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Friedrich de la Motte Fouqué

 


 

Undine

















Friedrich de la Motte Fouqué


Der preußische Adelige Friedrich Baron de la Motte Fouqué (1777 -1843), der einer französischen Hugenottenfamilie entstammte, war ein Dichter der Romantik. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit diente er zeitweise als Offizier. Unter anderem nahm er in der preußischen Armee am Befreiungskrieg gegen das napoleonische Kaiserreich teil.

 

Fouqué stand in persönlichem Kontakt mit Goethe, Schiller, Herder und August Wilhelm Schlegel, den Protagonisten der Deutschen Klassik. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts begann er, dramatische und erzählerische Werke zu veröffentlichen. Hierzu gehören etwa die Romane „Historie vom edlen Ritter Galmy und einer schönen Herzogin aus Bretagne“ (1806) sowie „Alwin“ (1808).

 

1811 erschien in Berlin „Undine, eine Erzählung“, sein bekanntestes Werk. Das Motiv dieses Kunstmärchens, das die unglückliche Liebe einer Seejungfrau zu einem Ritter erzählt, beeinflusste spätere Autoren wie Andersen, Oscar Wilde oder – in jüngerer Zeit – Arno Schmitt.

 

Als Dichter der Romantik richtete Fouqué seinen Blick vor allem auf die Zeit des Mittelalters: In vielen seiner Arbeiten verband er nordeuropäische Heldendichtungen mit französischen Rittergeschichten.

 

Fouqué starb am 23. Januar 1843 in Berlin.




„Mache mich nicht in meiner Todesstunde durch Schrecken toll.“



„Mache mich nicht in meiner Todesstunde durch Schrecken toll. Wenn Du ein entsetzliches Antlitz hinter dem Schleier trägst, so lüfte ihn nicht, und richte mich, ohne dass ich Dich schaue.” – „Ach”, entgegnete die Wandrerin, „willst Du mich denn nicht noch ein einziges Mal sehn? Ich bin schön, wie als Du auf der Seespitze um mich warbst.“

 

„O, wenn das wäre!“, seufzte Huldbrand; „und wenn ich sterben dürfte an einem Kusse von Dir.“

 

„Recht gern, mein Liebling“, sagte sie. Und ihre Schleier schlug sie zurück, und himmlisch schön lächelte ihr holdes Antlitz daraus hervor. Bebend vor Liebe und Todesnähe neigte sich der Ritter ihr entgegen, sie küsste ihn mit einem himmlischen Kusse, aber sie ließ ihn nicht mehr los, sie drückte ihn inniger an sich und weinte, als wolle sie ihre Seele fortweinen. Die Tränen drangen in des Ritter Augen und wogten im lieblichen Wehe durch seine Brust, bis ihm endlich der Atem entging und er aus den schönen Armen als ein Leichnam sanft auf die Kissen des Ruhebettes zurücksank.



 


"Do not make me mad with terror in my hour of death. If you wear a hideous face behind that veil, do not raise it, but take my life, and let me see you not." "Alas!" replied the figure, "will you then not look upon me once more? I am as fair as when you wooed me on the promontory."

 

"Oh, if it were so!" sighed Huldbrand, "and if I might die in your fond embrace!"

 

"Most gladly, my loved one," said she; and throwing her veil back, her lovely face smiled forth divinely beautiful. Trembling with love and with the approach of death, she kissed him with a holy kiss; but not relaxing her hold she pressed him fervently to her, and as if she would weep away her soul. Tears rushed into the knight's eyes, and seemed to surge through his heaving breast, till at length his breathing ceased, and he fell softly back from the beautiful arms of Undine, upon the pillows of his couch—a corpse.







Was Sie über diese Geschichte wissen sollten


Bekanntlich leiden viele Männer an der Unergründlichkeit und Vielgestaltigkeit des weiblichen Wesens. Davon können nicht nur mitleidende Stammtischbrüder ein Liedchen singen, selbst empfindsame Feingeister wie der italienische Dichter Italo Svevo notierten, dass es im Leben eine der großen Schwierigkeiten darstelle, „zu erraten, was eine Frau will.“ Doch nicht nur dies stellt häufig ein Problem dar. Noch schwieriger ist es, zu bestimmen, welche Rolle eine Frau im Leben eines Mannes eigentlich spielt. Ist sie die zauberhafte Verführerin zu einem glücklicheren Leben? Stürzt sie in ewiges Unglück? Oder stellt sie als „femme fatale“ eine gefährliche Bedrohung männlicher Sicherheiten dar?

 

Ebenso schwer wie das Wesen der Frau ist das Wasser zu fassen. Mal ist es warm und sanft, mal ruhig, aber von unergründlicher Tiefe, mal sturmgepeischt und gefährlich – das wussten schon Anhänger alter Naturreligionen. Kein Wunder also, dass es in früheren Jahrhunderten nur so von weiblichen Wassergeistern, Nixen und Seejungfrauen wimmelte, die sich an Quellen, Flüssen, Seen und Meeren tummelten. Sogar Aphrodite, die schaumgeborene Göttin der Liebe, soll nach einem Mythos ja in einer Muschel das Licht der Welt erblickt haben.

