Ludwig Anzengruber: Der Pfarrer von Kirchfeld

 

 

Ludwig Anzengruber

Der Pfarrer von Kirchfeld

Volksstück mit Gesang in vier Akten

 

 

 

Ludwig Anzengruber: Der Pfarrer von Kirchfeld. Volksstück mit Gesang in vier Akten

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Ignaz Marcel Gaugengigl, Reiter und Dorfpfarrer, 1877

 

ISBN 978-3-8430-8211-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7859-7 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7860-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden: 1869–1870.

Erstdruck: Wien (Rosner), 1871, als zweiter Band der Reihe »Neues Wiener Theater«. Uraufführung am 5.11.1870, Theater an der Wien, Wien.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Dritte durchgesehene Auflage, Stuttgart: Verlag der J.G. Cotta’schen Buchhandlung, 1898.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Mit Verlaub, lieber Leser!

Das soll keine Vorrede sein, sondern ich habe nur wenige Worte im Vorbeigehen jenen Lesern zu sagen, welchen dieses Stück schon von der Bühne herab bekannt ist, und sollte dies etwa dein Fall sein, lieber Leser, so verweile dich ein wenig bei diesen Zeilen.

Wer mit der Darstellung dieses Stückes schon vertraut ist, wird auf verschiedene Stellen stoßen, welche für ihn den Reiz der Neuheit haben werden (ob auch einen anderen, erlaube ich mir nicht zu entscheiden); dieses Plus an Worten und Gedanken ist dadurch entstanden, daß ich, unbekümmert um die Striche, welche die Censur und die Theaterregie angebracht haben, das Werk so, wie es niedergeschrieben wurde, in Druck legen ließ.

Indem ich mich solchergestalt von dem Leser auf der Schwäche litterarischer Eitelkeit ertappen lasse, kann ich es ihm um so weniger ersparen, meinen Charakter an einer anderen Stelle in den sanften Lichtern der Entsagung und des Dankes glänzen zu sehen.

Weder den Nachlesern, die das Stück schon von der Bühne her kennen, noch den Nurlesern, die es nie aufgeführt gesehen haben, wollte ich das liebe Lied: »Darf ich 's Büberl liab'n?« entziehen; die ersteren hätten es gewiß sehr vermißt, die anderen wird die Zugabe sicherlich freuen. Dieses Lied, wie alle im Stücke vorkommenden Gesänge von dem[3] verdienstvollen Kapellmeister Adolf Müller sen. allerliebst in Musik gesetzt, ist nach der Bühnensprache eine »Einlage«; es ist nicht von mir und ferne davon, mich mit fremden Federn schmücken zu wollen, gebe ich bekannt, daß der treffliche steiermärkische Schriftsteller P.K. Rosegger es ist, welcher dieses Gedicht ersonnen und zum Frommen aller verliebten »Diandln« von der höchsten Instanz, »'n Herrgott«, die bejahende Erledigung der Frage, ob 's Büberl geliebt werden darf, erwirkt hat.

Über den ersten Punkt war ich dem Leser, über den zweiten mir die Aufklärung schuldig; ich darf nun wohl schweigen und dem »Pfarrer von Kirchfeld« es überlassen, seine Sache selbst zu führen; möge er das, was er von der Rampe herab Tausenden gesagt, jetzt vor dem Einzelnen im traulichen Lesezimmer wiederholen, und wenn dann für alle, alle um ihr Herz Betrogenen, mögen sie nun mit wahrer Entsagung den Gott der Liebe lehren, oder auf steilen Höhen nach Wurzeln graben, das Mitleid erwacht, dann will ich mich gerne bescheiden, daß die Furcht weggeblieben und aus der halben Tragödie – ein Volksstück geworden.

Der Verfasser.[4]

 

Personen

 

Graf Peter v. Finsterberg.

 

Lux, dessen Revierjäger.

 

Hell, Pfarrer von Kirchfeld.

 

Brigitte, seine Haushälterin.

 

Vetter, Pfarrer von St. Jakob in der Einöd.

 

Anna Birkmeier, ein Dirndl aus St. Jakob.

