Magie hoch zwei

Magie hoch zwei

Band 1: Operation Waldmeister

Sibylle Luig

Illustrated by Ulrike Barth-Musil

Verlag Monika Fuchs

Inhalt

Schöne Aussichten

Ellis Sturzflug

Wassermann im Aszendent

Die dunkle Magie

Später Besuch

Sommersonnwende

Endlich ist Idi da !

Drachenmalen leicht gemacht

Der coolste Geburtstag

Es kracht

Der Schwimmwettkampf

Beste Freunde

Frau Sauter muss weg

Bei den Badenixen

Das Schulfest

Der große Tag

Anhang

Sibylle Luig

Ulrike Barth-Musil

Wie alles begann …

… und wie es weitergeht

Schöne Aussichten

»Lass mich auch mal gucken«, sagte Elli und zog ihrer Zwillingsschwester Idi den Kalender weg.

»Toll, jetzt hab’ ich einen Strich übers ganze Blatt gezogen.«

»Macht doch nichts.«

Elli zauberte den Strich mit einem Lächeln weg.

»Herzlichen Dank«, grinste Idi. »So hätte ich das auch gerade noch geschafft.«

»Und schaffst du es, ihn dir zurückzuholen?« Kichernd ließ Elli den Kalender hoch in die Luft schweben. Vor dem offenen Fenster ihres Zimmers flog er von rechts nach links und wich Idis Händen immer wieder aus.

»Das wird mir jetzt zu blöd!« Idi schwang sich selbst in die Luft, schnappte sich den Kalender und flog mit ihm in der Hand zum Fenster hinaus.

»Hey, warte auf mich«, rief Elli ihr nach.

»Das hättest du wohl gern!« Idi schoss in den blauen Himmel hinauf. Im Nu konnte Elli sie nicht mehr sehen, aber sie hatte Idi nur für einen winzigen Moment aus den Augen verloren. Dann war sie ihr auch schon nachgeflogen und hatte sie eingeholt. Beim Fliegen hatte Idi gegen ihre Schwester keine Chance. Mit einem lässigen Schwung sauste Elli an Idi vorbei und tanzte ihr vor der Nase herum. Die Luft war Ellis Element, das wussten sie beide.

»Her mit dem Kalender!« Elli streckte ihre Hand aus.

»Hol ihn dir doch!«, schrie Idi übermütig und schmiss den Kalender so hoch sie konnte in die Luft. Leicht wie eine Feder und schnell wie der Blitz folgte Elli ihm und schnappte ihn sich. Dann wollte sie zu Idi zurückfliegen, aber die war verschwunden.

»Idi, wo bist du?« Elli blickte sich nach ihrer Schwester um, aber sie sah nur blauen Himmel und ganz vereinzelt ein paar Schäfchenwolken. Sie war viel höher geflogen, als sie gedacht hatte.

Unter sich konnte sie die ganze Stadt sehen. Vom Funkturm zum Fernsehturm und wieder zurück und dazwischen die Spree. Wie eine silbrig glänzende Schlange, die sich durch die Stadt schlängelt, sieht das aus, dachte Elli. Wie sehr sie es liebte, Berlin von oben zu sehen.

Aber heute konnte sie nicht in der Luft bleiben. Idi musste nachher noch mit ihrem Vater nach Hamburg zurückfahren. Bis dahin wollte Elli jede Sekunde mit ihr verbringen. Schnell flog sie zurück, bis sie das rote Dach des Hauses sehen konnte, in dem sie mit ihrer Mutter Matea und ihrer Tante Eva lebte. Klar, dort neben der Dachgaube saß Idi und winkte ihr zu.

Elli landete sanft neben ihr auf dem Dach und gab Idi den Kalen­­der zurück: »Hier!«

»Wollen wir nun endlich die Tage zählen, bis wir uns wiedersehen?«, fragte Idi lachend.

»Unbedingt«, sagte Elli, die nicht mal außer Atem war. »Aber wo ist denn jetzt der Stift?«

Idi griff in die Luft und holte ein Tintenfass mit Feder hervor.

»Bist du auf einer Zeitreise?«, kicherte Elli. »Wie wäre es mit einem Kuli?«

»Ich weiß auch nicht, wo das herkam!«

Idi schüttelte fröhlich den Kopf, dass ihre strohfarbenen Haarsträhnen nur so um sie herumflogen, und ließ Tinte und Feder wieder verschwinden.

