Heinze, Thomas:
Die Meister des Karate und Kobudo. Teil 1: vor 1900; Seelow, 2009
© 2009 by Thomas Heinze
ISBN 978-3-8448-2114-7
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fototechnischen Wiedergabe, der Übersetzung, der Verarbeitung in digitalen Systemen und der Kopie nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Autor. Zuwiderhandlungen werden rechtlich verfolgt.
Erste Ausgabe, August 2009
Weitere Informationen zum Thema unter: www.meister-biografien.de
Dieses Buch widme ich all jenen, die niemals in
solch einem Buch auftauchen werden und
trotzdem Tag für Tag im Dojo stehen, um
diese schöne Kunst zu unterrichten.
VORWORT
ABURAYA YAMAKI
AGENA CHOKUHO
AMURO JITSUYOSHI
ARAGAKI ANKICHI
ARAGAKI RYUKO
ARAGAKI SEISHO
ASON
AZATO YASUTSUNE
CHANNAN
CHATAN (UFU) YARA
CHIBANA CHOSHIN
CHINEN SANDA PEICHIN
CHINEN SHIKIYANAKA
CHINEN UEON KANA
CHINEN YAMANNI MASAMI
CHITOSE TSUYOSHI
CHOU TSU-HO
FUNAKOSHI GICHIN
GIMA MAKOTO
GINOWAN DENUCHI
GO KENKI
GUSHI PEICHIN
HAMA HIGA PEICHIN (I.)
HAMA HIGA PEICHIN (II.)
HANASHIRO CHOMO
HIGA SEIKO
HIGASHIONNA KANRYO
HIGASHIONNA KANYU
HOKAMA SEIKICHI
IHA KOTATSU
IRE MATSUTARO
IRE MOSHIGWA
ISHIMINE PEICHIN
ITARASHIKI CHOCHU SATONUSHI
ITARASHIKI CHOIKU
ITOSU YASUTSUNE
IWAH
KAMIYA JINSEI
KANAGUSUKU (UFUCHIKU) SANDA
KANEGAWA GIBU
KANESHIMA SHINBI
KANESHIMA SHINSUKE
KANESHIRO KININ
KINA SHOSEI
KINJO MATSU
KISHOMOTO SOKO
KIYUNA TANME PEICHIN
KOJO ISEI
KOJO KAHO
KOJO OYAKATA
KOJO PEICHIN
KOJO SEIJIN
KOJO SEIKYO
KOJO SHUREN
KOJO TAITEI
KOMESU USHI
KONISHI YASUHIRO
KUBA KOHO
KUDEKEN KENYU
KUNIYOSHI SHINKICHI
KUROGUA NO JI
KUSHANKU
KUWAE RYOSEI
KYAN CHOFU
KYAN CHOTOKU
KYODA JUHATSU
MABUNI KENWA
MAEDA PEICHIN GICHO
MAEZATO RANPO
MAKABE CHOKEN
MATAYOSHI SHINKO
MATSUDA TOKUSABURO
MATSUMORA KOSAKU
MATSUMURA NABE
MATSUMURA SOKON
MIYAGI CHOJUN
MIYAHIRA SEIYEI
MIYAZATO
MOTOBU CHOKI
MOTOBU CHOYU
NAGAHAMA
NAGO OYAKATA TEIJUNSOKU
NAKAIMA KENCHU
NAKAIMA NORISATO
NAKAMA CHOZO
NAKAMOTO SEIBUN
NAKAMURA HEISABURO
NAKAMURA KEIKICHI
NAKAMURA SHIGERU
NAKAMURA TEIICHI
NAKANHARI NO JII
NAKASONE SEIYU
OSHIRO CHOJO
OTSUKA HIRONORI
OYADOMARI KOKAN
RYU RYUKO
SAKIYAMA KITOKU
SAKUGAWA TERUYA KANGA
SHIONJA
SHIROMA JIRO
SHIROMA SHINPAN
SHIROMA TAISEI
SOEISHI RYOTOKU
SOKEN HOHAN
SUEYOSHI JINO
TAIRA SHINKEN
TAKAHARA PEICHIN
TAKEMURA
TANG DAIJI
TAWADA PEICHIN SHINBOKU
TERUYA KISHIN
TOKUDA ANBUN
TOKUMINE PEICHIN
TOMIGUSUKU OYAKATA
TOMOYOSE RYUYU
TONAKI SEIRO
TOYAMA KANKEN
TOYAMA SEIKEN
TSUKEN
UECHI KANBUN
UESHIMA KIYOTADA SANNOSUKE
UKU GIKO
URA SOKI
USHI KOMESU
WAI XIN XIAN
WANSHU SAPPUSHI
YABIKU MODEN
YABU KENTSU
YAMADA GIKEI
YAMADA GISHU
YOSHIMURA CHOGI
YOSHIMURA UDUN CHOMEI
Bibliographie
Namenregister
Namensbestandteile und ihre Bedeutung
Es war im Sommer 1997, als ich das erste Mal unter einem japanischen Meister trainieren durfte. Der legendäre Enoeda Keinosuke leitete damals ein Trainingslager in Schwerin und ich war ein Violettgurt im Shotokan ryu Karate. Nach dem Lehrgang fragte ich mich, wer denn dieser Enoeda eigentlich sei, wie er Karate erlernt hatte, wer seine Lehrer waren und, und, und. Viele Fragen, die mich bewogen, mich näher mit den persönlichen Biografien der Meister zu beschäftigen, bei denen wir zwar oft trainieren, über die wir jedoch häufig recht wenig wissen.
Vieles hat sich seitdem verändert – meine Graduierung, der Stil, den ich übe, meine Lehrer, mein eigenes Dojo. Eines ist jedoch geblieben – das Interesse für die Meister.
Während meines Studiums begann ich, meine gesammelten Informationen ins neue Medium Internet zu stellen, mit großem Erfolg. Heute ist diese Sammlung von Biografien weltweit verlinkt und hatte zig tausende Besucher. Vor ca. vier Jahren fasste ich den Entschluss, die Texte zu überarbeiten und in Buchform herauszugeben. Aufgrund der Fülle an Informationen muss sich dieser erste Teil auf die Meister des Karate und Kobudo beschränken, die vor 1900 geboren wurden. Und selbst das sind bereits über einhundert.