 

Michel Berndorfer.

 

Thalmüller-Loisl.

 

Der Schulmeister von Altötting.

 

Der Wirt an der Wegscheid.

 

Sein Weib.

 

Hannsl, beider Sohn.

 

Der Wurzelsepp.

 

Landleute von Altötting und Kirchfeld.

 

Kranzeljungfern.

 

Musikanten.[5]

 

Erster Akt.

Jagdfanfaren, bevor der Vorhang aufgeht, schließen die Ouverture.

 

Dekoration: Gebirgslandschaft; Coulisse: vom Hintergrunde ansteigende Felsen, in die Seite verlaufend und praktikabel, links ein kleines Haus, durch Aushängzeichen als Wirtshaus kenntlich gemacht, ein Tisch vorne rechts nahe an der Coulisse.

 

Erste Szene

Die Jagdfanfare setzt, während der Vorhang aufgeht, noch einmal und während die Scene frei ist und Graf Finsterberg und Lux im Hintergrunde auf den Felsen erscheinen, das zweite und letzte Mal verhallend ein.

 

LUX rauher alter Weidmann, militärische Haltung, in die Scene links weisend. Excellenzherr, dort drüben ist ein kapitaler Stand, da wechselt das Wild gerne.

FINSTERBERG graues Haar, in der Mitte gescheitelt, glattes Gesicht, hohe Binde, steif, trocken aber aristokratische Manieren, Jagdkleid, gleichfalls in die Scene links deutend. Das dort vor uns ist wohl Kirchfeld?

LUX. Zu dienen, Excellenzherr.

FINSTERBERG vorkommend. In dem Pfarrsprengel wirtschaftet ja der Hell?[7]

LUX folgt in respektvoller Entfernung. Hm, halten zu Gnaden, aber Betonend. unser hochwürdiger Herr heißt Hell!

FINSTERBERG hustet. Ja, ja, ganz gut! Ist er Ihm auch ins Herz gewachsen, Lux?

LUX. Mir? Halten zu Gnaden, ich bin Weidmann – Forstmann – ich geb' eigentlich auf keinen was, der da in einem gemauerten Häuschen was reden will von dem, der die weite Welt erschaffen hat.

FINSTERBERG rasch sich gegen Lux wendend. Lux, was soll das gottlose Reden?

LUX. Ist nicht gottlos, halten zu Gnaden, mag wohl bloß so aussehen; in so einem Gemäuer wird mir angst und bang, wenn da einer Gott und Welt 'neinsperren will und hat kaum eine Gemeinde drin Platz, da 'raus sollten sie kommen in grünen Wald, ho, da würden sie anders reden und der hochwürdige Herr Hell, das wär' so ein Waldprediger nach meinem Herzen – halten zu Gnaden!

FINSTERBERG lächelnd. Na ja, ja, Er Waldbär! – Ihm hält man manches zu gute, nur trag' Er das nicht unter die Leute mit den Welt- und Waldpredigern und bedenk' Er, daß der Satan, wenn ihm's um Seine Seele zu thun ist, auch einen grünen Rock anzieht, und drum hol' Er sich immerhin alle Sonntag sein Stück Christentum in dem gemauerten Haus da drüben.

LUX. Thu's ohnedem, Excellenzherr, verdrießt mich auch nicht, von wegen dem hochwürdigen Herrn Pfarrer dort, dem Hell, der sagt: »Sei du brav und geh ehrlich deiner Wege, so sind's Gotteswege.«[8]

FINSTERBERG hustet erregt. Lux, thu' Er mir das neumodische Reden ab! Merk' Er's, das leid' ich nicht! Weg und Weg das ist ein Unterschied, auf Gottes Wege glaubt jeder hinzutraben und 's gibt doch Wege, wo er vor Hindernissen nicht hingelangen kann zu ihm und mag er sonst noch so wacker ausschreiten. – Bleib' Er hübsch auf dem, den man Ihm von Kind auf gewiesen hat, und dank' Er Gott dafür, daß Ihm dies Glück geworden ist.

LUX. Thu's ohnedem – halten zu Gnaden – nur mein' ich ...

