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© 2017 Wolfgang Ortner

Umschlagdesign, Satz, Herstellung und Verlag :

BoD – Books on Demand GmbH

ISBN 978-3-7460-4195-7

Inhalt

Liebe Leserinnen und Leser!

Sehr herzlich möchte ich Sie begrüßen zu einer abwechslungsreichen Reise durch mein nun schon über sechzig Jahre währendes Musikerdasein, das mir aufregende und lehrreiche Erlebnisse sowie unvergessene Begegnungen beschert hat. Und die Musik dabei war vielfältig – von der Klassik bis zum Jazz, Pop und Rock, vom Konzertpodium bis zum Ballsaal. In Tönen durchlebte ich die Wiener Musikkulturgeschichte der Neuzeit von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert über die tanzende Strauss-Dynastie, die Goldene und Silberne Operettenära bis zu Peter Alexander, Georg Danzer und Udo Jürgens.

Daneben habe ich eine Familie gegründet und einen Brotberuf verfolgt – da ist es, wie Sie sich vorstellen können, oftmals sehr turbulent zugegangen, aber davon später mehr.

Als Musiker verbringt man viel Zeit mit Warten : auf den Beginn des Auftritts, nachdem man schon Stunden zuvor Aufbau und Soundcheck rechtzeitig geschafft hat ; auf den Beginn des nächsten Sets – und wenn es da schon drei Uhr früh ist, kommt einem jede Minute doppelt so lange vor ; Warten auf den Flug ; auf den Zimmerbezug im Hotel bei Reisen ; auf das Ende von Begrüßungs- oder Festreden und so weiter. In diesen Wartepausen erzählen sich die Musiker nicht nur Witze, sondern auch Geschichten aus dem reichen Fundus der eigenen Auftritte, Studioaufnahmen, Reisen, Partys und anderem. Dabei heißt es dann regelmäßig : »Das müsste man alles einmal aufschreiben und als Buch herausbringen – das glaubt ja niemand!«

Das habe ich nun getan und fühle mich sehr zufrieden. – Vorhang auf! Und viel Vergnügen beim Lesen!

Ihr Wolfgang Ortner

Kindheit und Jugend in Oberösterreich

Dass aus mir einmal ein Musikprofi werden würde – danach sah es zunächst nicht aus. In meinen frühen Linzer Jahren war mir Musik definitiv nicht in die Wiege gelegt. Obwohl : In der Familie meiner Mutter war oft Hausmusik gemacht worden. Mein Großvater und die Tanten spielten Zither und Gitarre und alle sangen gern, besonders meine Mutter. Als ausgebildete Kindergärtnerin brachte sie meiner um drei Jahre jüngeren Schwester und mir viele Lieder bei. Da aber weder mein Vater noch meine Mutter ein Instrument zur musikalischen Begleitung und Festigung des kindlichen Trällerns spielen konnten, mussten wir mehr Gedichte als Lieder lernen – damit konnten unsere stolzen Eltern allen Freunden vorführen, wie gescheit wir kleinen Hasen doch schon waren.

Mit dem Singen hat es bei mir überhaupt nicht geklappt. In der ersten Klasse der Volksschule sagte mein Lehrer, Herr Hilpert, der den Amtstitel »Oberlehrer« trug, in der Sprechstunde zu meiner Mutter : »Frau Ortner, wenn der Bub alles so schlecht könnte wie Singen, dann hätten wir ihn noch gar nicht in die Schule aufnehmen können – aber in Lesen und Schreiben macht er alles wieder wett!«

Trotzdem war ich damals schon lebhaft an Musik interessiert – als wir in der Schule beim Erlernen der Buchstaben Wörter mit »Ai« nennen sollten, sagte ich spontan : »Aida«, sehr zur Verwunderung von Herrn Hilpert.

Im Kriegsjahr 1944 wurde Linz als Bahnknotenpunkt und Sitz der Hermann-Göring-Werke, heute voestalpine AG, heftig bombardiert. Mein Vater war zu dieser Zeit in Holland als Funker beim Militär und meine Mutter suchte eine Möglichkeit, sich und uns Kinder aus dem gefährlichen Linz wegzubringen. Vor ihrer Heirat war sie einige Zeit als Kindermädchen bei der Industriellenfamilie Wild beschäftigt gewesen, damals ­ Besitzer der SIRIUS-Camembert-Käserei in Neumarkt im Hausruckviertel und des bekannten Delikatessengeschäfts am Neuen Markt in Wien. Frau Kutzenberger, eine Angestelltenkollegin aus dieser Zeit mit beispielhaft oberösterreichisch klingendem Namen, hatte in ihrem Haus in Neumarkt einen Raum, in dem bis auf einen alten Klavierflügel keine Möbel standen. Und dieses Zimmer bot sie meiner Mutter als Ausweichquartier in diesen schweren Zeiten an.

So übersiedelten wir im Frühjahr 1944, ich war damals acht Jahre alt, mit den Möbeln unserer bescheidenen Wohnung, also mit »Zimmer, Kuchl, Kabinett«, auf der Ladefläche eines klapprigen Lkws mit Holzvergaserantrieb in frischer Luft von Linz nach Neumarkt-Kallham. Da in unserer »Einzimmerwohnung« die Kästen und Betten logischerweise an die Wand gestellt wurden, blieb nur das Klavier, ein alter Flügel, mitten im Raum stehen und weckte so mehr und mehr mein Interesse.

