Mark Scheppert

KOALALAND

Australienroman

Inhalt

G’day Australia – Ankunft

Seine Sicht:

Als Kinder schwärmten meine Schwester Conny und ich von Australien. Rotbraune Kängurus sprangen in unseren Träumen elegant durch die unendlichen Weiten unseres Kinderzimmers, knuffige Koalas klammerten sich wie Teddys an Zimmerpflanzen, und quietschgelbe Fische schwammen in einem imaginären türkisblauen Aquarium. Es ging stets ein romantischer Zauber von dem Land aus, in dem sich das Wasser falsch herum in den Abfluss ergießt und meiner Logik nach alles auf dem Kopf stehen musste. Wir hängten uns sogar ein Poster vom magischen roten Berg und eine Landkarte an die Wand und fragten uns nachts nach Namen von Städten, Flüssen und Wüsten ab. Insgeheim hofften wir, jemals so weit reisen zu können.

Natürlich beneidete ich Conny, die sich sofort mit 18 diesen Lebenstraum erfüllte, doch ich wollte meine Tour anders angehen. Wenn ich schon in das kontinentgroße Land fliegen würde, bräuchte ich Geld und vor allem Zeit. Beides habe ich nun.

Der Kontoauszugsdrucker hatte eine akzeptable vierstellige Zahl ausgespuckt und im Gegensatz zu meiner Bekannten Nina, die mit mir auf Reisen geht, konnte ich zehn Wochen Urlaub am Stück über zwei Jahre hinweg sammeln. Okay, ich hätte auch kündigen können, aber das wäre nicht meine Art zu leben. Dennoch werde ich das dröge Arbeitsleben am allerwenigsten vermissen.

In Singapur verbringen wir zwei entspannte Tage und Nächte mit unseren Freunden Jörn und Maria, die hier gerade ihren Asienurlaub beenden, bevor wir uns in entgegengesetzte Richtungen verabschieden: sie zurück in die bitterkalte deutsche Heimat und wir „Down Under“ ins Abenteuerland.

Am Flughafen legen wir die Tickets zusammen mit Ninas Vielfliegerkarte auf den Tresen. Die „Holzklasse“ von Qantas ist überbucht, doch ihr Plastikteil leuchtet golden, sodass wir Sitze im Businessbereich bekommen. Für mich ist es das erste Mal, dass ich so privilegiert fliege – viel besser hätte die Reise nicht beginnen können. In den Seitentaschen des gepolsterten Sessels finde ich neben Hochglanzmagazinen zwei scheinbar vergessene 0,2–Liter–Flaschen Rotwein. Eine drehe ich schon vor dem Start auf und lächele überglücklich zu Nina hinüber. Sie schüttelt mit dem Kopf, kurbelt ihren Sitz in eine bequemere Position und schläft unmittelbar ein.

Mich jedoch füllen die Stewardessen mit Exportbier und vorzüglichem Wein aus echten Gläsern regelrecht ab. Nachdem ich diverse Filme geschaut, unzählige Spiele getestet und den Rest der Nacht „Midnight Oil“ gehört habe, beginnen wir mit dem Landeanflug. Leicht beschwipst stolpere ich zum Einreiseschalter, wo man mich nicht mal nach dem elektronischen Visum fragt, sondern lediglich herzlich in Australien willkommen heißt. Auf einmal werde ich ganz melancholisch und meine Augen füllen sich mit Tränen. „Schwesterherz!“, könnte ich schreien. „Ich habe es jetzt auch endlich geschafft!“ Das Überschreiten der berühmten „blauen Linie“ am anderen Ende der Welt symbolisiert für mich das größtmögliche Freiheitsgefühl, welches ich jemals im Leben verspürt habe!

Ihre Sicht:

Australien war nicht gerade meine erste Wahl für eine Auszeit. Nein, ich habe nichts Schlechtes über das Land gehört – aber eben auch keine Sachen, die mich vor Vorfreude schier ausflippen ließen. Wenn ich schon meine Karriere durch diese Reise aufs Spiel setze, wäre ich lieber nach Neuseeland geflogen. Dort gibt es hohe Berge, schneebedeckte Vulkankegel, reißende Flüsse, grüne Hügel, bläulich schimmernde Gletscher, niedliche Pinguine und monströse Wale. Außerdem locken die „Kiwis“ mit tropisch anmutenden Badebuchten und malerischen Sandstränden. Alle, die schon einmal dort waren, schwärmen von diesem Land. Australien steht demgegenüber für menschenleere, trockene Wüsten, unerträgliche Hitze, für von Erosion zerfurchte Böden und vor allem für äußerst giftiges Viehzeug. Außerdem soll sich dort überall dieses Backpacker–Gesindel herumtreiben – menschliches Strandgut, das mir mit seinem dämlichen Gequatsche augenblicklich die Laune verderben wird. Doch ich hatte es Herrn Schmidt in die Hand versprochen und nun stehe ich auch zu meinem Wort. Zwar kennen wir uns bisher eigentlich nur von der Donnerstagsrunde, ein paar Partys und Konzerten, doch im letzten Jahr buchte ich – nach all seinen kindlichen Betteleien – dann doch die Flüge. Er ist nicht unbedingt mein Typ, aber als Reisepartner bestimmt ganz passabel.

Dass ich mir, zusätzlich zum regulären Urlaub, einen Monat unbezahlten nehmen muss und Nicole, die dusslige Kuh, welche mich in der Zeit vertritt, sicher sämtliche Projekte in den Sand setzen wird, nervt allerdings. Ich habe sogar ein bisschen Angst, dass mir mein Boss bei der Rückkehr sagt: „Vielen Dank, nun brauchen wir Sie auch nicht mehr.“ Doch das wird schon nicht geschehen. Ich habe das Handy und meinen Laptop dabei, sodass ich mich jederzeit ins Firmennetz einklinken kann. Es wird einfach so sein, als wäre ich nie weg gewesen, und zeitgleich verbringe ich zwei entspannte Monate in der strahlenden Sonne am Meer.

Ich kenne Singapur durch zwei Geschäftsreisen recht gut und so führe ich Michael, Maria und Jörn ein wenig herum. Da man sich dort fast überall in vollklimatisierten Gebäuden aufhalten und sogar europäisch essen kann, mag ich diese Stadt. Wieder einmal stelle ich fest, dass unsere Freunde extrem angenehme Zeitgenossen sind und ich freue mich schon jetzt darauf, mit ihr in der Heimat mal wieder zu shoppen und mit Jörn auf eine Motorradtour zu gehen.

