frau, die ihm einst alles bedeutete, bis sie sein Herz brach und seinen besten Freund heiratete. Als sie sich nun wiederbegegnen, reicht Dara jedoch ein Blick in ihre dunklen Augen – und er weiß, dass manche Liebe ewig ist …

»Eine turbulent zwischen London, Paris und Karatschi wirbelnde Liebesgeschichte.« Deutschlandradio Kultur

»Ein wunderbar bunter Roman – ein wahres Schatzkästchen.« The Independent

Über den Autor:

Tariq Ali wurde 1943 in Lahore/Pakistan geboren. Als 20-Jähriger emigrierte er nach London, wo er Politik und Philosophie studierte und Ende der 60er-Jahre zum Führer der englischen Studentenbewegung wurde. Heute arbeitet er als Schriftsteller, Filmemacher und Journalist. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zur Weltgeschichte und -politik, Bühnenstücke und Drehbücher, bevor ihm mit seinem ersten historischen Roman »Im Schatten des Granatapfelbaums« direkt der Sprung auf die Bestsellerlisten gelang.

Bei dotbooks veröffentlichte Tariq Ali auch seine Orient-Romane »Im Schatten der Akazie«, »Die Gärten von Marmara« und »Das Flüstern des Orangenbaums«.

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eBook-Neuausgabe Juli 2020

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2010 unter dem Originaltitel »Night of the Golden Butterfly« bei Verso, London. Copyright © der englischen Originalausgabe 2010 by Tariq Ali

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2011 by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Anna Poguliaeva, Ironika und Swaleh Saleem

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-901-5

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Tariq Ali

Die Nacht des goldenen Schmetterlings

Roman

Aus dem Englischen von Margarete Längsfeld

dotbooks.

Für Aisha,
die den Titel vor zwölf Jahren vorschlug
und ihn heute unpassend findet

Kapitel 1

Vor fünfundvierzig Jahren, als ich noch in Lahore lebte, hatte ich einen älteren Freund namens Plato, der mir einmal einen Gefallen erwies. In einem Anfall von jugendlichem Großmut versprach ich, ihm diesen mitsamt Zinsen zu vergelten, wann immer er meine Hilfe brauche. Plato unterrichtete Mathematik an einer elitären Schule, konnte aber manche seiner Schüler nicht ausstehen, nämlich diejenigen, von denen er behauptete, sie seien nur dort, um die hohe Kunst des Exzesses zu erlernen. Und da er ein Plato aus dem Panjab war, fragte er mich, ob ich mich für seinen Gefallen auch mit Zins und Zinseszins revanchieren wolle. Leichtsinnigerweise sagte ich Ja.

Ich war verliebt, zu Platos großem Verdruss. In seinen Augen war Liebe nichts anderes als eine Rechtfertigung für jugendliche Lüsternheit, sie sei von Natur aus nicht für die Ewigkeit gedacht. Eine keusche Freundschaft sei viel bedeutsamer und könne ein Leben lang dauern. Ich, der damals keinen Sinn für diese Art von Philosophie hatte, hätte jedes Papier unterschrieben, das er mir vorlegte.

Für jemanden, dessen Urteil für gewöhnlich scharf und klar war, konnten Platos Abneigungen durchaus irrational sein, und die Grenze zwischen Ironie und Hass war bei ihm stets fließend. Er fühlte sich zum Beispiel maßlos abgestoßen von Schülern, die während der Sommermonate ihren Füllfederhalter an die Brusttasche ihres Nylonhemdes klemmten. Auf die Frage nach dem Warum gab er keine Antwort, bedrängte man ihn aber, murmelte er, wenn das ihre ästhetischen Werte in der Blüte und Hitze der Jugend seien, werde ihm angst und bange bei dem Gedanken, welchen Ansichten sie sich in höherem Alter verschreiben würden. Dies mag zwar kein gutes Beispiel sein – doch sein Witz war es, der einen sogleich für ihn einnahm, lange bevor er sich als Maler einen Namen gemacht hatte.

Einmal setzte sich ein Freund von uns, der kurz zuvor Examen gemacht hatte und in den auswärtigen Dienst berufen worden war, an unseren Tisch, wo er umgehend von Plato angegriffen wurde: »Von nun an nenne ich mich Diogenes, damit ich bei Tag eine Laterne anzünden und mich auf die Suche nach ehrlichen Staatsbeamten machen kann.« Niemand lachte, und Plato, der daran gewöhnt war, der Held jeglichen Gesprächs zu sein, verließ uns für eine Weile. Die Zielscheibe seiner bissigen Bemerkung wollte wissen, wie wir uns mit einem so widerlichen Kerl gemeinmachen könnten. Wir herrschten ihn an: Wie er es wagen könne, so zu reden, zumal wir ihn verteidigt hätten? Und überhaupt, murmelte mein Freund Zahid, sei Plato zehn Auslandsdienst-Lustmolche wie er wert. Nach etlichen weiteren Äußerungen in diesem Stil stieg die Zahl rasch auf »mindestens hundert Auslandsdienst-Lustmolche und Aufschneider wie er«. Damit waren wir ihn los. Plato kam zurück, saß den restlichen Nachmittag nachdenklich da und zupfte in regelmäßigen Abständen an seinem schwarzen Schnurrbart, bei ihm stets ein Anzeichen für Wut.

Was Plato engen Freunden über seine amourösen Eroberungen erzählte, war nie so recht überzeugend. Sein Sexualleben blieb immer ein Geheimnis. Er gab sich oft zurückhaltend und verschwiegen, und da waren eindeutig Abgründe in ihm, in die wir um eine Generation Jüngeren nie hoffen konnten einzudringen. Vieles von ihm weiß ich bis heute nicht, obwohl ich fast ein Jahrzehnt lang sein vermutlich bester Freund war. Könnte ein Spiegel doch nur mehr reflektieren als ein klares, unwandelbares Bild. Könnten wir darüber hinaus den ureigenen Charakter des Menschen sehen, der sein Spiegelbild betrachtet, dann wäre die Arbeit von Schriftstellern und Analytikern viel leichter, wenn nicht sogar überflüssig.