Meine Mutter spielte zwar nicht Klavier, wusste aber aus ihrer Ausbildungszeit, welche Noten welchen Klaviertasten zugeordnet waren, und erklärte mir dieses System aufgrund meiner wissbegierigen Fragen anhand von Anfangsübungen aus einem Heft der Köhlerschule mit dem Titel Praktischer Lehrgang des Klavierspiels von Louis Köhler. Nach dieser Methode begriff ich bald, wie man eine Notenvorlage auf dem Klavier in richtige Töne umsetzt, und bekam als Belohnung und Anreiz zu Weihnachten das Album Musikalischer Jugendfreund – Eine Auslese melodiöser und instruktiver Vortragsstücke in leichter Spielart für Klavier zu zwei Händen. Ich spielte mit der Zeit so ziemlich alle Stücke dieser Auslese, in der viele Ohrwürmer der damaligen Zeit, wie das »Rattenfängerlied« ( Komponist : Adolf Neuendorff ) oder »Die Post im Walde« ( Texter / Komponist : Heinrich Schäffer ) enthalten waren. Von Fingersätzen oder Anschlagtechnik hatte ich keine Ahnung, aber ich klimperte mit Begeisterung!

Gleich nach Kriegsende übersiedelten wir nach Linz zurück, noch einmal auf offener Lkw-Ladefläche. In diesen von Improvisation diktierten ersten Nachkriegsmonaten musste man froh sein, wenn man überhaupt eine Transportmöglichkeit auftreiben konnte. Und gleich wieder war ein glücklicher Zufall meinen klavierhungrigen Fingern hold : Eine meinen Eltern bekannte Familie war ausgebombt worden und hatte in der neuen Ersatzwohnung keinen Platz für ihren Flügel. Also fragten sie meine Mutter, denn mein Vater war noch in Kriegsgefangenschaft, ob das Instrument nicht bei uns eingestellt werden könnte, bis sie später einen Raum dafür haben würden. Ich konnte also wieder meine Lieblingsstücke erklingen lassen. Meine Mutter aber sagte : »Jetzt machen wir es ordentlich – du gehst ins Bruckner Konservatorium!«

Dort musste ich eine Aufnahmsprüfung ablegen, um in die passende Unterrichtsstufe eingereiht zu werden. Nachdem ich zuhause eifrig geübt hatte, verkündete ich auf die Frage, was ich denn spielen wolle : »Den Boccaccio-Marsch von Suppé!« Mit saurer Miene sagten die Prüfer : »Na ja, wenn er nichts anderes vorbereitet hat …« So ließ ich also vor der gestrengen, auf E-Musik programmierten Kommission das Florentiner Operettenvolk flott über die Tasten marschieren und wurde in die Elementarstufe aufgenommen.

Im Herbst 1945 begann zugleich mit dem Klavierunterricht meine vierte Volksschulklasse. Ich verlor durch den Krieg kein Schuljahr, weil in Neumarkt »auf dem Lande« – anders als in der zerbombten Stadt Linz – der reguläre Schulbetrieb nicht schon im November 1944 geendet hatte, sondern bis März 1945 normal unterrichtet worden war. So kam ich nicht mehr mit meinen Schulfreunden aus der Volksschule in dieselbe Klasse, denn die mussten alle das zu kurze dritte Schuljahr wiederholen, während ich normal in die vierte Schulstufe einsteigen konnte und so eine ganze Klasse neuer Schulfreunde bekam.

In dieser Zeit schnupperte ich auch das erste Mal Bühnenluft als Akteur. Theater war für mich nichts Unbekanntes, meine Eltern besuchten mit meiner Schwester und mir seit früher Kindheit regelmäßig die Märchenspiele der Linzer Bühnen. Aber es war doch ein ganz anderes und aufregendes Gefühl, selbst auf einer Bühne zu stehen, ein Kostüm anzuziehen, geschminkt zu werden und einen geprobten Text fehlerfrei und glaubwürdig über die Rampe zu bringen. Doch mit meinem kindlich unbefangenen Sicherheitsgefühl ging das noch ganz leicht.

Ich war Mitglied einer Sternsingergruppe, die zunächst bei vorweihnachtlichen Feiern ein Hirtenspiel aufführte und nach Neujahr als »Heilige Drei Könige« mit Gefolge durch diverse Vereine und Schulen zog. Die Leiterin dieses Ensembles war Leopoldine Kytka, die später in Österreich kurzzeitige Bekanntheit erlangte durch den von ihr produzierten Mariazeller Film Das Tor zum Frieden, in dem unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner die damalige österreichische Schauspielerelite mitwirkte. Der Film wurde aber von der Kritik einhellig als religiöser Kitsch in der Luft zerrissen.