Auf dem Weiterflug bekommen wir ein Upgrade und sie belasten mir nicht mal die Job–Meilenkarte. Es dauert allerdings keine 20 Sekunden und Herr Schmidt benimmt sich wie der letzte Idiot. Schon vor dem Take–Off säuft er Rotwein direkt aus der Pulle und sein erstes Bier bestellt er in etwa 800 Metern Flughöhe. Ich bin kaputt, versuche zu schlafen und träume von der Arbeit. Als ich erwache, daddelt er sinnlose Spiele – mittlerweile ist der Kerl bei Weißwein angelangt – und lacht sich schlapp, wenn bei Tetris die untere Ebene wegbricht. Am Terminal in Sydney habe ich das Gefühl, dass er rattentütenzu ist, und als wir nach endloser Wartezeit an der Passkontrolle und beim Zoll dieses Land endlich betreten dürfen, würde ich am liebsten wieder umkehren. „G’day“, ruft ein Beamter und ich murmele: „Na schönen guten Tag auch!“

Darling, Kings Cross und Bondi – Sydney

Seine Sicht:

Während sich Nina eine Karte für ihr Handy besorgt und Geld zieht, komme ich vor dem Flughafengebäude mit Steffi ins Gespräch. Sie hat sich eine Deutschlandfahne um die Hüfte gebunden, auf der all ihre Freunde vor der Abreise unterschrieben hatten. Leider kann sie erst um 15 Uhr in ihrem Hostel in Kings Cross einchecken und weiß nicht, was sie bis dahin machen soll. Jetzt ist es 8 Uhr. Am liebsten würde ich sie mitnehmen. Doch Nina hat längst entschieden, dass wir nicht im Kultstadtteil übernachten, sondern zum Ankommen in ein „vernünftiges“ Hotel fahren. Dann soll sie das auch organisieren – vorgebucht haben wir nämlich nichts. Ich mache ihr zudem klar, dass ich maximal bereit bin, einen Anteil von 50 AU$ für das Zimmer zu zahlen. Sie akzeptiert es, wenngleich sie großkotzig ruft: „Na du bist mir ja ein Pfennigfuchser.“

Mit dem Handy am Ohr schaut sie abfällig zu Steffi herüber und deutet mit genervtem Nicken an, dass ich meinen Rucksack schultern soll. Wie ein Trottel folge ich ihrem monströsen lilafarbenen Rollkoffer zum Taxistand. Sie ruft dem Fahrer zu: „Fahr mal in ein schönes Hotel in die Innenstadt.“ So zumindest deute ich es, denn mein Englisch ist nicht gerade brillant.

Obwohl ich ordentlich geplättet bin, ahne ich, dass Sydney eine wunderbare Stadt ist. Auf dem Stadtplan am Flughafen waren die bebauten Flächen hellrosa, die Parks grün und das Meer milchig blau eingezeichnet gewesen. Bei strahlendem Sonnenschein fahren wir durch eine grün–blaue Landschaft entlang weniger rosafarbener Sprenkel.

Der Chauffeur hat beschlossen, dass das „Novotel“ am Darling Harbour für meine anspruchsvolle Begleiterin genau das Richtige sei. Sie verrät mir nicht, wie teuer das Zimmer ist, sondern zischt: „Ich bekomme dann noch 150 Aussie–Dollar für die drei Nächte von dir.“ Wie immer, wenn ich irgendwo ankomme, bin ich extrem aufgekratzt und werde von einer inneren Unruhe angetrieben, doch Nina will schlafen. Zumindest kann ich sie überzeugen, auf der Terrasse des Restaurants ein erstes einheimisches Bier zu testen. Das frisch gezapfte „Victoria Bitter“ schmeckt wie der erste Eindruck von diesem Fleckchen Erde – fantastisch.

Ich bestaune mit offenem Mund den traumhaften Blick über den Stadthafen und die in der Sonne glitzernde Skyline. „Genau hinter uns muss das Outback liegen“, rufe ich Nina zu und deute über den Hotelkomplex hinweg. Im Reiseführer erfahre ich, dass das ehemalige Industrie–Viertel „Darling Harbour“ erst vor der Olympiade 2000 umgebaut wurde und nunmehr zu den schönsten Ecken der Stadt gehört. Schon einmal dabei, lese ich ihr ein paar Fakten über Sydney vor. Allein hier könnten wir sicherlich zwei Wochen verbringen. Sie scheint, mir nur mit einem Ohr zuzuhören, und geht recht bald aufs Zimmer. Wenig später folge ich, schlafe unmittelbar ein und träume von der Frau neben mir im Bett. Nina war meine allererste Wahl, als es darum ging, eine Reisebegleitung zu finden. Wir sind zwar nur gute Freunde, doch schon seit Jahren finde ich sie anziehend und mache mir nun gewisse Hoffnungen, sie in Australien endlich zu erobern, zumal sie momentan in keiner festen Beziehung steckt.

Ich weiß nicht, ob dieser Schlaf vorteilhaft war, um ein Jetlag zu verhindern, aber danach bin ich ausgeruht und kann es kaum noch erwarten loszulaufen. Nina trägt ein eng anliegendes gelb–geblümtes ärmelloses Kleid, in dem sie fantastisch unschuldig aussieht. Wir überqueren eine alte Drehbrücke, die zum Fischmarkt führt, bevor es zurück in die Innenstadt geht. Sie will schon nach knapp 200 Metern in die über uns ratternde Einschienenbahn steigen, doch ich überzeuge sie, dass wir zu Fuß wesentlich mehr vom Charme der Stadt mitbekommen. Ihr zuliebe stoppen wir sogar an einem Restaurant und so gestärkt, können wir den Weg zu den ultimativen Highlights in Angriff nehmen. Als ihr Telefon klingelt, befinden wir uns am Fuße einer gigantischen Brücke. Sie verschwindet hinter einer dicken Betonsäule.

