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Impressum

Sean Beaufort

Goldrausch
im Küstennebel

Der Haß ist groß – das Virginia-Paradies zeigt seine dunkle Seite

Die Indianer kauerten auf ihren bunten Decken und tauchten die Finger in Näpfe, in denen sich fettige Erdfarben befanden. Mit denen bestrichen sie ihre Körper und Gesichter, so daß auf der Haut breite Streifen entstanden.

„Wenn der Nebel verschwindet“, sagte der Anführer, „steigen wir in die Kanus, um gegen die großen Kriegskanus zu kämpfen. Wir schützen unsere Frauen, die Kinder und das Land.“

Die Jäger, die sich in entschlossene Krieger verwandelten, murmelten zustimmend.

„Wir werden tapfer kämpfen“, sagte Starke Schlange in kaltem Zorn.

„Wir werden die Männer mit der bleichen Haut töten“, erklärte Kluger Fisch.

Kaimanwürger legte den Kopf in den Nacken und summte das Kriegslied. „Viele von uns werden getötet werden“, sagte er.

Über das Wasser glitt das große Kanu mit den Feuerrohren …

Die Hauptpersonen des Romans:

William Godfrey – ist zwar adligen Geblüts, aber das rettet ihn nicht vorm Zappeltod an der Rah.

Atkinson Grey – als ihn der Profoshammer mit der Wucht einer Ramme trifft, verblassen seine Träume von Gold und Wohlleben.

Alec Morris – für ihn zahlt sich gar nichts aus, am wenigsten sein adliges Großmaul.

Starke Schlange – befindet sich mit seinen Stammesbrüdern auf dem Kriegspfad, aber das letzte Gefecht brauchen sie nicht mehr zu führen.

Ben Brighton – der Erste Offizier übernimmt die „Explorer“ und muß sich mit den Gefangenen herumärgern.

Philip Hasard Killigrew – um das Recht durchzusetzen, trifft er eine schnelle und harte Entscheidung.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

1.

Philip Hasard Killigrew kniff die Augen zusammen und suchte nach einer Lücke in den dichten Nebelschleiern.

In der Bucht herrschten noch immer Nebel und Windstille. Eben hievte die Crew den Anker an Steuerbord hoch und belegte ihn, das Spill gelangte zur Ruhe. Die langen Riemen wurden durch die Dollen geschoben.

„Den Anker nicht säubern!“ rief Hasard. „Das erledigt die Brandung besser und schneller.“

„Aye, Sir“, tönte es vom Bug. Die Trosse wurde aufgeschossen, aufgeklart und verstaut. Unaufhaltsam, aber langsam stieg das Wasser mit der aufbrausenden Flut. Die Schebecke schwamm bereits.

Das „Geisterschiff“ konnte entweder die „Pilgrim“ oder die „Explorer“ gewesen sein. Es schien undenkbar, daß sich an diesem Stück der Küste eine andere Galeone aufhielt. Es wäre ein Zufall gewesen, zu groß, als daß man daran glauben konnte.

„Wir pullen die Schebecke ins freie Wasser!“ rief Ben Brighton. „Draußen wird es Wind geben!“

„Und dann sehen wir, wer hier herumgeistert“, sagte Dan O’Flynn.

Das lange Warten in der kleinen Bucht war ohne jedes aufregende Ereignis vorübergegangen. Der dichte neblige Dunst, der vom Festland erschienen war, mit wechselnden Gerüchen, hatte sich immer dann ein wenig verdünnt und war stellenweise verschwunden, wenn das Schiff trockengefallen war.

Schließlich hatte Hasard die Schebecke in tieferes Wasser verholen lassen. Aber es kam kein Wind auf, und wieder versteckte der Nebel das Schiff und die Ufer. Die Crew, und das stellte einen unzweifelhaften Vorteil dar, war ausgeruht und ausgeschlafen, und jeder Winkel des Schiffes war wieder einmal aufgeklart und sauber.

Daß Al Conroy seine Artillerie in bestem Schuß hatte, verstand sich von selbst.

„Wir werden nicht nur die Galeone entdecken, sondern auch herausfinden, was sie hier sucht“, sagte der Seewolf.

Die Seewölfe wunderten sich. Es war mit Drinkwater und Toolan vereinbart worden, daß die Galeonen auf die Schebecke warten sollten. Schließlich ging es um das Leben und die Existenz von mehr als zweihundert Siedlern, wegen denen sie die erschöpfende Reise auf sich genommen hatten. Und wenn jetzt einer der beiden aus dem Kurs gelaufen war, dann mußte das einen wichtigen Grund haben.

„Und alle wichtigen Gründe sind gefährlich. So. Jetzt wißt ihr’s“, murmelte Old Donegal.

„Anker klar!“ schrie jemand vom Bug her.

