Angela Fischer

Frau sein – sensibel und stark

Angela Fischer

Frau sein –

sensibel und stark

Mit der Kraft weiblicher Spiritualität

das Leben neu gestalten

1. Auflage 2020

© Crotona Verlag GmbH

Kammer 11 • D-83123 Amerang

www.crotona.de

Inhalt

Vorbemerkung

Einleitung

Der 1. Kreis: Die weibliche Beziehung zum Leben

Prolog

Leben gebären

Für das Leben sorgen

Die Ganzheit des Lebens wahrnehmen

Das Heilige und die Achtung vor dem Leben

Die Abwesenheit weiblichen Wissens und weiblicher Kraft in der Welt

Der Zustand der Natur und der Zustand der Frauen

Übung

Der 2. Kreis: Die Heilung des Weiblichen

Verwundung und weibliches Leiden

Die Verwundung annehmen

Weibliche Verwundbarkeit

als spirituelle Qualität

Das Annehmen ist ein Prozess

Loslassen

Die Erlösung des dunklen Weiblichen

Abschied von Wut, Zorn und Rache

Jenseits der Scham

Die Schuldgefühle überwinden

Der Bruch im Weiblichen selbst

Lieben und Verzeihen

In die Kraft kommen

Orte der Kraft

Übung

Der 3. Kreis: Die Heilung der Welt und der Beitrag des Weiblichen

•  Die Heilung der Erde

Gnade

Wandlung im Inneren – Wandlung im Außen

Die alte Erde gehen lassen, die neue begrüßen

Eine neue Beziehung zum Leben – Das Bewusstsein der Einheit.

•  Der Beitrag des Weiblichen

Wertschätzung des Weiblichen

Empfänglichkeit und Zuhören

Nahrung und Fürsorge

Das Netz des Lebens

•  Der Beitrag der Frauen

Vergeben und Frieden schließen

Der Tanz mit dem Leben

Übung

Der Schlusskreis: Am Anfang steht eine Vision

Vorbemerkung

Das Leben vollzieht sich in Kreisen.

Man stelle sich vor, man stehe am Ufer eines Sees und jemand wirft einen Stein ins Wasser. Es bilden sich Kreise, unaufhörlich neue Kreise, die sich ausdehnen und irgendwann wieder verschwinden. Dann wird ein weiterer Stein geworfen, und noch einer … Die Kreise beginnen sich zu berühren, zu überschneiden. Es entstehen kleine Wellenbewegungen auf dem Wasser, die unvorhergesehene Muster bilden. Die Betrachtung zieht uns hinein in eine Faszination, die gleichzeitig eine besondere Stille mitschwingen lässt.

Während ich an diesem Buch schrieb, ging es mir ähnlich. Ich beobachtete die Kreise, die entstanden – und immer waren es Kreise und niemals Linien, die sich bildeten und vor meinem inneren Auge erschienen.

Wenn man sich mit dem Leben und dem Weiblichen befasst, ist es unmöglich, in linearer Abfolge zu schreiben. Anfang und Ende berühren sich immer wieder aufs Neue, bilden niemals Pole an zwei verschiedenen Enden, sondern verbinden sich im Kreis, sowie sich Geburt und Tod oder Himmel und Erde immer an einem Punkt berühren.

Die Kreise spiegeln sich auf anderen Ebenen, immer wieder neu, gehen auf ihrer Wanderschaft neue Verbindungen ein, legen sich übereinander und verschwinden irgendwann in der Ferne. Sobald ein neuer Impuls gegeben wird, entstehen neue Wellen, doch immer in Gestalt von Kreisen.

Gewisse Zusammenhänge werden in diesem Buch immer wieder neu auftauchen, jedes Mal in einem neuen Kreis. Es kann der Eindruck entstehen, dass die Dinge sich wiederholen – und das stimmt auch in gewisser Weise. Es werden jedes Mal wieder neu die Kreise des Lebens berührt. Alles, was lebt und existiert, steht in Verbindung miteinander und bezieht sich aufeinander. So erscheinen die Themen dieses Buches immer wieder neu in Beziehung zueinander, denn nur so können wir uns dem Wesen des Weiblichen nähern. Betrachtet man das Licht, in dem das jeweilige Thema erscheint, so entdeckt man, dass der gleiche Kreis eine immer wieder neue Beziehung und Farbe annimmt.

Aus diesen Gründen habe ich keine Kapitel zur Strukturierung und Aufteilung des Textes gewählt. Dies würde eine lineare Struktur vortäuschen, und es wollte sich so auch nicht auf stimmige Weise fügen. So habe ich die einzelnen grob gegliederten Abschnitte ‘Kreise’ genannt. Man stelle sie sich vor als ineinanderfließende Kreise, nicht säuberlich getrennt voneinander oder hierarchisch geordnet, sondern wie jene Kreise im See, die durch die Steinwürfe entstehen. Auf diese Weise möge sich, so hoffe ich, der Inhalt und das Thema des Buches auf eine natürliche Weise erschließen.

Einleitung

“Yesterday is gone.

Tomorrow has not yet come.

We have only today.

Let us begin.”

MUTTER TERESA

Es ist ein Sommertag in den Ferien. Einige wenige Meter unter dem Platz, an dem ich sitze, leuchtet das Blau des Meeres, während der warme Sommerwind, der das Wasser in verspielte Wellen kräuselt, mir sanft über die Haut streicht. Der Liebesgesang der Zikaden mischt sich mit dem Geräusch des Wassers, das auf die Felsen schäumt und unaufhörlich neuen Anlauf nimmt, sie zu benetzen. Wenn ich mich umschaue, blicke ich über das silbrige Grün von Olivenbäumen hinweg über die Bucht des Meeres, bis ich in der Ferne am Horizont die Silhouette der Berge erblicke, die in all den verschiedenen Blautönen ihre majestätische Schönheit erahnen lassen.

Die Welt wirkt vollkommen, zumindest hier. Ein idealer Platz, um mich zu erholen, denn schon immer hat die Natur, wenn sie mich in solcher Fülle von Schönheit umgeben hat, mich aufs Tiefste berührt, geheilt und genährt.

Hier, in der Stille und Einfachheit der Natur, suche ich etwas, das ich aus der Vergangenheit kenne: Wiederfinden und fühlen dürfen, dass die Welt heilig ist, in ihrem tiefsten Inneren unverletzt, geehrt und geachtet.

Es ist nicht nur die äußere Einfachheit und die äußere Schönheit der Natur, die Wärme, das Wasser, die Farben und Düfte, die für mich dieses Versprechen tragen. Es ist die Klarheit und Reinheit in der Essenz, in der Seele von all dem, was ich mit meinen Sinnen wahrnehmen kann, das mein Herz so mit Freude erfüllt hat, wann immer ich mich in solch einer Umgebung aufgehalten habe.

Diese Essenz, dieses Licht, hat eine Präsenz, die jeden Schleier von Müdigkeit und Erschöpfung, von all zu komplizierten Gedanken, von selbstgemachten Sorgen und all den unnützen Ablenkungen des Alltags schlicht zur Seite zieht. Dann ist da nur noch Licht. Licht in der Natur, Licht in allem. Frieden.