»Hier, der sieht doch gut aus, oder?« Jetzt hatte sie einen roten Filzstift in der Hand.

»Der ist super«, bestätigte Elli und griff nach ihm. »Schau mal, da sind Erdbeeren drauf. Der riecht bestimmt lecker.« Sie nahm die Kappe vom Stift und roch daran. »Hm, stimmt«, sagte sie. »Erdbeerduft …«

»Bist du dir sicher?«, fragte Idi und grinste unverschämt.

»Ja, klar«, sagte Elli und roch noch mal am Stift. »Igitt, was ist das denn jetzt?« Angeekelt starrte sie auf den Stift, auf dem jetzt statt der Erdbeeren ein kleines Stinktier zu sehen war, das ihr frech zuzwinkerte.

»Du …«, setzte Elli an und boxte ihrer Schwester in die Schulter.

»Das ist fürs Wegfliegen«, sagte Idi nur. »Jetzt riecht er wieder nach Erdbeeren, okay?«

»Okay«, lachte Elli. »Und los! Eins, zwei, drei …«, dann zählte sie leise weiter.

»Also noch elfmal schlafen bis zu meinem Geburtstag und …«

»… noch zwölf Mal schlafen bis zu meinem!«, ergänzte Idi.

»Dann sehen wir uns in elf Tagen! Ich bin so froh, dass Mama und Papa uns erlauben, dass wir zusammen feiern!«, seufzte Elli.

»Wird aber auch Zeit! Zum ersten Mal in elf Jahren! Da mussten sie einfach Ja sagen!«

»Frau Sauter hat zuerst Nein gesagt. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann dürftest du am Freitag nicht mit mir in die Schule gehen«, fiel Elli ein.

»Das ist doch deine Klassenlehrerin, oder?«

»Leider.« Elli konnte ihre Klassenlehrerin nicht ausstehen. »Frau Sauter hat gesagt, Zwillinge würden nicht in die gleiche Klasse gehören. Aber dann hat Mama sie ganz lieb angelächelt und sie hat es erlaubt. Mama hat ein bisschen nachgeholfen, glaube ich.«

Idi kicherte. »Meinst du nachgezaubert?«

»Hey, was macht ihr denn da? Seid ihr irre?«

Elli und Idi blickten auf die Straße herunter. Vor dem Haus stand ihr bester Freund Philip, wie immer in seinem Fußballtrikot und mit einem Ball unterm Arm.

»Hey, Philip. Komm hoch! Es ist toll hier.« Idi winkte Philip zu.

»Pass auf!«, rief Philip von unten. »Sonst fällst du noch vom Dach! Ich komm jetzt hoch. Einer muss ja auf euch aufpassen.«

Elli und Idi tauschten einen Blick aus. Sie mussten sich anstrengen, nicht loszuprusten.

»Er passt auf uns auf«, kicherte Idi, als Philip im Haus verschwunden war.

»Wir müssen auf ihn aufpassen! Es ist steil hier. Nicht, dass ihm was passiert.« Typisch Elli, wie immer war sie ein bisschen vorsichtiger als ihre Schwester.

»Was sollen wir denn machen?«, fragte Idi und grinste übermütig. »Ihn festbinden?«

Elli überlegte. Als sie das erste Mal zusammen von diesem Dach geflogen waren, da hatten Mama und Tante Eva auf sie aufgepasst. »Schaffen wir das, hier einen Zauberraum für ihn zu machen?«, flüsterte sie Idi zu.

»Super Idee. Das versuchen wir!«, sagte Idi energisch. »Philip darf nichts passieren.«

»Tante Eva meinte, das könnten nicht alle Hexen«, wisperte Elli aufgeregt. »Weißt du noch? Das ist die hohe Kunst des Hexens, hat sie gesagt.«

Sie hörten, wie Philip im Haus die Tür zum Dachboden aufmachte und wieder zufallen ließ. Schon war er auf der kleinen Holztreppe zur Dachgaube.

»Gib mir deine Hand«, befahl Idi. Elli streckte ihre Hand nach Idis aus. Ihre Finger berührten sich und mit ihnen die Mondsteinringe, die sie immer trugen. Elli spürte die Wärme und die Kraft, die zwischen ihnen entstand. Von ihren Händen strömte sie in unsichtbaren Wellen aus, für den Bruchteil einer Sekunde wurde alles kalt, und Elli schloss die Augen.

Als sie sie wieder aufmachte, saß Philip neben ihr auf dem Dach mitten im Zauberraum, den die beiden für ihn erschaffen hatten.

