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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

TITEL (ORIGINAL):

Raising an Organized Child: 5 Steps to Boost Independence, Ease Frustration, and Promote Confidence. Text copyright © 2019, Damon Korb, MD, FAAP

THE ORIGINAL ENGLISH LANGUAGE WORK HAS BEEN PUBLISHED BY:

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The American Academy of Pediatrics

345 Park Blvd | Itasca, IL 60143 | United States of America

Tel: 630/626-6000 | Fax: 847/434-8000 | www.aap.org

Copyright © 2019, The American Academy of Pediatrics. All rights reserved.

WICHTIGE HINWEISE:

Diese Publikation ist eine Übersetzung von Raising an Organized Child, © Damon Korb, MD, FAAP, 2019, herausgegeben von der American Academy of Pediatrics. Diese Übersetzung spiegelt die derzeitige Praxis in den Vereinigten Staaten von Amerika zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung durch die American Academy of Pediatrics wider. Die American Academy of Pediatrics hat diese Publikation nicht in die in dieser Publikation verwendete Sprache übersetzt. Die American Academy of Pediatrics lehnt jede Verantwortung für Fehler, Auslassungen oder andere mögliche Probleme im Zusammenhang mit dieser Übersetzung ab.

Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse. Soweit in diesem Werk Anwendungsempfehlungen gegeben werden, darf der Leser darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Anwendungsformen, -techniken und -häufigkeiten kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung sowie Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Sämtliche Personenbezeichnungen gelten grundsätzlich für jederlei Geschlecht.

© KVM – Der Medizinverlag, Dr. Kolster Verlags-GmbH

Ein Unternehmen der Quintessenz-Verlagsgruppe, Ifenpfad 2–4, 12107 Berlin

www.kvm-medizinverlag.de

1. Auflage 2020

Übersetzung: Felix Kolster, Marburg (Lahn)

Lektorat: Renate Wettach, Frankfurt am Main

Bildquelle Umschlag: picsfive © stock.adobe.com

Gesamtproduktion: KVM – Der Medizinverlag, Berlin

ISBN (epub): 978-3-86867-517-7

ISBN (print): 978-3-86867-500-9

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Eigenständige Kinder – Entspannte Eltern

Wie ich meinem Kind helfe, sich selbst zu organisieren.

Leserstimmen

Wenn Ihre Familie die Situation verlorener Hausaufgaben oder verlegter Schuhe durchgemacht hat, oder das Kinderzimmer aussieht, als wäre soeben ein Tornado durchgefegt, dann ist dieses Buch genau das Richtige für Sie! Dr. Korbs Ratschläge helfen Eltern dabei, die alltägliche Frustration über Hausaufgaben, Routinen, Unordnung und mehr zu reduzieren. Aber noch viel wichtiger: Dr. Korbs Erziehungskonzept, die organisatorischen Fähigkeiten und eigenständigen Handlungen von Kindern zu fördern, bereitet Kleinkinder genau wie Teenager auf langfristigen Erfolg im Erwachsenenleben vor.

– Dr. med. Tanya Altmann (Mitglied der Amerikanischen Akademie für Pädiatrie/AAP), Autorin und Mutter von 3 Kindern

Ein Kind mit ADHS oder anderen Aufmerksamkeits- und Lernproblemen großzuziehen, kann stressig sein. Als Kinderärztin für Entwicklung, die sich auf ADHS und Erziehung spezialisiert hat, freue ich mich darauf, dieses Buch meinen Patienten, ihren Familien und den Lesern meines Blogs zu empfehlen! Es bietet seinen Lesern konkrete, praktische und gut beschriebene Strategien, die Eltern direkt umsetzen können. Die fünf Schritte wiederholen sich, abhängig vom Alter Ihres Kindes. Das bedeutet, dass Sie das Buch nicht auf einmal von Anfang bis Ende lesen müssen, sondern immer wieder darauf zurückgreifen können! Dieses Buch füllt eine Lücke der verfügbaren Erziehungsliteratur für die Unterstützung von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefiziten. Vielen Dank, Dr. Korb!

– Dr. med. Nerissa S. Bauer (MPH, AAP), Kinderärztin für Entwicklung und Bloggerin

Das Buch von Dr. Korb ist nur zu empfehlen. Er lenkt die Aufmerksamkeit von Eltern auf die organisatorischen Fähigkeiten als Schlüssel zum Erfolg. Sein Buch ist schon selbst ein Vorbild für Organisation, wo doch alles (wie Dr. Korb sagen würde) einen Platz zugeteilt bekommen hat. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich die fünf Grundlagen der Organisation auf alle Entwicklungsphasen anwenden lassen. Als jemand, der erst gerade gelernt hat, wie man seinen Autoschlüssel nicht jede Woche aufs Neue verliert, hat das Buch sogar mir geholfen, endlich erwachsen zu werden!

–Prof. Dr. med. Robert Needlman, Co-Autor und Professor für Pädiatrie an der Case-Western-Reserve-Universität für Medizin

Ich werde dieses Buch auf jeden Fall mit meinen Patienten teilen. Dr. Korb beschreibt einen überzeugenden wissenschaftlichen Ansatz zur Entwicklung einer inneren Organisation durch strategische Strukturierung des äußeren Umfelds von Kindern. Dieses Buch wird Eltern und Kinder-Pädagogen helfen, Desorganisation zu vermeiden, und gleichzeitig aufzeigen, wie ältere Schülerinnen und Schüler organisatorische Herausforderungen überwinden können. Organisation ist von entscheidender Bedeutung – und Dr. Korb gibt uns Hoffnung, dass wir sie erreichen.

– Dr. Craig Pohlmann, Autor und Geschäftsführer von Southeast Psych

Eltern, die zu Hause, in der Arbeit und in ihrer sozialen Interaktion hoch organisiert sind, und Eltern, für die Organisation noch eine Herausforderung darstellt, teilen beide den Wunsch, ihre Kinder so großzuziehen, dass sie den Wert von Planung und Organisation schätzen. Dr. Korb motiviert Eltern dazu, ihren Kindern die Prinzipien von Organisation beizubringen. Dadurch verstehen und fördern Eltern die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung. Kinder entwickeln sich unterschiedlich schnell und Dr. Korb berücksichtigt bei seinen altersgerechten Strategien dieses weite Spektrum. Durch dieses Buch können Eltern Verhaltensweisen besser verstehen und effektive Strategien anwenden, um organisiertes Verhalten und Denken zu verbessern. Ein zusätzlicher Vorteil des Buches sind die zahlreichen Erklärungen über die Gehirnentwicklung und deren Auswirkung auf Emotionen und Lernfähigkeit eines Kindes.

