Deutsche Erstausgabe 2015

© by Angie Pfeiffer

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Dieses Buch ist auszugsweise unter dem Titel

„Der Sonnenstein“ als E-Book veröffentlicht worden

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Die Texte sind urheberrechtlich geschützt.

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Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7392-6326-7

Inhaltsverzeichnis

Der Sonnenstein

Der Schein des vollen Mondes ließ die Bernsteinburg erstrahlen, tauchte die Zinnen in gleißendes Silberlicht. Hoch auf den Klippen gelegen, schien die Burg über den Wolken zu schweben.

****

Amber hob die Arme, drehte sich einmal um sich selbst, genoss das Silberbad. Wie immer bei Vollmond hatte sie sich auf die höchste Zinne der Burg begeben und badete im sanften Mondlicht. Sie genoss Nächte wie diese, denn in ihnen fühlte sie sich weniger allein und wie durch ein mystisches Band mit der Feenwelt verbunden. Sie seufzte tief. Es war nicht einfach, in ständiger Einsamkeit zu leben.

Früher, als ihre Eltern hier Hof gehalten hatten, war die Burg voller Leben gewesen. Ständig gab es Empfänge. Alles, was in der Zauberwelt Rang und Namen hatte, ließ sich gern an den Hof des Feenkönigs und seiner Gemahlin bitten. Doch das änderte sich schlagartig. Durch einen, für Amber unfassbaren Zauber war die Burg plötzlich aller ihrer Bewohner beraubt worden. Einzig die Tochter des Herscherpaares bleib einsam und allein zurück. Amber, die zu dieser Zeit gerade einmal 150 Geburtsnächte gefeiert hatte, und so kaum den Kinderschuhen entwachsen war, erinnerte sich, als ob alles erst gestern gewesen wäre:

Sie hatte, wie immer, den hellen Tag verschlafen, doch statt nach Sonnenuntergang in ihrem Bett zu erwachen, fand sie sich an diesem Abend mitten auf dem Burghof wieder. Wie sie hier hingekommen war, erschien ihr unbegreiflich, sie richtete sich verwundert auf. Alles erschien seltsam unwirklich, wo sonst betriebsame Hektik herrschte, war nun alles gespenstisch still. Amber rieb sich verschlafen die Augen, erwartete, ja hoffte, jeden Moment aus diesem Albtraum zu erwachen, doch alles Suchen, alle verzweifelten Rufe halfen nicht. Von den weiteren Burgbewohnern fehlte jede Spur. In der Folgezeit versuche die kleine Feenprinzessin mehrfach die Burg zu verlassen, doch es gelang ihr nie. Sobald sie das schwere Tor mühsam geöffnet und einen Schritt über die Schwelle gesetzt hatte, überkam sie ein Schwindel. Versuchte sie trotzdem weiter zu gehen, fiel sie in eine tiefe Ohnmacht, aus der sie immer auf dem Burghof liegend aufwachte. Niemals konnte sie sich daran erinnern, wie sie dort hin gelangt war. Das Burgtor fand sie anschließend wie durch Zauberhand geschlossen vor. Auch ließ sich kein Besucher mehr auf der Bernsteinburg blicken. Es schien, als würde sie außerhalb von Zeit und Raum schweben. Bald gab es die kleine Fee auf, aus ihrem Gefängnis zu entkommen. Wohin hätte sie sich auch wenden sollen? Ihr ganzes bisheriges Leben spielte sich doch auf der Burg über den Wolken ab.

Das alles war lange her, Amber hatte 149 weitere einsame Geburtsnächte erlebt. Jetzt stand sie auf der höchsten Zinne und badete im Licht. Ihr erstes Mondbad kam ihr in den Sinn: Die Königin hatte sie eines Abends sanft bei der Hand genommen und sie auf die Zinne geführt. "Das Licht des vollen Mondes ist etwas ganz besonderes", hatte sie ihrer Tochter erklärt. "Es gibt uns einen Teil unserer Zauberkraft, das ist ein altes Mysterium. Der Mond ist sanft und gut, die Nacht unsere Zeit, das musst du dir merken, mein Kind. Doch hüte dich vor dem Tageslicht!", hier machte die Mutter eine Pause. Eine Wolke verdunkelte den Mond. Eine kalte Macht schien nach Ambers Herz zu greifen. Entsetzt fasste sie sich an die Brust, doch ehe der kalte Hauch Besitz von ihr ergreifen konnte, war der Moment verflogen, der Mond schien wieder hell und freundlich. Ihre Mutter legte ihr schützend den Arm um die Schultern, strich ihr das widerspenstige Haar aus dem Gesicht. "Die Sonne ist mächtig, sie kann unseresgleichen mit ihren Strahlen versengen. Selbst wenn du glaubst, dass du dagegen gefeit bist, so riskierst du dein Leben. Darum noch einmal, hüte dich vor dem Tageslicht, Amber!"

Diesen Rat hatte die kleine Fee beherzigt. Tagsüber hielt sie sich im Inneren der Bernsteinburg auf und wagte sich erst nach Sonnenuntergang ins Freie, so wie alle Feen. "Was soll das", entschlossen schüttelte Amber den Kopf, sodass ihre honigfarbenen Haare flogen. Sie wollte sich diese wunderbare Nacht nicht durch trübe Gedanken verderben. "Trotzdem wäre es schön, das Mondlicht mit jemandem zu teilen!" Sie sprach ihren Gedanken laut aus und schrak zusammen als sie neben sich eine Stimme hörte. "Teilen hört sich gut an, aber ein saftiges Hühnchen wäre mir lieber. Das Mondlicht macht nicht satt."

Verblüfft schaute Amber sich um und entdeckte zu ihren Füßen einen Fuchs, der sie treuherzig ansah und dabei zierlich eine Pfote hob. "Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Frido. Ich habe dich schon öfter auf den Zinnen gesehen und mich gefragt, was du da machst, so ganz allein."

"Wie bist du bloß in die Burg gekommen?", fragte Amber atemlos. Ihre Gedanken überschlugen sich. Gab es vielleicht doch eine Möglichkeit die Burg zu verlassen?

"Och, das ist leicht", erwiderte Frido ein wenig hochnäsig. "Unsereiner findet immer ein Schlupfloch. Was meinst du, wie viele Hühnerställe ich schon geplündert habe. Ich habe einen Riecher für günstige Einstiegsmöglichkeiten ..."

"Das ist interessant, aber ein Hühnerstall ist die Bernsteinburg nun gerade nicht", fiel ihm Amber ins Wort. "Also sag schon: Wie bist du hereingekommen."

Frido rümpfte beleidigt die Nase. "Sag du mir erst einmal, wer du bist und warum du ganz allein in einem so großen Bau lebst. Hier ist doch alles viel zu riesig für ein so kleines, dürres Mädchen wie dich."

"Hey, du, ich bin überhaupt nicht klein und schon fast 300 Mondjahre alt.“ Die Fee ließ den Kopf hängen. „Doch die Hälfte dieser Zeit war ich allein. Und nur, damit du das weißt, ich bin kein Mädchen, sondern eine Fee, wie sonst könnte ich deine Sprache verstehen. Meine Eltern sind König und Königin des Feenreiches." Amber erzählte dem Fuchs, ihre seltsame Geschichte. Frido hörte ihr aufmerksam zu, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Als die kleine Fee ihre Geschichte beendet hatte, schaute er sie mit einem seltsam nachdenklichen Gesichtsausdruck an. "Eine Feenprinzessin bist du also? Das kommt mir komisch vor, denn ich habe schon viele deiner Art gesehen und sie schauten ganz anders aus." Amber kräuselte verdutzt die Stirn. "Natürlich bin ich eine Fee. Was sollte denn anderes an mir sein?"

"Nun ja, die Feen, die ich gesehen habe leuchten anders als du. Du leuchtest auch schön, aber nicht silbrig kalt wie das Mondlicht, sondern warm und goldig, fast wie die Sonne. Zudem ist Feenhaar fein und silbern, es sieht aus wie ein Gespinst aus fließenden Mondstrahlen. Deine Haare sind nicht besonders fein, sondern dick und kraus. Sie erinnert mich an den Draht, mit dem so mancher Mensch seinen Hühnerstall schützen will. Trotzdem mag ich dein Haar, denn es sieht lecker aus. Die Farbe erinnert mich an den Inhalt des Honigtopfes, den ich einmal in einem günstigen Moment erwischt habe", hier musste Frido heftig schlucken, denn das Wasser war ihm im Munde zusammengelaufen.

"Nein, das kann nicht sein", rief Amber erschrocken aus. "Meine Mutter hat mich vor dem Tageslicht gewarnt. Die Sonne verbrennt uns Feen mit ihrem Feuer."

"Das weiß ich nicht zu sagen. Unsereiner schläft ja meistens tagsüber und geht in der Nacht auf die Jagd." Frido blickte bedauernd zum Horizont. "Leider ist für diese Nacht die Jagdzeit verstrichen, ohne dass ich an einen leckeren Bissen gelangt wäre. Wenn du das Sonnenlicht meiden willst, so solltest du dich langsam in der Burg verstecken."

Wirklich rötete sich der Horizont bereits, die Sonne schickte sich an, aus ihrem Nachtschlaf zu erwachen. Hastig machte sich Amber an den Abstieg, um rechtzeitig in ihr Schlafgemach zu gelangen. "Sehen wir uns morgen wieder? Schließlich musst du mir noch deinen Schleichweg in die Burg zeigen", rief sie Frido über die Schulter hinweg zu. "Mal sehen. Aber erst muss ich für einen vollen Magen sorgen, denn mit einem knurrenden Loch im Bauch kann ich nicht denken."

Hinfort trafen sich Amber und Frido in jeder Nacht. Der Fuchs zeigte Amber seinen geheimen Weg in die Bernsteinburg, doch konnte sich die kleine Fee zu ihrem Leidwesen nicht durch den schmalen Mauerschlitz zwängen, obwohl sie selbst für eine Fee besonders zierlich war. Einmal brachte Frido ihr ein frisch erbeutetes Huhn mit, doch Amber wandte sich schaudernd ab. Sie hatte sich noch nie Gedanken ums Essen gemacht. Alle Feen ernähren sich von Nektar, der in großen Krügen im Keller der Burg eingelagert war.

"Aber was machst du, wenn alle Krüge einmal leer sind", fragte Frido, der das tote Huhn dezent hatte verschwinden lassen, um es später in aller Ruhe zu verspeisen. Amber fasste sich an den Kopf. "Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht. Wenn alle Krüge geleert sind, dann muss ich wohl verhungern. Doch es sind unendlich viele, die Gefahr besteht also erst einmal nicht. Viel schlimmer ist die Einsamkeit." Sie kraulte Frido hinter dem Ohr, was diesen vor Wohlbehagen grunzen ließ. "Ich bin so froh, dass du den Weg hierher gefunden hast, obwohl ich mich nach meiner Familie sehne, so sehr, dass ich manchmal ganz krank bin."

"Nun", begann der Fuchs zögernd. "Ich hätte eine Idee. Aber du musst dazu versuchen, die Burg zu verlassen."

"Ich will alles tun, wenn es mir nur meine Familie zurückbringt."

"Gut, du hast mir erzählt, dass du, wenn du versuchst die Burg durch das große Tor zu verlassen, zuerst von einem Schwindel erfasst und dann ohnmächtig wirst. Anschließend wachst du im Burghof wieder auf und das Tor ist geschlossen. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Wenn du also noch einmal versuchst, die Burg zu verlassen, so könnte ich mich in der Nähe verstecken und sehen, was vor sich geht." Amber schauderte es, doch nach einem kurzen Zögern willigte sie in den Plan ein.

Gleich am nächsten Abend machte sie sich, gefolgt von Frido, auf den Weg zum Burgtor. Wie so oft öffnete sie mühsam den schweren Torflügel, und während sich der Fuchs in der Nähe versteckte, machte die kleine Fee einen Schritt auf die Torschwelle zu. Sofort wurde ihr schwindelig und übel. Noch ein weiterer Schritt. Sie setzte den Fuß auf die Schwelle. Ihr Herz begann wie wild zu rasen, die Beine gaben unter ihr nach, es wurde ihr schwarz vor Augen. Sie fiel in eine tiefe Ohnmacht.

„Alles ist gut“, ein rot - braunes, gutmütiges Gesicht, beugte sich über sie. Frido leckte ihr vorsichtig über die Wange. Amber setzte sich vorsichtig auf, denn ihr war immer noch schwindelig. „Hast du etwas gesehen?“, fragte sie neugierig. „Und ob“, Frido trippelte aufgeregt von einer Pfote auf die andere. „Ich glaube, dass wir dem Rätsel ein ganzes Stück näher gekommen sind. Aber eins nach dem anderen. Wie fühlst du dich? Kannst du laufen? Ich hätte dich schon längst in deinen Bau gebracht, aber du bist mir zu schwer, obwohl du ein ziemlich mickeriges Mädchen bist.“