Elli drückte Idis Hand. Sie beherrschten sie. Die hohe Kunst des Hexens. Sie konnten Räume aufbauen, in denen ihre Freunde sicher aufgehoben waren.

Ach, es ist einfach wunderbar, eine Hexe zu sein und die Elemente zu beherrschen, dachte sie.

Was sie wohl sonst noch alles zusammen zaubern könnten? So viel mussten sie noch herausfinden, es war noch nicht mal ein Jahr her, dass sie entdeckt hatten, dass Idi und sie magische Kräfte hatten, wenn sie zusammen waren.

Elli freute sich so sehr darauf, dass Idi gleich zu Beginn der Som­­merferien mit ihrem Vater nach Berlin ziehen würde. Fast elf Jah­re waren sie getrennt gewesen. Ihre Eltern hatten damals ­be­schlos­sen, dass sie wie normale Kinder aufwachsen sollten. Aber seit Elli Idi letzten Sommer zufällig kennengelernt hatte, war allen klar geworden, dass Elli und Idi außergewöhnliche Mädchen und stink­normale Hexen waren.

»So, jetzt kann euch nichts mehr passieren!«, sagte Philip. »Jetzt bin ich da.«

»Super! Danke! Toll!«, sagten Elli und Idi wie aus einem Mund und blinzelten sich an Philip vorbei zu.

»Zwillinge«, sagte Philip und schüttelte den Kopf. »Was macht ihr da?«, fragte er dann und zeigte auf den Kalender.

»Die Tage zählen bis zu meinem Geburtstag«, sagte Elli.

»Und zu meinem«, fügte Idi hinzu.

»Und da müsst ihr zweimal zählen?«, fragte Philip und ließ eine Kaugummiblase vor seinem Gesicht zerplatzen.

»Natürlich nicht«, sagte Idi beleidigt. »Meiner ist ja nur einen Tag später.«

»Echt? Ich dachte, ihr seid Zwillinge. Wie geht das denn?«, wunderte sich Philip.

»Jetzt stehst du aber ganz schön auf dem Schlauch«, sagte Elli spöttisch.

»Elli ist am 21. Juni eine Minute vor Mitternacht geboren und ich am 22. Juni eine Minute nach Mitternacht. Ganz einfach«, erklärte Idi stolz.

Philip rieb sich die Reste von Kaugummi von der Wange und staunte: »Wow, darüber habe ich ja noch nie nachgedacht. Wenn Zwillinge an unterschiedlichen Tagen geboren sein können, dann könnten sie auch in unterschiedlichen Jahren Geburtstag haben. Die eine am 31. Dezember und die andere am 1. Januar. Oder in unterschiedlichen Jahrzehnten.« Er überlegte weiter und die Idee schien ihn immer mehr zu begeistern. »Oder in verschiedenen Jahrhunderten, wenn sie …«

»Wir haben es kapiert«, unterbrach Elli ihn.

»Zwei Partys, wie cool!«, sagte Philip.

»Die Party ist am Samstag. Weißt du doch«, sagte Elli.

»Und Freitag gehe ich zum ersten Mal mit in eure Klasse.« Idi strahlte Philip an.

»Cool«, sagte Philip wieder. »Seit wann dürft ihr eigentlich aufs Dach? Ist ganz schön hoch hier! Und echt steil.«

»Guckt mal, da kommt Noah!«, rief Elli, froh über die Ablenkung. Und wirklich, da balancierte ihr kleiner roter Kater leichtfüßig über den Dachfirst und lief dann schnell über die Schräge auf Elli zu. Glücklich, sie hier oben zu finden, sprang er auf ihren Schoß, drehte sich dreimal um sich selbst und machte es sich dann schnurrend gemütlich.

»Oh, Noah ist so süß!«, rief Idi begeistert und streichelte Noah auf Ellis Schoß. »Ob er wohl meine Rennmäuse mögen wird? Die ziehen auf jeden Fall mit mir nach Berlin!«

»Bestimmt!« Elli war sich sicher, dass sich alle ihre Tiere vertragen würden. Auch der Kater ihrer Mutter, Mihai, Tante Evas Kater Nero und Idis Rennmäuse Lina und Lura.

»Eigentlich müsste ich doch auch eine Katze bekommen«, überlegte Idi laut. »Irgendwann muss doch jede …«

Elli stieß ihr gerade noch rechtzeitig den Ellenbogen in die Rippen.