 

Auch Homer berichtet in der „Odyssee“ von Wesen, den Sirenen, die mit ihren lieblichen Stimmen die wagemutigsten Seefahrer verführten und ins Verderben lockten. Schönheit, Verführung und Tod, sie liegen nah beieinander. Sie stellen die wesentlichen Charakteristika weiblicher Naturgeister dar, ab dem Mittelalter werden sie mit dem christlichen Erlösungsglauben hinsichtlich der menschlichen Seele verbunden. So entstand wohl die Legende von Fabelwesen, die zwar über außergewöhnliche Macht verfügen, aber wegen des Fehlens einer Seele, anders als die Menschen, keine Unsterblichkeit besitzen.


 

Berühmte Dichter des 19. Jahrhunderts haben die Themen „Verführung“ und „unerfüllte Liebe“ mit diesen bezaubernden Fabelwesen untrennbar verbunden und in poetische Formen gegossen, die auch heute nichts an ihrer Schönheit und sprachlichen Kraft eingebüßt haben. Eines der schönsten Beispiele hierfür liefert der preußische Schriftsteller Friedrich de la Motte Fouqué, der seine anrührende Erzählung „Undine“ im Jahr 1811 veröffentlichte. Hier entwirft er das Bild einer verführerisch anmutigen und liebevollen Schönheit, die gleichwohl ihrem geliebten Partner den Tod bringen muss.

 

Mit diesem elektronischen Buch wird der Stoff, der bereits Generationen fasziniert hat, auf komfortable Weise in deutscher Originalfassung, die den aktuellen Rechtschreibregeln angepasst wurde, und englischer Übersetzung verfügbar – ein ideales Angebot für Englischfans und alle Vorleser, die Kindern nicht nur dieses Märchen, sondern auch die englische Sprache unterhaltsam nahebringen möchten.




Undine, eine Erzählung


Erstes Kapitel: Wie der Ritter zu dem Fischer kam


Es mögen nun wohl schon viele hundert Jahre her sein, da gab es einmal einen alten guten Fischer, der saß eines schönen Abends vor der Tür und flickte seine Netze. Er wohnte aber in einer überaus anmutigen Gegend. Der grüne Boden, worauf seine Hütte gebaut war, streckte sich weit in einen großen Landsee hinaus, und es schien ebensowohl, die Erdzunge habe sich aus Liebe zu der bläulich klaren, wunderhellen Flut in diese hineingedrängt, als auch, das Wasser habe mit verliebten Armen nach der schönen Aue gegriffen, nach ihren hochschwankenden Gräsern und Blumen und nach dem erquicklichen Schatten ihrer Bäume. Eins ging bei dem andern zu Gaste, und eben deshalb war jegliches so schön.

 

Von Menschen freilich war an dieser hübschen Stelle wenig oder gar nichts anzutreffen, den Fischer und seine Hausleute ausgenommen. Denn hinter der Erdzunge lag ein sehr wilder Wald, den die meisten Leute wegen seiner Finsternis und Unwegsamkeit, wie auch wegen der wundersamen Kreaturen und Gaukeleien, die man darin antreffen sollte, allzu sehr scheuten, um sich ohne Not hineinzubegeben. Der alte fromme Fischer jedoch durchschritt ihn ohne Anfechtung zu vielen Malen, wenn er die köstlichen Fische, die er auf seiner schönen Landzunge fing, nach einer großen Stadt trug, welche nicht sehr weit hinter dem großen Walde lag. Es ward ihm wohl größtenteils deswegen so leicht, durch den Forst zu ziehen, weil er fast keine anderen als fromme Gedanken hegte und noch außerdem jedes Mal, wenn er die verrufenen Schatten betrat, ein geistliches Lied aus heller Kehle und aufrichtigem Herzen anzustimmen gewohnt war.

 

Da er nun an diesem Abende ganz arglos bei den Netzen saß, kam ihn doch ein unversehener Schrecken an, als er es im Waldesdunkel rauschen hörte, wie Ross und Mann, und sich das Geräusch immer näher nach der Landzunge herauszog. Was er in manchen stürmischen Nächten von den Geheimnissen des Forstes geträumt hatte, zuckte ihm nun auf einmal durch den Sinn, vor allem das Bild eines riesenmäßig langen, schneeweißen Mannes, der unaufhörlich auf eine seltsame Art mit dem Kopfe nickte. Ja, als er die Augen nach dem Walde aufhob, kam es ihm ganz eigentlich vor, als sehe er durch das Laubgitter den nickenden Mann hervorkommen. Er nahm sich aber bald zusammen, erwägend, wie ihm doch niemals in dem Walde selbst was Bedenkliches widerfahren sei und also auf der freien Landzunge der böse Geist wohl noch minder Gewalt über ihn ausüben dürfe. Zugleich betete er recht kräftig einen biblischen Spruch laut aus dem Herzen heraus, wodurch ihm der kecke Mut auch zurückkam und er fast lachend sah, wie sehr er sich geirrt hatte. Der weiße, nickende Mann ward nämlich urplötzlich zu einem ihm längst wohlbekannten Bächlein, das schäumend aus dem Forste hervorrann und sich in den Landsee ergoss.