„Wartet noch! Wir wollen nicht auflaufen!“ rief Hasard zurück.

„Aye, aye, Sir.“

Vor eineinhalb Stunden war die Sonne aufgegangen. Trotzdem reichte ihre Kraft noch nicht aus, den Nebel schnell aufzulösen. Man nahm an, daß die unbekannte Galeone nach Süden gesegelt war, aber Sicherheit gab es nicht. Wie auch die Schebecke, mußte die Galeone gegen südliche Winde kreuzen, doch es war ungewiß, ob sich die Galeone tatsächlich auf Südkurs befand.

Die Crew ging an die Riemen. Fast unmerklich langsam drehte die Schebecke, bis der Bugspriet auf die Passage zwischen den Felsen und Klippen zeigte. In den Löchern der Nebelwand sah man die ersten schäumenden Brandungswellen, die mit der Flut herangewirbelt wurden.

Dan stützte das langsame Manöver, indem er Kompaß und Ruderstellung kontrollierte.

„Diesen Kurs halten!“ rief er.

Das Wasser stieg, und schließlich schwamm die Schebecke so hoch auf, daß Hasard seine Befehle geben konnte.

„Pullt an!“ schrie Carberry. „In meinem Takt, ihr Affenärsche!“

Die Crew stemmte sich gegen die Riemen und pullte das schlanke Schiff aus der Bucht. Das Rauschen der Wellen wurde schärfer und lauter. Der Bug hob sich, und der Geruch, den der Nebel mit sich trug, verflüchtigte sich in dem Maß, in dem das Schiff auf das freie Wasser zuglitt.

Auch der Nebel wich zurück und wurde aufgelöst. Minuten später, als die ersten großen Wogen das Schiff gehoben hatten und unter dem Heck landwärts gerollt waren, als der Atlantik gegen die Planken schlug, wurde der Blick freier. Ein erster Windstoß brachte frische, salzgetränkte Luft aus dem Süden. Der Wind war nicht stickig, aber wärmer als erwartet.

„Wind aus der Karibik“, sagte der Seewolf andächtig. „Bald sind wir dort, Freunde.“

Aufmerksam betrachtete die Crew die Wasseroberfläche. An Steuerbord voraus kräuselte sich im zunehmenden Wind das Wasser. Während ein Teil der Crew weiterpullte, eilten die anderen an die Schoten und Taljen. Achtern hoben Ben Brighton und der Seewolf die Spektive und fingen an, die Kimm abzusuchen.

„Wo ist diese verdammte Galeone?“ rief der Seewolf.

„Nicht zu sehen“, antwortete der Erste mürrisch.

Während die Schebecke, deren Rahruten und Segel herumgeschwungen wurden, die Luvzone zu erreichen versuchte, sahen die Seewölfe nichts anderes als die Linien, Erhebungen und anderen Zeichen der Küste, die sie schon kannten. Sie suchten die Markierungen jenseits der weißen Brandung mit den Augen ab, und konnten weder den Rauch von Feuern noch die Mastspitzen der Galeone sehen.

Hasard starrte Ben fragend an und wußte, daß er keine befriedigende Antwort erwarten durfte.

„Zurück nach Norden? Oder weiter nach Süden?“ fragte er.

Beide wußten, daß zumindest für eine Handvoll Seemeilen im Süden keine Bucht existierte, in der die Siedler ausgebootet werden konnten, es sei denn, sie wären alle lebensmüde. Sollte die Galeone nach Süden unterwegs gewesen sein, würde der Kapitän das gleiche feststellen.

„Wäre ich der Kapitän“, meinte der Erste zögernd, „würde ich nach Süden nicht weiter vorstoßen. Auch wegen des Windes.“

Das eine konnte so falsch wie das andere sein. Hasard, der sich seit der Sichtung des „Geisterschiffes“ unablässig diese Frage vorgelegt hatte, mußte im Verlauf der nächsten halben Stunde entscheiden, welcher Kurs gesegelt werden sollte.

Er entschied sich.

„Wenn wir nichts finden, dann segeln wir zurück zur Siedlung. Jedenfalls gehen wir auf Nordkurs. Die Küste an Backbord, Männer.“

„Alles klar, Sir“, erwiderte der Erste. Er war sichtlich erleichtert über diesen Entschluß seines Kapitäns.

In den Sommermonaten herrschten entlang dieser Küsten Winde aus Süden vor. Sie wehten, wie in jedem Teil der Welt, heftiger oder milder. Auch gab es eine starke Strömung, die in der Hauptrichtung nach Norden setzte. Jeder Seemann, der diese Küste befuhr, kannte diese Besonderheiten.

