Richard Wagner: Deutsche Kunst und Deutsche Politik

 

 

Richard Wagner

Deutsche Kunst

und Deutsche Politik

 

 

 

Richard Wagner: Deutsche Kunst und Deutsche Politik

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

ISBN 978-3-86199-965-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-4853-8 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-4858-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1868. Hier nach: Richard Wagner: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Band 8, Leipzig: Breitkopf und Härtel, o.J. [1911]. Die Eigentümlichkeit der Orthographie wurde bei der vorliegenden Ausgabe beibehalten.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

I.

In seinen vortrefflichen »Untersuchungen über das europäische Gleichgewicht« schließt Constantin Frantz seine Darstellung des in der Napoleonischen Propaganda ausgesprochenen Einflusses der französischen Politik auf das europäische Staatensystem mit folgendem Satze ab:

»Es ist aber eben nichts Anderes als die Macht der französischen Civilisation, worauf diese Propaganda beruht, und ohne welche sie selbst ganz machtlos sein würde. Sich der Herrschaft dieser materialistischen Civilisation zu entziehen ist darum der einzig wirksame Damm gegen diese Propaganda. Und dieß gerade ist Deutschlands Beruf, weil von allen Continentalländern nur Deutschland die erforderlichen Anlagen und Kräfte des Geistes und Gemüthes besitzt, um eine edlere Bildung zur Geltung zu bringen, gegen welche die französische Civilisation keine Macht mehr haben wird. Das wäre die rechte deutsche Propaganda und ein sehr wesentlicher Beitrag zur Wiederherstellung des europäischen Gleichgewichtes.«

Wir stellen diesen Ausspruch eines der umfassendsten und originellsten politischen Denker und Schriftsteller, auf welchen die deutsche Nation stolz zu sein hätte, wenn sie nur erst ihn zu beachten verstünde, an die Spitze einer Reihe von Untersuchungen, zu welchen das wohl nicht uninteressante Problem des Verhältnisses der Kunst zur Politik im Allgemeinen, der deutschen Kunstbestrebungen zu dem Streben der Deutschen nach einer höheren politischen Bedeutung im Besonderen, uns anregt. Dieses besondere Verhältniß läßt sich auf den ersten Blick als so eigenthümlicher Art erkennen, daß es lohnend erscheint, von ihm aus auf jenes allgemeinere Verhältniß prüfend und vergleichend weiter zu schließen, – lohnend für die Hebung eines edlen Selbstvertrauens der Deutschen, weil eben die universale Bedeutung schon dieses besonderen Verhältnisses, wie mit ihr den Bestrebungen der anderen Nationen zugleich versöhnend entgegengetreten wird, den vorzüglichen Beruf zu dieser Versöhnung sehr erkenntlich der Anlage und Entwickelung des deutschen Geistes zuspricht.