Plato entwarf nie ein extravagantes Bild von sich selbst und betonte stets, dass er die Öffentlichkeit meide, tat dies jedoch in einer Weise, die ihn zuweilen mitten ins Rampenlicht führte. Wenn einer von den älteren und hoch geachteten Urdu-Dichtern, die sich regelmäßig im Pak-Teehaus im Einkaufszentrum trafen, die Grenzen des Eigenlobs überschritt, verhöhnte Plato ihn gnadenlos, überschüttete ihn mit Attributen und Panjab-Sprüchen, die uns köstlich amüsierten, den Dichter jedoch verunsicherten. Wenn der Angegriffene plötzlich mit verächtlicher Vehemenz konterte und Plato als Kleingeist brandmarkte, gab sich dieser ausgesprochen heiter und bestand auf einer Probe, auf dass alle Anwesenden entscheiden könnten, welche Gedichte seines Gegners zweit- und drittrangig seien. Dann fing er an, einen der eher unbedeutenden Verse auf lachhaft abgeschmackte Weise zu zitieren, und wenn dann der Dichter und seine Speichellecker aufbrachen, klatschte Plato laut Beifall. Er hielt den fraglichen Poeten nicht für einen schlechten Dichter, beileibe nicht, doch er war verärgert über den Narzissmus und über die täglichen Treffen im Teehaus, die lediglich der gegenseitigen Bewunderung dienten. Er hasste die ausdruckslosen Mienen auf den Gesichtern der Speichellecker, welche bei jeder zitierten Zeile »wunderbar« riefen. Wie so viele von uns wusste er nicht recht zu würdigen, was einige von ihnen in den vorangegangenen Jahrzehnten durchgemacht hatten. Enttäuschungen hatten sie ausgelaugt und ihrer Kraft beraubt, sie waren gebrochene Gestalten, die ihre Energie in Cafés vergeudeten und sich als Jubelschar hergaben für diejenigen, die sich in der Welt der Literatur einen Namen gemacht hatten. Plato war sich dessen wohl bewusst, sein eigener Kern aber, eine stählerne Rute, war ungebeugt geblieben, und das machte ihn unduldsam jenen gegenüber, die nicht so stark waren wie er.

Was hatte Plato bewogen, sein Pfund Fleisch jetzt einzufordern, und warum in Gestalt eines auf seinem Leben basierenden Romans? Denn genau das war geschehen. Eine Kette von Ereignissen führte zu einem Anruf mit der Bitte, ich möge mich bei ihm in Karatschi melden. Das an sich war schon eigenartig, da Plato die größte Stadt im Land der Väter immer verabscheut und ungeniert als charakterloses, hybrides Monstrum bezeichnet hatte. Während wir uns unterhielten, war er nicht in der Stimmung für ein längeres Gespräch; er bestand nur darauf, dass es alte Ehrenschulden zu begleichen gelte. Ich hatte keine Wahl. Freilich hätte ich ihm sagen können, er solle sich verkrümeln, und heute wünsche ich, ich hätte es getan. Nicht so sehr seinetwegen, sondern um anderer willen, deren Geschichten sich mit seiner kreuzten. Das Geheimnis beunruhigte mich. Was hatte sich in ihm zu einem so steinharten Knoten zusammengezogen, dass es sich nur noch durch die Einforderung einer fast vergessenen Schuld lösen ließ? War es nagende Unzufriedenheit über das, was er nicht hatte erreichen können, oder war er des künstlerischen Strebens überdrüssig in einem Land, wo die Allüren des Kunstmarkts durch das bestimmt wurden, was die New Yorker oder Londoner Presse schrieb? Nur was im Ausland gelobt wurde, ließ sich in der Heimat verkaufen.

Bevor ich mich an die schwierige Aufgabe der Gestaltung machte, musste ich bestimmte Aspekte seines Lebens recherchieren, und auch das würde wahrhaftig nicht ohne Mühe vonstattengehen. Plato hatte große Etappen seines Daseins vor den Blicken anderer verborgen gehalten oder womöglich sogar verdrängt. Wie auch immer, es galt Hürden zu überwinden. Wie sollte ich über ihn schreiben, wenn er mir nicht erlaubte, seine versteckte Vergangenheit zu enthüllen?

Freundschaften sind komischerweise sehr beweglich. Sie fließen, verändern sich, verschwinden, tauchen für lange Zeit maulwurfsgleich in den Untergrund ab und werden leicht vergessen, insbesondere, wenn ein Freund den Kontinent wechselt. Im Laufe des Lebens sind wir von Schwärmen von Menschen umgeben, von denen sich einige zu momentanen Freunden kristallisieren, sich dann auflösen und spurlos verschwinden, um später zufällig an den seltsamsten Orten wieder zu erscheinen. Manche der durch die Politik oder den Beruf bedingten Freundschaften bleiben länger bestehen; nur ganz wenige halten für immer.

Als ich zusagte, seine Geschichte aufzuschreiben, brüllte Plato begeistert seinen Triumph hinaus. Dieses Gelächter passte so wenig zu ihm, dass mir etwas bange wurde. Verärgert über mein Bestreben, den Grund für seine eigenartige Bitte zu erforschen, fügte er eine Einschränkung hinzu. Ich werde tun, was er verlangte, das wisse er, aber könnte ich das auch bewerkstelligen ohne die schlauen Einfälle und die aufgeblasenen Phrasen, die heutzutage als unverzichtbar galten? Es müsse ganz simpel erzählt werden, ohne Ausschmückungen oder zu viele Abweichungen. Ich erklärte mich einverstanden, gab ihm aber zu verstehen, dass ich kein Buch schreiben könne, das ausschließlich von ihm handelte. So etwas könne er selbst am besten, er solle einfach seine Memoiren diktieren, wenn es das sei, was er wolle. Es genüge auch nicht, wenn ich bloß seine Entwicklung im Hinblick auf seine Verhältnisse zu anderen Menschen schildere. Die Epoche müsse gezeigt, das gesellschaftliche Milieu beschrieben, eine Nabelschau vermieden werden. Ich erinnerte ihn an Heraklit: »Die Wachenden haben eine gemeinsame Welt, jeder Schläfer seine eigene.«

Plato nahm das huldvoll entgegen, konnte es sich aber nicht verkneifen, mir seinerseits eine Sentenz mitzugeben, ich nehme an, um mich zu ermutigen. Eine Niederlage, erklärte er mir, könne durch ein Kunstwerk in einen Sieg verwandelt werden. Ich widersprach entschieden. Selbst künstlerisches Bewusstsein auf hohem Niveau könne die Realitäten, die einer Gesellschaft nach einer historischen Niederlage aufgebürdet würden, nicht rückgängig machen. Seine Stimme wurde lauter, als er Maler und Dichter nannte, deren Werke die Menschen in schlechten Zeiten in ungeahnte Höhen emporgehoben hätten. Das sei richtig, stimmte ich zu, sie hätten das kulturelle Leben der Armen und Besiegten bereichert, indem sie diese mit brauchbarer kultureller Staffage versorgten, aber geändert habe das nichts. Die Welt der darstellenden Kunst und das Reich der Literatur blieben winzig kleine Inseln. Im Meer würden weiterhin die Haie herrschen. Er wurde wütend. Er arbeite an einem Triptychon, das ein Ruf zu den Waffen werde. Er werde beweisen, dass ich unrecht hätte. Sein Werk werde das Land der Väter in Aufruhr versetzen. Ich äußerte Skepsis.

»Großer Meister Plato, deine Visionen werden im Land der Väter einschlagen wie Blitze vom Himmel.«

»Es ist Zeitverschwendung, mit dir zu reden, wenn du in so einer Stimmung bist. Tu etwas Nützliches. Geh und fang mit dem Buch an. Geh jetzt, und wo die Wahrheit nicht nackt gezeigt werden kann, verbräme sie mit Humor und Ironie. Wirst du das schaffen?«

Ich will's versuchen.