Der Südwind blies auch an Land den Nebel weg, und als die Segel gesetzt waren und sich die Schoten ächzend strafften, zeichneten sich deutlicher und in satteren Farben die langsam wechselnden Bilder an der Küste ab.

„Nichts ist klar“, murmelte der Seewolf und versuchte, durch sein Spektiv etwas mehr zu erkennen als Brandungswellen, Felsen, Bäume und Wolken. Weiter im Landesinneren hing noch Nebel zwischen den Ästen. „Gar nichts ist klar.“

Der Seewolf war von dieser neuen Entwicklung alles andere als begeistert. Er sah nichts anderes als Schwierigkeiten. Und er haßte es, dem unbekannten Schiff oder besser der Galeone mit unbekanntem Ziel und Zweck hinterherzusegeln.

„Es war also doch ein Geisterschiff, wie?“ fragte Old Donegal. „Nur im Nebel zu sehen, unter dem sich Nixen und Seejungfrauen tummeln.“

„Auf der Galeone finden wir alles andere als Nixen“, entgegnete Ben Brighton gallig. „Eher hundert oder mehr ungeduldige Kolonisten.“

„Ich lasse mich überraschen“, sagte Old Donegal und rieb sich die Augen.

Die Schebecke segelte vor achterlichem Wind und lief gute Fahrt. Der Südwind pfiff durchs Rigg, die Leinwand trocknete innerhalb der nächsten Stunde völlig auf. Wer von den Seewölfen nichts zu tun hatte, stand an Backbord, am Bug oder achtern und blickte zum Ufer hinüber. Die Untiefen, Riffs und Felsen waren bekannt. Der Kurs führte in weniger als einer Seemeile Abstand entlang des Landes.

„Mit einigem Glück laufen wir heute abend oder in der Nacht wieder in die Bucht, in der die Siedler warten“, erklärte Dan O’Flynn eine Weile später.

„Wenn nichts dazwischenkommt“, antwortete der Seewolf grimmig.

„Es wird schon was passieren“, meinte Don Juan de Alcazar hoffnungsvoll.

„Wahrscheinlich hast du recht, Juan“, sagte der Seewolf. „Fragt sich nur, was das sein wird.“

Sein Blick fiel auf Al Conroy, der zusammen mit seiner kleinen Crew wieder einmal die Culverinen und die Drehbassen inspizierte und, gründlich und ohne Hast, einige neu lud. Die Schebecke krängte nach Backbord und folgte der zurückspringenden Uferlinie. Die gewaltige Dünung des Atlantik hob und senkte das Schiff und schmetterte die auslaufenden Brandungswellen weit in die leeren Buchten und gegen die Felsen.

„Also“, Hasard sah sich auf dem Deck um und war eine Spur zuversichtlicher, „jeder weiß, was los ist. Wir suchen weiter, bis wir diese verdammte Geistergaleone gefunden haben. Und wenn wir bis zur Eisgrenze verholen müssen.“

„Wir finden sie vorher“, versicherte Dan ernsthaft.

2.

Sir William Godfreys bleiches Gesicht war bezeichnend für seinen Zustand. Vor Wut und Enttäuschung zitternd, schrie er seine Flüche heraus. Aber niemand schien darauf zu achten.

„Ihr wollt Seeleute sein?“ kreischte er mit letztem Atem. „Ihr seid Stümper. Alles könnt ihr, bloß nicht segeln!“

Zwei Dutzend Männer waren nicht in der Lage, die „Explorer“ zu führen. Das erkannte sogar der Adelige mit der roten Säufernase, die jetzt geradezu leuchtend aus seinem kalkweißen Gesicht hervorstach.

„Halt’s Maul!“ schrie jemand aus der Takelage.

„Wer war das?“ keifte Sir William, aber er erhielt keine Antwort.

Atkinson Grey hatte sich entschlossen, nur mit der Fock dem Großmarssegel und Großsegel zu segeln. Zu mehr Tuch reichten die Hände nicht aus. Überdies gab es auf dem Schiff nur fünf Leute, die etwas von der Seefahrt verstanden.

In einem kurzen lichten Augenblick erinnerte sich Sir William an die blitzschnellen Manöver, die er während der langen Überfahrt auf dem Seewolf-Schiff erlebt hatte. Hier erfuhr er das krasse Gegenteil.

„Nach rechts wollen wir!“ schrie Sir William schrill. Er spürte noch den sauren Wein von der vergangenen Nacht in der Gurgel und im Magen. „Nach rechts!“

Die Männer an Bord der Galeone dachten nicht an das Gestern, sondern an das Morgen. Es gab für sie keine Beschränkungen mehr, sie waren frei und konnten tun, was sie wollten. An dieser Küste gab es für sie nur Vorteile. Sie suchten Gold und wollten ein leichtes Leben haben.