»Ich hätte lieber einen Hund«, sagte Philip, dem nicht auffiel, dass Elli und Idi bedeutsame Blicke wechselten.

Bei dem Wort »Hund« sprang Noah plötzlich von Ellis Schoß und landete mit einem Satz auf Idis Schulter.

»Huch!« Idi schrie vor Schreck auf. »Noah, was machst du denn da?«

»Hat der Angst vor Hunden?«, fragte Philip.

»Quatsch«, sagte Elli. »Schon gar nicht vor Hunden, die es noch nicht mal gibt.«

Aber Noah haute trotzdem ab. Er war von Idis Schulter gesprungen und verschwand hinter der Dachgaube.

»Wo will er denn auf einmal hin?«, wunderte sich Elli.

»Da, schaut mal! Da ist er! Im Nachbargarten!«, rief Philip einen Moment später. »Und Nero und Mihai auch.«

Er lehnte sich so weit vor, dass Elli glücklich über den Zauberraum war.

Sie schaute ebenfalls hinüber in den anderen Garten und sah ihre drei Katzen, die gebannt eine Stelle hinter dem großen Rosenstrauch zu beobachten schienen. Was daran so spannend war, sah Elli einen Augenblick später. Es waren zwei andere Katzen. Zwei Siamkatzen, die hoch erhobenen Hauptes und ohne Noah, Mihai und Nero zu beachten, durch den Garten flanierten.

»Wo kommen die denn her?«, wunderte sich Elli. »Die habe ich ja noch nie hier gesehen.«

»Da wohnt doch auch gar keiner in dem Haus, oder?«, fragte Philip.

Elli schüttelte den Kopf. »Ne, nicht das ich wüsste.«

»Aber Streunerkatzen sind die auf keinen Fall«, sagte Idi. »Schaut mal, die haben Halsbänder mit goldenen Knöpfen dran.«

»Stimmt«, sagte Elli. »Richtig vornehm sehen die aus.«

»Echt?«, fragte Philip verwirrt und rieb sich die Augen. »Ich seh nichts!«

Aber Idi gab Elli recht: »Vornehm und richtig eingebildet«, sagte sie, und dieser Meinung schienen sich auch Noah, Mihai und Nero anzuschließen, die den Garten gemeinsam wieder verließen.

Zwei Siamkatzen

»Komisch, wo die wohl hingehören?«, überlegte Elli.

»Saphira!«, schrillte es da plötzlich so laut, dass alle zusammenzuckten. Gefolgt von einem ebenso spitzen »Samira!«

Schnell wie der Wind, rasten die Siamkatzen durch den Garten zum Haus, sodass die Kinder sie vom Dach aus nicht mehr sehen konnten.

»Was war das …?«, setzte Philip an, aber Idi unterbrach ihn.

»Mist, da kommt Papa. Jetzt aber nichts wie runter vom Dach.«

»Aber schnell«, sagte Elli. »Du zuerst«, raunte sie Philip zu.

»Kommt nicht infrage«, widersprach Philip. »Frauen und Kinder zuerst.«

»Wir sind auf dem Dach von unserem Haus«, Elli konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, »nicht auf der Titanic.«

»Schnell jetzt«, sagte Idi. »Papa entdeckt uns gleich. Dann gibt es richtig Stress. Wer weiß, ob wir dann noch zusammen Geburtstag feiern dürfen.«

»Papa will nicht, dass wir auf dem Dach sind«, sagte Elli zu Philip, als ob man das erklären müsste.

»Klar«, sagte Philip nur und folgte Elli in die offene Dachgaube hinein. Hinter ihnen kletterte Idi gerade noch rechtzeitig vom Dach runter.

Als Thomas aus seinem Auto ausstieg und auf die Haustür zuging, sah er auf dem Dach nur noch einen kleinen roten Kater, der ihn von oben frech angrinste.

Ellis Sturzflug

»Ich darf nicht zu deiner Party am Samstag kommen«, sagte Toni am Freitag in der großen Pause zu Elli.

»Was? Warum das denn nicht?«, fragte Elli. Idis Freundin Jenny hatte auch schon abgesagt, weil sie mit ihren Eltern an die Ostsee fahren musste.

Toni scharrte mit den Füßen auf dem staubigen Boden unterhalb des Basketballkorbs, der nie in Benutzung zu sein schien.