 

Wer aber das Geräusch verursacht hatte, war ein schön geschmückter Ritter, der zu Ross durch den Baumschatten gegen die Hütte vorgeritten kam. Ein scharlachroter Mantel hing ihm über sein veilchenblaues goldgesticktes Wams herab; von dem goldfarbigen Barette wallten rote und veilchenblaue Federn, am goldnen Wehrgehenke blitzte ein ausnehmend schönes und reichverziertes Schwert. Der weiße Hengst, der den Ritter trug, war schlankeren Baues, als man es sonst bei Streitrossen zu sehen gewohnt ist, und trat so leicht über den Rasen hin, dass dieser grünbunte Teppich auch nicht die mindeste Verletzung davon zu empfangen schien. Dem alten Fischer war es noch immer nicht ganz geheuer zumute, obwohl er einzusehen meinte, dass von einer so holden Erscheinung nichts Übles zu befahren sei, weshalb er auch seinen Hut ganz sittig vor dem näherkommenden Herrn abzog und gelassen bei seinen Netzen verblieb. Da hielt der Ritter stille und fragte, ob er wohl mit seinem Pferde auf diese Nacht hier Unterkommen und Pflege finden könne?

 

„Was Euer Pferd betrifft, lieber Herr“, entgegnete der Fischer, „so weiß ich ihm keinen besseren Stall anzuweisen, als diese beschattete Wiese und kein besseres Futter als das Gras, welches darauf wächst. Euch selbst aber will ich gerne in meinem kleinen Hause mit Abendbrot und Nachtlager bewirten, so gut es unsereiner hat.“

 

Der Ritter war damit ganz wohl zufrieden, er stieg von seinem Rosse, welches die beiden gemeinschaftlich losgürteten und loszügelten, und ließ es alsdann auf den blumigen Anger hinlaufen, zu seinem Wirte sprechend: „Hätt ich Euch auch minder gastlich und wohlmeinend gefunden, mein lieber alter Fischer, Ihr wärt mich dennoch wohl für heute nicht wieder losgeworden, denn, wie ich sehe, liegt vor uns ein breiter See, und mit sinkendem Abende in den wunderlichen Wald zurückzureiten, davor bewahre mich der liebe Gott!“ –

 

„Wir wollen nicht allzu viel davon reden“, sagte der Fischer und führte seinen Gast in die Hütte.

 

Darinnen saß bei dem Herde, von welchem aus ein spärliches Feuer die dämmernde, reinliche Stube erhellte, auf einem großen Stuhle des Fischers betagte Frau; beim Eintritte des vornehmen Gastes stand sie freundlich grüßend auf, setzte sich aber an ihren Ehrenplatz wieder hin, ohne diesen dem Fremdling anzubieten, wobei der Fischer lächelnd sagte: „Ihr müsst es ihr nicht verübeln, junger Herr, dass sie Euch den bequemsten Stuhl im Hause nicht abtritt; das ist so Sitte bei armen Leuten, dass der den Alten ganz ausschließlich gehört.“ – „Ei, Mann“, sagte die Frau mit ruhigem Lächeln, „wo denkst Du auch hin? Unser Gast wird doch zu den Christenmenschen gehören, und wie könnte es alsdann dem lieben jungen Blut einfallen, alte Leute von ihren Sitzen zu verjagen?“ – „Setzt Euch, mein junger Herr“, fuhr sie, gegen den Ritter gewandt, fort; „es steht dorten noch ein recht artiges Sesselein, nur müsst Ihr nicht allzu ungestüm damit hin und her rutschen, denn das eine Bein ist nicht allzu feste mehr.“ – Der Ritter holte den Sessel achtsam herbei, ließ sich freundlich darauf nieder, und es war ihm zumute, als sei er mit diesem kleinen Haushalt verwandt und eben jetzt aus der Ferne dahin heimgekehrt.

 