Es ist die (!) Brücke und im Lichte der langsam versinkenden Sonne rührt mich der Anblick der stählernen „Harbour Bridge“ und des gegenüber gelegenen Opernhauses mit seinem markanten eierschalenförmigen Dach zutiefst. Obwohl ich die Bauwerke schon hunderte Male auf Fotos gesehen habe, läuft mir ein kühler Schauer über den Rücken. Sie sind – neben dem Uluru – die unverkennbaren Wahrzeichen des Landes. Soeben wurde mir Australien einfach vor den Latz geknallt. Als Nina endlich unter einer Laterne neben mich tritt, nehme ich sie wie eine Schwester in die Arme. Von einem Touristen lassen wir uns mit breitem Grinsen und Victory–Fingern fotografieren. ‚Unsere Beziehung zum Verrücktwerden freundschaftlich’, denke ich, als sie einfach weiterläuft.

Im angrenzenden historischen Stadtteil „The Rocks“ entdecken wir den „Löwenbräu–Keller“. Nina findet es zwar vollkommen abartig, dort hineinzugehen, macht aber auch keinen besseren Vorschlag. Alle paar Minuten brülle ich: „O’zapft is“, und spüre dabei gleichzeitig, dass es schleunigst an der Zeit ist, Deutschland zu vergessen. Mit einem Taxi fahren wir zurück ins Hotel, relaxen bei einem Schlummifix–Wein an der Bar und besprechen die nächsten Tage. In der Nacht würde ich mich gern ankuscheln, doch Nina weist mich wirsch ab und erklärt mir irgendwelche Regeln, die ich auf dieser Tour gefälligst einzuhalten hätte. Außerdem möchte sie noch ein paar Seiten lesen.

Obwohl ich kein Frühstücker bin, esse ich am nächsten Morgen, als ob ich seit Tagen nichts bekommen hätte. Für Nina, die olle Business–Tante, mag die exquisite Auswahl ja normal sein, doch ich finde das Buffet unfassbar vielfältig. Etliche exotische Früchte habe ich noch nie zuvor gesehen.

Mit der U–Bahn fahren wir nach „Kings Cross“, um den Camper für die nächsten Wochen zu mieten. Gefiel mir die Stadt entlang des natürlichen Hafens mit ihrer Mischung verschiedener Baustile bisher schon sehr gut, empfinde ich nun ein Gefühl des Angekommenseins. Stundenlang könnte ich durch das Viertel mit den Künstler– und Eckkneipen, Inn–Restaurants und Stehimbissen, heruntergekommenen Hostels und dekadenten Boutiquehotels, Tabakläden, Wettbüros, anrüchigen Stipplokalen und teuren Etablissements laufen. Auf Höhe eines Touristenbüros bietet mir Nina an, dass sie sich auch allein um den Wagen kümmern könne, falls ich mich noch umschauen wolle. Dankend nehme ich an und hole mir einen Caffè Latte, wobei sie mich erst beim fünften Mal verstehen. Hinter mir ruft ein Kerl: „Grandee Latteej“ und bekommt seinen Deckelbecher unverzüglich. Da hätte ich mir wohl lieber einen „Flat White“, „Long Black“ oder „Cappuccino“ bestellen sollen. Mit meinem Heißgetränk laufe ich die Darlinghurst Road hinunter, um auf der Victoria Street gemächlich zurückzuschlendern.

Als ich den Laden betrete, hockt meine Freundin vor einem Computer und surft im Internet. Neben ihr liegen ausgedruckte Papiere. Geschockt rufe ich: „Was soll denn der Scheiß?“ Nina hatte keinen Camper, sondern ein stinknormales Auto gemietet und das auch nur für zwei Wochen. Sie blickt kurz vom Bildschirm auf und erklärt mir beiläufig, dass dies ein Special–Offer gewesen wäre. Den Wagen könnten wir in Brisbane wieder abgeben und uns dort einen Wohnwagen mieten, um ins Outback zu fahren.

Natürlich weiß ich, dass die mondäne Großstadtfrau im Vorfeld nicht gerade begeistert war, auf einsamen australischen Campingplätzen herumzustehen, aber dass sie diese Entscheidung allein getroffen hatte, ärgert mich maßlos. Irgendwie fährt diese Reise schon jetzt gegen den Baum. „Mann Nina, log dich endlich aus“, schnauze ich. Sie schnappt die Unterlagen, zahlt und folgt mir vor die Tür. In der Fensterscheibe sehe ich, dass sie spöttisch in sich hineinlächelt.

Letztendlich umgarnt sie mich in einem Netz aus Schmeicheleien, dass der Preis unschlagbar gewesen wäre und ich die ersten zwei Wochen in einem bequemen PKW und gemütlichen Hotels sicherlich auch genießen werde. Dennoch bin ich sauer. Den Rest des Tages werden wir heute erstmal so verbringen, wie ich das für richtig erachte.

Mit der U–Bahn geht es zur „Bondi Junction“, wo wir in den Bus nach „Bondi Beach“ umsteigen. Schon in der Metro stehen braungebrannte Typen mit unter den Arm geklemmten Surfbrettern neben mir und als ich den berühmten Strand zum ersten Mal erblicke, übertrifft er all meine Erwartungen. Nein, der Sand ist nicht weißer, das Meer nicht blauer und das Tosen der Wellen nicht bombastischer als erträumt. Es ist die Atmosphäre. Die Leute surfen, schwimmen, radeln, skaten, joggen, spielen, essen, trinken, flanieren, shoppen und in fast jedem Gesicht sieht man ein entspanntes Lächeln. Plötzlich befinden wir uns in einem verzauberten Dorf der Glückseligkeit innerhalb der Stadtgrenzen von Sydney.

Während Nina umständlich ihr Badehandtuch ausbreitet, renne ich schreiend in die Fluten. Auf dem Weg quietscht der warme Sand unter meinen Füßen und obwohl die Brandung heftig ist, lasse ich mich von den überraschend kühlen Wellen minutenlang umherwirbeln. Schon nach wenigen Minuten ist der Ärger des Tages vergessen. Allerdings hat mich im Wasser etwas in den Finger gepiekst, was jetzt höllisch brennt. Ich massiere die Stelle und beobachte die Surfer eines Anfängerkurses, von denen sich die meisten ziemlich dämlich anstellen. Zwei Mädels aus der Schule kommen schreiend herausgerannt und lassen sich mit einer Flüssigkeit behandeln. Haie werden es wohl nicht gewesen sein, obwohl die vor Bondi – trotz Unterwassernetzen – manchmal auftauchen sollen. Scheinbar sind auch sie von irgendetwas gestochen worden.