Bisher hatten sie tun können, was sie wollten. Es schien ihnen, ohne daß sie es aussprachen, daß sich langsam und kaum spürbar die Umstände änderten. Ein Fehler war zweifellos gewesen, die Seeleute von Bord zu treiben.

„Er meint Steuerbord!“ rief Alec Morris. Er stolzierte über Deck, stieg auf die Kuhl und fing an, voller Ratlosigkeit an den Enden zu ziehen, die unaufgeschossen auf den Planken lagen oder an den Nagelbänken hingen.

„Weiß ich schon!“ brüllte Randy Gordon, der am Kolderstock stand und auch nicht wußte, welches Ziel ihr seltsamer Kapitän ausgesucht hatte. Er wartete auf neue Befehle und dachte nicht daran, Ruder zu legen.

„Was sollen wir an Steuerbord?“ schrie Jameson Kidd aus der Takelage nach unten.

„Dort ist eine Bucht, denke ich“, erwiderte Sir William.

„Und was willst du in der Bucht?“

„Ich habe das Segeln gründlich satt. Mit euch schaffen wir’s nicht“, erklärte Godfrey. „Offenbar sind wir zu wenige.“

Sein Bart, grau und struppig, war schneller gewachsen, als er je gedacht hatte. Mit rotentzündeten Augen starrte er über den verfluchten Ozean, dann glitt sein Blick über die Wuhling an Deck, und schließlich richtete er die seltsam farblosen Augen auf das Ufer. Ohne daß er wußte, wie sie es fertiggebracht hatten, näherten sie sich diesem Gelände, das aus Sumpf, Felsen und Wald bestand.

„Ein häßliches Land“, sagte er leise zu sich selbst und rülpste laut, „aber ein Dorado für mich, den Anführer dieser bemerkenswerten Gruppe von Abenteurern.“

„Kannst du etwas sehen, William?“ rief Frank Davenport, der schwankend die Wanten niederenterte.

„Nein.“

Die „Explorer“ kreuzte gegen den Wind von Süden. Durch das Knattern der killenden Leinwand drangen schwach die Rufe, mit denen sich die Seeleute verständigten.

Frank Rosebery hastete über die Planken und schrie den Rudergänger zu: „Du sollst einen Strich abfallen, Randy! Nach Steuerbord!“

„Hab’s mitgekriegt“, lautete die mürrische Antwort.

„Aber dort ist die Küste!“ schrie Godfrey. „Rechts, ihr Tölpel!“

Er verstand die Welt nicht mehr. Die Kerle gehorchten nur widerwillig seinen klaren Kommandos. Atkinson Grey will mir die Führerschaft entreißen, dachte Sir William. Aber das würde er nicht zulassen. Überdies waren sie bisher, was die Goldschätze der Neuen Welt betraf, nicht sehr erfolgreich gewesen. Wo Indianer waren, dort würde auch das Gold zu finden sein. Also galt es, Indianer zu suchen.

„Wenn wir aufs Meer hinaussegeln, dann finden wir keine Indianer“, sagte er und schüttelte, als er die wenigen Segel anschaute, verwirrt den grauhaarigen Kopf.

Spencer Taffe trat aufs Achterdeck, musterte den Adeligen in seiner vollständigen Bewaffnung mit offener Verwunderung und erklärte: „Der Wind steht gegenan, Sir.“

„Das tut er meistens. Na und?“ antwortete Godfrey mürrisch. „Warum geht es dort hinaus?“

„Weil wir kreuzen müssen. Einen Schlag hinaus auf den Atlantik, du Landratte, der nächste Schlag wieder zurück nach Steuerbord.“

„Aber dort ist das Land.“ Godfrey zeigte nach Steuerbord.

„Das haben wir inzwischen alle klar und deutlich gesehen. Land, in dem niemand wohnt“, erklärte ihm Spencer, als ob er einem Kind die Anfangsgründe des Segelns beibringen wollte.

„Ihr müßt nach Rauch Ausschau halten. Wo Feuer ist, steigt auch Rauch auf. Klar?“

„Habe ich vorher nicht gewußt“, maulte Spencer. „Gut, daß du es mir gesagt hast.“

Mit dem Spektiv, das sie Kapitän Toolan abgenommen hatten, betrachtete Sir William die Küste. Während er nach Zeichen suchte, die ein Indianerlager oder eine der reichen Goldstädte verrieten, klarten die neuen Mitsegler unter der Anleitung der fünf Männer, die wirklich etwas von der Seefahrt und vom Schiff verstanden, fluchend das Deck auf. Sie schleppten Pulverfässer und Geschosse aus den Laderäumen aufs Geschützdeck und zerrten einige Culverinen von den Stückpforten zurück.

„Sehr gut.“ Sir William rieb sich die Hände. „So werden wir’s den Wilden zeigen.“