Die erstmalige Übersetzung
eines britischen Klassikers in der

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Edition BoD
hrsg. von Vito von Eichborn

Robert Louis Stevenson (1850 - 1894) ist der Bestsellerautor des 19. Jahrhunderts, der uns die berühmten und spannungsreichen Klassiker »Die Schatzinsel« und die Schauernovelle »Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde« hinterließ. In seinem umfangreichen Werk an Reiseerzählungen, Abenteuerliteratur und historischen Romanen gibt es eines, das wiederentdeckt, jetzt zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt wurde: »Intrigen am Thron« (engl. »Prince Otto«).

Der Autor Klaus-Dieter Sedlacek, Jahrgang 1948, studierte Mathematik und Informatik. Er beendete 1975 seine Studien mit dem Diplom in Mathematik. Nach einigen Jahren Berufspraxis gründete er eine eigene Firma, die sich mit der Entwicklung von Anwendungssoftware beschäftigte. Diese führte er mehr als fünfundzwanzig Jahre lang. Als Mathematiker hat er sich die Aufgabe gestellt, komplexe Zusammenhänge unserer Welt aufzudecken und logisch zu erklären. Neben Sachbüchern schreibt er auch spannende Romane.

Vito von Eichborn war Journalist, dann Lektor im S. Fischer Verlag, bevor er 1980 den Eichborn Verlag gründete, dessen Programm noch heute ein breites Spektrum umfasst: Humor, Kochbücher und Ratgeber, Sachbücher aller Art, klassische und moderne Literatur sowie die Andere Bibliothek. Nach seinem Ausstieg im Jahre 1995 war er u.a. Geschäftsführer bei Rotbuch / Europäische Verlagsanstalt und sechs Jahre Verleger des Europa-Verlags. Seit 2005 ist Vito von Eichborn selbständig als Publizist tätig und fungiert u.a. seit März 2006 als Herausgeber der Edition BoD. Weitere Informationen unter www.vitolibri.de.

Meine Buchhändlerin sagte mir, »ja«, sagte sie…

Ja, das Ausgraben übersehener Romane von Autoren der Weltliteratur kann gute Chancen haben, ein breiteres Publikum zu finden – aber nur, wenn sie eine gewisse Größe haben. Ist dies denn wirklich von dem Stevenson?“

„Ich war völlig überrascht, als ich dies entdeckte. Ein Abenteuerroman vom Autor der ‚Schatzinsel‘, der noch nie übersetzt wurde!? Ich war skeptisch, auch von großen Autoren gibt es ja verunglückte Nebenwerke – aber die Lektüre hat mich schnell überzeugt. Dieser ‚Prinz Otto‘ hält allemal stand neben Stevensons so vielfältigem übrigen Schaffen, zu dem auch Abenteuer- und Reiseliteratur, sogar Lyrik gehörten. Dies ist eine wunderbare Kolportage aus dem viktorianischen Zeitalter in der Tradition von Defoe und Konsorten. Er hat Conan Doyle und Jack London beeinflusst, Borges und Brecht, vor allem Nabokov haben Stevenson hoch gelobt; er steht neben Kipling, Traven, Joseph Conrad…“

„Jetzt reicht’s mit dem Namensgeklingel“, unterbrach mich harsch meine Buchhändlerin, wie sie das immer macht, „worum geht’s da eigentlich? Also bitte den Plot.“

„Aber gerne. Aber ich werde dies nicht linear wiedergeben. Erstaunlich ist bereits unser Held – denn er wird nicht nur von seiner Umgebung als Regent für unfähig gehalten, also am Hof wie im Volk, sondern er weiß von sich selbst, dass er auf dem falschen Stuhl sitzt. Für einen Machthaber ist er zu lieb und anständig; er geht lieber zur Jagd. Das Regieren überlässt er seiner ehrgeizigen, schönen, jungen Frau Seraphina und dem machtbesessenen Baron Gondremark. Der ist mit allen Wassern gewaschen und körperlich von mächtiger Gestalt – und es heißt, Stevenson habe diesen Gegenspieler unseres Prinzen Otto dem Reichskanzler Bismarck nachempfunden.“

„Moment“, fragte die Buchhändlerin, „aber dies ist doch kein historischer Roman entlang von Tatsachen?“

„Aber nein, dies alles ist fiktiv, vom kleinen Königreich und den Schauplätzen bis zu den handelnden Figuren. Aber paradigmatisch zusammengesetzt, wie es sich gehört. Im Volk erfährt der Prinz unfreiwillig, dass seine Untertanen nichts von ihm halten und seine Frau mit dem Baron fremdgeht. Und Otto schwingt sich auf, endlich selbst zu regieren. Doch auch von des Barons Geliebter, der aufrichtigen Gräfin von Rosen, die als kämpferische Mittlerin eine Schlüsselrolle in der Intrige spielt, wird dem widersprochen. Der Prinz liebt seine Seraphina buchstäblich bis zur Selbstaufgabe, er lässt sich gar freiwillig auf eine Burg ins Gefängnis bringen – doch seine Frau, die den bösen Baron Gondremark beinahe ersticht, erkennt all ihre Irrtümer. Das Schloss brennt ab, eine republikanische Revolution siegt, und die Liebe des nun nicht mehr regierenden Paares triumphiert.“

„Uff, o Mann, da ist ja wirklich was los“, meinte meine Buchhändlerin, „das will ich lesen. Mich ärgert’s ja ohnehin immer, wenn die Klassiker des Abenteuers – statt zum Kanon der E-Literatur zu gehören – hierzulande oft als simple Unterhaltung abgestempelt werden.“

Da konnte ich ihr nur beipflichten. Gerade Stevenson wurde lange Zeit unter Wert gehandelt; jedoch etwa seit der Jahrtausendwende gehört er anerkanntermaßen zum Fundus der Weltliteratur. Und dieser Prinz Otto in seiner Widersprüchlichkeit ist ausgesprochen modern für die heutige Spannungsliteratur, in der die eindimensionalen, starken Helden ja längst weitgehend abgedankt haben.

Meine Buchhändlerin hatte mich stehen lassen, wie immer, wenn die Klingel der Eingangstür einen Kunden ankündigte. Aber sie hatte den Punkt getroffen. Ich hatte größtes Vergnügen bei dieser süffigen Lektüre. Und ich denke, wer nur Hochliteratur schätzt und für gekonnt Triviales keine Antenne hat, dem fehlt die Hälfte des Empfindens für das Leben und für die Moral und für das, was Sprache mit Menschen und Gefühlen machen kann.