Nina geht hinüber und erkundigt sich, was los ist. Danach macht sie mir klar, dass sie heute nicht mehr ins Wasser geht, da sie keinen Bock auf Begegnungen mit derart fiesen Quallen hat. „Und ich nicht auf gekochte Krebse“, murmele ich und deute auf ihre verbrannten Oberschenkel. Der 20iger UV–Faktor ist wohl ein bisschen zu schwach für meine blonde Begleiterin. Bevor wir in einem schattigen Café einkehren, lasse ich mir vom Bademeister mit der albernen rotgelben Kappe den schlimmen Finger mit Essiglösung beträufeln.

Am Nachmittag laufen wir rechter Hand die raue Klippenküste empor. Schon auf der ersten Anhöhe verschlägt mir der Ausblick den Atem. Der kilometerlange „Bondi Beach“ breitet sich nun unter uns aus. Das Wasser ist kristallklar und die Surfer vollführen riskante Manöver, um nicht auf den nahe gelegenen Felsen zu zerschellen. Außerdem befindet sich auf der Landzunge ein hellblau schimmerndes Schwimmbad, welches sich malerisch von den dunkleren Tönen des Meeres abhebt. Hinter den immens hohen Schaumkronen im Süden kann ich mir sogar Eisschollen, auf denen tollpatschige Pinguine herumwatscheln, vorstellen.

Ihre Langsamkeit ist allerdings zum Verrücktwerden, was womöglich an den Mini–Füßen liegt, die eher Hufen gleichen. In Tippelschritten erreichen wir irgendwann dennoch die Traumbucht von „Tamarama“. Auf einer Wanderkarte sind die kommenden Strände – wie „Bronte“ und „Clovelly“ – verzeichnet, die wir bei diesem Tempo nicht mehr sehen werden. Doch während ich eine Runde schwimme – an einigen Stellen spüre ich einen erheblichen Sog –, kann sie sich erholen, sodass wir erst an einem steilen Hang, an dem ein Friedhof empor klettert, umkehren. Was für ein fantastischer Küstenabschnitt!

Tiefenentspannt fahren wir zurück zum Darling Harbour. Da die Sonne gerade hinter der Skyline verschwindet, rennen wir zum Hafen und springen ohne Tickets auf eine Fähre, die zum Circular Quay tuckert. Dort wurde am 26.01.1788 die erste Siedlung des Landes gegründet. Die Ankunft der „First Fleet“ wird bis heute als „Australia Day“ gefeiert, obwohl an jenem Tag mehr Strafgefangene als Matrosen im jetzigen Sydney landeten. Willkommen in der Stadt der Diebe.

Ich mache Fotos von Nina in der Abenddämmerung unter der berühmten Brücke mit Blick auf die Sydney Opera, welche die Australier angeblich Auster nennen. Doch auf keinem einzigen Bild sieht sie glücklich aus. Dafür zeige ich meine Grübchen, als wir am Kai unseren ersten wahrhaftigen Aborigine sehen. Die Klänge, welche aus seinem kunstvoll bemalten Didgeridoo ertönen, erinnern mich an die ersten surrenden Töne in „The dead heart“ von „Midnight Oil“. Ich werfe dem beeindruckend anders aussehenden Mann all mein Kleingeld in seine Holzschale und lächle dümmlich vor Glück.

Da wir nicht im „Löwenbräu“, sondern bei einem Italiener landen, entkrampfen sich auch Ninas Mundwinkel wieder. Wir bestellen Pizza – Nina Salami und ich Känguru–Krokodil–Belag. Sie rümpft die Nase und nuschelt: „Mann, bist du eklig“, aber ich finde, dass dies zusammen mit Fassbier eine ausgezeichnete Wahl ist. Im Fernsehen läuft Aussie Rules Football und ich habe das Gefühl, Zeuge eines außerordentlich rasanten Spiels zu sein, was allerdings auch am euphorisch brüllenden Kommentator liegen kann.

Endlich reden wir sogar miteinander und selbst Nina sieht irgendwann ein, dass wir auf dieser Reise die Entscheidungen gemeinsam treffen sollten. Als Entschädigung für den heutigen Streit nehmen wir uns vor, den anderen am nächsten Tag mit einer schönen Idee zu überraschen. Noch vor dem Zubettgehen überlege ich fieberhaft, was uns beiden gleichermaßen Spaß machen könnte. Mir fällt erst einmal nichts ein.

Ihre Sicht:

Herr Schmidt, alias Micha, hat ja schon in Deutschland Geld getauscht, doch sicher bekomme ich am Automaten einen viel besseren Kurs. Auch die Prepaid–SIM–Karte mit einem Guthaben von 150 AU$ kaufe ich ganz „easy“ an einem Vodafone–Stand. Auf dem Weg nach draußen teste ich, ob das mit der Auslandsvorwahl funktioniert und rufe bei meiner Kollegin Simone an. Leicht verschlafen teilt sie mir mit, dass in der Firma seit Tagen das pure Chaos herrscht und Nicole, das Riesen–Rindvieh, extrem viel Scheiße gebaut hat. Na das geht ja gut los!

Am Ausgang steht mein Reisebegleiter für die nächsten zwei Monate und quatscht mit einer bekloppten Tussi, die sich eine schwarz–rot–goldene Fahne um die Fettpolster geschwungen hat. Ich gebe ihm ein Zeichen und per Taxi fahren wir nach Downtown. Schmidt wäre am liebsten ins Backpacker–Viertel gefahren, doch ich habe keinen Bock auf „Assihausen“, sodass uns der Fahrer freundlicherweise an einem „Novotel“ am Stadthafen hinauslässt.

Ich hab mich damit einverstanden erklärt, dass wir seine Budgetgrenze bei Hotels einhalten werden und ich dann eben mehr bezahle. Das Zimmer kostet 220 AU$ die Nacht, doch es ist mir egal, da mein Kontostand wahrscheinlich zehnmal so hoch ist wie seiner. Außerdem haben sie Internetanschluss im Zimmer – da zücke ich die Visakarte doch sehr gerne.