Dieses Buch soll keine abschließende wissenschaftliche Betrachtung sein. Dazu ist das vorhandene und bekannte Material zu dürftig und oft zu widersprüchlich. Ich habe versucht, soviel wie mir möglich an Material zu sichten, zusammenzufassen und Fehler auszumerzen bzw. darauf im Buch hinzuweisen. So gibt es nicht selten unterschiedliche Angaben, insbesondere zum Geburts- und Sterbejahr. Manchmal führen unterschiedliche Betrachtungsweisen und Zählweisen der Jahre zu Fehlern. Dass im alten Japan nicht mit unseren Jahreszahlen gezählt wird, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass früher für Okinawaner die Neugeborenen ein Jahr alt waren. Solche „Kleinigkeiten“ führen schnell zu Abweichungen, die man nachträglich kaum noch verifizieren kann. Im Übrigen ist es leider so, dass es kaum schriftliche Aufzeichnungen insbesondere der Kampfkunst auf Okinawa vor 1945 gibt. Damals wurden die Informationen über Lehrer meist mündlich weitergegeben. Und Vieles von dem wenigen schriftlichen Material wurde während der Schlacht um Okinawa im Jahr 1945 zerstört, bei der kaum ein Stein auf dem anderen blieb.
Warum ich mich so intensiv mit der Geschichte der okinawanischen Kampfkünste befasse? Nun, weil es mich nicht nur interessiert sondern auch hilft zu verstehen, wieso Karate und Kobudo heute sind, wie sie sind. Es hilft mir, meine Stile und somit mich einzuordnen und Verbindungen zu anderen Stilen zu sehen. Und es ist meine Art des Schreibens getreu dem Ausspruch „bun bu ryo do“ 1.
Dieses Buch ist an all jene gerichtet, die detailliertere Informationen zu einigen Meistern suchen, sich aber schon etwas mit der Geschichte des Karate auseinandergesetzt haben. Deswegen ist nicht jeder Fachbegriff in diesem Buch mit einer Fußnote versehen. Es gibt auch im deutschsprachigen Raum genügend Bücher, die darauf eingehen. Daher habe ich mich auf die nötigen Erklärungen beschränkt. Wer weitergehende Informationen sucht, der sollte einen Blick auf die Literaturhinweise am Ende des Buches werfen. Am empfehlenswertesten ist meiner Meinung nach „Unante“ von John Sells.
Weitere Biografien und Informationen zum zweiten Teil dieses Buches finden Sie unter www.meister-biografien.de. Dort können die Leser dieses Buches mit mir auch gern über die Ergebnisse meiner Forschungen diskutieren.
Seelow, im Sommer 2009 |
Thomas Heinze |
1 Freie Übersetzung: „Pinsel und Schwert sind eins“. Dieser Ausspruch fordert ein Gleichgewicht zwischen körperlicher und geistiger Betätigung.
? ? ?
unbekannt
Aburaya soll neben Matsu Higa ein Lehrer von Takahara Peichin gewesen sein. Er ist nicht zu verwechseln mit Chinen Ueon Kana, der manchmal ebenfalls „Aburaya Yamaki“ genannt wird.
AGENA UKIKATA / TAIRAGUWA GUSHIKAWA / HIGA TARIGWA
? ? ?
1870 - 1924
Der im Jahre 1870 in Gushikawa geborene Agena fing mit dem Studium der Kampfkünste schon als Kind unter Meister Matsumura Sokon an. Ungewöhnlich daran war, dass er nicht adelig war. Als Kind wurde er auch Tairaguwa genannt, was „kleiner Stiller“ bedeutet. Bei Matsumora Kosaku lernte Agena die Tomari-Richtung des Karate.
Später wurde er aufgrund seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten in den Kampfkünsten als Bushi bezeichnet und erhielt den Beinamen „Mann mit der stählernen Faust“2. Er hatte nie eine eigene Schule, begründete aber ein eigenes Kobudo-System. Der Meister wurde besonders für seine Fähigkeiten mit dem Kama bekannt
Die Kata Gushikawa Tairaguwa no kama ichi und ni hat er entwickelt und an Ire Matsutaro weitergegeben. Heute wird seine Kunst von Inamine Seijin vertreten, der sie bei Ire erlernt hat.
Agena Chokuho starb noch recht jung 1924, angeblich bei einem Kampf mit Kyan Chotoku.
Einer seiner bekanntesten Schüler war sein Neffe3 Matayoshi Shinko. Er lernte bei ihm Kamajutsu, Saijutsu und Ekujutsu, womit der Grundstein für das heute bekannteste Kobudo-System, das Matayoshi-Kobudo, gelegt war.
2 Kim erzählt einige interessante Geschichten über Agena und dessen besondere Fähigkeiten. Kim (1974), S. 84 ff.
3 Es gibt Autoren die meinen, Agena wäre der Vater von Matayoshi Shinko. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Shinkos Vater hatte den Namen Matayoshi Shinchin. Auch wuchs Shinko nicht in Gushikawa sondern in Chatan auf.
1892 - 1952
Der im Dorf Chatan geborene Amuro Jitsuyoshi begann als Jugendlicher unter Kyan Chotoku Karate und Kobujutsu zu lernen. Er spezialisierte sich später auf die Waffen Sai und Kama
Nach Abschluss der Grundschule von Yara zog er nach Tokyo, wo er die weiterführende Schule besuchte. Sein Weg führte ihn später wieder zurück auf die Ryukyus, zunächst auf die Insel Miyako, wo er in einer Zuckerraffinerie arbeitete. 1947 ging er nach Java, kam aber zurück und lebte dann in Ishikawa auf Okinawa.
Sowohl an der Ishikawa High School, alsu auch zu der Zeit, als auf Miyako assistierte Amuro seinen Lehrer Kyan Chotoku beim Lehren der Kampfkünste.
YAGUKICHI / UFUYAGWA4
1899 - 1927
Aragaki Ankichi wurde im November 1899 in Shuri auf Okinawa als ältestes von elf Kindern eines wohlhabenden Reisbauern und Weinhändler geboren.
Schon als Kind zeigte er Interesse für Kunst und Sport, sowie die Stärkung des Körpers. Seine ersten Karatelehrer waren Shiroma Shinpan und Hanashiro Chomo. Später lernte er auch bei Chibana Choshin und Motobu Choki. Im Jahre 1921, nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst, ging Aragaki nach Kadena, wo er auf Kyan Chotoku traf. Beide wurden später sehr bekannte Karatemeister. Aragaki wurde neben Shimabukuro Taro Lieblingsschüler von Kyan. Diese beiden begleiteten Kyan auf seinen Reisen und übten oft unter besonderen Bedingungen bei ihm. So war das Trainieren von Kata in der Nacht auf unebenem oder nassem Boden nicht selten. Von Kyan lernte er die Kata Passai, Chinto und Kushanku.
