Lebensgenuss beruht nicht auf der Befriedigung, die einem Beruf und Familie gewähren, sondern auf der Kraft, mit der man sie begehrt!

Walter Schmidt, 2009

Dieses Buch kann Ihnen Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Fast 250 Milliarden Euro, die der Staat direkt oder indirekt im Jahr zur Familienförderung aufwendet, sind genug. Es ist an der Zeit, dass wir Menschen lernen, aus uns heraus, mit eigener Kraft, ein familiengerechtes Leben zu führen. Dieses Buch weist Ihnen einen möglichen Weg.

Wirtschaft und Kirchen haben erkannt, wie wichtig dieser Weg für die Balance zwischen Familie und Beruf ist. Der Autor dankt der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und dem Erzbistum München und Freising für die Förderung der Veröffentlichung dieses Buches.

Vorwort

Das Thema dieses Buches ist ein Schlüsselthema unserer Zeit. Beruf und Familie gut miteinander zu vereinbaren, erleben viele Menschen als eine tagtägliche, vielfach Nerven zehrende praktische Herausforderung. Gerade Frauen sind oft hin- und hergerissen zwischen den Anforderungen, die an sie als Fach- und Führungskräfte in Unternehmen und als Mütter, Ehefrauen und Töchter zu pflegender Eltern gestellt werden.

Bezeichnenderweise belegt der Volksmund die Optionen, die ihnen in diesem Spannungsverhältnis bleiben, mit negativen Begriffen. Wer seine erworbene Qualifikation nicht nur im Beruf einbringen, sondern sich auch entsprechend weiterentwickeln will, hat schnell den Ruf einer „Rabenmutter“ weg. Wer sich hingegen für einige Jahre der Erziehung der Kinder widmen will, ist schnell als „Heimchen am Herd“ abgestempelt.

Hinter diesen Labein stehen Ansprüche, welche die Gesellschaft als ganze an die einzelnen Paare in der „Rushhour des Lebens“ stellt. Diese Ansprüche erfahren durch den demografischen Wandel eine neue Art der Zuspitzung. Denn unsere alternde Gesellschaft braucht zugleich Frauen als Fachkräfte und als Mütter für den Nachwuchs, um zukunftsfähig zu bleiben. Für dieses demografische Dilemma benötigen wir gute Lösungen und neue Ideen, wie wir sie auch bei der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. entwickeln.

Dr. Dr. Walter Schmidt beleuchtet mit seinem Buch einen Aspekt, der bisher in der Diskussion um die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie überraschenderweise völlig unterbelichtet ist. Während schnell nach dem Staat für flankierende finanzielle oder strukturelle Maßnahmen gerufen wird, fragt man seltener, wie es Schmidt tut, welche individuellen Möglichkeiten die Betroffenen tatsächlich haben und entwickeln können. Auch bei diesem Thema lohnt es, der Logik der Sozialen Marktwirtschaft gemäß subsidiär, d. h. bei der kleinsten Einheit, anzusetzen. Dies belegen die Ergebnisse dieses Buches. Hier werden nicht nur gangbare Wege im Spannungsfeld von Beruf und Familie aufgezeigt. Hier werden auch die großen Chancen und Entwicklungspotenziale sowohl für die einzelnen Paare als auch für die Unternehmen herausgearbeitet, wenn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie tatsächlich gelingt.

Ich wünsche diesem äußerst anregenden Buch eine breite Leserschaft und viele Menschen in unserer Wirtschaft, die die Vorschläge dieses Buches zur praktischen Anwendung bringen.

Professor Randolf Rodenstock

Präsident der vbw -

Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V.

Geschäftsführender Gesellschafter der Optischen

Werke G. Rodenstock GmbH & Co. KG

Inhalt

Vorwort

1 Prolog

2 Ein komplexes Konfliktnetz

3 Männer und Frauen in der Rushhour des Lebens

4 Der Zielkonflikt zwischen beruflichem Erfolg und harmonischer Familiengestaltung

      Umbruch der Wertvorstellungen und Lebensverhältnisse

      Das Spannungsfeld zwischen Karriere und Familie

      Der Zielkonflikt, seine Ausprägungen, Folgen und mögliche Fluchtwege

      Konfliktanalyse

      Ursachen und Motive

      Die innere Einstellung zu Familie und Ehe

      Karriere und Charakter

»      Macht als innere und äußere Triebfeder

»      Karriere als persönliche und gesellschaftliche Herausforderung

»      Charakter als Wert-, Mess- und Steuerungssystem

      Fazit: Der Konflikt lässt sich nur durch Berücksichtigung der Motive der Handelnden lösen

5 Konfliktlösung und -bewältigung auf der Grundlage der Theorie der Salutogenese nach Antonovsky

      Das Salutogenese-Konzept

      Das Konzept des Kohärenzgefühls

      Die Entwicklung des Kohärenzgefühls im Verlauf des Lebens und seine Anwendbarkeit auf die definierte Zielgruppe

      Veränderbarkeit des Kohärenzgefühls durch psychotherapeutische Einflussnahme

      Fazit: Das Salutogenesekonzept ist ein vielversprechender Weg, den Konflikt zu lösen

6 Die Suche nach den individuellen Ressourcen

      Die Regulierung von Emotionen

      Sinnfindung und Bedeutsamkeit

      Selbstachtung, Identität, Selbstbewahrung

      Fazit: Das Kohärenzgefühl ist entscheidend

7 Koevolution von Familie und Beruf durch Veränderungen des individuellen Kohärenzgefühls der interagierenden Personen

      Familienethische Grundlagen

      Grundlegung der Familienethik im Begriff „Person“

      Die Familie in einem ethisch-soziologischen Wandlungsprozess

      Bewältigungsstrategien in der Familie

      Selbstverwirklichung und Rollenvielfalt

      Offene Thematisierung des Dilemmas, sensibler Umgang der Familienmitglieder mit dem Spannungsfeld

