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Alexander Graf / Holger Schneider

Das E-Commerce-Buch

Marktanalysen – Geschäftsmodelle – Strategien

3., komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Redaktionsschluss: 31.08.2019

3., komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage

ISBN 978-3-86641-307-8
eISBN 978-3-86641-508-9

© 2019 by Deutscher Fachverlag GmbH, Frankfurt am Main.

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags.

Umschlag: Grafische Gestaltung Guido Klütsch, Köln

Lektorat und Koordination: Birga Andel

Satz: Fotosatz L. Huhn, Linsengericht

Druck und Bindung: optimal media GmbH, Röbel/Müritz

Inhalt

Vorwort: E-Commerce sollte einfach sein, doch sind die meisten Händler daran gescheitert

Einleitung: Was ist E-Commerce?

1E-Commerce: Was bisher geschah

2Wertschöpfungsstufen im E-Commerce

2.1Beschaffung

2.1.1Spezifizierung des Angebots

2.1.2Kundenorientierung

2.1.3Optimierung des Angebots

2.2Produktpräsentation

2.2.1On-Site-Nutzerführung

2.2.2Personalisierte Empfehlungen in Online-Shops

2.2.3Produktseiten und Artikeldetails

2.3Marketing

2.3.1Suchmaschinenmarketing: SEO & SEA

2.3.2Online-Advertising: Display-Ads, Affiliates

2.3.3Mobile Ads

2.3.4Social-Media-Marketing

2.3.5Klassische Kanäle

2.4Vertrieb

2.4.1Online-Strategien

2.4.2Online-Vertriebskanäle

2.4.3Multichannel-Strategien

2.5Kaufabwicklung

2.5.1Warenkörbe und Check-out

2.5.2Zahlungsmöglichkeiten

2.6Logistik

2.6.1Versand

2.6.2Retouren

2.7Kundenservice

2.7.1Kanäle

2.7.2Selbsthilfe und Kundencenter

3Case Studies

3.1Methodik der Case-Studies

3.2B2C und B2B

3.3Exkurs: E-Commerce in China

3.4B2C Case Studies

3.4.1AboutYou

3.4.2AliExpress

3.4.3Amazon

3.4.4Amorelie

3.4.5AO.com

3.4.6Apple

3.4.7Asos

3.4.8Blue Apron

3.4.9Brack.ch

3.4.10Casper

3.4.11Delivery Hero

3.4.12Ebay

3.4.13Etsy

3.4.14Flixbus

3.4.15Hellofresh

3.4.16Home Depot

3.4.17Home24

3.4.18Ikea

3.4.19JD.com

3.4.20Jet.com

3.4.21Limango

3.4.22Media-Saturn

3.4.23Mytheresa

3.4.24Nordstrom

3.4.25Otto

3.4.26Overstock

3.4.27Picnic

3.4.28Rakuten

3.4.29Stitch Fix

3.4.30Tmall

3.4.31Veepee

3.4.32Walmart

3.4.33Warby Parker

3.4.34Wayfair

3.4.35Windeln.de

3.4.36Wish

3.4.37Xiaomi

3.4.38Zalando

3.4.39Zappos

3.4.40Zooplus

3.5B2B Case Studies

3.5.1Alibaba Group

3.5.2Amazon Business

3.5.3Conrad

3.5.4Contorion

3.5.5Engelbert Strauss

3.5.6Grainger

3.5.7Klöckner

3.5.8Ludwig Meister

3.5.9Mercateo

3.5.10Würth

Danke

Zu den Autoren

Quellen

Stichwortverzeichnis

Vorwort: E-Commerce sollte einfach sein, doch sind die meisten Händler daran gescheitert

ToysRus ist pleite, Sears auch, Karstadt und Kaufhof sind auf den Wert ihrer Immobilien zusammengedampft, Walmart findet trotz Milliardenakquisitionen kein Mittel gegen Amazon und mittlerweile drängen asiatische Konzerne mit so hoher Geschwindigkeit in westliche Märkte, dass die Digitalstrategien von Peek & Cloppenburg und Co. aussehen wie Sandkastenspiele von Vorschulkindern. Die Welt des E-Commerce lässt wenig Raum für Konzepte aus der Vergangenheit.

Als Holger Schneider und ich im Jahr 2013 die Idee für dieses Buch hatten, sah die Welt noch deutlich gnädiger aus. Wir hatten „damals“ den Eindruck, dass die meisten Unternehmen zwar die Grundlagen des E-Commerce verstanden hatten und strategisch die richtigen Sachen dachten, aber aufgrund diverser Restriktionen dies einfach zu langsam umgesetzt haben. Dieser Eindruck war damals richtig, gilt heute aber nicht mehr. Durch den hohen Innovationsdruck globaler Digitalkonzerne und das Aufbrechen in die Plattformökonomie, deren Regeln in diesem Buch beleuchtet werden, sind nur noch diejenigen Unternehmen erfolgreich, die ihre Ideen am schnellsten und effizientesten am Markt vertesten können. Es geht also nicht mehr um die richtige Strategie, die ohnehin keiner mehr formulieren kann in einem Umfeld, das sich wöchentlich wandelt. Es geht auch wider Erwarten nicht mehr um möglichst viel Zugriff auf (Fremd-) Kapital, um damit ambitionierte Ideen zu finanzieren. Es geht heute vor allem um den richtigen Modus Operandi – um die Fähigkeit, hundertprozentig im Sinne des Kunden zu handeln und die eigene Legacy bei der Bewertung von Handlungsoptionen außer Acht zu lassen. Dieses Marktumfeld ist tödlich für alle Organisationen, deren Wert sich aus der Summe „alter Assets“ ergibt – siehe Sears oder Karstadt.

Parallel zum Buch ist 2014 auch mein Podcast entstanden, bei dem ich wöchentlich CEOs von Händlern und Marken zu ihren digitalen Herausforderungen befrage. Dieses Format, abrufbar auf www.kassenzone.com, ermöglicht mir einen immer wieder neuen Einblick in den Status quo der Digitalisierung in Deutschland. Zwei Gespräche, die ich in dieser Reihe führte, waren für mich besonders prägend.

In Folge #209 des Podcasts unterhalte ich mich mit dem CIO der Metro Gruppe, Timo Salzsieder, der die Transformation des Konzerns vorantreiben muss. Die Metro Gruppe ist mit ihrer starken B2B-Ausrichtung hier im Vorteil, aber sogar in diesem Multimilliardenkonzern ist es alles andere als einfach, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Das betrifft das Geschäftsmodell, die Organisation, aber auch die Sicht auf Technologie, die für Metro immer zentraler wird. Um schneller und agiler zu werden, hat Metro zum Beispiel auf die Software von Spryker Systems gesetzt, ein Unternehmen, das ich 2014 gegründet habe und bei dem mittlerweile rund 250 Menschen arbeiten. Timo Salzsieder beschreibt im Podcast, wie es ist, eine IT-Organisation zu verändern, die früher darauf incentiviert wurde, möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen. Heute wird er mit der Metro-IT-Organisation Metronom zum differenzierenden Puzzlestück des Konzerns – und diese wird zunehmend daran gemessen, wie schnell sie neue Produkte entwickelt.