»Weil es eine Übernachtungsparty ist«, sagte sie endlich. »Das mit dem Zelten im Garten will meine Mutter nicht. Weil wir da unbeaufsichtigt sind, und weil bei dir auch Jungs eingeladen sind, sagt sie.«

»Da sind doch keine Jungs eingeladen«, meinte Elli erleichtert. »Da kommen doch nur Philip und Leon.«

»Herzlichen Dank«, rief Philip herüber, der ein paar Schritte entfernt mit dem Leon stand, über den Toni und Elli geredet hatten. »Wieso sind wir keine Jungen?«

»Na ja, jedenfalls keine fremden Jungen«, sagte Elli und behielt für sich, dass Mark auch eingeladen war. Mark war der Sohn von Nadine, der Freundin von Ellis und Idis Vater. Außer Idi kannte ihn keiner. War das ein »fremder« Junge?

»Es gibt ein Jungs- und ein Mädchenzelt«, erklärte sie Toni.

Aber Toni zuckte nur mit den Achseln: »Sie erlaubt es nicht.«

»Ist doch lächerlich«, sagte Josefine, die sich auch zu ihnen gestellt hatte, »ausgerechnet deine Mutter.«

»Wieso?«, fragte Toni.

»Schau dich doch mal an!«, antwortete Josefine. »Ich glaube, du bist sicher vor den Jungs.«

»Hör auf, so gemein zu sein«, sagte Elli zu Josefine. »Was soll das?« Und zu Toni sagte sie: »Ignorier sie. Die hat mal wieder schlechte Laune. Frag doch deine Mutter noch mal, ob du nicht doch kommen kannst.«

»Ist schon gut«, antwortete Toni. »Vielleicht nächstes Mal, oder?«

»Nächstes Mal ist nächstes Jahr.« Elli war enttäuscht.

»Ärger dich nicht«, sagte Philip auf dem Nachhauseweg zu Elli. »Ist doch trotzdem cool mit dem Zelten und so. Wer kommt denn jetzt alles?«

»Idi, ich, Henriette und Josefine von den Mädchen und von den Jungen sind es du und Leon. Es sei denn, Mark kommt wirklich.«

»Kann ich mir nicht vorstellen«, meinte Philip »Der ist bestimmt zu cool, um mit uns zu zelten.«

»Ich kann’s mir auch nicht vorstellen. Ich hoffe, der kommt nicht. Der kennt doch niemanden. Und er ist älter als wir.

»Idi kennt auch nur mich und dich.«

»Mit Idi ist das anders. Idi ist meine Schwester.«

»Und Mark vielleicht bald dein Halbbruder.« Philip grinste frech.

»Hör bloß auf«, sagte Elli und schoss Philip den Stein weg, den er die ganze Zeit vor sich her gekickt hatte.

Auf gar keinen Fall darf Papa Marks Mutter heiraten. In Mama soll er sich wieder verlieben und sie endlich heiraten, dachte sie. Aber Philip sagte sie das nicht.

»Was machst du jetzt?«, fragte Philip, als sie an der Ecke angekommen waren, an der sich ihre Nachhausewege trennten.

»Weiß nicht«, sagte Elli. »Hab nichts vor.«

»Kommst du noch mit? Wir könnten mal wieder auf die Eiche klettern.«

In Philips Garten stand ein riesengroßer Eichbaum, in den Philip eine Strickleiter gehängt hatte. Man musste nur die Strickleiter hochklettern, dann konnte man richtig gut auf den breiten Ästen oben im Baum liegen und in den Himmel schauen. Dort war man auch vor den doofen Nachbarn sicher, die immer meckerten, wenn Philipp und sie im Garten spielten und Krach machten. Ganze Sommer hatten die beiden in der Eiche verbracht, aber in diesem Jahr waren sie noch kein einziges Mal zusammen dort gewesen.

»Gute Idee«, sagte Elli. Sie gingen zu Philip nach Hause, fanden in der Küche ein paar Kekse und eine Flasche Limonade und kletterten damit in ihr schattiges Versteck.

Elli und Philip sitzen in der Eiche, nur die Beine schauen heraus

»Weißt du noch, wie du meintest, dass Idi traurig wäre ohne ihren Schwimmverein in Hamburg?«, fragte Elli Philip, als sie auf einem Ast in der Eiche saßen und sich die Blätter um die Ohren wehen ließen.

»Hab ich gesagt, stimmt. Also ich würde meinen Fußballverein jedenfalls total vermissen.«

»Muss Idi aber nicht. Ich hab jetzt einen Schwimmverein für sie gefunden«, sagte Elli und trank einen Schluck Limo.