      Gemeinsame Weiterentwicklung von Paaren – die personalen Ressourcen

»      Partnerlandkarten – Kennen, Erkennen, Verstehen

»      Emotionale Bindungen, Gefühle, Liebe

»      Emotionale Intelligenz und Kompetenz

»      Familie – die Schule der Gefühle

»      Gestalten einer gemeinsamen Welt

»      Fazit: Die Widerstandsressourcen lassen sich stärken

      Änderung des Beziehungsverhaltens – der Einsatz der Ressourcen

»      Formulierung eines dyadischen Konstruktsystems

»      Verhaltensgesteuerte Konvergenz entwickeln

»      Unterschiedliche Beziehungsverhalten wahrnehmen, akzeptieren, beeinflussen und differenzieren

»      Gemeinsame Flow-Erlebnisse schaffen

»      Nähe und Distanz

»      Kontrolle des Commitments

»      Fazit: Es gilt, eine gemeinsame innere Welt zu schaffen

      Kontrollmechanismen erkennen und beachten: Resilienz, Transaktion, Kohärenz

      Streitkultur entwickeln

      Unternehmensethische Grundlagen

      Durchdringung der Familie durch die Gesellschaft – ein Paradigmenwechsel

      Bewältigungsstrategien im Beruf

      Anforderungs- und Charakterprofil der Führungskräfte

      Servant Leadership – Führungskräfteentwicklung als Persönlichkeitsentwicklung

»      Konzeptionelle Grundlagen der dienenden Führung

»      Das Dilemma der Führung

»      Die neue Haltung der dienenden Führung

»      Die neue Führungskraft – Der Weg von der Urangst zum Urvertrauen

8 Die Geschichte der Zukunft: Die Lösungsansätze – zwischen Individualisierung und Kollektivierung

      Sinn- und Identitätsfindung in Beruf und Familie als ganzheitlicher Koevolutionsprozess

      Die ungeduldige Gesellschaft

      Konflikt zwischen Charakter und Erfahrung

      Entwicklung eines Gruppen-Kohärenzgefühls

      Gruppenbewusstsein und Gruppenklima

      Das soziale Setting

      Partnerschaftliche Führung im Beruf

      Konzeptionelle Voraussetzungen

      Die Rolle des Individuums bei partnerschaftlicher Führung

      Dienende Führung in der Familie – dienende Familienführer

      Salutogenetische Work-Life-Balance

      Selbstmanagement und Beziehungsmanagement

      Salutogenetisches Gesundheitsmanagement

      Fazit: Weiterentwicklungen des Salutogenesekonzeptes machen die Rushhour des Lebens beherrschbar

9 Zusammenfassung und Ausblick

Anhang

      Literaturverzeichnis

      Verzeichnis der Tabellen

1 Prolog

„Der Blick in die Gesellschaften anderer Kulturen bietet weit und breit kein Modell für das Ringen von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft um Chancengleichheit. Unser Ehemodell ist eigentlich nicht der Standard der Welt. Das heißt, dass Formen des Zusammenlebens in anderen Gesellschaften grundlegend anders aussehen können als bei uns – nämlich weniger auf Paare fokussiert. Unsere Form der Paarbeziehung, wie wir sie kennen, ist eine Sonderform und nicht die allgemeine auf der Welt. Sie ist eine Ausnahmekonstruktion. “1

Diese unsere paarzentrierte Gesellschaft umfasst etwa 800 Millionen Menschen in Europa und Nordamerika. Das Ringen zwischen Frauen und Männern findet vor allem hier statt. Was bestimmt das Verhalten dieser Menschen und wie geben sie ihr Verhalten an die nächste Generation weiter?

„Es gibt Zwangsläufigkeiten von Kooperationen und Konflikten, und zwar allgemein zwischen den Individuen, den Geschlechtern, den Generationen, aber auch zwischen Genen und kulturellen Verhaltensprogrammen. Programme werden nicht nur in den Genen, sondern in den Gehirnen gespeichert und vervielfältigt. Sie gelangen nicht nur über Keimzellen, sondern durch Tradition in neue Trägerindividuen; diese breiten sich nicht durch Zeugung, sondern durch Überzeugung aus, die dazu ein ganz anderes Verhalten von Individuen brauchen, als es den genetischen Programmen für ihre Ausbreitung nützlich ist. Kein Wunder also, dass die Kultur nicht immer die Fortpflanzung begünstigt. Jedes falsche, also nicht der Programmausbreitung dienende Verhalten wird automatisch eliminiert. Als Evolution wirkt sich das aus, wenn das erfolgreichere Programm an künftige Generationen weitergegeben werden kann und dort unter bestimmten Umweltbedingungen entsprechend Erfolg versprechendes Verhalten entwickelt. Wie das Programm zur nächsten Generation gelangt, ist prinzipiell egal. Wir werden uns an das Bild gewöhnen müssen, das den einzelnen Menschen zeigt als ausführendes Organ für mehrere, oft gegeneinander arbeitende Verhaltensprogramme, die es heute deswegen noch gibt, weil sie in der Vergangenheit ihre Träger entsprechend erfolgreich programmiert haben. Solche Programme richten sich zuweilen gegen uralte genetische Programme, sie sind wie die Empfängnisverhütung und die Geburtenbeschränkung „unnatürlich“. Ebenso unnatürlich ist der Wohlfahrtsstaat, der in seiner Evolution instabil ist, weil er nahezu naturnotwendig von egoistischen Tendenzen der Individuen ausgebeutet und unterlaufen wird.“2

Das Verhalten der paarzentrierten Gesellschaft, die wir hier betrachten, wird also durch Zeugung und Überzeugung weitergegeben. Wir bauen auf den genetischen Gegebenheiten des heutigen Menschen auf und suchen herauszufinden, wie durch Überzeugung, Erziehung und gegenseitige Beeinflussung das Verhalten des Menschen in der Beziehung zwischen Mann und Frau verändert werden kann. Wir sind dem Geheimnis auf der Spur, dass erfolgreiche Menschen durch ein anderes Verhalten geprägt werden als weniger erfolgreiche.