Daß Kunst und Wissenschaft ihren ganz eigenen, vom politischen Leben eines Volkes durchaus abseits liegenden Weg der Entwickelung, der Blüthe und des Verfalles gingen, hat Diejenigen bedünken müssen, welche vorzüglich die Wiedergeburt der neueren Kunst unter den politischen Verhältnissen der Ausgangsperiode des Mittelalters in Betracht zogen, und einen fördernden Zusammenhang des Verfalles der römischen Kirche, der Herrschaft der dynastischen Intrigue in den italienischen Staaten, sowie des Druckes der geistlichen Inquisition in Spanien, mit der unerhörten Kunstblüthe Italiens und Spaniens in der gleichen Zeit unmöglich anerkennen zu dürfen glaubten. Daß das heutige Frankreich an der Spitze der europäischen Civilisation steht, und dabei gerade die tiefste Verkommenheit an wahrhaft geistiger Produktivität aufdeckt, erscheint als neuer Widerspruch: hier, wo Glanz, Macht und anerkannte Herrschaft über alle nur erdenklichen Formen des öffentlichen Lebens fast aller Länder und Völker unleugbar vorliegen, verzweifelt der beste Geist des sich selbst so vorzüglich geistreich dünkenden Volkes an der Möglichkeit, aus den Irrwegen des entwürdigendsten Materialismus zu irgend welcher Anschauung des Schönen sich aufzuschwingen. Soll dort den nie verschwindenden Klagen über die Beschränkung der politischen Freiheit der Nation Recht gegeben werden (und man schmeichelt sich damit, hierin einzig den Grund auch der Verderbniß des öffentlichen Kunstgeistes zu erkennen), so dürften diese Klagen nicht ohne Grund mit dem Hinweis auf jene Perioden der italienischen und spanischen Kunstblüthe bekämpft werden, wo äußerer Glanz und entscheidender Einfluß auf die Civilisation Europa's mit sogenannter politischer Unfreiheit, nicht unähnlich wie jetzt in Frankreich, Hand in Hand gingen. Daß die Franzosen zu keiner Zeit ihres Glanzes eine der italienischen nur entfernt gleichkommende Kunst oder eine an die spanische hinanreichende poetische Litteratur hervorbringen konnten, muß einen besonderen Grund haben. Vielleicht erklärt er sich aus einem Vergleiche Deutschlands mit Frankreich zu einer Zeit des größten Glanzes des letzteren und des tiefsten Verfalles des ersteren. Dort Louis XIV., hier ein deutscher Philosoph, welcher in dem glänzenden Despoten Frankreichs den berufenen Herrn der Welt erblicken zu müssen glaubte: unleugbar ein Ausdruck des tiefsten Elends der deutschen Nation! Damals stellten Louis XIV. und seine Höflinge auch für Das, was als schön gelten sollte, die Gesetze auf, über welche im tiefsten Grunde der Anschauung der Dinge die Franzosen noch unter Napoleon III. nicht hinausgekommen sind; von hier an das Vergessen der eigenen Geschichte, die Ausrottung der eigenen Keime einer nationalen Dichtkunst, die Verderbniß der aus Italien und Spanien eingeführten Kunst und Poesie, die Umformung der Schönheit in die Eleganz, der Anmuth in den Anstand. Unmöglich ist es für uns zu erkennen, was die wahrhaften Anlagen des französischen Volkes aus sich hätten erzeugen können; es hat sich, wenigstens in Dem, was als seine »Civilisation« gilt, so gänzlich dieser Anlagen selbst entäußert, daß wir nicht mehr darauf zu schließen vermögen, wie es sich ohne diese Umformung ausnehmen würde. Und solches geschah diesem Volke, als es sich auf einer hohen Stufe seines Glanzes und seiner Macht befand, in seinem Fürsten selbstvergessen sich widerspiegelte; es geschah mit so bestimmter Energie, diese seine civilisirte Form drückte sich allen europäischen Völkern so eindringlich auf, daß man noch heute mit dem Blick in die Befreiung von diesem Joche in das Chaos zu sehen glaubt, in welchem mit Recht der Franzose sich auch als völliger Barbar angelangt sieht, sobald er aus der Sphäre seiner Civilisation sich hinausschwingt.

Ermißt man das wahrhaft Freiheitsmörderische dieses Einflusses, welcher das eigenthümlichste deutsche Herrschergenie der neueren Zeit, Friedrich den Großen, wiederum so gänzlich beherrschte, daß er mit geradesweges leidenschaftlicher Verachtung auf deutsches Wesen herabblickte, so müssen wir gestehen, daß eine Erlösung aus diesem ersichtlichen Verkommniß der europäischen Menschheit an Wichtigkeit nicht ungleich der That der Zertrümmerung des römischen Weltreiches mit seiner nivellirenden, endlich ertödtenden Civilisation erachtet werden könnte. Wie dort eine völlige Regeneration des europäischen Völkerblutes nöthig war, dürfte hier eine Wiedergeburt des Völkergeistes erforderlich sein, und wirklich scheint es derselben Nation, von welcher einst jene Regeneration ausging, vorbehalten zu sein, auch diese Wiedergeburt zu vollbringen; denn so ersichtlich nachweisbar, wie kaum ein anderes Datum der Geschichte, ist die eigene Wiedergeburt des deutschen Volkes aus dem deutschen Geiste hervorgegangen, im vollen Gegensatze zu der übrigen »Renaissance« der neueren Kulturvölker Europa's, von denen wenigstens an dem französischen Volke ebenso ersichtlich statt einer Wiedergeburt eine unerhört und unvergleichlich willkürliche bloße Umformung auf rein mechanischem Wege von oben nachzuweisen ist.

