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Werner Götz

Von Cusco nach Manaus

Unterwegs in Peru, Bolivien und Brasilien

Das Reisetagebuch einer Expedition, ausgehend von Cusco in den peruanischen Anden durch das Tiefland des Amazonas in Peru und Bolivien bis zum Ziel, der Dschungelmetropole Manaus in Brasilien.

Mit 64 Abbildungen und 180 Seiten.

Inhalt

Prolog

Die Geräuschkulisse ist beeindruckend. Zahlreiche Aras, Amazonen und Sittiche befinden sich in den Bäumen über der Lehmwand. Sie flattern durch die Gegend, machen einen enormen Lärm, streiten oder schmusen miteinander. Häufig treten sie paarweise auf. Salzlecken wie hier in Blanquillo sind ideale Stellen, um Papageie aus sicherer Distanz zu beobachten...

Religiöse Zeremonien bringen sie zu ihren Ahnen, heilen Krankheiten, ermöglichen einen Blick in die Zukunft. Das Mittel der Wahl: Ayahuasca. Der Gebrauch ist im ganzen Amazonasbecken und in den Anden verbreitet. In Brasilien gibt es religiöse Gemeinschaften, die die Droge als Sakrament in einem Gottesdienst einnehmen…

Vier der Dragas sind aneinander gekoppelt. Wir dürfen an Bord, uns die Anlagen der Goldwäscher anschauen. Der Taucher, der Dragiere bedient den Saugschlauch. Der Lohn einer 20-stündigen Knechterei, fünf Gramm Gold. Vier kassiert der Besitzer der Boote, ein Gramm bleibt den zwei Männern. Sie werden nervös, wir müssen das Boot verlassen. Besuch sind sie nicht gewohnt. Fragen erst recht nicht…

Weiter geht es auf der Pritsche des alten LKW. Der Fahrer fährt manchmal ganz schön flott. Dann geht es auf einmal sehr schnell. Der Laster schleudert, neigt sich bedrohlich. Alles fliegt durcheinander. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre umgekippt, hätte sich überschlagen. Mit uns auf der offenen Ladefläche. Dann sitzen wir in einem großen Schlammloch abseits der Straße fest...

Die Expedition führt in kaum erschlossene Regionen Perus und Boliviens. Es geht den peruanischen Bergnebelwald auf abenteuerlicher Straße die Anden herunter, über Flüsse durch das Manu- und das Tambopata-Nationalreservat – mithin die ursprünglichsten Regenwälder der Welt – zu Boliviens Goldwäschern und Paranusssammlern bis nach Manaus in Brasilien. Schon die Grenzübertritte wären eine eigene Geschichte wert. Kaum Straßen und Wege, unterwegs ist man meisten auf dem Wasser. Infrastruktur, Fehlanzeige. Übernachtet wird im dichten heißen Regenwald im Freien auf Feldbetten unter Moskitonetzen oder in einfachen Lodges und Ranger-Stationen. All das verlangt ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit. Manches ging schief, häufiger musste improvisiert werden, aber das gehört zu so einer Reise dazu.

Der Lohn für die Anstrengungen: Natur pur, exotische Tiere, Papagei-Lecken, Goldsucher, gegrillte Piranhas, Eindrücke aus einer anderen Welt, besonders im armen Bolivien. Ein Kontrast und richtig erholsam, Brasilien. Wir baden in Flüssen, fahren Motorrad-Taxis und auf der Ladefläche eines LKW mit einer Beinahe-Katastrophe, überqueren Ländergrenzen mitten im Regenwald, lernen Bürokratien von einer anderen Seite lernen. Startpunkt ist Cusco in den peruanischen Anden, die alte Inkahauptstadt, das Ziel die Millionenmetropole Manaus.

Machbar ist so eine Tour für jeden der offen ist gegenüber anderen Lebensweisen und Kulturen, Toleranz sein eigen nennt, zudem nicht empfindlich, mit einfachen Verhältnissen und sanitären Zuständen zurechtkommt, keine Phobie gegenüber Insekten hat und auch einigermaßen fit ist.

