Spoken Word/Gedichte
Books on Demand
1. Auflage, Oktober 2011
© Hartmut Pospiech
Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-8482-9955-3
Ich sammle Kalorien,
wie andere Menschen Kunst,
von allen Künstlern ist mir
Joseph Beuys der Liebste;
wegen des Fetts,
in Ecken und in Badewannen
Ich habe seine Lehre ernst genommen
und erst zur Konsequenz gebracht
Denn anders als die
Kalorien-Dilettanten
bin ich ein Kunstwerk.
Schon sechsunddreißig Jahre
freß ich.
Laß keine Mahlzeit aus,
kein Häppchen wird mir schlecht.
An keinem Imbiß,
an keiner Süßigkeit geh' ich vorbei.
Kein neuer Werbespot für Essen,
der mich nicht augenblicklich
an die Regale treibt.
Und die Belohnung für dies harte Schaffen
ist ein Meisterwerk:
mein Körper,
den Kunst und Wissenschaft
und Marketing in seltner Eintracht
erst erschaffen haben.
In jedem Winkel meines Körpers
find' ich Fett.
Nicht Muskeln, Knochen, Knorpel,
sondern: Fett,
die Krone höchster Schöpfungskraft.
Mein Fett ist eine Zeitmaschine für Gefühle,
ein Kaffeefilter voll mit Aromaporen,
die Wut in Ärger
und Ärger in Gelassenheit verwandeln.
Mein Fett ist eine Spaßrakete,
das neue Synonym für Glück.
Und Harmonie.
Schon oft gefilmt,
auf Video gebannt,
gedruckt,
für Menschen, meist in Afrika,
damit sie schon
die Zukunft schauen können,
den neuen Weltengeist.
Die Utopie für tausend neue Jahre
Doch lebe ich zugleich als Mönch
denn nur dem Essen weihte ich mein Dasein
und schwor dem schnöden Alltag ab.
Ich schaue jetzt,
wem ich vertraue.
Menschen verderben leicht,
mein Essen nicht.
Denn Schokolade lügt nicht,
heuchelt nicht,
ist niemals launisch.
Der Grünkohl hat niemals
etwas andres vor
als nur darauf zu warten,
daß ich ihn esse.
Er lädt sich gerne Wurst noch ein,
aus der das Fett spritzt
- gezeichnet: Joseph Beuys -
und Bier
und Schnaps.
Dann feiern wir
bis morgen.
Schon heute warten hundert in der Frühe
an meiner Tür.
Nur um den Zipfel meines Rocks zu küssen,
wenn ich zum Brötchenholen fahr.
Von meinem Haus,
das ein Menü aus dicken Ziegeln,
fetten Balken und Fenstern schwer wie Lebertran,
führt mich ein Wagen
mit verstärkten Achsen
zur Arbeit,
ins Fernsehstudio,
wo täglich ich von zwölf bis eins,
vor allem aber live und ungeschnitten esse.
Danach zum Mittag und dann -
der Rest des Tages -
Wohlfahrt:
Ich ess umsonst für Waisenkinder;
Vermarktung:
Ich ess für teures Geld Produkte,
die der Verbraucher sonst nicht kauft;
Glauben:
Ich ess Oblaten für das Seelenheil der Christen,
denen wohl sonst nicht mehr zu helfen ist;
und Subventionen:
Zweimal pro Woche ess ich vom Butterberg,
was niemand sonst vermag.
Ich gebe zu,
ich keuche manchmal
an der Last.
Tagaus, tagein
nur Kunst zu sein,
ist gar nicht leicht.
Wie schnell einmal die Lust verloren
und schon fünf Kilo weniger.
Das zehrt schon an der Kondition,
doch niemals lange,
denn der Schöpfer gab mir Appetit,
wo andere nur Hunger haben.
So fand ich schon zur Lebenszeit
ein stilles Glück
und keinen Wunsch, der unerfüllt geblieben.
Nur einen:
Wüßte ich,
ich müßte
eines schönen Tages sterben,
dann würd' ich gerne überrollt
von reißenden Lawinen
aus Marzipankartoffeln:
Im letzten Augenblick noch mal
den Mund zu voll genommen,
das wär' mein schönstes Epitaph.
Noch einmal geknutscht
Noch einmal gejammert
Noch einmal
unter der Decke gekuschelt
geliebt
gelitten
Noch einmal getrennt
geschwiegen
gewollt
gewünscht
gefickt
gebilligt
gestritten
gesündigt
Den Einsatz verloren
banal gelebt
geschlafen
sich gereinigt
sich vollkommen vergessen
gejammert
gejohlt
genossen
immer wieder getrennt gemacht getrennt
Noch einmal alle Gläser
leer- getrunken
dem Bodensatz 'Guten Tag'
gesagt
gewaltige
Dinge
versprochen
gelinde gesagt
zum Kotzen freundlich gewesen
Währenddessen
gelegentlich
heimlich
der Feindschaft
gewidmet
Gehilfen
gesucht
den meisten Hypes
aufgesessen
Restsüße
hat sich ins Leben
gemischt.
Linie U3
Richtung Billstedt
Haltestelle Sternschanze
Ich
sehe Dich
Adrenalin
Du rein
Ich raus (eigentlich)
(dann doch nicht)
In Deinen Armen
Zwei Stationen lang
Festhalten
St. Pauli
Ich komme mit
Rolltreppe
Seitenstraße
Händchen halten
Tropenklinik
Impfberatung
Typhus
Hepatitis-A
Hepatitis-B
Händchen halten
(aber nicht die ganze Zeit)
U3
Richtung Barmbek
Haltestelle Sternschanze
Café unter den Linden
Milchkaffee einfach
Für mich auch
Meine Reise
Finnland
Deine Reise
Südafrika
Alles ganz normal
Die neue Hose steht dir gut
Danke
Linie 111
Richtung Trabrennbahn
Letzte Umarmung im Bus
Und dann noch
deine Hand an der Scheibe
Das Mondlicht
blickt gnadenvoll
herab, derweil
ich dieser Frau das
Kleid herunterreiße
für einen
Fick, der unvollendet
bleibt: Mein
Bus kommt.
Ich steige
ein. Sie hat sich
wieder
arrangiert: der blaue Jersey
eng, die weißen Streifen
quer auf ihren vorgestreckten
Brüsten, der Pferdeschwanz
darüber,
geteilt in dunklen
Strähnen. Den einen Träger
hat
sie kokett herab-
gelassen.
Und während mein Bus fährt, rückt
sie das
Preisschild noch zurecht für all
die andern: neunundzwanzig
neunzig.
Als ich dann aussteig',
haucht ihre
Schwester ganz
abgeklärt im
Ton des Windes: "Frauen
sind klüger als Männer".
Ganz sicher, denke
ich, lächle ihr
zu und
gehe: Heut'
Abend bin ich frei.
In kühlen Gräbern
jagst du
dem Glück hinterher
viel zu dünn bekleidet, doch
die Pistolen immer griffbereit.
Kein Wort kommt von dir.
Du läßt nur den Wind weiter heulen
in den Katakomben,
in den verlorenen Palästen des Midas,
und achtest nicht
auf die Geräusche
des Wahnsinns.
Du hinterläßt keine Spuren,
während ich
atemlos vor dem Schirm sitze
und mit fiebriger Hand
deine Schritte suche.
Schon dreihundertmal sah ich dich
im Abgrund
zu Tode stürzen.
Unzählige Mal