Aragaki übte auch Judo, Sumo, Kendo und Schwimmen, außerdem kletterte er gern auf Bäume, manchmal auch mit dem Kopf nach unten, ein „Talent“, dass er mit anderen bekannten Karatekas wie Motobu Choki und Shimabukuro Eizo teilte. Er war überhaupt für seine außergewöhnlichen körperlichen Fähigkeiten berühmt. Seine Hüften und Beine waren durch das viele Kampfkunsttraining besonders stark. Eine seiner Lieblingsübungen bestand darin, mit Gewichten in den Händen Berge hinauf zu rennen. Er soll auch gerne auf den Zehenspitzen gegangen sein, weshalb er später den Tsumasaki-geri, einen Tritt mit den Zehenspitzen, perfektionierte und als Lieblingstechnik einsetzte. Er fiel durch verschiedene Demonstrationen von Kraft und Mut auf.
Aragaki zeichnete ein sehr breites Wissen über Karate aus. Auf Okinawa genoss er den Ruf eines Technikers, der seinesgleichen sucht. Er versuchte, sich wissenschaftlich mit Karate zu beschäftigen und kannte sich auch sehr gut in der okinawanischen Kultur und der Kunst aus. So galt sein besonderes Interesse den klassischen okinawanischen Tänzen (Odori) und deren Verbindung zu den Kampfkünsten. Angeblich hat er den äußerst schwierigen klassischen okinawanischen Tanz Saru-mai (Affentanz) perfekt beherrscht. Aragaki meinte: "Ästhetische Schönheit, verbunden mit menschlichem Wert ist Kunst. Karate-do und Kunst haben denselben Ursprung und dasselbe Ziel: Sie erheben den Menschen auf jene Stufe des Seins, auf der er sich vom Tier unterscheidet. Der Intellekt allein vermag dies nicht."
Aragaki Ankichi war befreundet mit Chitose Tsuyoshi. Diesen lehrte er die Kata Passai und Ananku. Ein weiterer seiner Schüler war Mabuni Kenwa. Mabuni lernte die Kata Unsu, Sochin und Niseishi von ihm.
Seine wichtigsten Schüler waren weiterhin: Toyama Kanken, Rentaro Chuma, Kushi Jyokei, Choso Ogimi, Oshiro Heisuke, Shimabukuro Taro, Nagamine Shoshin und Aragaki Angi.
Aragaki war auch ein Meister des Kobudo und schuf einige Kata – Aragaki no sai, Aragaki no kon und Aragaki no nunchaku.
Aragaki Ankichi starb im Dezember 1927 an einem Magengeschwür.
4 Die Familie besaß eine Weinhandlung namens „Ufuya-gwa“. Daher der Name.
NAKAMOTO NO KAMADE5
? ? ?
1875 - 1961
Aragaki Ryuko, ein Meister des Tomari te, war der erste Karatelehrer des Begründers des Goju ryu, Miyagi Chojun. Er unterrichtete ihn ab 1899 drei Jahre lang, bis er von dem Willen seines Schülers überzeugt war. Dann schickte er Miyagi fort, mit dem Auftrag mehr und besseres Karate zu lernen. Auf diese Weise zeigte Aragaki, wie stolz er auf seinen Zögling war.
Später lernte sein Enkel Aragaki Shuichi das Karate von Miyagi. Aragaki Shuichi ist heute Technischer Berater des IOGKF und lehrt im Dojo von Higaonna Morio das okinawanische Goju ryu.
Aragakis Sohn, Aragaki Ryuyu, wurde ein auf Okinawa bekannter und für sein Können geachteter Kalligraphiemeister. Aragaki selbst erlangte Berühmtheit durch einen aufsehenerregenden Sieg über Motobu Choki.
Aragaki behauptete in einem Interview, stets auf einen Kampf vorbereitet zu sein. Er trug immer einen Überwurf (Haori) über seinem Kimono und die traditionellen Schuhe (Geta). Im Falle eines Messerangriffes konnten sie zum Blenden bzw. als Waffen verwendet werden.
5 Sein Spitzname als Kind.
NIIGAKI / ARAGAKI MAYA6 / ARAGAKI OU7 / ARAGAKI KAMADEUNCHU8 / ARAGAKI-GWA
1840 - 1918/20
Darüber, ob Aragaki Seisho 1840 in Kumemura (bei Naha, Okinawa) oder auf der nahen Insel Sesoku geboren wurde, sind sich die Geschichtsforscher nicht einig. Sein Vater soll jedenfalls als Verwaltungsbeamter auf dieser Insel gearbeitet haben.
Aragaki Seisho wurde später selbst Beamter (Chikudon Pechin) am okinawanischen Königshof. Da er fließend Chinesisch sprach, arbeitete er dort als Übersetzer am Gerichtshof. Seine Tätigkeit erleichterte ihm den Zugang zu den chinesischen Kampfkünsten ebenso wie seine Aufenthalte in China, wo er das Luohanquan (Arhat-Boxen) erlernte, das er später unterrichtete.
In China lernte er unter anderem bei Wai Xin Xian9, der als einziger seiner Lehrer historisch belegt ist10. Ebenfalls soll er die Kampfkünste bei Ryu Ryuko, Yara Chatan, Toguchi und Shionja erlernt haben.
Aragaki Seisho war der erste Lehrer von Higashionna Kanryo, den er von 1867 bis 1870 unterrichtete, bis eine Reise nach Beijing dem Unterricht im September 1870 ein Ende setzte. Trotzdem beeinflussten diese Jahre das Karate von Higashionna, und damit die weitere Entwicklung des Naha te, sehr stark.
Das Training bei Aragaki war typisch für diese Zeit: er unterrichtete ausschließlich Kata. So übte zum Beispiel Chitose Tsuyoshi in seinen ersten sieben Jahren bei ihm nur die Seisan. Man vermutet, dass neben den Kata Sanchin, Seisan, Suparinpei auch die Unsu, Sochin und Nijushiho durch Aragaki übertragen wurden, ebenso wie die relativ unbekannte Shihohai.
Doch er beherrschte nicht nur Karate, sondern auch Waffen perfekt, nachdem er bei Mabuni Kenwa gelernt hatte. Er beschäftigte sich besonders mit Bo und Sai, für die er weitere Kata hinterließ: Aragaki no kon, Aragaki no sai und Sesoku no kon, wobei letztere über 200 Techniken enthält und gegen das Schwert eingesetzt wird. Zu seinen Schülern gehörten weiterhin Mabuni Kenwa, Kyan Chotoku, Funakoshi Gichin, Miyagi Chojun, Uechi Kanbun und Kuniyoshi Seiko.
Das Todesjahr ist nicht sicher belegt. Es wird vermutet, dass Aragaki im Mai 1918 oder 1920 starb.
6 "Aragaki die Katze". Diesen Beinamen bekam Aragaki wegen seiner schnellen und leichten Bewegungen.
7 Der Zusatz „Ou“ bedeutet „alter Mann“ und ist ein Zeichen von Respekt.
8 Im Namen „Kamadeunchu“ steht Kama-de für "Sichelhände" und Unchu für die Kata Unsu.
9 Aragakis Enkel, Aragaki Genei, sagte Geschichtsforschern, dass sein Großvater niemals in China gewesen sei. Möglicherweise war der Aragaki, der 1897 mit Matsuda und Uechi nach China reiste, der Sohn von Aragaki Seisho.