Karte: Peter Hermes Furian, Fotolia

Die Route (grün)

Von Cusco in Peru geht es auf Pisten nach Pilcopata im Manu Reservat und weiter mit dem Boot auf dem Rio Madre de Dios und Rio Tambopata bis nach Puerto Maldonada. Über die Grenze nach Bolivien mit einem Abstecher auf den Rio Heath besuchen wir Sena und Riberalta. Es folgen Porto Velho in Brasilien und Touren auf und um den Rio Urubu. Ziel ist die Dschungelmetropole Manaus. Insgesamt eine Strecke von 3800 km, davon 3000 auf Booten, Pkws, Motorrädern, einem Laster sowie zu Fuß.

Cusco – die alte Inkahauptstadt.

Es ist zehn Uhr, Menschenmassen umlagern den Sonnentempel der Inkas, den Coricancha. Besser, sie umlagern das, was ihn heute noch darstellt. Von dem ursprünglichen Bauwerk sind nur noch einige Mauerreste vorhanden, überbaut durch den Convento de Santo Domingo. Davor Soldaten der Inka, Priester, Adelige. Keine Chance bei diesem Gedränge einen vernünftigen Platz zu ergattern. Also gleich zum Plaza de Armas, dem Waffenplatz geeilt. Hier zieht später der gesamte Tross hin, noch müsste man einen guten Platz in der ersten Reihe, sprich am Straßenrand finden. Zwar bedeutet das, etwa zwei Stunden zu warten, aber so ist das nun mal. Am Waffenplatz überreicht der Inka-Fürst während den Feierlichkeiten die Vara, den Stab, der die Macht, die Verantwortung und die Führung des Bürgermeisters von Cusco symbolisiert. Begleitet wird diese Zeremonie von Tänzern, gekleidet in die typischen Trachten der vier Regionen (Tawantinsuyo) des Inkareiches.

Sechs Jahre ist dies nun her. 2008 hielt ich mich mehrere Tage in Cusco auf. Während des Inti-Raymi-Festes, vermutlich die wichtigste Feier der alten Inkas. Eine religiöse Zeremonie zu Ehren der Sonne (Inti), das Fest soll den mythischen Ursprung der Inkas darstellen. Jahrhunderte lang unter den Spaniern verboten, steht die Stadt Cusco seit 1944 einmal im Jahr wieder ganz im Zeichen Sacsayhuaman's und dem Fest der Sonne.

Cusco heißt auf Quechuan „Nabel der Welt“. Die Stadt mit ihren über 500.000 (offiziell 350.000) Einwohnern war eine der ersten touristischen Städte Perus. Sehenswert sind unter anderem die Innenstadt der Inkahauptstadt mit dem Plaza de Armas, die Kathedrale und der Sonnentempel Coricancha.

Mittags geht es im Schneckentempo mit dem Bus zwischen Tausenden von Fußgängern zur Esplanada de Sacsayhuaman, rund 200 m oberhalb von Cusco gelegen. Die Anlage diente in Zeiten der Inka als religiöse Kultstätte, heute ist sie Weltkulturerbe der Unesco. Sie besteht aus bis zu 125 Tonnen schweren Steinen und ist umgeben von einer doppelten Zickzackmauer, Zähne des Pumakopfes nachahmend. Zugleich bildete der Pumakopf die Festung oder auch eine religiöse Kultstätte. So genau weiß man das nicht. Erst später während der Belagerung der Stadt 1536 durch die Spanier diente sie zweifelsohne militärischen Zwecken. Und bis 1933 als Steinbruch.

In den letzten Tagen hat man die Ruinen von Sacsayhuaman zu einer großen Bühne mit einem sehr großen zentralen Platz umgestaltet. Allein auf die Tribünen passen geschätzt 15.000 Menschen, davon sind etwa 5000 Touristen. Das zeigt, dass das Fest bei den Peruanern eine große Rolle spielt. Zumal sich auf den Hügeln ringsum gut 100.000 weitere Besucher einfinden, hier sind die Plätze kostenlos. Alles Einheimische aus dem ganzen Land.

Die Vorführung, einfach gigantisch. Rund 700 Akteure, davon 400 Soldaten der peruanischen Armee stellen Tänzer, Soldaten, Priester, Jungfrauen und die Inka-Herrscher dar. Die Musik, der Rhythmus, die Zeremonie selber – auch das Opfern eines Lamas gehört dazu, allein das lohnt eine Reise nach Peru.

