Zur Autorin:

Ballast abwerfen. Zu neuen Ufern aufbrechen. Zeit haben. Reisen.

Die Autorin und ihr Ehemann wagten es und tauschten ihren festen Wohnsitz gegen ein Nomadenleben. Sechs Jahre lang waren sie mit ihrem Reisemobil in Europa und Nordafrika unterwegs. Die Straße war ihr Zuhause. Heute leben sie in Idstein im Taunus, sind aber immer noch die meiste Zeit unterwegs.

Man merkt es den stimmungsvollen Berichten an, dass Patricia Bastian-Geib das Reisen liebt und sich Neugier und Offenheit bewahrt hat. Schon immer wollte sie wissen, wie es "woanders" ist. Ihre Reiseeindrücke verarbeitet die Autorin in Erzählungen und in Multivisionsschauen, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann gestaltet und präsentiert.

Mehr über ihren Ausstieg auf Zeit und ihre Reisen erfahren Sie unter www.zweiaufachse.de

Dort gibt es auch weitere Leseproben.

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Impressum

Patricia Bastian-Geib

Kaltes Land unter heißer Sonne, Teil 2

pit.pat@t-online.de

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7386-9023-1

Vorwort

Reiseabstinenz – 16 Monate lang. Nach 6 Jahren des fast ununterbrochenen Unterwegsseins. Ein Gefühl der Sattheit hatte sich in uns breit gemacht. Das Staunen war uns abhanden gekommen. Also scheint jetzt die Aussicht auf Terrassenidylle und auf das Glück des Alltäglichen verlockend. Wie schön ist es doch, wieder da zu leben, wo wir uns sicher fühlen. Wo wir die Sprache verstehen. Wo es keine apokalyptisch stinkenden Müllhalden und keine barfüßigen Kinder bei -7° gibt. Wo kein Alkoholkranker halluzinierend im Vorgarten liegt. Familienleben, Austausch mit Freunden, das Gefühl dazu zu gehören. Kino, Theater. All die Dinge genießen, die beim Reisen zu kurz kommen. Die man glaubt, zu vermissen. Nach ein paar Monaten keimen bereits die ersten Zweifel: Haben wir manche Annehmlichkeit und Gewohnheit in der Erinnerung verklärt? Sind sie uns in Wahrheit gar nicht so wichtig? Und dann ist es plötzlich wieder da, das Fernweh. Zuerst nur als glückliche Erinnerung an frühere Reisen, dann als Ideensammlung für mögliche Ziele, schließlich als konkrete Planung. Irgendwann spüren wir, es ist Zeit, uns auf den Weg zu machen, denn das, was wir noch vor ein paar Wochen genossen haben, empfinden wir jetzt als Last und Routine.

Maroc Oriental

Das ursprüngliche, unverfälschte Marokko soll man im Osten des Landes, an der Grenze zu Algerien, finden. Das verspricht zumindest der Reiseführer. Einsam, karg und strapaziös, aber unvergesslich, heißt es weiter. Zwar sind die Straßen zwischenzeitlich wohl recht gut ausgebaut, aber auf touristische Infrastruktur wird man nur selten stoßen. Vor allem das Fehlen von Campingplätzen könnte eine Herausforderung bedeuten: Werden wir freie Stellplätze finden, auf denen wir uns auch sicher fühlen? In Grenznähe zu Algerien kommt es immer mal wieder zu Übergriffen auf Touristen, warnt das Auswärtige Amt auf seiner Website. Aber das betrifft wohl nur Reisende, die offroad in der Wüste unterwegs sind.

Den Hafen in Almeria finden wir sofort, auch der Ticketkauf ist in wenigen Minuten erledigt. Keine unübersichtliche Zufahrten oder lange Warteschlangen vor den Schaltern. Keine Massen an Marokkanern auf Besuchsfahrt in die Heimat und erst recht keine Invasion von Wohnmobilen wie in Algeciras. Nur einige PKW und Kleintransporter warten auf die Überfahrt. Dunkel gekleidete Männer stehen um ihre Autos herum und halten ein Schwätzchen. Nur einer trägt die traditionelle Djellaba. Wieder fällt mir auf, dass marokkanische Männer sehr freundlich, ja fast schon liebevoll miteinander umgehen: Häufiges Lächeln und Berühren, interessiertes Zuhören.

