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MATTHIAS ENNENBACH

PSYCHOSOMATIK

IST DIE ART UND WEISE WIE WIR ALLE FUNKTIONIEREN

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Windpferd Taschenbuch

10134

1. Taschenbuchausgabe 2016

der im Windpferd Verlag erschienenen Erstausgabe

Psychosomatik ist die Art und Weise wie wir alle funktionieren

© 2015 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Oberstdorf

Alle Rechte vorbehalten

Buddhistische Psychotherapie BPT® und Achtsame Selbststeuerung ASST® sind eingetragene Marken

Umschlaggestaltung: Jennifer Jünemann | www.bitdifferent.de

Coverillustration: nach einer Idee von Matthias Ennenbach

Zeichnungen im Innenteil: Matthias Ennenbach

Lektorat: Monika Gehle

Satz und Layout: Marx Grafik & ArtWork

Gesetzt aus der Adobe Garamond

eISBN 978-3-86410-169-4

www.windpferd.de

Inhalt

Einleitung und Einstimmung

Psychosomatik richtig verstehen:
Selbst zum Fachmann oder zur Fachfrau werden

Die Frage nach dem Wieso

Die Bedeutung von Körper und Geist

Ist das Psychische oder das Körperliche wichtiger?

Wir funktionieren alle auf die gleiche Weise

Eine Reise in den Kopf

Die verschiedenen Gehirnareale

Veränderungen im Kopf

Lernen bewirkt Nervenveränderungen

„Sympathische“ Reaktionen

Wo sitzt eigentlich unsere Persönlichkeit?

Wir sind „multiple Persönlichkeiten“

Ein „Bermudadreieck“ im Kopf

Leben auf Autopilot oder bewusst leben?

Unser Verstand: vom Diener zum Herrn

Verstand und Gefühl

Zusammenfassung

Universelle Strategien:
Was hilft die Selbststeuerung zu verbessern?

Fazit

Literatur

Der Autor

Einleitung und Einstimmung

Was fällt Ihnen als erstes zum Thema Psychosomatik ein?

Wahrscheinlich denken Sie jetzt an Symptome, für die es keine oder nur wenige körperlich-physiologischen Ursachen gibt und die deshalb als seelisch-psychisch bedingt angesehen werden.

Stellen Sie sich einmal vor, dass Sie ganz real unter Beschwerden leiden, wie Herzrasen, Druck auf der Brust, Verdauungsstörungen oder Schmerzen; und jeder Arzt, den Sie konsultieren, sagt Ihnen etwas anderes, doch niemand findet eine klare körperliche Ursache für Ihr Leiden. Drängende Fragen lassen Ihnen keine Ruhe mehr und verstärken den Druck: „Was ist mit mir los? Wieso habe ich solche Symptome? Wieso stellt mein Hausarzt keine Diagnose? Warum kann mir niemand helfen? Werde ich jetzt verrückt? Warum spinnt mein Körper so?“ Eventuell hören Sie dann einmal den Satz: „Das könnte psychosomatisch sein“!?

Vielleicht sind Sie dann erst einmal erleichtert. Oder doch eher erschrocken? In so einer Situation gilt es vermutlich, ein weiteres Hindernis zu überwinden: Jeder Begriff lässt in uns automatisch Assoziationen entstehen. Hören wir „Südseeinsel“, kommen wir sofort in eine ganz andere Stimmung als bei „Skalpell“. So löst auch das Wort PSYCHOsomatik in uns bestimmte Vorstellungen aus. Alles, was mit „Psycho“ zu tun hat, klingt doch für den Laien erst einmal bestenfalls befremdlich bis ein wenig durchgedreht und schlimmstenfalls nach „Klapsmühle“. Der Untertitel des vorliegenden Buches soll Ihnen diese Sorge jedoch schon gleich zu Anfang nehmen. Seien Sie gewiss: Eine psychosomatische Störung ist keine exotische, verrückte oder peinliche Erkrankung. Ich werde sogar verdeutlichen, dass es sich nicht einmal um eine spezifische Art der Erkrankung mit einer speziellen Behandlungsmethode handelt, sondern dass der Begriff Psychosomatik einfach die Art und Weise benennt, wie wir ausnahmslos alle funktionieren.

Wir alle funktionieren psychosomatisch!

Wenn Sie den Begriff einmal nachschlagen, finden Sie womöglich folgende Erläuterung: Unter psychosomatischen Erkrankungen versteht man körperliche Erkrankungen und Beschwerden, die durch psychische Belastungen oder Faktoren hervorgerufen werden und medizinisch zunächst nicht erklärbar sind.