– Prof. Dr. med. Martin T. Stein, emeritierter Professor für Pädiatrie an der Universität von Kalifornien in San Diego, Kinderklinik Rady Children’s Hospital

Danksagung

Der Entstehungsprozess von „Eigenständige Kinder – Entspannte Eltern“ war eine liebevolle Arbeit.

Das Schreiben hat in den wenigen kostbaren Momenten stattgefunden, in denen ich nicht mit meiner geliebten Familie oder Arbeit beschäftigt war. Ein Flug hier, eine lange Nacht dort, nebenher beim Fußballtraining, oder einfach in der Pause im Fitnessstudio.

Ich bedanke mich vielmals bei der Amerikanischen Akademie für Kinderheilkunde (American Academy of Pediatrics) für die Veröffentlichung dieses Eltern-Ratgebers. Es war mir eine Freude, mit dem Verlagsteam zusammenzuarbeiten. Vielen Dank auch an meine Lektorin, Holly Kaminski. Sie hat mir nicht nur geholfen, meine Botschaft zu verdeutlichen, sondern war als Mutter in der Lage, den Wert dieses Buches zu erkennen.

Beim Schreiben konnte ich mich auf das breitgefächerte Fachwissen vieler Pädagogen, Psychologen und Ärzte zu den Themen Lernen, eigenständiges Handeln und Entwicklung stützen. Ich schätze ihren Beitrag zu diesem Buch und dem wissenschaftlichen Verständnis der Kindesentwicklung sehr.

Auf meinem Weg hatte ich wundervolle Unterstützer. Meine Eltern, David und Darlene Korb, die mutig genug waren, mich Probleme selbst lösen zu lassen. Danke für die Förderung im Bereich Biopsychologie an Dr. Joseph Kertes. Weiterhin danke ich meiner Mentorin Brenda Lee, die mich durch das Medizinstudium begleitet hat. Ich danke Dr. Stu Teplin, Dr. Lynn Wegner und Dr. Bill Coleman für die Zusammenarbeit im Bereich Pädiatrie für Entwicklung und Verhalten. Danke an meine Mentoren Dr. Brad Berman und Dr. Michelle Macias für ihre sorgfältige Rückmeldung zu diesem Buch. Und herzlichen Dank an Dr. Christopher Greeley und Dr. Nerissa Bauer, die sich ebenfalls Zeit für eine Überprüfung des Manuskripts genommen haben.

Ich bin für die Unterstützung durch meine Familie enorm dankbar. Meine fünf großartigen Kinder Kevin, Cameron, Cassie, Tatum und Alexis sind einfach inspirierend.

Durch euch habe ich mehr über meine Tätigkeit als Kinderarzt gelernt, als ihr euch vorstellen könnt. Dank euch kann ich zu meinen Patienten ernsthaft sagen: „Ich verstehe Sie.“ Denn ich weiß, wie sehr man als Eltern das eigene Kind liebt. Danke, dass ich eure Teams trainieren darf, mit euch Camping-Trips unternehmen kann und euch heranwachsen sehe. Eure Abenteuer machen mich stolz. Danke, dass ich eure Geschichten in diesem Buch mitteilen darf. Hoffentlich helfen eure Geschichten vielen Familien, so organisierte Kinder wie euch großzuziehen.

Für meine Frau Amy. In den 25 Jahren Ehe ist meine Bewunderung für dich jedes Jahr gewachsen. Ich habe so viel durch dich gelernt. Du warst nicht nur Lektorin, sondern eine klare Orientierungshilfe für dieses Buch. Du bist wirklich die am besten organisierte Person, die ich je kennengelernt habe. Als Aktenschränke nicht ausgereicht haben, wurden Computer erfunden, um die ganzen Informationen zu speichern, die du in deinem Kopf organisierst. Du hast mir beigebracht, wie ich angefangene Dinge auch erfolgreich fertigstelle.

Abschließend danke ich meinen wundervollen Patienten und ihren leidenschaftlichen Eltern. Wir lernen gegenseitig. Dieses Buch ist ein Geschenk von und für euch.

EINFÜHRUNG

Unterstützung der Organisation des eigenen Kindes, ein Dilemma

Organisiertes Denken ist ein weit gefasster Begriff. Unaufgeräumte Zimmer oder zerknüllte Blätter im Rucksack sind nur die Spitze des Eisbergs. Denken Sie doch mal an die am besten organisierte Person, die Sie jemals kennengelernt haben. Sicher wird ihr Haus eher ordentlich sein. Aber das Beeindruckende bei diesen Menschen ist doch, wie sie denken. Sie haben stets das Gesamtbild vor Augen. Dadurch treffen sie effektive und selbstbewusste Entscheidungen und besitzen ein präzises Zeitgefühl. Es wirkt, als wären sie immer schon zwei Schritte voraus. Aber wie sieht diese Organisation bei Kindern aus? Nun, sie sind vorbereiteter und unabhängiger als andere Gleichaltrige. Und sie verwickeln sich in weniger Konflikte. Wenn ein Kind jedoch Probleme hat, Einsicht zu zeigen, zu antizipieren oder das Gesamtbild zu begreifen, ist das Gegenteil der Fall.

Ein unorganisiertes Kind großzuziehen, ist für Eltern besonders frustrierend. Denn die Schwierigkeiten des Kindes sind häufig vielseitig und schwer zu definieren.

Simple Aufgaben wie Hausaufgaben abgeben, Schuhe finden oder bettfertig sein werden zu unüberwindbaren Hürden für unorganisierte Kinder. Und trotz zahlreicher Erinnerungen und Ermahnungen bleiben die Schwierigkeiten bestehen. Die Eltern wollen natürlich wissen, warum ihr Kind solche Aufgaben nicht erledigen kann. Sobald das Kind dann eingeschult wird, müssen sich Eltern ständig mit seinen Schwierigkeiten beschäftigen — wobei sie vielleicht zahlreiche Stärken übersehen. Viele Eltern fühlen sich schuldig. Sie beschäftigen sich mit der Frage, ob sie durch die Übernahme zu vieler alltäglicher Aufgaben zur Desorganisation beigetragen haben. Eltern fragen sich, ob sie noch bis in das Erwachsenenalter füttern, anziehen und bei den Hausaufgaben helfen müssen. Wie kann man ein Kind zu einem unabhängigen Erwachsenen erziehen, wenn man gleichzeitig das Gefühl hat, es in jeder Situation unterstützen zu müssen?