„Die Biografien erfolgreicher Menschen zeigen häufig eindrucksvoll auf, dass nicht Karriere an sich das Ziel war, sondern dass Aufgaben, die einem gestellt wurden, erfolgreich gelöst werden konnten. Die Erfolgreichen hatten ein durchdringendes, andauerndes, aber dynamisches Gefühl des Vertrauens, dass die eigene interne und externe Umwelt vorhersagbar ist und dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass Dinge sich so entwickeln werden, wie vernünftigerweise erwartet werden kann.“3

1    Laubscher, M., Frau und Mann – Geschlechterdifferenzierung in Natur und Menschenwelt, in Schubert, V. (Hrsg.),
Eos Verlag Erzabtei St. Ottilien, S. 93-94

2    Wickler, W., Auszug aus dem Vorwort zur deutschen Ausgabe von „Das egoistische Gen“ Dawkins, R., Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2008, S. 20-21

3    Antonovsky, A., „Health, Stress and Coping“, New Perspectives on Mental and Physical Well-Being, Jossey-Bass Publisher, San Francisco, 1985

2 Ein komplexes Konfliktnetz

Im Zusammenleben von Mann und Frau gibt es zwei heute als gleichwertig empfundene Orientierungspunkte: Beruf und Familie, oder wie Bründel es ausdrückt: Arbeit und Beziehung. Beide machen Glück und Zufriedenheit der Menschen aus, wenn sie in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Die gesellschaftliche Realität offenbart jedoch ein Ungleichgewicht, eine unterschiedliche Zuwendung von Männern und Frauen zu diesen Orientierungspunkten. Während Männer überwiegend berufsorientiert denken und handeln, fühlen sich Frauen immer noch überwiegend für Familie und Partnerschaft verantwortlich. Noch sind Frauen nicht in gleichem Maße in den Führungspositionen angekommen wie Männer. In Deutschland liegt ihr Anteil je nach Branche, Alter und Führungsebene bei 7 bis 14%, in den USA bei 22 bis 26%4. Aber das gesellschaftliche Rollenverständnis der Frauen verändert sich. Damit gerät auch die bisherige Männerrolle aus ihrer vermeintlichen Balance. Die endogenen Veränderungen des Rollenverständnisses von Mann und Frau werden überlagert, zum Teil verstärkt und auch beschleunigt durch exogene Veränderungen in Wirtschaft und Beruf, Bereiche, in denen bisher Männer ihre dominante Rolle spielten. Die traditionell organisierte Erwerbstätigkeit, die auf den außer Haus tätigen Mann zugeschnitten ist, wird durch Arbeitslosigkeit destabilisiert. Der gesamte Lebenslauf und die Gestaltung der einzelnen Lebensphasen sind unsicher geworden. Daraus ist eine Gemengelage von Zielkonflikten entstanden, die nicht mehr eindimensional als Zielkonflikt zwischen beruflicher Orientierung und Familienorientierung beschrieben werden kann, sondern ein komplexes mehrdimensionales Konfliktnetz darstellt, das in den unterschiedlichen Lebensphasen verschiedene Ausprägungen durchläuft und sich ändernde Gestaltungszwänge in dem Koordinationssystem des Verhältnisses von Mann und Frau auslöst.

4    Nur in der Altersgruppe der unter 30-Jährigen waren Frauen und Männer als Führungskräfte gleich stark vertreten. Frauen im Alter von 30 bis unter 45 Jahren waren nur noch mit einem Anteil von 14% als Führungskräfte vertreten. Bei 45- bis 60-jährigen Frauen nahmen knapp 12% Führungsaufgaben wahr – familiär bedingte Unterbrechungen dürften ein wichtiger Grund für den zurückgehenden Anteil bei Führungspositionen sein. Statistisches Bundesamt, Im Blickpunkt: Frauen in Deutschland, 2006, S. 28.

3 Männer und Frauen in der Rushhour des Lebens

Wissenschaftliche Arbeiten zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass eine mehr oder weniger abstrakte Theorie durch empirische Untersuchungen und Ergebnisse verifiziert wird. Im vorliegenden Buch war die Vorgehensweise genau umgekehrt – die Empirie stand vor der Theorie. Wir, der Verfasser, ein internationaler Personalberater, und sein Team, haben im Zeitraum von 1981–2009 – also in einer Zeitspanne von 28 Jahren – über 15.000 Interviews mit jüngeren Führungskräften geführt. In strukturierten Interviews wurden der Konflikt zwischen Berufs- und Familienorientierung untersucht und Ursachen, Ausprägungen und mögliche Lösungsansätze diskutiert und dokumentiert.

Durch die Anwendung von drei wissenschaftlich abgesicherten Theoremen

    der Salutogenese (A. Antonovsky)

    der Dienenden Führung (R. Greensleaf)

    der Koevolution (J. Willi)

auf die empirisch erhobenen Ergebnisse wurden praktisch nutzbare und theoretisch abgesicherte Lösungsansätze formuliert, die durch Verhaltensänderungen der in Ehe und Beruf agierenden Partner zu einem konfliktfreieren Leben führen können.

Unter Erwerbsarbeit wird hier jede Tätigkeit verstanden, die der Entgelt- und Einkommenserzielung dient und sowohl unselbstständige als auch selbstständige Arbeit betrifft. Die Grundvoraussetzung der Einkommenserzielung schließt jedoch nicht aus, dass neben dieser instrumentellen auch expressive Orientierungen wie Interesse am Arbeitsinhalt und an sozialen Kontakten in einer Erwerbstätigkeit eine wichtige Rolle spielen. Informelle, unentgeltliche Arbeit bleibt unberücksichtigt.

Im Sinne von Lüscher5 wird auf die normative Verwendung familiensoziologischer Begriffe verzichtet. Wir gehen von einem weiten Familienbegriff aus, der alle Formen des Zusammenlebens von Erwachsenen mit Kindern in einem Haushalt beinhaltet und somit nicht ausschließlich eine bestimmte Familienform, etwa die traditionelle Kernfamilie (Vater, Mutter, Kind), vor Augen hat. Eine wesentliche Einschränkung wird jedoch dahingehend vorgenommen, dass jene Lebensformen im Mittelpunkt stehen, in denen mindestens zwei Erwachsene mit zumindest einem zu betreuenden Kind zusammenleben.