10 So soll er unter einem Bushi im Range eines Peichin aus Kume, dessen Name später in Yabu geändert wurde, gelernt haben.
A TSOUEN KIA
19. Jahrhundert
Ason war ein Experte des Quanfa, der als chinesischer Militärgesandter Anfang des 19. Jahrhunderts auf Okinawa lebte. Er unterrichtete als erster Chinese in Kumemura (Naha) und betrieb somit die erste Kampfkunstschule. Sie bestand noch vor der von Higashionna Kanryo. Die Schule Asons befand sich in starker Konkurrenz zu den Schulen von Matsumura Sokon und Itosu Yasutsune aus Shuri.
Sein Stil war von südlichen chinesischen Stilen beeinflusst. Er beruhte auf der Kata Naihanchi, die zu dieser Zeit noch mehr als 100 Bewegungen enthielt. Ason selbst nannte sie „Nai han chin“. Er ist heute dafür bekannt, die Naihanchi nach Okinawa gebracht zu haben. Matsumura soll die ursprüngliche Ason-Naihanchi später in zwei Teile geteilt haben; die heute bekannte dritte Naihanchi aber soll nicht von Ason stammen.
Er gab seinen Stil über Sakiyama aus Izumisaki an Tomigusuku Uekata weiter, der aber die Stilfolge abbrach.
Durch die Weitergabe der Kata Wanshu an Matsumora Kosaku und Oyadomari Kokan hat Ason auch die Tomari-Linie beeinflusst.
Schüler von Ason waren Gushi, Nakaima Kenri und Tomoyori11 (auch Tomoyose), zeitweise auch Matsumura.
11 Tomoyose galt in Naha als unbesiegbar, bis er 1856 eine Herausforderung von Itosu Yasutsune annahm und verlor. Itosu brach ihm mit Shuto den Arm.
ASATO YASUZATO12 / RINKAKUSEI13 / AZATO ANKO
1827 - 190614
Einer der bekanntesten Meister des Okinawa-Karate, Azato Yasutsune15 wurde 1827 als Sohn eines Dunchi, einem Angehörigen einer der beiden höchsten Klassen der okinawanischen Gesellschaft, in der Stadt Asato16 geboren.
Er wurde militärischer Berater des Königs von Okinawa und war ein wohlhabender Mann.
Vor allem aber war er einer der größten Karateexperten seiner Zeit. der sich außer Außer mit dem Karate beschäftigte er sich mit dem Jigen ryu17 beschäftigte, einem sehr dynamischen, kampfbetonten Schwertkampfstil, der noch heute in Japan existiert18. Azato soll unter dem japanischen Lehrer Ishuin Yashichiro ein sehr guter Schwertkämpfer geworden sein. Angeblich war er davon überzeugt, im Kampf auf Leben und Tod gegen jeden Okinawaner zu gewinnen. Die Erfahrungen aus dem Schwertkampf flossen später in sein Karate ein.
Er übte sich außerdem in der Reitkunst (Bajutsu)19, im Bogenschießen20 und im Ringen (Tuitejutsu und Tegumi), war aber auch ein auf Okinawa bekannter und verehrter Philosoph und Gelehrter.
Seine Fähigkeiten im Karate hatte er sich bei Bushi Matsumura Sokon angeeignet. Er soll dessen bester Schüler gewesen sein und wurde auch sein Nachfolger.
Aufgrund seiner Tätigkeit am Hofe des Königs lebte Azato nicht vom Unterrichten der Kampfkünste. Heute wird Azato als "Meister im Schatten" bezeichnet, weil er nur zwei Schüler hatte: Funakoshi Gichin und Oshiro Chojo21. Selbst seinen ältesten Sohn ließ er von Itosu Yasutsune Karate unterrichten. Das ist besonders deshalb interessant, da Itosu eine gänzlich andere Auffassung vom Karate hatte als Azato.
Azato war sehr gebildet und versuchte auch, dies weiterzugeben. So forderte er Funakoshi, dem er sehr nahe stand, auf, die chinesischen Klassiker von Sun Zi und Wu Zi zu studieren. Funakoshi meinte später von Azato, er wäre von diesem wie ein Sohn behandelt worden.
Unerklärlicherweise vertrat Funakoshi in Japan später nur Itosus Karate, das sich stark von dem Azatos unterschied, obwohl er bei ersterem nur Gastschüler gewesen war22 und hauptsächlich bei Azato gelernt hatte.
Azato war der Meinung, dass man sich seine Hände als Klingen vorstellen solle23 und keinesfalls mit den Angriffen des Gegners in Berührung kommen dürfe. Im Gegensatz dazu war Itosu für einen weniger agilen, aber starken Körper bekannt. Itosu fand, dass der eigene Körper in der Lage sein müsse, auch härteste Schläge anzunehmen. Timing und große Beweglichkeit war dagegen für Azatos die Basis des Kampfes. Übermäßige Abhärtungs- und Kräftigungsübungen, wie Itosu sie favorisierte, lehnte Azato ab. Er hielt nichts von der Fähigkeit Itosus, jeden noch so starken Schlag zu überstehen, da sie im Kampf gegen einen bewaffneten Gegner nutzlos war
Azato soll selbst mehrere Male gegen einen Meister des Jigen ryu, Kanna Yorin, gekämpft und gewonnen haben, obwohl Azato unbewaffnet zum Kampf antrat24. Seine Beweglichkeit war natürlich in den Kämpfen mit Kanna vorteilhaft, Abhärtung hätte keinen Sieg gebracht.
Trotz der teilweise unterschiedlichen Ansichten über Karate waren Azato und Itosu sehr enge Freunde. Sie wurden teilweise sogar als „Bruder-Bushi“ bezeichnet.
Azato vertrat die Meinung, dass man, um das Karate wirklich verstehen zu können, das Ringen, den Umgang mit dem Schwert, das Reiten, das Bogenschießen und militärische Strategie studieren müsse. Der wichtigste Aspekt des Karatetrainings war für Azato die Kultivierung des Geistes. Das Prinzip „karate ni sente nashi“25 - Karate kennt keinen ersten Angriff – lag seiner Lehre genauso zugrunde wie die lange kontinuierliche Arbeit an der Kampfkunst, ohne die seiner Meinung nach keine Meisterschaft zu erreichen war. Er war weiterhin ein Verfechter der These, dass man auf einen Überraschungsangriff in einer Bewegung mit Abwehr und Gegenangriff reagieren müsse. Einer seiner Grundsätze war: "Kenne Dich selbst und Deinen Gegner, das ist das Geheimnis der Strategie."26 Er sammelte Informationen über die okinawanischen Karateka seiner Zeit, woraus eine umfassende Sammlung über deren Fähigkeiten, Spezialitäten und Fehler entstand. Die konfuzianistische Weisheit fand später Eingang in die Dojo-Kun von Funakoshi (Shotonijukun), in denen es heißt „(Er)kenne zuerst Dich selbst, dann die anderen“27.