Als Kinderarzt im Bereich Entwicklung und Verhalten habe ich die einmalige Gelegenheit, mich um tausende junge Individuen mit Schwierigkeiten in der Schule zu kümmern. Die Gründe sind vielfältig: Variationen bei der neuronalen Entwicklung (wenn sich das Nervensystem, das kontrolliert, wie wir denken, uns bewegen und verhalten, anders entwickelt als erwartet), kognitive Defizite (intellektuelle Fähigkeiten, die weit unter dem Durchschnitt sind), Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite (Probleme betreffend Fokus, Konzentration und Selbstkontrolle) und emotionale Probleme. Viele dieser Kinder besitzen eine Diagnose wie Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Lernschwäche, Zwangsstörung, fetales Alkoholsyndrom, Angst oder häufig eine Kombination dieser Zustände.

Familien teilen mir mit, was für Auswirkungen diese Umstände auf ihr Leben haben: stundenlange Hausaufgaben, der Schmerz, zusehen zu müssen, wie sich das eigene Kind abmüht, und nicht zu vergessen die finanziellen und zeitlichen Opfer für diverse Therapien. Für viele ist die Konsequenz untragbar. Es wurde berichtet, dass 80 % der Ehen mitsamt Kindern mit speziellen Bedürfnissen in Scheidungen enden.13 Ein Kind mit Schwierigkeiten zu haben, ist eine ernsthafte Angelegenheit.

Häufig ist es die Ungewissheit, die Familien belastet. Eltern fragen mich: „Wie wird mein Kind im Erwachsenenalter sein?“ Manchmal fragen sie mich augenzwinkernd: „Wird mein Sohn jemals ausziehen?“ Ich glaube, sie meinen diese Frage nur zur Hälfte spaßhaft. Schließlich ist der Fortschritt langsam. Und die ungewisse Zukunft eines Kindes mit Schwierigkeiten kann angsteinflößend für die Eltern sein.

Ein Kind braucht keine schwere Behinderung, um die Familie zu belasten. Die meisten Kinder haben hier und da Schwierigkeiten wegen subtiler Variationen ihrer neuronalen Entwicklung und Fähigkeiten. Missverstandene Schwächen bei Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Organisation oder sozialer Kognition (wie Menschen Informationen über andere Individuen in täglichen Interaktionen verstehen und anwenden) können den sozialen und akademischen Status eines Kindes negativ beeinflussen. Häufig können diese Schwierigkeiten behandelt werden, sobald das Problem identifiziert ist.

Zum Glück gibt es für die meisten meiner Patienten eine klare, jedoch häufig mühsame Behandlung. Diese Behandlungen nenne ich Aktionspläne für die Entwicklung des Verstands. Zum Beispiel kann ein Kind mit Dyslexie (Leseschwäche) durch eine monate- bis jahrelange intensive Therapie erfolgreich behandelt werden. Wenn es einen klaren Behandlungsplan gibt, stärkt dieser auch die Eltern. Sie fühlen sich nicht mehr hilflos. Eltern sind jedoch häufig mit der Unterstützung des eigenen Kindes überfordert, wenn es keinen Behandlungsplan gibt. Häufig wenden sie sich unbelegten Therapien zu. Hierbei zahlen sie mitunter tausende Euro, was den finanziellen Druck auf die Familie immens verstärkt. Besonders frustrierend ist es für die Eltern, dass diese vielseitigen und schwer zu definierenden Schwierigkeiten häufig allgegenwärtig sind.

Nach jahrzehntelanger Arbeit mit Kindern kann ich mit Sicherheit sagen, dass organisierte Kinder nicht plötzlich auftauchen — sie werden erzogen. Die neuronalen Funktionen für Organisation entwickeln sich kurz nach der Geburt. Im Laufe der Erziehung werden Kinder durch ihre Unabhängigkeit gestärkt. Jedes Kind entwickelt sich einzigartig. Manche Gehirne entwickeln sich früher, andere später. Manche Kinder, wie jene mit ADHS oder Lernschwäche, entwickeln sich anders. Ihnen fallen Aufgaben wie Organisation schwerer. Der Schlüssel ist, Kinder ihrem Entwicklungsstadium entsprechend zu fördern. Indem man sie für das Lernen neuer Fähigkeiten herausfordert, kann man sie dann Schritt für Schritt vorwärtsbringen. Die Anforderungen an Kinder werden mit zunehmenden Alter natürlich immer anspruchsvoller. Und um diesen gerecht zu werden, benötigen sie die Fähigkeit, Organisation zu verstehen und anzuwenden.

Das erklärte Ziel dieses Buches

Die Absicht von „Eigenständige Kinder – Entspannte Eltern“ ist, Eltern einen Ratgeber bereitzustellen. Dieser soll zeigen, wie man ein unabhängiges, selbstbewusstes und organisiertes Kind großzieht. Dadurch mindern Sie einerseits die Frustration Ihres Kindes und fördern andererseits dessen Selbstvertrauen. Der Inhalt soll Ihnen vorerst dabei helfen, die Schwierigkeiten eines unorganisierten Kindes zu verstehen. Missverständnisse sollen aufgeklärt, elterliche Frustration gemindert werden. Folglich können Sie Ihr Kind besser verstehen. Und Sie können es vor allem effektiver unterstützen.

Das Buch gibt Ihnen einen Überblick über die Entwicklung des Gehirns und die damit verbundene Organisation. Hierbei werden zu Ihrer Orientierung angemessene Richtwerte in Abhängigkeit vom Alter gegeben. Die zur Organisation beitragenden Teile des Nervensystems werden erklärt. Es wird Ihnen gezeigt, wie Störungen bei der Entwicklung des Nervensystems den Kindesalltag beeinflussen. Und am wichtigsten: Das Buch gibt Eltern und Lehrern praktische Lösungen, um die organisatorischen Fähigkeiten von Kindern zu entwickeln.

Eltern junger Kinder können ihre Kinder mit diesem Buch direkt gegen zukünftige organisatorische Schwierigkeiten immunisieren.

Eltern, die bereits von der Unordnung ihres Kindes betroffen sind, werden in die Lage versetzt, einen individuellen Behandlungsplan zu erstellen. Dieser besteht aus Strategien, die die organisatorischen Fähigkeiten des Kindes verbessern.