Doch jetzt ist es anders. Das Versprechen erfüllt sich nicht. Ungläubig nehme ich wahr, dass etwas fehlt. Ich vermisse etwas. Es ist essenziell – und ich suche danach. Während ich hier sitze und in die Welt lausche, die mich umgibt, wird es deutlich: Noch immer nährt die Natur meine Sinne, noch immer wirkt der Augenschein vollkommen; und die Stille ist wohltuend. Doch das innere Licht ist nicht mehr in der Weise präsent, wie ich es kannte. Dichte Schleier scheinen es völlig zu verhüllen und zu verdunkeln. Die Seele des Ganzen hat sich zurückgezogen. Plötzlich erscheint mir diese wunderbare Welt, die vor mir liegt, wie vergessen. Wie ein Geschenk, das jemand achtlos hat liegen lassen. Niemand erinnert sich mehr an seinen Sinn.

Diese Veränderung muss in wenigen Jahren geschehen sein, vielleicht innerhalb der letzten zwei oder drei Jahrzehnte. Seit einigen Jahrhunderten ist die Menschheit dabei, das göttliche Licht in der Welt – nicht in einem fernen Himmel, sondern hier auf unserer Erde – nicht mehr wahrzunehmen. Doch erst in den letzten Jahren, in kürzester Zeit und innerhalb des Lebens einer einzigen Generation, scheint es geschehen zu sein, dass das menschliche Vergessen – jenes Schaffen unechter Träume und Illusionen einer sinnfernen Welt – sich als undurchdringlicher Schleier über das Licht unserer Welt gelegt hat.

Dass mit unserer Welt etwas nicht in Ordnung ist, nicht wirklich stimmt, entspricht inzwischen einer Wahrnehmung, an die wir gewöhnt sind. Durch die Fernsehbilder, die uns täglich neu die Verwüstung ganzer Landschaften zeigen, sei es durch Kriege oder durch die ökologische Zerstörung unserer Umwelt, sind wir geradezu abgestumpft. Ja, wir wissen, die Erde kränkelt. Unsere Welt ist irgendwie nicht heil. Doch immer noch isolieren wir Menschen das Problem und sehen es allein materialistisch. Unsere Erde ist wie ein Patient, den wir rein äußerlich – mehr oder weniger notdürftig – medizinisch versorgen. Selbst wenn wir unseren Müll trennen oder unsere Regierungen halbherzige Klimaschutz-Programme beschließen, sind das zwar ehrenwerte und auch durchaus positive Ansätze, doch sie bleiben an einer äußeren Ebene haften und berücksichtigen nicht die Ganzheit des Lebens.

Wir ziehen noch nicht wirklich in Betracht, dass die Erde innerlich aus dem Gleichgewicht gebracht ist, weil wir sie nicht mehr als göttliche Schöpfung betrachten und behandeln. Wir respektieren ihr inneres Licht nicht mehr. Die Wüsten der äußeren Zerstörung mögen uns bestürzen und deprimieren; doch sobald wir uns einem „schönen Flecken“ dieser Erde zuwenden, ist wieder alles gut. Das rein äußerliche Phänomen dieser Krankheit bleibt in unserem Bewusstsein einzig als eine Sache der Materie zurück, die wir verdrängen können, wenn sie uns nicht unmittelbar betrifft. Doch werden wir mehr und mehr darauf aufmerksam gemacht, dass es ein inneres Problem gibt, eine Störung des Gleichgewichts im Ganzen. Und die Lage ist brennzliger, als wir glauben.

Einfache Erfahrungen, wie jene unter den Olivenbäumen am Meer, machen uns bewusst, wie es wirklich ist. Sie lassen uns zunächst erschrocken und traurig zurück, doch können sie uns auch helfen, wach zu werden. Dahinter ruft etwas. Die Seele der Welt ruft danach, wieder neu zu erwachen – und die Seele der Welt, das sind wir alle. Wir sind nicht getrennt von ihr.

Einige Tage später, nach jener traurigen Erfahrung, schwamm ich am frühen Morgen im Meer. Zu einer so frühen Tageszeit, und noch dazu in einer Gegend, in der es kaum Touristen gab, war niemand auf den Beinen. Die Fischerboote waren bereits heimgekehrt, das Wasser in der großen Bucht war ruhig. Weit und breit war keine Menschenseele. Die Luft war noch nicht geschwängert von den rastlosen Menschengedanken in all ihren Formen.

Die heilige Stille der Morgendämmerung, empfänglich, erwartungsvoll und leer zugleich erfüllte die Luft, das Wasser, meinen Körper. Alles war eins. Wo hörte der Körper auf und wo begann das Wasser? Wo war ich, wo war das Wasser, wo die Erde? Alles war durchdrungen von dieser Stille.

Jäh in diese Stille hinein drang ein tiefer Seufzer. Er schien von weit her zu kommen und war gleichzeitig sehr nah. Kam er aus mir oder von irgendwoher und rief mich? War es die Erinnerung an die traurige Erkenntnis unter den Olivenbäumen? Oder erinnerte mich jemand anders? Dem Seufzer folgte ein Rufen, wie es schien, tief aus dem Inneren der Welt und gleichzeitig aus mir selbst, aus den Tiefen meines Herzens. Etwas rief danach, aufzuwachen aus einem bleiernen, einem albtraumartigen Schlaf. Unwillkürlich begann ich, während mein Körper schwimmend durchs Wasser glitt, zu singen. Ich sang dem Ufer der nächsten Bucht entgegen, ich sang mit den Wellen. Es war ein Gesang, der aus den Tiefen des Ozeans zu kommen schien, nicht aus mir selbst. Und gleichzeitig sang es aus mir. Es sang, um „wachzusingen“.

Vor einiger Zeit hatte ich einen Traum gehabt, in dem mir gesagt wurde, dass wir die Fähigkeit haben, Leben zu retten, indem wir singen. Wir könnten, so die Botschaft im Traum, über weite Entfernungen hinweg einen Menschen heilen, wenn wir für ihn singen.

In diesem Moment schien es dieser Gesang zu sein, an den ich erinnert wurde.

Die Welt war nicht erweckt, als ich aus dem Wasser stieg, doch ich war wieder erinnert an eine uralte Kraft, an ein Potenzial. Etwas in mir war auf eine sehr körperliche, eine instinktive Weise wieder an eine alte Magie an einen Zauber erinnert worden, mit dem wir der Welt beim Erwachen helfen können.

Es gibt Menschen auf der Welt, auch in der gegenwärtigen Zeit, die genau diese wertvolle Arbeit tun, die wissen, wie wir die Seele der Welt „wachsingen“ können und die als Heiler oder Schamanen damit arbeiten. Wir verfügen nicht alle über diese Fähigkeit, die meisten von uns – wie auch ich – tun es nicht, doch wir können uns erinnern an die uralte Melodie, die am Grund unserer Herzen schwingt. Wir können uns daran erinnern, dass wir Möglichkeiten haben, wieder mit der Welt zu singen, und dass die Welt heilen kann.