Azato war einer der Männer, die den letzten okinawanischen König Sho Tai (1843-1901) als Staatsminister in die politische „Geiselhaft“ nach Tokyo begleiteten, nachdem dieser im Zuge der Meijirestauration vom japanischen Kaiser nach Japan befohlen worden war. Hier verliert sich seine Spur, er soll aber weiter die Kampfkünste geübt und mehrere Kämpfe, z.B. gegen Judoka, gewonnen haben.
12 Yasuzato ist die japanische Aussprache von Azato.
13 Azatos Künstlername („selten und rein“).
14 Lind (2005); McCarthy (1995) S. 51; Alexander (1990), S. 48; Sells (2000), S. 47; Kise gibt die Daten mit 1828-1914 an - Kise (2003). Hokama gibt 1828-1906 und 1829-1909 an – Hokama (2005), S. 15 ebenso Clayton (2004), S. 63.
15 Auch Azato Anko, je nach Leseart der Namenskanji.
16 Eine Stadt zwischen Shuri und Naha.
17 Laut Aussage von Funakoshi war nicht Karate Azatos wahre Leidenschaft, sondern das Jigen ryu (Schwertstil der Satsuma).
18 Er lernte unter Samurai des Satsuma-Clans im Süden Japans. Auch als er wieder auf Okinawa zurückgekehrt war, übte er weiter.
19 Er soll es unter Megata Masachika, dem Lehrer des Kaisers Meiji, studiert haben.
20 Sein Lehrer war Sekiguchi Genta, der auch Matsumura unterrichtete. Er lernte das Heki ryu Bishu Chikurin ha, eine Form des Tempel-Bogenschießens, das auf Chikurinbo Josei zurückgeht.
21 Laut Alexander hat er auch Shiroma Shinpan und Toyama Kanken unterrichtet. Alexander (1990), S. 48
22 Funakoshi bezeichnete Azato als den größten Karatemeister, den er jemals getroffen hat.
23 Funakoshi berichtet, dass Azato einmal einen Schlachthof besuchte, wo er sein Nukite an toten Schweinen erfolgreich ausprobierte.
24 Ob diese Geschichte sich wirklich so zugetragen hat, ist unbekannt, ebenso welches Niveau Kanna hatte.
25 „Karate kennt keinen ersten Angriff“. Eine Regel, die später Eingang in die Shotonijukun (20 Regeln des Funakoshi) von Meister Funakoshi fand und heute insbesondere im Shotokan sehr bekannt ist.
26 Getreu dem chinesischen Militärstrategen Sun Zi
27 Japanisch: Mazu jiko wo shire, shikashite ta wo shire.
CHIANG NAN
19. Jahrhundert
Der Name eines Meisters Channan taucht nur in Verbindung mit einer Kata gleichen Namens auf, die es heute in seiner ursprünglichen Form nicht mehr gibt.
Marc Bishop schreibt, Itosu habe die Channan von einem Chinesen gelernt. Dieser wird, da nirgends ein Name auftaucht, in der Literatur oft Channan (chinesisch: Chiang Nan) genannt.
Die ganze Geschichte der Kata Channan ist geheimnisumwittert. Angeblich soll Itosu aus dieser die Pinan entwickelt haben. Diese Hypothese, manchmal mit dem Zusatz, dass auch die Kushanku von Itosu mitverwendet wurde, ist sehr populär, aber unbewiesen. Auch zu den angeblich von Itosu entwickelten Pinan Kata gibt es unterschiedliche Ansichten: angefangen von „Itosu hat keine Pinan entwickelt“ über „Pinan Shodan bis Sandan sind von ihm“ bis „Alle Pinan gehen auf Itosu zurück“ reicht das Spektrum. Ziemlich einig ist man sich sich jedoch, dass die Channan zumindest eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Pinan, welcher auch immer, gespielt haben soll.
Sells führt die Kata Channan schon wieder unter den Formen auf, die Matsumura Sokon schon beherrscht hat. Wie Matsumura an diese Kata gekommen ist bleibt allerdings offen. Der Shito ryu Meister Sakagami Ryusho schreibt, die Kata Channan wäre im 14. Kapitel des Buches Kikoshinsho aus dem 16. Jahrhundert beschrieben. Aus diesem Buch Matsumura könnte Matsumura sie haben. Dann hätte es in der Geschichte der Kata keinen Chinesen Chiang Nan (Channan) gegeben, was sehr wahrscheinlich ist.
YARA UEKATA / YARA GUWA / YOMITAN YARA
1760 – 1812
Chatan Yara wurde 176028 im Ort Chatan29 auf Okinawa geboren. Sein Onkel, ein Händler, überzeugte seine Eltern, dass aus ihm ein großer Kampfkünstler werden könnte, wenn er mit ihm nach China reiste.
Ab 1772, er war gerade zwölf Jahre alt, erlernte Yara also in der Provinz Fujian unter Meister Wong Chung Yoh das Quanfa (Xingyi und Qigong). Gleichzeitig erlernte er die Kunst des Bo und des chinesischen Schmetterlingsmessers. Yara blieb 20 Jahre in China, sein Training war hart. Er musste lernen, mit seiner Kraft umzugehen, von der er schon als Kind viel gehabt haben soll. Sein Lehrer lehrte ihn, seinen Körperschwerpunkt und sein Gleichgewicht zu kontrollieren, indem er ihn ständig durch plötzliches Anstoßen aus dem Gleichbewicht zu bringen versuchte.
Zurück auf Okinawa wurde Yara Dolmetscher für seinen Bruder, der Bürgermeister war. Sein Beruf ließ ihm die Zeit, weiterhin die Kampfkünste zu üben. Okinawa war damals vom japanischen Satsuma-Clan besetzt. Eine Geschichte über Yara, erzählt von Richard Kim, besagt, dass Yara eines Tages am Strand entlang wanderte und bemerkte, wie ein Samurai eine Frau bedrängte. Yara forderte ihn auf, die Frau in Ruhe zu lassen, woraufhin der sein Schwert zog. Mit einem Bootsruder erschlug Yara den Samurai. Das Mädchen erzählte Yara von den Problemen der Dorfbewohner mit den Samurai. Daraufhin beschloss Yara, die Einwohner des Dorfes in seiner Kampfkunst zu unterrichten30. Diese hielten die Anstrengungen des Trainings jedoch nicht aus, da sie den ganzen Tag über auf den Feldern arbeiteten. So war er bald wieder ohne Schüler und hat später auch keine eine eigene Schule mehr eröffnet. Stattdessen widmete Yara seine Zeit der Kalligraphie.