Kapitel 2

Zahid befand sich im Leichtschlafmodus und träumte. Es war der Pinkeltraum, erzählte er mir später, der Volle-Blase-Meldungstraum, der sein Leben lang im Kern immer gleich geblieben sei. Wasser, ewig im Fluss. Gewöhnlich stand er unter der Dusche, manchmal war es auch ein laufender Wasserhahn oder einige wenige Male eine stürmische See. In der Schule und in den Bergen, wo unsere Familien den Sommer verbrachten, schilderte er sein Leiden ziemlich detailliert. Es handele sich, erklärte er, um eine drastische und wirksame innere Alarmanlage. Wenn er zu lange einhielte, fange sein Hahn zu tröpfeln an. Seine Mutter lieferte einmal eine eher jungianische Erklärung dafür, aber die muss ihr schnell wieder entfallen sein, denn nach einer Woche konnte sie sich nicht mehr daran erinnern.

Zahid war von seiner Einmaligkeit überzeugt. Als er ein Baby war, hatte seine Amah, sein Kindermädchen, ihn von den Stoffwindeln entwöhnt und ihm beigebracht, Pipi zu machen, während sie Wasser laufen ließ und die Nationalhymne pfiff. Das hatte funktioniert – die Stoffwindeln wurden für immer verbannt, als er erst ein Jahr alt war –, muss aber eine Schramme auf seiner Psyche hinterlassen haben. Er scherzte oft, dass es, gelobt sei Allah, das Wasser war, was in seine Träume eingegangen war, und nicht die Nationalhymne; allerdings kamen wir nach einer kurzen Debatte überein, dass es umgekehrt vielleicht besser gewesen wäre. Nach einem Film oder einer Radiosendung könnte er immer ein Pissoir finden. Viel besser als Bettnässen.

Später – da war er schon ein angesehener Herzchirurg in den Vereinigten Staaten – entdeckte Zahid, dass sein Traum nicht so ungewöhnlich war, wie er damals geglaubt hatte. Die Entdeckung war eine Enttäuschung. Er scherzte oft, das sei das Ende sämtlicher Illusionen. Zu jenem Zeitpunkt beschloss er, gegen den Rat seines Sohnes, einiges von seinen Ersparnissen in Banken und Grundbesitz in unattraktiven Lagen in aller Welt zu investieren: Marbella und Miami, Bermuda und Nizza, aber auch – und das vor allem um alter Zeiten willen – in einem Bergnest im Kaghan-Tal, das durch das Erdbeben im Jahr 2004 schwer zerstört worden war. Dies alles erfuhr ich später. Ich hatte natürlich gehört, dass er Republikaner geworden war und Leiter des Ärzteteams, das Dick Cheney 1999 operiert und ihm das Leben gerettet hatte, wusste aber nicht, dass er nach den Anschlägen am 11. September von Washington, DC, nach London gezogen war, und auch nicht, dass er jetzt im Teilruhestand in einer Luxusvilla in Richmond mit Blick auf die Themse residierte. Wir hatten fast ein halbes Jahrhundert lang in verschiedenen Welten gelebt.

Als kurz nach Tagesanbruch das Telefon klingelte, stöhnte Zahid unwillkürlich und streckte einen Arm aus, um nach der Uhr zu greifen. Muss ein Notfall im Krankenhaus sein, dachte er, bevor ihm einfiel, dass er nicht mehr arbeitete. Es war zehn nach fünf Uhr morgens, es musste also jemand aus dem Osten sein. Frühe Anrufe beunruhigten ihn. Sie kamen unweigerlich aus der alten Heimat, und meistens ging es um schlechte Nachrichten: wieder jemand in der Familie gestorben, ein neuer Militärputsch, ein vorhersehbares Attentat – aber man konnte die Anrufe nicht einfach ignorieren. Seine Frau schlief noch. Er stand auf, nahm das Telefon und zog die Vorhänge auf. Dunkle Wolken. Wie er selbst litt auch die Stadt an einer schwachen Blase. Er stieß einen Fluch aus.

Der Anrufer hörte ihn fluchen, kicherte und grüßte ihn auf Panjabi, jener Muttersprache, die alle anderen mutterfickigen ausstach, so prahlten zumindest ihre Anhänger. Keine Übersetzung kann dieser vielschichtigen Sprache gerecht werden, die so reich ist an Wortspielen und Doppeldeutigkeiten, dass manche Gelehrte behaupten, faktisch jedes Wort in jedem Panjabi-Dialekt habe eine doppelte oder versteckte Bedeutung. Ich bin nicht sicher, dass das stimmt. Es hätte sonst unüberwindliche Probleme geschaffen für die Sikh-Religion. Ihr Gründer, der visionäre mystische Dichter Nanak, ein großer Meister der Sprache, hätte niemals ... will sagen, er muss gewusst haben, was er tat, als er sein heimisches Panjabi für den neuen Glauben, der sich von einem dem Kastenwesen verhafteten Hinduismus abspaltete, zu einer göttlichen Sprache erhob.

Die Übersetzungsprobleme werden nicht gerade einfacher durch die Überfülle an Dialekten. Die Stimme, die Dr. Mian Zahid Hussain vernahm, sprach den gutturalen Dialekt, der in Lahore und Amritsar zu Hause ist. Als Erzähler werde ich mich an eine wörtliche Übersetzung halten, soweit es dieses erste Gespräch betrifft; aber da ich weder die Geduld der Leser strapazieren noch meine eigenen Grenzen aufzeigen möchte, könnte ich mich gezwungen sehen, in den nachfolgenden Kapiteln einen weniger obszönen Ton anzuschlagen. Aber vielleicht auch nicht.

»Sieh einer an, Zahid Mian. Salaamaleikum.«

Der Empfänger dieses Grußes fluchte erneut, aber nur innerlich. Er erkannte die Stimme nicht. Mit einer Hand unbeholfen seinen Schlafanzug aufknöpfend, in der anderen das Telefon, stolperte er ins Badezimmer und verschaffte seiner neurotischen Blase die dringend nötige Erleichterung – just als ein willkommener Nieselregen einsetzte und die zahlreichen Parks und Privatgärten Londons bewässerte. Trotz seines über Jahrzehnte im George Washington Hospital in Washington, DC, angesammelten Wissens wusste er nicht, dass das Telefonieren unmittelbar über der Toilettenschüssel eine leichte Verzerrung erzeugt, ein Echo, das von einem aufmerksamen Menschen am anderen Ende der Leitung leicht auszumachen ist.

Und diesem speziellen Anrufer machte es einfach Spaß, seine Freunde in Verlegenheit zu bringen.