In diesem Buch möchte ich über das Singen der Welt in einem symbolischen Sinn sprechen, möchte die Aufmerksamkeit auf diesen Gesang lenken, den wir alle in uns erwecken können. Es ist der Gesang, der aus der Einheit der Schöpfung aufsteigt und der ohne das Weibliche nicht zum Klingen kommt.

Wenn das Weibliche in der Welt wieder singt, so wird das Leben selbst wieder singen.

Wir alle, Frauen und Männer, haben einen Anteil daran, dass das Weibliche nicht mehr singt, und wir alle können dazu beitragen, dass sein Lied wieder erklingt. Doch den Frauen kommt dabei eine besondere Rolle zu, denn sie allein können in sich die Voraussetzung dafür schaffen, dass eine reine weibliche Energie, unvermischt und unverschmutzt von Ressentiments und Verärgerung über vergangenes Leid, jenseits von Machtansprüchen, von Zorn und Verweigerung, wieder in die Welt kommen und hier mit dem Männlichen neu vereint wirken kann.

Die Frauen in der Welt haben die große Chance – jetzt und nicht erst morgen – den Gesang des Weiblichen, der vor langer Zeit verstummt ist, wieder in sich erklingen zu lassen.

Die Verletzung des Weiblichen, das ein Wissen um die Einheit der Schöpfung, um die Einheit des Lebens in sich trägt, hat sich auf uns alle ausgewirkt. Wir begegnen den Folgen überall in der Welt, in der Gesamtheit unseres Lebens auf dieser Erde und in jedem einzelnen Menschen. Das Trauma wird sichtbar in der Verletzung unseres Planeten und in der Verwundung unserer Beziehungen – untereinander und der gesamten Schöpfung gegenüber. Es manifestiert sich in der Seelenlosigkeit unserer von Macht- und Konsumgier beherrschten Welt, in der Trostlosigkeit unseres Gott-Vergessens, in einer von allem Sinn entleerten materiellen Welt, die wir in unserer menschlichen Hybris mehr und mehr zu beherrschen suchen, während wir sie zugleich zerstören.

Auf besondere Weise aber berührt die Verletzung des Weiblichen jede einzelne Frau und hat sich tief in die Psyche von Frauen eingebrannt. Unzählige Frauen sind über viele Jahrhunderte hinweg körperlich und seelisch missachtet und verwundet worden, und dies geschieht, wie wir wissen, heute noch immer. Die Verletzung der Frauen und die Verletzung der Erde gehören zusammen, sind verschiedene Aspekte ein- und derselben traumatischen Erfahrung.

Würden wir allerdings damit aufhören, nur auf die Verletzungen zu schauen, die Geschichte des Traumas zu betrachten oder uns in unseren Vorstellungen den Szenarien einer unwiederbringlich kaputten Welt hinzugeben, so könnten wir vielleicht erkennen, dass Heilung nicht nur möglich ist, sondern tatsächlich auf uns wartet. Sie wartet darauf, dass wir in ihre Richtung schauen, dass wir ihre Vorboten erkennen und sie begrüßen wie das frühe Lied eines Vogels in der Morgendämmerung.

So wie die Ent-Heiligung des Lebens, die Verletzung der Erde und die Verwundung der Frauen zusammenhängen, so gehören auch die Heilung des Lebens, die Heilung der Erde und die Heilung der Frauen zusammen.

Wenn sich ein Mensch auf einen inneren Weg begibt, so beginnen der Sinn und die Aufgabe seiner Seele eine Rolle zu spielen. Auf einer spirituellen Reise beginnt der Mensch sich zu fragen, wer er wirklich ist und woher er kommt. Zu einem wirklichen Frieden in uns selbst finden wir erst, wenn wir uns damit befassen, wer wir waren, bevor wir waren, was wir glaubten, angeblich zu sein.

Genauso ist es mit der Welt. Doch wir haben vergessen, dass auch die Welt als Ganzheit eine Seele hat und über ihre Seele ihren Sinn erfährt.

Nur wenn wir diesen Sinn wiedererinnern und ihn zum Zentrum unserer Betrachtung machen, kann Heilung geschehen – im einzelnen Menschen wie in der ganzen Welt.

Nur wenn dieser Sinn wieder wahrgenommen wird und sich leben kann, beginnt die Welt wieder zu singen.

Wenn wir die Nachrichten im Fernsehen anschauen, die Zeitung lesen oder im Internet recherchieren, können wir unzählige Betrachtungen und Analysen der Missstände finden, können uns vertiefen in die erdrückende Krankheitsgeschichte eines schwer kranken Patienten – unsere Welt. Wir lernen dabei aber Diagnosen kennen, die sich nur auf der Ebene der äußeren Symptomatik bewegen, und von dieser Ebene kommen auch die Lösungsvorschläge. Diese führen häufig zu neuen Konflikten, und der Kreislauf beginnt von neuem. Solange wir das Ganze nicht sehen, nicht die innere Realität, nicht zum Licht schauen, können wir diesen Kreislauf nicht durchbrechen.

Ich möchte mit meinen Lesern zusammen versuchen, diese Ebene zu verlassen. Das heißt, wir schauen weniger auf die Geschichte des Traumas, wir bleiben nicht an der Verletzung hängen, sondern wir suchen den Weg zur Seele, zur Essenz. Wir schauen auf die Heilung. Wir lauschen in den Gesang, der vor langer Zeit unser Leben als eine göttliche Einheit feierte.

Auch im Bezug auf die Verletzung des Weiblichen in der Frau werden wir diese Ebene verlassen. Das ist sicher ein sehr heikler Weg, denn viele Frauen fühlen sich so tief verletzt oder tragen die Verletzungen so tief in ihrem kollektiven Gedächtnis, dass sie noch nicht wirklich bereit sind, sie ganz hinter sich zu lassen und sich frei und in gewisser Weise schutzlos auf ihre echte Weiblichkeit einzulassen.

Doch es gibt keinen anderen Weg. Niemand anders als die Frauen selbst können die weiblichen Qualitäten – das Leben zu achten, zu schützen, zu nähren und um seine Heiligkeit zu wissen – wieder direkt ins Leben bringen. Niemand anderes kann dieses Lied anstimmen. Die Melodie schlummert seit alter Zeit im Herzen der Frauen und in den Zellen ihres Körpers.

Wenn wir das Weibliche in der Welt wieder zum Klingen bringen, so werden wir, Frauen und Männer, auch gleichzeitig wieder Zugang finden zu den tieferen Kräften, durch die das Leben wieder heilen kann.

Dabei ist es wichtig, deutlich klarzustellen, dass es nicht darum geht, spirituelle Kräfte zu nutzen, um damit das Universum zu manipulieren, Macht über gewisse Bereiche des Lebens oder andere Lebewesen zu gewinnen oder gar materielle Vorzüge zu erlangen. Das Vorhandensein solcher Lektüre, die Ratschläge gibt, wie man durch gewisse spirituelle Techniken zu mehr persönlichem Wohlbefinden und Reichtum finden kann, ist, um es geradeheraus zu sagen, selbst Teil der derzeitigen inneren Verschmutzung unserer Welt. Es mag menschlich nachvollziehbar sein, dass es eine gewisse Nachfrage nach solcher Lektüre gibt, wenn es auch erschreckend ist, wie unverblümt solche „Lehren“ feilgeboten werden. Doch in dieser Hinsicht wird man in diesem Buch nicht fündig werden, und sollte dies der Gegenstand der Suche sein, so hat man das falsche Buch in der Hand.