Eben zu der Zeit, in welcher der genialste deutsche Herrscher nur mit Abscheu über den Dunstkreis jener französischen Civilisation hinwegzublicken vermochte, ging diese in der Geschichte beispiellose Wiedergeburt des deutschen Volkes aus dem Geiste vor sich. Von ihr singt Schiller:

 

»Kein Augustisch Alter blühte,

Keines Medicäers Güte

Lächelte der deutschen Kunst;

Sie ward nicht gepflegt vom Ruhme,

Sie entfaltete die Blume

Nicht am Strahl der Fürstengunst.«

 

Wollen wir diesen so sprechenden Reimen des großen Dichters in schlichter Prosa noch beifügen, daß bei der Wiedergeburt der deutschen Kunst von einer Zeit die Rede ist, wo andererseits ohne seine Fürstenhäuser das deutsche Volk kaum noch zu erkennen war, daß nach der unerhörten Zertrümmerung aller bürgerlichen Kultur in Deutschland durch den dreißigjährigen Krieg alle Macht, ja selbst alle Fähigkeit der Bewegung in irgend welcher Lebenssphäre einzig in der fürstlichen Gewalt lag, und daß diese fürstlichen Höfe, in welchem einzig die Macht, ja die Existenz der deutschen Nation sich aussprach, mit fast skrupulöser Gewissenhaftigkeit sich als dürftige Nachbildungen des französischen Königshofes gebärdeten, so erhalten wir einen allerdings zu ernstem Nachdenken herausfordernden Kommentar der Schiller'schen Strophe. Sollte uns bei diesem Nachsinnen ein stolzes Wohlgefühl von der unversiegbaren Kraft des deutschen Geistes entstehen, und würden wir, von diesem Gefühle geleitet, uns zu der Annahme ermuthigen können, daß im Grunde genommen schon jetzt, trotz des fast noch ungebrochenen Einflusses der französischen Civilisation auf den öffentlichen Geist der europäischen Völker, ihr dieser deutsche Geist als gleichmächtig gerüsteter Nebenbuhler gegenüberstünde, so möchten wir, um diesen Gegensatz auch seiner politischen Bedeutung nach zu bezeichnen, in Kürze den Satz aufstellen: die französische Civilisation sei ohne das Volk, die deutsche Kunst ohne die Fürsten entstanden; die erstere könne zu keiner gemüthlichen Tiefe gelangen, weil sie das Volk nur überkleide, nicht aber ihm in das Herz dringe; der zweiten gebräche es dagegen an Macht und adeliger Vollendung, weil sie die Höfe der Fürsten noch nicht erreichen und die Herzen der Herrscher dem deutschen Geiste noch nicht erschließen konnte. Das Fortbestehen der Herrschaft der französischen Civilisation fiele daher mit dem Fortbestehen einer wahrhaftigen Entfremdung zwischen dem Geiste des deutschen Volkes und dem Geiste seiner Fürsten zusammen; es wäre demnach der Triumph der französischen, seit Richelieu auf die europäische Hegemonie zielenden Politik, diese Entfremdung aufrecht zu erhalten und zu vervollständigen: wie dieser die religiösen Streitigkeiten und die Machtantagonismen zwischen Fürsten und Reich zur Begründung der französischen Oberherrschaft benützte, so würde es, unter den veränderten Zeitumständen, die fortgesetzte Sorge begabter französischer Gewalthaber sein müssen, den verführerischen Einfluß der französischen Civilisation, wenn nicht zur Unterjochung der europäischen Völker, doch zur offenbaren Unterordnung des Geistes der deutschen Höfe unter ihre Macht anzuwenden. Vollständig gelang dieses Unterjochungsmittel im vorigen Jahrhunderte, wo wir mit Erröthen sehen, daß deutsche Fürsten mit zugesandten französischen Tänzerinnen und italienischen Sängern in nicht viel ehrenderer Weise gefangen und dem deutschen Volke entfremdet wurden, wie noch heute wilde Negerfürsten durch Glasperlen und klingende Schellen bethört werden. Wie mit dem Volke zu verfahren wäre, welchem seine gleichgiltig gewordenen Fürsten endlich ganz entführt wurden, sehen wir aus einem Briefe des großen Napoleon an dessen Bruder, den er zum König von Holland bestellt: diesem machte jener Vorwürfe, dem Nationalgeiste seines Landes zu viel nachzugeben, wogegen er ihm, hätte er das Land besser französirt, noch ein Stück des nördlichen Deutschlands zu seinem Königreiche hinzugegeben haben würde, »puisque c'eût été un noyau de peuple, qui eût dépaysé davantage l'esprit allemand, ce qui est le premier but de ma politique«, wie es in dem betreffenden Briefe heißt. – Hier stehen sie sich nackt gegenüber, dieser »esprit allemand« und die französische Civilisation: zwischen ihnen die deutschen Fürsten, von denen jene edle Schiller'sche Strophe singt. –