Trotzdem zählt er zu den wichtigsten Meistern der früheren okinawanischen Kampfkünste. Er war offizieller Nachfolger von Kushanku und eventuell der Lehrer von Sakugawa, der möglicherweise nicht direkt unter Kushanku gelernt hat31. Seine Fähigkeiten im Bojutsu soll sich Yara unter Sakugawa erworben haben, das Tonfajutsu erlernte er bei seinem eigenen Bojutsuschüler Kurogua no Ji.
Eine wichtige Form der Kata Kushanku (Chatanyara no kushanku) über seinen Enkel Yomitan Yara32 an Kuniyoshi Peichin Shinkichi und Kyan Chotoku weitergegeben worden. Yomitan Yara stammte aus dem Dorf Yomitan südlich von Chatan. Ob er mit Chatan Yara tatsächlich verwandt war oder dieser ihn nur unterrichtete, ist nicht geklärt.
Von Chatan Yara sind weiterhin die Kata Chatanyara no tonfa, Chatanyara no kon und Chatanyara no sai überliefert.
In den Arbeiten verschiedener Forscher finden sich die Daten eines Chatan Yara, der von 1668 bis 1746/56 gelebt haben soll und angeblich Lehrer von Takahara Peichin und Ginowan Denuchi war. Die Beziehung zwischen beiden Chatan Yaras konnte noch nicht geklärt werden.
28 Über das Geburtsjahr von Yara gibt es unterschiedliche Auffassungen. Alexander (1991, S. 39) gibt abweichend z.B. 1725 an, Sells (2000, S. 26) schreibt 1740.
29 Daher der Name „Yara aus dem Dorf Chatan“, kurz Chatan Yara.
30 Diese Geschichte ist höchst umstritten. Es gibt keinerlei schriftliche Belege dafür, dass okinawanische Bauern sich organisiert gegen die Satsuma zur Wehr setzten, nicht einmal in den Archiven des Satsuma-Clans. Zwar mag es durchaus zu vereinzelten Auseinandersetzungen gekommen sein, dass es aber einen organisierten Widerstand gegen die Satsuma gab, ist historisch nicht nachgewiesen und basiert wohl eher auf den Heldenerzählungen der Okinawaner.
31 Diese Theorie stammt von einem Nachfahren 7. Generation von Sakugawa.
32 Dieser Yara soll 1816 geboren worden sein.
1885 - 1969
Chibana Choshin wurde am 5. Juni 1885 im Dorf Torihori bei Shuri geboren. Im Alter von 15 Jahren übte er erstmals das Karate unter Meister Itosu Yasutsune33, bei dem er bis zu dessen Tod im Jahre 1915 blieb. Außer bei Itosu lernte Chibana auch unter Kiyuna Peichin.
1929 eröffnete Chibana in Torihori sein erstes Dojo, das jedoch kurze Zeit später nach Kumoji, einem Ort in der Nähe von Naha, verlegt wurde. Nach dem nächsten Umzug nach Gibo (Shuri), an den Hof des Barons Nakijin, wurde es in Tode Kenkyu Sho (Tode-Forschungs-Gruppe) umbenannt. Chibana kämpfte für die Anerkennung des Shorin ryu durch die Dai Nippon Butokukai und reichte im Jahr 1933 die Stilnamen zusammen mit Miyagi Chojun (Goju ryu) ein.
In den folgenden Jahren entwickelte sich Chibana zu den einflussreichsten Vertretern des Shorin ryu auf Okinawa, nicht zuletzt durch sein ausgeprägtes Organisationstalent und sein Charisma.
Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete Chibana in einem Zuckerrohr verarbeitenden Unternehmen als Vorarbeiter. Obwohl er nicht besonders gebildet war, erfüllte er diese Aufgabe sehr gut. Später zog Chibana auf die Halbinsel Chinen, wo er bis 1948 blieb und seinen Stil lehrte. Dann kehrte er nach Shuri zurück, um dort sein Dojo wiederzueröffnen, dem später weitere in Jiku, Asato, Sakayamachi, Mihara und Yamagawa folgten. Von Februar 1954 bis Dezember 1958 lehrte er außerdem im Polizeirevier von Shuri.
Den von ihm unterrichteten Stil nannte man Chibana Shorin ryu34, das als direkter Nachfolger des Itosu Shorin ryu gilt. Sein Training war hart, getreu seiner Devise „Um hart zu werden muss man hart trainieren.“ Trotzdem war er der Meinung, dass man als Fortgeschrittener weich abwehren müsse. Seiner Meinung nach sollte Karate weich sein – nur jugendlichen Anfänger würden harte Techniken gebrauchen.
Chibana Choshin wurde im Mai 1956 erster Präsident der neugegründeten Okinawa Karate Kobudo Renmei (OKKR). Auch von der japanischen Butokukai wurde er hoch geachtet, und man verlieh ihm am 5. Mai 1957 den Hanshi-Titel. Chibana hatte jedoch eine recht eigene Meinung vom Karate, die er offen vertrat. So bereitete ihm, im Gegensatz zu einigen anderen Meistern, kein Problem, Schutzkleidung beim Zweikampf zu verwenden. Solche Auffassungen über Karate hielt er nicht hinterm Berg zurück, was letztlich dazu führte, dass er die OKKR verließ und seinen eigenen Weg ging, indem er 1963 seine eigene Organisation gründete, welche er Okinawa Shorin ryu Karate Kyokai nannte.
Chibana interessierte sich so sehr für die Geschichte der okinawanischen Kampfkünste, dass man ihn aufgrund seines umfangreichen Wissens schon zu seiner Zeit als wandelndes Lexikon bezeichnete. Er betrachtete die Vergangenheit immer als „Goldenes Zeitalter“ und bedauerte die Veränderungen des Karate. Im Laufe seines Lebens erhielt er viele Ehrungen und Auszeichnungen, darunter 1960 einen Orden vom japanischen Kaiser für seine Bemühungen um die Verbreitung der okinawanischen Kampfkünste.
Chibana hinterließ einige Kobudo-Kata, u.a. die Chibana no kon. Außerdem überlieferte er die Chibana no kushanku sowie eine Form der Kushanku (Kanku), die der Itosu no kushanku sehr ähnlich ist.
Schüler Chibanas waren u.a.: Kaneshima Shinsuke, Shimabukuro Eizo, Miyashiro Shikichi, Toyama Kanken, Teruya Kangi, Uezu Angi, Kinjo Kanamori, Kinjo Kensei und Nagamine Shoshin. Seine wichtigsten Schüler, die später seine Linie weiterführen sollten waren jedoch Nakazato Shugoro, Higa Yuchoku, Miyahira Katsuya und Nakama Chozo.