Nach einer Dusche schmeiße ich den Laptop an, um zu sehen, ob alles funktioniert, bevor ich hinunter zu Herrn Schmidt gehe. Der sitzt auf dem Balkon des Frühstücksrestaurants und hat zwei große Bier vor sich stehen. „Zum Ankommen!“, ruft er mir freudestrahlend zu. Wie peinlich: Nebenan sitzen herausgeputzte Touristen und trinken Kaffee, während er um 9 Uhr Alkohol säuft. Einige blicken angeekelt zu uns herüber, als mein überdrehter Kumpel irgendeinen Scheiß aus dem Reiseführer vorliest. Ich höre, dass Australien 21,5 Mal so groß wie Deutschland ist, und hoffe innerlich, dass er nicht alles davon sehen will. Als ich mich verabschiede, hat er bereits seinen dritten „Schooner“ intus.

Am Schreibtisch in unserem Zimmer lese ich E-Mails und ärgere mich, dass Nicole scheinbar nichts von dem verstanden hat, was ich ihr bei der Übergabe erklärte. Dumme Kuh! Gefühlte 2,4 Sekunden später kommt meine Reisebegleitung ins Zimmer getorkelt, wirft sich in seinen verschwitzten Klamotten aufs Bett und pennt sofort schnarchend ein. Dummer Ochse! Dann ein Furz. Dieses Schwein! ‚Herzlich willkommen‘, denke ich mir, ‚in einem tierisch guten Langzeiturlaub!’

Kaum zu glauben, dass Herr Schmidt gegen 16 Uhr – nach zwei Tagen – zum ersten Mal fast nüchtern wirkt. Ich trotte ihm mit bleischweren Beinen ins Hochhausghetto von Sydney hinterher, obwohl ich viel lieber Bus oder Monorail gefahren wäre. Da wir seit dem Morgen nichts gegessen haben, melde ich Hunger an. Er will zu einem Koreaner. Mir hätte eine Pizza oder ein Baguette auf die Hand vollkommen gereicht – aber es muss ja unbedingt ein Asiat sein, obwohl er weiß, dass ich deren Küche nicht mag. Unvermittelt könnte ich heulen.

Auf dem langen Weg zur Brücke klingelt mein Handy. Simone! Sie brüllt ins Telefon, dass die Gelder für das US–Projekt gestrichen wurden. Zu meiner Niedergeschlagenheit mischt sich Wut, denn momentan kann ich nichts für sie tun. Noch heute werde ich Hübner – diesem Penner – eine E-Mail schreiben, die sich gewaschen hat.

Fast hätte ich durch das Gespräch den Sonnenuntergang an den für Herrn Schmidt so wichtigen Sehenswürdigkeiten – einer rostigen Eisenbrücke und einer weißen Asbestbeton–Oper – verpasst. Als er mich mit Bauerntrottelblick anlächelt, denke ich genervt, dass wir jetzt ja nur noch zu diesem roten Stein im Inland fliegen müssen. Dann haben wir alles in Australien gesehen und können uns für den Rest der Zeit an den Strand knallen.

Richtiggehend sauer werde ich, als er mich in den „Löwenbräu–Keller“ schleppt. Was für ein Touristenscheiß! Die Bedienungen sehen wie billige Karikaturen des Hofbräuhauses aus, sprechen Deutsch und drinnen spielen sie Volksmusik. Echt widerlich. Okay, doch erstmal nicht zurück in die Heimat! Das Bier schmeckt nicht besser als Australisches – ist jedoch doppelt so teuer, was ihm nichts auszumachen scheint. Ich ignoriere sein Gebrabbel, bis wir endlich ins Hotel fahren. Bei zwei Gläsern Rotwein bereite ich innerlich den Text an Hübner vor.

Im Zimmer habe ich das Gefühl, dass er mich am liebsten angrabschen würde, und greife mir sicherheitshalber den Reiseführer. Angestrengt blättere ich darin herum, bis es mir zu blöd wird. Ich mache meinem Bettnachbarn klar, dass wir auf diesem Trip nur in einem „Double room“ schlafen können, wenn er die Finger von mir lässt.

Als er endlich pennt, fahre ich den Rechner hoch. Die Worte an meinen Boss wähle ich zwar mit Bedacht, aber es soll schon klar werden, dass er Budgets für Projekte nicht einfach canceln kann, nur weil ich 20 000 Kilometer entfernt am Arsch der Welt hocke. Ewig wälze ich mich im Bett herum und gegen vier Uhr wache ich wieder auf und starre fast zwei Stunden lang an die kahle Decke. Obwohl ich schon etliche Überseetrips hinter mir habe, ist dies der beschissenste Jetlag meines Lebens. Scheißtag!

Als mich Herr Schmidt zum Frühstück weckt, fühle ich mich wie erschlagen. Doch im Gegensatz zu mir ist er prächtig gelaunt. Er labert ohne Punkt und Komma, dass Sydney eine zauberhafte Mischung aus New York, London und Nizza wäre, und unterbricht sich nur, wenn er mal wieder zum Buffet rammelt. Ich weiß nicht, ob er jemals an diesen Orten gewesen ist, denn nichts davon stimmt. Auch nicht, dass „Kings Cross“ wie Sankt Pauli oder Kreuzberg aussieht. Dorthin müssen wir nämlich mit einer schlecht belüfteten U–Bahn fahren, um diesen bescheuerten Camper zu mieten. In Wahrheit befinden wir uns im Assi–Viertel von Sydney. Überall quatschen uns verrückte Penner, dunkelhäutige Dealer, verlotterte Junkies und uralte Nutten an und fragen, ob wir Drogen hätten, welche kaufen oder einfach nur ficken wollen. Er versteht nur die Hälfte und findet all die räudigen Spelunken, Dreamgirl–Schuppen und Pferderennwettläden auch noch urig. Ich bin daher froh, dass er allein herumirren will und biete ihm an, mich in der Zwischenzeit um den Wagen zu kümmern.