Die Worte „Psyche“ und „Soma“ stammen beide aus dem Griechischen. Psyche lässt sich mit Seele übersetzen, steht aber auch für verschiedene Vorgänge unserer nervlichen und geistigen Tätigkeiten. Soma bezeichnet den Körper oder Leib. Psychosomatik meint also das Zusammenspiel zwischen Psyche und Körper. Da wir in vielen Sprachen jedoch gewöhnt sind, von links nach rechts zu lesen, meinen wir, dass zu Anfang immer das Wesentliche steht. Bei der Autoreparatur geht es um Autos, beim Matheunterricht um Mathematik. Entsprechend dieser Logik glauben wir, dass es bei Psychosomatik nun in erster Linie um die Seele gehe, also ein psychisches Leiden beschrieben werde, und der Körper die zweitrangige Position innehabe. Die Psyche scheint erkrankt, also reagiert wohl auch der Körper; die Somatik spielt somit nur als reine Reaktion auf die ursächlichen psychischen Abläufe eine Rolle. Diese Vorstellung ist allerdings sehr einseitig: Schließlich ist ebenso denkbar, dass umgekehrt ein körperliches Leiden unsere Nerven belasten oder gar überlasten könnte.

Denn wir wissen ja heute: Körper und Geist bilden eine Einheit. Unsere Gedanken beeinflussen sowohl unsere Psyche als auch die Zellen und Organe unseres Körpers. Was wir fühlen, hat eine unmittelbare Wirkung auf unser körperliches Befinden. Wir müssen daher davon ausgehen, dass viele Symptome aus einem mehr oder weniger subtilen Zusammenwirken von nervlichen, körperlichen und auch sozialen Faktoren hervorgehen. Ich möchte daher im Folgenden aufzeigen, dass Psychosomatik ein Begriff ist, der eine Einheit aus Psyche und Soma mit all ihren Wechselwirkungen meint, ohne dem einen oder anderen von vornherein mehr Bedeutung zuzumessen.

Natürlich gibt es bereits eine große Zahl an Sachbüchern auf dem Markt, die uns über Psyche, Bewusstsein, Kognition etc. aufklären. Gerade die Gehirnforschung ist zu Recht sehr populär geworden, denn sie möchte uns eines der großen Rätsel der Menschheit näherbringen: Was ist Bewusstsein, und wie/wo entsteht es? Viele, die sich mit Psychosomatik auseinandersetzen, verstehen diese jedoch vor allem als „Sprache der Seele über den Körper“. Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare, meinte schon der Dichter Christian Morgenstern. Ein individuelles psychisches Problem wird nicht erkannt, also manifestiert es sich über den Körper.

Das vorliegende Buch will Ihnen aufzeigen: Psychosomatik richtig verstanden ist weitaus mehr. Es ist aus unzähligen Patientengesprächen entstanden, die ich in mehr als 20 Jahren in meiner Praxis geführt habe. Aus all den Fragen und Antworten hat sich ein „roter Faden“ herauskristallisiert, ein verständliches, generell gültiges Erklärungsmodell, das sehr wesentliche Ressourcen mit berücksichtigt, wie unsere Fähigkeit, Bildhaftes viel schneller erkennen und uns besser merken zu können als lange Erläuterungen. Daher nutze ich sogenannte kleine „Bierdeckel-Skizzen“ in Kombination mit erfahrungsbasierten und vor allem verständlichen Erklärungen, eine Methode der Kommunikation, die sich immer wieder als enorm segensreich erweist. Beim Gegenüber entsteht ein Aha-Erlebnis: „Ach so funktioniert das! Das ist ja total logisch und auch irgendwie ganz einfach. Wieso hat mir das niemand vorher so erklärt?“ Sehr oft fragen dann die Hilfesuchenden, wo sie diese Erklärungen nachlesen können. So entstand die Idee, einen kleinen „Leitfaden“ zu entwickeln, mit dem wir uns die Zusammenhänge einmal etwas genauer und ganz sachlich in Ruhe anschauen können.

Es wird deutlich werden, dass es keine rein körperlichen Erkrankungen gibt, denn Psyche/Geist/Nerven sind immer beteiligt. Natürlich gibt es auch keine rein psychisch-nervlichen Erkrankungen, denn alles findet in unserem Körper statt. Diese Abläufe sind ebenso komplex wie auch faszinierend. Und sie lassen sich dennoch überschaubar darstellen, so dass wir uns einen schnellen Überblick verschaffen können.

In diesem Sinne wünsche ich eine anregende Lektüre mit vielen Aha-Erlebnissen, die Sie Ihren Körper und Ihre Psyche besser verstehen lassen.

Matthias Ennenbach

Berlin 2015

Psychosomatik richtig verstehen:
Selbst zum Fachmann oder zur Fachfrau werden

Viele von uns benutzen komplexe technische Geräte und Maschinen, ohne jedoch den Aufbau und die Funktionsweisen zu begreifen. Kaum einer weiß genau, wie ein Bild tatsächlich auf dem großen Flachbildschirm erzeugt wird. Wenn wir einen Blick unter die Motorhaube unseres nach modernsten Standards entwickelten Autos werfen, sind wir heute teilweise mit einer Technik konfrontiert, deren Störungen wir nicht mehr selbst reparieren können. Wenn also Geräte nicht mehr laufen, suchen wir das Fachgeschäft auf.