Die drei guten Leute fingen an, höchst freundlich und vertraulich miteinander zu sprechen. Vom Walde, nach welchem sich der Ritter einige Male erkundigte, wollte der alte Mann freilich nicht viel wissen; am wenigsten, meinte er, passe sich das Reden davon jetzt in der einbrechenden Nacht; aber von ihrer Wirtschaft und sonstigem Treiben erzählten die beiden Eheleute desto mehr und hörten auch gerne zu, als ihnen der Rittersmann von seinen Reisen vorsprach und dass er eine Burg an den Quellen der Donau habe und Herr Huldbrand von Ringstetten geheißen sei. Mitten durch das Gespräch hatte der Fremde schon bisweilen ein Plätschern am niedrigen Fensterlein vernommen, als spritze jemand Wasser dagegen. Der Alte runzelte bei diesem Geräusche jedes Mal unzufrieden die Stirn; als aber endlich ein ganzer Guss gegen die Scheiben flog und durch den schlecht verwahrten Rahmen in die Stube hereinsprudelte, stand er unwillig auf und rief drohend nach dem Fenster hin: „Undine! Wirst Du endlich einmal die Kindereien lassen. Und ist noch obendrein heut ein fremder Herr bei uns in der Hütte.“ – Es ward auch draußen stille, nur ein leises Gekicher ließ sich noch vernehmen, und der Fischer sagte, zurückkommend: „Das müsst Ihr ihr nun schon zu Gute halten, mein ehrenwerter Gast, und vielleicht noch manche Ungezogenheit mehr, aber sie meint es nicht böse. Es ist nämlich unsere Pflegetochter Undine, die sich das kindische Wesen gar nicht abgewöhnen will, ob sie gleich bereits in ihr achtzehntes Jahr gehen mag. Aber wie gesagt, im Grunde ist sie doch von ganzem Herzen gut.“ – „Du kannst wohl sprechen!“, entgegnete kopfschüttelnd die Alte. „Wenn Du so vom Fischfang heimkommst oder von der Reise, da mag es mit ihren Schäkereien ganz was Artiges sein. Aber sie den ganzen Tag lang auf dem Halse haben und kein kluges Wort hören und, statt bei wachsendem Alter Hülfe im Haushalte zu finden, immer nur dafür sorgen müssen, dass uns ihre Torheiten nicht vollends zugrunde richten – da ist es gar ein Andres, und die heilige Geduld selbst würd' es am Ende satt.“ – „Nun, nun“, lächelte der Hausherr, „Du hast es mit Undinen und ich mit dem See. Reißt mir der doch auch oftmals meine Dämme und Netze durch, aber ich hab ihn dennoch gern und Du mit allem Kreuz und Elend das zierliche Kindlein auch. Nicht wahr?“ – „Ganz böse kann man ihr eben nicht werden“, sagte die Alte und lächelte beifällig.

 

Da flog die Tür auf, und ein wunderschönes Blondchen schlüpfte lachend herein und sagte: „Ihr habt mich nur gefoppt, Vater; wo ist denn nun Euer Gast?“ – Selben Augenblicks aber ward sie auch den Ritter gewahr und blieb staunend vor dem schönen Jünglinge stehen. Huldbrand ergötzte sich an der holden Gestalt und wollte sich die lieblichen Züge recht achtsam einprägen, weil er meinte, nur ihre Überraschung lasse ihm Zeit dazu, und sie werde sich bald nachher in zwiefacher Blödigkeit vor seinen Blicken abwenden. Es kam aber ganz anders. Denn als sie ihn nun recht lange angesehen hatte, trat sie zutraulich näher, kniete vor ihm nieder und sagte, mit einem goldenen Schaupfennige, den er an einer reichen Kette auf der Brust trug, spielend: „Ei Du schöner, Du freundlicher Gast, wie bist Du denn endlich in unsre arme Hütte gekommen? Musstest Du denn jahrelang in der Welt herumstreifen, bevor Du Dich auch einmal zu uns fandest? Kommst Du aus dem wüsten Walde, Du schöner Freund?“ – Die scheltende Alte ließ ihm zur Antwort keine Zeit. Sie ermahnte das Mädchen, fein sittig aufzustehen und sich an ihre Arbeit zu begeben. Undine aber zog, ohne zu antworten, eine kleine Fußbank neben Huldbrands Stuhl, setzte sich mit ihrem Gewebe darauf nieder und sagte freundlich: „Hier will ich arbeiten.“ Der alte Mann tat, wie Eltern mit verzogenen Kindern zu tun pflegen. Er stellte sich, als merkte er von Undines Unart nichts, und wollte von etwas anderem anfangen. Aber das Mädchen ließ ihn nicht dazu. Sie sagte: „Woher unser holder Gast kommt, habe ich ihn gefragt, und er hat mir noch nicht geantwortet.“ – „Aus dem Walde komme ich, Du schönes Bildchen“, entgegnete Huldbrand, und sie sprach weiter: „So musst Du mir erzählen, wie Du da hineinkamst, denn die Menschen scheuen ihn sonst, und was für wunderliche Abenteuer Du darinnen erlebt hast, weil es doch ohne dergleichen dorten nicht abgehen soll.“ – Huldbrand empfand einen kleinen Schauer bei dieser Erinnerung und blickte unwillkürlich nach dem Fenster, weil es ihm zumute war, als müsse eine von den seltsamen Gestalten, die ihm im Forste begegnet waren, von dort hereingrinsen; er sah nichts als die tiefe, schwarze Nacht, die nun bereits draußen vor den Scheiben lag. Da nahm er sich zusammen und wollte eben seine Geschichte anfangen, als ihn der Alte mit den Worten unterbrach: „Nicht also, Herr Ritter; zu dergleichen ist es jetzt keine gute Zeit.“ – Undine aber sprang zornmütig von ihrem Bänkchen auf, setzte die schönen Arme in die Seiten und rief, sich dicht vor den Fischer hinstellend: „Er soll nicht erzählen, Vater? Er soll nicht? Ich aber will's; er soll! Er soll doch!“ – Und damit trat das zierliche Füßchen heftig gegen den Boden, aber das alles mit solch einem drollig anmutigen Anstande, dass Huldbrand jetzt in ihrem Zorn fast weniger noch die Augen von ihr wegbringen konnte als vorher in ihrer Freundlichkeit. Bei dem Alten hingegen brach der zurückgehaltene Unwillen in volle Flammen aus. Er schalt heftig auf Undines Ungehorsam und unsittiges Betragen gegen den Fremden, und die gute alte Frau stimmte mit ein.