Nun geht es ans Eingemachte! Schon nach zwei Tagen weiß ich, was ich nicht will: mit einem beengten Camper durch Australien zu eiern, Herrn Schmidt, den Traumtänzer, dabei rund um die Uhr um mich zu haben und vor allem, von jeglicher Kommunikation abgeschnitten zu sein. Momentan brennt auf Arbeit die Luft, da brauche ich vernünftige Hotels mit Internetzugang und Mobilfunkempfang und kein enges Blechmobil, in dem er womöglich versucht, mir an die Titten zu fassen. Innerhalb weniger Minuten buche ich einen Mittelklassewagen für zwei Wochen – länger traue ich mich dann doch nicht – und mache dem Typen klar, dass er mir noch einen Ausdruck mit der Hälfte des Preises ausfertigen soll, da ich mir das Auto mit einem Freund teile. Das Büro ist gleichzeitig ein Internetcafe. Ich logge mich ein und lege den Zettel mit dem „Special Price“ neben das Mousepad. Irgendwann erscheint Schmidt.

Natürlich weiß ich, dass ich fast einen Schritt zu weit gegangen bin, denn er bricht innerlich regelrecht zusammen. Deutlich erkenne ich in seinem entsetzten Blick, wie sich sein großer Traum, Australien in einem stickigen Camper zu erkunden, soeben in Luft aufgelöst hat. Er muss sich ziemlich zusammenreißen, doch ich weiß ja, dass er megascharf auf mich ist. Da wird er schon nachgeben. Damit, dass ich „als Strafe“ den Rest des Tages nach seinen Vorstellungen verbringen muss, kann ich leben, denn an den Strand will ich ja auch.

Allerdings würde ich die ultracoolen Kerle mit ihren speerförmigen Boards in der Metro am liebsten anschreien, dass sie sich mal ein T–Shirt überziehen sollen. Im extrem vollgestopften Bus piekst mir dann so ein Arschloch auch noch mit der Spitze seines Bretts ins Bein und fragt ganz dreist: „Hauwsegoing?“, oder so ähnlich. „How is it going?“, soll das wohl heißen. Es scheinen neben „Mate“ und „Cheers“ die meistgenutzten Worte der Australier zu sein und ich musste bisher immer überlegen, was ich darauf antworten soll. „Fuck off!“, brülle ich und genieße seine kleinlaute Entschuldigung.

Endlich sind wir am weltberühmten Bondi Beach. Wie ein Vollhorst betont Micha das „i“, wobei doch jeder weiß, dass es „Bondei“ ausgesprochen wird. Der halbmondförmige Strand mit den felsigen Landzungen zu beiden Seiten und die angeblich historischen, pastellfarbenen Art déco–Gebäude im Hintergrund hauen mich nicht sonderlich vom Hocker. Ich bemerke allerdings sofort, dass ich mir neue Flip–Flops, einen neuen Bikini und vor allem einen neuen Mitreisenden suchen muss. Bondi scheint eine Flaniermeile für braungebrannte Tussis mit Insekten–Sonnenbrillen, smarte Waschbrettbauch–Surfer mit silbrigen Nasen und Selbstdarsteller zu sein. Einige üppige Dekolleté–Weibchen tragen gefütterte „Australia Boots“ in zwei Nummern zu groß. In meinen Klamotten komme ich mir lächerlich deutsch vor. Niemand beachtet mich.

Als Herr Schmidt längst versucht, ein Surfbrett direkt vor die Birne zu bekommen, liege ich im Sand und schreibe Simone eine SMS: „Rate mal, wo ich gerade bin? Ätsch, am Bondi Beach! Bis bald N.“ Sie schreibt mir prompt zurück, wie neidisch sie sei, aber auch, dass Hübner wohl sauer auf mich wäre. Noch während ich grübele, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, kommt meine kalkweiße Reisebegleitung zurück und gibt zynische Kommentare zur Anfänger–Surfergruppe ab. „Mann, sind die blöd“, betont er dabei mehrfach. Auf Nachfrage erfahre ich, dass der Kerl selbst noch nie auf so einem Brett gestanden hat. Hut ab!

Plötzlich rennen zwei Bikini–Püppchen laut kreischend aus dem Wasser. Sie kriegen sich kaum wieder ein und schreien wie am Spieß. Da mich interessiert, was los ist, gehe ich hinüber zum knackigen Typen vom Surf Livesaving Club. Sie wären mit den Tentakeln einer „Blue Bottle“–Quallenart in Berührung gekommen, erklärt mir der rot–gelb gekleidete Typ freundlich. Das wäre kein Problem, aber beim „Box Jellyfish“, den es (angeblich) nur im Norden gibt, kann so etwas im schlimmsten Fall auch tödlich enden, nuschelt er und behandelt die jammernden Mädels mit einer Essiglösung. „Von was? Blauflaschen–Haie?“, ruft Herr Schmidt, der mal wieder nur Bahnhof versteht. „Mich kriegst du hier jedenfalls nicht ins Wasser“, rufe ich. Er geht hinüber und zeigt dem Kerl mit den knallengen Badeshorts den Stinkefinger, denke ich zunächst, aber anscheinend lässt er sich nur etwas von dem Liquid geben. Trotzdem peinlich. Zeit, sich in ein Eiscafé zu verdrücken.

Wie der Name schon sagt, gibt es dort Eis und Kaffee. Er trinkt Bier. Prost Mahlzeit! Leicht beschwipst beschließt er, dass wir auf einem steilen Weg entlang borstiger Klippen in Richtung imaginäres Ziel laufen sollten. Schlafwandlerisch stapfe ich ihm hinterher. Okay, die Aussicht und die nun folgenden Strände sind gar nicht mal so Kacke, doch leider scheint mein Mitreisender übersehen zu haben, dass ich im Gegensatz zu ihm in Espandrillos und ohne Basecap unterwegs bin. Mein Schädel glüht wie eine rote Peperoni und die Sonne kribbelt auf der Haut. Während er ins blaue quallenverseuchte Meer springt, zähle ich die Blasen an meinen Füßen und warte auf eine SMS von Simone. Ich will ja wissen, warum Hübner jetzt stinkig ist.