Schließlich können Lehrer wertvolle Tipps und Empfehlungen an Familien bereitstellen. So können organisatorische Defizite von Schülern im Klassenzimmer behoben werden. Denken Sie immer daran: Eigenständige Kinder werden nicht geboren – sie werden großgezogen.

Warum dieses Buch wichtig ist

Organisation wird von den meisten Menschen als eine Art von Planung gesehen. Eine Party muss organisiert werden, genauso wie ein Ausflug. Der Begriff geht aber noch viel weiter. Organisation ist die Fähigkeit, Gedanken zu sortieren, zu verknüpfen und auszudrücken. Man muss sich also von der Vorstellung lösen, dass Organisation nur auf materieller Planung beruht. Natürlich ist ein aufgeräumtes Zimmer das Resultat von organisatorischen Fähigkeiten. Aber das ist nur ein Nebeneffekt. Die wirklich wichtige Funktion von Organisation spielt sich im Gehirn ab und davon ausgehend resultieren praktische Fähigkeiten in zahlreichen Bereichen, von Lernen bis Empathie, Reflexion und Perspektivenwechsel.

Immer mehr Forschungsergebnisse aus den Bereichen Psychologie, Neuropsychologie und Medizin beschreiben, wie das Gehirn organisiertes Denken unterstützt. Außerdem existiert eine Vielzahl von Büchern, die Eltern und Schülern Strategien für die Schule und den Alltag bereitstellen. Es gibt jedoch kein Buch, das die elementaren Gehirnfunktionen mit organisiertem Denkvermögen verknüpft und daraus für Eltern ableitet, wie sie die Eigenständigkeit ihres Kindes entwickeln können. Dieses Buch zeigt Eltern, wie sie ihren Kindern organisiertes Denken beibringen, damit diese schließlich Einfühlungsvermögen zeigen, vorausschauend denken und das Gesamtbild begreifen.

„Eigenständige Kinder –Entspannte Eltern“ soll Sie als Elternteil dazu befähigen, Ihr heranwachsendes Kind angemessen zu unterstützen. Es reicht von der frühesten Kindheit bis zum Teenager-Alter. So können Sie sich mit zunehmenden Alter Ihres Kindes immer auf das passende Kapitel beziehen. Benutzen Sie die vorgeschlagenen Meilensteine oder Richtwerte, um zu verstehen, wieviel Unterstützung Ihr Kind benötigt. Und benutzen Sie die beschriebenen Tipps, wenn Ihr Kind merklich zurückfällt. Vielleicht lernen Sie ja sogar ein bisschen darüber, wie Ihr eigenes organisiertes Gehirn funktioniert. So erlangen wir die Erkenntnis, dass wir alle verschieden denken und Stärken sowie Schwächen haben. Dadurch verstehen wir, dass jedes Kind einen einzigartigen Weg geht.

Benutzung dieses Buches

Ihrem Kind organisiertes Denken beizubringen, ist meiner Meinung nach der beste Weg, es auf das Erwachsenenleben vorzubereiten. Denken Sie an folgendes Sprichwort: „Gib einem Mann einen Fisch und du nährst ihn für einen Tag, lehre einen Mann zu fischen und du nährst ihn ein Leben lang.“ Viele Eltern machen den Fehler, ihren Kindern einzelne Fähigkeiten beizubringen, anstatt ihnen eigenständiges Denken beizubringen. Natürlich können Sie Ihrem Kind das Alphabet mit 2 oder das Lesen mit 3 Jahren beibringen. Das ist wie ein cooler Party-Trick und es macht Spaß, damit vor Freunden anzugeben. Aber es ist relativ unbedeutend für den späteren sozialen und akademischen Erfolg Ihres Kindes. Es ist am effektivsten, wenn Ihre Bemühungen darauf abzielen, Ihr Kind zu einem organisierten Denker zu erziehen. Denn dieser ist besser auf das Lernen vorbereitet. Er kann vergleichen und kontrastieren, verschiedene Ausgänge berücksichtigen, seine eigene Meinung formulieren, schaffen und erfinden.

Erwachsene (sowohl zu Hause als auch außerhalb des Hauses) fördern die Entwicklung der exekutiven Funktionen (für Planung, Aufgabenerledigung und Selbstkontrolle benötigte Fähigkeiten des Gehirns) eines Kindes. Das gelingt, indem Sie Kindern gegenüber Vertrauen zeigen und sie schrittweise selbstbestimmt handeln lassen. Das Kind übernimmt die „exekutive“ Rolle. Die Kunst liegt darin, Kinder durch eine angemessene Erwartungshaltung zu unterstützen und sie so in einem individuellen Tempo voranzubringen — nicht zu schnell, nicht zu langsam. Junge Kinder brauchen mehr Aufsicht und Unterstützung, um ihre Umwelt zu organisieren. Sobald sie älter werden, brauchen sie zunehmende Möglichkeiten, eigene Entscheidungen zu treffen und zu reifen.4, 5 Es scheint, als würden ordentliche und berechenbare Umgebungen die Entwicklung der exekutiven Funktionen begünstigen.4, 6 Eine förderliche Umgebung bietet direkte Fürsorge, Beständigkeit und Schutz vor dauerhaftem Stress.

Kinder sind verschieden. Die Körpergröße ist ein perfektes Beispiel hierfür. Manche Kinder wachsen sehr früh, andere wachsen später. Das Gleiche gilt auch für das kognitive Wachstum (Gehirnentwicklung). Also lernen Sie Ihr Kind kennen und unterstützen Sie es auf einem angemessenen Niveau. Manche Kinder haben von Natur aus stärkere organisatorische Fähigkeiten. Andere brauchen mehr Unterstützung. Eine großartige Erziehung überwindet riesige Hindernisse. Und wenn eine gute Erziehung ausbleibt, hat auch das talentierteste Kind Schwierigkeiten, sich zu benehmen, zu sozialisieren und in einer produktiven Weise zu lernen. Ob ein Kind die Schritte der Eigenständigkeit meistert, hängt von dem Geschick der Eltern ab, organisatorische Fähigkeiten zu vermitteln und bei ihren Kindern zuzulassen.

Organisation dieses Buches

Der Inhalt von „Eigenständige Kinder – Entspannte Eltern“ ist so angeordnet, dass er dem Entwicklungsstadium des Kindes entspricht. Dadurch können Eltern das Niveau der organisatorischen Fähigkeiten ihres Kindes besser verstehen und den Grad der benötigten Unterstützung entsprechend anpassen.