Vergnügliche Lektüre wünscht

Vito von Eichborn

Inhaltsverzeichnis

Buch I – Auf Abwegen

Kapitel I: Start ins Abenteuer

Kapitel II: Der Prinz inkognito

Kapitel III: Der Prinz spendet Trost

Kapitel IV: Die Meinungsumfrage des Prinzen

Buch II – Über Liebe und Politik

Kapitel I:     In der Bibliothek

Kapitel II:    Über den Hofstaat von Grünewald

Kapitel III:   Der Prinz und der englische Reisende

Kapitel IV:   Im Vorzimmer

Kapitel V:    Gondremark im Zimmer der gnädigen Frau

Kapitel VI:   Der Prinz hält einen Vortrag über die Ehe

Kapitel VII:  Der Prinz hebt die Ratssitzung auf

Kapitel VIII: Die Kriegspartei ergreift Maßnahmen

Kapitel IX:   Der Kaufpreis des Flussbauernhofs

Kapitel X:    Gottholds revidierte Überzeugung

Kapitel XI:   Frau von Rosen betört den Baron

Kapitel XII: Frau von Rosen informiert den Prinzen

Kapitel XIII: Frau von Rosen klärt Seraphina auf

Kapitel XIV: Der Ausbruch der Revolution

Buch III – Glück im Unglück

Kapitel I:      Prinzessin Aschenputtel

Kapitel II:      Das besondere Vergnügen einer christlichen Tugend

Kapitel III:    Frau von Rosen galoppiert davon

Kapitel IV:    Schätzchen im Wald

Bibliografisches Postskriptum, um die Geschichte zu vervollständigen

Widmung

Für Nelly van de Grift
(Frau Adulfo Sanchez, Monterey)

Endlich, nach so vielen Jahren, habe ich das Vergnügen, Ihnen das Thema Prinz Otto wieder nahezubringen. Sie werden sich an ihn als einen sehr kleinen Typ erinnern, der in der Tat nicht größer war als die zu einem Stapel zusammengefassten Briefe, die Sie mir freundlicherweise geschrieben haben. Durch den Anblick seines Namens wird Ihnen die Erinnerung an ein altes, von Schlingpflanzen umgebenes Holzhaus wiederkommen; ein Haus, das weit weg auf der Bühne der Vorzeit zu sein schien und das unauflöslich mit dem grünen Garten, in dem es stand, verbunden war. In seinen jüngeren Tagen war es wie ein Seereisender, der im Bauch eines Schiffes um Kap Horn schipperte und vielleicht sogar die Matrosen trampeln und schreien hörte, wenn die Pfeife des Bootsmannes ertönte. Sie werden sich auch wieder an die unscheinbaren Bewohner erinnern, die nun weit verstreut leben: die zwei Pferde, den Hund und die vier Katzen. Der eine oder andere blickt Ihnen womöglich in die Augen, während Sie diese Zeilen lesen. Dann gab es da noch die arme Dame, die unglücklicherweise mit einem Autor verheiratet war. Und der chinesische Junge, der in diesem Augenblick am Flussufer des Blumenlandes seine Angel mit einem Köder versieht und auswirft. Insbesondere war da noch der anscheinend todkranke Schotte, dem Sie heftig zujubelten und in guter Erinnerung behielten.

Es kommt Ihnen sicher zurück ins Gedächtnis, dass er voller Wünsche und Pläne war: Sie werden sich an das Glück erinnern, das ihm widerfuhr, als er wieder völlig genesen war, sowie an die Reisen, auf die er ging, an die Freuden, die ihm zuteilwurden, die er genoss und an das Meisterwerk, das er von Prinz Otto anfertigen sollte.

Nun, wir wollen nicht zugeben, dass wir schließlich erschöpft waren. Wir lasen damals gemeinsam die Geschichte von Braddock, wie er vom Schauplatz seines Misserfolgs abtreten musste und versprach, es zu einer anderen Zeit besser zu machen: Eine Geschichte, die permanent aufs Gemüt schlägt und eine letzte Rede, die würdig ist, von einem glückvolleren Kommandanten gehalten zu werden. Ich versuche, mich in Braddock reinzudenken. Ich habe immer noch vor, gesund zu werden. Auf Biegen und Brechen will ich immer noch ein Meisterwerk herauszubringen und ich beabsichtige, irgendwie und irgendwann einmal Ihr Gesicht zu sehen und Ihre Hand zu halten.

Stattdessen geht dieser kleine Gesandte aus Papier hinaus, durchquert die großen Meere, die weiten Ebenen und die dunklen Berge und kommt schließlich an Ihre Tür in Monterey mit zarten Grüßen im Gepäck. Er stammt aus einem Haus (gerade so wie Ihr eigenes), wo man einiges von dem menschlichen Strandgut unserer Gesellschaft in Oakland sammelte: ein Haus, wo es wegen all seiner absonderlichen gälischen Namen und abseitigen gesellschaftlichen Stellung wohlgelitten wird.

R.L.S.

Skerryvore,

Bournemouth.

Buch I – Auf Abwegen

Kapitel I:

Start ins Abenteuer

Sie werden auf der Karte Europas vergeblich nach der ehemaligen Lage von Grünewald suchen. Als ein unabhängiges Fürstentum und winziges Mitglied des Deutschen Bundes spielte es mehrere Jahrhunderte lang eine Rolle im uneinigen Europa. Endlich, nachdem die Zeit reif war und mehrere kahlköpfige Diplomaten abdankten, verschwand es wie ein Geist bei Anbruch des Tages. Weniger glücklich als Polen, weinte man ihm keine Träne nach und die eigentliche Erinnerung an seine Grenzen ist verblasst.

Es war ein Flecken hügligen Landes, das dicht bewaldet war. Viele der Flüsse, die die Mühlen der Einwohner antrieben, nahmen ihren Anfang in den engen Tälern von Grünewald. Es gab eine Stadt, Mittwalden und zahlreiche kleine Dörfchen mit braunen Holzhäusern, die Dach an Dach dem steil ansteigenden Boden folgend aus dem Tal aufstiegen. Überdachte Brücken überquerten die größeren Sturzbäche und sorgten so für eine Verbindung beider Talseiten. Das Brummen der Wassermühlen, das Spritzen des fließenden Wassers, der reine Duft des Sägemehls vom Kiefernholz, der Klang und der Geruch des wohltuenden Windes der durch die unzählbare Armee der Bergkiefern rauschte, die gelegentlichen Schüsse der Jäger, das dumpfe Schlagen der Holzaxt, die unerträglich schlechten Wege, frische Forellen beim Abendessen im sauberen Gastraum eines Wirtshauses, das Lied der Vögel und das Läuten der Dorfglocken – das waren die Eindrücke eines Grünewald-Touristen.