In Folge #247 beschreibt einer der renommiertesten deutschen E-Commerce-Manager, Stefan Wenzel, die Transformationserfahrungen des Fashion-Unternehmens Tom Tailor. Als Markenhersteller hat Tom Tailor – verglichen mit Händlern – zwar deutlich bessere Voraussetzungen für die digitale Transformation, aber die richtigen Dinge auch schnell genug umzusetzen ist herausfordernd. Auch ihm stelle ich die Frage, ob man in diesem Prozess überhaupt alle Mitarbeiter mitnehmen kann oder ob man sich auf die machbaren Dinge fokussieren muss. Tom Tailor wurde in diesem Prozess von eTribes begleitet, der mittlerweile führenden Digitalberatung in Deutschland. eTribes hat die Finanzierung der dritten Auflage dieses Buches unterstützt und ermöglicht mir ganz neue Einsichten, die sich auch in diesen aktualisierten Seiten niederschlagen. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die drei Dimensionen der Digitalisierung, die eTribes sehr erfolgreich einsetzt. Im ersten Schritt geht es immer um die (digitale) Optimierung des Kerngeschäfts, im zweiten um die digitale Expansion des bestehenden Geschäfts und dann um neue digitale Geschäftsmodelle, die das Potenzial haben, das eigene Modell zu überholen.

Im Vorwort der zweiten Auflage hatten wir uns noch gefragt, warum alle Unternehmen so sein wollen wie Zalando. Mittlerweile muss auch Zalando aufpassen, in der Plattformökonomie (oder, um es anders zu formulieren, im E-Commerce 2.0) den Anschluss nicht zu verlieren – und das obwohl das Unternehmen bereits über 2.000 Entwickler zur Verfügung hat, auf die es bei der Umsetzung seiner Ideen zurückgreifen kann. Auch in der dritten Auflage des Buches ist Zalando eines der Erfolgsbeispiele, aber damit ist nicht garantiert, dass es in der vierten Auflage auch so bleibt. Vielleicht muss Zalando sich dann als „altes“ Unternehmen gegen neue aufstrebende Plattformen behaupten. Die meisten klassischen Handelsunternehmen, die sich mit Amazon messen mussten, haben verloren und sind teilweise schon aus dem Markt ausgeschieden, wie die unten stehende Tabelle eindrücklich beweist. Allen Unternehmen ist gemein, dass sie sich bei der Umsetzung der Digitalstrategie auf ihre alten Werte, beispielsweise die Filialstruktur, stützten und dabei die IT weiterhin wie eine lästige Kostenstelle behandelten. Eine Digitalisierungsstrategie auf den Softwarelösungen von SAP, IBM oder Salesforce zu basieren, hat sich wohl als teuerster Fehler der Digitalisierung der letzten Dekade erwiesen.

Das ist insofern überraschend, als die CEOs der in der Tabelle aufgezählten Unternehmen noch 2016, 2017 und teils 2018 auf den Konferenzbühnen für ihre Multichannel-Modelle gefeiert wurden, mit denen sie versucht haben, die stationäre Welt mit dem Online-Handel zu verbinden. Das ist aber eine Lösung, die nie von Kunden nachgefragt wurde. Die gleichen Unternehmen hadern nun mit langwierigen, teuren und teilweise existenzbedrohenden ERP-Projekten, die noch vor fünf Jahren als Allheilsbringer angepriesen wurden.

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Tabelle: Veränderungen des Börsenwerts in Mrd. USD von 2006 zu 2019

Einige Leser des Buchs werden sich nach der Lektüre fragen, was unsere Einsichten für ihre Unternehmen bedeuten – oder für die Gewichtung des eigenen Aktiendepots. Stark vereinfacht können wir Folgendes sagen: Unternehmen müssen sich daran bewerten lassen, wie schnell sie neue Marktanforderungen umsetzen, und nicht daran, ob sie Antworten im Powerpoint-Modus finden. Unternehmen, denen es schwerfällt, die Kunden-USPs in ihrem aktuellen Modell zu beschreiben, werden im E-Commerce der zweiten Generation gar keinen Platz mehr finden.

Auch in dieser zweiten Generation des E-Commerce bleibt Amazon für uns Buchautoren relevant und unser Erfolg misst sich unter anderem an der Anzahl und Qualität der Kundenrezensionen dort. So würden wir uns sehr freuen, wenn Sie sich fünf Minuten Zeit nehmen, um unser Buch dort zu bewerten. *****

Alexander Graf

Einleitung: Was ist E-Commerce?

Seitdem es das Wort „E-Commerce“ gibt, herrscht um seine Bedeutung Unklarheit. Fest steht: Von Anfang an beschrieb der Begriff mehr als nur einen weiteren Kanal für den Vertrieb von Gütern. Dadurch ist es aber nun fast zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden, ihn zufriedenstellend zu definieren. Wikipedia versucht sich tapfer daran:

Elektronischer Handel, auch Internethandel, Online-Handel oder E-Commerce, bezeichnet Ein- und Verkaufsvorgänge mittels Internet (oder anderer Formen von Datenfernübertragung).

Was sich einfach und abschließend anhört, wird aber schon wieder kniffelig, wenn Handelspraktiker versuchen, die Definition auf ihre eigene Rolle, ihr Unternehmen oder das berufliche Umfeld anzuwenden. Diese haben sich in den letzten 15 Jahren alle durch E-Commerce verändert – aber wie genau? Der Online-Handel ist überall hingekommen, in jeden Prozess, in jeden Kanal, in jedes Tool hat er Einzug gehalten. Noch nebulöser wird der Begriff durch Varianten wie „Multichannel-“ oder „Omnichannel-Commerce“, die dazu herangezogen werden, oft fragwürdige strategische Entscheidungen zu begründen. Durch das Smartphone wird die Entwicklung nun nur noch weiter beschleunigt. Dabei bleiben echte Antworten jedoch oft aus, im Gegenteil: Immer wieder werden neue Begriffe in Umlauf gebracht, die oftmals noch mehr Ratlosigkeit und auch Verunsicherung verursachen.