 

Da sagte Undine: „Wenn ihr zanken wollt und nicht tun, was ich haben will, so schlaft allein in Eurer alten räuchrigen Hütte!“ – Und wie ein Pfeil war sie aus der Tür und flüchtigen Laufes in die finstere Nacht hinaus.

     


Zweites Kapitel: Auf welche Weise Undine zu dem Fischer gekommen war

 

Huldbrand und der Fischer sprangen von ihren Sitzen und wollten dem zürnenden Mädchen nach. Ehe sie aber an die Hüttentür gelangten, war Undine schon lange in dem wolkigen Dunkel draußen verschwunden, und auch kein Geräusch ihrer leichten Füße verriet, wohin sie ihren Lauf wohl gerichtet haben könne. Huldbrand sah fragend nach seinem Wirte; fast kam es ihm vor, als sei die ganze liebliche Erscheinung, die so schnell in die Nacht wieder untergetaucht war, nichts anderes gewesen als eine Fortsetzung der wunderlichen Gebilde, die früher im Forste ihr loses Spiel mit ihm getrieben hatten, aber der alte Mann murmelte in seinen Bart: „Es ist nicht das erste Mal, dass sie es uns also macht. Nun hat man die Angst auf dem Herzen und den Schlaf aus den Augen für die ganze Nacht; denn wer weiß, ob sie nicht dennoch einmal Schaden nimmt, wenn sie so draußen im Dunkel allein ist bis an das Morgenrot.“ – „So lasst uns ihr doch nach, Vater, um Gott!“, rief Huldbrand ängstlich aus. Der Alte erwiderte: „Wozu das? Es wär' ein sündlich Werk, ließ' ich Euch in Nacht und Einsamkeit dem törichten Mädchen so ganz alleine folgen, und meine alten Beine holen den Springinsfeld nicht ein, wenn man auch wüsste, wohin sie gerannt ist.“ – „Nun müssen wir ihr doch nachrufen mindestens und sie bitten, dass sie wiederkehrt“, sagte Huldbrand und begann auf das beweglichste zu rufen: „Undine! Ach Undine! Komm doch zurück!“ – Der Alte wiegte sein Haupt hin und her, sprechend, all das Geschrei helfe am Ende zu nichts; der Ritter wisse noch nicht, wie trotzig die Kleine sei. Dabei aber konnte er es doch nicht unterlassen, öfters mit in die finstere Nacht hinauszurufen: „Undine, ach liebe Undine! Ich bitte Dich, komme doch nur dies eine Mal zurück!“

 

Es ging indessen, wie es der Fischer gesagt hatte. Keine Undine ließ sich hören oder sehen, und weil der Alte durchaus nicht zugeben wollte, dass Huldbrand der Entflohenen nachspürte, mussten sie endlich beide wieder in die Hütte gehen. Hier fanden sie das Feuer des Herdes beinahe erloschen, und die Hausfrau, die sich Undines Flucht und Gefahr bei weitem nicht so zu Herzen nahm als ihr Mann, war bereits zur Ruhe gegangen. Der Alte hauchte die Kohlen wieder an, legte trockenes Holz darauf und suchte bei der wieder auflodernden Flamme einen Krug mit Wein hervor, den er zwischen sich und seinen Gast stellte. – „Euch ist auch angst wegen des dummen Mädchens, Herr Ritter“, sagte er, „und wir wollen lieber einen Teil der Nacht verplaudern und vertrinken, als uns auf den Schilfmatten vergebens nach dem Schlafe herumwälzen. Nicht wahr?“ Huldbrand war gerne damit zufrieden, der Fischer nötigte ihn auf den ledigen Ehrenplatz der schlafen gegangenen Hausfrau, und beide tranken und sprachen miteinander, wie es zwei wackeren und zutraulichen Männern geziemt. Freilich, sooft sich vor den Fenstern das Geringste regte oder auch bisweilen, wenn sich gar nichts regte, sah einer von beiden in die Höhe, sprechend: „Sie kommt.“ – Dann wurden sie ein paar Augenblicke stille und fuhren nachher, da nichts erschien, kopfschüttelnd und seufzend in ihren Reden fort.

 

Weil aber nun beide an fast gar nichts andres zu denken vermochten als an Undine, so wussten sie auch nichts Besseres, als, - der Ritter, zu hören, wie Undine zu dem alten Fischer gekommen sei, - der alte Fischer, eben diese Geschichte zu erzählen. Deshalben hub er folgendermaßen an:

 

„Es sind nun wohl fünfzehn Jahre vergangen, da zog ich einmal durch den wüsten Wald mit meiner Ware nach der Stadt. Meine Frau war daheim geblieben wie gewöhnlich; und solches zu der Zeit auch noch um einer gar hübschen Ursache willen, denn Gott hatte uns, in unserm damals schon ziemlich hohen Alter, ein wunderschönes Kindlein beschert. Es war ein Mägdlein, und die Rede ging bereits unter uns, ob wir nicht, dem neuen Ankömmlinge zu frommen, unsere schöne Landzunge verlassen wollten, um die liebe Himmelsgabe künftig an bewohnbaren Orten besser aufzuziehen. Es ist freilich bei armen Leuten nicht so damit, wie Ihr es meinen mögt, Herr Ritter; aber, lieber Gott! Jedermann muss doch einmal tun, was er vermag. – Nun, mir ging unterwegs die Geschichte ziemlich im Kopfe herum. Diese Landzunge war mir so im Herzen lieb, und ich fuhr ordentlich zusammen, wenn ich unter dem Lärm und Gezänk in der Stadt bei mir selbst denken musste: In solcher Wirtschaft nimmst auch Du nun mit nächstem Deinen Wohnsitz oder doch in einer nicht viel stilleren! – Dabei aber hab ich nicht gegen unsern lieben Herrgott gemurrt, vielmehr ihm im Stillen für das Neugeborene gedankt; ich müsste auch lügen, wenn ich sagen wollte, mir wäre auf dem Hin- oder Rückwege durch den Wald irgendetwas Bedenklicheres aufgestoßen als sonst, wie ich denn nie etwas Unheimliches dort gesehen habe. Der Herr war immer mit mir in den verwunderlichen Schatten.“

 

Da zog er sein Mützchen von dem kahlen Schädel und blieb eine Zeit lang in betenden Gedanken sitzen. Dann bedeckte er sich wieder und sprach fort:

 

„Diesseits des Waldes, ach diesseits, da zog mir das Elend entgegen. Meine Frau kam gegangen mit strömenden Augen wie zwei Bäche; sie hatte Trauerkleider angelegt. ‚O lieber Gott‘, ächzte ich, ‚wo ist unser liebes Kind? Sag an.‘ – ‚Bei dem, den Du rufest, lieber Mann‘, entgegnete sie, und wir gingen nun stillweinend miteinander in die Hütte. Ich suchte nach der kleinen Leiche; da erfuhr ich erst, wie alles gekommen war.

 

Am Seeufer hatte meine Frau mit dem Kinde gesessen, und wie sie so recht sorglos und selig mit ihm spielt, bückt sich die Kleine auf einmal vor, als sähe sie etwas ganz Wunderschönes im Wasser; meine Frau sieht sie noch lachen, den lieben Engel, und mit den Händchen greifen; aber im Augenblick schießt sie ihr durch die rasche Bewegung aus den Armen und in den feuchten Spiegel hinunter. Ich habe viel gesucht nach der kleinen Toten; es war zu nichts; auch keine Spur von ihr war zu finden. –

 

Nun, wir verwaisten Eltern saßen denn noch selbigen Abends still beisammen in der Hütte, zu reden hatte keiner Lust von uns, wenn man es auch gekonnt hätte vor Tränen. Wir sahen so in das Feuer des Herdes hinein. Da raschelt was draußen an der Tür; sie springt auf, und ein wunderschönes Mägdlein von etwa drei, vier Jahren steht reich geputzt auf der Schwelle und lächelt uns an. Wir blieben ganz stumm vor Erstaunen, und ich wusste erst nicht, war es ein ordentlicher, kleiner Mensch, war es bloß ein gaukelhaftes Bildnis. Da sah ich aber das Wasser von den goldnen Haaren und den reichen Kleidern herabtröpfeln und merkte nun wohl, das schöne Kindlein habe im Wasser gelegen, und Hilfe tue ihm not. – ‚Frau‘, sagte ich, ‚uns hat niemand unser liebes Kind erretten können; wir wollen doch wenigstens an andern Leuten tun, was uns selig auf Erden machen würde, vermochte es jemand an uns zu tun.‘ – Wir zogen die Kleine aus, brachten sie zu Bett und reichten ihr wärmende Getränke, wobei sie kein Wort sprach und uns bloß aus den beiden seeblauen Augenhimmeln immerfort lächelnd anstarrte.


 

Des andern Morgens ließ sich wohl abnehmen, dass sie keinen weiteren Schaden genommen hatte, und ich fragte nun nach ihren Eltern und wie sie hierhergekommen sei. Das aber gab eine verworrene, wundersame Geschichte. Von weit her muss sie wohl gebürtig sein, denn nicht nur, dass ich diese fünfzehn Jahre her nichts von ihrer Herkunft erforschen konnte, so sprach und spricht sie auch bisweilen so absonderliche Dinge, dass unsereins nicht weiß, ob sie am Ende nicht gar vom Monde heruntergekommen sein könnte. Da ist die Rede von goldenen Schlössern, von kristallenen Dächern und Gott weiß, wovon noch mehr. Was sie am deutlichsten erzählte, war, sie sei mit ihrer Mutter auf dem großen See spazieren gefahren, aus der Barke ins Wasser gefallen und habe ihre Sinne erst hier unter den Bäumen wiedergefunden, wo ihr an dem lustigen Ufer recht behaglich zumute geworden sei.

 

Nun hatten wir noch eine große Bedenklichkeit und Sorge auf dem Herzen. Dass wir an der lieben Ertrunkenen Stelle die Gefundene behalten und aufziehen wollten, war freilich sehr bald ausgemacht; aber wer konnte nun wissen, ob das Kind getauft sei oder nicht? Sie selber wusste darüber keine Auskunft zu geben. Dass sie eine Kreatur sei, zu Gottes Preis und Freude geschaffen, wisse sie wohl, antwortete sie uns mehrenteils, und was zu Gottes Preis und Freude gereicht, sei sie auch bereit, mit sich vornehmen zu lassen. Meine Frau und ich dachten so: Ist sie nicht getauft, so gibt's da nichts zu zögern; ist sie es aber doch, so kann bei guten Dingen zuwenig eher schaden als zuviel. Und demzufolge sannen wir auf einen guten Namen für das Kind, das wir ohnehin noch nicht ordentlich zu rufen wussten. Wir meinten endlich, Dorothea werde sich am besten für sie schicken, weil ich einmal gehört hatte, das heiße Gottesgabe, und sie uns doch von Gott als eine Gabe zugesandt war, als ein Trost in unserm Elend. Sie hingegen wollte nichts davon hören und meinte, Undine sei sie von ihren Eltern genannt worden, Undine wolle sie auch ferner heißen. Nun kam mir das wie ein heidnischer Name vor, der in keinem Kalender stehe, und ich holte mir deshalben Rat bei einem Priester in der Stadt. Der wollte auch nichts von dem Undine-Namen hören und kam auf mein vieles Bitten mit mir durch den verwunderlichen Wald zu Vollziehung der Taufhandlung hier herein in meine Hütte. Die Kleine stand so hübsch geschmückt und holdselig vor uns, dass dem Priester alsbald sein ganzes Herz vor ihr aufging, und sie wusste ihm so artig zu schmeicheln und mitunter so drollig zu trotzen, dass er sich endlich auf keinen der Gründe, die er gegen den Namen Undine vorrätig gehabt hatte, mehr besinnen konnte. Sie ward denn also Undine getauft und betrug sich während der heiligen Handlung außerordentlich sittig und anmutig, so wild und unstet sie auch übrigens immer war. Denn darin hat meine Frau ganz recht, was Tüchtiges haben wir mit ihr auszustehen gehabt. Wenn ich Euch erzählen sollte“ –

 

Der Ritter unterbrach den Fischer, um ihn auf ein Geräusch, wie von gewaltig rauschenden Wasserfluten, aufmerksam zu machen, das er schon früher zwischen den Reden des Alten vernommen hatte und das nun mit wachsendem Ungestüm vor den Hüttenfenstern dahinströmte. Beide sprangen nach der Tür. Da sahen sie draußen im jetzt aufgegangenen Mondlicht den Bach, der aus dem Walde hervorrann, wild über seine Ufer hinausgerissen und Steine und Holzstämme in reißenden Wirbeln mit sich fortschleudern. Der Sturm brach, wie von dem Getöse erweckt, aus den mächtigen Gewölken, diese pfeilschnell über den Mond hinjagend, hervor, der See heulte unter des Windes schlagenden Fittichen, die Bäume der Landzunge ächzten von Wurzel zu Wipfel hinauf und beugten sich wie schwindelnd über die reißenden Gewässer: – „Undine! Um Gottes willen, Undine!“, riefen die zwei beängstigten Männer. – Keine Antwort kam ihnen zurück, und achtlos nun jeglicher andern Erwägung rannten sie, suchend und rufend, einer hier-, der andre dorthin, aus der Hütte fort.

     


Drittes Kapitel: Wie sie Undine wiederfanden

 

Dem Huldbrand ward es immer ängstlicher und verworrener zu Sinn, je länger er unter den nächtlichen Schatten suchte, ohne zu finden. Der Gedanke, Undine sei nur eine bloße Walderscheinung gewesen, bekam aufs Neue Macht über ihn, ja er hätte unter dem Geheul der Wellen und Stürme, dem Krachen der Bäume, der gänzlichen Umgestaltung der kaum noch so still anmutigen Gegend die ganze Landzunge samt der Hütte und ihren Bewohnern fast für eine trügerisch neckende Bildung gehalten; aber von fern hörte er doch immer noch des Fischers ängstliches Rufen nach Undine, der alten Hausfrau lautes Beten und Singen durch das Gebraus. Da kam er endlich dicht an des übergetretenen Baches Rand und sah im Mondenlicht, wie dieser seinen ungezähmten Lauf gerade vor den unheimlichen Wald hin genommen hatte, so dass er nun die Erdspitze zur Insel machte. – O lieber Gott, dachte er bei sich selbst, wenn es Undine gewagt hätte, ein paar Schritte in den fürchterlichen Forst hinein zu tun; vielleicht eben in ihrem anmutigen Eigensinn, weil ich ihr nichts davon erzählen sollte – und nun wäre der Strom dazwischen gerollt, und sie weinte nun einsam drüben bei den Gespenstern! – Ein Schrei des Entsetzens entfuhr ihm, und er klomm einige Steine und umgestürzte Fichtenstämme hinab, um in den reißenden Strom zu treten und, watend oder schwimmend, die Verirrte drüben zu suchen. Es fiel ihm zwar alles Grauenvolle und Wunderliche ein, was ihm schon bei Tage unter den jetzt rauschenden und heulenden Zweigen begegnet war. Vorzüglich kam es ihm vor, als stehe ein langer weißer Mann, den er nur allzu gut kannte, grinsend und nickend am jenseitigen Ufer; aber eben diese ungeheuren Bilder rissen ihn gewaltig nach sich hin, weil er bedachte, dass Undine in Todesängsten unter ihnen sei, und allein.

 

Schon hatte er einen starken Fichtenast ergriffen und stand, auf diesen gestützt, in den wirbelnden Fluten, gegen die er sich kaum aufrecht zu halten vermochte; aber er schritt getrosten Mutes tiefer hinein. Da rief es neben ihm mit anmutiger Stimme: „Trau nicht, trau nicht! Er ist tückisch, der Alte, der Strom!“ – Er kannte diese lieblichen Laute, er stand wie betört unter den Schatten, die sich eben dunkel über den Mond gelegt hatten, und ihn schwindelte vor dem Gerolle der Wogen, die er pfeilschnell an seinen Schenkeln hinschießen sah. Dennoch wollte er nicht ablassen. – „Bist Du nicht wirklich da, gaukelst Du nur neblicht um mich her, so mag auch ich nicht leben und will ein Schatten werden wie Du, Du liebe, liebe Undine!“ Dies rief er laut und schritt wieder tiefer in den Strom. – „Sieh Dich doch um, ei sieh Dich doch um, Du schöner, betörter Jüngling!“, so rief es abermals dicht bei ihm, und seitwärts blickend sah er im eben sich wieder enthüllenden Mondlicht, unter den Zweigen hochverschlungener Bäume, auf einer durch die Überschwemmung gebildeten kleinen Insel Undine lächelnd und lieblich in die blühenden Gräser hingeschmiegt.

 

O wie viel freudiger brauchte nun der junge Mann seinen Fichtenast zum Stabe als vorhin! Mit wenigen Schritten war er durch die Flut, die zwischen ihm und dem Mägdlein hinstürmte, und neben ihr stand er auf der kleinen Rasenstelle, heimlich und sicher von den uralten Bäumen überrauscht und beschirmt. Undine hatte sich etwas emporgerichtet und schlang nun in dem grünen Laubgezelte ihre Arme um seinen Nacken, so dass sie ihn auf ihren weichen Sitz neben sich niederzog. – „Hier sollst Du mir erzählen, hübscher Freund“, sagte sie leise flüsternd; „hier hören uns die grämlichen Alten nicht. Und so viel als ihre ärmliche Hütte ist doch hier unser Blätterdach wohl noch immer wert.“ – „Es ist der Himmel!“, sagte Huldbrand und umschlang, inbrünstig küssend, die schmeichelnde Schöne.


 

Da war unterdessen der alte Fischer an das Ufer des Stromes gekommen und rief zu den beiden jungen Leuten herüber: „Ei, Herr Ritter, ich habe Euch aufgenommen, wie es ein biederherziger Mann dem andern zu tun pflegt, und nun kos't Ihr mit meinem Pflegekinde so heimlich und lasst mich noch obendrein in der Angst nach ihr durch die Nacht umherlaufen.“ – „Ich habe sie selbst erst eben jetzt gefunden, alter Vater“, rief ihm der Ritter zurück. „Desto besser“, sagte der Fischer, „aber nun bringt sie mir auch ohne Verzögern an das feste Land herüber!“ Davon aber wollte Undine wieder gar nichts hören. Sie meinte, eher wolle sie mit dem schönen Fremden in den wilden Forst vollends hinein, als wieder in die Hütte zurück, wo man ihr nicht ihren Willen tue, und aus welcher der hübsche Ritter doch über kurz oder lang scheiden werde. Mit unsäglicher Anmut sang sie, Huldbranden umschlingend:

   

„Aus dunst'gem Tal die Welle

Sie rann und sucht' ihr Glück!

Sie kam ins Meer zur Stelle

Und rinnt nicht mehr zurück.“