Die dieser Arbeit zugrunde liegende Karrieredefinition geht über den erwerbsarbeitsbezogenen Begriff hinaus und thematisiert die Lebenssequenzen von Individuen. Der hier verwendete weite Karrierebegriff von Luhmann6 ermöglicht die gleichrangige Beachtung von Familien-, insbesondere Elternschafts- und Erwerbskarrieren. Im Mittelpunkt dieses Buches steht der Begriff der „Vereinbarungskarriere“, als jene Karrierephase, in der Erwerbsarbeit und Elternschaft – insbesondere die Verantwortung für noch nicht selbstständige Kinder – aufeinandertreffen und gestaltet werden müssen.

In den folgenden Ausführungen wird die Gesamtheit der Männer und Frauen in ihrem familien- und berufsrelevanten Verhalten auf die Kernzielgruppe der jüngeren Führungskräfte mit fünf bis zehn Jahren Berufserfahrung und heranwachsenden Kindern im Vorschul- und Grundschulalter beschränkt. Unter Führungskräften verstehen wir sowohl von einem Unternehmen abhängige Angestellte als auch selbstständige Unternehmer, deren Verantwortung über sach-, themen- oder projektbezogene Aufgabenstellungen hinausreicht. Sie tragen Verantwortung für die Motivation, Zielausrichtung, Weiterbildung und Ergebniskontrolle eines Kollektivs von Mitarbeitern – nach heutigem Sprachgebrauch eines Teams. Führungskräfte setzen ihre fachliche und ihre soziale Kompetenz sowohl für die Erreichung übergeordneter Abteilungs-, Bereichs- und Unternehmensziele als auch zur eigenen Selbstverwirklichung und Machtentfaltung ein. Der Wettbewerb mit Gleichrangigen und die Erwartungshaltung von Vorgesetzten löst bei Angestellten einen ähnlichen Erfolgsdruck aus wie der Wettbewerb mit anderen Unternehmen Erfolgsdruck bei jungen Unternehmern erzeugt.

Auf der Seite der Familie entsteht durch die Fürsorge-, Erziehungs- und Versorgungsverpflichtung der beiden Eltern ein emotionaler und materieller Druck, der seinen Zenit in der Phase des Heranwachsens der Kinder zwischen dem 3. und dem 14. Lebensjahr erreicht. Diese „Doppelbelastung“ durch Familie und Beruf trägt heute emotional noch mehr die Frau, materiell wird sie gemeinsam oder überwiegend vom Mann getragen. Beide, Männer und Frauen, stehen mitten in der Rushhour des Lebens.

5    Lüscher, K., Die postmoderne Familie: familiale Strategien und Familienpolitik in einer Übergangszeit, Konstanz, 1988, S. 15–38.

6    Luhmann, N., Copierte Existenz und Karriere zur Herstellung von Individualität, Frankfurt, 1994, S. 199–200.

4 Der Zielkonflikt zwischen beruflichem Erfolg und harmonischer Familiengestaltung

Umbruch der Wertvorstellungen und Lebensverhältnisse

Konflikte sind Bestandteile unserer menschlichen Identität7. Sie entstehen abgesehen von gesetzlichen Konflikten zwischen allen Menschen, die in regelmäßigen Interaktionen stehen. Es sind berufliche Konflikte mit Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Kollegen und insbesondere mit Menschen, die man eigentlich am meisten liebt und schätzt, wie Ehepartner, Kinder und Freunde. Alle Konflikte haben eines gemeinsam: Sie entstehen jeweils dann, wenn wir etwas erwarten, das nicht erfüllt wird, sei es, dass wir diese Erwartungen an uns selbst gestellt haben, oder dass wir sie an andere gerichtet haben. Man bezeichnet die Nichterfüllung von Erwartungen als Frustration (vergebliche Erwartungen).

Erwartungen sind Ziele, die weitgehend das Handeln des Menschen bestimmen. Es gehört zu seinem Wesen, dass er ohne Ziele nicht lebensfähig ist, depressiv wird und zum Suizid neigt. Ein erreichtes Ziel führt zu einem Erfolgserlebnis. Diese Erfolgserlebnisse definieren den Menschen als aktives, handelndes Wesen. Aktivität kann auch auf rein geistiger Ebene stattfinden, sozusagen als gedankliche Aktivität. Somit strebt der Mensch immer nach Erfolg, das heißt nach Erreichung seiner Ziele. Dieser ist umso eher erreichbar, je größer die Identifikation des Menschen mit seinen Zielen ist, je uneingeschränkter er seine Ziele akzeptiert und sie als sinnvoll und notwendig erkennen kann. Corell hat festgestellt, dass 82% der berufstätigen Menschen in Deutschland nicht wirklich „identisch“ mit ihren beruflichen Zielen sind, sondern eine „kognitive Dissonanz“ zwischen Zielsetzung und Identifikation aufgebaut haben.8 Sie arbeiten in ihrem Beruf nicht mit einer „primären“ Motivation, sondern mit einer „Dienst nach Vorschrift“-Einstellung. Diese Berufstätigen sind bemüht, ihre Aufgaben zu erfüllen, weil sie nicht die Erfüllung ihrer Ziele erwarten, sondern einen sekundären Nutzen wie z. B. Geld zu verdienen und beruflich weiterzukommen, was bei geringer primärer Motivation zweifelhaft erscheint. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass primäre und sekundäre Motivation für den Arbeitgeber in vielen Fällen nicht klar erkennbar in Erscheinung treten, da eine zunehmende Zahl von Berufstätigen „gelernt hat“, die mangelnde primäre Motivation durch Betriebsamkeit und Aktionismus zu „camouflieren“.

Bei vielen Berufsgruppen muss man feststellen, dass sich das eigentliche Lebensziel der Menschen auf Bereiche außerhalb der Berufstätigkeit verlagert – auf Freizeit, Hobby und Reisen. Dies bedeutet, dass die Erwartungen der Mehrzahl der Menschen auf berufsferne Bereiche gerichtet und damit die Erfolgserlebnisse mehr und mehr in außerberuflichen Bereichen erfahren werden, während innerhalb des Berufs die Frustrationserfahrungen zunehmen und die Berufstätigkeit zunehmend als Mittel zum Zweck angesehen wird.