Die Schauspieler und Soldaten schildern die Geschichte der Gründung des Inkareiches in Auszügen D die Niederlage der Bewohner, die Anwesenheit der Kulturen der Kilke, Quechua, Chanapata und Chancas und die Vereinigung derselben zur Gründung eines Reiches. Hier tritt der Huillaqhuma, der heilige Priester, in Erscheinung, der den Inka krönt. Alles in der alten Sprache der Inka. Es findet außerdem, in Anwesenheit all seiner Untergebenen (der Jungfrauen des Gottes, der Priester, Soldaten und der Einwohner) die Zeremonie zu Ehren des Sonnengottes statt.

Vorher habe ich mich noch mit mehreren Akteuren unterhalten, einigen Soldaten. Dabei stellte sich heraus, dass sie den ganzen Tag über nichts zu essen bekamen und bekommen. Müssten sie sich selber kaufen, das aber kostet. Armut macht auch vor dem Militär nicht halt. Also haben wir unsere Tagesvorräte verteilt.

Alle Besucher, die offiziellen und die von den Hügeln müssen nach der Vorführung wieder über eine schmale Straße zu Fuß oder per Bus nach Cusco zurück. Wir brauchen für die drei bis vier Kilometer rund 90 Minuten mit dem Bus. Egal, auch hier gibt es viel am Straßenrand zu sehen. Zum Beispiel ganze gebratene Meerschweinchen, Cuys, auf dem Rücken liegend, alle viere von sich streckend, auf Papptellern angeboten. Auch wenn ich den ganzen Tag über nichts gegessen habe, darauf verzichte ich dennoch. Frisch gegrillt sollten sie schon sein.

Dieses Mal halten wir uns – das sind neben mir sieben weitere Expeditionsteilnehmer und zwei Guides – nur einen Tag in Cusco auf. Alte Kulturen stehen nicht im Fokus, der Anlass für die Reise sind die Bergnebelwälder an den Hängen der Anden und der Dschungel im Tiefland des Amazonas mit seinen Tieren und Menschen. Wollen wir die nächsten vier Wochen doch bis nach Manaus in Brasilien gelangen, etwa 3800 km entfernt. Den Weg meistern wir in Bussen, Taxen, Motorrädern, zumeist aber auf den langen, schmalen Amazonasbooten und rund 800 km in einem Flugzeug.

Also nur kurz den Markt San Pedro besucht, durch die Innenstadt gebummelt, den Placa de Amor, den Waffenplatz in Ruhe genossen und Menschen beobachtet. Es regnet immer wieder kräftig, quasi als Einstimmung auf die Tour, die zu Beginn der Regenzeit stattfindet. Auch steht ein Kennenlernen der Expeditionsteilnehmer an. Einige davon kenne ich schon von früheren Reisen her. Eine bunt gemischte Truppe, die aber in dieser Geschichte keine Rolle spielen wird. 2008 hatte ich in Cusco übrigens Zeit für einen Friseurbesuch; Die Kosten: 3 Sol (75 Cent), Dauer: 30 Minuten, der Schnitt: sehr gut.

In Peru dominiert der Katholizismus. Gern vermischen die Menschen ihn mit alten Inka-Traditionen. Ich bin gerade in Ollantaytambo auf dem Weg nach Machu Picchu. Bis etwa einen Meter Höhe stehen in den engen Gassen die alten Inka-Mauern, darauf bauen die neuzeitlichen Steinmauern auf. Der Besuch einer traditionell lebenden Familie gibt Einblicke in die Lebens- und Glaubenswelt der Menschen. Ein größerer Raum, an der Längsseite ein Hausaltar, darum herum wuseln zahlreiche Meer-schweinchen. Nicht als Haustiere dienen sie, sondern als Nahrung. Und der Altar, er zeichnete sich durch christliche Symbole aber auch viele schaurig anmutenden Artefakten aus, etwa Füße von Kondoren oder getrockneten Föten von Lamas. Darüber eine Nische mit den Totenköpfen eines Elternteils (das andere lebte noch) und denen der Großeltern.

Zurück im Jahr 2013 und in Cusco. Es bleibt noch etwas Zeit, das kleine Museum Plantas Sagradas, Magicas y Mediciales zu besuchen. Hier lässt sich ein erster Eindruck von der Pflanzenvielfalt im Amazonas gewinnen, im Speziellen bei den Heil- und Zauberpflanzen.