Im Norden und Osten gingen die abwechslungsreichen Konturen der Vorgebirge in weite Ebenen über. An diesen Seiten grenzten zahlreiche kleine Staaten an das Fürstentum, darunter Gerolstein, ein untergegangenes imposantes Herzogtum. Nach Süden hatte es eine gemeinsame Grenze mit dem verhältnismäßig mächtigen Königreich Küste Bohemia, das wegen seiner Blumen und Bergbären berühmt war und von Menschen mit außergewöhnlicher Einfalt und Herzensgüte bewohnt wurde. Im Lauf der Jahrhunderte hatten mehrere Mischehen die gekrönten Familien von Grünewald und dem an der See liegenden Bohemia vereinigt. Und der letzte Prinz von Grünewald, dessen Geschichte ich beabsichtige zu erzählen, stammte von Perdita ab, der einzigen Tochter von König Florizel dem Ersten von Bohemia. Dass diese Heiraten untereinander die raue männliche Art der ersten Grünewalder um einige Grade abgemildert hatte, war eine allgemein verbreitete Überzeugung innerhalb der Grenzen des Fürstentums. Der Köhler, der Bergholzsäger, derjenige, der mit der breiten Axt die gesammelten Kiefern von Grünewald spaltete, stolz auf die Schwielen an seinen Händen, hatte nur Verachtung für die weichen Charaktere und Sitten des herrschenden Geschlechts übrig.

Das genaue Jahr des Herrn, in dem diese Geschichte beginnt, mag der Mutmaßung des Lesers überlassen bleiben. Aber die Jahreszeit, die in so einer Geschichte die wichtigere der zwei Angaben ist, war schon so weit fortgeschritten im Frühling, dass, nachdem die Bergbewohner den ganzen Tag Hörner blasen hörten, sie sich sagten, Prinz Otto und seine Jagdgesellschaft seien zum letzten Mal ausgeritten, bis sie im Herbst wieder zurückkehren.

Im Westen fallen Grünewalds Grenzen ein wenig steil ab, unterbrochen durch Felsspitzen und brachliegendem Land ohne Wege, das in einem drastischen Gegensatz steht zu der kultivierten Ebene unterhalb. Zu jener Zeit durchquerten es nur zwei Straßen, eine, die Reichsstraße, verband Brandenau mit Gerolstein, verlief schräg am Hang und hatte ein leichtes Gefälle. Die andere verlief wie ein Band an der Stirnseite der Hügel, tauchte in wilde Schluchten ein und wurde benetzt vom Sprühnebel winziger Wasserfälle. An einer Stelle führte sie an einer bestimmten Burg mit Turm vorbei, die direkt am Rand einer ungeheuren Klippe gebaut war und die Gegend beherrschte mit ihrer großartigen Aussicht auf die Randgebiete von Grünewald und die geschäftigen Ebenen von Gerolstein. Die Felsenburg, so wurde sie genannt, diente dann und wann als Gefängnis und auch als Jagdsitz. Für das unbewehrte Auge waren keine Details zu erkennen, aber mit Hilfe eines guten Fernglases konnten die Bürger Brandenaus von der Lindenbaumterrasse aus, wo sie nachts hinspazierten, die Fenster zählen.

In dem keilförmigen Stück Waldhang zwischen den Straßen machten die Hörner den ganzen Tag weiter mit ihrem Getöse. Und endlich, als die Sonne begann sich dem Horizont der Ebene zu nähern, kündigte ein brausender Triumph das abschließende Gemetzel der Jagd an. Der erste und der zweite Jäger hatten sich etwas abgesetzt und blickten von einer Hügelkuppe herunter auf die Weite der Ebene. Sie bedeckten ihre Augen, weil ihnen die Sonne ins Gesicht schien. Ihr Glanz verblasste beim Untergehen ein wenig. Durch das verworrene Flechtwerk vieler Tausend kahler Pappeln, den Rauch so vieler Häuser und den abends aus den Feldern aufsteigenden Dunst, bewegten sich deutlich sichtbar die Segel einer Windmühle, die auf einer sanften Anhöhe stand, wie die Ohren eines Esels. Und ganz in der Nähe, wie eine klaffende Wunde, verlief die Reichsstraße als Reiseverkehrsader geradewegs auf die Sonne zu.

Es gibt ein geistiges Liedchen der Natur, das noch nicht in Worte gefasst oder von Menschen vertont wurde: »Die Einladung sich auf den Weg zu machen«. Es ist ein Lied, das fortwährend in den Ohren der Zigeuner klingt und nach dessen Eingebung unsere nomadischen Vorväter alle Tage dahinzogen. Die Stunde, die Jahreszeit und der Ort waren fein aufeinander abgestimmt. Der Himmel war voll durchziehender Vögel, auf West- oder Nordkurs über Grünewald, für das hinaufguckende Auge eine Armee aus Fleckchen. Und unten führte die große passierbare Straße in die gleiche Himmelsrichtung.

Aber für die zwei Reiter auf dem Hügel war dieses geistige Liedchen nicht zu hören. Sie waren tatsächlich in einiger Sorge, suchten jede Windung des darunterliegenden Waldes ab und verrieten sowohl Wut als auch Betroffenheit in ihren unruhigen Gesten.

»Ich sehe ihn nicht, Kuno«, merkte der erste Jäger an. »Nirgends eine Spur, nicht einmal ein Haar vom Schwanz der Stute! Nein, er ist weg, durchbrach die Abdeckung und verschwand. Aber für ein Zweipfennigstück würde ich ihn mit den Hunden jagen!«

»Vielleicht ist er nach Hause gegangen«, sagte Kuno, aber er war selbst nicht davon überzeugt.

»Nach Hause!«, höhnte der andere. »Ich gebe ihm zwölf Tage, um nach Hause zu kommen. Nein, es hat wieder angefangen. Es ist wie vor drei Jahren, bevor er heiratete. Eine Schande! Der Erbprinz ein Erb-Idiot! Dort geht die Regierung auf einer grauen Schimmelstute über die Grenzen. Was soll das? Nein, nichts Gutes, sage ich Ihnen und ich gebe Ihnen mein Wort, ich messe einem guten Wallach oder einem englischen Hund mehr Wert bei als Ihrem Otto!«

»Er ist nicht mein Otto«, knurrte Kuno.