Diese negative Entwicklung der Einstellung der Mehrheit der Berufstätigen in Deutschland wird verstärkt durch eine Kopplung mit anderen menschlichen Verhaltensmechanismen. So nehmen die Erwartungen des Menschen in dem Maße zu, in welchem andere Erwartungen erfüllt werden – je besser es den Menschen geht, desto mehr erwarten sie auch. Man sollte meinen, dass Menschen umso zufriedener und erwartungsfreier sein sollten, je mehr Erwartungen erfüllt werden. In Wirklichkeit nimmt aber die Frustration in dem Maße zu, in dem z. B. der Lebensstandard steigt. Aber nicht nur der steigende Lebensstandard, die gesamte psychisch-geistige Entwicklung bedingt, wie Corell feststellt9, dass wir immer mehr erwarten, indem wir z. B. mit zunehmender Emanzipation von allerlei Bevormundungen immer selbstständiger werden, immer mündiger werden und also immer mehr Selbstverwirklichung wünschen und diese auch ungestüm fordern, indem die anderen schließlich zurück- und wir vortreten sollen. Das Denken früherer Generationen, dass Schicksalsschläge zu ertragen und als Prüfung auf sich zu nehmen sind, ist uns fremd geworden. Es entspricht dem heutigen Menschenbild, dass wir in der Vorstellung leben, wir seien die Selbstgestalter unseres Schicksals, wir könnten unser Leben „machen“. Während wir also alle mehr erwarten, ist es unvermeidlich, dass wir in unserer individuellen Expansion mit unseren Mitmenschen zusammenstoßen, die schließlich ebenfalls expandieren möchten. Je mehr Menschen in einem enger werdenden Raum zusammenleben, desto größer werden die Reibungsflächen. Da wir durch die zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel in enge Beziehung zu sehr vielen Menschen treten können, steigt damit auch die Frustrationsdichte, der wir ausgesetzt sind.

Da wir zudem offensichtlich mit unserer Einstellung immer diesseitiger geworden sind und den Transzendenzbezug weitgehend verdrängt haben, nimmt auch die Frustrationstoleranz immer mehr ab, während gleichzeitig die Frustrationsgefahren zunehmen. Die Folge ist, dass wir immer häufiger in Konflikte geraten, deren Existenz wir nicht mehr problemlos bewältigen können, weil wir sie nicht mehr zu akzeptieren bereit sind.

Die gesellschaftliche Lösung der traditionellen geschlechterspezifischen Arbeitsteilung zwischen den Ehepartnern einer Familie greift immer weniger. Ein zunehmender Anteil der einer „westlich orientierten“ Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft zur Verfügung stehenden jüngeren Führungskräfte besteht aus Männern und Frauen, die als Individuen oder Dual-Career Couples10 sowohl Verantwortung für den finanziellen Wohlstand einer Familie als auch für die Betreuung der Kinder übernehmen.

Die Gleichstellung der Geschlechter als prinzipielle Chancengleichheit von Männern und Frauen hinsichtlich Lebensqualität (materielle Sicherheit, persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, Verfügung über Zeit) ist eine gesellschaftlich weitgehend akzeptierte Zielsetzung. Letztlich kann diese aber ohne eine adäquate gesellschaftliche Gestaltung des Verhältnisses von Erwerbsarbeit und Elternschaft nicht erreicht werden. Lebenschancen werden in marktwirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaften vor allem über den Zugang zur Erwerbsarbeit zugewiesen und verteilt. Solange dieser Zugang für Frauen durch eine Mutterschaft verhindert oder zumindest massiv erschwert wird, kann die Zielsetzung der Gleichstellung der Geschlechter nicht erreicht werden.11 Hier eröffnet sich ein weiteres Konfliktfeld zwischen Familien als Privatsache und dem öffentlichen, kollektiven Interesse an Familie, das aber nicht im Zentrum dieser Arbeit stehen wird.

In den folgenden Ausführungen wird anhand von ökonomischen, sozialen und kulturellen Indikatoren erörtert, warum das Verhältnis von Erwerbsarbeit und Familie als ein starkes individuelles, familiales, aber auch organisationales Spannungsfeld betrachtet wird. Ausgangspunkt der Argumentation ist eine ungebrochene männliche und – vor allem bei Frauen mit einer qualifizierten Ausbildung – steigende weibliche Erwerbsorientierung.12

7    Konflikt [lat., confligere „zusammenschlagen“], Zwiespalt, Auseinandersetzung, Streit [zw. Personen, Staaten u. a.]; auch innerer Widerstreit von Motiven, Wünschen, Bestrebungen. Sozialer Konflikt: Interessengegensatz und daraus folgende Auseinandersetzungen verschiedener Intensität und Gewaltsamkeit zw. Personen, Gruppen, Organisationen, Gesellschaften, Staaten, Staatengruppen. Inhalt von Konflikten sind Differenzen über Werte, Lebensziele, Status-, Macht- oder Verteilungsverhältnisse. Über die Entstehung von Konflikten konkurrieren verschiedene Theorien: Die biologisch orientierte Verhaltensforschung geht von der Annahme nicht variabler biologischer Grundtriebe beim Menschen aus, postuliert ein allgemeines Potenzial von Aggression und erhebt den Konflikt damit zu einem „natürlichen“ sozialen Tatbestand. Sozialpsychologie und Soziologie führen Konflikte zurück auf Gegensätzlichkeiten zwischen den psychischen Antrieben und Motivationen der Menschen einerseits und den (Normen-)Ansprüchen gesellschaftlicher Ordnung andererseits oder auf Widersprüche im Gefüge der für den Menschen verbindlichen Verhaltensnormen selbst (sozialstruktureller Konflikt). Meyer, 1992, Bd. 12, s. 89 f.

8    Corell, W., Psychologie für Beruf und Familie, 18. Auflage, mvg Verlag, Heidelberg, 2007, S. 13.

9    Corell, W., S. 14.

10  Ornstein., S., Making sense of careers, in: Journal of Management, Los Angeles, 1993, S. 243–267.

11  Auer, M., Vereinbarungskarrieren, Eine karrieretheorethische Analyse des Verhältnisses von Erwerbsarbeit und Elternschaft, Rainer Hampp Verlag, München, 2000, S. 44.