Endlich geht es zurück. Doch statt im Hotel gemütlich ein kühles Gläschen Weißwein zu trinken, springen wir ohne Tickets auf eine Fähre, um die „obligatorische“ Fahrt unter der Brücke zum Sunset nicht zu verpassen. Während er unzählige Fotos schießt, denke ich bei jedem Fahrgast, dass es der Schaffner ist, der uns sogleich mit australischem Akzent fragt, warum wir schwarzfahren. Es fragt niemand. Am Circular Quay sehen wir erstmals einen verdrossen dreinblickenden Ureinwohner Australiens. Der schwarze, breitnasige Kerl, welcher mit angeschwollenen Adern auf der Stirn am Hafen sitzt und mit wulstigen Lippen in eine zwei Meter lange, bemalte Baumrinde bläst, gehört zu dem ganzen Touri–Scheiß einfach dazu. Es sieht fast so aus, als ob er zur Belustigung der Leute engagiert wurde, um „früher“ zu spielen. Noch gestern hab ich gelesen, dass die stolzen Aborigines bei Ankunft der ersten Siedler diese nicht mal mit dem Arsch angeschaut hatten und allen Dingen, die diese zum Tausch anboten, keinen Wert beigemessen hatten. Und heute? Unser Herr Schmidt wirft dem Mann mit dem verfilzten Haar frohgelaunt glänzende Münzen zu.

Wenigstens darf ich in „The Rocks“ endlich etwas Vernünftiges essen: Salamipizza. Er muss wieder herumspinnen und die heimische Tierwelt verspeisen. Wahrscheinlich sind Krokodile und Kängurus in Australien nur Hundefutter, doch er wählt sie als Belag. Nach einer unerwartet heftigen Attacke, in der er einige meiner – durchaus ernst gemeinten – Worte nachäfft, stimme ich übellaunig zu, dass wir uns morgen jeder eine Tour ausdenken. Ich bekomme den Nachmittag und bin schon jetzt total genervt.

Am Abend setze ich mich mit dem Laptop allein an die Bar. Sie haben dort W-LAN und ausgezeichneten Weißwein. Um es möglichst schnell hinter mich zu bringen, suche ich eine deutschsprachige Tour, da Herr Schmidt ja scheinbar überhaupt kein Englisch versteht. Ich finde einen Anbieter, der gediegene Bootstouren organisiert, und sofort buche ich die Mini–Kreuzfahrt. Ein frohgelaunter Mann nennt mir den Bootsnamen, den Anleger im Darling Harbour und notiert sich meine Handynummer. Endlich kann ich mich mit den E-Mails meiner Kollegen beschäftigen. Ich könnte kotzen: Hübner tobt noch immer wegen meiner angeblich so dreisten Antwort, in der Abteilung herrscht das pure Chaos und Nicole hat schon vier Mal in dieser Woche geheult. Na, dann wollen wir mal in die Tasten hauen …

Haie, Giraffen und Spinnen – Sydney

Seine Sicht

Zum Glück hab ich mir ein paar Flyer aus dem Foyer mitgenommen. Bei fast allen Touristen–Attraktionen bekäme man 20% Rabatt, wenn man den Schnipsel vom Handzettel mitbringt. Die Aborigines–Tour und der Stadtrundgang fallen aus, da Laufen ja anscheinend nicht so ihr Ding ist. Demnach streiche ich sämtliche sportlichen Aktivitäten wie Radeln, Paddeln und natürlich auch Surfen. Auf Segeln habe ich keine Lust und obwohl ich eigentlich „Abenteuer“ gebucht habe, kann ich mich auch nicht für den „BridgeClimb“ erwärmen. Mit meiner Höhenangst könnte ich den 134 Meter hohen Stahlbogen niemals, nur an einem dünnen Halteseil befestigt, überqueren. Die Fahrt auf den Sydney Tower und besonders das dortige Bungeejumping sind somit ebenfalls riskante Extremtouren und für „meinen Vormittag“ gestorben.

Sie atmet ein wenig auf, dass wir nach kurzem Fußmarsch um den Stadthafen das Ziel erreicht haben. Im „Sydney Aquarium“ und in der nebenan befindlichen „Wildlife World“ möchte ich ihr zeigen, wie sehenswert die australische Unterwasser– und Tierwelt ist. Ich liebe das Meer und so kann ich mich gar nicht an der Artenvielfalt der hiesigen Meeresbewohner sattsehen. In einem Glastunnel können wir unter doppelflossigen Haien mit messerscharfen Zähnen und gewaltigen Rochen, die an den Scheiben zu kleben scheinen, hindurchlaufen. In anderen Becken dümpeln Pinguine über glitschige Steine und nebenan treiben dickbäuchige Seekühe umher. Auch das nachgebildete Great Barrier Reef mit den farbenprächtigen Korallenbänken, tiefblauen Seesternen und kunterbunten Fischschwärmen ist faszinierend. Ich habe zwar den Eindruck, dass Nina all die todbringenden Stachelrochen, nesselnden Würfelquallen, fiesen Steinfische und beineverschlingenden Haie ziemlich suspekt sind, aber plötzlich fragt sie: „Wollen wir eigentlich auch mal tauchen gehen?“ Überrascht drehe ich mich um und denke, dass man mit ihr ja vielleicht doch etwas anfangen kann.

Meine Euphorie wird deutlich getrübt, als wir in der nebenan befindlichen „Wildlife World“ nach der Besichtigung der „Niedlichkeitstiere“ wie Koala, Wombat und Känguru in einer Art Dunkelkammer landen, wo all die giftigen Viecher umherkrabbeln, für die Australien eben auch bekannt ist. Okay, Riesenkakerlaken, Würmer, Skorpione und Schlangen sind nicht jedermanns Sache, aber dass Nina eine regelrechte Spinnenphobie hat, wusste ich nicht. Als sie erfährt, dass man der giftigen Rotrückenspinne und der noch viel gefährlicheren Trichternetzspinne auch in Sydney erstaunlich oft begegnen kann, flippt sie regelrecht aus und möchte das Gebäude, die Stadt und dieses Land auf der Stelle verlassen. Ich verstehe es nicht. Sie hätte doch wissen müssen, dass in Australien etliche Tiere leben, die einen umbringen können. Allerdings wüsste sie dann auch, dass unsere Chancen, zu Tode gepiekst zu werden, nicht sonderlich groß sind. So etwas geschieht äußerst selten und immer nur „anderen“ Touristen.

