Zu diesem Buch

Kennen Sie Tull Harder vom HSV, den vielleicht besten Stürmer aller Zeiten? Oder die unglaubliche Geschichte vom blauen Armband von Darmstadt 98? Oder den denkwürdigen Eklat um die Wahl von Bayerns Winkelhofer zum Torschützen des Monats? Einmalig war auch der Elfmeterpfiff beim St.-Pauli-Aufstieg, der ein Abpfiff wurde. Wissen Sie, welches Land als einziges noch nie gegen Brasilien verloren hat? Oder dass ein deutscher Klub tatsächlich auf die Deutsche Meisterschaft verzichtet hat? Kennen Sie die erstaunliche Geschichte vom Fußball-Spiel, das einen echten Krieg ausgelöst hat? Oder dass ein Bundesliga-Schiedsrichter nach 32 Minuten zur Halbzeit pfiff? Nein? Dann sollten Sie sich dieses kleine Fußball-Büchlein mit elf unfassbaren Fußball-Geschichten nicht entgehen lassen…

Bibliografische Information:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

August 2015

© 2015 Rüdiger Fröhlich/Jörn Hinrichsen/Christina Kühnel

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

Umschlaggestaltung: Jörn Hinrichsen

Hintergrundbild: Peter Smola / pixelio.de

Printed in Germany ISBN 978-3-7392-5634-4

Inhaltsverzeichnis

  1. Aus Stolz auf die Deutsche Meisterschaft verzichtet
  2. Der Fußballkrieg
  3. Ein Land hat noch nie gegen Brasilien verloren
  4. Der Elfmeter, der ein Abpfiff wurde
  5. Dieser Mann stand für zwei Nationen im WM-Finale
  6. Die dunkle Seite des vielleicht besten Mittelstürmers aller Zeiten
  7. Gerd Müller ist nicht der Nationalspieler mit der besten Torquote
  8. Der unglaublichste Bundesliga-Aufstieg aller Zeiten
  9. Die Tragik des österreichischen Wunderfußballers
  10. Tabubruch bei der ARD erzürnt den FC BayernMünchen
  11. Schiri pfeift nach 32 Minuten zur Halbzeit – „Wir sind Männer und trinken keine Fanta“

Aus Stolz auf die Deutsche Meisterschaft verzichtet

Von Rüdiger Fröhlich

Es waren unzweifelhaft die spannendsten, längsten und härtesten Endspiele um die Deutsche Meisterschaft aller Zeiten – die beiden legendären Finals zwischen dem 1. FC Nürnberg und dem Hamburger SV im Jahre 1922. Der HSV stand erstmals im Endspiel. Sechs Sonderzüge mussten eingesetzt werden, um die HSV-Fans nach Berlin zu bringen. Rückblende: Berlin, 18. Juni, 30.000 Zuschauer im Berliner Grunewaldstadion. Die Luft drückt bei 27 Grad, nachdem es kurz vor dem Anpfiff um 17 Uhr aufgehört hatte zu regnen. Der Titelverteidiger aus Franken, technisch einmalig beschlagen mit seinem grandiosen Torhüter Stuhlfauth und den kleinen Stürmern Träg, Böß und Popp auf der einen Seite, die robusten, kämpferischen Hamburger mit ihrem wuchtigen Stürmer Tull Harder auf der anderen Seite. 1:0 geht der HSV in Führung, Torschütze ist der Teenager Hans Rave. Ein Affront gegen die technisch überlegenen Nürnberger. Träg schnappt sich direkt nach Wiederanpfiff den Ball, marschiert durch die gesamte HSV-Abwehr und gleicht postwendend aus drei Metern aus. Schon wenige Minuten später fällt das 1:2 durch Popp. Ein weiterer Nürnberger Treffer, bei dem Träg den Hamburger Torwart Martens samt Ball über die Torlinie rannte, wurde von Schiedsrichter Dr. Peco Bauwens nicht anerkannt. Erst fünf Minuten vor dem Abpfiff gelingt dem HSV noch der Ausgleich. Flohr markiert für den Hamburger SV das 2:2. Die Verlängerung lässt das Spiel noch härter und verbissener werden. 19 Mal tragen Sanitäter bei dem Endspiel in Berlin verletzte oder entkräftete Spieler vom Platz, vier bis fünf Zähne bleiben auf dem Platz, ehe Schiedsrichter Dr. Bauwens nach fast vier Stunden tief in der Verlängerung beim Stand von 2:2 die Kräfte schwinden. Er war ausgelaugt, völlig erschöpft. Die Spieler beider Mannschaften wollten weitermachen. Die einbrechende Dunkelheit ließ ein Weiterspielen jedoch auch nicht zu. Kein Deutscher Meister, es gab nur einen Ausweg: Ein Wiederholungsspiel wurde vom DFB angesetzt.