Da wir diesmal direkt von Lima aus in die in knapp 3500 m Höhe liegende Stadt flogen, fand keine Akklimatisierung statt. Dennoch überstehen alle den Höhenwechsel ohne größere Probleme. Die Höhenkrankheit darf nicht unterschätzt werden. Kann sie doch schon bei Höhen von über 2500 m NN auftreten. Symptome sind Kopfschmerzen, häufig Appetitverlust, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Schwäche, Atemnot, Schwindel, Benommenheit, Ohrensausen und Schlafstörungen. Man sieht in den Hotels in Cusco immer wieder Besucher in den Lobbys, die an großen Sauerstoffflaschen hängen, das einzige was hilft. Oder man fährt wieder in tiefere Gefilde.

Unterwegs auf abenteuerlichen Pisten

Früh am Morgen geht es los. Ein Kleinbus für die Expeditionsteilnehmer und Marco, unserem Guide sowie Brian, der auf Dschungeltouren seine Erfahrungen hat, aber nur Spanisch spricht. Dafür ist Marco da der auch dolmetscht und organisiert. Eigentlich ist er auf Bergtouren spezialisiert, etwa den Inkatrail hoch nach Machu Picchu. Zeitweise arbeitet der Peruaner in den Wintermonaten in Österreich als Bergführer, hat daher seine Deutschkenntnisse. Für Unterstützung unterwegs soll ebenfalls gesorgt sein, mittels lokaler Guides, die in der jeweiligen Region aufgewachsen sind, sie kennen wie ihre Westentasche wird uns versichert. Ein zweites Fahrzeug transportiert unser Gepäck und die Expeditionsausrüstung. Es geht sehr eng zu. Daran würden wir uns noch gewöhnen müssen, was Busse, Taxen und dergleichen angeht. Zumal es sich meist um Kleinwagen und -busse handelt – nicht gerade ideal für groß gewachsene Menschen wie uns Europäer. Selbst einen Mercedes Van bekommt man problemlos voll, dass es sehr eng und unbequem zugeht. Gut, ist ja nur für die erste Etappe bis zum Rio Madre de Dios.

Also fahren wir aus Cusco raus mit den in Lateinamerika üblichen Straßenverhältnissen. Schon bald darauf, etwa 30 km nach der Inkametropole, ein Stopp. In Coroposa finden sich mehrere Bäckereien, die ihre Waren vorwiegend in die ehemalige Inkametropole liefern. Gebacken wird in Lehmöfen, alles wirkt etwas provisorisch. Unsere Lebensmittelkontrolle hätte ihre wahre Freude. Die Öfen für das Weißbrot werden mit Eukalyptusholz befeuert, das gibt dem Brot ein eigenes Aroma. Dennoch, es bleibt halt ein trockenes Weißbrot. Im Hof liegen Unmengen des Holzes herum. Der Baum, ursprünglich aus Australien kommend wächst überall in der Region.

Jeder Ort hat seine Handwerkertradition wie Coroposa (wenn ein paar Gebäude als Ort erkennbar sind). Zu Zeiten der alten Spanier war hier vermutlich mal eine Bäckerei und daraus hat sich eine Art Backzentrum für die ganze Region entwickelt. In Coroposa sprechen die Bewohner Quechua, eine alte Inkasprache, die es in verschiedenen Variationen gibt. Heute sollen noch rund sieben Millionen Menschen Quechua beherrschen, mithin die meistgesprochene indigene Sprache des Kontinents. Platz drei nach Spanisch und Portugiesisch. In Cusco selbst spricht man Hochspanisch.

220 km beträgt die Strecke bis zu unserem ersten Tagesziel Pilcopata. Nach vierzig/fünfzig Kilometern wandelt sich die geteerte Straße in eine Schotter- und Lehmpiste, die es später in sich hat. Noch ist sie in einem guten Zustand, wenn auch recht schmal. Marco, der Fahrer, Namensvetter unseres Guides, fährt recht flott aber auch sicher. Diese Strecke sollten wir heute problemlos schaffen, trotz einiger Stopps und Besichtigungen. Unser Ziel Pilcopata ist die einzige etwas größere Ansiedlung im Manu-Nationalreservat. Die Straße endet kurz danach im Hafen von Atalaya. Von hier aus geht es nur noch mit Booten auf den Urwaldflüssen weiter.