Als Hirte »Jodl« ( rechts ) im Hirtenspiel

Klavierunterricht am Bruckner Konservatorium hatte ich in der Klasse von Roman von Miceva, einem älteren Herrn, der eine seiner jungen Schülerinnen geheiratet hatte und seine Studenten nicht nur unterrichtete, sondern vor allem auch bemüht war, ihnen die Druckausgaben seiner Kompositionen zu verkaufen. Meine Schwester war eine Klavierschülerin seiner Ehefrau und musste bei uns daheim zu ihrem Leidwesen immer mit mir vierhändig Weihnachtsfantasien, Muttertagsständchen usw. spielen. Als sie das dann nicht mehr wollte, verdonnerte ich sie zum Duette-Singen : die Lieder aus der Märchenoper Hänsel und Gretel, aber noch viel mehr Duette aus Operetten. Ich liebte schon damals diese Musik, und wenn wir zwei Kinder bei offenem Fenster gefühlvoll die Melodie von Emmerich Kálmán sangen : »Schwesterlein, Schwesterlein, sollst mir fein glücklich sein …«, dann gab es auch manchmal Applaus von vorübergehenden Passanten.

Ich war vierzehn Jahre alt, als mir mein Patenonkel ein schönes großes Akkordeon schenkte. Er hatte es bei einer günstigen Gelegenheit erworben, spielte aber selbst kein Instrument und meinte, ich als Pianist könne sicher etwas damit anfangen. So war es auch. Ich hatte keine Schwierigkeiten, das Instrument zu spielen. Die rechte Hand bediente die gewohnte Klaviertastatur, das Quintenzirkelsystem der Bassknöpfe hatte ich schnell begriffen, und schon konnte ich die richtigen Töne und Akkorde erklingen lassen.

Während meiner Studienzeit am Konservatorium gab es für Instrumentalschüler noch keine verpflichtenden theoretischen Nebenfächer. Heute weiß ich : Wenn man kein ausgeprägtes fotografisches oder akustisches Gedächtnis hat, ist es schwierig, ohne Kenntnisse in Formenlehre und Harmonielehre auswendig zu spielen. Damals plagte ich mich bei Auftritten in Schülerkonzerten ziemlich erfolglos mit dem Auswendiglernen auch von leichten Musikstücken. Mein Lehrer konnte mir das nicht beibringen und ließ mich meistens zusammen mit anderen, vom selben Übel Geplagten nach Noten vierhändig spielen. Mit vierzehn Jahren hatte ich genug von dieser Tortur, hörte mit dem Klavierunterricht auf und belegte im Konservatorium als Hauptfach Harmonielehre und Kontrapunkt, pro Woche zweimal eine Stunde Einzelunterricht.

Ich hatte das Glück, in Musiktheorie Fritz Heinrich Klein als Lehrer zu haben. Herr Professor Klein war ein liebenswerter und bescheidener alter Herr und ich erfuhr erst viele Jahre später, dass er in der Musikgeschichte als Erfinder des »Zwölftonakkords« bekannt ist und ein Schüler und Freund von Alban Berg war. Für diesen schrieb er die Klavierauszüge zu Wozzeck und dem Kammerkonzert. Seinem akribisch ausgefeilten Lehrprogramm verdanke ich meine Perfektion im Arrangieren von Orchester- und Chorpartituren. Und siehe da, nachdem ich intensiv harmonische Inhalte und musikalische Formen gelernt hatte, konnte ich auf einmal auch auswendig Klavier spielen. Während meiner musiktheoretischen Studienzeit erhielt ich zweimal die Brucknermedaille des Konservatoriums für besonderen Fleiß.

Das Brucknerkonservatorium besuchte ich bis zu meiner Matura am Linzer humanistischen Bundesgymnasium, wo ich Lateinunterricht ab der ersten, Altgriechisch ab der dritten und Englisch ab der fünften Klasse hatte. Während dieser ganzen Mittelschulzeit war ich schon vielfach musikalisch tätig. Zunächst sang ich im Kinderchor des Konservatoriums, dessen Leitung in den Händen des aufstrebenden, damals etwa vierzigjährigen Komponisten Helmut Eder lag, allerdings nicht lange. Eder machte nämlich eine steile Karriere : 1962 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Musik und 1991 wurde seine Oper Mozart in New York bei den Salzburger Festspielen aufgeführt. In Linz aber drillte er uns Kinder, dass wir schön, richtig und rein sangen. Unter anderem waren wir im Linzer Landestheater für den Kinderchorpart in Puccinis Turandot engagiert. Wir sangen zwar nur hinter der Bühne, aber das war für uns schon aufregend genug. Und außerdem war das – obwohl ich ja schon viele Schülervorstellungen im Theater besucht hatte – mein prägendes Opernerlebnis. Seit damals ist die Geschichte von der grausamen Prinzessin, die ihre Freier köpfen lässt, meine Lieblingsoper. Ich hatte nur in späteren Jahren Schwierigkeiten, den damals auf Deutsch gehörten Text in Gedanken mit dem originalen Italienisch zu verbinden. Heute verbinden sich mir die berühmten Töne unweigerlich mit »Nessun dorma« und nicht mehr mit »Keiner schlafe«. Übrigens : Die deutschsprachige Aufnahme dieser Arie mit Rudolf Schock war die allererste Schallplatte, die ich mir kaufte.

Da ich auf dem Klavier ein perfekter Blattspieler war, kam ich auch sehr bald zum Ensemblespiel. Mein erstes Engagement als Orchesterpianist erhielt ich im Salonorchester der Linzer Berufsschule. So etwas gab es damals! Unter den Lehrlingen, die diese Schule besuchen mussten, waren doch einige, die gern ein Instrument spielten, es war nur kein Pianist dabei. Jede Woche war eine Probe angesetzt. Wir spielten zur Umrahmung von Festakten und hatten sogar ein eigenes abendfüllendes Konzert mit einem typischen Kurorchesterprogramm, also Ouvertüre zur Oper Der Kalif von Bagdad, Faschingskinder-Walzer usw. Als Gage gab es ein Abendessen und Taschengeld.