Nicht wenige von uns betrachten den eigenen Körper ebenfalls als eine (Bio-)Maschine, die zu kompliziert aufgebaut ist, um sie zu verstehen; die aber unbedingt und unter allen Umständen funktionieren soll. Wenn sie dann und wann doch defekt wird oder sich verschleißanfällig zeigt, verhalten sich manche von uns wie ein Autofahrer, der über die blinkenden Warnsignale auf dem Armaturenbrett Heftpflaster klebt, damit er sie nicht mehr wahrnehmen und ihnen auf den Grund gehen muss. Erst wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt, suchen wir den Experten auf.

Wenn wir unter Knochenschmerzen leiden, werden wir vermutlich einen Orthopäden konsultieren. Was wird sich wohl der Orthopäde anschauen? In den meisten Fällen ausschließlich die schmerzende Stelle. Er diagnostiziert Verschleißerscheinungen oder Überbelastung, setzt eine Spritze, empfiehlt Einreibungen und verordnet Ruhe. Wenn es aber nicht besser wird, folgen weitere Maßnahmen, vielleicht Krankengymnastik oder schmerzstillende Medikamente. Bleiben die Schmerzen und der Orthopäde weiß sich keinen Rat mehr, überweist er eventuell zum Neurologen, der auch psychische Ursachen mit einbezieht. Wir laufen also von Facharzt zu Facharzt. Jeder Facharzt ist hochspezialisiert, aber meist nur auf seine eigene Disziplin: Ein Orthopäde schaut auf die Knochen, ein Neurologe betrachtet die Nervenleitgeschwindigkeit, ein Psychiater achtet vielleicht auf die Stoffwechselprozesse im Gehirn und ein Internist zieht die Blutwerte und den Organstatus zu Rate. Wenn wir einen Unfall erleiden, können wir uns glücklich schätzen, diese Spezialisten zur Verfügung zu haben, die uns „auseinandernehmen und wieder zusammenschrauben“. Bei Beschwerden aber, deren Ursache nicht gleich auf der Hand liegt, die sich vielleicht schon chronifiziert haben und bei denen viele verschiedene Aspekte eine Rolle spielen können, stoßen Fachärzte häufig an ihre Grenzen. Der Kontakt mit ihm ist deshalb in vielen Fällen nur wenig erfreulich, da er auf ein bestimmtes Teil fixiert ist und ebenfalls die ganze Funktionsweise nicht versteht. Daher liegt es auf der Hand: Wir müssen in verstärktem Maß zum Fachmann oder zur Fachfrau für uns selbst werden. Wenn wir das Gefühl haben, wichtige Abläufe wieder selbst steuern können, fühlen wir uns gleich kraftvoller. Nichts ist so belebend, stärkend und stabilisierend wie Selbstwirksamkeitserfahrungen.

Das ist auch schon ein erster gemeinsamer Nenner: Unser Problem mag uns einzigartig erscheinen, doch universelle Selbstregulations- und damit Selbstwirksamkeitsfähigkeiten helfen uns, es zu lindern.

Wenn wir leiden, wenn unsere Lebensqualität eingeschränkt ist, wollen wir unbedingt herausfinden, warum das so ist und wie wir es beenden können. Gleichzeitig sind wir aber auch meist eingeschränkter in unseren Einsichtsmöglichkeiten. Wir bekommen einen Tunnelblick. Leiden führt immer zu einem Tunnelblick. Der hat zwar den Sinn, uns kurzfristig von Ablenkungen fernzuhalten und uns ganz auf das zu lösende Problem zu fokussieren, doch wir vertun diese Chance, indem wir grübeln und grübeln und uns in einer unguten Verhaftung mit dem Problem verlieren. Oftmals merken wir nicht einmal, dass wir in einem Loch feststecken. Wir halten den Tunnelblick dann für einen besonders tiefen Einblick. „Endlich sehe ich klar. Alles ist einfach nur furchtbar. Da ist nichts zu machen.“

Was uns wohl am stärksten festhält, ist das bedrohliche Gefühl von Hilflosigkeit oder gar Abhängigkeit; dass wir selbst gar nichts tun können, um Einfluss zu nehmen und unsere Lage zu verbessern. Wenn wir krank geworden sind und meinen, wir seien vollständig auf unseren Arzt angewiesen oder auf Medikamente, dann wird das unser Gesichtsfeld noch weiter einschränken. Wir halten uns an die, die wir für Fachleute halten, und an die Pillen, die sie uns verschreiben, und geben somit jede Eigenverantwortung ab. In unserer wissenschaftlich orientierten und hochtechnisierten Zeit trauen wir uns nicht mehr zu, die relevanten Zusammenhänge zu verstehen und uns selbst als Autorität in eigener Sache anzuerkennen.