»So erschrocken über meine Stimme, dass du pinkeln musst, Lustmolch?«

»Verzeih mir, mein Freund. Es ist früh am Morgen hier. Ich erkenne deine Stimme nicht.«

»Ich verzeihe dir nicht, Lustmolch. Den einzigen Freund, den du hast, hältst du in der Hand. Warum seifst du ihn nicht ein und fickst deine Faust? Dann erkennst du vielleicht meine Stimme, du Froschficker.«

Letzteres war kein gebräuchlicher Kraftausdruck in Lahore, sondern wurde ausschließlich in einem alten Freundeskreis verwendet. Zahid lächelte, bemühte sich, die nunmehr bekannte Stimme einer Person zuzuordnen und schüttelte hastig die Nachfolgetropfen ab, mit mäßigem Erfolg. Die Traditionen unseres Glaubens sind bedauerlicherweise bezüglich dieses ungemein wichtigen islamischen Rituals gespalten. Die Schiiten beharren auf dem Zwölfer: Der Penis wird zwölf Mal heftig geschüttelt, um alles drinnen Lauernde loszuwerden. Die Sunniten sind lockerer, sechsmaliges Schütteln gilt als ausreichend. In seiner Hast hatte Zahid den Sufi-Pfad eingeschlagen – ein einziger kräftiger existenzieller Ruck – und infolgedessen seinen Schlafanzug bespritzt. Gleichzeitig erkannte er die Stimme des Anrufers.

»Plato! Plato. Natürlich, du bist es.«

»Freut mich, dass du wenigstens deinen eigenen Namen erkannt hast, Froschficker.«

Zahids lautes, leicht hysterisch tönendes Lachen war typisch in der Stadt, wo er geboren war. Er antwortete entsprechend.

»Fünfundzwanzig schwesternfickige Jahre lang hast du dich unsichtbar gemacht, Plato. Bist du dir selbst in den Arsch gekrochen? Du rufst an, wenn's in dieser verfluchten Stadt noch kaum hell ist, und beschwerst dich, dass ich deine Stimme nicht erkenne. Ich dachte, du bist tot.«

»Kleingeistiger Lustmolch, wieso bist du nicht tot? Bei der Vulva deiner Mutter.«

»Du warst verschwunden, Plato. Genau wie deine mutterfickigen Gemälde.«

»Nur aus deiner hundefickigen westlichen Welt. Meine Ausstellungen hier sind immer rappelvoll.«

»Wo bist du?«

»In Lahore, fliege aber später nach Karatschi. Ich habe dort ein Atelier.«

»Lang lebe Puristan. Nie dort gefickt, oder? Warum rufst du mich um diese Zeit an? Stirbst du gerade? Hast es zu heftig getrieben? Brauchst eine Arschtransplantation?«

»Halt die Klappe, Lustmolch. Ich dachte, du bist schon auf. Fastest du nicht? Zu früh für die Morgengebete? Hab gehört, du bist fromm geworden und hast dich in Mekka erniedrigt.«

Zahid war erbost. »Wir haben uns alle verändert, Plato. Du auch. Fasten geht ein bisschen zu weit. Besser gar nicht als zu schummeln, wie wir's als Kinder gemacht haben, oder?«

»Viele von unseren alten Freunden fasten jetzt. Versuch mal, sie Lustmolche zu nennen. Dann würden sie dich am liebsten umbringen. Warum nicht auch du? Hör zu, Herr Großchirurg oder was immer für ein korruptes Gewerbe du heutzutage betreibst, ich rufe aus einem bestimmten Grund an. Mein Arsch ist aufgerissen, mein Freund. Aufgerissen. Elendiglich aufgerissen.«

»Als ob das was Neues wäre.«

»Mich hat die Liebe erwischt. Ich brauche deine Hilfe. Bloß keine Witze oder hinterfotzigen Fragen über mein Alter. Es hat mich erwischt.«

Plato war fünfundsiebzig, genau vierzehn Jahre älter als sein Land, wie er damals in unserer Jugend nie müde wurde zu erklären. Er war auch etwa zehn Jahre älter als wir und nutzte seinen Altersvorsprung, um hemmungslos mit seinen sexuellen Heldentaten zu prahlen, echten wie eingebildeten. Dass er fügsame, sanfte Mittelklasse-Frauen, die von Pickelentfernern besessen waren, ablehnte. Dass er die rohe Kraft und die rauen Hände von Bauernmädchen bevorzugte. All das wussten wir. Aber Liebe? Aus welcher Tiefe stammte dieses Monstrum? Zahid, der zweifelte, ob das wahr oder wieder eine von Platos Phantasien war, beschloss, einen leichteren Ton anzuschlagen.

»Frau, Mann oder Tier?« Die Pöbelei vergiftete die Telefonleitung, peitschte auf den Empfänger ein wie ein heftiger Regenguss. Als der Monsun vorüber war, lachte Zahid dermaßen hysterisch und dämlich, dass seine Frau davon aufwachte. An der Art, wie er lachte, erkannte Jindié, dass der Anruf aus Lahore kam und dass es weder eine schlechte Nachricht noch seine Mutter war. Sie wollte auf der Stelle wissen, wer da so früh anrief. Inzwischen goss es draußen in Strömen. Plato hörte ihre melodiöse Stimme.

»Ah, die sunehri titli ist erwacht. Meine Salaams an die große Dame. Sie wurde erschaffen, um die Phantasie der Maler zu entflammen. Sag ihr, dass sich unsere Stadt nie von ihrem Weggang erholt hat. Warum hat sie dich nicht abserviert und sich einen Besseren gesucht? Einen wie mich zum Beispiel. Lustmolch, ich bin wirklich erfreut, dass du sie nicht wegen einer Jüngeren verlassen hast. Einer jungen Krankenschwester mit Milchmädchenbrüsten ...«

»Plato, es ist früh am Tag, und ich ...«

»Ich mach's kurz. Die Frau, die ich liebe, ist Zaynab. Sie ist verheiratet. Keine Kinder, aber sie hängt sehr an ihren Nichten. Sie braucht Hilfe. Sie bittet mich nur um eins: Meine und ihre Geschichte, in einem Manuskript vereint, mit meinen farbigen Illustrationen. Es soll nicht veröffentlicht werden. Frag mich nicht, warum. Ich weiß es nicht. Das ist ihre einzige Bitte. Wie könnte ich sie ihr abschlagen? Ich habe dich nur angerufen, weil ich den Lustmolch nicht ausfindig machen kann, der mal ein Freund von uns war – Dara. Er wird sich an mich erinnern. Wir waren oft miteinander in den Kebabbuden und im Teehaus, besonders während des Ramadan, als wir das Fasten früh und häufig gebrochen haben. Sag ihm, dass ich ihm einmal einen ganz großen Gefallen getan habe, der sehr zulasten meines Selbstwertgefühls ging. Damals hat er mir versprochen, mir auch mal einen Gefallen zu tun, wann und wo auch immer. Jetzt ist der Moment gekommen. Ich brauche ihn, Zahid Mian. Ich kann malen und mit meinem Namen signieren, die Geschichten muss jemand anders aufschreiben. Oder ist Dara für Freunde aus der alten Heimat inzwischen zu nobel?«