Mein Vater sang mit Begeisterung als erster Bass im Männerchor des Linzer Kolpingsängerbundes. Was lag also näher, als dass er mir, seinem »begabten« Sohn, die dortigen musikalischen Möglichkeiten erschloss. Ich verdiente mir ein schönes Taschengeld durch Notenkopieren für den Sängerbund und wurde von diesem auch als Klavierbegleiter für Konzerte engagiert. Nach alter Tradition gab es in der Kolpingsfamilie selbstverständlich auch ein Orchester, das als Blasmusikkapelle und als Tanzorchester fleißig aufspielte. Ich war 16 Jahre alt, als ich zunächst im Tanzorchester meist Akkordeon spielte, denn ein Klavier gab es in den Linzer Veranstaltungslokalitäten nur im Kaufmännischen Vereinshaus und im Saal des Bahnhofsrestaurants. Kapellmeister Oskar Reiter wollte aber unbedingt, dass ich auch in der Blasmusikkapelle mitspielte. Da es in dieser Besetzung kein Klavier oder Akkordeon gibt, lernte und spielte ich Tuba, und zwar den großen Bb-Bass. In der Blasmusik werden für die tiefen und so wichtigen Basstöne zwei Tuben eingesetzt : die etwas kleinere Basstuba in F und die große Kontrabasstuba in Bb. Beim Aufmarsch einer Blasmusik kann man es genau beobachten : Die Musiker, die, von einem Tragriemen unterstützt, die größten Instrumente schleppen und sich in der letzten Reihe vor den Schlagwerkern positionieren, das sind die Tubisten.

Eine Rumba mit dem Kolpingtanzorchester – in der Mitte Kapellmeister Oskar Reiter, links ich mit stil-gerechter Sonnenbrille

In der Nachkriegs- und Besatzungszeit spielten alle Musiker gerne bei Veranstaltungen wie Feuerwehrbällen oder Sportlerkränzchen auf dem Land – in erster Linie wegen des guten Essens und erst in zweiter Linie aufgrund der eher bescheidenen Gage. Gleich nach der Ankunft wurde uns ein herrlicher Schweinsbraten aufgetischt, um Mitternacht gab es riesige Schnitzel und vor der Heimreise zum Abschied noch Würstel oder Gulaschsuppe. Für diese Genüsse nahmen wir gern die Fahrtstrapazen auf uns. Kein Musiker hatte damals ein Auto und die von den Veranstaltern bereitgestellten Transportmittel waren oft sehr bescheiden. Nicht nur einmal fuhren wir in einem Lieferwagen ohne Fenster und auf Holzbänken sitzend, die man einfach in den Laderaum gestellt hatte.

Die Instrumentalbesetzung auf diesen Landausflügen war für heutige Verhältnisse nahezu undenkbar : zwei oder drei Saxofone, eine Trompete, Akkordeon und Schlagzeug – kein Bass! Ich hatte bei solchen Besetzungen nach Ballende stets ein total aufgescheuertes linkes Handgelenk, da ich mit meinem Akkordeon gegen die aus Renommiergründen immer laut aufspielende Bläserübermacht ankämpfen musste. Tonanlagen gab es ja damals noch nicht.

Die außergewöhnlichste Besetzung erlebte ich mehrmals in dem kleinen Ort Wilhering an der Donau, einige Kilometer stromaufwärts von Linz. Da war ein Geiger, der aber meist Xylofon spielte und der Verbindungsmann zu den Veranstaltern war – oder im Musikerjargon : »Er hatte das Geschäft aufgerissen.« Weiterhin spielten ein Saxofonist, ein Schlagwerker und ich mit meinem Akkordeon.

In Linz selbst spielte das Kolpingtanzorchester nur beim Kolpingball im Kaufmännischen Vereinshaus, dort allerdings in normaler Bigbandbesetzung. Die anderen Linzer Bälle waren von den »Platzhirschen« besetzt. Das war einerseits die Magistratsmusik mit ihrem Kapellmeister Sepp Froschauer, dem Vater des dann von Wien aus erfolgreichen Chorleiters und Dirigenten Helmuth Froschauer, und andererseits die ESG-Kapelle, das Orchester der Linzer Stadtwerke und Straßenbahn unter der Leitung von Hans Duchatschek, der als Dirigent und Stehgeiger mit seinem weißen Haarschopf stadtbekannt war.