Die See ist ruhig, die Fahrt langweilig. Wir sitzen in der Nähe der Kinderspielecke. Ein Papa kommt mit Tochter und Sohn häufiger vorbei. Geduldig und zärtlich geht er mit den Kleinen um. Zuerst klettert das Mädchen geschickt über das gepolsterte Geländer, um dann seinem jüngeren Bruder zu helfen. Der ist ein ruhiges, sonniges Kerlchen mit Strahleaugen. Immer, wenn der kleine Bursche etwas nicht kann, eilt die Schwester herbei. Wie eine kleine Mama schleppt sie den Bruder herum, hilft ihm über die Sprossenleiter, ermuntert ihn zu rutschen, erklärt ihm dies und zeigt ihm das. All dies lese ich aus der Situation und den Gesten, denn die Familie spricht arabisch. Irgendwann gesellt sich ein weiteres Kind dazu. Nun dreht das Mädchen richtig auf. Der fremde Junge soll Torero spielen, die Göre selbst ist der Stier. Laut brummend stampft sie mit den Füssen. „Toro, Toro!“, ruft der Bub und schwingt eine imaginäre Muleta. Interessanterweise sprechen die beiden Kinder untereinander spanisch.

Ankunft in Beni-Enzar, direkt neben dem Hafen der spanischen Enklave Melilla. Die Einreiseformalitäten sind in einer knappen Stunde erledigt. Vor dem Verlassen des Städtchens noch schnell den Internetstick in einem Telefonshop aufladen und eine prepaid SIM-Karte für Marokko besorgen - alles läuft wie am Schnürchen. Die weltweit vernetzte Kommunikation wird immer einfacher und perfekter. Noch vor sieben Jahren verbrachten wir manchmal den halben Tag mit der Suche nach einem Internet-Café, um es schließlich in einem zwielichtigen Hinterhof zu finden und festzustellen, dass keine Anschlüsse für den mitgebrachten Laptop vorhanden waren. Dafür kam man aber mit der freundlichen Angestellten ins Gespräch, konnte Kindern zuschauen, die sich von einem brutalen Ballerspiel hypnotisieren ließen oder eine Frau in mittleren Jahren beim Tippen von Bewerbungen beobachten. Heute erledigt man seine Korrespondenz bequem und isoliert im Reisemobil. Zügig lassen wir Nador, eine große, gesichtslose Stadt, hinter uns. Kurios ist ihre hohe Mercedesdichte. Sogar in Deutschland soll es keine Stadt geben, die Nador in dieser Hinsicht übertrifft. Wahre Oldtimer-Schätzchen kann man hier entdecken. Noch vor Sonnenuntergang erreichen wir schließlich das hübsch an einem schönen Strand gelegene Ferienörtchen Arkmene. Der Campingplatz ist geschlossen, so stellen wir uns auf den Parkplatz gegenüber der Polizeiwache. Eine halbe Stunde später klopft ein Polizeibeamter an unsere Tür. Die Station gegenüber sei die ganze Nacht besetzt, wir sollten rüber kommen, wenn wir etwas bräuchten. Ein guter Anfang!

Nach einer ruhigen Nacht fahren wir erst spät am nächsten Morgen weiter. Vorbei an Feldern und Gärten. Ein Arbeiter pflügt gerade einen Acker mit Hilfe eines Esels, ein anderer mit einem uralten Traktor. Um den Pflug zu beschweren, hat sich ein junger Bursche darauf niedergelassen und wird kräftig durchgerüttelt. Es scheint ihm aber Spaß zu machen, denn er lacht und winkt uns ausgelassen zu. Am Straßenrand sind Berge von Oliven zum Verkauf aufgehäuft. Auch Olivenöl wird angeboten, das wir aber nicht kaufen. Wir misstrauen der Qualität. Hinterher bezeichnen wir uns selbst als etwas kleinkariert. Was wäre schon passiert, hätten wir wenigstens einen Liter davon gekauft? Falls es tatsächlich mit billigem Öl gestreckt wäre, wie man hin und wieder hört, hätten wir es zum Braten verwenden können. Da haben wir uns wieder mal wie typische Touristen verhalten, die immer in der Angst leben, übers Ohr gehauen zu werden.