Trotz unserer Expertise in diesem Bereich tun auch wir uns damit schwer, den sich gerade wandelnden Begriff E-Commerce genau auszudefinieren. Deswegen wollen wir uns stattdessen an eine rückwirkende Definition aus der Zukunftsperspektive wagen. Wir nehmen einmal das Jahr 2030. Sollte Wikipedia dann noch existieren, rechnen wir damit, dass der dortige Eintrag zu E-Commerce ungefähr wie folgt lauten wird:

E-Commerce – auch Online-Handel – begann in den 1990er-Jahren als auf Desktop-Computern basierter Vertriebskanal. Dieser Kanal wurde von einer neuen Generation von Handelsunternehmen wie Amazon und Alibaba beherrscht. In den darauffolgenden Jahrzehnten ersetzten diese neuen Akteure eine Vielzahl der bis dahin aktiven Einzelhändler (siehe Karstadt und Walmart). Grund dafür waren das von den neuen Händlern angebotene bessere Preis-Leistungsverhältnis sowie deren günstigeren Kostenstrukturen. Heute ist der Online-Handel allerdings vollends im allgemeinen Handel aufgegangen. Er stellt heute den üblichen Verkaufskanal für Güter aller Art dar. E-Commerce führte direkt zum Verschwinden von stationären Geschäften als primäre Vertriebsstruktur. Heute werden Ladenflächen von Händlern vorwiegend als Marketing-Instrument eingesetzt. Siehe auch folgende Einträge: Ende des stationären Handels, Der Große Gewerbeimmobilien-Crash 2022 und Liste von Insolvenzverfahren im stationären Handel (2000–2025).

So unsere Vorhersage. In diesem Buch wollen wir Ihnen erzählen, was bisher geschehen ist – und Ihnen erklären, warum wir glauben, dass die Zukunft wie in diesem fiktiven Wikipedia-Eintrag verlaufen wird. Dabei wollen wir Ihnen ebenfalls einen Werkzeugkasten an die Hand geben, mit dem Sie die Entwicklungen werden nachvollziehen können.

1E-Commerce: Was bisher geschah

Seit seinen Anfängen vor 25 Jahren ist der Online-Handel erwachsen geworden und heute aus der Handelslandschaft schlicht nicht mehr wegzudenken. Es gibt jedoch eine Vielzahl an teils hartnäckigen Missverständnissen darüber, was das beachtliche Wachstum im E-Commerce antreibt und was dessen Auswirkungen sind. Daher wollen wir im Folgenden die Entstehung und Etablierung des Online-Handels betrachten und dabei herausstellen, welche Effekte das starke Wachstum der Online-Umsätze auf unterschiedliche Marktteilnehmer hatte und noch immer hat, bevor wir dem Rückblick und der Bestandsaufnahme einen Blick in die Zukunft hinzufügen.

Die Anfänge

Mit dem ersten konsumentenfreundlichen Webbrowser (Mosaic, 1993) und der Entwicklung von Online-Payment-Systemen beginnt Mitte der 90er-Jahre die Ära des E-Commerce. Einer der Pioniere des Online-Handels ist Jeff Bezos, der 1995 die erste Buchbestellung über Amazon (in den Anfängen noch cadabra.com) in seiner Garage in Seattle verpackt und dann per Post verschickt. Drei Jahre später geht Amazon an die Börse und ist heute der wertvollste Händler der Welt.

Doch nicht allen ergeht es wie Bezos oder Ebay-Gründer Pierre Omidyar. Viele der Dotcom-Wunder sind einige Jahre später bereits wieder vom Markt verschwunden, und auch für traditionelle Geschäftsmodelle wird der Handel auf den Kopf gestellt, wie etwa die Insolvenzen etablierter Katalogversender oder auch die katastrophalen Ergebnisse der Department-Stores Sears in den USA und Karstadt in Deutschland in den letzten Jahren belegen. Die Entwicklungen von damals bis heute werden im Folgenden schrittweise und anhand von sechs wichtigen Handelsmodellen untersucht, um herauszustellen, wer von den jeweiligen Entwicklungen profitiert und wer am Markt verliert. Hierzu werden Effekte wie das E-Commerce-Wachstum, prägende Wachstumstreiber, Veränderungen der Kaufprozesse und Wettbewerbseffekte in der Analyse betrachtet. Die sechs untersuchten Handelsmodelle sind: Online-Marktplätze, Online-Händler, Intermediäre, Katalogversender, stationäre Händler sowie Hersteller beziehungsweise Marken.

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Online-Marktplätze bieten eine Plattform für den Produktverkauf über verschiedene Anbieter. Dabei wird die Transaktion im Online-Shop des Marktplatzes durchgeführt, während Versand und Service in der Regel über den Drittverkäufer abgewickelt werden. Amazon verfolgt hier beispielsweise eine hybride Strategie mit eigenem Produkt- und Serviceangebot, während Ebay sich komplett auf die Marktplatzstrategie fokussiert.

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Online-Händler sind Online-Pure-Player, die eigene Sortimente zusammenstellen und über das Internet anbieten. Diese sind oftmals spezialisiert auf bestimmte Produktgruppen oder Kundensegmente wie der Möbel-Online-Shop Wayfair (USA), der Shopping-Club Vente Privée (Frankreich) oder der Online-Modehändler Zalando (Deutschland).

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Intermediäre sind Aggregatoren verschiedener Online-Angebote, die meist durch intelligente Suchfunktionen Kunden bei der Produktsuche unterstützen. Hierzu gehören allgemeine Produkt- und Preis-Suchmaschinen wie Google Shopping, das deutsche Dooyoo sowie das amerikanische Shopping.com als auch Nischenanbieter wie Reiseportale, die an Verkäufen beziehungsweise Buchungen mit einer Kommission beteiligt werden.

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Katalogversender bestehen in den USA schon seit über einem Jahrhundert und haben auch in Deutschland eine lange Tradition im Distanzhandel. Ähnlich wie die Online-Pure-Player erstellen Kataloghäuser Sortimente mit Eigen- und Fremdmarken und versenden diese direkt an die Kunden. Bekannte deutsche Unternehmen in dieser Kategorie waren die mittlerweile zum Online-Händler weiterentwickelte Otto Group und ihre bereits insolventen Wettbewerber Neckermann und Quelle. Traditionell gehörten auch die amerikanischen Firmen Sears, JC Penney und Bloomingdales zu den Katalogversendern.

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Stationäre Händler wie Macy’s (USA), Primark (UK) oder Media Markt (Deutschland) verkaufen ihre Waren vor allem im Filialgeschäft und setzen damit besonders auf Laufkundschaft in Innenstädten und Einkaufszentren. Viele der traditionellen Händler vertrauen seit Jahrzehnten auf die sofortige Verfügbarkeit, eine erlebbare Produktdarstellung und persönliche Beratung in den Filialen, um Kunden zu gewinnen. Diese müssen allerdings durch Ausgaben für Verkaufspersonal sowie entsprechende Mieten in der Innenstadt finanziert werden.

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Hersteller(-Marken) produzieren Güter für den Endverbraucher (oder auch B2B-Kunden), wie zum Beispiel Samsung oder Adidas. Sie sind auf diverse Handelsstufen angewiesen, da sie oftmals nicht oder nur in geringem Maße selbst in den Verkauf gehen und somit den Großteil der Umsätze über Zwischenhändler im stationären und Distanzhandel verbuchen. Ausnahmen sind Unternehmen wie Apple oder H & M, die sowohl Produktion als auch Vertrieb der Waren stark inhouse kontrollieren.