Offenbar lohnt sich nun die Betrachtung des näheren Verhältnisses dieses deutschen Geistes zu den Fürsten des deutschen Volkes: wohl dürfte sie zu einer ernsten Forderung führen. Denn nothwendig werden wir an den Punkt geleitet werden, wo es im Kampfe zwischen französischer Civilisation und deutschem Geiste sich um die Frage des Bestehens der deutschen Fürsten handelt. Sind die deutschen Fürsten nicht die treuen Träger des deutschen Geistes; helfen sie, bewußt oder unbewußt, der französischen Civilisation zum Siege über den von ihnen selbst noch so traurig verkannten und unbeachteten deutschen Geist, so sind ihre Tage gezählt, der Schlag komme von dort oder hier. Eine ernste, weltgeschichtlich entscheidende Frage tritt somit an uns heran: sollten wir irren, wenn wir, von unserem Ausgangspunkte, der deutschen Kunst, sie betrachtend, ihr eine so große und ernste Bedeutung geben, so möge ein näheres Eingehen auf dieselbe uns zur deutlichen Aufklärung verhelfen.

 

II.

Es ist erhebend und hoch ermuthigend für uns, zu sehen, daß der deutsche Geist, als er sich mit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts aus seiner tiefsten Verkommenheit erhob, nicht einer neuen Geburt, sondern wirklich nur einer Wiedergeburt bedurfte: er konnte über zwei verlorene Jahrhunderte hinüber demselben Geiste die Hand reichen, der damals in weiter Verzweigung über das heilige römische Reich deutscher Nation seine kräftig treibenden Keime verbreitete, und von dessen Wirken auch auf die plastische Gestaltung der Civilisation Europa's wir nicht gering zu denken haben, wenn wir uns erinnern, daß die schöne, so mannigfaltig individuelle, phantasiereiche deutsche Kleidertracht damals von allen Völkern Europa's aufgenommen war. Betrachtet zwei Portraits: hier Dürer, dort Leibniz: welches Grauen vor der unseligen Zeit unseres Verfalles weckt uns der vergleichende Anblick! Heil den herrlichen Geistern, die zuerst dieses Grauen empfanden und den Blick über die Jahrhunderte hinüber aussandten, um sich selbst wieder erkennen zu dürfen! Da fand es sich denn, daß es nicht Schlaffheit gewesen war, was das deutsche Volk in sein Elend versenkt hatte: es hatte seinen dreißigjährigen Krieg um seine Geistesfreiheit gekämpft; die war gewonnen, und ermattete der Leib in Blut und Wunden, der Geist blieb frei, selbst unter der französischen Allongeperrücke. Heil euch, Winckelmann und Lessing, die ihr noch über die Jahrhunderte der eigenen deutschen Herrlichkeit hinweg den urverwandten göttlichen Hellenen fandet und erkanntet, das reine Ideal menschlicher Schönheit dem vom Puderstaub umflorten Blicke der französisch civilisirten Menschheit erschlosset! Heil dir, Goethe, der du die Helena dem Faust, das griechische Ideal dem deutschen Geiste vermählen konntest! Heil dir, Schiller, der du dem wiedergeborenen Geiste die Gestalt des »deutschen Jünglings« gabest, der sich mit Verachtung dem Stolze Britanniens, der Pariser Sinnenverlockung gegenüberstellt! Wer war dieser »deutsche Jüngling«? Hat man je von einem französischen, einem englischen »Jünglinge« gehört? Und wie untrüglich deutlich und greifbar faßlich verstehen wir doch sogleich diesen »deutschen Jüngling«! Diesen Jüngling, der in Mozart's keuscher Melodie den italienischen Kastraten beschämte, in Beethoven's Symphonie männlichen Muth zu kühner, welterlösender That gewann! Und dieser Jüngling war es, der sich endlich auf das Schlachtfeld stürzte, um, da seine Fürsten Alles, Reich, Land, Ehre verloren, dem Volke seine Freiheit, den Fürsten selbst ihre verwirkten Throne wieder zu erobern. Und wie ward diesem »Jünglinge« gelohnt? Es giebt in der Geschichte keinen schwärzeren Undank, als den Verrath der deutschen Fürsten an dem Geiste ihres Volkes, und mancher guten, edlen und aufopfernden That ihrerseits wird es bedürfen, um diesen Verrath zu sühnen. Wir hoffen auf diese Thaten, und deßhalb sei die Sünde kräftig nachgewiesen.