In sanften Schwüngen führt die gut ausgebaute Straße immer entlang der Küste hinein in die Kebdane Berge. Olivenbäume, vereinzelt Häuser, rotbraun oder weiß. Tiefe Gräben in der Landschaft und Furchen in den Feldern lassen die Wassermassen erahnen, die sich von Zeit zu Zeit ihren Weg bahnen. Die Islas Chafarinas liegt malerisch im hellblauen Meeresdunst. Das Inselchen ist immer noch in spanischem Besitz. Hier soll wegen der Seevogelkolonien und deren Nistplätze ein Naturpark eingerichtet werden. In Ras el ma am Cap de l´eau decken wir uns mit einer Flasche Butangas ein und sind nun für das kalte Hochplateau, der Meseta, gerüstet. Auf einem Markt kaufen wir Brot, Obst und Gemüse und trinken in einem kleinen Cafe unseren ersten Minztee dieser Saison. Leider ist keine Minze drin, stellen wir kichernd fest. Den ganzen Tag albern wir herum: „Soll ich heute Abend eine Kartoffelsuppe ohne Kartoffeln machen?“ „Och nöö, lieber eine Erbsensuppe ohne Erbsen“, entgegnet Peter. In dem Ferienort reiht sich ein Restaurant ans andere und alle sind geöffnet. Wir fragen uns: Für wen? So viele Leute wohnen hier doch gar nicht. Marokkanische Touristen halten jetzt Winterschlaf und ausländische Reisende sind uns noch keine begegnet. Dabei könnte es ein traumhafter Urlaubsort sein: Endloser Strand und malerische Dünen, nette Cafés und Restaurants, kilometerlange Promenaden und das eine oder andere Hotel. Leider aber auch hier: Müll, Müll, Müll. Weiter geht es Richtung Saidia, immer entlang der Küste, durch eine grüne Landschaft. Felder, weidende Schafe, meist gehütet von Schäferinnen. Über den Fluss Mourouya, der einst die Grenze bildete zwischen dem französischen und spanischen Protektorat. Er sorgt für die Bewässerung der Felder und wird in seinem weiteren südwestlichen Verlauf gestaut. Vor Saidia stereotype menschenleere Feriensiedlungen, kilometerlang. Wie wir lesen, mit Hilfe spanischer Investoren finanziert. Man fragt sich, wie sich diese Masse an touristischer Infrastruktur rechnen soll. Etliche Bauruinen lassen Fehleinschätzungen erahnen. Direkt neben den allmählich verrottenden Rohbauten wird schon wieder fleißig an neuen Baustellen gearbeitet. In den Feuchtgebieten zwischen den Häuserreihen staksen Flamingos. Grüppchen von Frauen schlafen auf den Bürgersteigen. Warum? Und warum hier? Für wohlhabende in- und ausländische Touristen soll es einen Yachthafen, mehrere Golfplätze und komfortable Hotels geben. Wir irren durch das Gewirr an Straßen, müssen mehrmals umkehren, weil Baustellen die Durchfahrt verhindern. So bleibt uns diese Ferienvorstadt in etwas bizarrer Erinnerung und hat eine Menge Fragen aufgeworfen, auf die wir leider keine Antwort finden. Die Stadt Saidia selbst liegt direkt an der algerischen Grenze. Seit 1975 waren die Grenzen zwischen Algerien und Marokko nur selten offen. Gründe dafür sind fortwährende Spannungen aufgrund des ungeklärten Grenzverlaufs sowie die Angst Marokkos vor islamistischer Infiltration. Auf einer Düne stehen zwei Wachtürme, besetzt mit jeweils 2-3 Posten. Direkt darunter haben wir uns für die Nacht eingerichtet. „Sicherer kann man doch nicht stehen, oder?“ meint Peter. Wir machen einen ausgiebigen Spaziergang am wirklich schönen, breiten und sehr sauberen Strand. Auf dem Rückweg schlendern wir entlang der endlosen, gepflegten Promenade mit unzähligen Cafés und Restaurants, die vor allem Pizza und Sandwiches anbieten. Tajine sucht man vergeblich in deren Angebot. Wie überall essen auch hier die jungen Leute gern Pizza. Der Siegeszug dieses einfachen, italienischen Gerichtes überrascht uns immer wieder. Mit Hamburgern verhält es sich zwar ähnlich, doch hier verwundert die Entwicklung weniger, da die Budgets von Multis es erlauben, mit groß angelegten Werbefeldzügen die Verbraucher zu verlocken.

Am Abend, ich dünste gerade Zwiebeln für die Erbsensuppe (mit Erbsen), klopft es an der Fahrzeugtür. Peter greift zum Pfefferspray bevor er öffnet. Ein Sicherheitsbeamter entschuldigt sich höflich für die Störung und bittet uns auf einen Parkplatz im Zentrum umzuziehen. Hier sei es wegen der direkten Nähe zur Grenze nicht sicher. Dabei beteuert er mehrfach, dass er die Unannehmlichkeiten bedaure. Um mehr Einblicke in die Probleme Marokkos zu bekommen, würden wir ihn gern fragen, welche Gefahren denn zu befürchten seien. Aber leider reichen unsere Sprachkenntnisse nicht aus, um diese Frage zu stellen und schon gar nicht, um eine komplexe Antwort zu verstehen. So bleibt uns nur, ihm zu danken und seinem Rat zu folgen. Ich halte den Kochtopf fest und Peter lenkt vorsichtig zu einem der zahlreichen Parkplätze an der Promenade.