»Plato, bitte versuch Daras E-Mail-Adresse selbst herauszukriegen. Ich treffe mich nicht mit ihm. Das Arschloch behandelt mich immer noch wie einen Verräter. Das letzte Mal habe ich ihn auf einer panjabischen Hochzeit in New York gesehen. Ich habe ihn höflich angelächelt, und er hat sich verächtlich weggedreht. Immer noch dasselbe arrogante Arschloch. Auf eine direkte Bitte von dir würde er vielleicht freundlicher reagieren.«

Plato explodierte: »Dir gehört ein Hockeyschläger in den Arsch gerammt, Lustmolch ... und ihm auch. E-Mail benutze ich nicht. Das ist was für impotente Lustmolche. Bestell ihm einfach einen Gruß von mir und gib ihm meine Telefonnummer. Sag ihm, mein Arsch ist arg aufgerissen. Ich brauche die Hilfe von dem Faustficker, ehrlich. Wenn du zu schüchtern bist, dann bitte den Goldenen Schmetterling, ihn anzurufen. Für mich wird sie es tun.«

Die Erwähnung des Hockeyschlägers rief Erinnerungen wach. Plato war ein Elefant. Typisch für ihn, sich an Zahids Abneigung gegen diesen Sport zu erinnern. Zahids Vater war Ende des neunzehnten Jahrhunderts Kapitän der panjabischen Universitätsmannschaft gewesen und hatte ein paar Jahre später bei der Olympiade ein Tor geschossen, das dem Land eine Silbermedaille eintrug. Es folgte der Beifall der Nation, aber nicht von seinen kommunistischen Freunden. Von ihrer Verachtung beeinflusst, schlug er das Angebot einer Medaille und eines Geldbetrags seitens der Regierung aus. Zahid war damals sechs Jahre alt, aber der Umstand, dass er umgeben von Sportmedaillen und Pokalen aufwuchs, verstärkte seine Abneigung gegen Hockey noch. Sein Vater hatte sich ebenso erfolgreich in Geschäften betätigt und eine Import-Export-Agentur gegründet, die mit Hilfe von Staatsbeamten, die eine Provision brauchen konnten, gut gediehen war. Darauf hatte Zahid mit dem Eintritt in eine kommunistische Untergrundzelle reagiert und so unsere Freundschaft zementiert. Aber nichts ist im Land der Väter wirklich Untergrund. Jedermann wusste Bescheid.

Zögernd sagte Zahid zu, den fatalen Anruf zu tätigen. Ein paar Stunden später, als ich gerade sorgfältig den Kaffee presste, um mir einen Espresso zu machen, klingelte das Telefon. Mein erster Impuls war, gleich wieder aufzulegen. Allein die Erwähnung von Platos Namen hielt mich zurück. Ich hatte seit fünfundvierzig Jahren nicht mehr mit Zahid gesprochen – seit er Mitte der sechziger Jahre aus Lahore fortgezogen war, um an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore Medizin zu studieren, nachdem er geheiratet hatte.

Um das Land verlassen zu können, benötigte er eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Innenministeriums. Um sich die zu verschaffen, hatte er, so erfuhren wir später, den Aufenthaltsort des Genossen Tipu verraten, eines bengalischen Kommunisten aus Chittagong, der mit uns in Lahore studiert hatte. Tipu war in Sachen marxistische Klassiker wie auch im vorehelichen Geschlechtsverkehr viel gebildeter als wir, und wir hatten eine Menge von ihm gelernt. In jenem verfluchten Frühjahr war er von einem freundlich gesinnten Beamten gewarnt worden, dass er soeben wegen subversiver Umtriebe auf die Fahndungsliste gesetzt worden sei. Tipu fühlte sich geehrt, bekam es aber auch mit der Angst. Niemand denkt gerne an Elektrostäbe, Eiszapfen oder Penisse von Geheimpolizisten, die ihm in einem schmutzigen Keller in der Zitadelle von Lahore in den Hintern gerammt werden. Jemand, den wir alle kannten, war ein paar Jahre zuvor zu Tode gefoltert worden, daher war Angst keine irrationale Reaktion. Tipu beschloss unterzutauchen. Eine Tante von mir in einem abgelegenen, gebirgigen Teil des Landes suchte einen Gärtner. Ich empfahl ihr Tipu, der sich ein paar Gartenhandbücher besorgte und in die Berge zog. Wenige Monate später wurde er aufgespürt und verhaftet. Die Strafverfolgungsbehörde hatte einen Hinweis erhalten, und man hörte einen ranghohen Polizeichef nach ein paar Whiskys im Gymkhana-Club damit prahlen, es sei der Sohn des Hockeystars gewesen, der ihnen den Gefallen getan habe. Ein Vetter zweiten Grades, der das mitbekam, sorgte dafür, dass ich davon erfuhr, aber erst, nachdem Zahid bereits nach Baltimore abgereist war. Die Nachricht verbreitete sich in der Stadt, und ich brach alle Verbindungen zu ihm ab. Jugendliche Arroganz, mal konformistisch, mal rebellisch, lässt selten ernsthaftes Hinterfragen oder Neubewerten von Handlungen, Geschehnissen, Erlebnissen zu. Wir waren nicht anders. Zahid war ein Verräter. Ich strich ihn aus meinem Gedächtnis, wiewohl ich es kaum vermeiden konnte, von seinen Erfolgen als Chirurg zu hören.

Seit Zahid nach London gezogen war, hatten wir uns bei dem einen oder anderen Hochzeitsempfang oder Begräbnis kurz zugenickt, darunter die Beerdigung eines alten Panjab-Kommunisten, dessen Sohn auf Gebeten in der schwelgerischen, aber hässlichen Regents-Park-Moschee bestand. Tipu war auch dort. Er hatte eine bewegte Laufbahn als Waffenhändler hinter sich, und ich sah, wie die beiden sich umarmten. Unterdessen hatte ich von zahllosen schwerer wiegenden und schlimmeren Verrätereien erfahren. Wenn Zahids Verrat auch unverzeihlich war, so fiel er möglicherweise dennoch weniger schwer ins Gewicht. Vor allem aber wollte ich von Plato hören. Und plötzlich wollte ich, nach all den Jahren, etwas über Zahids Frau erfahren. Ein wenig impulsiv und zu meiner eigenen Überraschung sagte ich zu, zum Essen zu ihnen nach Richmond zu kommen.