Choshin Chibana starb am 26. Februar 1969 im Omaha Hospital in Tokyo an Krebs.
33 Chibana musste Itosu dreimal bitten ihn zu unterrichten, bevor er akzeptiert wurde.
34 Heute wird sein Stil Kobayashi Shorin ryu genannt. Er selbst soll den Begriff „Kobayashi ryu“ jedoch nie benutzt haben, sondern immer nur „Shorin ryu“.
USUME YAMANNI / YAMANNI TANME / CHINEN SABURO / CHINEN SANRIYO
1846 - 192835
Chinen Sanda Peichin wurde im Dorf Samukawa bei Shuri (Okinawa) als Sohn eines Peichin der Keimochi-Klasse geboren. Seine Familie bewachte zu dieser Zeit die Königsfamilie und dementsprechend mit dem Gebrauch von Waffen vertraut.
Chinen Sanda wurde von seinem Vater36, Chinen Ueon Kana im Kobujutsu und im Uchinadi unterrichtet.
Bekannt war er für seine Fähigkeit, Neues zu entwickeln. Durch ihn entstanden die Kata Shuji no kon, Yonegawa no kon und Shirotaru no kon. Diese enthalten die Essenz seiner Entwicklungen.
Angeblich träumte Chinen Sanda eines Nachts von einem schwingenden Bo. Daraufhin entwickelte er eine schwingende Botechnik, die nicht stoppt, sondern sich fortwährend bewegt, um letztendlich zuzuschlagen. Dafür ist das Yamanni ryu, das von seinem Enkel Chinen Masami gegründet wurde, heute noch bekannt.
Chinen wurde ein sehr berühmter Meister des okinawanischen Bojutsu. Chinen Yamanni Masami wurde sein wichtigster Schüler.
Weitere Schüler von ihm waren unter anderem Yabiku Moden, Higa Raisuke, Higa Seiichiro, Higa Kisuke, Higa Jinsaburo, Akamine Yohei, Maeshiro Chotoku, Tonaki Seiro und Oshiro Chojo. Letzterer entwickelte das Oshiro ha Yamanni ryu.
35 Hokama gibt die Jahre 1840-1922 an. Hokama (2005), S.31
36 Manche Geschichtsforscher vertreten die Meinung, es wäre sein Onkel gewesen.
CHINEN SHITAHAKU / CHINEN SHICHANAKA OKINA
1780 - 1841
Chinen Shikiyanaka37 auch Shitahaku, wurde 1780 als Sohn einer armen Familie in Chinen, einem kleinen Ort im Süden Okinawas, geboren. Shikiya bezeichnet einen Bezirk dieses Ortes, Naka bedeutet "Mitte". Hier wuchs Chinen auf. Später wurde er als Bushi Shikiyanaka bezeichnet, als Meister des Bojutsu.
Chinen war Diener des Ausbilders Soeishi, der die Leibwachen des okinawanischen Königs trainierte.
Chinen lernte das Bojutsu zunächst, indem er heimlich versuchte Meister Soeishi während seiner Übungen zu beobachten. Beispielsweise beobachtete er Meister Soeishi aus den Zweigen eines Baumes, indem er in den Übungsraum schaute. Soeishi bemerkte das schließlich und nahm Chinen als Schüler an, überzeugt von seiner Beharrlichkeit. Er lehrte Chinen die Kata Shoun no kon, die er selbst entwickelt hatte, und Shuji no kon.
Später revolutionierte er das okinawanische Bojutsu wie kein anderer. Er gründete einen eigenen Stil. Vermutlich entwickelte er die Kata Soeishi no kon, entweder selbst oder als Ableitung der Prinzipien des Meisters Soeishi. Er entwickelte auch die Kata Chinen (Shikiyanaka) no kon.
Neben dem Bo beherrschte Chinen die Waffe Sai. Sein wichtigster Schüler war Chinen Ueon Kana.
37 Das dargestellte Bild entspricht nicht dem von Chinen Shikiyanaka sondern einer Person gleichen Ranges zu Lebzeiten Chinens, kursiert aber als Darstellung des Chinen Shikiyanaka im Internet.
ABURAIYA YAMAGUSUKU / ANDAYA YAMASHIRO / CHINEN CHIKUDUN PEICHIN KANA / CHINEN SANJIN ANDAYA PEICHIN / YAMAGUSUKU ANDAYA
1797 - 1881
Chinen Ueon Kana stammte aus der Chinen-Familie, die mit dem Schutz von Adeligen und der Königsfamilie am okinawanischen Hof in Shuri beauftragt war. Er trug den Titel „Chikudun Peichin“.
Chinen erhielt Unterricht von Sakugawa Kanga und Chinen Shikiyanaka. Die von Sakugawa in Okinawa im späten 18. Jahrhundert aus China eingeführten Stockkampftechniken wurden von der Chinen-Familie aufgegriffen, weiterentwickelt und innerhalb der Familie weitergegeben. Wichtigster Schüler von Chinen Ueon Kana Peichin war sein Sohn Chinen Sanda, über den die Lehre weitergegeben wurde.
Wahrscheinlich ist, dass Chinen länger bei Chinen Shikiyanaka als bei Sakugawa lernte. Sakugawa starb, als Chinen etwa 18 Jahre alt war, also kann Chinen nicht lange bei ihm gelernt haben, vielleicht zwei bis drei Jahre. Den größten Einfluss muss Chinen Shikiyanaka auf ihn haben. Allerdings ist unklar, ob beide verwandt waren und wenn ja, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie zueinander standen.
CHINEN MAZARU
1898 - 1976
Geboren am 16.10.1898 in Shuri, Okinawa, arbeitete Chinen Yamanni Masami als Polizist in Taiwan, wo er mit der Waffe Sai umzugehen lernte. Er lernte das Bojutsu bei seinem Vater oder Großvater Chinen Sanda, der ihn hinter seinem Haus in Tobaru (Shuri) unterrichtete.
Die Bo-Kata, die Chinen von seinem Vater (oder Großvater) lernte, waren: Shuji no kon, Sakugawa no kon, Sunakake no kon, Yonegawa no kon (Gyakubo) und Shirotaru no kon (Ogusuku). Außerdem beherrschte er die Soeishi no kon, Shoun no kon, Chinen Shikiyanaka no kon, Tsuken bo, Sueiyoshi no kon und Shimajiri no kon. Chinen Yamanni Masami begründete das Yamanni ryu Kobujutsu (manchmal auch Yamane ryu), das er als Erster so bezeichnete.