In den folgenden fünf Zeitabschnitten werden die Entwicklungstendenzen und Aussichten der hier dargestellten sechs Handelsmodelle analysiert. Die allgemeine Stimmung der Marktteilnehmer ist dabei an den farbigen Symbolen ablesbar. Die Farbgebung entspricht einem Ampelsystem:

Grün = gute Stimmung, Rot = schlechte Aussichten, Gelb = weder gut noch schlecht.

1998: Ruhe vor dem Sturm

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Missverständnis Beratung

„People will always want to buy books in bookstores and never online.“

Riggio Brüder (Barnes & Nobles) zu Jeff Bezos (Amazon)1

Drei Jahre nach der Gründung von Ebay und Amazon steckt der Online-Handel in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Weit unter 10 Prozent der Bevölkerung haben bisher eine Bestellung im Internet getätigt und der gesamte Online-Umsatz in Deutschland kratzt noch nicht einmal an der Marke von 1 Milliarde Euro. Doch auf der anderen Seite des großen Teichs verzeichnet der E-Commerce erste Erfolge und erzielt Umsätze von 8 Milliarden Dollar. Bereits 1997 knackt Dell als erster Online-Shop die 1-Million-Dollar-Umsatzmarke.2 Derweilen hat Bezos mit seinem Online-Buchhandel bewiesen, dass Kunden einfach zu handhabende Produkte wie Bücher und CDs online kaufen und zu sich nach Hause liefern lassen wollen. Mit einer riesigen Auswahl im Buchsortiment und bequemem Einkaufen schlägt Amazon zunehmend die persönliche Beratung im Ladengeschäft und gewinnt Kunden. 1998 entsteht außerdem mit Paypal ein zukunftsweisendes Online-Zahlungsmittel, das sich in wenigen Jahren als bedeutende Alternative zur Zahlung mit Kreditkarte und auf Rechnung etabliert.

In diesen frühen Tagen des E-Commerce sind die meisten Offline-Händler eher zurückhaltend damit, eine Digitalstrategie zu verfolgen. Diese würde mit einem hohen Investitionsaufwand einhergehen. Zudem besteht die Befürchtung, dass Umsätze aus den eigenen traditionellen Geschäften abwandern. Entsprechend verhält sich Amazons Mitbewerber im Büchermarkt, Barnes & Noble, in den USA sehr träge, sich dem neuen Marktsegment anzupassen. Warum nicht warten und erst dann in E-Commerce investieren und Amazon angreifen, wenn es ausreichend Online-Kunden gibt und sich das Ganze überhaupt erst lohnt? Jeff Bezos hat diesbezüglich eine ganz andere Ansicht:

(…) I think you might be underestimating the degree to which established brick-and-mortar business, or any company that might be used to doing things a certain way, will find it hard to be nimble or to focus attention on a new channel.3

Im Nachhinein betrachtet soll Bezos recht behalten. In der Zwischenzeit schaltet Amazon einen Gang hoch und ergänzt Warenkategorien wie Spielzeug, Consumer Electronics und andere.

Ausblick der Handelsmodelle 1998

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Online-Marktplätze sind die eindeutigen Gewinner der ersten Jahre im E-Commerce. Paradebeispiel ist das Auktionshaus Ebay, das schon 1998 solide Gewinne von 2,4 Millionen US-Dollar generiert, mit einem Umsatz von 47 Millionen US-Dollar und knapp 1,8 Millionen Auktionen von Konsument zu Konsument.4

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Auch Online-Händler profitieren stark vom E-Commerce-Wachstum. Amazon, vor dem Jahr 2000 noch nicht als Marktplatz, sondern als Online-Pure-Player unterwegs, weist 1997 einen Umsatz von 150 Millionen US-Dollar mit einer beeindruckenden Wachstumsrate von 800 Prozent5 vor und verbucht nebenbei einen erfolgreichen Börsengang.6

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1998 tauchen erste Intermediäre auf, wie die Preis- und Produktsuchmaschinen Yahoo Stores und Shopping.com. Kurz darauf entstehen etliche europäische Modelle, wie beispielsweise Dooyoo (Deutschland), PriceRunner (Schweden) and Kelkoo (Frankreich). Sie profitieren vom Wachstum der Online-Händler und der bis dahin geringen Orientierung der Internetuser (Google startet gerade erst 1998).

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Während viele der nordamerikanischen Katalogversender sich bereits in Richtung Stationärgeschäft diversifiziert haben, gibt sich das etablierte Kataloggeschäft in Deutschland noch wenig beeindruckt vom E-Commerce. So haben zwar schon einige Katalogversender einen Online-Shop oder eine Internetpräsenz, der E-Commerce wird aber von den meisten Kataloghäusern nur als weiterer Bestellkanal angesehen, ähnlich der Bestellung über Fax.

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Der stationäre Handel hingegen erkennt in der anrollenden E-Commerce-Welle eine negative Entwicklung, wenn auch bislang wenige Händler selbst in den Online-Handel investieren. Barnes & Noble beispielsweise sieht Amazon als ernst zu nehmenden Konkurrenten und klagt taktisch einen Tag vor Amazons Börsengang im Mai 1997 gegen Amazons Slogan „the world’s largest bookstore“ mit der Begründung, dass Amazon ja kein wirklicher Store sei – die Klage wird fünf Monate später aufgehoben.7

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Für Hersteller stellt der Online-Handel zunächst eine große Herausforderung dar. Preis und Leistung der Online-Verkäufer sind praktisch nicht kontrollierbar und undurchsichtig für Marken und Hersteller. Außerdem fürchten die Hersteller einen Kontrollverlust des Markenauftritts und negative Imageeffekte. Insbesondere Ebay ist in diesem Zeitraum unter Markenherstellern noch stark verrufen und leidet unter einem schlechten Image.8 Erste Hersteller versuchen sich online im Direktvertrieb, stoßen dabei aber oftmals auf neue Herausforderungen, sowohl mit Kunden (schlechte User-Experience) als auch mit Händlern (Gefährdung der bestehenden Handelsbeziehungen).