Jedes der folgenden Kapitel greift bestimmte Strategien auf, um die Entwicklung der Eigenständigkeit Ihres Kindes zu unterstützen. Die Eigeninitiative der Kinder wird gefördert. Meine mehr als 20-jährige Erfahrung als Kinderarzt und Vater half mir, Folgendes zu verstehen: Die Erziehung eigenständiger und organisierter Kinder folgt grundlegenden Prinzipien. Dieses Buch zeigt altersgerechte Erwartungen an organisatorisches Denken und erklärt die fünf Schritte, um eigenständige Kinder großzuziehen.

1.Sei beständig.

2.Führe Ordnung ein.

3.Teile allem einen Platz zu.

4.Übe vorausschauendes Denken: Planen, Schätzen und Kreativität.

5.Fördere Problemlösung.

In sehr jungem Alter sind die ersten Schritte am wichtigsten — angefangen mit Beständigkeit. Wenn Kinder größer werden, bleiben diese ersten Schritte immer noch bedeutend. Aber zusätzliche Schritte wie das Einführen von Ordnung und die Zuteilung von bestimmten Plätzen werden immer wichtiger. Sobald ein Kind in den Kindergarten kommt und das Gehirn anfängt, Konzepte zu verstehen, gewinnen vorausschauendes Denken und Problemlösung zunehmend an Bedeutung. Ab diesem Punkt sind alle Schritte maßgebend. Aber die Vermittlung von Fähigkeiten variiert natürlich je nach Alter und Entwicklung.

Genau deswegen sind die Maßnahmen nach Alter geordnet So haben Sie eine Vorstellung, wann ein neuer Meilenstein in der Kindesentwicklung normalerweise erreicht wird. Andererseits wird Ihr Kind möglicherweise nicht dem Durchschnitt entsprechen. Vielleicht ist es auf einem Gebiet weit voraus und auf dem nächsten hinterher. Daher ist es wichtig, die Entwicklung den individuellen Bedürfnissen entsprechend zu fördern und nicht nach dem chronologischen Alter. Schließlich bringt es nichts, altersgerechte Fähigkeiten zu fordern, wenn das eigene Kind organisatorische Defizite aufweist. Starten Sie auf dem Level Ihres Kindes. Sobald es Fortschritte macht, können Sie die Anforderungen schließlich schrittweise erhöhen.

Meine Erfahrung mit Organisation

Als Vater von fünf Kindern und Ehemann einer beachtlich organisierten Ehefrau habe ich reale Erfahrung mit der Erziehung eigenständiger Kinder. Zusätzlich habe ich als Trainer im Jugendsport mehr als 20 Spielzeiten begleitet, und meine älteren Kinder trainieren jetzt in College-Teams. Coaching hat mir die Möglichkeit gegeben, zu beobachten, wie organisatorisches Denken außerhalb des Klassenzimmers aussieht. Ich habe gelernt, dass die gleichen organisatorischen Fähigkeiten in der Schule, aber auch im Sport und bei der sozialen Interaktion wertvoll sind. Ich hoffe, dass die folgenden Geschichten über meine Familie, Patienten, Arbeit und Erfahrungen als Trainer Ihnen die Erkenntnis gibt, dass alle Kinder Schwierigkeiten haben und dass sie mit Geduld und Förderung zu glücklichen und aufblühenden Erwachsenen heranwachsen können.

Nochmal zur Erinnerung: Dieses Buch soll Sie als Elternteil dazu befähigen, Ihr heranwachsendes Kind angemessen zu unterstützen. Es reicht von der frühesten Kindheit bis zum Teenager-Alter. So können Sie mit zunehmendem Alter Ihres Kindes jeweils auf das passende Kapitel zurückgreifen. Benutzen Sie die vorgeschlagenen Meilensteine oder Richtwerte, um zu verstehen, wieviel Unterstützung Ihr Kind benötigt. Und benutzen Sie die beschriebenen Tipps, wenn Ihr Kind merklich zurückfällt. Vielleicht lernen Sie ja sogar ein bisschen darüber, wie Ihr eigenes organisiertes Gehirn funktioniert. So erlangen wir die Erkenntnis, dass wir alle verschieden denken und Stärken sowie Schwächen haben. Dadurch verstehen wir, dass jedes Kind einen einzigartigen Weg geht.

INHALTSVERZEICHNIS

Danksagung

EINFÜHRUNGUnterstützung der Eigenständigkeit des eigenen Kindes, ein Dilemma

KAPITEL 1Kindesentwicklung und Gehirnorganisation

KAPITEL 2Die fünf Schritte zur Eigenständigkeit eines Kindes

KAPITEL 3Erziehung eines organisierten Säuglings: Die Bindungsjahre

KAPITEL 4Erziehung eines organisierten Kleinkindes: Die großen Abenteurer

KAPITEL 5Erziehung eines organisierten Kindergartenkindes: Rasante Gehirnentwicklung

KAPITEL 6Erziehung eines organisierten Schülers: Meister der Routinen

KAPITEL 7Erziehung eines organisierten Teenagers: Vorbereitung für den Start ins Leben

KAPITEL 8Organisierte Kinder werden großgezogen

ANHANGA: Missverstandene Gemüter

B: Einführung von Mini-Routinen

C: „Mind Mapping“

Quellenangaben

Literatur

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KAPITEL 1

Kindesentwicklung und Gehirnorganisation

Die in „Eigenständige Kinder – Entspannte Eltern“ beschriebenen Konzepte und Empfehlungen werden direkt oder indirekt durch jahrelange wissenschaftliche Forschung gestützt – Forschung darüber, wie sich das Gehirn mit zunehmendem Alter herausbildet und wie sich organisatorische Fähigkeiten mit der Zeit entwickeln. Der Fokus dieses Kapitels liegt auf der wissenschaftlichen Entdeckung und dem faszinierenden Prozess, durch den Klinikärzte das organisierte Gehirn verstehen konnten. Es bietet Hintergrundwissen über die medizinischen Grundlagen, auf die sich schließlich die praktischen Tipps stützen.

Folglich ist der Inhalt dieses Kapitels fachlicher gehalten als der Rest des Buches. Das Material ist für Leser bestimmt, die mehr über die wissenschaftlichen Hintergründe der Entwicklung eines organisierten Verstandes erfahren wollen. Denn alle Eltern wissen: Selbst Kindergartenkinder fragen nach den meisten unserer Bitten und Aufforderungen: „Warum?“ Schließlich wissen sogar sie, dass Erklärungen wichtig sind. Dieses Kapitel fokussiert sich auf das „Warum?“ und die folgenden Kapitel erklären das „Wie?“. Deshalb ist das Verständnis dieses Kapitels keine Voraussetzung dafür, dass Sie die späteren praktischen Ratschläge umsetzen können.