»Dann weiß ich nicht, wessen er ist«, war die Erwiderung.

»Sie würden morgen Ihre Hand für ihn ins Feuer legen«, stellte Kuno fest und blickte sich um.

»Ich!«, schrie der Jäger. »Ich würde ihn hängen lassen! Ich bin als Grünewald-Patriot eingetragen und habe mein Ehrenabzeichen. Und einem Prinzen würde ich helfen! Ich bin für Freiheit und Baron Gondremark.«

»Ist doch gleich«, merkte Kuno an. »Wenn irgendjemand das sagen würde, was Sie sagten, müssten Sie sein Blut nehmen, und Sie wissen das.«

»Sie sind besessen von ihm«, erwiderte sein Begleiter. »Dort ist er!«, schrie er im nächsten Moment.

Und tatsächlich, ungefähr eine Meile unterhalb des Bergs, sah man einen Reiter auf einem weißen Pferd schnell über eine Heidelandschaft huschen und zwischen den Bäumen auf der anderen Seite verschwinden.

»In zehn Minuten wird er über die Grenze in Gerolstein sein«, bemerkte Kuno. »Es ist hoffnungslos.«

»Nun, wenn er die Stute lahm reitet, werde ich ihm das nie verzeihen«, fügte der andere hinzu, während er seine Zügel ergriff.

Als sie umkehrten und den Hügel hinunterritten, um sich ihren Kameraden wieder anzuschließen, ging die Sonne gerade unter und verschwand.

Die Wälder tauchten im gleichen Augenblick in die Schwere und Düsterkeit der früh beginnenden Nacht ein.

Kapitel II:

Der Prinz inkognito

Während der Prinz eine grüne Fährte in den tiefer gelegenen Tälern des Waldes legte, überfiel ihn die hereinbrechende Nacht. Und obwohl die Sterne über ihm herauskamen und die endlose Folge der pyramidenförmigen Kiefern beschienen, die so regelmäßig und dunkel wie Zypressen aussahen, war ihr Licht doch nur ein kleiner Dienst für einen Reisenden auf solch einsamen Pfaden. Und von da an ritt er aufs Geratewohl. Das strenge Antlitz der Natur, die Ungewissheit über den Ausgang seines Weges, der klare Himmel und die frische Luft erfreuten sein Herz, als hätte er Wein getrunken. Und das heisere Toben eines Flusses zu seiner Linken klang angenehm in seinen Ohren.

Es war schon nach acht Uhr abends, als seine Mühe belohnt wurde und er endlich aus dem Wald heraus zur festen weißen Hauptstraße gelangte. Sie lag bergab vor ihm mit einer schwungvollen Biegung nach Osten, schwach leuchtend zwischen den Büschen. Otto machte eine Pause und betrachtete sie. So verfloss Wegstunde um Wegstunde, um an den äußersten Enden Europas auf anderes zu stoßen, dort auf den Saum der Meereswogen, hier auf das Funkeln der Lichter in den Städten. Und die unzählbar große Armee der Landstreicher und der Reisenden bewegte sich darauf in allen Ländern wie von einem gemeinsamen Impuls gesteuert und wurde jetzt von allen Orten durch die Nähe der Gasthaustür und der Nachtruhe angezogen. Die Bilder durchschwärmten seinen Kopf und verschwanden wieder. Eine Welle der Versuchung überkam ihn, sein Blut geriet in Wallung, um die Stute anzuspornen und für immer in die Fremde zu gehen. Und dann verging es: Hunger und Erschöpfung und die Gewohnheit alltäglicher Handlungen, die wir dem gesunden Menschenverstand zuschreiben, forderten ihr Recht. Und in dieser geänderten Stimmung leuchtete sein Auge auf wegen zwei heller Fenster zu seiner Linken zwischen der Straße und dem Fluss.

Er bog in eine Nebenstraße ein und wenige Minuten später klopfte er mit dem Stil seiner Peitsche an die Tür eines großen Bauernhofs. Ein Hundechor im Hof gab zornig Antwort. Nachdem Otto gerufen hatte, kam ein sehr großer weißhaariger alter Mann heran und schirmte seine Kerze ab. In seiner Jugend hatte er viel Kraft und eine stattliche Statur, aber jetzt war er eingefallen, seine Zähne fehlten völlig, und wenn er sprach, hörte sich seine Fistelstimme brüchig an.

»Sie müssen mich entschuldigen«, sagte Otto. »Ich bin ein Reisender und vom Weg abgekommen.«

»Mein Herr«, sprach der alte Mann auf eine sehr würdevolle Weise mit zittriger Stimme aus. »Sie sind beim Flussbauernhof, mein Name ist Killian Gottesheim und ich stehe zu Ihrer Verfügung. Wir befinden uns in ungefähr gleicher Entfernung von Mittwalden in Grünewald und Brandenau in Gerolstein: Vierundzwanzig Kilometer in jede Richtung und die Straße ist ausgezeichnet. Aber es gibt dazwischen weder eine Straußwirtschaft noch das Bierlokal eines Kutschers. Sie werden meine Gastfreundschaft für die Nacht akzeptieren müssen, eine Gastfreundschaft ohne Feinheiten, zu der ich Sie uneingeschränkt willkommen heiße. Denn, mein Herr«, fügte er mit einer Verbeugung hinzu, »es ist Gott, der den Gast schickt.«

»Amen. Und ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen«, antwortete Otto, indem er sich seinerseits verbeugte.

»Fritz«, sagte der alte Mann dem Inneren zugewendet, »führe das Pferd dieses Herrn herum. Und Sie, mein Herr, geruhen hereinzukommen.«

Otto betrat einen Raum, der den größeren Teil vom Erdgeschoss des Gebäudes einnahm. Dieser war wahrscheinlich einst aufgeteilt worden, denn das hintere Ende erhob sich ein ganzes Stück über dem vorderen, und das lodernde Ofenfeuer und der weiße Esstisch, schienen auf einem Podest zu stehen. Ringsherum gab es dunkle, messingbeschlagene Vitrinen und Geschirrschränke, dunkle Regale voll antiker Landtöpferware, Jagdgewehre und Geweihe und Flugblätter mit Bänkelliedern an der Wand, eine hohe alte Uhr mit rosenbemaltem Zifferblatt und unten in einer Ecke ein vielversprechendes Weinfass. Es war gemütlich, elegant und malerisch.