12  Bosch, G., Zukunft der Erwerbsarbeit, Frankfurt, New York, 1998, S. 13–55.

Das Spannungsfeld zwischen Karriere und Familie

Trotz einer allgemein abnehmenden Arbeitsmotivation aller Berufstätigen ist Karriere zu machen noch immer für viele ein Lebensziel und für die ehrgeizige junge Führungskraft nach wie vor ein indiskutabler Lebensinhalt und Selbstzweck. Den Erfolgreichen (Männern wie Frauen) winken soziale Anerkennung, Befriedigung bei der Arbeit, überdurchschnittliche Einkommen und Macht über Menschen und Mittel. Im Beruf wird von der Führungskraft erwartet, ständig neue Ideen zu produzieren, belastbar und widerstandsfähig, unsentimental und „tough“ zu sein. Im Privatleben soll der gleiche Mensch voll Zärtlichkeit, Wärme und Einfühlsamkeit sein und sich genügend Zeit für die Familie nehmen. Darüber hinaus wird vom Mann erwartet, dass er seine emotionalen Bedürfnisse reduziert, da seine Partnerin den überwiegenden Teil ihrer emotionalen Zuwendung und Zärtlichkeit auf die Kinder richtet.

Die Führungskräfte müssen Spitzenleistungen in zwei Welten erbringen, deren Regeln in vielen Bereichen konträr auseinanderliegen. Was in der einen Welt als Muss-Kriterium gilt, kann in der anderen Welt missverstanden werden und so grundlegend falsch wirken13.

Die Spannung zwischen Karriere und Familie wird durch berufliche Mobilitätserfordernisse verstärkt. Globalisierung, im Sinne der von Beck14 so genannten „Enträumlichung“ sozialer Beziehungen und der abnehmenden Standortbindung unternehmerischer Aktivitäten, hat zu einem erheblichen Anstieg beruflicher Mobilitätserfordernisse geführt. Wie viel Mobilität verkraftet ein Familienleben? Die Untersuchungen von Schneider, Limmer und Ruckdeschel15 deuten darauf hin, dass Menschen nach einem ausgewogenen Verhältnis von Dauerhaftigkeit und Wandel, von Verlässlichkeit und Erneuerung streben. Wo Dauerhaftigkeit verordnet ist, wirkt sie lähmend. Wo aber Dauerhaftigkeit nicht existiert und die Möglichkeiten fehlen, sie herzustellen, entsteht Desorientierung. Die weitaus meisten Menschen wollen in partnerschaftlichen Lebensformen leben und nicht allein. Die Partnerschaftsbeziehung ist für viele die tragende Säule des Lebens. Die Lebenszufriedenheit, das zeigen alle einschlägigen sozialwissenschaftlichen Studien, wird in erster Linie durch die Zufriedenheit in und mit Partnerschaft und Familie bestimmt und nicht durch den Berufserfolg. Nach Thadden16 vollzieht sich gegenwärtig eine beachtliche Gegenbewegung zur kompletten Verfügbarkeit der Führungskraft für den Arbeitsmarkt. Auch wenn man der Meinung folgt, dass sich die Koordinaten des Spannungsfeldes verändern, bleibt klar, dass sich dadurch das Konfliktpotenzial zwischen Beruf und Familie nicht verringert, sondern nur verschiebt. Solange die finanzielle Absicherung der Familie durch den beruflichen Gelderwerb erfolgt und nicht zum größten Teil vom Staat übernommen wird, bleibt das Konfliktpotenzial bestehen. Selbst für den utopisch erscheinenden Fall, dass der Staat in Zukunft die Familie zur Gänze refundieren wird, bleibt der Bereich der Machtentfaltung außerhalb der Familie als Triebfeder für eine berufliche Karriere erhalten.

Die Themen Macht und gesellschaftliche Anerkennung werden an späterer Stelle diskutiert.

Abschließend kann gesagt werden, dass Mobilität, Berufskarriere und Familienentwicklung in einem engen Interdependenzverhältnis stehen: Eine hohe Mobilitätsbereitschaft ist förderlich für eine Berufskarriere. Eine hohe Intensität an beruflicher Mobilität hindert die Familienorientierung. Auf der anderen Seite verringern familiäre Bindungen die Mobilitätsbereitschaft und damit die Chancen für den beruflichen Aufstieg.

13  Czwalina, J., Walker, A., Karriere ohne Sinn, Gräfelfing, 1998, S. 18.

14  Beck, U., Was ist Globalisierung?, Frankfurt, 1997, S. 97.

15  Schneider, N., Limmer, R., Ruckdeschel, K., Familie und Beruf in der mobilen Gesellschaft, Frankfurt, 2002, S. 205.

16  Thadden, E., Gesucht: Fachkraft mit Familiensinn, in: Die Zeit, 45, Dossier, 2008.

Der Zielkonflikt, seine Ausprägungen, Folgen und mögliche Fluchtwege

Der Zielkonflikt zwischen einem erfolgreichen beruflichen Aufstieg einer Führungskraft und der Hinwendung zur Familie ist gekennzeichnet durch Höchstanforderungen auf beiden Seiten, die Leistungsdruck auf der einen und emotionalen Druck auf der anderen Seite bewirken. Alle Eigenschaften, die eine Führungskraft im Beruf nach vorne bringen, machen das private Zusammenleben mit ihr kompliziert. Sie kann sich den Anforderungen in beiden Bereichen häufig nicht entziehen und fühlt sich dieser Doppelbelastung nicht gewachsen. Die nicht berufstätigen Ehepartner wissen in der Regel zu wenig von den beruflichen Belastungen des Partners. Sein Aufstieg geht einher mit ihrem Abstieg. Je mehr beruflichen Erfolg er hat, desto mehr benutzt er sein Zuhause wie ein vertrautes Hotel, das von dem „alleinerziehenden“ anderen Partner geführt wird.