Wir kommen gut voran. Immer wieder fantastische Ausblicke in die Landschaft der Anden, ein paar Fotostopps und technische Pausen (für die menschlichen Bedürfnisse) reduzieren das Tempo nur gering, wir liegen gut im Zeitplan. Um die Mittagszeit erreichen wir den Pass, zugleich Grenze zum Manu-Nationalreservat auf knapp 3850 m. Nun sollte man starke Nerven haben oder aber Freude an extremen Straßen und sich nicht zu viel Gedanken machen – so wie ich.

Nach dem Pass und einem kurzen Stopp geht es die nebeligen Hänge bergab. Dieser Teil des Nationalparks ist ein Bergnebelwald, ein Yunga. Ihn gibt es nur in den Tropen und Subtropen. Bei feuchter Witterung ist der Bergwald fast immer in Wolken gehüllt.

Bergnebelwälder liegen meist an den Osthängen der Anden, beginnen auf etwa 800 m Höhe und reichen bis zu 3000 m hoch. Da die Winde hier meist aus südöstlicher Richtung wehen, stauen sich die feuchten Wolken an den Berghängen und regnen ab. Entsprechend hoch ist die jährliche Niederschlagsmenge mit enormen Unterschieden zwischen exponierten Lagen und denen im Windschatten. Demzufolge üppig sind die Wälder. Sie gehören zu den artenreichsten der Welt und sind dicht bewachsen. Hier finden sich noch uralte, metergroße Baumfarne, unzählige Epiphyten (Aufsitzerpflanzen), zahlreiche Tierarten, vieles ist noch unerforscht, unbekannt. Die Wälder liegen recht abgeschieden, sind nur schwer zu erreichen. Im Unterschied zu manch anderen Dschungelgebieten die ich bereist habe fällt zudem das dichte Unterholz auf. Hier stimmt das Sprichwort vom dichten undurchdringlichen Regenwald, von der grünen Hölle.

Die folgenden sechs Stunden benötigen wir für die etwa 70 km bis Pilcopata, inklusive rund 90 Minuten Pause. Am meisten Zeit kostet die etwa 50 km lange Straße den Bergnebelwald herunter. Auf einer engen, einspurigen Piste, stellenweise direkt am senkrechten Hang gelegen, ohne irgendeine Begrenzung, das hat schon was. Ach ja, Gegenverkehr gibt es natürlich auch. Etwa von Tanklastern und normalen LKWs, die Pilcopata versorgen. Andere Laster dürfen hier nicht mehr fahren. Früher noch, in den 80er Jahren, waren ganze Kolonnen an schweren LKWs auf dieser Strecke unterwegs, die Holz aus dem Regenwald herausschafften. Das aber ist in dieser Region heute untersagt, es handelt sich ja um einen geschützten Nationalpark.

Eigentlich undenkbar, dass hier einmal ein reger LKW-Verkehr stattfand. Die fuhren bei jedem Wetter, wir haben glücklicherweise gerade keinen Regen. Bei schlechtem Wetter ist diese Strecke gewissermaßen unbefahrbar. Man kann sie stellenweise – nicht in ihrer Gesamtheit – fast mit der Straße des Todes in Bolivien vergleichen, der el camino a los yungas.

Die Yungas-Straße in Bolivien von La Paz nach Coroico ist 65 Kilometer lang und wurde in den 30er-Jahren gebaut. Sie gilt auch heute noch als gefährlichste Straße der Welt, ihr Beiname: el camino de la muerte, die Todesstraße. 2006 eröffnete man eine gut ausgebaute Umgehung, so dass sich heute vorwiegend nur noch Fahrradund Motorradfahrer und die Vans der Touristen auf der alten Piste finden. Ihre Beschreibung trifft aber genauso auf Teile unserer heutigen Strecke zu: Einspurig, ohne Leitplanken an steilen Abhängen, außerordentlich schwierig und nur unter großer Gefahr zu passieren. Der in den Berghängen hängende dichte Nebel und Regen sowie matschiger, morastartiger Untergrund sorgen häufig für einen schlechten Straßenzustand und geringe Sichtweiten. Steinschlag und Erdrutsche erfolgen häufig, man muss jederzeit damit rechnen. 1983 stürzte (auf der Todesstraße, nicht hier) ein Bus in eine Schlucht, allein dabei starben rund 100 Menschen. Einer Schätzung zufolge kamen bis 2007 jährlich 200 bis 300 Reisende auf der Yungas-Straße ums Leben. Heute ist sie gerade wegen ihrer Gefährlichkeit ein beliebtes Touristenziel, wäre auch mal was für mich mit dem Motorrad.