Seine Lieblingskata war die Shuji no kon, die gleichzeitig auch die Hauptkata des Systems ist. Die ursprüngliche Kata soll sehr schwer zu meistern sein. Chinen übte sie bis zu seinem Tod jeden Tag. Die Kata stammt zwar aus China, enthält aber viele Techniken des okinawanischen Te. Sie wurde an Higa Seitoku weitergegeben. Dieser behauptet, die anderen Shuji-Varianten aus Okinawa seien von Chinen Sanda zu Zwecken der Vorführung entwickelt worden. Bei diesen Kata sind sämtliche Te-Techniken entfernt worden, um die Entschlüsselung zu erschweren.
Laut Hokama lernte Chinen auch Karate. Ab 1910 lernte er unter Tokuda Anbun, nach 1913 unter Hanashiro Chomo. Ab 1914 lernte er bei Higashionna Kanryo.
Seine bekanntesten Schüler waren Kochinda Saburo, Kishaba Chogi und Higa Seitoku. Lange Zeit wurde angenommen, dass das Yamanni ryu nach Chinens Tod 1976 ausgestorben sei. Mittlerweile wird es durch Oshiro Toshihiro weltweit verbreitet.
CHINEN GOCHOKU / CHINEN GUA / CHINEN TSUYOSHI
1898 - 1984
Chitose Tsuyoshi wurde am 18. Oktober 1898 in Kumoji, Naha geboren. Sein ursprünglicher Name war Chinen Gochoku, den er jedoch später in Chitose änderte.
Er war Enkel des Karate-Meisters Matsumura Sokon38, der ihn 1905 im Alter von sieben Jahren zum Karatetraining unter Meister Aragaki Seisho brachte. Chitose soll zunächst sieben Jahre lang die Seisan studiert haben, bevor Aragaki ihn die nächsten Kata Niseishi und Shihohai lehrte.
Nachdem er sich 1913/14 von Aragaki getrennt hatte, lernte er bei weiteren bekannten Meistern. Die Kata Saifa, Seipai und Kururunfa studierte er unter Higashionna Kanryo, der allerdings schon 1915 starb. Die Kata Wanshu und die Unsu bei Motobu Choyu, die Ananku, Kushanku, Passai, Chinto und Gojushiho bei Kyan Chotoku, bei Hanashiro Chomo die Ryusan, Jion, Jitte und Shihohai. Das alte okinawanische Te wurde ihm im Dojo von Kanagushiku Peichin beigebracht.
Er übte sich auch im Umgang mit Waffen. Sai, Nunchaku und Tonfa lernte er bei Kojo Kaho und Maezato Ranpo, die ihn u.a. die Kata Tsuken Sunakake no kon lehrten. Von Chinen Sanda lernte er den Umgang mit dem Bo. Später setzte er sein Waffenstudium auch bei Yabiku Moden fort.
Chitose lernte also bei einigen der bedeutendsten Meister seiner Zeit und hatte so Einblick in verschiedene Richtungen des Karate sowie des Kobudo. Dieses umfassende Studium mehrerer Richtungen des okinawanischen Karate spiegelte sich in seinem eigenen Stil wider. Er verband Shorin und Shorei ryu zu einem Karate, indem er verschiedene Kata in seinen Stil einbrachte.
Chitose wollte zwar Lehrer werden, ging jedoch 1922 nach Tokyo, um dort Medizin zu studieren. Dreißig Jahre lang arbeitete er als Gynäkologe, erst ab 1950 widmete er sich ausschließlich dem Karate. Doch in seiner Freizeit befasste er sich schon vorher intensiv mit dem Karate, dass er unter anderem als Präsident und Chief Instructor der All Japan Karate do Federation Chitokai verbreitete. Darüber hinaus assistierte er Funakoshi Gichin, der, wie Miyagi Chojun und Motobu Choki, zu seinen guten Freunden zählte. Ab 1922 lehrten sie gemeinsam Karate in japanischen Schulen. Zu den Schülern gehörten unter anderem Otsuka Hironori, Konishi Yasuhiro und Nakayama Masatoshi. Chitose brachte Karate als einer der Ersten auf die japanischen Hauptinseln.
In den 30er Jahren vertiefte Chitose sein medizinisches Wissen und eröffnete seine eigene Praxis. Im Krieg diente er als Arzt in der Armee und verbrachte dadurch einige Zeit in China. Als er sich dort mit einigen Dorfbewohnern anfreundete, kam er auch in Kontakt mit einem alten Kungfu-Lehrer und nahm bei ihm Unterricht.
Keiner seiner Lehrer überlebte den Krieg. Chitose blieb weiterhin in Kumamoto, wo er gegen Ende des Krieges als Militärarzt im Range eines Majors gearbeitet hatte. 1946 eröffnete er sein erstes eigenes Dojo in Kikuchi City (Kumamoto Präfektur), das er Yoseikan nannte. Gleichzeitig begründete er seinen eigenen Karatestil Chito ryu, was "Tausend Jahre alter chinesischer Stil" (Chi = tausend, to = chinesische Tang-Dynastie, ryu = Stil) bedeutet39. Er wollte damit darauf hinweisen, dass Karate eine sehr alte Kampfkunst war, die ihren Ursprung in China hatte. Für Chitose war Karate zwar grundsätzlich eine Form der Selbstverteidigung, doch auch die Aspekte des Körpertrainings und der Moral spielten für ihn eine große Rolle.
Schon frühzeitig war Chitose für seine Fähigkeiten bekannt, aber auch dafür, dass er innovativ war, was ihn von vielen Meistern der damaligen Zeit unterschied. Er beschäftigte sich neben dem Karate auch intensiv mit Judo und liebte es, mit Judokas zu trainieren. Er hatte den 6. Dan im Judo und war sein Leben lang ein Freund von Mifune Kyuzo.
Ab 1951 unterrichtete er amerikanische Soldaten im Shimizu Camp. Auslöser war eine Schlägerei, an der Chitose beteiligt war. Der ihn in der Folge aufsuchende Militärpolizist bat Chitose, anstatt ihn festzunehmen, um Training für seine Einheit. Deshalb ist das Chito ryu heute in den USA besonders stark vertreten.
Seine wichtigsten Schüler William J. Dometrich (Vorstand Chitokai USA), Yamamoto Mamoru (Begründer des Yoshukai ryu), Tsuroka Masami (Vertreter in Kanada und einer seiner ersten Schüler) und Shane Higashi. Die Stilnachfolge übernahm sein Sohn Chitose Yasuhiro, der später seinen Namen in Chitose Tsuyoshi änderte
1958 wurde ihm von der Zen Okinawa Karate Kobudo Rengo Kai der 10. Dan verliehen, 1962 der Titel Hanshi. Er starb am 6. Juni 1984.
38 Chitoses Vater, Chinen Chiyoyu, war Matsumuras sechstes und jüngstes Kind.
39