***

Wir hatten uns fast ein halbes Jahrhundert nicht mehr gesprochen. Im Alter ist die Zukunft begrenzt, und die biologischen Gesetze legen es einem nahe, sich hauptsächlich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Ich aber habe, wenn überhaupt, dann in die andere Richtung tendiert. Warum sich ausschließlich auf die Vergangenheit konzentrieren? Manche Freunde sind reizbar und ultrapessimistisch geworden, sie können in der postmodernen Welt keinerlei Wert erkennen. Biologischer Konservatismus oder unerfüllte alte Hoffnungen – beides führt zu Melancholie, zu von Verzweiflung erfüllten Tagen und von Alkohol befeuerten Abenden.

Schulfreundschaften sind bekanntlich labil. Manche überleben aus rein praktischen Gründen; die privilegierteren Schulen schaffen in jedem Land soziale Netzwerke, die für den Verlust oder das Nichtvorhandensein wahrer Freundschaft entschädigen. Zahid und ich hatten verschiedene Schulen besucht, uns aber jeden Sommer in den Bergen getroffen. Und doch war unsere Freundschaft keine rein saisonale. Wir blieben auch in Kontakt, wenn wir wieder in Lahore waren. Später besuchten wir dasselbe College, und unsere gemeinsame politische Überzeugung schweißte uns noch enger zusammen.

Fast zehn Jahre lang vertrauten wir einander all unsere politischen und sexuellen Phantasien an. Als Zahid sich leidenschaftlich in eine Generalstochter verliebte, bestand er darauf, dass ich ihn auf seiner Vespa zu dem Mädchencollege begleitete, das sie besuchte. Dann warteten wir draußen und folgten ihrem Auto, das wir, kurz bevor es bei ihrem Haus ankam, überholten. Sie merkte es. Gelegentlich lächelte sie. Die Erinnerung an ein einziges Lächeln hielt ihn wochenlang aufrecht. Dann machte sie Examen und wurde bald darauf mit dem Sprössling einer feudalen Familie verheiratet. Zahids Antrag, von seiner Mutter übermittelt, war schroff zurückgewiesen worden. Seine politische Einstellung und die Ehrungsverweigerung seines Vaters machten eine Verbindung zwischen ihm und Töchtern von Armeeoffizieren und Beamten unmöglich. Diese beiden Gesellschaftsgruppen gängelten zu jener Zeit die Heimat, indem sie eine Willkürherrschaft ausübten, die Herz und Stolz des Volkes brach. Der Junge habe keine Zukunft. Wie könne er erwarten, in die Schicht der Privilegierten einzuheiraten?

Zahid jedoch erholte sich und schockierte seine Eltern, als er darauf beharrte, Jindié zu heiraten, die Tochter eines bescheidenen, aber äußerst wohlhabenden chinesischen Schuhmachers in Lahore. Die Familie war moslemisch, doch Klassenvorurteile waren im Land der Väter tief verwurzelt. Die Tochter eines Flickschusters für den einzigen Sohn einer reichen Panjab-Familie? Das komme nicht in Frage. Da könne er ebenso gut eine Negerin heiraten.

Zahid hörte nicht auf sie. »Was sind wir denn?«, höhnte er. »Von Hindus niederer Kaste abstammende Bauern, deren Aufgabe es war, Gemüse zu ziehen für die Herrschenden der Stadt. Unsere Vorfahren haben Rüben und Kürbisse angebaut, Jindiés Vater ist Handwerker. Nur weil er an euren Füßen für Sandalen maßnimmt, denkt ihr, er wäre etwas Geringeres als ihr.« Er heiratete Jindié, die sunehri titli, wie Zahids panjabische Freunde sie nannten – den Goldenen Schmetterling. Ihr Bruder gehörte unserem politischen Zirkel an. Sie war ein Wunder an Schönheit und Klugheit, eine seltene Kombination in Lahore, und strahlte sowohl Fröhlichkeit als auch etwas Majestätisches aus. Sie hatte schmale Lippen und ungemein ausdrucksvolle Augen. Sie hatte mehr Bücher gelesen als wir alle zusammen, und das in drei Sprachen, besaß profunde Kenntnisse der panjabischen Sufi-Dichtung, und wenn sie sang, glich ihre Stimme einer Flöte. Und zuweilen sang sie, meistens, wenn sie sich mit unseren Schwestern und Cousinen allein wähnte und nicht ahnte, dass wir zuhörten. Wir liebten sie alle. Ich mehr als die anderen, und ich glaube, sie hat mich auch geliebt. Sie hatte Zahid geheiratet, kurz bevor sein politischer Verrat ans Licht kam, und ich nahm an, dass sie davon gewusst hatte, was mich sehr verärgerte. Damals war das von Bedeutung. Infolgedessen war auch sie auf den tiefsten Grund meines Gedächtnisses verbannt worden.

Jetzt freute ich mich darauf, Jindié wiederzusehen. Unsere Verbindung hatte hauptsächlich aus Briefen, längeren Telefongesprächen und versuchten Rendezvous bestanden. Als wir uns das letzte Mal allein getroffen hatten, vor fünfundvierzig Jahren, war sie in einem unsäglich verwirrten Zustand gewesen. Voller Scham war sie geflohen.

Das nächste Mal hatte ich sie bei einem Abschiedsessen für einen Professor, der in den Ruhestand ging, gesehen. Sie war mit ihrem Bruder gekommen. Es war ein sehr förmlicher Anlass, aber Koketterie lag ihr ohnehin nicht. Wir sprachen nicht miteinander, sie schien mir in instabiler Verfassung zu sein. Ihre melancholischen Blicke betrübten mich tief, aber ich konnte nichts machen. Einige Monate später erhielt ich einen Brief, worin sie mir ihre Verlobung mit Zahid mitteilte. Es war ein sehr langes Rechtfertigungsschreiben von der Art, wie sie Frauen besser verfertigen können als Männer, zumindest meiner begrenzten Erfahrung nach. Ich war über die Ankündigung ihrer Verlobung so erbost, dass ich nicht bis zum Ende las. In späteren Jahren habe ich mich gefragt, ob der Brief irgendwelche Worte der Zuneigung für mich enthalten hatte. Ich zerriss ihn in kleine Fetzen und spülte ihn in die Tiefen der Stadt. Es war besser, ihn den Kloaken anzuvertrauen, fand ich, wo die Ratten die Schnipsel lesen konnten. Da sie eine Ratte heiratete, sollte sie Glas zu würdigen wissen. Jahre später erzählte mir eine gemeinsame Freundin, sie könne in Jindiés Leben keinerlei peinliche Stellen entdecken. Sie hatte zwei Kinder bekommen, die den Mittelpunkt ihres Lebens bildeten. Ich war neugierig zu erfahren, was aus ihnen geworden war, und aus Jindiés Leben, nachdem sie aus dem Haus waren.