»Echt?«, fragte Philip. Er setzte sich auf seinem Ast so hin, dass er Elli besser sehen konnte. Sie hätte sich denken können, dass ihn Sportvereine interessierten.

»Welchen Verein denn?«, fragte er prompt.

»Die Badenixen. In der Breiten Straße. War gar nicht so einfach, das kann ich dir sagen. Ich hab ganz viele Vereine angerufen, aber keiner wollte neue Mitglieder aufnehmen.«

»Wie bitte?«, fragte Philip und stocherte mit einem kleinen Zweig von der Eiche in seinen Ohren herum.

»Was soll das?«, fragte Elli irritiert. »Was machst du da?«

»Ohren putzen«, sagte Philip. »Ich glaube, ich muss mich verhört haben. Du hast keinen Verein für Idi gefunden?«

»Sagte ich doch gerade, was ist daran so schwer zu verstehen?« Elli war klar, dass Philip sie ärgern wollte. Sie wusste nur nicht, warum.

»Du hast gefragt, ob sie Merida Fechner aufnehmen wollen?«

»Äh«, sagte Elli irritiert. »Genau. Also, ich glaube, ich habe Idi Schick gesagt. Weiß ich nicht mehr.«

»Was hast du?«, fragte Philip und tat so, als würde er vor Lachen vom Baum fallen.

»Was ist denn daran so witzig?«, fragte Elli beleidigt. Langsam fing Philip an, sie zu nerven.

Statt zu antworten, nahm Philip sein Handy aus der Hosentasche und begann, darauf herumzutippen. Es dauerte einen Moment, dann streckte er es Elli rüber.

»Hier schau mal!«

»Merida Fechner«, las Elli laut vor, »1085 Treffer. Na und?«

»Guck dir die Einträge doch mal an, Mann«, sagte Philip ungeduldig.

Elli schaute wieder auf sein Handy. Das Display war voller Bilder von Idi und anderen Mädchen mit gleichen Badeanzügen und Badekappen vor Schwimmbecken, auf Podesten, mit Medaillen, in Vereinskleidung und immer wieder mit Siegerurkunden.

»Wow«, sagte Elli und klickte sich durch die Seiten. »Idi ist ein Star! Ich wusste gar nicht, dass sie so gut schwimmen kann.«

»Weil du dich nicht für Sport interessierst«, sagte Philip. »Ich wusste es.«

Na, klar, weil du immer am Handy hängst, wenn du nicht gerade auf dem Fußballplatz bist, dachte Elli. Aber das sagte sie nicht laut. Stattdessen sagte sie: »Na, umso besser, dass ich jetzt einen Verein für sie gefunden habe.«

»Du kapierst es nicht, oder?«, fragte Philip immer noch lachend. »Idi Schick muss sich bei den Berliner Schwimmvereinen um einen Platz bewerben. Aber wenn Merida Fechner anruft, dann flippen die aus. Idi ist eine Spitzenschwimmerin. Mann, Elli! Idi ist Weltklasse im Schwimmen! Die geht nicht zu den Badenixen.«

So wie er Badenixen sagte, verstand selbst Elli, dass es sich offen­bar nicht um Berlins allerersten Schwimmverein handelte.

»Okay, jetzt hab ich es kapiert«, sagte Elli beleidigt. »Du kannst aufhören, dich totzulachen über mich.«

Warum hatte ihr Idi nie davon erzählt? Eigentlich war es keine Überraschung, dass Idi ein Ass im Schwimmen war. Schließlich war das Wasser ihr Element. So wie Elli als Hexe die Luft und das Feuer beherrschte, waren Idi die Elemente Wasser und Erde anvertraut.

»Ihr Team hat letztes Jahr den Pokal der Vereinsbesten gewonnen«, riss Philip Elli aus ihren Gedanken.

»Ist ja gut«, sagte Elli. »Ich sag doch, ich hab’s kapiert. Idi schwimmt gut.«

»Die wird ganz bestimmt nicht bei den Badenixen in Charlottenburg schwimmen.« Philip schien sehr zufrieden damit zu sein, dass er besser informiert war als Elli.

»Weißt du was«, sagte Elli und merkte, dass sie richtig sauer war auf Philip, der alles besser wusste. »Dann schwimm ich da eben. Bei den Badenixen. Wenn sie eine Idi Schick nehmen, dann werden sie wohl auch eine Elli Schick verkraften. Und jetzt muss ich gehen.«