Einen nicht unbedeutenden Anteil an der Gefährlichkeit der Yungas-Straße hatte das hohe Verkehrsaufkommen, besonders der Schwerlastverkehr. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu unserer Strecke. Zumal die Straße ja nicht zwei Städte verbindet, sondern nur noch in den Manu-Nationalpark führt, also nicht mehr allzu viel befahren ist. Zudem versucht man sie an den besonders gefährlichen Stellen auszubessern und auch mit Betonplatten zu entschärfen. Dennoch: Enge Kehren, Erdrutsche, schmale Tunnels, eigentlich Löcher im Fels, manches Mal hängt das Rad am Abgrund. Dies ist besonders gut für mich als Beifahrer zu sehen. Im Film sorgt das für sehr gute Szenen der atemberaubenden Schluchten. Immer wieder gibt es notdürftige Baustellen oder wird die Straße auch mal für eine halbe Stunde durch einen Bagger gesperrt (der muss ja auch irgendwie hier her gekommen sein), der gerade einen frischen Erdrutsch wegräumt. Vor jeder uneinsichtigen Kurve, und das sind viele, wird sicherheitshalber gehupt. Seltene Ausweichstellen ermöglichen Gegenverkehr, die man aber schon mal rückwärts über ein paar Hundert Meter erreichen muss. Laster haben immer Vorfahrt. Wie geschildert, wir hatten trockenes Wetter, diese Piste bei strömenden Regen zu fahren dürfte ein enormes Wagnis sein. Ist sie überwiegend trocken, ist es machbar. Trocken heißt natürlich nicht, dass nicht an vielen Stellen Wasser über die Fahrbahn läuft oder von oben herab kleine Wasserfälle das Auto duschen. Einen umsichtigen Fahrer wie Marco vorausgesetzt und genügend Zeit, dann ist die Straße ein Erlebnis für sich.

Auf dem Weg können wir während einer Essenspause den seltenen Nationalvogel Guatemalas, einen Quetzal beobachten. Ein Glücksfall, ist er doch nicht irgendein Vogel, sondern eher ein Mythos. Jedenfalls in Guatemala. Schon in den Schulen des Landes wird eine alte Legende erzählt: Als der spanische Eroberer Pedro de Alvarado 1524 den Maya-Häuptling Tecun Uman besiegte, flog ein grüner Vogel herab und setzte sich in dem Moment auf die Brust des Indianers als er tödlich getroffen zusammen sank. Das Blut des Königs färbte die Brust des Vogels leuchtend purpurrot. Seitdem hat der ursprünglich grüne Vogel diese intensiv rot gefärbte Brust.

Schon früher war der Quetzal für Maya und Azteken jedoch ein besonderer Vogel, sogar heilig. Die Mächtigen schmückten sich mit seinen göttlichen Federn. Man sammelte nur die Federn auf, die der Vogel von allein verlor. Woanders liest man, dass er zwar gejagt wurde um eben diese Federn zu gewinnen, aber nicht getötet. Darauf stand die Todesstrafe. Anderen Erzählungen zufolge sollen die Federn von einem lebenden Vogel stammen, die ihm wieder nachwuchsen. Dem Mythos nach überlebt der Vogel keine Gefangenschaft. Er würde an gebrochenem Herzen sterben. Das aber dürfte auch auf manch anderen gefangenen Vogel in Käfighaltung zutreffen.

Sein Federkleid diente Maya-Königen als Krone. Eine der letzten blieb erhalten, befindet sich in einem Museum in Wien. Es soll sich um die Krone des letzten Aztekenkönigs Montezuma II handeln. Das aber wird von einigen Experten bezweifelt. Wie dem auch sei, sehenswert ist sie allemal und sehr kostbar. Montezuma selbst soll die mit wertvollen Edelsteinen besetzte Krone dem spanischen Eroberer Hernán Cortés geschenkt haben. Der schickte den Schmuck an den damaligen Kaiser Karl V. Der Habsburger herrschte zu dieser Zeit sowohl über Spanien als auch über Österreich. Und so kam die Krone nach Wien.