Ein kräftiger junger Mann eilte hinaus, um sich der Schimmelstute zu widmen. Und als Herr Killian Gottesheim ihn seiner Tochter Ottilia vorgestellt hatte, folgte ihm Otto in den Stall, den der Prinz vielleicht nicht bekommen hätte, aber der gute Reiter. Als er zurückkam, warteten ein Rauchomelett und einige Scheiben hausgemachten Schinkens auf ihn. Diesen folgte ein Ragout und Käse. Und erst als sein Gast seinen Hunger vollständig gestillt hatte und die ganze Gesellschaft sich mit dem Weinkrug um das Feuer versammelte, gestattete sich Killian Gottesheim aus umständlicher Höflichkeit, eine Frage an den Prinzen zu richten.

»Sie sind sicher weit geritten, Herr?«, fragte er.

»Wie Sie sagen, ich bin weit geritten«, antwortete Otto, »und wie Sie gesehen haben, schickte ich mich an, die Kochkunst Ihrer Tochter zu würdigen.«

»Vielleicht aus der Richtung von Brandenau?«, setzte Killian fort.

»Genau: Und wenn ich nicht heute Abend geschlafen hätte, hätte ich mich nicht nach Mittwalden verirrt«, antwortete der Prinz, indem er ein Stück Wahrheit einflocht, gemäß der Gewohnheit aller Lügner.

»Führt Sie das Geschäft nach Mittwalden?«, war die nächste Frage.

»Reine Wissbegierde«, merkte Otto an. »Ich hab das Fürstentum Grünewald noch nie besucht.«

»Es ist ein freundlicher Staat«, flötete der alte Mann, »ein sehr freundlicher Staat und ein großartiger Schlag, beide, sowohl die Kiefern wie die Menschen. Wir hier betrachten uns selbst den Grünewaldern zugehörig, wo wir so nahe an den Grenzen liegen. Und der Fluss dort ist voll von gutem Grünewaldwasser, jeder Tropfen davon. Ja, ein großartiger Staat. Ein Mann von Grünewald schafft es eine Axt über seinen Kopf zu schwingen, die einer aus Gerolstein kaum anheben könnte. Und was die Kiefern betrifft, warum die meine Schätzchen sind: Es muss in diesem kleinen Staat mehr Kiefern geben als Menschen in der ganzen großen Welt. Es sind jetzt zwanzig Jahre, seit ich die Sümpfe durchquerte, weil wir im hohen Alter häuslich wurden, aber es beschäftigt mich, als wäre es gestern. Die Straße hoch und runter von hier bis Mittwalden ist schnurgerade, und den ganzen Weg nichts anderes außer gute grüne Kiefern, große und kleine und Wasserkraft! Wasserkraft auf Schritt und Tritt, geehrter Herr. Wir verkauften einmal ein Stück Wald dort neben der Landstraße. Und der Anblick des geprägten Geldes, das wir dafür erhielten, hat mich ausrechnen lassen, auf welchen Betrag sich alle Kiefern Grünewalds belaufen würden.

»Ich nehme an, Sie haben den Prinzen noch nicht gesehen?«, erkundigte sich Otto.

»Nein«, ergriff der junge Mann zum ersten Mal das Wort, »ich würde es nicht wollen.«

»Warum das? Ist er so unbeliebt?«, fragte Otto.

»Nicht das, was man unbeliebt nennen könnte«, antwortete der alte Herr, »aber, verachtet.«

»Tatsächlich?«, äußerte der Prinz ein bisschen schwach.

»Ja, verachtet«, nickte Killian, während er eine lange Pfeife stopfte, »und so wie ich denke, auch zurecht. Es geht um einen Menschen mit großartigen Möglichkeiten, und was macht er daraus? Er jagt, er zieht sich sehr hübsch an – was eine Sache ist, wofür sich ein Mann schämen müsste – und er nimmt an Spielen teil. Und wenn er irgendetwas sonst tut, sind die Nachrichten darüber hier nicht angekommen.«

»Dies sind doch alles harmlose Dinge«, sagte Otto. »Was würden Sie ihn tun lassen – Krieg führen?«

»Nein, geehrter Herr«, antwortete der alte Mann. »Aber hier ist es so: Ich bin fünfzig Jahre auf diesem Flussbauernhof gewesen und habe darin tagein, tagaus gearbeitet. Ich habe gepflügt und gesät und habe geerntet. Ich bin früh aufgestanden und bis spät wach gewesen, und das ist das Ergebnis: Dass all diese Jahre mich und meine Familie ernährt haben und mein bester Freund waren, den ich jemals hatte, abgesehen von meiner Frau. Und nun, wenn meine Zeit kommt, hinterlasse ich einen besseren Bauernhof, als ich ihn vorfand. So ist es, wenn ein Mensch gemäß der natürlichen Ordnung hart arbeitet, dann bekommt er Brot und ihm wird Mut zugesprochen, und was er auch immer anpackt, gedeiht. Und es erscheint mir recht und billig, dass dieser Prinz auf seinem Thron arbeiten sollte, wie ich gearbeitet und auf meinem Bauernhof gewirkt habe, dann würde er beides finden, sowohl einen Ertrag als auch Segen.

»Ich glaube es Ihnen«, warf Otto ein, »und doch ist die Parallele ungenau. Denn das Leben des Bauers ist natürlich und einfach, aber das des Prinzen ist sowohl künstlich als auch kompliziert. Es ist leicht, es dem einen Recht zu machen, und außerordentlich schwierig, dem Anderen kein Unrecht zu tun. Wenn Ihre Ernte verdorben ist, können Sie ihre Mütze abnehmen und sagen: ›Gottes Wille geschehe.‹ Aber wenn dem Prinzen eine Niederlage widerfährt, dann kann es sein, dass er sich für den Versuch verantworten muss. Und wenn all die Könige Europas sich auf harmlose Vergnügungen beschränken sollten, wären vielleicht die Untertanen diejenigen, die besser dran sind.«

»Ja«, stellte der junge Mann Fritz fest, »Sie haben darin recht. Das war ein wahres Wort gesprochen. Und ich sehe, dass Sie wie ich, ein guter Patriot und ein Feind des Prinzen sind.«

Otto wurde durch diese Schlussfolgerung ein wenig in Verlegenheit gebracht und er beeilte sich, das Thema zu wechseln. »Aber«, sagte er, »Sie überraschen mich durch das, was Sie über diesen Prinzen Otto sagen. Ich habe von ihm gehört und muss bekennen, es war vorteilhafter gefärbt. Mir wurde gesagt, dass er in seinem Herzen ein guter Mensch sei und der Feind von niemandem, außer sein eigener.