Tanzveranstaltungen waren in Linz jedoch nur ein kleiner Sektor der Musikpräsentationen, die vor Publikum dargeboten wurden. Opern, Operetten, Singspiele wurden im Linzer Landestheater mit großem Publikumszuspruch gespielt. Während meiner Gymnasialzeit amtierte Ignaz Brantner als rühriger Theaterdirektor, der in seinem Dreispartenhaus erfolgreiche Produktionen bot, die ich als begeisterter studentischer Stehplatzbesucher in regulären Vorstellungen und sitzend in Schülervorstellungen genoss. Direktor Brantner galt als sparsamer Geschäftsmann, um ihn ranken sich viele Legenden und Anekdoten, von denen mir eine besonders gut gefällt : Es war geplant, als Osterpremiere Wilhelm Tell einzustudieren, Brantner aber sagte : »Na, na, den Tell spül ma im Herbst, da san die Äpfel billiger.«

Das Orchester des Landestheaters war das einzige professionelle Konzertorchester in Linz. Orchesterauftritte waren aber nicht gut möglich, da Linz zu dieser Zeit über keinen größenmäßig repräsentativen Konzertsaal verfügte. Das Brucknerhaus gab es damals noch nicht und Konzerte mit symphonischem Programm fanden in der adaptierten Turnhalle der Diesterwegschule statt. Ich erinnere mich noch gut an die eindrucksstarke Darbietung von Willi Boskovsky als Solist des Tschaikowsky-Violinkonzerts. Aber wenn es um tausende Zuhörer ging, wurde die Remise der Straßenbahn-Gesellschaft zum Konzertsaal umfunktioniert. Dort sang Beniamino Gigli und 1953 konzertierten da die Wiener Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler.

Auf Bühnen genoss ich Publikumsapplaus nicht nur als musizierendes Ensemblemitglied, nein, ich spielte auch gern und mit Leidenschaft Theater. Das begann schon im Kindesalter unter der Regie meiner Mutter. Sie inszenierte mehrmals zu Weihnachten ein Märchenspiel im Kolpinghaus für die Kinder der Vereinsmitglieder. Da agierte ich unter anderem mit meiner Schwester als Hänsel und Gretel. Wir sangen da auch einige Lieder aus der Märchenoper von Engelbert Humperdinck, allerdings in erleichterter Version.

Später dann, als ich das Gymnasium besuchte, spielten wir in der Jugendgruppe des Linzer Studentenwerks bei Elternabenden Sketches und Schwänke. Unser theaterbesessener Regisseur war der junge Reinhardt-Seminarist Walter Schmidinger, der spätere Star auf allen deutschsprachigen Bühnen. Ich erinnere mich noch heute mit Freude daran, wie er mit uns eine dramatisierte Fassung von Texten aus Josef Weinhebers Wien wörtlich erarbeitete. Er erklärte uns seine Vorstellung der Szene und ich näselte getreu seiner Anweisung als »der Präsidialist«, natürlich im Kostüm eines k. u. k. Beamten :

»Gehn S’, sind S’ so freundlich, lieber Herr von Schur,

richten S’ mir ja den Sprechakt für elf Uhr,

der Sektionschef hat ihn gestern schon

dringend urgiert zur Approbation.«

Drei eindrucksvolle Theatererlebnisse waren mir dann in der Oberstufe des Gymnasiums vergönnt. Unser Direktor und Deutschprofessor Dr. Hubert Ratzinger schrieb für Linzer Zeitungen Sprechtheaterkritiken und machte uns im Unterricht in Theorie und Praxis mit den Bühnenwerken der Weltliteratur bekannt. Im März des Jahres 1952 spielten wir in den Kammerspielen des Linzer Landestheaters Der Revisor von Nikolai Gogol, und ich war in dieser Produktion der Gutsbesitzer Peter Iwanowitsch Bobtschinski, ganz russisch mit aufgeklebtem Bart! Die Hauptrolle des Chlestakow, der fälschlich für den erwarteten Revisor gehalten wird, spielte Kurt Huemer, der als Operettenbuffo und Regisseur Karriere machte und zuletzt Direktor des Raimundtheaters, damals noch eine Operettenbühne, war. Seine Partnerin war Greta Putz, die dann Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt wurde. Regie führte Direktor Ratzinger, und der Inspizient war Romuald Riedl, mein späterer Personalchef bei der NEWAG.

Urfaust – Der Student ( Wolfgang Ortner ) wird von Mephisto ( Johann Zapotoczky ) belehrt

Im selben Jahr feierte das Gymnasium sein vierhundertjähriges Jubiläum. Ganz nach klassischer Tradition wurde Goethes Urfaust aufgeführt. Ich spielte den schüchternen Studenten, der Mephisto für den berühmten Doktor Faust hält und sich von ihm Ratschläge für sein Studium geben lässt.

Zu diesem Jubiläum komponierte der Musikprofessor des Gymnasiums, Johannes Unfried, eine Festkantate, bei der alle Schüler als Massenchor einen Part zu singen hatten. Für die Korrepetition bei der Einstudierung hatte der Meister einen Klavierauszug zu vier Händen erstellt und ich musste zwei von diesen vier Händen zur Verfügung stellen. Zwei Wochen lang nahm ich nicht am Unterricht teil, weil in den Musikstunden aller Klassen die Kantate einstudiert und geprobt wurde. Den Text kennen meine Schulkollegen und ich noch heute :

»Fühlt mit uns, durch diese Gänge

weht ein Hauch Unsterblichkeit :

Hauch aus Sprachen der Gesänge

einer längst vergangnen Zeit!«

Ein Jahr später führte das Gymnasium das Drama Das heilige Experiment von Fritz Hochwälder mehrmals auf. Ich war dabei in der Rolle eines paraguayischen Kaufmanns. Direktor Ratzinger führte wie immer Regie und spielte selbst die Rolle des Mynheer Lorenzo Cornelis in einem prächtigen Brokatkostüm mit schwarzer Seidenkniehose und weißen Strümpfen. Meine neugierigen Mitspieler und ich rätselten von Anfang an, ob die strammen Waden unseres Direktors ausgestopft oder »Natur« seien. Das Rätsel blieb ungelöst, denn unser diskreter Chef kostümierte sich stets vor dem Eintreffen aller anderen Mitwirkenden, und der Theatergarderobier hat uns das Geheimnis der »direktorialen Waden« leider nicht verraten.