Ich war früh dran und machte einen kurzen Spaziergang am Fluss. Plötzlich hatte ich ein flaues Gefühl im Magen. Vielleicht beging ich doch einen Fehler. Warum wollte ich mich mit Verrat und Treulosigkeit an einen Tisch setzen? In politischen oder emotionalen Konflikten heilt die Zeit nicht immer alle Wunden. Tipus Wechsel von der Politik ins Geschäftsleben rechtfertigte nicht rückwirkend Zahids Verrat. Was Jindié betraf, so hatte ich sehr lange nicht mehr an sie gedacht, und wenn, dann war sie mir als zarter Geist erschienen. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ein Restaurant, gleichsam neutrales Gebiet, vielleicht weniger aufreibend gewesen wäre. Ich ging wieder zu meinem Auto, nahm die Weinflasche heraus und betrachtete das Richmonder Heim der beiden eingehend, ehe ich sie auf mein Kommen aufmerksam machte. Das Haus, eine spätgeorgianische Villa, wirkte sehr gepflegt. Ein gut eingewachsener Garten senkte sich sanft zum Fluss und zu einem kleinen Anlegeplatz, wo ein Boot vertäut war. Doch man hatte mich erspäht, die Glastür wurde aufgeschoben, und Zahid kam heraus, um mich zu begrüßen. Auf seinem Kopf befand sich kein einziges Haar mehr, er war blank und glatt wie ein Carrom-Brett. In Anbetracht unserer Vergangenheit kam eine herzliche oder auch nur flüchtige Umarmung nicht in Frage. Wir gaben uns die Hand. Und dann kam Jindié heraus, und die Wolken verflüchtigten sich. Ihre Haare waren weiß geworden, doch ihr Gesicht war unverändert, und ihre Figur war mit dem Alter nicht auseinandergegangen. Ihr Lächeln genügte, um die brackigen Ufer der Erinnerung zu überfluten. Beim Betreten des Hauses brachte ich ein paar Banalitäten heraus. Während Zahid Getränke holen ging – nur um es zu erschweren, hatte ich nach frischem Granatapfelsaft gefragt und die Auskunft erhalten, das sei möglich –, nahm ich das Innere des Hauses in Augenschein.

Das große Wohnzimmer war konventionell und bot keine Überraschungen. Es hätte aus Interiors stammen können oder einer der vielen anderen Verbraucherzeitschriften, die die Wartezimmer von Zahnärzten verunstalten. Halten sie ihre Patienten alle für hohlköpfig, oder sollen die Hochglanzbilder für die trübselige Ausstattung ihrer Behandlungsräume entschädigen? An den Wänden hingen meist wenig ansprechende Gemälde; jeder Kontinent war unangemessen vertreten. Kein Plato, aber zwei Gouachen seines entsetzlich modischen Konkurrenten I. M. Malik. Auch etliche Schwerter und Dolche befanden sich da, die schon eine Weile nicht mehr abgestaubt worden waren.

Der einzige Gegenstand, der mich beeindruckte, war ein vorzüglich gemaltes chinesisches Bild auf Leinwand, das drei in ein ernsthaftes Gespräch vertiefte Frauen zeigte. Keine Spur davon, dass das irdische Dasein bloße Illusion sei. Hätte man mich zu raten genötigt, wäre meine Vermutung gewesen, das Bild sei Ende des siebzehnten Jahrhunderts von jemandem gemalt worden, der Yongzheng inspiriert hatte oder von ihm inspiriert worden war. Jindié bemerkte meinen anerkennenden Blick und lächelte.

»Echt oder eine Kopie?«

»Das ist keine Kopie. Ein echter Yongzheng. Frühes achtzehntes Jahrhundert. Ein Geschenk von meinem Sohn, als er in Hongkong lebte und mehr Geld verdiente, als ihm guttat. Ich habe keine Ahnung, wie er es geschafft hat, es außer Landes zu bringen.«

Es war noch etwas früh am Abend, um mich nach der Nachkommenschaft zu erkundigen, und ich fragte mich gerade, wo wohl die Bücher aufbewahrt wurden, als Zahid mich am Arm nahm. »Jindié weiß, wie heikel du mit Essen bist. Sie hat heute Abend ein Festmahl bereitet. Während sie letzte Hand anlegt, möchte ich dir gern mein Arbeitszimmer zeigen.«

Sie wirkten glücklich miteinander, was mich freute. Allerdings lag es nicht in Jindiés Natur, im Unglück allzu lange zu verharren. Sie wäre schon vor Jahren fortgegangen.

Das große eichengetäfelte Arbeitszimmer war wahrlich imposant; die vielfältige Sammlung spiegelte die verschiedenen Geschmäcker der Familie wider. Zahid sagte: »Ich habe alle deine Bücher gekauft. Du musst sie signieren, bevor du gehst.« Er sprach Panjabi, wie schon immer, wenn wir unter uns waren. Er wollte aufklären, was damals geschehen war. »Daraji, am meisten hat mich geschmerzt, dass du so schnell zu einem Urteil gelangt bist, ohne mit mir gesprochen zu haben.«

Ich setzte mich auf seinen Schreibtisch und sah ihn an. Seine Augen – sie waren immer noch wie früher – erwiderten meinen Blick. Dann berichtete er mir, was wirklich geschehen war. Sein Vater hatte einen höheren Polizeibeamten bestochen, um die Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erlangen, und alles, was Zahid getan hatte, war, eine eidesstattliche Erklärung zu unterschreiben, dass er kein Mitglied einer kommunistischen Untergrundorganisation sei.

»Wir sind beide nicht mehr jung, Zahid. Wir sollten einander nichts vormachen und Dinge, die nie schön gewesen sind, nicht schönreden. Wer hat Tipu verraten?«

»War ich etwa der Einzige, der wusste, dass er bei deiner Tante arbeitete?«

»Du meinst, es könnte Jamshed gewesen sein?«

»Der war's, der Schwesterficker. Er hat es mir gestanden.«

»Wann?«

»Vor vierzig Jahren, als er noch mit seinem Schamgefühl kämpfte. Er sagte, er könne dir nach alldem nicht mehr in die Augen sehen und bat mich, ihm zu verzeihen, weil er mir die Last der Schande nicht abgenommen habe ...«

»Und ich dachte, er könnte mir nicht in die Augen sehen, weil er ein korrupter, unmoralischer Geschäftsmann geworden ist, der sich mit jedem Militärdiktator gemeinmacht.«

»Gibt es auch andere Geschäftsleute?«

Wir lachten.