»Und so ist er auch«, flocht das Mädchen ein, »ein sehr gut aussehender, netter Prinz. Und wir kennen einige, die ihr Blut für ihn vergießen würden.«

»Ach, Kuno!«, brachte Fritz zum Ausdruck. »Ein Ignorant!«

»Ja, Kuno, um sicher zu sein«, stellte der alte Landwirt mit zitternder Stimme fest. »Gut, da dieser Herr fremd in diesen Landesteilen ist und neugierig etwas über den Prinzen zu erfahren, glaube ich wirklich, dass die Geschichte ihn unterhalten könnte. Dieser Kuno, das müssen Sie wissen, mein Herr, ist einer der Jagddiener und ein äußerst ungebildeter, unbeherrschter Mensch: Ein richtiger Grünewalder, wie wir in Gerolstein sagen. Wir kennen ihn gut in diesem Haus, weil er so weit bis hier hinter seinen streunenden Hunden hergekommen ist. Und ich heiße alle willkommen, werter Herr, ohne Rechenschaftsbericht über die Staatsangehörigkeit oder Nation. Und in der Tat, zwischen Gerolstein und Grünewald hat der Frieden so lang gehalten, dass die Straße offen steht wie meine Tür, und ein Mensch macht sich nicht mehr aus der Grenze, als die Vögel selbst.

»Ja«, sagte Otto, »es ist ein langer Frieden gewesen – ein Jahrhunderte langer Frieden«

»Jahrhunderte, wie Sie sagen«, gab Killian zurück. »Umso mehr schade, dass es nicht für immer sein sollte. Gut, dieser Kuno beging eines Tages einen Fehler. Und Otto, der ein hitziges Temperament hat, ist auf ihn los mit der Peitsche und verdrosch ihn gründlich, heißt es. Kuno hielt so gut er konnte still, aber schließlich gebot er Einhalt und forderte den Prinzen heraus, seine Peitsche wegzuwerfen und wie ein Mann zu ringen, da wir in diesen Landesteilen alle groß im Ringen sind und wir im Allgemeinen so unsere Streitigkeiten beilegen. Nun, der Prinz tat es. Und da er ein schwächliches Geschöpf ist, fand er das Blatt gewendet, denn der Mann, den er gerade wie einen Negersklaven verdroschen hatte, hob ihn hoch mit einem Griff von hinten und warf ihn von den Füssen.

»Er brach sich seinen Arm, mit dem er den Zaum hält«, rief Fritz – »und manche sagen, auch seine Nase. Geschieht ihm recht, sage ich! Mann gegen Mann, was gibt es Besseres als das?«

»Und dann?«, fragte Otto.

»Ach, Kuno brachte ihn nach Hause. Und ab diesem Tag waren sie die besten Freunde. Ich sage nicht, dass es eine ehrenrührige Geschichte ist, wie Sie bemerken«, fuhr Gottesheim fort, »aber sie ist spaßig und wahr. Ein Mann sollte denken, bevor er zuschlägt, denn wie mein Neffe sagt, Mann gegen Mann war die alte Wertschätzung.«

»Wenn Sie mich jetzt fragen sollten«, sagte Otto, »würde ich Sie vielleicht überraschen. Ich denke, es war der Prinz, der gewonnen hat.«

»Und Sie könnten recht haben«, antwortete Killian ernsthaft. »Sie hätten recht in den Augen Gottes, das stelle ich nicht infrage. Aber Menschen sehen diese Dinge anders und sie lachen darüber.«

»Sie machten ein Lied darüber«, bemerkte Fritz. »Wie geht es noch mal? Ta-tum-ta-ra…«

»Nun gut«, unterbrach Otto, der kein großes Verlangen hatte, sich das Lied anzuhören, »der Prinz ist jung, er kann sich noch bessern.«

»So jung auch wieder nicht, mit Verlaub«, verkündete Fritz laut. »Ein Mann von vierzig Jahren.«

»Sechsunddreißig«, korrigierte Gottesheim.

»Oh«, rief Ottilia offensichtlich desillusioniert laut aus, »ein Mann mittleren Alters! Und es hieß immer, dass er so gut aussah, als er jung war!«

»Und auch kahlköpfig«, fügte Fritz hinzu.

Otto strich mit der Hand über sein Haar. In diesem Augenblick war er weit davon entfernt, glücklich zu sein, und sogar die langweiligen Abende im Palast von Mittwalden begannen, ihm vergleichsweise sympathischer zu werden.

»Ach, sechsunddreißig!«, protestierte er. »Ein Mann ist mit sechsunddreißig noch nicht alt. Ich bin selbst in diesem Alter.«

»Ich hätte Sie älter geschätzt«, flötete der alte Landwirt. »Aber wenn es so ist, sind Sie im gleichen Alter wie Meister Ottekin, wie ihn die Leute nennen. Und ich würde einen Taler wetten, dass er in der gleichen Zeit mehr erledigt hat als Sie. Obwohl das im Vergleich mit Männern hohen Alters unerfahren scheint, ist es trotzdem ein Weg durchs Leben. Und bloß die Narren und Schwindler fangen an, müde und alt auszusehen. Ja, bis sechsunddreißig, wenn ein Mann Gottes Gesetze befolgt, sollte er ein Haus gebaut und sich einen guten Namen erworben haben. Er sollte eine Frau haben und die Segnungen seiner Ehe und die Arbeit sollte ‚ wie das Wort sagt, beginnen ihm zu folgen.«

»Ach so, der Prinz ist verheiratet«, gellte Fritz und brach in unanständiges Gelächter aus.

»Das scheint Sie wohl zu unterhalten«, merkte Otto an.

»Ja«, tat der junge Rüpel kund. »Wussten Sie das nicht? Ich dachte, ganz Europa wusste es!« Und er fügte eine Pantomime von der Art hinzu, die geeignet war, dem Schwerfälligsten seine Anschuldigung zu erklären.