2002: Intermediäre gewinnen

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Missverständnis Information

„Nobody is going to buy shoes without trying them on.“

Etliche Silicon Valley VCs zu Tony Hsieh und Nick Swinmurn, Zappos9

Um die Jahrtausendwende tut sich im Online-Handel eine ganze Menge: Der E-Commerce boomt und kommt 2002 auf stolze 54 Milliarden Dollar Umsatz in den USA sowie 8 Milliarden Euro in Deutschland.10 Die „Dotcom“-Blase, wie man diese Zeit später nennen wird, ist die Zeit der Intermediäre und Online-Händler, in die Unmengen von Venture Capital investiert wird. Dabei beweisen vor allem Marktteilnehmer aus der Modebranche, dass auch emotionale und komplizierte Produkte wie Schuhe (Zappos) oder Damenunterwäsche (Victoria’s Secret) im Internet gekauft werden. Dies gelingt vor allem durch kundenfreundliche Produktdarstellung und Fokus auf Service wie das 365 Tage kostenfreie Rückgaberecht bei Zappos.11

Sowohl die Technologie als auch die Internetuser haben sich weiterentwickelt und nutzen neue Kaufmechanismen zugunsten des E-Commerce-Wachstums. Beispielsweise hat sich PayPal als beliebtes Zahlungsmittel etabliert und verzeichnet Ende 2002 über 1 Million User. Generell ist in fast allen Branchen eine Machtverschiebung zum Endkunden hin messbar, welcher durch neues Kaufverhalten im Internet den Handel revolutioniert.

Traditionell sucht ein Kunde mit konkretem Kaufinteresse im stationären Handel erst einen Anbieter und nimmt dort die Produktauswahl vor. Allein durch den hohen zeitlichen Aufwand und die örtlichen Distanzen der Anbieter lohnt es sich selten, verschiedene Läden aufzusuchen, um sich für das ideale Angebot zu entscheiden. Im Internet gilt das jedoch nicht mehr. Der nächste Anbieter ist nur einen Klick entfernt, Preis- und Produktsuchmaschinen aggregieren deren Angebote sogar übersichtlich nach Preis und Leistung auf einen Blick. So kann der Kunde nun oftmals Zwischenhandelsstufen umgehen und damit attraktivere Angebote bekommen. Dieser Mechanismus sorgt in den meisten Fällen für einen Niedrigpreiseffekt, durch den der günstigste Anbieter oder der Anbieter mit der größten Auswahl zu einem wettbewerbsfähigen Preis gewinnt. Online ist der Händler also oft nur noch eine Art Transaktionsgehilfe und verdient im Preiswettbewerb deshalb auch weniger Geld als mit anderen Handelsmodellen. Die stationäre Positionierung eines Händlers bewahrt allerdings auch nicht vor dem Preiswettbewerb, wenn die Sortimente des Händlers mit dem Online-Handel im Wettbewerb stehen – was vor allem in der Elektronikbranche bei Händlern wie dem amerikanischen Best Buy oder dem deutschen Media Markt zu beobachten ist.12

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Abbildung 1.1: Kaufprozess im Vergleich – Stationär und E-Commerce

Quelle: Björn Schäfers, Social Shopping für Mode, Wohnen und Lifestyle am Beispiel Smatch.com in Web-Exzellenz im E-Commerce, Gabler, S. 313

Doch auch im Online-Handel geht nicht alles reibungslos vonstatten. Viele Online-Konzepte, die in den späten 90ern gestartet sind, fahren untragbar hohe Verluste ein und geben ihr Geschäft bereits 2002 wieder auf. Amazon betreibt 2002 sieben Fulfillment-Center und trifft die bedeutungsvolle Entscheidung, sich strategisch auf Distribution als Key Value Driver zu konzentrieren.13

Insight

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Grundsätzlich hat bei allen Handelsunternehmen 2002 das Thema E-Commerce bereits eine zentrale Bedeutung für die Unternehmensstrategie. Der in Abbildung 1.1 dargestellte Zusammenhang veränderter Kaufprozesse im Internet wird (auch heute noch) von vielen Handelsmanagern angefochten. Da sich viele der bestehenden Handelskonzepte auf bekannte Klassifizierungssysteme stützen, um so ihre Zielgruppen zu bestimmen und einzuordnen, kommt ihnen die Realität des „neuen“ Kaufprozesses besonders unpassend. Angebote werden für Zielgruppen strukturiert, sodass sich Handelskonzepte beispielsweise an Geschlecht, Alter, Einkommen oder auch Konsumpräferenzen (buyer’s preferences) ausrichten. Für Manager, die sehr stark in diesen Klassifizierungssystemen arbeiten und denken, ist deren Auflösung nur schwer hinnehmbar. Das gilt insbesondere dann, wenn sich ein ausreichend großer Teil der Kunden noch scheinbar analog zu den bekannten Milieus verhält. Neuere Geschäftsmodelle, wie About You aus der Otto Group, setzen bereits voraus, dass Kunden sich nicht mehr durch diese Systeme klassifizieren lassen.14

Ausblick der Marktteilnehmer 2002

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Im Jahr 2000 öffnet Jeff Bezos mit dem Marktplatzkonzept Amazon Marketplace seinen Online-Shop für Drittanbieter, sowohl Händler als auch Endkunden. Somit sichert Amazon früh seine Marktposition im Marktplatzsegment und kann dem Kunden eine noch größere Auswahl und Informationstiefe bieten. Das Unternehmen kann bis 2002 den Jahresumsatz auf knappe 4 Milliarden US-Dollar steigern.15

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Statt in die Produktbreite zu wachsen wie Amazon, konzentrieren sich die meisten Online-Händler auf konkrete Kategorien. Man geht davon aus, dass bald jedes Sortiment einen Champion haben wird, der hier den Marktanteil dominieren wird – Modelle wie Zappos in den USA, AO World im Vereinigten Königreich und MyToys in Deutschland entstehen.

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2002 gewinnen vor allem die Intermediäre. Das über den Preis gesteuerte Kaufverhalten der Online-Kunden beflügelt Preissuchmaschinen über alle Kategorien hinweg. Der deutsche Preisvergleichsanbieter Dooyoo.de beispielsweise stockt seine sechs Mitarbeiter bis 2002 auf 170 auf16 und Google startet seine eigene Produktsuche Google Shopping, die damals noch Froogle heißt.17

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Auch die Katalogversender sind im neuen Jahrtausend angekommen und rüsten in Sachen E-Commerce ordentlich auf beziehungsweise nach. In den USA hatten die traditionellen Kataloghändler vorerst stark in die stationäre Expansion investiert, erkennen Anfang des Jahrtausends aber auch die Synergien des E-Commerce mit dem bestehenden Kataloggeschäft. Die drei deutschen Riesen Quelle, Neckermann und Otto bieten nun alle ihr Katalogsortiment auch online an. Vorreiter Otto Group verbucht 2002 einen Online-Umsatz von 1,7 Milliarden Euro, 56 Prozent über dem Umsatzniveau des Vorjahres.18

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Der stationäre Handel spürt die Bedrohung des E-Commerce mehr und mehr. Als Antwort experimentieren große Einzelhändler wie Target (USA) und Thalia (D) mit dem E-Commerce und erstellen eigene Online-Konzepte. Bei Macy’s und Tchibo ist der Online-Handel 2002 bereits etablierter Teil der Kundenansprache.19

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Hersteller sehen sich durch den Online-Handel immer weiter in die Enge getrieben. Die neuen Verkaufskonzepte passen nicht in die Distributionsstrategie vieler Marken. Vor allem die geringen Margen im E-Commerce und der Kontrollverlust über die unzähligen Online-Angebote setzen Hersteller zunehmend unter Druck. So können Ebay-Powerseller beispielsweise im Großhandel Markenturnschuhe (Adidas, Nike, Asics) einkaufen und auf der Auktionsplattform deutlich unter regulären Einzelhandelspreisen, durch schlanke Kostenstrukturen aber dennoch gewinnbringend verkaufen.20 Der damit verbundene Preisverfall der Markenprodukte stellt die Hersteller vor eine große Herausforderung.