Die Konzentration auf die berufliche Karriere fordert Verzicht auf die Entfaltung anderer Potenziale der Persönlichkeit und erzeugt Verlustängste. Die Verlustangst und die Verletzbarkeit einer Führungskraft ist deutlich größer als die von Mitarbeitern ohne Führungsverantwortung. Je höher die Stufe der Karriereleiter erklommen wurde, desto tiefer ist ein möglicher Absturz. Diese Absturzgefahr besteht im familiären Kontext nicht nur in Liebesentzug durch den Partner und in sexuellem Versagen. Ernst Bornemann erläutert: „Alle Untersuchungen, die meine Kollegen und ich gemacht haben, laufen darauf hinaus, dass Menschen, die primär an Geld, Macht und Autorität interessiert sind, meistens im Geschlechtsleben schlecht abschneiden. Männer, die eine Frau wirklich befriedigen können, sind völlig andere Charaktertypen als die, deren Hauptstreben in Richtung Erfolg geht. Im höheren, vielleicht auch im unteren Management tobt häufig ein Kampf bis aufs Messer. Das führt eben dazu, dass viele Männer auch im Bett noch ihre Ellenbogen benutzen. Diese Umschaltung von der Tagesarbeit, bei der man immer beweisen zu müssen meint, dass man der Bessere ist, auf die Nacht, in der wir liebesfähig sein sollen und niemals über den anderen triumphieren dürfen – diese Umschaltung fällt vielen Männern schwer. Das ist eines der ganz großen Probleme in den höheren Rängen der bürgerlichen Gesellschaften.“17

Immer häufiger versuchen sich jüngere Führungskräfte der Doppelbelastung durch Beruf und Familie dadurch zu entziehen, dass sie entweder zugunsten familiärer Prioritäten auf einen Karriereschritt verzichten, oder sie verzichten für eine Karriereentwicklung auf familiäres Glück. Negativ ausgedrückt bedeutet das: Die einen nehmen familiäre Zerrüttung, Trennung und Scheidung in Kauf, weil sie sich für eine Karriere entschieden haben, andere nehmen berufliche Stagnation, Belächelt-Werden, sogar Arbeitslosigkeit hin, weil sie sich ihrer Familie gegenüber nicht der Verantwortung entziehen wollen.18 Differenziert man diesen Fluchtweg über die gesamte Spanne einer Karriere aus, stellt man allerdings fest, dass weiter vorausblickende Führungskräfte dem Konfliktfeld Beruf und Familie dadurch zu entrinnen suchen, dass sie sich in einer Lebensphase mehr für die berufliche Entfaltung und in einer folgenden Lebensphase mehr für Familienorientierung entscheiden. In der betrachteten Zielgruppe der jüngeren Führungskräfte mit heranwachsenden Kindern im Vorschul- oder Grundschulalter besteht dieser Fluchtweg höchstens als „Licht am Ende eines Tunnels“ und nicht als aktueller Ausweg. In unserer Zielgruppe wächst das Spannungsfeld von Tag zu Tag (und wie Bornemann dargelegt hat, auch von Tag zu Nacht). Der Versuch, beide Welten in Einklang zu bringen, findet weder vom einen noch vom anderen Partner her statt. Die Entfremdung wächst. Die nicht berufstätige Frau versteht immer weniger die Berufswelt des Ehemanns, der Ehemann unterschätzt die Aufgaben seiner Frau und versteht kaum mehr ihre Bedürfnisse und Einstellungen.

Die Entscheidung für eine der beiden Seiten bedeutet für viele ein Herausfallen aus den Erfolgsmustern der jeweils anderen Seite – mit der Folge, dass die eine der beiden Welten zusammenbricht, wenn die andere Welt nicht mehr in Ordnung ist. Der Zusammenbruch wird beschleunigt durch die Suche nach Kompensation von drohenden Verlusten auf beiden Seiten. Der Mann versucht sich anderweitig sein Zuneigungsbedürfnis zu erfüllen oder entwickelt sich zum „Workaholic“. Die Ehepartnerin flüchtet sich in andere Beziehungen und versucht ihre Bestätigung in Hobbys oder in der Konzentration auf Haus und Kinder zu finden. Die Folgen sind absehbar: Wegen der weiter steigenden Anforderungen an die Führungskräfte ist ein Ansteigen der Ängste, der Sinnkrisen bei den Managern einerseits sowie andererseits Isolation und der Trend zu alleinerziehenden, ledigen oder geschiedenen Müttern bei den Frauen zu erwarten, sofern sie nicht ihre Verwirklichung ebenfalls im Berufsleben gefunden haben. Bestenfalls finden wir oberflächliche, unverbindliche Beziehungen zwischen zwei „Sozialpartnern“19.

Die Folgen der steigenden Anforderung an die Führungskräfte sind das, was wir heute mit Burn-out-Syndrom bezeichnen. Dass nicht nur ehrgeizige Karrieristen Mitte vierzig bis Mitte fünfzig besonders gefährdet sind, im Beruf auszubrennen, zeigt eine Studie des Genfer Universitätskrankenhauses von 1996 über männliche Herzinfarktpatienten im Alter von 32 bis 45 Jahren, die nicht erblich für Herzinfarkt disponiert waren, sondern unter übermäßigen beruflichen und privaten Spannungen litten. Alle waren unfähig zum Träumen, zur Muße, zur Ruhe und zur Entspannung – sie waren auf der Flucht in berufliche Überaktivitäten.

Nach Burisch20 unterscheiden wir drei Typen von Burn-out: Das echte Ausbrennen derjenigen, die sich ihren Stress weitgehend selbst schaffen – „Selbstbrenner“, die nicht Nein zur eigenen Unruhe sagen wollen. Demgegenüber sind die Wear-out-Betroffenen, die Verschlissenen, eher die Opfer externen Druckes, die nicht Nein zu anderen sagen können. In den USA gibt es auch noch die ironische Bezeichnung Rost-out für diejenigen, die den Mitleidsbonus von Burn-out für sich nutzen möchten, ohne jemals gebrannt zu haben. Bis es zu solchen Zuspitzungen kommt, laufen Eskalationsprozesse ab. Burn-out bricht nicht auf einmal aus. Im Vorfeld findet man oft eine längere Kette von frustrierten Erwartungen, misslungenen Handlungsplänen und ausgebliebenen Belohnungen in Beruf und Familie.