»Ach, mein Herr«, ergriff Gottesheim das Wort, »es ist ganz offensichtlich, dass Sie nicht aus dieser Gegend sind! Aber die Wahrheit ist, dass die ganze fürstliche Familie und der Hofstaat Schlitzohren und Gauner sind, keiner besser als der andere. Sie leben in Untätigkeit und – was darauf gewöhnlich folgt – von Bestechung. Die Prinzessin hat einen Geliebten – einen Baron, wie er selbst sagt, aus Ostpreußen. Und der Prinz ist so wenig Mann, dass er dazu noch die Kerze hält. Das ist noch nicht das Schlimmste, denn dieser Ausländer und seine Geliebte, werden erduldet, um die Staatsgeschäfte abzuwickeln, während der Prinz sein Gehalt bekommt und alles andere den Bach runtergehen lässt. Darüber wird es zu einem göttlichen Strafgericht kommen, das ich, obwohl ich alt bin, überleben könnte, um es zu sehen.«

»Guter Mann, Sie sind im Unrecht über Gondremark«, stellte Fritz fest, während er eine gesteigerte Lebhaftigkeit zeigte. »Aber im Übrigen sprechen Sie die Wahrheit Gottes wie ein guter Patriot. Was den Prinzen betrifft: Würde er seine Frau erwürgen, würde ich ihm das sogar verzeihen.«

»Nein, Fritz«, merkte der alte Mann an, »das würde dem Übel eine Gräueltat hinzufügen. »Damit Sie es verstehen,…«, fuhr er fort, indem er sich ein weiteres Mal an den unglücklichen Prinzen wandte, »… dieser Otto hat es sich diese Unordnung selbst zuzuschreiben. Er hat eine junge Frau und sein Fürstentum, und er hat geschworen, für beides zu sorgen.«

»Vorm Altar geschworen!«, warf Fritz ein. »Aber vertrauen Sie Fürsten?«

»Es ist so. Er überlässt beide einem Abenteurer aus Ostpreußen«, trug der Bauer nach, »lässt es zu, dass das Mädchen verführt wird und vom Regen in die Traufe kommt, bis ihr Name zu einem geflügelten Wort in den Schankstuben wird, und sie ist noch nicht einmal zwanzig. Er lässt das Land übermäßig besteuern, schikaniert es durch Rüstung und manövriert sich in einen Krieg.«

»Krieg?«, platzte Otto raus.

»So heißt es. Diejenigen, die die Ereignisse beobachten, sprechen von Krieg«, beteuerte Killian. »Nun, das ist sehr schlimm. Es ist eine schlimme Sache für dieses arme sündhafte Mädchen, durch die Hölle der Verwünschungen der Leute zu gehen. Es ist eine schlimme Sache, dass ein schmuckes kleines glückliches Land schlecht verwaltet wird. Aber wer auch immer sich beschwert, meine bescheidene Meinung ist, dass Otto es nicht kann. Hat er dafür gearbeitet, was er bekommen hat? Und kann Gott Mitleid mit seiner Seele, die eines großen dummen Sünders, haben?«

»Er hat seinen Eid gebrochen, er ist ein Meineidiger. Er nimmt das Geld und lässt die Arbeit im Stich, weshalb er einfach ein Dieb ist. Ein gehörnter Ehemann war er vorher und ein Dummkopf von Geburt an. Verbessern Sie mich, wenn es nicht stimmt!«, giftete Fritz und schnippte mit seinen Fingern.

»Und jetzt, mein Herr, sehen Sie ein wenig«, fuhr der Bauer fort, »warum wir so schlecht von diesem Prinzen Otto denken. Es gibt für einen Menschen die Möglichkeit auf seine private Weise fromm und aufrichtig zu sein, und es gibt diese Möglichkeit als öffentliche Tugend. Aber wenn ein Mensch weder das eine noch das andere hat, möge ihn Gott erleuchten! Sogar dieser Gondremark, von dem Fritz hier so viel hält…«

»Ja«, unterbrach Fritz, »Gondremark ist mein Mann. Ich wollte wir hätten jemand wie ihn in Gerolstein.«

»Er ist ein böser Mann«, sagte der alte Landwirt kopfschüttelnd. »Und es ist noch nie etwas Gutes aus dem geworden, was durch die Verletzung der Gebote Gottes begann. Aber ich stimme soweit zu: Er ist ein Mensch, der dafür arbeitet, was er hat.«

»Ich sage Ihnen, er ist die Hoffnung von Grünewald«, schmetterte Fritz raus. »Er passt nicht zu einigen Ihrer hochgestochenen, trockenen, alten, antiken Ideen. Aber er ist ein absolut moderner Mann – ein Mann, der neue Akzente setzt und die Entwicklung des Alten. Er macht einige Dinge falsch, wie sie es alle tun. Aber die Interessen der Menschen liegen ihm am Herzen. Und korrigieren Sie mich – Sie, mein Herr, der Sie ein Liberaler sind und ein Feind all Ihrer Regierungen, bitte korrigieren Sie meine Worte – der Tag wird kommen in Grünewald, an dem die Menschen den gelbköpfigen Schleicher eines Prinzen und diese teiggesichtige Messalina einer Prinzessin [die wegen ihrer Sittenlosigkeit und Grausamkeit berüchtigte Frau des römischen Kaisers Claudius] als Erste über die Grenzen zurückjagen und den Baron Gondremark zum ersten Präsidenten ausrufen. Ich habe gehört, wie sie es in einer Rede sagten. Ich war einmal bei einer Versammlung in Brandenau. Die Delegierten aus Mittwalden sprachen für mehr als fünfzehntausend. Fünfzehntausend, die sich vereinigen, alles Brigadisten, und jeder mit einem Orden um den Hals. Das sind alles Anhänger von Gondremark.«

»Ja, mein Herr, Sie sehen, wohin es führt. Heute ein ungezügeltes Gespräch und morgen noch ungezügeltere Taten«, brachte der alte Mann zum Ausdruck. »Darum ist eines sicher: dass dieser Gondremark einen Fuß auf der Hintertreppe des Fürstenhofs hat und den anderen in der Freimaurerloge. Er gibt sich dafür aus, was man heutzutage einen Patrioten nennt: ein Mann aus Ostpreußen!«

»Sagen Sie selbst!«, schmetterte Fritz heraus. »Er soll, er soll seinen Titel aufgeben, sobald die Republik ausgerufen ist. Ich hörte es in einer Rede.«

»Barontitel aufgeben, um die Präsidentschaft anzunehmen«, echote Killian. »Wie die beiden Frösche in Aesops Fabel, die sich einen König wünschten und eine Schlange als Regenten bekamen. Aber Sie werden länger leben als ich, und Sie werden die Früchte sehen.«