Das Aquarium war eine gute Idee, doch mein Ausflug endet in einem Desaster, nur weil wir ein paar achtbeinige Krabbler hinter dicken Glasscheiben begutachtet haben. Am Hafen gehen wir in ein Café. Ich brauche ein Bier und Nina trinkt teuren Rotwein auf Kosten des Vormittags–Einladers, bevor sie aufs Klo verschwindet. Als ihr Telefon zum dritten Mal klingelt, hole ich es aus der Handtasche und sehe, dass es eine australische Nummer ist. Ich gehe heran und ein Typ fragt auf Deutsch: „Wo bleibt ihr denn? Alle warten schon auf euch!“ Er erklärt mir, wo seine Yacht liegt. Der Witz dabei: Die noble „Blue Sky“ ankert genau gegenüber. Ich winke entschuldigend hinüber, während Nina von der Toilette kommt. „Da hast du mir ja schön die Überraschung versaut“, schnauzt sie und zieht eine Schnute. Dass Kapitän Klaus auch ohne uns abgelegt hätte, scheint sie dabei nicht sonderlich zu interessieren.

Kaum sind wir an Bord, rasen wir im Affenzahn durch den Stadthafen und unter der Bogenbrücke hindurch in Richtung offenes Meer. Das hätte mir Nina doch mal sagen sollen, dann hätte ich eine „Antikotz–Tablette“ genommen. Ihr scheint das Schaukeln und Springen von Welle zu Welle zu gefallen und auch das gereichte Sektgläschen balanciert sie gekonnt im Wiegeschritt übers Deck. Mit uns sind noch zwei deutsche Paare mittleren Alters an Bord, mit denen ich die Giraffenhälse im „Taronga Zoo“ zur einen und die bärtigen Palmen des „Royal Botanic Gardens“ zur anderen Seite der Bucht bestaune. Wir brettern am „Fort Denison“ vorbei, bevor Klaus endlich vom Gas geht und eine Bucht ansteuert. In der lieblichen „Shark Bay“ könne man gefahrlos schnorcheln und schwimmen, erklärt er, was Nina ignoriert. Sie liegt im Bikini auf den Planken, nippt am blubbernden Freigetränk und hört Musik. Als ich aus dem recht unspektakulären Unterwasserzoo an Bord zurückkehre, haben Klaus und ein Crewmitglied ein Häppchenbuffet aufgebaut und die Kühlbox mit Flaschenbier steht bereit. „Cooler Ausflug“, proste ich Nina zu, bevor sie sich die Kopfhörer wieder in die Ohren stöpselt.

Auf der zweiten Etappe fahren wir an einer alten Gefängnisinsel vorbei und treiben dann gemächlich, entlang riesiger Villen, durch malerische Wasserstraßen. Es sieht ein bisschen wie im Spreewald „in breit“ aus und zeugt einmal mehr von der traumhaften Lage der Stadt. Leute auf weißen Yachten und Kinder in Minisegelbooten kreuzen unseren Weg. Wie die am Ufer angelnden Männer winken sie uns zu. Als das Bier alle ist, gesellt sich Nina zu unserer Truppe und fragt nach Bier!

Sie beschließt, am „Woolloomooloo Wharf“ auszusteigen und ruft trotzig: „Damit ich auch mal was trinken kann“, obwohl sie schon anderthalb Pullen Sekt intus hat. In einem alten Speichergebäude bestellt sie das bisher teuerste Bier unserer Reise, aber danach sehe ich endlich einmal deutlich ausgeprägte Lachfältchen und eine gewisse Unbekümmertheit auf ihrem Gesicht! Wir laufen durch einen Stadtteil, der den lustigen Namen des Anlegers hat, bevor wir über etliche Treppen und einen Hügel wieder im Szeneviertel Kings Cross landen. Im erstbesten Restaurant wird zu meiner Überraschung Prager Küche und Bier serviert. Das gefällt sogar Nina und so schaufelt sie sich genüsslich eine Portion Gulasch mit Knödeln rein. Dazu bechert sie tiefgoldene Staropramen und zwei große Becherovka. Danach ist das Fräulein „leicht“ beschwipst und brüllt mit niedlichem Schluckauf „Woolloomooloo, I love you“ durch den Laden, was die anderen Gäste durchaus amüsant finden.

Ich würde gerne noch durchs Nachtleben ziehen, aber sie zerrt mich torkelnd und mit stark gerötetem Gesicht in ein Taxi. Im Zimmer bedanke ich mich für den tollen Ausflug. Sie umarmt mich ungewöhnlich lang und lallt mir etwas sehr Anzügliches ins Ohr. ‚Nicht im betrunkenen Zustand. Nicht mit ihr!’, denke ich auf dem Weg ins Bad.

Schon auf dem Rückweg habe ich es mir anders überlegt, doch sie ist eingeschlafen. Behutsam schiebe ich Ninas grünes Schlafshirt nach oben und betrachte erregt ihre vollen, leicht zur Seite fallenden Brüste. Dann hake ich den Daumen in den Elastikbund ihres Slips, um auch dieses Geheimnis zu lüften.

Genau in dem Moment schreckt sie hoch, lässt ihr schmales Kinn auf meinen Bauch fallen und beginnt sich zu übergeben. Und kaum zu glauben: Kurz darauf dreht sie sich um und schläft einfach röchelnd weiter. Während ich mein T–Shirt auswasche, lächele ich in mich hinein und denke: ‚Was für ein überaus erotisches erstes Mal!’

Ihre Sicht

Dass mich Herr Schmidt in den Morgenstunden ins Aquarium schleift, finde ich okay. Es liegt gleich um die Ecke und meine Füße sind eh im Eimer. Was soll ich sagen? Ich war schon in vielen dieser Dinger, aber was sie dort präsentieren, ist gar nicht mal so übel, zumal man weiß, dass die Viecher in Australien wirklich alle herumschwimmen. Mein Begleiter denkt sicherlich, dass ich mit dem Meer nichts anfangen kann, doch das stimmt nicht. Solange ich keine gallertartigen, hochgiftigen Quallen um mich herum weiß, kann ich mich sehr wohl damit arrangieren. Mehr noch: Immer, wenn ich bis dato irgendwo schnorcheln war, hat mich das tiefenentspannt. Vor kurzem habe ich sogar einen Tauchschein gemacht und gemerkt, dass dieses schwerelose Gleiten im Zeitlupentempo genau mein Ding ist. Am Riff im Norden hätte ich endlich einmal Zeit, dies auch auszukosten. Einem Schwarm blau–gelber Segeldoktor–Fische in 10 Metern Tiefe in einem „Unterwasser–Streichelzoo“ zu begegnen, hätte schon was.