Organisation der kognitiven Funktionen

Organisiertes Denken beinhaltet mehr als Unordnung oder Pünktlichkeit. Ein organisiertes Kind hat nicht nur die kognitive Fähigkeit (Gedächtnis und Denkvermögen), zeitliche und räumliche Beobachtungen und Daten (Informationen über Reihenfolge, Form und Größe) zu speichern und auf sie zurückzugreifen. Es hat vor allem die Fähigkeit, Informationen auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu verarbeiten. Das organisierte Gehirn besitzt die Fähigkeit der übergeordneten Kognition. Dazu gehören Konzeptualisieren, Perspektivenwechsel, Kreativität und komplexe Entscheidungsfindung. Diese Gedankengänge benötigen ein sehr kompliziertes System neurologischer Integration (Nervenstränge, die Informationen miteinander verbinden).

Das Gehirn basiert auf einem komplizierten Netzwerk zusammenhängender Gehirnfunktionen. Und diese Organisation ähnelt dabei dem Aufbau einer Großstadt. Städte sind in Bezirke für Industrie, Wohnen, Shopping und Unterhaltung eingeteilt. In der Stadt sind die Bezirke durch kreuz und quer verlaufende Schnellstraßen verbunden. Der Verkehr läuft hin und her.

So ähnlich ist das Gehirn in Bereiche mit verschiedenen Funktionen des Nervensystems eingeteilt. Hierzu gehören zum Beispiel Gedächtnis, Sprache, räumliche und sequenzielle Verarbeitung sowie Bewegungskontrolle. Von einem Schüler geforderte Fähigkeiten, wie den eigenen Namen zu schreiben, an die Hausaufgaben zu denken oder Völkerball zu spielen, benötigen eine präzise Kommunikation zwischen diesen Gehirnregionen. Denken Sie zum Beispiel an eine simple Aufgabe wie das Anziehen am Morgen. Für diese Aufgabe muss das sensorische und motorische Nervensystem zusammenarbeiten. Man benötigt einerseits Balance und Koordination, andererseits Gedächtnis, um beispielsweise zu merken, dass Unterwäsche vor der Hose angezogen wird. Folglich kreiert das Gehirn einen „Plan für das Anziehen“, der abgespeichert und jeden Morgen abgerufen wird. Details wie den Reißverschluss zu schließen und die Schuhe zu binden, müssen auch beachtet werden. Und das Binden der Schuhe ist wiederum Teil der sequenziellen Verarbeitung, denn für eine richtige Schleife sind mehrere Schritte notwendig. Sie sehen also: Selbst für einfache Aufgaben wie das Anziehen muss das Gehirn des Kindes eine komplizierte Abfolge diverser Gehirnfunktionen leisten. Wenn man es so sieht, ist es doch fast ein Wunder, dass es Kinder jeden Tag in die Schule schaffen.

Nervenstränge im Gehirn haben die gleiche Funktion wie Straßen in einer überfüllten Stadt. Sie ermöglichen die Kommunikation zwischen verschiedenen Gehirnregionen. Das Nervensystem ist wesentlich komplizierter als das verstopfte Straßennetz von Los Angeles. Tatsächlich gibt es Billionen brillant abgestimmter Nervenbahnen, über die Informationen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit rasen. Diese Nerven ermöglichen die Kommunikation zwischen verschiedenen Gehirnregionen. Bei so viel Verkehr mit so hohen Geschwindigkeiten im Gehirn würde man doch erwarten, dass häufig auch „Unfälle“ auftreten. Und wenn solche „Unfälle“ auftreten, was tatsächlich vorkommt, wie würden sie aussehen? Stellen Sie sich ein Kind vor, das im Unterricht die Hand hebt. Der Lehrer nimmt es dran, doch der Schüler vergisst, was er sagen wollte. Denken Sie an ein Kind, das mit den Antworten herausplatzt, obgleich der Lehrer noch spricht, oder das die telefonierenden Eltern einfach unterbricht. Beachten Sie das Kind, das einen emotionalen Zusammenbruch bekommt, wenn es nicht nach seiner Vorstellung läuft. Wenn sich Kinder nicht von dem Fernseher oder Computer trennen können, um sich für die Schule fertig zu machen, kann ein solcher mentaler Zusammenbruch auftreten. Diese Zusammenbrüche treten bei allen Menschen auf. Sie passieren jedoch frequentierter, wenn das Gehirn einer Person ungenügend organisiert ist.

Gehirnentwicklung

Die Feinheiten und Funktionsweisen des Gehirns sind ein nie endendes Abenteuer. Jede Entdeckung wirft weitere Fragen auf. Die Forschung des letzten Jahrhunderts gewährt uns einen Einblick in die Frage, wie das Gehirn organisiertes Denken unterstützt. Wir wissen nun, dass es bestimmte Regionen im Gehirn gibt, die zusammenarbeiten und organisiertes Denken und Handeln unterstützen. Manche Entdeckungen passierten aus Versehen (dennoch hilfreich, obwohl sie zufällig bei einer Forschung zu einem anderen Thema gemacht wurden), beispielsweise solche, die bei der Untersuchung unbeabsichtigter Gehirnverletzungen auftraten. Neuere Erkenntnisse für unser Verständnis des Gehirns sind durch moderne, aufregende Technologien wie das Neuroimaging entstanden. Das Imaging (Bildgebung) des Gehirns erlaubt es nicht nur, Aufnahmen verschiedener Gehirnregionen zu machen. Man kann vielmehr den Blutfluss innerhalb des Gehirns betrachten, während Patienten verschiedene Denkaufgaben lösen. Der Zusammenhang besteht darin, dass die aktivierten Gehirnregionen mehr Blut für die Sauerstoffversorgung benötigen. Teile der exekutiven Funktionen (für Planen, Aufgabenerledigung und Selbstkontrolle benötigte Fähigkeiten des Gehirns) können mit spezifischen Papier-und-Stift-Denkaufgaben gemessen werden. So können die Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Organisation direkt in der Arztpraxis betrachtet werden. Mit diesen Messmethoden können nun Menschen mit Schwierigkeiten und Hochbegabungen untersucht werden. Wissenschaftler können so das kollektive Verständnis über die effiziente Funktionsweise des Gehirns erweitern. Mit diesen Werkzeugen lassen sich durch die Untersuchung von Kindern verschiedenen Alters Richtwerte oder Meilensteine für die Kindesentwicklung ableiten. Anhand dieser können Eltern erkennen, wieviel Unterstützung ihr Kind benötigt.