FINSTERBERG strenge. Lux, solche Leute wie Er haben nichts zu meinen; sobald sie das anfangen, hat alles Auskommen mit ihnen ein Ende. Ihr habt nichts zu meinen! Wir meinen auch nichts, wir nehmen die göttliche Weltordnung, wie sie da ist, mit allen ihren Vorteilen einerseits und all der schweren Verantwortung anderseits.

LUX hingeworfen. Ungeschaut!

FINSTERBERG. Und zu der letzteren gehört auch, daß wir die Leute, die wie Er sind, führen zu ihrem eigenen Besten, – das »Obenhinauswollen« führt zu nichts und vorgesorgt muß werden, daß ihr im alten guten Geleise bleibt, denn sieht Er, Lux, die göttliche Weltordnung bestand schon lange, länger als wir es denken können, und wird bestehen, solange es Menschen gibt. Wer sich dagegen auflehnt, dem wird's bald in seiner eignen Haut nicht wohl – warum? Er sieht, das Gebäude steht fest und ändern kann er's nicht, wie er auch dran rüttelt, und wer die andern dazu verführt, den muß man wegrücken aus deren Gemeinschaft.

LUX. Glaub's ohnedem![9]

FINSTERBERG nickt vor sich hin. Dabei bleib' Er, Lux, und wir bleiben die Alten! Zieht seine silberne Dose, greift bedächtig nach einer Prise. Die göttliche Weltordnung, Lux Klopft ihm gnädig auf die Achsel. die ist wie sein Wald, ganz so, da ist nichts gewaltsam gemacht, da ist alles geworden und da kann auch nichts gewaltsam davon abgethan werden. Da stehen die gewaltigen vielhundertjährigen Stämme, die durch die Sonne Gottes großgezogen worden sind, da stehen sie weit gebreitet auf dem Boden, der ihnen gehört, da sie in ihm wurzeln, und dehnen sich durch den ganzen Raum, der ihnen zur Entfaltung verliehen ward, und das ist ihr Recht, denn den brauchen sie, aus dem stehen sie – weiß Er nun, Lux, warum das Unterholz ihnen nicht über den Kopf wachsen kann?

LUX. I natürlich, weil sie ihm den Raum dazu vorwegnehmen. Wenn der Regen vom Himmel fällt, so nehmen die Kronen das meiste weg und das Unterholz mag sich getrösten; wenn's nicht regnet, so tröpfelt's doch; und in der Erde rücken sie mit starken Wurzelästen die schwachen Fäserchen beiseit'.

FINSTERBERG jetzt erst mit Befriedigung schnupfend. Sieht Er, Lux, so ist's, das ist die Weltordnung, das ist der Ständeunterschied; wie die großen Waldbäume das Unterholz vor dem Sturm, so schützen wir die Leute, wie Er ist, vor den bösen Gewitterstürmen der Neuzeit! Plötzlich launig. Sag' Er mal, Lux, wenn so ein Unterholz über die andern hinausschießt, daß Er befürchten muß, es fährt Seinen alten Kernstämmen mit den Ästen in die Quere, was thut Er da?

LUX. Versetzen, Excellenzherr, natürlich, versetzen den Waldverderber.

FINSTERBERG nickt lächelnd. Ja, ja, daß ihm der »Hochhinaus« die anderen Unterhölzer[10] nicht verdirbt, durch die böse Lockung, versetzen, versetzen! Und wenn er das nicht verträgt?

LUX. Zehrt er ab, verdirbt. Ist aber kein Schade!

FINSTERBERG nickt für sich. Ja, ja, kein Schade, versetzen!

LUX nachdenklich. Halten zu Gnaden, Excellenzherr, das ganze Gleichnis, so gleichsam, vom Wald und Unterholz leuchtet mir schon ein, aber das vom Versetzen?!

FINSTERBERG. Wart' Er's nur noch ein Weilchen ab, Lux, dann wird's Ihm schon klar werden. Forstwirtschaft, Alter, die Er eben vorher nicht versteht.

LUX. Will schon aufpassen, Excellenzherr!