2007: Online-Euphorie

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Missverständnis Erlebnis

„We see that Internet and e-commerce is growing, but at the same time, when buying a new bed, a lot of people want to try it first; and if you buy a sofa, you may want to touch the fabric.“

Peter Agnefjäll, CEO IKEA21

Zwischen 2002 und 2007 verbucht der E-Commerce einen weiteren großen Wachstumsschub und wächst auf einen Jahresumsatz von 136 Milliarden Dollar in den USA22 und 18 Milliarden Euro in Deutschland.23 Mit einem Online-Käuferanteil von 60 Prozent verdoppelt der E-Commerce seine Reichweite seit 2002 (hier lag der Anteil bei 30 Prozent) und verzeichnet ein starkes Wachstum an Neukunden.24 Zudem bestellen Kunden nicht mehr nur Bücher und Kleidung – auch große Anschaffungen wie Möbel und Großelektronik werden online getätigt. Dank ausführlicher Online-Beratung, Kundenbewertungssystemen und immer attraktiverer Produktdarstellung wird der Kunde nun auch online ausgiebig beraten und informiert. Ein anderes folgenreiches Internetphänomen wird zunehmend deutlich. Eine Handvoll Champions setzt sich durch und penetriert den Online-Handel. Diese Champions heißen 2007 vor allem Amazon, Ebay und Google. Besonders Amazon weist beispiellose Umsatz-Wachstumsraten vor, der Umsatz steigt bis 2007 auf beeindruckende 15 Milliarden US-Dollar.

Abbildung 1.2 erklärt, wie Amazon es schafft, nachhaltig den Markt zu dominieren: Am Anfang steht die große Auswahl an Produkten (Selection). Das schafft ein positives Kundenerlebnis (Customer Experience), welches durch hohe Wiederkaufraten und Weiterempfehlung die Besucherzahlen (Traffic) erhöht. Hat Amazon viele Besucher, so ist das Angebot zudem besonders attraktiv für Drittverkäufer beziehungsweise Marken/Hersteller (Sellers), die entsprechend das Angebot auf Amazon Marketplace erweitern. Dieser positive Kreislauf stärkt Amazons Wachstum (Growth). Diese Regel gilt gleichermaßen für jeden Marktplatz, doch bei dem Online-Riesen kommt eine Besonderheit in der Strategie hinzu: Anstatt das Wachstum zu nutzen, um mit hohen Margen möglichst profitabel am Markt zu agieren, nutzt Amazon die hohen Verkaufsmengen, um seine Kosten (Lower Cost Structure) und folglich auch die Preise (Lower Prices) für die Kunden möglichst niedrig zu halten, und kurbelt somit den Wachstumskreislauf weiter an. Amazon sichert sich damit einen permanenten Wettbewerbsvorteil und agiert mit dieser Strategie weniger wie ein Marktplatz, sondern mehr wie ein besonders effizienter Großhändler. Es zeigt sich ebenfalls, dass diese „Großhandelsstrategie“ zwar stationär in jeder Stadt funktioniert, im Internet jedoch – losgelöst von der Notwendigkeit regionaler Erreichbarkeit und Nähe zum Kunden – nur Platz für einen Champion pro Land beziehungsweise Region ist.

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Abbildung 1.2: Amazons Virtuous Cycle

Quelle: nach Jeff Bezos, 2001

Ein weiteres Ass im Ärmel hat Jeff Bezos mit dem Prime-Service von Amazon: Seit 2004 steht Prime-Mitgliedern für 79 US-Dollar im Jahr das Two-Day-Shipping ohne weitere Kosten zur Verfügung. Obwohl Amazon hier pro Lieferung circa 8 Dollar an Logistikkosten verliert, erweist Prime sich als einer der größten Wachstumstreiber Amazons. Bezos stellt dazu ganz klar fest: „It was never about the $79. It was really about changing people’s mentality so they wouldn’t shop anywhere else.“25

Auch die sich anbahnende Rezession (2007–2009) nimmt für Amazon einen günstigen Verlauf. Viele Wettbewerber gehen angesichts des wirtschaftlichen Abschwungs auf Sparflamme, Kunden werden preissensibler – Amazon investiert weiter in günstige Preise und Wachstum.26

Insight

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Bezeichnend für diese Phase ist der massive Investitionsdruck in sogenannte „Category-Killer“. Jedes Segment, jedes Sortiment wird aus Sicht der Investoren von einem dort beheimateten Marktführer dominiert. Für den Bereich Elektronik kann das Newegg sein, Fahrräder dominiert fahrrad.de und im Segment Möbel ist Wayfair klarer Category-Leader. 2007 sind die Umsätze im Online-Handel noch relativ stark über verschiedene Konzepte verteilt und der Siegeszug der Marktplätze ist noch nicht absehbar. Insbesondere ungenutzte Potenziale im Online-Marketing und im Bestandskundenmanagement lassen in den 2007 gültigen Business Cases noch genug Raum für Wachstumsfantasien.

Ausblick der Marktteilnehmer 2007

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Online-Marktplätze wachsen weiter: Amazon und Ebay setzen ihr Wachstum fort und 2003 ist Amazon das erste Mal profitabel, allerdings mit geringen Gewinnen. Es setzen sich nationale Marktführer durch, dies sind Amazon und Ebay in Nordamerika und Westeuropa, Alibaba in Asien, Rakuten in Japan und Ozon in Russland. Innovative neue Marktplatzkonzepte wie Etsy ziehen riesige Mengen an Venture Capital an.

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Online-Händler wachsen mit dem E-Commerce-Umsatz und verbuchen steten Kundenzuwachs. Die Hochphase der Online-Händler zieht ebenso weltweit Investoren an, die in Online-Konzepte wie Wayfair in den USA und Zalando in Deutschland Millionen investieren. Dabei machen vor allem Shopping-Clubs von sich reden wie Gilt, das 2007 gegründet wird, und Vente-Privée, das im selben Jahr eine große Spätrundenfinanzierung einsammelt.

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Die Euphorie der Intermediäre hat nachgelassen und Preisvergleichsseiten verzeichnen Verluste: Dooyoo (Deutschland) muss beispielsweise seine Mitarbeiterzahl drastisch von 170 auf 24 Beschäftigte herunterfahren.27 Shopping.com (USA) büßt ebenfalls stark an Wachstum ein.28 Grund: Champions wie Google (mit Google Shopping und Universal Search) und einzelne Reise- und Finanzportale gewinnen das Rennen um Marktanteile.