Bert Merz und Ludwig Dotzert schreiben in ihrem Buch »Meister auf dem grünen Rasen« (Lampert Verlag, 1962):

»Die Endspiele des Jahres 1922 – sie sind von der Erinnerung vergrämt und in den Chroniken verschönt und umflort worden mit romantischem Beiwerk. Es waren in Wirklichkeit Spiele, die, jedes für sich, zu Schlachten ausarteten. Es gab böse Fouls auf beiden Seiten. Nur Männer konnten diese beiden Rosskuren überstehen.«

Das zweite Finale in Leipzig am 6. August 1922 fand eine Resonanz wie bis dato kein zweites Fußballspiel in Deutschland. Der Platz des VfB fasste 40.000 Zuschauer, 60.000 waren aber da, um das einmalige Kräftemessen mitzuerleben. Sonderzüge aus allen Teilen Deutschlands trafen ein. Diesmal griff Schiedsrichter Dr. Bauwens bei dem erneut extrem umkämpften Match jedoch härter durch. Nach 30 Minuten wurde Nürnbergs Mittelstürmer Böß, dem der Gaul durchgegangen war, vom Platz gestellt.

Trotzdem geht der Club in Unterzahl spielend in der 48. Minute durch Träg in Führung. Schneider gleicht in der 69. Minute für den HSV aus. Kurz danach fliegt Nürnbergs Kugler vom Platz, der im ersten Finale die Zähne verloren hatte. Dennoch rettet sich der Club in die Verlängerung. In der 100. Spielminute verweist Bauwens dann auch noch Nürnbergs Träg nach üblem Foul an seinem Gegenspieler Beier vom Feld. Elf Hamburger und acht Nürnberger stehen noch auf dem Platz. Nach unglaublichen vier Stunden Spielzeit und 54 Minuten bricht Nationalspieler Popp vom Club völlig entkräftet zusammen. Bauwens bricht das zweite Endspiel beim Stand von 1:1 ab, da Nürnberg nur noch sieben Spieler auf dem Feld hat.

Medien titelten über die legendären Spiele zwischen dem HSV und dem Club »Das längste Endspiel der Geschichte: Ein Schlachten war’s«, »Die Endspiel-Dramen 1922«, »Das ewige Endspiel « oder »Das unendliche Endspiel“.

Auf dem DFB-Bundestag zu Jena wurde dann gemäß § 111 Abs. 4 der DFB-Satzung die Entscheidung getroffen, den Hamburger SV zum Meister zu küren, weil der Club "durch das unsportliche Verhalten zweier seiner Mitglieder, das dann deren Ausschließung zur Folge hatte, den Abbruch selbst verschuldete". Doch der HSV verzichtete auf den Titel. Die Sympathien der Fußballfans aus ganz Deutschland flogen ihm zu. In den Statistiken wird für das Jahr 1922 zwar kein Deutscher Meister geführt. Irgendwie gibt es den gefühlten Meister 1922 aber doch, und zwar gleich zwei Mal: Auf der damaligen Meisterschale, der Viktoria, wurden nämlich der HSV und Nürnberg eingraviert.

Statistik:

Finale, 18. Juni 1922 im Berliner Grunewaldstadion

HSV: