Autorenkreis Celle

berührt

Geschichten und Gedichte

Books on Demand

Jürgen Paschke / Ursula Beecken / Dagmar Westphal :

berührt

Herausgegeben vom Autorenkreis Celle
KulTour, Celle · November 2011

Titelfoto: Jürgen Nießen / pixelio.de
Texterfassung: Ursula Beecken, Dagmar Westphal
Gesamtgestaltung: Jürgen Paschke

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783848281459

Inhalt

Vorwort

Vom Dichten

Von Erde und Himmel

Von Menschen und Tieren

Von Trauer und Schmerz

Von alter und neuer Heimat

Von der Liebe

Autorenverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Autorenkreise

Es gibt Menschen, deren

einmalige Berührung mit uns

für immer den Stachel in uns zurücklässt,

ihrer Achtung und Freundschaft wert

zu bleiben.

Christian Morgenstern, Stufen

Wer mich berührt, kommt mir nah, erreicht mich, geht mir unter die Haut. Aufmerksam nehme ich wahr, höre zu und beginne zu erkennen. Worte, die in uns zu Bildern werden, wecken Fantasie und Träume …

Das wollen auch die Gedichte und Geschichten in diesem kleinen Buch. Von ihnen berührt kann ich hören und sehen, mitfühlen und schmunzeln, träumen und staunen. Oder ich widerspreche, und ein anregendes Zwiegespräch beginnt.

Von Himmel und Erde, Menschen und Tieren ist die Rede, von Trauer und Schmerz, alter und neuer Heimat – und von der Liebe. Auch ihre Schwestern betreten die Bühne: Glück und Sehnsucht, Beten und Hoffen, Kraft und Mut.

Was mich berührt, bleibt. Es freut mich, „sticht“ vielleicht. Es erinnert mich, weckt Gefühle und bewegt.

Wer seine Welten wahrnimmt, wird Tag für Tag tausendmal berührt. Was aber ist wirklich neu? Was beglückt mich? Was ist wesentlich, und was trägt?

Viel Vergnügen beim Lesen und Hinschauen, beim Nach-Denken und Weiterträumen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie das Buch berührt.

Celle, November 2011     Jürgen Paschke

Ursula Beecken

Vom Dichten

In Schwärmen schießen sie vorbei

im Strom der Bilder und Gedanken

Fische

blass und ohne Nährwert

lass sie ziehen

Da schaut mich einer an

nimmt seinen Blick nicht fort

ich locke ihn

in meine Reuse

Nun heißt es

füttern

warten

warten

ob er das Futter nimmt

am Leben bleibt und

wächst

bis er sein Wesen zeigt

in Form

in Farbe und Gewicht

dann hebe ich ihn

auf Papier

bereite

ihn sorgsam zu

und tische auf

für mich

und meine Gäste

Von Erde und Himmel

DER HIMMEL
SPIEGELT SICH AUF
ERDEN
NICHT NUR IN PFÜTZEN

Jürgen Paschke

Sybille Labischinski

Begegnung

Dunkel, feucht und ungemütlich ist es, ein Wetter, bei dem man den Mantelkragen hochzieht und die Hände tiefer in die Taschen vergräbt, um die Körperwärme zu nutzen und so wenig wie möglich an den nasskalten Winternachmittag zu verlieren. Es ist der 24. Dezember, Weihnachtsabend, und ein Taxi zu finden scheint unmöglich.

An der Ecke unter der Laterne steht noch jemand, der auf einen Wagen wartet. „Vielleicht kann man sich zusammen tun“, denkt Herr Berger und geht auf den Fremden zu. „Guten Abend. Schreckliches Wetter, nicht?“ Freundlich lächelt er den Mann an. „Und das am Weihnachtsabend! Suchen Sie auch ein Taxi?“

Der Fremde nickt, macht aber keine Anstalten zu antworten. Er geht einen Schritt zur Seite, heraus aus dem Lichtkegel der Straßenlaterne, als suche er Schutz im Dunkeln. Berger lässt sich nicht beirren. „Ja, ja, Weihnachten. Ein Fest, das man im Kreise der Familie feiern sollte. Das Fest der Liebe!“

Diesmal antwortet der andere und es klingt spöttisch, fast anklagend: „Ein Fest der Liebe? Es reicht also, die Liebe auf dieses Fest zu beschränken? Vielleicht ist deshalb so wenig Liebe in der Welt? Mehr als für diesen Tag braucht man nicht!“

Berger ist irritiert. „Also wirklich, so dürfen Sie das nicht sehen“, sagt er. „So ist das nicht gemeint!“ Doch dann vermittelt er: „Sie brauchen nicht zu antworten, wenn es Ihnen unangenehm ist.“ Fast hätte er dem Mann die Hand auf die Schulter gelegt. „Oh je, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, was müssen Sie von mir denken!“ Er tippt an den Hutrand und deutet eine Verbeugung an. „Berger mein Name, Heinz Berger.“

Der Fremde blickt ihm in die Augen. Dann, als hätte er entschieden, dass der andere ungefährlich sei, sagt er: „Stern heißeich. Und ich denke, Sie irren sich. Auch ich glaube an Gott. Daran haben Sie doch eben gezweifelt, nicht wahr? Aber Sie haben recht, es gibt da einen Unterschied zwischen uns. Ich feiere kein Weihnachtsfest. Ich bin Jude.“

Er stampft mit den Beinen auf der dünnen Schneeschicht herum, um die kalten Füße in den für dieses Wetter viel zu eleganten Lederschuhen in Bewegung zu bringen. Berger ist verlegen. „Oh, entschuldigen Sie bitte, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“

Herr Stern ist ein kleiner Mann mit dunklen Haaren. Über sein Gesicht huscht ein versöhnliches Lächeln, das um die Augen kleine Fältchen wie Sonnenstrahlen aufblitzen lässt. „Ist schon in Ordnung.“ Er kommt wieder zurück in den Lampenkegel und wedelt dabei mit den Händen, um seine Worte zu unterstreichen. „Wir feiern heute Chanukka. Es fällt dieses Jahr auf den 24.! Leider bin ich nicht mehr rechtzeitig nach Hause gekommen, genau wie Sie.“ Er blinzelt im grellen Licht, als seien seine Augen an das Tragen einer Brille gewöhnt.

„Und was ist Chanukka?“ fragt Berger. „Chanukka ist das Lichterfest, ein Fest der Freude!“ Stern zieht die Schultern hoch und hebt die Hände. Seine Augen blicken über Berger hinweg, als würde er in der Dunkelheit etwas Wunderbares sehen. „Als ich noch ein Kind war, bekamen wir Geschenke. Vater ging mit uns in die Synagoge und dort regnete es von der Empore Bonbons. Sie können sich vorstellen, dass wir begeistert waren.“ Seine Augen leuchten und auch jetzt noch wirkt sein Eifer ansteckend.

Um sich warm zu halten, beginnen die beiden Männer auf und ab zu gehen. „Wir feiern an Chanukka die Befreiung und erneute Einweihung des Tempels durch die Makkabäer“, sagt Stern. „Wenn wir früher aus der Synagoge wieder nach Hause kamen, zündete die Mutter das erste Licht an und dann jeden Tag ein neues, acht Tage lang.“

„Lichterfest – das hört sich an wie ...“ Berger zupft nachdenklich an seinem linken Ohrläppchen. „ ... wie Weihnachten, Fest der Freude, Anzünden der Lichter am Baum.“

„Nein, nicht am Baum.“ Stern lacht und schüttelt den Kopf . „Acht Tage lang wird jeden Abend am Chanukkaleuchter ein Licht angezündet. Es gibt da noch einen kleinen Arm in der Mitte, den Diener, sagte meine Mutter immer. Mit ihm zündete sie die anderen Kerzen an.“
Er seufzt. „Es ist ein schönes Fest, besonders für die Kinder. Im ganzen Haus duftete es nach Herrlichkeiten, nach Festtagsessen und Kuchen“, schwärmt er.

Die Männer schnuppern mit den Nasen in die kalte Winterluft und erinnern sich an die verheißungsvollen Düfte der Kindheit. „Wir werden noch ganz sentimental.“ Berger klingt sehnsuchtsvoll. „Wissen Sie, trotz der Unterschiede scheinen unsere Feste viel gemeinsam zu haben. Für uns Christen ist aber am wichtigsten, dass wir Weihnachten die Geburt des Messias feiern.“ „Ich weiß“, sagt Stern, „ich verstehe es nur nicht. Wie könnt ihr die Ankunft des Meschiach feiern? Wie könnt ihr glauben, er sei schon da, obwohl doch immer noch das Böse in der Welt ist?“

Jetzt ist Berger wieder verwirrt. „Jesus hat uns erlöst“ sagt er und sieht Stern an. „Er hat alle Schuld für uns auf sich genommen.“ Es klingt auswendig gelernt und vorgetragen.

„Ist das so? Ich habe gelernt, dass alle Menschen den Shabat einhalten und sich wie Brüder begegnen müssen, dann erst können wir erlöst werden.“ „Gut, aber Brüder streiten sich auch oft. Ich weiß das, ich habe drei Brüder und zwei Schwestern.“ „Sicher, streiten werden Menschen immer. Das ist nun mal so.“

Lichter kommen die Straße herauf. „Taxi, Taxi!“ schreien beide wie auf Kommando und fuchteln mit den Armen. Ein Wagen hält und sie schauen sich an. „Wohin soll’s gehen?“ brummt der Fahrer. Die beiden Männer steigen ein und nennen das Fahrtziel. Dann zieht Stern seine Brieftasche heraus und holt eine Visitenkarte hervor. „S. Stern“ sagt er, „S. bedeutet Samuel.“ Auch Berger kramt nach seiner Karte. „Sehen Sie“, sagt er, „wir wohnen nicht weit voneinander entfernt.“

Der Wagen hält. Berger steigt aus und beugt sich noch mal in die offene Tür. „Ich wünsche fröhliche ... ein schönes Fest.“ Stern nickt. „Ihnen auch, chag sameach, frohes Fest.“ Er zwinkert Berger zu. „Der Meschiach wird kommen, vielleicht schon bald!“

Dagmar Westphal

Das Lied der Erde

Sing mit mir das Lied der Erde

Trink mit mir vom Sternenhimmel

Steig hinab zum Kern der Dinge

Schweig mit mir die leisen Worte.

Steig hinauf zum Sternenhimmel

Sing mit mir die leisen Worte

Trink mit mir das Lied der Erde

Schweige mit vom Kern der Dinge.

Sing mit mir vom Sternenhimmel

Steige ein in leise Worte

Schweig mit mir vom Lied der Erde

Trink mit mir vom Kern der Dinge.

Steige ein ins Lied der Erde

Singe mit vom Kern der Dinge

trinke mit die leisen Worte

Schweige unterm Sternenhimmel.

Dagmar Westphal

Dann ist Sommer

wenn der schnittlauch sprießt