Zum Abschluss meines Maturajahrs wurde im Studentenwerk das Spiel mit Gesang – heute würde man so ein Stück ungeniert Musical nennen – Ali Baba und die vierzig Räuber aufgeführt. Ein Spaß mit vier statt mit vierzig Räubern – für so viel Statisterie wäre kein Platz gewesen. Die lustige Aufführung war ein solcher Erfolg, dass sie im Herbst beim oberösterreichischen Jugendtag nochmals verlangt wurde. Ich hatte da schon mein Studium in Wien begonnen und reiste für meine Glanzrolle als Ali Baba noch einmal in meine Heimatstadt Linz.

Die ersten Jahre in Wien

Am 5. September 1954 – es war ein Sonntag – stand ich aufgeregt mit einem großen Koffer auf dem Westbahnhof. Ich war in Wien, in der Großstadt, angekommen, um mein Studium an der Hochschule für Welthandel, der heutigen Wirtschaftsuniversität, zu beginnen.

Das alles war für mich doch etwas überraschend gekommen. Mein Berufswunsch, Musiker zu werden, kam für meine Eltern nicht in Frage : »Schau dir an, welche Möglichkeiten du in Linz hast – du kannst bestenfalls im Theaterorchester spielen, was anderes gibt es bei uns nicht, und mit diesem Honorar kannst du keine Familie durchfüttern. Such dir einen ordentlichen Büroposten, dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«

Als folgsamer Sohn bewarb ich mich um eine Stelle in einer Bank und mir wurde zugesagt, dass ich nach der Matura gleich würde beginnen können.

Dazu kam es aber nicht. Denn noch vor meiner Matura wurde mein Vater von Präses Josef Gegenbauer, dem Leiter des Wiener Kolpinghauses in der Gumpendorfer Straße, während einer Kolpingtagung gefragt : »Du hast doch einen Sohn, der heuer maturiert. Ich suche ab Herbst für mein Kolpinghaus einen Präfekten, der sich um die Lehrlinge, die in meinem Heim wohnen, kümmert. Das wäre doch etwas für deinen Wolfgang. Er könnte die Stelle für Kost und Logis annehmen und gleichzeitig ein Studium absolvieren.«

Als mir mein Vater das erzählte, war ich sofort einverstanden. In Linz gab es damals noch keine Universität. Ich wollte »ein möglichst kurzes« Studium wählen. Jus war mir doch etwas zu trocken und bürokratisch, also entschloss ich mich, einen Abschluss als Diplomkaufmann anzustreben.

Da war ich also nun, nicht mehr im Schoße der Familie, allein auf mich gestellt, in einem Heim mit rund zweihundert fremden Menschen, und für einen Teil von ihnen sollte ich auch Verantwortung übernehmen.

Ich hatte es vor allem in meinem ersten Wiener Jahr nicht leicht, das für mich völlig neue gesellschaftliche Umfeld zu akzeptieren und mich darin zu behaupten. Mir waren an die vierzig Lehrlinge anvertraut, bei denen ich für Ruhe und Ordnung sorgen musste, deren Lernfortschritte ich zu überwachen hatte und überhaupt darauf achten musste, dass sie keine altersadäquaten Dummheiten machten. Die übrigen Hausbewohner standen alle schon im Berufsleben und gingen nicht sehr freundlich mit mir um ; sie sahen in mir den »G’studierten, der gratis im Haus lebt und nur ein bisserl auf die Buam aufpasst«.

Aber da halfen mir meine Begeisterung für Musik und Theater, um in der Hausgemeinschaft der arbeitenden und Geld verdienenden Burschen als gleichberechtigtes Mitglied anerkannt zu werden. Zunächst nahm ich Kontakt zur Kolpingbühne auf, die als Amateurtheater regelmäßig Operetten und Singspiele im stets ausverkauften Theatersaal des Kolpinghauses aufführte. Und als Neueinsteiger war ich erst einmal bei der Herbstaufführungsserie der Operette Die gold’ne Meisterin von Edmund Eysler der technisch versierte Vorhangzieher. Ich machte aber schnell Karriere und bei der Wiederaufnahme im Frühjahr 1955 spielte ich bereits die Rolle des böhmakelnden Gesellen Wenzl. Die Hauptrolle des Christian sang Franz Sibrawa, ein Beamter im Justizministerium, dessen Charakteristikum eine sehr nasal gefärbte Tenorstimme war. Wenn wir Hausbewohner gemütlich beisammensaßen und Präses Gegenbauer gut aufgelegt war, sagte er stets : »Geh, Ortner, sing den Sibrawa!« Und ich näselte zum allgemeinen Gaudium : »Du liiiiebe goooold’ne Meisterin …«