FINSTERBERG. Wer kommt denn da den Weg von Kirchfeld her?

LUX. Mein Seel', das ist der hochwürdige Herr!

FINSTERBERG. Der Hell?

LUX. Er selber, Excellenzherr! Wie der Wolf in der Fabel, nur mit dem gewaltigen Unterschied, daß er kein so gefährlicher Gesell ist.

FINSTERBERG. Hm, sag' Er das nicht so voreilig. Kleine Pause. Lux, Winkt ihm zu gehen. laß Er mich allein!

LUX. Excellenzherr![11]

FINSTERBERG unwillig. Marschier' Er!

 

Lux ab.

 

FINSTERBERG allein. Er läuft mir in den Schuß, wir wollen ihn aufs Korn nehmen; wenn er klug ist, so gewinnt er uns beizeiten noch die Witterung ab – wär' mir lieb, gäbe mir ein rechtes Ansehn das. St. Peter, mein heiliger Patron, nannte sich einen Menschenfischer, will heute auch einmal die Flinte aus der Hand legen und Menschenjäger werden. Weidmannsheil Nickt für sich nachdenklich, indem er zur Dose greift. ja, ja, werd' mir zu teil. Wendet sich gegen den Kommenden.[12]

 

Zweite Szene

Voriger, Hell von links.

 

FINSTERBERG grüßend. Gelobt sei Jesus Christus!

HELL dankt. In Ewigkeit! Will vorüber.

FINSTERBERG vertritt ihm den Weg. Ich habe vielleicht noch die Ehre, gekannt zu sein?!

HELL ihn erkennend und sich verbeugend. Excellenz, Herr Graf von Finsterberg?! O, gewiß kenne ich den Mann, dem mich einst mein Gönner, der Propst von Elfkirchen, so warm empfahl und dessen großmütiger Fürsprache und Verwendung ich einzig meine Stellung verdanke. Ich darf wohl hoffen, dieser Verwendung bis nun keine Unehre gemacht zu haben?

FINSTERBERG. Hm, hm, Unehre?! Unehre, nein, jedoch verzeihen Sie, daß ich Ihnen kein Gegenkompliment machen kann, das verbietet, offen gesagt, die Aufrichtigkeit. Ihre Seelsorge wäre[12] vielleicht gedeihlich in friedlichen Zeiten, wir leben aber in kritischen Tagen und ein Mann der streitenden Kirche sind Sie nicht.

HELL unruhig. Excellenz, wenn Tadel in diesen Worten liegen soll, so sei es aufrichtig gestanden, daß ich denselben nicht zu fassen weiß. Sie setzen mir da einen Zweifel in die Seele, der keinen Namen hat, denn bisher glaubte ich nur meine Pflicht gethan zu haben.

FINSTERBERG wiegt den Kopf. Ja, ja, der Beruf ist der verantwortlichste und der Hauptfehler junger Leute liegt darin, sie wollen andere leiten und sich nicht leiten lassen; und da braucht's eine feste Hand, die unbarmherzig die wunden Stellen ihrer eitlen Selbständigkeit berührt, die ihnen zeigt, wie sie daran gehen, sich unmöglich zu machen und ihre schöne Stellung samt aller Aussicht für die Zukunft um Flitter und Tand in die Schanze zu schlagen. Fast väterlich. Ich habe Ihnen einst die Hand zu Ihrem Emporkommen geboten, als ich Sie nicht gekannt, jetzt kenne ich Sie, weiß, was Ihnen not thut, werden Sie nun den Rat, den ich Ihnen zu Ihrem Fortkommen biete, zurückweisen?

HELL. O gewiß nicht! Ich bitte Sie vielmehr inständigst darum, Herr Graf.

FINSTERBERG. Ja, ja, mein guter Hell, da Sie darum bitten, so sollen Sie meinen Rat haben, so warm als er aus meinem ehrlichen alten Herzen kommt. Lächelnd. Brühwarm sollen Sie ihn haben! Hähähä ... So treten Sie doch näher.

 

Hell tritt langsam näher.

 

[13]Sehr jovial.