Wie war es möglich, daß die Fürsten der unvergleichlich glorreichen Wiedergeburt des deutschen Geistes mit gänzlicher Unbeachtung zusehen, und auch nicht die mindeste Wirkung auf ihre Ansicht vom Charakter ihres Volkes davon empfangen mochten? Womit diese unglaubliche Blindheit sich erklären, die selbst nicht einmal die Zwecke ihrer dynastischen Politik aus diesem unendlich regen Geiste nützlich zu fördern verstand? – Der Grund der Verderbniß des deutschen Herzens gerade in diesen höchsten Regionen der deutschen Nation liegt wohl tief und weit ab, vielleicht zum Theil selbst in der universalen Anlage des deutschen Wesens. Das deutsche Reich war nicht ein eng nationaler Staat, und himmelweit verschieden von Dem, was heutzutage im Sinne eines solchen dem Verlangen der getrennten und zertretenen schwächeren Nationalvölker vorschwebt. Deutsche Kaisersöhne mußten vier europäische Sprachen erlernen, um einem gerechten Verkehr mit den Gliedern des Reiches gewachsen zu sein. Die Geschicke ganz Europa's faßten sich in den Sorgen der Politik des deutschen Kaiserhofes zusammen; und nie, selbst im tiefsten Verfalle des Reiches, änderte diese Bestimmung sich gänzlich. Nur daß endlich der Kaiserhof in Wien, bei seiner Schwäche dem Reiche gegenüber, mehr vom spanischen und römischen Interesse geleitet wurde, als auf dieses seinen Einfluß ausübte, so daß in der verhängnißvollsten Zeit das Reich einem Gasthofe glich, in welchem nicht mehr der Wirth, sondern die Gäste die Rechnung machten. Gerieth der Wiener Hof so fast gänzlich in das spanisch-römische Geleise, so herrschte dagegen an dem einzig endlich machtvoll ihm gegenübertretenden Berliner Hofe die Tendenz der französischen Civilisation, nachdem sie die geringeren Fürstenhöfe, an ihrer Spitze den sächsischen, vollkommen in ihr Geleise gezogen hatte. Diese Höfe verstanden unter Kunstpflege im Grunde nichts Anderes mehr, als Herbeischaffung eines französischen Ballets oder einer italienischen Oper und dabei ist es, genau genommen, verblieben bis auf den heutigen Tag. Gott weiß, wo und wie Goethe und Schiller verkommen wären, wenn der Erstere nicht, mit Vermögen geboren, einen kleinen deutschen Fürsten, das Weimarische Wunder, zum persönlichen Freunde gewonnen, und schließlich in dieser Stellung auch für Schiller einigermaßen hätte sorgen können! Vermuthlich wäre ihnen das Loos Lessing's, Mozart's und so vieler Edlen nicht erspart gewesen. Allein der »deutsche Jüngling«, von dem wir reden, war nicht der Mann, der »Fürstengunst« im Sinne eines Racine und Lully zu bedürfen: er war berufen, »der Regeln Zwang« abzuwerfen, und wie dort, so hier im Völkerleben dem Zwange befreiend entgegenzutreten. Diesen Beruf erkannte denn auch ein geistvoller Staatsmann zur Zeit der höchsten Noth, und als alle regelrecht geschulten Söldnerheere der Monarchen dem, nun nicht mehr als wohlgekräuselter Civilisator, sondern als zermalmender Kriegsherr eingedrungenen Führer der französischen Macht gänzlich erlegen, die deutschen Fürsten nicht mehr der französischen Civilisation, sondern auch ihrem politischen Despotismus unterworfen waren, da war es der »deutsche Jüngling«, der nun zu Hilfe gerufen wurde, um mit den Waffen in der Hand zu zeigen, welcher Art dieser deutsche Geist sei, der in ihm wiedergeboren. Er zeigte der Welt seinen Adel. Zum Klang von Leyer und Schwert schlug er seine Schlachten. Staunend mußte sich der gallische Cäsar fragen, warum er jetzt die Kosaken und Kroaten, die kaiserlichen und königlichen Gardisten nicht mehr zu schlagen vermöchte? Vielleicht ist auf Europa's Thronen sein Neffe der Einzige, welcher mit wahrer Besonnenheit die Frage zu beantworten weiß: er kennt und fürchtet den »deutschen Jüngling«. Erkennt Ihr ihn nun auch, denn Ihr dürft ihn lieben.