»Vater«, flüsterte Ottilia, indem sie am Mantel des Sprechenden zog, »bestimmt ist der Herr böse.«

»Ich bitte um Entschuldigung«, seufzte der Bauer, während seine gastfreundlichen Gedanken wiedererwachten. »Kann ich Ihnen irgendetwas anbieten?«

»Ich danke Ihnen. Ich bin sehr müde«, antwortete Otto. »Ich bin am Ende meiner Kraft. Wenn Sie mir mein Bett zeigen würden, wäre ich Ihnen dankbar.«

»Ottilia, eine Kerze!«, sagte der alte Mann. »Tatsächlich, mein Herr, Sie sehen etwas blass aus. Ein wenig stärkendes Wasser? Nein? Dann ersuche ich Sie, mir zu folgen, und ich werde Sie zum Gästebett führen. Bei den vielen, die schon unter meinem Dach geschlafen haben, sind Sie nicht der Erste«, setzte der alte Herr fort, während er seinem Gast voraus die Stufen hochstieg. »Denn gutes Essen, anständiger Wein, ein gutes Gewissen, und ein nettes Gespräch, bevor man sich zurückzieht, sind so viel wert wie die ganze mit Wein gemischte heiße Dickmilch und die Arzneien aus der Apotheke. Sehen Sie…«, in diesem Moment öffnete er eine Tür und führte Otto in ein kleines weiß getünchtes Schlafzimmer, »… hier sind Sie im sicheren Hafen. Es ist klein, aber luftig, und die Betttücher sind sauber und lavendelfarben gehalten. Vom Fenster aus sieht man auch rüber zum Bach, und es gibt keinen schöneren Klang als den eines plätschernden Bachs. Er spielt dieselbe liebliche Melodie immer wieder und wieder und wird darüber nicht müde wie ein menschlicher Geiger. Es macht den Geist frei, und obwohl wir dankbar für gute Häuser sein sollten, gibt es trotz allem kein schöneres Haus als Gottes freie Natur. Schließlich wirkt es so beruhigend wie das Sprechen von Gebeten. So, ich erlaube mir jetzt, Sie bis morgen zu verlassen, und es ist mein frommer Wunsch, dass Sie wie ein Prinz schlummern mögen.

Und der alte Mann ließ mit der zwanzigsten höflichen Verbeugung seinen Gast allein.

Kapitel III:

Der Prinz spendet Trost

Der Prinz war schon früh draußen im Freien: zum Zeitpunkt des ersten Vogelgesangs, der reinen und ruhigen Luft, der schrägen Sonnenstrahlen und der meilenlangen Schatten. Für jemand der miserabel geschlafen hatte, war die Frische dieser Stunde Stärkung und Wiederbelebung, um seinen noch schlummernden Mitmenschen ein Schnippchen zu schlagen oder um der Adam des kommenden Tages zu sein. Es brachte Gelassenheit und gab Energie. Und der Prinz freute sich, während er begleitet von seinem Schatten über die nassen Felder spazierte, tief atmete und immer wieder innehielt.

Ein Weg entlang eines Spaliergerüsts führte hinunter ins Tal des Bachs, und er folgte ihm. Das Flüsschen war ein halsbrecherisch brodelndes Hochlandgewässer. Nahe beim Bauernhof, fiel es in dicken gedrehten Fäden, wie der Schwanz einer Schimmelstute, in einen kleinen Abgrund und verteilte sich, arbeitete und sprudelte in einem Becken. Mitten in diesem brodelndem Teich ragte ein Fels hervor, der zum Vorgebirge schräg abfiel. Dorthin krabbelte Otto und setzte sich nieder, um zu grübeln.

Bald fiel die Sonne durch den Schirm aus Zweigen und zarten frühen Blättern, die über dem Wasserfall eine hängende Laube bildeten. Goldene Lichter und huschende Schatten fielen darauf und sprenkelten die Oberfläche des dermaßen siedenden Topfes. Und die Strahlen tauchten tief in das wirbelnde Wasser ein und ein Funkeln, so hell wie von einem Diamanten, warf Licht auf die sich wiegenden Strudel. Es begann warm zu werden, wo Otto verweilte, warm und berauschend. Die Lichter verschwammen und webten ihr Labyrinth über dem bebenden Teich. Auf dem hervorstehenden Felsen tanzten Reflexionen wie Schmetterlinge und die Luft wurde vom Wasserfall gefächelt wie von einem schwingenden Vorhang.

Otto, der es müde war, geschüttelt und heimgesucht zu werden von den Schreckensgespenstern seiner Gewissensbisse und Eifersucht, verliebte sich sofort unsterblich in dieses von der Sonne vielfarbig beleuchtete Plätzchen mit Echo. Während er seine Füße hielt, starrte er schläfrig wie in Trance vor sich hin, überlegte, bewunderte, grübelte und verlor sich in verwirrenden Gedanken. Es gibt nichts, was das offensichtliche Verhalten eines freien Willens so nachäfft wie jenes unbewusste Getriebe, das im Verborgenen die Fließgesetze befolgt, mit denen ein Fluss gegen Hindernisse ankämpft. Es scheint das wahre Spiel des Menschen zu sein und auch sein Los, und weil Otto über die wiederkehrenden Änderungen brütete, wurde er in gleichem Maße schläfriger und tiefgründiger. Strudel und Prinz, ihre Ziele wurden gleichermaßen bedrängt durch unbestimmbare Einflüsse, die in irgendeiner Ecke der Welt verankert sind. Strudel und Prinz waren gleich nutzlos, in der Kosmologie der Menschen sogar absolut nutzlos. Strudel und Prinz – Prinz und Strudel.

Wahrscheinlich hatte er eine Weile geschlafen, als eine Stimme ihn aus der Selbstvergessenheit zurückrief. »Guten Morgen«, sagte diese, und als er sich umschaute, sah er Killians Tochter, die darüber erschrocken war, dass sie die Kühnheit besaß, vom Ufer aus schüchterne Zeichen zu geben. Sie war ein einfaches, aufrichtiges Mädchen, gesund, zufrieden und gut, und von jener Art Schönheit, die aus einem Glücklichsein und guter Gesundheit hervorgeht. Aber ihre Verwirrung verlieh ihr im Augenblick einen zusätzlichen Charme.

»Guten Morgen«, sagte Otto, während er sich erhob und zu ihr ging. »Ich stand früh auf und war im Traumzustand.«