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Das Kataloggeschäft blickt ebenfalls weniger positiv auf die Entwicklungen – man verliert immer mehr Marktanteile an Amazon und andere. Zwar wächst das Online-Geschäft der Versandhäuser noch, doch im Marktvergleich müssen vor allem JC Penney (USA), Quelle und Neckermann (Deutschland) deutliche Einbußen hinnehmen.

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Der stationäre Handel schaut etwas positiver in die Zukunft, hat er doch aus der Kampfansage der Online-Händler gelernt und will nun im E-Commerce mitmachen. Budgets werden verlagert und die Filialgeschäfte wagen mehr und mehr den Schritt in die Online-Richtung. „So kann der Kunde bei uns jetzt das Beste aus beiden Welten erhalten“, argumentieren die Einzelhändler. Doch trotz der Euphorie ist in der Realität nicht alles so leicht umzusetzen wie erhofft. So schließt Media Markt beispielsweise Ende 2007 seinen Webshop Mediaonline. de,29 um sich online neu auszurichten. Der im Oktober 2007 angekündigte Shop über mediamarkt.de lässt allerdings bis 2012 auf sich warten.30

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Hersteller sehen die Entwicklungen weiterhin eher kritisch. Zwar wird der Online-Vertrieb langsam kontrollierbarer durch bessere Vernetzung mit den Online-Händlern und dem Ausbau von Markenshops in Marktplätzen, doch stehen Marken noch immer ganz am Anfang. Nicht zuletzt um bestehende Handelsbeziehungen mit dem Fachhandel zu schützen, schrecken noch viele Marken vor dem Direktvertrieb und umfassender Distribution über Online-Marktplätze zurück. Es entstehen jedoch erste markeneigene Shops wie hugoboss.com.

2012: Die Multichannel-Blase

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Missverständnis Beratung

„I believe the death of the retail store has also been greatly exaggerated. The influence of the internet and online sales will continue to increase, but […] multichannel retail platforms will be the primary beneficiary of this trend.“

Bill Bishop, Brick Meets Click31

Ein weiterer Wachstumsschub katapultiert den E-Commerce-Umsatz 2012 in den USA auf 227 Milliarden US-Dollar und in Deutschland auf 39 Milliarden Euro. Es entstehen mehr und mehr innovative Konzepte wie der Handmade-Marketplace Etsy und stark gehypte Modelle wie die Daily-Deal-Konzepte Groupon (Local Coupons) und Fab.com (Home and Living Merchandise). So wurde Groupon 2010, nur zwei Jahre nach seiner Gründung, von Forbes als „fastest growing company ever“32 gefeiert. Noch im selben Jahr lehnte Groupon Akquisitionsangebote von Yahoo (3 bis 4 Milliarden US-Dollar) und Google (5,75 Milliarden US-Dollar) ab. Nur ein Jahr später betitelte man Groupon dann als „the world’s most controversial company“, nicht zuletzt wegen seines umstrittenen Börsengangs im November 2011.33 Lokale Dienstleister, Restaurants und andere Groupon Partner bemerkten, dass das Überangebot von Coupons zu einem drastischen Preisverfall führte. Statt neue Kunden über einmalige Rabattaktionen zu gewinnen, stellte sich heraus, dass kaum Kunden bereit waren, später zum vollen Preis zu konsumieren.

Eine spannende Entwicklung zeichnet sich vor allem im deutschen E-Commerce ab. Bis etwa 2010 besteht das E-Commerce-Wachstum in Deutschland hauptsächlich aus dem Rückgang von Katalogumsätzen, also der Migration der Katalogkunden in den Online-Handel (vgl. Abbildung 1.3). Der stationäre Handel entwickelt sich also bis 2010 vom E-Commerce weitestgehend unberührt. Das Umsatzwachstum des Einzelhandels insgesamt ist inflationsbereinigt bei fast null. Erst seit 2011 legt das E-Commerce-Wachstum vom Katalogversand losgelöst zu und steigt mit erhöhter Wachstumskurve an. Ohne erkennbares Gesamtwachstum der Einzelhandelsumsätze verliert der stationäre Handel monatlich zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde Euro an die Online-Kanäle, Tendenz steigend. Der schon vor 2010 geschwächte stationäre Handel verliert also mehr denn je an die wachsenden E-Commerce-Gewinner.

Derweilen hat Amazon den Wettbewerb eindeutig abgehängt und dominiert den Online-Handel in den USA und in Westeuropa. Weiterhin gewinnt Amazon viele Umsätze durch seine aggressive Preisführerstrategie. Die Entwicklung von Pricing Robots lässt Amazon alle Preise seiner Wettbewerber überwachen und mithilfe von Algorithmen ideal und in Echtzeit anpassen. So liefern sich 2009 Amazon und seine Rivalen Walmart und Target einen umstrittenen Preiskampf. Beispiel Bücher: Bei Bestsellern unterbieten sich alle drei Retailer Kopf an Kopf, sodass die regulär zwischen 25 und 35 Dollar kostenden Bücher jeweils für unter 9 Dollar angeboten werden; die American Bookseller Association fordert daher die US-amerikanische Justizbehörde auf, dieses „Predatory Pricing“ eingehend zu prüfen.34

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Abbildung 1.3: Umsatzentwicklung Distanzhandel

Quelle: eigene Erstellung auf Basis von Excitingcommerce.de, Statistisches Bundesamt, BVH, eigene Prognosen (lineare Fortschreibung)

Im deutschen Modebereich intensiviert sich der Preiskampf durch den relativ neuen Marktteilnehmer Zalando, der ähnlich wie Amazon Preisvorteile durch Skaleneffekte erzielen will. Insgesamt scheint Amazon aber nicht mehr aufzuholen zu sein: 2012 setzt sich die dominante Marktstellung durch und die Zappos-Akquisition stärkt Amazon weiter in seiner Monopolstellung. In den USA (siehe Abbildung 1.4) wie in Europa hat sich der Wachstumskreislauf (seit 2007) stetig „weitergedreht“. Die Verkaufszahlen von Amazon heben ab 2009 nochmal richtig ab und lassen den Wettbewerb erblassen. Und das spüren nicht nur direkt konkurrierende Online-Händler, die nun ihrem eigenen Preisdruck unterliegen.

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Abbildung 1.4: Amazon dominiert den Markt

Quelle: S. Banjo, P. Ziobro, The Wall Street Journal: After Decades of Toil, Web Sales Remain Small for Many Retailers. Für 2016 hat Amazon bereits einen Gesamtumsatz von 136 Milliarden US-Dollar reportet.