Im Theatersaal stand ein Flügel, den ich in meiner Freizeit gern und laut bespielte. Damals lebten im Haus viele Burschen, die in ihrem Heimatort als Mitglieder der Blaskapelle oder eines Schulorchesters ein Instrument erlernt hatten. Wegen meines Klavierspiels sahen sie mich sofort als Orchesterfachmann und vergatterten mich zum gemeinsamen Musizieren. Einige von ihnen spielten im Theaterorchester mit, aber jetzt wollten sie Tanzmusik machen. Dieser Gedanke wurde von der Kolpingsfamilie dankbar gefördert und so hatten wir beim »Kathreintanz« im November 1955 unseren ersten – selbstverständlich unbezahlten – Auftritt. Das Notenmaterial erhielten wir vom Theaterkapellmeister Walter Windsperger und vor allem von Franz Oswald, der Trompeter im Raimundtheater war und ein eigenes Salonorchester unterhielt. Zu dieser Zeit sandten die Musikverlage laufend gratis Orchesternoten von Neuerscheinungen und Neuarrangements alter Ohrwürmer an aktive Orchesterleiter, damit diese Titel gespielt wurden und die entsprechenden Tantiemen abwarfen. Es gab damals außer durch Druck oder Handschrift keine Möglichkeit, Notenmaterial herzustellen. Damit ja alles unter die Leute kam, verschickten die Verlage oft zweimal oder dreimal die gleichen Arrangements. Und solche Duplikate erhielten wir und probten mit Begeisterung die Schlager dieser Zeit, wie »Ganz Paris träumt von der Liebe«, »La Mer«, »Fascination« usw.

Unsere Besetzung resultierte aus den im Haus wohnenden Musikern, und das waren zwei Saxofonisten, zwei Klarinettisten, zwei Trompeter, zwei Posaunisten – von denen einer Karl Kautsky war, der später beim Niederösterreichischen Tonkünstler-Orchester musizierte –, zwei Geiger, ein Cellist, ein Kontrabassist und ein Gitarrist. Schlagwerker hatten wir keinen im Haus, also setzte ich kurzerhand meinen Zimmerkollegen Ewald hinter die Trommeln, dem ich in einem Blitzlehrgang die erforderlichen Rhythmen beigebracht hatte. Er war dann nach kurzer Zeit der Erste, der von einem nicht im Hause wohnenden Musiker abgelöst wurde, nämlich von Otto Adam, der Konzertmeister im Theaterorchester war und außerdem Schlagwerk spielte.

Das Publikum nahm unsere Musik dankbar an. Es gab jedoch Beschwerden, dass wir zu wenig Walzer, Märsche und Polkas spielen. Ich bekam also vom Vereinsvorstand den offiziellen Auftrag, auf Kosten des Vereins ausreichend Notenmaterial für die sogenannten »runden« Tänze zu kaufen.

Nach dem Debüt unseres Kolpingorchesters beim Kathreintanz kamen im folgenden Jahr durch Mundpropaganda schon die ersten Engagements. So spielten wir zum Beispiel als Quartett auf einem Dentistenkränzchen in Hübners Meierei im Stadtpark.

Ein Problem mussten wir aber gleich zu Beginn unserer Tanzmusikkarriere meistern : Unter welchem Namen sollten wir auftreten? Wir begannen zunächst als KTO, die Abkürzung für »Kolping Tanz Orchester«, was aber von spöttischen Zungen sofort als »Kein Ton in Ordnung« interpretiert wurde. Also nannten wir uns bei Veranstaltungen im Kolpinghaus die »K-Boys«. Wenn wir außer Haus spielten, verwendeten wir dann schon meinen Namen : Wolfgang-Ortner-Quartett usw., je nach Besetzungsgröße.

Im Mai 1956 veranstaltete und dirigierte ich im Kolpingtheatersaal eine musikalische Revue mit dem Titel : Komm mit! Wir wandern in den Frühling! So lautete auch der von mir komponierte Titelsong. Ich hatte die musikalische Leitung über fünf Solisten, Chor und Orchester der Kolpingsfamilie sowie die K-Boys. Regie und Conference, wie damals die Moderation genannte wurde, lagen in den Händen von Peter Bauer, einem Theaternarren und Textilkaufmann, der aber später genug von der Theaterluft hatte, Theologie studierte und Religionslehrer und Diakon wurde.

Auf dem Dentistenkränzchen ( v. l. ) : Wilfried Scheutz, Alfred Fallmann, ich, Wilhelm Kopecky

In der Revue führten wir hauptsächlich unsere eigenen Werke auf : einen Sketch und Texte von Peter Bauer, eingebettet in Musikstücke von mir und Eugen Brixel, dem nachmaligen österreichischen Blasmusikexperten. Unter anderem spielten wir ein Potpourri – heute heißt so etwas Medley – aus der von Peter Bauer getexteten und mir komponierten, jedoch nie aufgeführten Operette Ewiger Dreivierteltakt. Das waren schmissige Titel wie »Sag im Amte niemals Tempo« oder »Drinnen im Schreibtisch wartet die Arbeit«. Peter Bauer war ein österreichischer Büroangestellter! Wir hatten aber auch lyrische Lieder vorgesehen mit Refrains wie »Wenn man im Dreivierteltakt sich selig dreht« oder »Du kamst in mein Leben wie heller Sonnenschein«.