Es ist von zentraler Bedeutung, wofür wir die Heilungskräfte nutzen, die uns in der Welt zur Verfügung gestellt werden. Wollen wir etwas für uns selbst oder richten wir unser Bewusstsein tatsächlich auf den gesamten Fluss des Lebens, von dem wir ein untrennbarer Teil sind? Der Zugang zu den heilenden Kräften des Lebens erfüllt erst seinen Sinn, wenn sie für das Ganze, zum Wohl des Lebens selbst, genutzt werden. Genau das ist die Haltung, die auch für die individuelle Seele wirklich heilsam ist.Dieses Buch beginnt mit den weiblichen Qualitäten und widmet dann einen großen Teil der Heilung des Weiblichen. Voraussetzung für die Heilung unserer Welt ist nämlich, dass die Frauen über ihren Schatten springen. Der Schatten ist mächtig, und er ist dunkel. Er umfasst all die Auswirkungen und die Reaktionen auf die Verletzung des Weiblichen: Schmerz, Ärger, Wut und Trauer, Misstrauen und Ohnmacht, Manipulation und Kälte, Resignation und vor allem das Zurückhalten und Vergraben der echten weiblichen Qualitäten. Auch hier geht es darum, nicht mehr mit gebanntem Blick in die Dunkelheit zu schauen und die Wunden zu beklagen, sondern den Sprung zu wagen und sich dem Licht zuzuwenden, das jenseits dieses Schattens wartet.

Dies geschieht nicht dadurch, dass wir den Schatten umgehen oder verleugnen, sondern indem wir, vor allem die Frauen, annehmen, verzeihen und über den Frieden des Herzens zurückfinden zu den Quellen unserer weiblichen Kraft.

Wir alle haben eine besondere Verantwortung, sobald wir Zugang haben zu Bereichen unseres Bewusstseins, die uns für die Wahrheit öffnen.

Die Zeit scheint reif zu sein für Heilung. Reif bedeutet, der Zeitpunkt ist genau jetzt. Wir können es uns nicht leisten, zu zögern oder noch ein bisschen zu warten oder uns auszuruhen. Wir wissen, dass eine reife Frucht fault, wenn wir sie nicht ernten und essen. Wir haben also keine Zeit zu verlieren. Wir können jetzt beginnen.

Der 1. Kreis:

Die weibliche Beziehung zum Leben

Prolog

Diese Geschichte beginnt ohne Zeit und Ort, ohne Gestern und Heute. Es gibt nur “das Eine“, das die tiefen Gedanken der Ewigkeit denkt. In diesen Gedanken der Ewigkeit entstehen die Worte: „Ich bin. Es gibt nichts anderes.“

Mit dem Aussprechen dieser Worte wird dem Einen bewusst, dass es völlig alleine ist, und es erfährt unerträgliche Einsamkeit und Traurigkeit. Das Eine teilt sich deswegen in Zwei, aus denen jeweils Dunkelheit und Licht, Meer und Himmel, Berg und Tal entstehen, sowie die ersten Menschen: Mann und Frau. Als sich diese beiden sehen, fühlen sie an Stelle der Einsamkeit die Gemeinsamkeit der Liebe. Aus dieser Liebe entstehen Kinder, von denen alle Menschen der Welt abstammen.

Dies ist Teil eines Schöpfungsmythos aus den Upanishaden des alten Indien.

Schöpfungsmythen erzählen uns in tiefsinnigen Bildern von der Entstehungsgeschichte der Welt, so wie sie in den Visionen der Menschheit zu allen Zeiten aufgestiegen sind. Da sie gleichsam wie Träume aus den tieferen Schichten des Bewusstseins ganzer Kulturen auftauchen, illustrieren sie uns nicht einfach nur Geschichten, die eine Vorstellung der historischen Abfolge der Entstehung unserer Welt wiedergeben. Vielmehr tragen sie den Schatz tiefen Wissens über die Natur und die Kräfte der Schöpfung in sich, die auf etwas hinweisen, das jenseits von Zeit und Raum ist. Sie beziehen das Unerklärbare, das Ungesehene und Unsichtbare mit ein. Gerade deshalb bieten sie uns einen umfassenderen Blick auf das Leben, mit dem wir erkennen und wiedererkennen können, was mit Verstandeslogik und naturwissenschaftlichem Denken allein nicht erfahrbar ist.

Die Geschichte aus dem alten Indien weist uns, wie viele andere Schöpfungsmythen, auf die Dualität hin, die allem Geschaffenen innewohnt. Wir erfahren, wie aus dem Einen zwei wurden, und dass genau dies den Prozess der Schöpfung ausmacht. In der Dualität entsteht dann eine Spannung mit der Sehnsucht nach der ursprünglichen Einheit, und diese Sehnsucht nach Einheit ist nichts anderes als Liebe.

Durch das Zusammenfinden der Zwei entsteht neues Leben, die Schöpfung schreitet fort, erschafft sich immer wieder neu.

Alles in der geschaffenen Welt trägt die Dualität in sich: Dunkelheit und Licht, oben und unten, innen und außen. Wir können darüber hinaus von zwei Prinzipien des Lebens sprechen: männlich und weiblich. Sie spiegeln die Polarität wider, die allem Geschaffenen innewohnt.

Beide sind aus dem Einen entstanden und kehren in das Eine zurück. Zusammen sind sie Schöpfung – gleichzeitig Teil der Schöpfung wie auch Antriebskraft für die sich weiter entfaltende Schöpfung. So sind sie nicht trennbar, und das eine ist nicht denkbar ohne das andere, männlich nicht ohne weiblich und weiblich nicht ohne männlich.

Zwischen beiden Prinzipien wirkt eine gewisse Dynamik, ein Wechselspiel der Kräfte, das letztlich eine Ausgeglichenheit im Ganzen erzeugt und den Lebensfluss in Harmonie bringt.

Alte Traditionen des Heilens arbeiten mit diesem Wissen, beispielsweise die chinesische Medizin und Akupunktur, die sich mit den Kräften von Yin und Yang befasst.

Im Tao Te King1 heißt es:

Tao erzeugt das Eine,

das Eine erzeugt die Zwei,

die Zwei erzeugt die Drei,

die Drei erzeugt die abertausend Wesen.

Die abertausend Wesen,

das ruhende Yin es trägt sie,

das bewegte Yang umfasst sie.

Die allumfassende Lebenskraft

bewirkt den harmonischen Einklang.

Wir werden uns hier vorzugsweise mit dem weiblichen Prinzip in der Schöpfung befassen. Dabei geht es weder um eine Bewertung noch um den Versuch, das Weibliche aus der Ganzheit zu isolieren. Vielmehr geht es darum, einen essenziellen Teil des Weiblichen wiederzufinden, der dem Bewusstsein des Menschen nahezu verlorengegangen ist. Nur so kann das Ganze wieder in Einklang kommen, kann eine Harmonie des Lebens wiederhergestellt werden, können das Männliche und das Weibliche in einen neuen Zusammenklang finden.