Im permanenten Abwärtsflug will der stationäre Handel jetzt jedoch das Steuer herumreißen – und die Lösung heißt Multichannel. Wenn offline sinkt, muss eben mehr online her. Die Kanalverknüpfung soll den Kunden entlang des Kaufprozesses immer dort erreichen, wo es ihm gerade am besten passt – in der Filiale, online oder auf dem Smartphone. Eine tolle Idee, jedoch haben es die traditionellen stationären Händler hier noch nicht geschafft, den Kunden neben Services wie „Online-Bestellung in der Filiale abholen“ (Click & Collect) oder „Retouren vor Ort zurückgeben“ einen echten Mehrwert zu bieten. Ist der Kunde gerade online auf der Suche nach einem Produkt, so zählen eben ganz andere Entscheidungskriterien. Kurzum: Ein Händler kann nur dann im jeweiligen Kanal bestehen, wenn er dem Kunden hier auch echte Mehrwerte bietet, denn die Verknüpfung verschiedener Kanäle an sich kann die Kostenproblematik der Brick-and-Mortar-Filialen nicht retten.

Insgesamt ist kundenseitig 2012 noch ein deutlicher Unterschied in den Kanalpräferenzen zu erkennen. So bevorzugen in etlichen Produktkategorien (zum Beispiel Reisen, Entertainment und Bücher) deutlich über 60 Prozent der jüngeren Kunden in Deutschland den Online-Kanal gegenüber dem stationären Handel, wobei der Gesamtdurchschnitt in den genannten Kategorien eher bei 45 Prozent liegt. Die Entwicklung hin zur Selbstberatung im Internet ist vor allem unter jüngeren Kunden und Digital Natives verbreitet und unterstützt das Umsatzwachstum komplexer und informationsintensiver Produkte über Online-Shops zunehmend. So steigern beispielsweise von 2011 auf 2012 beratungsintensive und teilweise hochpreisige Produktgruppen wie Möbel (plus 58 Prozent) und Kosmetik/Parfüm (plus 67 Prozent) ihren Umsatz deutlich – wenngleich bei geringer Basis.35 Unterstützt wird diese Entwicklung durch Kundenbewertungen, Empfehlungen der Händlershops, Produktvergleichsportale sowie ein wachsendes Informationsangebot der Hersteller. Diesen Trend verdeutlicht ebenfalls die vom ECC Köln durchgeführte Studie36 zum Online- und Offline-Kaufverhalten. Darin gaben die Befragten unter anderem an, aus welchen Gründen sie nach der Internetrecherche am Ende doch im Laden eingekauft haben. 57 Prozent der Befragten nannten fehlende Haptik, 44 Prozent nannten die sofortige Verfügbarkeit des Produktes. Lediglich 27 Prozent gaben an, aufgrund der persönlichen Beratung im Ladengeschäft stationär gekauft zu haben. Fast drei Viertel der Befragten sahen also in der persönlichen Beratung keinen wichtigen Kaufgrund für den stationären Handel. Umgekehrt wurde auch untersucht, welches die Gründe für den Online-Kauf im Vergleich zum Kauf im stationären Handel sind: 48 Prozent der Befragten nannten die schnelle und einfache Online-Bestellung, 44 Prozent gaben den günstigeren Preis als Grund an. Aus der Kombination der Faktoren gute Online-Beratung, schnelle Bestellprozesse und kompetitive Preisstrategie lässt sich also der Erfolg bestehender E-Commerce-Konzepte wie Amazon, Zalando und Ebay erklären.

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Abbildung 1.5: Vertriebspräferenzen nach Altersgruppe

Quelle: Prof. Dr. Renate Köcher, ACTA 2012, (www.ifd-allensbach.de/fileadmin/ACTA/ACTA_Praesentationen/2012/ACTA2012_Koecher.pdf)

Insight

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Den Kunden auf allen Kanälen zu bedienen war 2012 noch die ultimative Strategie der Handelsunternehmen mit stationärer DNA, um gegen Amazon, Wayfair, Zalando und Co. zu bestehen. Die Vermutung dahinter war, dass es eine hinreichend große Bindung zur Handelsmarke wie zum Beispiel Macy’s, Sears oder Galeria Kaufhof gibt, die Kunden vom stationären Handel auf die eigene Webseite bringt. Analog dazu funktionieren barnesandnoble.com, bestbuy.com, Karstadt.de und andere. Die vermuteten Kundenbindungseffekte wurden aber leider nicht realisiert. Im Gegenteil – es gibt ausreichend Studien und Belege dafür, dass die Kundenbindung zur Händlermarke gegen null tendiert.37

Ausblick der Marktteilnehmer 2012

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Amazon dominiert und lässt die Liste der Online-Marktplätze insgesamt schrumpfen. Trotz des Verlustes kleinerer Akteure wächst das Marktsegment unaufhaltsam weiter und beeinflusst durch die Oligopolstellung der wenigen Gewinner alle weiteren Segmente.

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Die so vielversprechend gestarteten Online-Händler verlieren zunehmend Marktanteile an Amazon und Co. Und dort, wo Marktanteile erkämpft werden, werden diese mit hohen Marketingausgaben und Margenverzicht erkauft, was den Druck insgesamt weiter steigen lässt. So wächst der deutsche Fashion-Pure-Player Zalando 2012 beispielsweise um beeindruckende 125 Prozent auf 1,159 Milliarden Euro Umsatz, fährt dabei allerdings Verluste von 90 Millionen Euro ein.38 In den USA ergeht es Pure-Playern wie Wayfair und Zulily ähnlich.

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Der Großteil der Intermediäre wird 2012 von Google und einigen wenigen Branchenchampions endgültig aus dem Markt verdrängt. Eine Handvoll Gewinner bleibt bestehen (Google Shopping, Kayak.com, Booking.com etc.). Die Aussicht auf das Wachstum bestehender und das Entstehen neuer Intermediärkonzepte ist negativ.

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Für das Kataloggeschäft sieht es weiterhin schwierig aus. Hat man 2007 noch Online-Wachstum verbuchen können, so flacht dieses nun ab, da die meisten Offline-Kunden bereits zum Online-Kanal migriert sind. Die Folge: Zwei der drei großen deutschen Kataloghäuser melden Insolvenz an (Quelle 2009 und Neckermann 2012). Auch in den USA sind fast alle Katalogversender verschwunden – so hatte Sears seinen Katalog bereits 1993 aufgegeben, JC Penney folgte 2009 und Eddie Bauer erlitt nach der ersten Insolvenz 2005 im Jahr 2009 seine zweite.

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Der stationäre Handel blickt der Multichannel-Zukunft positiv entgegen: Home Depot und Macy’s investieren stark in Multichannel-Angebote, Media Markt eröffnet seinen Online-Shop (im zweiten Versuch), Conrad stellt in den Filialen Internet-Terminals bereit und Douglas entwickelt eine Erlebnis-App für Smartphones. Doch Insolvenzen wie jene von Sears und Karstadt warnen auch: Investitionen in Digitales sind für stationäre Händler zwar alternativlos, bieten aber keinerlei Garantie, dass der Gang in die Irrelevanz verhindert werden kann.

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