Auf vierspuriger Straße geht es am nächsten Tag weiter, immer entlang der Grenze. Auf beiden Seiten Grenzposten, die auf grünen Hügeln thronen. Zahlreiche Polizeikontrollen, die uns aber immer durchwinken. In Ahfir nehmen wir die falsche Kreiselausfahrt und landen mitten im Gassengewirr der Stadt. Drei junge Burschen lachen uns freundlich entgegen und machen uns gestikulierend klar, wir müssten wenden. Wieder einmal denke ich: Die Fröhlichkeit der Marokkaner ist ansteckend. Man fühlt sich leichter, entspannter. Endlich sind wir wieder auf der richtigen Route. Keramikstände mit bunter Töpferware säumen die Straße. An einem machen wir Halt, um eine Tajine zu kaufen. Freundlich lächelt uns der alte Verkäufer zu und zeigt dabei seinen letzten verbliebenen Vorderzahn. Nach dem Kauf winkt er uns in einen Nebenraum und bietet uns dort ein Glas Tee an. Auf einem Kartuschenkocher köchelt der Tee, auf einem anderen ein Süppchen. Viel gibt es nicht in der Wohnstatt: Einen kleinen Tisch, einen Stuhl und ein Bett, das blaue Bettzeug tunnelförmig zusammengeschoben, als sei der Alte gerade erst vorsichtig herausgekrochen.

Kurz vor Oujda, mitten in der Landschaft, steht ein futuristisches Flughafengebäude mit einer kühnen Dachkonstruktion. Auch im Stadtzentrum: Moderne, repräsentative Gebäude und gepflegte Boulevards. Oujda ist Verkehrs- und Verwaltungsmittelpunkt für Ostmarokko und Zentrum für den Handel zwischen Marokko und Algerien, aber auch Schmugglerzentrum. Die Grenzen im Maghreb wurden politisch festgelegt, ohne Berücksichtigung der ethnischen Zugehörigkeit. So wird zum Beispiel in Oujda überwiegend das algerische Arabisch gesprochen. Die Angaben über die Einwohnerzahl schwanken zwischen 400.000 bis 900.000 je nach Reiseführer. Auf jeden Fall ist es eine riesige Stadt, die sich wie Lava über die Ebene ausbreitet. Jenseits der schnieken Avenues und modernen Verwaltungspaläste, dort, wo die Menschen leben, sind die Gebäude und Straßen nicht mehr herausgeputzt. Auf den freien Plätzen zwischen den Häusern scheinen die Plastiktüten aus der Erde zu wachsen. In Oujda soll es keine lästigen Händler geben, steht im Reiseführer. Wir können das nicht überprüfen, denn wir fahren zügig weiter. In verschiedenen Blautönen gestaffelt zeichnet sich die Gebirgssilhouette im Nachmittagsdunst ab. Sanft und stetig steigt die Straße an. Kohlegeruch liegt in der Luft, sobald wir uns Jerada nähern. Hier befindet sich das bedeutendste Kohlebergwerk Marokkos. Auch Bleiund Zinkgruben gibt es in der Umgebung. Jenseits hoher Mauern hat man Berge von Kohle aufgeschüttet und uralte Arbeitsgeräte abgestellt. Hinter Jerada wird es allmählich karger. Unter einer hellen Dunstschicht liegt eine riesige Ebene vor uns. Im ersten Moment glaubt man, über die endlose Weite eines Ozeans zu blicken. Später erheben sich daraus Bergketten, die die Form nordfriesischer Deiche haben. Nur so saftig grün sind sie nicht, sondern braun und karg. Geröll, dazwischen Felder, einzelne Eukalyptusbäume, Schafe. Eine eintönige Steppenlandschaft. Und doch gerade in ihrer Monotonie so schön. Ich fühle, wie sich innere Ruhe in mir ausbreitet, wie die Stille in meine Haut, Adern und Organe sickert. Kurz vor Ain Benimathar finden wir ein schönes Übernachtungsplätzchen an einem kleinen Gebetshaus und einem Wasserbecken mit Quelle. Etwas unterhalb fließt der Fluss Ze, der wie ein munteres Bächlein dahinfließt. Im Reiseführer ist die Rede von Wassermassen, die sich in Kaskaden ergießen. Von Jahr zu Jahr verschlimmert sich die Wasserknappheit. Das ist gerade für Nomaden