Was wir an den Orten des Vergessens ausgraben, womit wir uns befassen wollen, ist die einzigartige Beziehung zum Leben, die das Weibliche in sich trägt.

Hier sind die Frauen direkt angesprochen. Frauen verkörpern das Weibliche, so wie es sich in seiner menschlichen Form manifestiert. Deshalb kommt ihnen eine besondere Rolle zu, wenn es darum geht, dass weibliche Kraft und weibliche Qualitäten in unserem Leben wieder wirksam werden. Gleichwohl geht es letztendlich um das Weibliche als ein dynamisches Prinzip in der Schöpfung, so wie es in allem existiert, in Frauen und in Männern, in der Natur und überall im Leben.

Leben gebären

Frauen gebären neues Leben. Sie bringen die Kinder in die Welt.

Durch diese Fähigkeit, die so essenziell und grundlegend wie das Leben selbst ist, sind Frauen auf engste Weise mit dem Leben und seiner Entstehung verbunden.

Die Erfahrung von Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt ist nicht nur eine physische Erfahrung. Alle Mütter, ganz gleich, auf welche Weise und in welchen Zusammenhängen sie es erleben, können bestätigen: Es sind Erfahrungen, die uns auf allen Ebenen unseres Seins berühren, verändern und manchmal erschüttern. Schon die physische Erfahrung und Veränderung ist beeindruckend und umfassend, doch werden Frauen, die ein Kind in sich tragen und zur Welt bringen, ebenso auf psychischer, geistiger und spiritueller Ebene von diesem Geschehen erfasst.

Sie erleben näher als hautnah, wie eine Seele in diese Welt kommt, wie sie ganz allmählich und doch in so kurzer Zeit eine physische Form annimmt, immer mehr stofflich wird und am Ende schließlich einfach „da“ ist, für die äußere Welt sichtbar. Die Frau ist immer unmittelbar an diesem Prozess beteiligt, ob sie dies bewusst erlebt oder eher unbewusst, ob sie ihre Erfahrungen reflektiert oder nicht.

Wenn sie jedoch verbunden ist mit ihren Gefühlen, mit ihrem Herzen und mit dem Licht ihrer eigenen Seele, so wird sie von Anfang an, noch lange bevor das Herz des kleinen Menschen zu schlagen beginnt, wahrnehmen, dass da „jemand“ zu ihr gekommen ist.

Dieses Wesen ist einfach eine Gegenwart, ist Licht. Es ist körperlos, noch nicht auf der Erde, doch in seiner Essenz sehr präsent. Eine Seele möchte ins Leben kommen.

Manche Frauen erleben diesen Kontakt bereits eine ganze Weile, bevor sie schwanger werden, häufig als eine unglaublich feine, zärtliche Berührung.

Von der Empfängnis an entspinnt sich dann dieses Mysterium des Lebens, in dem sich jenes Licht mit einer physischen Gestalt verbindet, sie mehr und mehr durchdringt, so dass ein ganz neues Leben beginnt, das vorher in dieser Form noch nie hier war und kein zweites Mal in dieser Welt existiert und jemals existieren wird.

Nach und nach erlebt die Frau, wie das Leben beginnt, einen Ausdruck zu finden. Was da wächst, ist lebendig! Das Kind bewegt sich, und die Mutter ist die Erste, die dies wahrnimmt. Während sie ihren physischen Körper zur Verfügung stellt, damit dieses Kind wachsen kann, nimmt sie gleichzeitig mit einer Art innerer Substanz Teil, durch die sie in einer tiefen Kommunikation mit dem werdenden Leben steht.

So wie ihr Körper sich für die Aufgaben, die er zu erfüllen hat, verändert, geht auch auf emotionaler und spiritueller Ebene eine Veränderung vor sich, welche die Frau auf ihre Aufgabe, dieses Leben zu halten und zu schützen, vorbereitet.

Die Frau ist unmittelbar und direkt, mit ihrem Körper und ihren Sinnen, mit Herz und Seele an diesem Mysterium beteiligt, das wir Leben nennen. Sie erfährt es nicht nur als etwas, das mit ihr geschieht, ihr widerfährt, sondern trägt selbst aktiv dazu bei, ob bewusst oder unbewusst und auch unabhängig davon, wie harmonisch oder schwierig ihre persönliche Wahrnehmung und Erfahrung dieses Geschehens ist.

Eine Schwangerschaft ist keine passive Entwicklung, die einer Frau widerfährt, ohne dass sie selbst daran mitwirkt. Doch nicht Qualitäten wie Disziplin, Fleiß, bewusste Willenskraft oder kognitive Möglichkeiten unseres Verstandes, die wir mit aktivem Mitwirken verbinden, lassen Frauen in einer Schwangerschaft aktiv schöpferisch werden. Die Teilhabe geschieht wesentlich subtiler, und vielleicht übersehen wir sie deshalb leicht. Es ist nicht in ihrer Hand – nicht einmal unter Hinzuziehung aller modernen Kenntnisse der Pränatalmedizin – ob und wie sich diese Entwicklung eines kleinen Menschen in seiner Form vollendet. Dennoch wirkt die Mutter mit jener geheimnisvollen Schöpferkraft mit, die über Leben und Tod entscheidet und dieses unglaubliche Wunderwerk eines vollkommenen menschlichen Wesens in seiner physischen Natur hervorbringt. Eine Seele nimmt einen Körper an, Licht manifestiert sich und formt sich, wird lebendig und verdichtet sich in einem einzigartigen Lebewesen. Diese geheimnisvolle Entwicklung braucht die Frau als Mitwirkende. Sie stellt nicht nur ihren physischen Körper als Gefäß, sondern auch eine gewisse Lichtsubstanz zur Verfügung, damit dieses schöpferische Werk vollendet werden kann. Der Verstand kann dieses tiefgreifende Mysterium, wie eine Seele Form annimmt, nicht fassen. Doch mit dem Herzen weiß eine Frau, wie dies geschieht. Sie erlebt es ja, sie wirkt mit. Einigen Frauen mag der Zugang zu diesem Wissen versperrt sein, doch spricht man Mütter darauf an, so bestätigen viele, dass sie dies „irgendwo fühlen“ können.

Die Erfahrung der Mutterschaft macht also deutlich, welche besondere Verbindung, welche intime Nähe Frauen zum Leben haben; denn als werdende Mütter sind sie untrennbar an diesem schöpferischen Prozess beteiligt, in dem das Leben entsteht und sich formt. Sie sind Mitschöpferinnen.

Nun sind nicht alle Frauen Mütter. Was ist mit jenen Frauen, die keine Kinder gebären? Fehlt ihnen dieser direkte Zugang zum Leben? Die Antwort lautet: Nein. Jede Frau hat potenziell diesen Zugang, diese Nähe zum Leben.

Damit das, was möglich ist, tatsächlich einen Weg ins Leben findet, hängt es nicht von der physiologischen Mutterschaft, nicht von der Erfahrung einer Schwangerschaft ab. Manch eine Frau, die niemals schwanger war und kein Kind geboren hat, mag einen lebendigeren, natürlicheren und reicheren Ausdruck ihrer Nähe zum Leben entwickeln als andere Frauen, die Kinder geboren und dennoch diesen Zugang nie bewusst gefunden haben.

Gewiss ist es hilfreich für Frauen, die Kinder geboren haben, über diese einzigartige Erfahrung zu erkennen und nachzuvollziehen, warum sie und alle Frauen diese besondere Verbindung zum Leben haben. Es ist hilfreich für uns alle, uns dieses Wunder der Entstehung des Lebens zu vergegenwärtigen, an dem zweifelsohne Frauen und Männer beteiligt sind, bei dem die Frauen durch Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt aber jene außerordentliche Nähe zur Schöpfung haben.

Doch um verstehen zu können, dass und warum Frauen diese enge und tiefe Verbindung zum Leben haben, ist letztlich nicht die konkrete leibliche Erfahrung der Mutterschaft notwendig, und sie ist auch nicht die Voraussetzung für die weibliche Verbindung zum Leben. Vielmehr geht es um das Potenzial und um die Art und Weise, wie Frauen geschaffen sind, wenn wir von der einzigartigen Beziehung des Weiblichen zum Leben sprechen.

Das Weibliche bringt Leben in die Welt, und Frauen verkörpern dieses Weibliche in menschlicher Form. Neben allen individuellen und kulturellen Unterschieden tragen alle Frauen genau dieses Potenzial in sich, und es sind in der ganzen Welt, zu allen Zeiten, in allen Kulturen die Frauen, die unsere Kinder in die Welt bringen. Wenn auch nicht alle Frauen Mütter sind, so sind wir doch alle, Frauen wie Männer, von Frauen geboren worden.

Jede Frau trägt das Potenzial in sich, mit dem Leben eine tiefe Verbindung einzugehen, trägt ein instinktives Wissen und eine Weisheit über das Leben und die Schöpfung in ihrem Inneren. Es ist Teil ihrer Natur.

Wenn sie diese Kraft zu leben beginnt, so kann sie dies auf vielerlei Arten tun. Die Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt ist ein sehr direkter, sehr körperlicher Weg, diese Fähigkeiten auszuleben. Es ist aber bei weitem nicht der einzige.

Die weibliche Nähe zum Leben ist verbunden mit einem Auftrag in der Schöpfung. Er findet seinen unmittelbaren Ausdruck darin, Leben in die Welt zu bringen, geht aber weit über das Gebären von Kindern hinaus. Verwurzelt in einem tiefen instinktiven Wissen über das Leben, sein Entstehen und Vergehen, seine Kräfte und Qualitäten liegt dieser Auftrag in der weiblichen Kunst, das Leben zu begleiten, zu fördern und zu unterstützen.

Für das Leben sorgen

Es gibt einen Ausspruch aus dem Volksmund: „Gott konnte nicht überall sein, deshalb schuf Er die Mütter.“ In einer Erweiterung dieses Spruches könnten wir sagen: Gott ist überall mit den Müttern, in der Arbeit und im Leben der Mütter, denn sie sind Seine Helferinnen, um nach dem heranwachsenden Leben zu schauen und es zu versorgen.

Übertragen wir das auf alle Frauen, wenn wir wie hier von der Natur und dem Potenzial des Weiblichen sprechen, so bedeutet dies, dass dem Weiblichen die Fürsorge für das Leben angetragen ist. Sein der Beitrag an der Schöpfung, um zum grundlegenden Beispiel der Mütter zurückzukehren, endet nicht mit dem Moment der Geburt. Obwohl die Geburt ein einschneidendes Erlebnis ist, ist sie vor allem für die Mütter auch ein fließender Übergang. Die enge und innige Verbindung zum Kind bleibt bestehen, auch wenn sie ganz allmählich an unmittelbarer Nähe verliert, bis das Kind sich dann schließlich aus der physischen und später aus der emotionalen Abhängigkeit löst.

Zunächst aber hat die Mutter sogar die physiologischen Möglichkeiten, ihr Kind selbst zu nähren. Wenn sie ihr Kind stillt, füttert sie es, versorgt es mit physischer Nahrung, die dem Leben des Kindes zu Wachstum und Entwicklung verhilft. Darüber hinaus gibt sie dem Kind aber auch körperliche und seelische Nähe, Vertrauen und Liebe. In gleicher Weise empfängt sie diese Liebe, und wenn die Beziehung natürlich und ungehindert gelebt werden kann, findet ein tiefer seelischer Austausch statt, der jenseits von Worten und Gedanken ist. Über die Stillzeit hinaus bleibt diese Verbindung bestehen.

Über diese Beziehung weiß die Mutter, was ihr Kind benötigt. Sie spürt, wenn es in Gefahr ist, wenn es krank ist, hungert oder friert, wann es Ruhe braucht und wann Zuwendung. Sie ist innerlich bereit, ganz gleich, womit sie beschäftigt ist, alles andere liegen zu lassen und zurückzustellen, um sofort auf die Bedürfnisse des Kindes zu reagieren, wenn es wirklich nötig ist. Mit dieser Haltung begleitet sie das Leben ihres Kindes für einige Jahre.

Ihre Haltung gründet sich in einem Wissen, das natürlich ist. Es ist nicht kognitiv erlernt und nicht unmittelbar abhängig von Bildung, religiöser Zugehörigkeit, gesellschaftlichem Status oder kulturellem Hintergrund. In allen Ländern dieser Erde, in allen Kulturkreisen erfahren und leben Frauen diese ursprüngliche Verbindung zu ihren Kindern, wenn auch auf je unterschiedliche Weise.

Auch wenn die moderne westliche Frau sich äußerlich von dem Bild einer Mutter entfernt hat, die sich bedingungslos und in jedem Augenblick dem heranwachsenden Leben zur Verfügung stellt, so verfügt sie auf subtile Weise noch immer über die Fähigkeit, unmittelbar zu fühlen, wenn ihr Kind in Gefahr ist oder krank wird. In entscheidenden Momenten kann auch eine Frau, die viele andere Aktivitäten in ihr Leben integriert, bereit sein, alles andere hinter die Bedürfnisse ihres heranwachsenden Kindes zurückzustellen.

Vielen Frauen in der westlichen Welt mögen diese Fähigkeiten nicht mehr bewusst sein oder gar hinderlich erscheinen; denn sie lassen sich mit den gesellschaftlichen und beruflichen Anforderungen immer schwerer vereinbaren. Außerdem gibt es mittlerweile eine große Anzahl von Frauen, die verunsichert sind, die nur noch schwer den Zugang zu jenem einfachen Wissen finden, wie sie gut für das Leben ihrer Kinder sorgen können. Wir sprechen hier nicht von jenen extremen Fällen, in denen aus sozialen oder pathologischen Gründen Kinder gravierend vernachlässigt werden. Vielmehr geht es um jene Frauen, in deren Leben durchaus ein gewisses psychisches, soziales und ökonomisches Gleichgewicht herrscht und die gleichzeitig tiefgreifend verunsichert sind und sich fragen, ob sie wirklich alles „richtig machen“. Die Erschütterung im Selbstbewusstsein hat eben auch vor diesem sehr zentralen Bereich weiblichen Wissens nicht halt gemacht. Doch bei aller Verunsicherung wird das Wissen des Weiblichen, was die Sorge für das Leben der Kinder betrifft, auch in unserer westlichen Welt ja noch immer Tag für Tag gelebt. Hier erkennen wir das Grundmuster der weiblichen Qualität, für das Leben zu sorgen; denn tief in die instinktive Natur der Frau eingewebt ist das Wissen darum, was das Leben benötigt, ebenso wie die Fähigkeit und Bereitschaft, direkt auf diese Bedürfnisse zu reagieren.

Die unmittelbare Fähigkeit, für das Leben zu sorgen, entspringt der instinktiven weiblichen Verbindung zum Leben. So wie sie sich in der mütterlichen Fürsorge, bei der Sorge für die Kinder, entfaltet, so kann sie darüber hinaus in allen Bereichen des Lebens wirksam werden.

Dieses instinktive Wissen arbeitet für das Leben und mit dem Leben zusammen. Mit dem Leben zusammenarbeiten heißt, eine gewisse Einheit mit dem Leben zu bilden, sich als ein Teil davon zu begreifen anstatt das Leben als ein Gegenüber oder gar einen Gegner zu betrachten. Man bildet, wenn man so will, ein Team mit dem Leben. Man hilft dem Leben, sich zu entfalten, und empfängt vom Leben die Hilfe, die es in seiner Weisheit immer für uns bereithält. Dieses instinktive Wissen über die Sorge für das Leben ist niemals lebensfeindlich, und es betrachtet das Leben nicht als ein Problem, das durch schwer zu erringende Lösungen bewältigt werden muss. Es ist ein natürliches und spontanes Wissen, bei dem Frage und Antwort so nah beieinander liegen, dass sie nicht mehr unterschieden werden können. Dieses Wissen kämpft nicht mit dem Leben und seinen Fragen, es drängt und zwingt ihm nichts auf. Vielmehr schwimmt es im Strom des Lebens, kennt seinen Lauf, weiß die großen Hindernisse zu umschwimmen und die kleinen zu nehmen, nimmt in seinen Fluss mit auf, was es braucht, und lässt zurück, was es nicht mehr braucht. Es ist dabei unermüdlich kreativ und findet immer neue Wege.

Nun ist unsere Welt nicht mehr sehr empfänglich für eine solche Umgangsweise mit dem Leben, ebenso wenig wie die Frauen selbst noch viel Erinnerung an ihre instinktiven und intuitiven Fähigkeiten haben. Ist es möglich, dass wir auch heute, über die Versorgung der Kinder hinaus, wieder ein Gespür bekommen können für die weibliche Art und Weise, für das Leben zu sorgen?

Je unmittelbarer wir in unserem Lebensraum von der Natur umgeben sind, umso leichter können wir sicherlich noch einen Zugang zu diesem Wissen, zu dieser weiblichen Verbindung zum Leben finden. Wenn unsere Füße noch die bewachsene Erde berühren dürfen und wir von Büschen und Bäumen umgeben sind, wenn wir den Duft von regengesättigter Erde riechen oder dem Sirren trockener Gräser im Wind lauschen können, dann können wir auch den Herzschlag des Lebens noch hören. Schwingen wir uns in diesen Rhythmus ein, so haben wir auch Zugang zu dem tiefen Wissen, wie wir für das Leben, dessen Puls wir spüren, sorgen können.

In einem Garten können wir beispielsweise, wenn wir uns mit den weiblichen Lebensinstinkten verbinden, ganz leicht erspüren, was die Pflanzen brauchen. Wenn es auch hilfreich ist, über einige theoretische und praktische Kenntnisse zu verfügen, so nimmt uns erst ein tieferes Wissen, das aus unserer verborgenen Verbindung mit der Natur aufsteigt, gänzlich hinein in diesen lebendigen Austausch. Das Erblühen des Gartens und unser Wirken darin werden dann zu einem gemeinsamen höchst kreativen Prozess. Gar nicht so wenige Menschen machen, ohne dass es ihnen bewusst sein mag, die Erfahrung, dass sie mit dem

Wissen der Natur zusammenarbeiten und der Erde und den Pflanzen genau das geben, was sie zur Entfaltung des Lebens benötigen.

Das Wissen der Natur ist tiefer, umfassender und konkreter als das eines jeden Garten- oder Biologie-Lehrbuches. Selbst wenn wir die Erkenntnisse aus allen naturwissenschaftlichen Disziplinen zu Rate ziehen würden, um einer bestimmten Pflanze zu gesünderem Wachstum zu verhelfen, so würden wir noch immer keine direkte und ganzheitlich umfassende Antwort auf die konkreten Bedürfnisse unserer kranken Pflanze erhalten. Wir könnten ihr wahrscheinlich helfen, jedoch immer nur in Teilaspekten und immer losgelöst und isoliert von all den vielen Gegebenheiten, mit denen diese Pflanze genau in diesem Moment, in dieser speziellen Umgebung vernetzt und verwoben ist.

Kein Gartenbuch, das ich heute aufschlage, um nachzusehen, wie viel Wasser meine Pflanze braucht, kann mir sagen, ob es morgen an diesem Ort regnen wird. Das Buch kann mir auch nicht verraten, ob die Pflanze sich in dieser Ecke meines Gartens wohlfühlt ob ein anderer Standort geeigneter wäre, oder ob wiederum eine andere Pflanze genau sie an einem anderen Ort als Nachbarin benötigen könnte. Denn das Buch kennt meinen Garten nicht, der wie kein anderer ist, so einzigartig wie jeder einzelne Fleck auf dieser Erde, und es kennt diesen Moment der Zeit nicht, der ebenso einzigartig ist und nie wieder in dieser Form erscheinen wird.

Das klingt und ist auch kompliziert, solange wir nicht mit dem Leben selbst kommunizieren, um zu wissen, welche Bedürfnisse das Leben hat. Wenden wir uns also der viel einfacheren Möglichkeit zu, über einen direkten Zugang für das Leben zu sorgen. Am Beispiel der Pflanze in unserem Garten können wir versuchen zu verstehen, wie das weibliche Wissen um die Sorge für das Leben wirken kann – wenn wir uns dafür öffnen. Hier erscheint uns das nicht wirklich fremd, weil wir immer über die Natürlichkeit unserer Umgebung noch leichter verbunden sind mit der eigenen inneren Natur.

Man hört davon, dass es Menschen gibt, die mit ihren Pflanzen sprechen. Doch das ist nicht unbedingt notwendig, um sich einzufühlen. Das Gespräch ist eine von vielen Kommunikationsformen und für die meisten von uns eher der zwischenmenschlichen Kommunikation vorbehalten, doch es gibt andere Formen der Wahrnehmung und des Austauschs, die ganz unmittelbar sind.