image Der berühmte Fall des Phineas Gage

Seit dem berühmten Fall des Phineas Gage wird der Frontallappen in der wissenschaftlichen Literatur mit den exekutiven Funktionen assoziiert. Phineas Gage ist die erste ausführlich dokumentierte Person, die eine schwere Gehirnverletzung überlebt hat. Die folgende Persönlichkeitsveränderung ließ Wissenschaftler vermuten, dass bestimmte Gehirnfunktionen in bestimmten Gehirnregionen lokalisiert sind. Phineas Gage war Vorarbeiter einer Eisenbahnbaukolonne. Am 13. September 1848 haben er und seine Crew Sprengstoff verwendet, um den Weg für die Rutland-Burlington-Eisenbahnstrecke in Vermont freizuräumen. Als Gage gerade mit einem Stopfeisen Schießpulver in das Loch eines Felsens drückte, führte ein Funke zu einer versehentlichen Explosion. Diese feuerte die 1 m lange und 3 cm breite Stange durch seinen Kopf. Das Stopfeisen trat unterhalb seines linken Wangenknochens ein, flog vollständig durch die Oberseite des Kopfes und landete 23–27 m hinter ihm. Gage wurde zwar von der Explosion umgeworfen, blieb jedoch möglicherweise bei Bewusstsein, obwohl der Großteil der linken Hälfte des Gehirns zerstört war!

Auf wundersame Weise überlebte Gage den Unfall; wahrscheinlich aufgrund der hohen Hitze, sodass die Blutgefäße kauterisiert oder versiegelt wurden, sodass es nur begrenzt zu Blutungen kam. Er wurde für zehn Wochen in ein Krankenhaus eingewiesen und dann entlassen, um sein alltägliches Leben fortzusetzen. Gut neun Monate später fühlte sich Gage stark genug, seine Arbeit fortzusetzen. Jedoch hatte er Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Berichten zufolge war er vor dem Unfall ein kompetenter und effizienter Arbeiter und Team-Koordinator. Nach dem Unfall war er jedoch ungeduldig, starrsinnig, unruhig und ziemlich vulgär. Er war nicht in der Lage, seine Zukunftspläne umzusetzen. Seine Freunde sagten, dass er „nicht mehr Gage“ gewesen sei. Gage lebte weitere elfeinhalb Jahre. Seinen Beruf als Vorarbeiter nahm er nie wieder auf. Stattdessen arbeitete er in Ställen in New Hampshire und Chile. Außerdem war er für ein paar Jahre eine lebende Ausstellung in New York. Er starb 1860 und sieben Jahre später wurde sein Körper für Forschungszwecke exhumiert. Sein Schädel und das Stopfeisen sind nun in der medizinischen „Countway“ Bibliothek der Harvard University ausgestellt. Die Relikte sind ein Symbol der frühen Gehirnforschung.

In der letzten Zeit haben Forschungen über Gehirnverletzungen, vor allem Schlaganfälle, geholfen, isolierte Gehirnfunktionen schematisch zu beschreiben. Ein Schlaganfall tritt auf, wenn die Blutversorgung einer Gehirnregion beeinträchtigt ist. Manchmal können diese Vorfälle ganz bestimmte Gehirnregionen betreffen. Kommt es zu einem Schlaganfall im präfrontalen Cortex durch die Blockade oder ein Leck eines Blutgefäßes, können Mediziner anhand von Beeinträchtigungen bei bestimmten Alltagsaufgaben Rückschlüsse auf den genauen Ort der Gehirnverletzung ziehen. Alltagsaufgaben (wie Kochen, Haushalt, Einnahme verschriebener Medikamente) benötigen Planung. Diese scheint von bestimmten zerebralen Gefäßverletzungen (z. B. Schlaganfällen) negativ beeinträchtigt zu werden. Die Folgen von Verletzungen des präfrontalen Cortex wurden bei Rehabilitationen dokumentiert.7 Claudia Allens Test der kognitiven Fähigkeiten (Allen Cognitive Level Screen (ACLS)) bewertet die Leistungen des Patienten bei den exekutiven Funktionen.8 Die Ergebnisse beziehen sich auf Alltagsaufgaben, die Planung benötigen. Mit Neuroimaging und Messmethoden wie dem ACLS können Wissenschaftler folglich bestimmte Hirnregionen mit bestimmten Fähigkeiten verknüpfen.

Durch modernes Neuroimaging sehen wir Live-Aufnahmen des denkenden Gehirns. Die Technologie erlaubt es Wissenschaftlern, die Sauerstoffzufuhr genau zu verfolgen, während Kinder denken (z. B. Rechnen oder Puzzle lösen). So können sie feststellen, welche Gehirnregionen bei bestimmten Arten des Denkens aktiv sind. Außerdem können elektrische Ströme durch die quantitative Elektroenzephalographie (QEEG) gemessen werden, da Nerven durch eine Spannung stimuliert werden. Beim Denken lassen sich also im Gehirn elektrische Ströme feststellen. Bei so präzisen Messmethoden stellt sich doch die Frage, warum man nicht von jedem Kind ein Neuroimaging macht, sodass man feststellen kann, ob das Kind ADHS, Autismus oder etwas anderes hat.

Die Antwort auf diese Frage ist kompliziert. Von dem geringen gesundheitlichen Risiko dieser Tests abgesehen, liegt es vor allem an der Ungenauigkeit. Diese medizinischen Tests erzielten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches in den meisten Fällen keine genauere Diagnose als ein guter Mediziner im Patientengespräch. Die Schwierigkeit liegt darin, dass jedes Gehirn in der Vernetzung einzigartig ist. Eine Diagnose wäre einfach, wenn jedes Gehirn gleich aufgebaut wäre und man ein Nervenbündel finden könnte, das an der falschen Stelle sitzt. Tatsächlich hat jedoch jedes Gehirn eine ganz eigene Architektur.