„Ich bin eine Fee, wie oft soll ich dir das noch sagen! Und überhaupt kann ich gut allein laufen.“ Amber richtete sich auf. Obwohl sie noch etwas wackelig auf den Beinen war, begann sie den Aufstieg zur Burgzinne. Frido folgte ihr, wobei er ununterbrochen redete. „Also - ich hatte mich gut versteckt, selbst du hast mich nicht gesehen, stimmt‘s? Ja, unsereiner ist schon ein Meister der Schleichkunst. Das liegt in meiner Natur. Was meinst du, wie viele fette Hühnchen ich schon auf diese Art ergattert habe. Man muss eben sehen, wo man bleibt. Die Menschen wollen all die wohlschmeckenden Hühner für sich allein ...“ Hier unterbrach ihn Amber, denn sie waren auf der Burgzinne angekommen. „Jetzt hör schon auf, von deinen ekeligen Essgewohnheiten zu erzählen. Was hast du gesehen?“ Frido klappte für einen Augenblick die Schnauze zu, besann sich dann aber und erzählte. „Also, noch einmal von vorne: Ich hatte mich gut versteckt und dir zugeschaut, wie du das Burgtor öffnetest. Übrigens, das hätte ich dir kleiner Person gar nicht zugetraut.“ Ein Blick von Amber genügte, er verbesserte sich schnell. „Ja, ich weiß, du bist eine Fee. Du bist näher und näher an die Schwelle getreten und plötzlich bist du umgekippt“, er schnalzte mit der Zunge. „Einfach so. Erst wollte ich zu dir hinlaufen, denn ich hatte Angst, du hättest dich verletzt, doch dann ...“

Frido wartete ab. Schließlich hatte er sich in Lauerposition gebracht, um herauszufinden, was hier gespielt wurde. Er musste nicht lange warten. Kaum dass Amber bewusstlos auf der Torschwelle zusammengebrochen war, näherte sich eine finstere Gestalt. Woher der schwarze Ritter plötzlich gekommen war, konnte selbst Frido, der stolz auf sein feines Gehör war, nicht ausmachen. Er duckte sich, schmiegte sich enger in sein Versteck, denn von diesem Ritter ging eine unheimliche Bedrohung aus, die ihn schaudern ließ. Am Liebsten hätte er die Flucht ergriffen, einzig die Sorge um Amber ließ ihn diesen Gedanken schnell verdrängen. Also lugte er vorsichtig um die Ecke und sah zu seinem Erstaunen, dass sich der schwarze Ritter über die kleine Fee gebeugt hatte. Zärtlich strich er ihr die Haare aus dem Gesicht. Dann hob er sie mit einer vorsichtigen Bewegung auf, trug sie behutsam in Richtung des Burghofes. Frido folgte ihm verstohlen. Auf dem Burghof angekommen legte der schwarze Ritter Amber sehr behutsam auf dem Boden ab. „Ich weiß, dass du hier bist und mich beobachtest. Du kannst dich zeigen“, dröhnte er mit bitterer Stimme. Frido erstarrte, war es möglich, dass der Ritter ihn entdeckt hatte? Sollte er aus seinem Versteck hervortreten? Ehe er zu einer Entscheidung gekommen war, ballte sich, wieder wie aus dem Nichts, eine schwarze Wolke zusammen, manifestierte sich und eine hoheitsvolle, in dunkle Kleider gehüllte Frau stand mitten auf dem Burghof. „So hast du immer noch Gefallen an der hässlichen kleinen Fee?“, zischte sie den schwarzen Ritter an. „Wann erkennst du endlich, dass ich dir so viel mehr bieten kann, als diese ... diese Missgeburt, die ich vernichten werde!“ Der Ritter legte die Hand an den Gürtel, als würde er nach seinem Schwert tasten. „Wage es nicht, Mengia! Sie ist von königlichem Geblüt. Du weißt genau, dass nur alle fünftausend Jahre ein goldenes Feenkind geboren wird. Eine besondere Fee, die Sonne und Mond miteinander vereint, die beide Reiche mit ihrer Gabe verbinden kann. Der es vergönnt ist, auch bei Tag, unter der Sonne zu wandeln und die ihre Kraft nicht nur vom blassen Schein des Mondes abhängig machen muss.“ Er maß sein Gegenüber mit hochmütigem Blick. „Du armes Geschöpf dauerst mich, denn du bist eifersüchtig auf dieses schöne Wesen. Doch so sehr du dich auch bemühst, du wirst niemals dein Ziel erreichen, denn sie ist stark und widersteht deinen Zauberkünsten, so wie ich. Du kannst mich für immer mit deinem Bann belegen, trotzdem werde ich nicht aufhören, sie zu lieben.“ Die schwarze Dame Mengia lachte schrill auf. „Du liebst sie? Doch weiß sie nichts von dir. Wenn sie dich sehen könnt! Sie würde sterben vor Schreck, denn du bist der schwarze Ritter geworden. Es mag sein, dass du deine Vergangenheit noch nicht vergessen hast, mein goldener Prinz, doch dafür werde ich schon noch sorgen. Deine Liebste wird mit dem nächsten vollen Mond das 300-ste Lebensjahr vollenden, und wenn der Tag die Nacht verdrängt, werde ich da sein. Ich werde ihr all ihre Kraft nehmen, sie wird gar nicht wissen, was geschieht. Denn sie hat den Sonnenstein nicht entdeckt, wird ihn nicht finden und sie weiß meinen Namen nicht“, wieder lachte Mengia schrill. Das klang so schrecklich, dass Frido sich in heller Panik die Ohren zuhielt. „... ist der Stein vor ihren Augen, doch sie ist zu dumm, um ihn zu sehen, denn sie glaubt immer noch, dass das Sonnenlicht ihr schadet. Sie wird die Bersteinburg niemals von meinem Zauber befreien können. Du wirst ganz mein sein. Zusammen werden wir ein dunkles Schreckensreich errichten.“ Mengias Stimme erreichte Frido wieder. Jetzt ärgerte er sich darüber, sich die Ohren zugehalten zu haben. Er lugte vorsichtig aus seinem Versteck. Der Prinzen war neben Amber auf die Knie gefallen. Er strich ihr noch einmal über das Haar. „Leb wohl“, murmelte er mit erstickter Stimme. Seine Gestalt wurde undeutlich, verblasste, war schließlich verschwunden. Die dunkle Dame beugte sich noch einmal über die kleine Fee. „Bis bald, du hässliches Feenkind, dann wird dein goldener Prinz mir gehören, mir allein.“ Auch ihre Gestalt verschwand.