Menschen, die sich mit einer gewissen Leidenschaft um ihren Garten kümmern, erleben häufig, wie sie plötzlich einfach „wissen“, dass ein Pflanze etwas anderes braucht, eine spezielle Nahrung vielleicht, mehr Wasser oder einen anderen Standort. Da sie mit Aufmerksamkeit und Liebe bei ihrer Arbeit sind, setzen sie dieses Wissen dann auch ohne Zögern um. In ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit entsteht kein Riss, der Raum für Zweifel oder Nachlässigkeiten zulassen würde. So geschieht unmittelbar, ohne dass der Mensch es in dieser Differenziertheit selbst wahrnehmen mag, ein kleines Wunder. Die Pflanze bekommt, wonach sie verlangt. Für das Leben in ihr und um sie herum wird gesorgt. Sie dankt dafür mit gesundem Wachstum und Schönheit.

Diese Fürsorge setzt also eine gewisse Aufmerksamkeit voraus, ebenso eine Liebe oder Leidenschaft für das, was wir tun, für das Leben, dem wir uns widmen. Doch wie kommt das ursprüngliche einfache „Wissen“ zustande, das uns sagt, was gebraucht wird? Wie gelangt dieses Wissen in unser Bewusstsein, so dass wir es nutzen können?

Auf einer tiefen Ebene geht es um die gleiche Dynamik wie in der Verbindung zwischen Mutter und Kind. Wir sind genauso ein Teil des Lebens wie unsere Pflanze. Das Leben umarmt uns beide, die Pflanze und mich, hält uns gemeinsam umfangen in seiner Einheit. So haben wir den Zugang zu den Bedürfnissen des Lebens in all seinen Erscheinungen, sobald wir uns für diese Ganzheit öffnen. Was die Pflanze benötigt, ist nicht getrennt von dem, was wir benötigen, was die Umgebung benötigt, was das Leben als Ganzheit benötigt. Das jedoch können wir nur erfühlen, wenn wir uns selbst nicht als getrennt vom Leben wahrnehmen, nicht getrennt von der Pflanze, der Sonne, dem Wasser oder der Erde. Der Zugang zur Ganzheit ist eine weibliche Qualität (siehe nächstes Kapitel), in Frauen wie in Männern. Frauen aber haben als die Geschöpfe, die das Weibliche verkörpern, die Möglichkeit, diesen Zugang zur Ganzheit des Lebens direkt zu nutzen. Es ist wie ein spezielles Organ, ein nicht-physisches Organ. Wie wir mit unseren Ohren hören und unseren Augen sehen können, so sind wir in der Lage, mit diesem ‘Organ’ das Bewusstsein für die Belange der Schöpfung gleichsam abzurufen. Frauen haben das Potenzial, zu wissen, wie sie für das Leben sorgen können. Das Wissen vermittelt sich direkt, ohne Umwege. Wir wissen plötzlich einfach, ohne Grübeln und Abwägen, jenseits von Zweifeln. Es geschieht über die Einfühlung in das Leben selbst. Natürlich ist das nicht jederzeit und überall möglich, denn unsere menschlichen Kapazitäten sind begrenzt. Wir können und müssen nicht gleichzeitig wissen, was ein kleines Kind an einem fernen Ort in Afrika benötigt, ein Fluss in China oder ein Baum in Brasilien. Doch dort, wo es in dem jeweiligen kleinen Radius unseres eigenen Lebens gebraucht wird, kann sich dieses Wissen leicht offenbaren, wenn wir uns dafür öffnen.

Bei Müttern und Kindern erscheint uns diese Fähigkeit noch selbstverständlich, bei der Arbeit in der Natur vielleicht noch nachvollziehbar. Doch ist diese Fürsorge für das Leben auch vorstellbar in anderen Lebensbereichen, in alltäglichen Arbeitszusammenhängen, weit weg von Natur, Bäumen und frischer Luft? Sicherlich ist es in der direkten Begegnung mit Menschen noch leichter als in einem Zusammenhang, in dem die Beziehungen anonym sind. Dort, wo die Arbeit in rigiden vorgegebenen Strukturen verläuft, wo sie keinen Raum und keine Zeit lässt, dem Leben zuzuhören, sondern bloß schnellstens erledigt werden muss, erscheint es nahezu unmöglich, beides in Einklang zu bringen.

Da wir hierzulande und heute nicht mehr in Gesellschaften leben, die sich Zeit lassen können, vom Leben zu erlauschen, was es benötigt, und Raum geben, auf seine Bedürfnisse spontan zu reagieren, ist es für uns schwer vorstellbar, mit einer weiblichen Beziehung zum Leben im modernen Alltag, in unserer hochfunktionalen technisierten und hierarchisch organisierten Arbeitswelt zu bestehen.

Doch es erfordert gar nicht so viel Fantasie, uns sich dies vorzustellen, wenn wir einmal innerlich die einfache Wahrheit zulassen, dass diese unergründlich tiefen Quellen, die den Fluss des Lebens speisen, tatsächlich und wahrhaftig vorhanden sind. Die Quellen sind in Vergessenheit geraten, die Welt erinnert sie nicht mehr, und die Frauen haben den Zugang verloren. Das bedeutet aber nicht, dass sie für immer verschwunden sind. Sie liegen verborgen, mehr oder weniger verschüttet, und warten darauf, wiederentdeckt und genutzt zu werden.

Dabei kann es sicherlich nicht darum gehen, in archaische Lebensformen zurückzukehren, sondern Wege zu finden, wie wir hier und heute das weibliche Wissen und die weibliche Kraft, die das Leben nährt, erhält, schützt und heilt, wiederentdecken, uns wieder ihrer erinnern können, sie letztlich ins Leben und in die Welt zurückfließen lassen können. Das Leben und unsere Welt werden sich dann von selbst verändern, gleichsam organisch in ein neues Gleichgewicht gelangen.

Zunächst wird es darum gehen, jenen gewissen Sinn, der uns die Fähigkeit verleiht, vom Leben zu erlauschen, was es benötigt, wieder wachzurufen und zu sensibilisieren. Gleichzeitig bedarf es der Bereitschaft, diesem Sinn in uns und in unserem Leben wieder Raum zu geben und diesen Raum offenzuhalten.

Die Ganzheit des Lebens wahrnehmen

Stellen wir uns vor, wir säßen gemütlich auf einem kleinen Planeten eines anderen Sonnensystems und würden uns in Ruhe das Leben auf dieser Erde durch ein Teleskop anschauen. Genauso gut könnten wir aber auch vor einem Komposthaufen sitzen und mit einer Lupe das Geschehen darin beobachten. Es gibt ein Gesetz über die Wirklichkeit, das besagt: Wie oben, so unten, wie im Kleinen, so im Großen.

Aber kehren wir zurück zu unserem Beobachtungspunkt auf unserem kleinen Planeten und stellen uns vor, wir schauten auf die Erde.

Wir würden eine wichtige und doch sehr banale Entdeckung machen: In dem Moment, wo wir weiter wegrücken und nicht mehr nur den kleinen Ausschnitt im Blick hätten, würden wir sehen, dass die Erde ein Ganzes ist, aus dem kein einziges Teilchen, kein Ereignis und keine einzelne Bewegung für sich herausgetrennt und isoliert werden kann.