Die K-Boys begleiten Othmar Wicke auf
der »Wanderung in den Frühling«.

Im Kolpinghaus wohnten auch zwei junge Gesangsstudenten, die ich regelmäßig – selbstverständlich gratis – korrepetierte. Othmar Wicke war Bariton und Albert Pfeifhofer Bassbariton. Beide steckten viel Geld in ihre Ausbildung und träumten von der großen Karriere. Im schönen Ehrbar-Saal in der Mühlgasse veranstalteten sie mit mir als Klavierbegleiter einen klassischen Liederabend, den alle Freunde aus dem Kolpinghaus besuchten, aber sonst niemand. Wie das Schicksal so spielt : Wicke bekam einen Job als Elektriker in der Staatsoper und Pfeifhofer wurde Hotelportier im Kaiserhof.

Ich war jedoch nicht nur Liedbegleiter, nein, ich begann mich in dieser Zeit mehr mit meiner und anderer Menschen Stimme im Solo-, Ensemble- und Chorgesang zu beschäftigen, und zwar auf ganz praktische Weise. Aufgrund meiner Lust, Theater zu spielen, und meines musikalischen Ansehens im Kolpinghaus war ich auf der Kolpingbühne die Karriereleiter hochgeklettert und wurde Hauptdarsteller, wobei ich mich mit den oftmals geforderten Tenorhöhen schon plagen musste. Im Jahr 1958 wurde das Singspiel Frühling im Wienerwald von Leo Ascher und die Operette Der Tanz ins Glück von Robert Stolz aufgeführt und in beiden Produktionen waren meine Freundin Elfi Kraus und ich das ideale Operettenliebespaar.

Im selben Jahr brachte mich Elfi zur Chorvereinigung Jung-Wien, die unter der Leitung von Leo Lehner im Musikverein probte und dort auch ihre Büroräume hatte. Dreimal in der Woche wurde geprobt und das gemeinsame halbprofessionelle Singen machte mir viel Freude. Außerdem gab es viele Chorreisen zu Gastkonzerten, die Abwechslung vom Alltag boten. Abgesehen von den Sommerurlauben mit meinen Eltern in Oberösterreich war ich ja noch nicht viel herumgekommen und mit Jung-Wien gab es jedes Jahr eine Auslandstournee, da Leo Lehner mit vielen Chorleitern in Europa bekannt war und sein Chor als Interpret wienerischer Musik immer gern eingeladen wurde.

Doch nicht nur in Wien und im Ausland sang der Chor, sondern auch im niederösterreichischen Ulmerfeld-Hausmening bei einem Ausflug mit Konzerten in Saal und Kirche. Es war ein fröhliches Gemeinschaftserlebnis, zumal wir immer bestens untergebracht und mit reichlich Speis und Trank bewirtet wurden. In Ulmerfeld hatte ich übrigens ziemlichen Krach mit Leo Lehner, weil ich es wagte, als Organist bei der vom Chor gestalteten Sonntagsmesse wegen der Hitze mein Sakko auszuziehen. Der »Bacsi«, wie wir Lehner liebevoll nannten, rügte mich : »Gerade du als Katholik, der in einem katholischen Heim wohnt, führst dich so auf!« Ja, ja, tempora mutantur! Die Zeiten ändern sich!

Leo Lehner war mir aber nicht böse, im Gegenteil, er setzte mich immer häufiger bei den Proben als Korrepetitor ein, und am 13. Dezember 1960 durfte ich sogar den Chor dirigieren. Der Meister war terminlich verhindert und ich musste ihn bei der Weihnachtsfeierstunde der Wiener Pfarrerschaft vertreten. Zwischen unseren Liedern rezitierte Erika Pluhar.

In den 1950er Jahren war auf der Wieden im 4. Bezirk ein von der ÖVP gesponserter Knabenchor mit dem werbewirksamen Namen »Wiener Spatzen« beheimatet, der sich einmal wöchentlich zur Probe traf und seine Auftritte im Wesentlichen als musikalische Umrahmung festlicher Anlässe absolvierte. Vereinspräsident dieses Chors war der bekannte Bigbandleader Johannes Fehring, den man in diese Funktion gebeten hatte, weil sein Sohn im Chor mitsang. Ich weiß heute nicht mehr, über welche Kanäle die Spatzen zu mir flatterten ; jedenfalls übernahm ich die musikalische Leitung und schrieb fast alle Arrangements, meiner Vorliebe gemäß mit Schwerpunkt auf Wiener Musik. So verfasste ich einen für junge Buben passenden Text auf den Lehár-Walzer »Gold und Silber«, auf das Intermezzo aus Tausend und eine Nacht von Johann Strauss und viele Volksliedsätze, vor allem Weihnachtslieder, denn Weihnachtsfeiern waren unser häufigstes Betätigungsfeld. Im Sommer 1957 machten wir eine vom Publikum mit großem Beifall belohnte Österreichtournee, die uns in acht Konzerten von Vorarlberg bis Mariazell führte. Ich hatte aus diesem Anlass für den Chor einen Signation-Song komponiert, mit dem wir jedes Konzert beschlossen :

»Ein Lied aus Wien klingt in die Welt hinaus,

Wiener Spatzen pfeifen es von Haus zu Haus –

und alle Menschen woll’n es hören,

lassen sich gern von ihm betören.«