„Wir müssen diesen Sonnenstein finden. Er ist irgendwo in der Burg versteckt. Ist er dir denn noch gar nicht aufgefallen? Überhaupt scheinst du auch bei Tag und im Sonnenlicht herumlaufen zu können.“ Frido verstummte, einerseits, weil ihm die Puste ausgegangen war, andererseits, weil er nichts mehr zu erzählen hatte. Amber hatte ihm staunend zugehört, ihr schwirrte der Kopf. Konnte es sein, dass sie nur einen bestimmten Stein, den Sonnenstein, finden musste, um ihre Eltern wieder zu sehen? Doch wo sollte sie suchen? Frido versuchte sie zu beschwichtigen. „Der Stein muss ganz leicht zu finden sein, du hast eben noch nie darauf geachtet. Denk nach! Wenn wir ihn erst einmal haben, so wird sich alles Weitere schon finden.“ Amber ließ resigniert den Kopf hängen. „Wir haben nicht mehr viel Zeit. Du hast es selbst gehört: Beim nächsten Vollmond ist mein 300-ster Geburtstag, bis dahin müssen wir den Sonnenstein haben, sonst wird die schwarze Fee mich vernichten.“ Etwas anderes ging ihr durch den Sinn: „Erzähl mir mehr von dem schwarzen Ritter. Er scheint gar nicht so düster zu sein, wie du es erst glaubtest. Wenn er wirklich der goldene Prinz wäre ... Meine Mutter erzählte mir so viel von ihm und seinem Königreich, dass mich die Sehnsucht danach packte, diesen Prinzen einmal mit eigenen Augen zu sehen.“

In den nächsten Nächten suchten Amber und Frido die Burg fieberhaft nach dem Sonnenstein ab, doch sie konnten ihn nicht erkennen. Alle Steine erschienen ihnen ganz gewöhnlich, nichts ließ darauf schließen, dass einer von ihnen besonders war. Schließlich gaben sie die Suche auf. Am Abend vor Ambers Geburtsnacht saßen die beiden niedergeschlagen nebeneinander auf der Zinne der Bernsteinburg. „Was soll nur geschehen, ich weiß mir keinen Rat mehr“, klagte die kleine Fee. Frido stand entschlossen auf. „Ich gebe nicht auf, der verflixte Stein muss irgendwo sein.“ Er tippte sich an die Stirn. „Mir fällt noch etwas ein. Der Ritter hat gesagt, dass die Sonne nicht fürchten musst. Vielleicht ist das die Lösung. Möglicherweise kann man den Stein nur am Tage erkennen. Du solltest es einfach einmal probieren.“ Entsetzt musterte Amber den Fuchs. „Nein, das wage ich nicht. Was würde geschehen, wenn er sich irrt. Überhaupt, wenn ich den Stein des Nachts nicht finde, warum sollte ich ihn tagsüber sehen können?“