»Zahid, du kennst mich besser als die meisten. Überall in Lahore erzählte man sich, dass du es warst. Ich war wütend und habe dich nicht angerufen, aber warum hast du dich nicht bei mir gemeldet? Dein Schweigen hat in meinen Augen deine Schuld bestätigt.«

»Der Polizist, der sich bestechen ließ, hat diese gemeinen Gerüchte gestreut. Mein Vater hatte Angst. Wenn ich ihm getrotzt und es meinen Freunden erzählt hätte, wäre mir die Unbedenklichkeitsbescheinigung vielleicht wieder entzogen worden, und ich hätte das Land nicht verlassen können. Ich wusste, wenn ich es dir erzählte, würdest du den Polizisten zur Rede stellen, mit Journalisten sprechen, es aller Welt mitteilen und überhaupt ein großes Tamtam machen. Das hätte bedeutet, kein Medizinstudium an der Johns-Hopkins-Uni, und ich wollte doch unbedingt Arzt werden. Du hattest mich darin bestärkt. Aber jetzt ist die Zeit der Wahrheit und der Versöhnung. Es gab noch einen Grund, weshalb ich mich nicht bei dir gemeldet habe.«

»Welchen?«

»Jindié. Ich wusste, wie nah ihr euch standet. Du hattest mir alles erzählt, und ich dachte ...«

»›Soll er doch das Schlimmste von mir denken, solange ich Jindié habe.‹«

»So ähnlich.«

»Aber du hast sie nie geliebt. Das hättest du mir gesagt.«

»Stimmt, doch ich mochte sie sehr und wollte gern heiraten. Du hast sie zwar geliebt, warst aber nicht bereit, sie zu heiraten ...«

»Oder sonst eine.«

»Schon, aber so haben sie oder die meisten Mädchen damals nicht gedacht, und ihre Eltern schon gar nicht. Du hast ihr eine verrückte Bohemien-Alternative geboten, und das ausgerechnet in Lahore, wo die Mädchen die Kunst beherrschten, sich so an die Fensterbank zu lehnen, um die Blicke ihrer Liebsten auf sich zu ziehen, dass sie von außen nicht zu sehen waren. Auch von der Logistik her war dein Vorschlag verrückt.«

»Es war eine Prüfung unserer Liebe. Jindié hat nicht bestanden. Was Leben und Logistik der Boheme angeht, so haben unsere Dichter, Professoren und Künstler diesen Stil immer gepflegt, und nicht erst kurz vor der Teilung. Plato hatte eine Liste im Kopf, wer es mit wem trieb und wo ... Boote auf dem Ravi waren gängige Treffpunkte. Ebenso der Lawrence-Garten bei Mondschein, wenn im Zoo die Wölfe heulten. Jetzt führt der Fluss, der unsere Stadt so hochmütig regelmäßig überschwemmte, kein Wasser mehr. Hast du sie damals geliebt?«

»Nein, aber ich habe sie lieben und achten gelernt, und bitte, Dara, akzeptiere das als Tatsache. Wir waren glücklich. Zwei Kinder und ein anbetungswürdiges Enkelkind.«

»Was hat die Produktion von Kindern und Enkelkindern mit Glück zu tun? Ich hoffe, du bist glücklich, weil du sie gernhast, weil du mit ihr über die Welt reden kannst und ...«

»Als ich ihr einen Heiratsantrag machte, sagte sie, für dich könne es niemals einen Ersatz geben. Ihre einzige Bedingung war, dass sie, wenn wir ins Ausland gingen, nie in derselben Stadt leben wolle wie du. Niemals. Da du mich bereits eines Verbrechens für schuldig befunden und verurteilt hattest, das ich nie begangen habe, stimmte ich ihrer Bedingung mit Freuden zu. Dann wurde kein Wort mehr darüber gesprochen.«

»Warum hat sie mir nie geschrieben, dass du unschuldig warst?«

»Da ihr nun beide in derselben Stadt seid, könntest du sie fragen.«

»Ich bin froh, dass Jamshed tot ist. Ich bin froh, dass dir alle Haare ausgegangen sind und du richtig klapprig und alt aussiehst.«

Zahid lachte schallend. Spontan und ungekünstelt, erinnerte mich sein Gelächter daran, wie viel wir in unserer Jugend gelacht hatten. Er betrachtete mich genau.

»Himmel noch mal, wieso hast du dich nicht verändert? Berührt dich denn gar nichts?«

»Ich habe mich verändert, mehr, als du denkst. Aber manche Dinge gehen viel zu tief, und wie anders die Welt auch geworden ist, es ist ein Verbrechen, zu vergessen, was einmal möglich war und es wieder sein wird.«

»Immer die verfickte Politik. Was ist aus Tipu geworden?«

»Er wurde verhaftet, gefoltert und auf Bitten seines Onkels, der Staatsbeamter war, nach Chittagong zurückgeschickt. Der Onkel übernahm die volle Verantwortung für ihn. Tipu blieb in Verbindung. Ich dachte, er wäre im Bürgerkrieg 1971 gefallen, aber er war nur verwundet. Das letzte Mal habe ich ihn auf dem Begräbnis gesehen, wo er dich umarmt hat. Er ist ein Waffenhändler, der seine maoistische Vergangenheit benutzt, um Spitzeldienste für die Chinesen zu leisten. Seine Pariser Ehefrau geht ihm bei der französischen Seite der Geschäfte zur Hand.«

Von unten ertönte ein pompöser, aber eindringlicher Gong. Wir wurden zum Abendessen gerufen. Der Tisch war gedeckt wie ein Kunstwerk. Jindié musste mindestens einen halben Tag darauf verwendet haben.

»Ich hätte nie gedacht, dass ich mal für dich kochen würde.«

»Wenn's nicht schmeckt, tust du's nie wieder.«

Es schmeckte aber. Es war tatsächlich eine gelungene Neuauflage jener Mahlzeit aus der Yunnan-Küche, zubereitet von ihrer Mutter, die ich vor Jahren in der Wohnung ihrer Familie in Lahore genossen hatte. Diese Mahlzeit hatte mich mit der echten chinesischen Küche bekanntgemacht, ohne den Mist, den sie einem in den zwei chinesischen Restaurants in der Stadt auftischten. Um die köstlichsten Erinnerungen an die Vergangenheit zu beleben, hatte Jindié einen wunderbaren Weg gewählt – die Vermischung alter Rezepte mit junger Liebe. Als Erstes gab es drei Sorten Pilze, darunter die meistgeschätzten: chi-tzong, die, auf eine bestimmte Art gekocht, wie Hühnerfleisch schmecken. Dann kan-pa-chun, Trockenpilze, unter Rühren gebraten mit rotem Chili, Frühlingszwiebeln und Rinderfilet, was dem Gaumen so viel Genuss schenkt wie der erste Zungenkuss. Als Hauptgang gab es Hühnchen, gewürzt mit duftenden Kräutern, reichlich Ingwer und weiteren Pilzen und serviert in dem Topf, in dem es gekocht wurde, einem Dampftopf, der mit dem in der Mitte aufragenden Schornstein einer Espressokanne ähnelte. Diese Methode ergibt ein gegartes Huhn, so zart wie Marshmallows, und die köstlichste Hühnersuppe, die ich je probiert habe. Dazu gab es Reisnudeln »Über die Brücke« und nuo-mi, den klebrigen Reis, den man nur in Yunnan und einigen Gegenden von Vietnam bekommt. Meine Gastgeber konnten die gebratenen grünen Chilischoten nicht essen, die einen extra Teller neben mir zierten; auch sie hatte ich bei dem ursprünglichen Festmahl in Lahore zum ersten Mal gekostet.