Schon während des Karriereaufstiegs wird der Führungskraft klar, dass ihre idyllische Vorstellung, die Familie sei ein Hort der Ruhe, hart mit der Wirklichkeit kollidiert. Kaum hat sie den täglichen Leistungsdruck am Arbeitsplatz hinter sich gelassen, empfängt sie der Erwartungsdruck der Familie nach Verständnis und Zuneigung, nach Mitarbeit und Problembewältigung, dem sie sich nicht mehr wirklich gewachsen fühlt. In der Familie wird der berufstätige Ehemann immer mehr in Frage gestellt. Der Respekt vor dem „Vielarbeiter“ nimmt ab.

Die nicht berufstätigen Ehepartner arrangieren sich je nach ihrem Naturell auf unterschiedliche Weise mit ihren nicht erfüllten Erwartungen. Die geistig unabhängigen, selbstbewussten und gebildeten Frauen machen das Beste aus ihrem Leben, genießen Wohlstand, die Zeit für die Kinder und schaffen sich ihre eigenen privaten Beziehungen. Die eher Bescheidenen und Zurückhaltenden definieren sich nur über den Mann und leiden im positiven Fall eher stumm. Im negativen Fall suchen sie Ersatzbefriedigung durch Flucht in den Konsum, durch sexuelle Beziehungen außerhalb der Partnerschaft, durch Medikamente und Alkoholmissbrauch oder durch esoterische Hinwendung zu abstrusen Heilswegen. Der berufstätige, aber nicht karrieresüchtige Partner gerät ebenso in Versuchung, die gleichen Fluchtwege zu beschreiten. Wo gegenseitiges Verständnis fehlt, suchen Führungskräfte und ihre Partnerinnen nach Wegen, die innere Leere zu füllen und Krisen zu entfliehen.

Mit und ohne Ausübung ihres Berufes ist die junge Ehefrau und Familienmutter unserer Zielgruppe zu sehr viel größerem Selbstbewusstsein erzogen worden. Meist ist sie heute nicht mehr bereit, sich dem männlichen Dominanzanspruch unterzuordnen. Sie empfindet ihn umso unberechtigter, je wacher und gebildeter sie ist.

17  Bornemann, E., Die Zukunft der Liebe, Fischer Taschenbuch, 1997, S. 87.

18  Czwalina, J., Walker, A., Karriere ohne Sinn, Gräfelfing, 1998, S. 20.

19  Czwalina, J., Walker, A., S. 22.

20  Burisch, M., Das Burn-out-Syndrom, Heidelberg, 1994, S. 121.

Konfliktanalyse

Einsicht in Gutes und Böses allein genügt nicht, sich auch für das Gute zu entscheiden; was hinzukommen muss, sind Motive für das Gute, mit denen man sich identifiziert. Aus ihnen erwächst die ethische Kraft des Willens, der unsere Ausdauer und unser Durchhaltevermögen ausdrückt; führt er zum Erfolg, verstärken sich Motivationen. Die Ausdauer des Menschen ist eine Funktion der Motivation und der bisherigen Erfolgserlebnisse.

Werner Corell

„Psychologie für Beruf und Familie“, S. 48

Ursachen und Motive

Wir haben festgestellt, dass Konflikte im beruflichen und familiären Bereich dann entstehen, wenn Erwartungen, die wir an uns selbst oder andere gestellt haben, nicht erfüllt werden. Erwartungen haben wir als diejenigen Ziele definiert, die weitgehend unser Handeln bestimmen. Ein erreichtes Ziel führt zu einem Erfolgserlebnis. Diese Erfolgserlebnisse bezeichnet Corell als „Treibstoff für unsere Seele“. Sie begründen den Menschen als aktives, handelndes Wesen, wobei Aktivität auch gedankliche Aktivität21 sein kann. Somit strebt der Mensch immer nach Erfolg, d. h. der Erreichung seiner Ziele. Erfüllen sich seine Erwartungen nicht, entsteht Frustration, denn er hat vergeblich (frustra) etwas erwartet oder zumindest mehr erwartet, als er in seinem beruflichen und privaten Umfeld erreichen kann. Da die Menschen unter den heute geltenden Wertvorstellungen mit zunehmender Emanzipation von den an sie gestellten Bevormundungen immer selbstständiger werden und immer mehr Selbstverwirklichung wünschen, steigen die Erwartungen an das jeweilige Umfeld. Die Frau hat sich in zunehmendem Maße emanzipiert von den Fesseln der Bevormundung durch den Mann, die Ehepartner sind weitgehend befreit vom Joch der totalen Abhängigkeit voneinander. Auch die Kinder sind befreit von der Bevormundung durch die Lehrer und Erziehenden, weil deren Autorität nicht mehr von Amts wegen gilt oder sich aus der Verantwortung der Erziehenden ableitet. Der Mitarbeiter im Unternehmen fühlt sich nicht mehr an den ursprünglichen Gehorsam gegenüber dem Vorgesetzten gebunden. Eine steigende Zahl an Mitarbeitern erwartet ein höheres Maß an Beteiligung, an Mitbestimmung und an Identifikationsmöglichkeit mit ihrer Arbeit und ist immer weniger bereit, eine Arbeit auszuführen, weil sie befohlen wird oder zum Lebensunterhalt wichtig erscheint.22 Im Kommunikationsprozess der jüngeren Führungskräfte mit ihren Vorgesetzten auf der einen und mit den ihnen unterstellen Mitarbeitern auf der anderen Seite wächst die Frustrationsdichte der jüngeren (und meist noch mittleren) Führungskräfte, weil sie nicht gleichzeitig ihren Vorgesetzten Gehorsam verweigern und von ihren Untergebenen Subordination fordern können. Bestehende Hierarchien beginnen sich aufzulösen.

Da die Leidensfähigkeit des Menschen in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft wegen einer nachlassenden positiven Leidensmotivation dramatisch abnimmt, verringert sich auch die Frustrationstoleranz des einzelnen Bürgers in gleicher Weise. Die Folge ist, dass wir sowohl in den Handlungsfeldern Beruf und Familie als auch im Spannungsfeld zwischen Beruf und Familie immer häufiger in Konflikte geraten, deren Existenz wir nicht mehr problemlos zu bewältigen vermögen, weil wir nicht bereit sind, sie zu akzeptieren.