Um die Variabilität im Gehirn zu erklären, eignet sich ein Streudiagramm. Ein einfaches Beispiel ist die Schätzung des Geschlechts einer Person anhand der Haarlänge. Die meisten Mädchen wären auf der Langhaar-Seite des Streudiagramms, die meisten Jungs auf der Kurzhaar-Seite. Dann gibt es aber einige Mädchen, die kurze Haare haben, und wiederum Jungs, die längere Haare als viele Mädchen besitzen. Folglich kann man das Geschlecht in Abhängigkeit von der Haarlänge nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schätzen. Das Gleiche gilt auch für einen SPECT-Scan oder ein QEEG, zumindest zu diesem Zeitpunkt. Diese Verfahren können eine Verhaltensdiagnose nur anhand von typischen Mustern mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit schätzen.

Durch Studien zu Gehirnverletzungen junger Kinder wissen wir, dass man mit dem Wort „typisch“ aufpassen muss, denn Gehirne sind plastisch. Das heißt, Gehirne können sich in ihrer Struktur verändern und anpassen. Nehmen wir als Beispiel ein Kind, das seinen Arm aufgrund eines Schlaganfalls nicht mehr heben kann. Dann ist es möglich, dass das Gehirn durch eine geeignete Physiotherapie eine „Alternativverbindung“ für diese Funktion kreiert. Das Gehirn ist zu strukturellen Veränderungen fähig! Folglich ist es schwierig, eine Diagnose mit von „typischen“ Werten abhängiger Computer-Technik zu stellen. Dennoch wird Technologie für zukünftige Forschung und Entdeckung eine große Rolle spielen. Ihr Kinderarzt kann Ihnen sicher die Vor- und Nachteile neuer Diagnose-Techniken erklären.

Exekutive Funktionen

Die exekutiven Funktionen werden vor allem im präfrontalen Cortex gesteuert; eine Region, die etwa 5 cm von der Vorder- und Oberseite des Gehirns angesiedelt ist. Das Zentrum der Organisation im Gehirn wird auch „Zentrum der exekutiven Funktionen“ genannt. Es steuert die Selbstkontrolle, räumliche und sequenzielle Verarbeitung, Gedankenwechsel und gleichzeitige Verarbeitung. „Sequenzielle Verarbeitung“ beschreibt die Verarbeitung von Reihenfolge und Zeit. „Räumliche Verarbeitung“ bezieht sich auf die räumliche Lage. Durch Gedankenwechsel kann das Gehirn sanft von einem Gedanken auf einen anderen umspringen. Das Prinzip der gleichzeitigen Verarbeitung ist jedoch komplizierter.

Gleichzeitige Verarbeitung bezieht sich auf die Fähigkeit des Gehirns, über mehr als eine Sache auf einmal nachzudenken. Diese Veranlagung wird häufig auch Arbeitsspeicher genannt. Betrachten Sie den Arbeitsspeicher als große Tafel, auf der viele Informationen gleichzeitig stehen. Auf einer Tafel ist es beispielsweise viel einfacher, eine mathematische Rechnung durchzuführen, als sich die ganzen Rechenschritte zu merken. Das Gleiche gilt für das Merken einer Telefonnummer. Wenn der Arbeitsspeicher intakt ist, kann das Gehirn mehrere Gedanken gleichzeitig verarbeiten.

Wie lässt sich das auf Organisation anwenden? Nun, die meisten organisierten Gedanken werden durch den Arbeitsspeicher verarbeitet. Er ist wie der Hauptbahnhof für jegliche Organisation im Gehirn. Planen hängt mit ihm zusammen. Schließlich kann ein Kind so über mehrere Schritte gleichzeitig nachdenken – vorausdenken. Der Arbeitsspeicher ist ebenso für einen Perspektivenwechsel notwendig. Wenn ein Kind zum Beispiel etwas mit seinem Freund teilt, denkt das Kind nicht nur über sich nach, sondern beachtet auch die Perspektive seines Spielkameraden. Der Arbeitsspeicher eines Kindes funktioniert wie ein Dropdown-Menü (Liste von passenden Optionen) eines Computers.

Jüngere Kinder haben weniger Kontrolle über ihren Arbeitsspeicher. Folglich zeigen sie mehr unorganisiertes Denken. Häufig reagieren junge Kinder, manchmal auch ältere, in der gleichen, unangepassten Weise. Sie haben oftmals einen Verneinungsreflex. Die Mutter eines Patienten erklärte mir, dass ihr Sohn auf alles mit „Nein“ antwortet, unabhängig von der Frage. Egal ob sie „Bring den Müll bitte raus“ fordert, oder „Lass’ uns ins Kino gehen“ anbietet, seine erste Antwort ist immer „Nein“. Es spielt keine Rolle, wie sehr er das Kino mag – selbst wenn sein Lieblingsfilm kommt, seine Antwort lautet „Nein“. Kinder mit Verneinungsreflex haben häufig ein fehlerhaftes Dropdown-Menü. Diese Optionslisten sind wie Computer organisiert. Wenn ein organisiertes Mädchen beispielsweise mit einem Dilemma wie Freizeit konfrontiert ist, öffnet sich dieses fiktive Dropdown-Menü und ihr fallen zahlreiche Möglichkeiten ein. Wenn dieses Dropdown-Menü jedoch nicht direkt erscheint, entscheidet sich ein unorganisiertes Kind häufig für eine Standard-Beschäftigung, welche heutzutage häufig ein Computerspiel oder ein soziales Netzwerk ist. Der Verneinungsreflex tritt häufig bei 2-jährigen Kindern auf, denn Zweijährige sind natürlich per Definition noch nicht organisiert. Die Antwort ist meistens „Nein“. Wenn dieses Problem jedoch auch noch mit über 5 Jahren auftritt, sollten Sie es mit Ihrem Kinderarzt besprechen.Wenn Kinder älter werden, wird ein fehlendes direktes Dropdown-Menü mit diversen Optionen manchmal als Langeweile interpretiert. Kinder erscheinen häufig einfach deswegen gelangweilt, weil sie nicht an eine Vielzahl von Optionen denken können.

Die kognitiven, exekutiven Funktionen, wie gleichzeitige Verarbeitung, räumliche und sequenzielle Verarbeitung sowie Gedankenwechsel, ermöglichen die folgenden komplizierten Gedankengänge und mehr:

Einprägung von Mustern

Vorausschauendes Planen

Flexibles Denken (Berücksichtigen und Entwerfen verschiedener Antworten oder Verhaltensoptionen)

Einfühlungsvermögen zeigen oder das Gesamtbild begreifen

Lokalisierung der eigenen Gegenstände

Reibungsloser Übergang von einer Aufgabe zur nächsten

Bewegungskoordination beim Sport (Bewegungsablauf)

Effektive Kommunikation

Perspektivenwechsel