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Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-997-0
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Nr. 561

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 562

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 563

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 564

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 565

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 566

Seewölfe Nr. 566

Nr. 567

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 568

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 569

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 570

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 571

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 572

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 573

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 574

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 575

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 576

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 577

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 578

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 579

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 580

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

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1.

Oktober 1597, Schwarzes Meer, Westküste.

Der neue Tag begann mit Sonne, auch im Herzen der Arwenacks. Immerhin hatte ihnen die vergangene Nacht ein neues Schiffchen beschert. Allerdings hatten ihre Fäuste kräftig dabei mitgeholfen. So alte Salzbuckel wie sie ließen sich nicht anstänkern, schon gar nicht von russischen Rabauken.

Deren zweimastige Dubas segelten sie reinen Herzens. Sie hatten sie beileibe nicht gestohlen. Gott bewahre! Das wäre nicht schicklich gewesen. Nein, sie hatten nur einen Tausch vorgenommen. Ehrlich, Sir!

Na ja, die neue Dubas war größer als die alte, die sie im Hafen von Varna zurückgelassen hatten. Aber das durfte man nicht so eng sehen. Sie hätten ihre alte Dubas ja auch versenken können, nicht wahr? Dann hätten diese Igors, Iwans und Pjotrs – oder wie sie hießen – gar nichts mehr gehabt und auf ihren Daumen lutschen können.

Außerdem war deren Crew kleiner als die der Arwenacks. Mit einer kleineren Dubas kamen die viel besser zurecht als mit der großen, die wiederum genau richtig für die Arwenacks war.

Als Muselmann hätte Hasard jetzt gesagt: Allah ist groß und weise und gerecht. Er gibt jedem, was ihm gehört, nicht mehr und auch nicht weniger – das kleine Schiff der kleinen Crew und das große Schiff der großen Crew. Die Russen hatten es zwar nicht mit Allah, die Arwenacks auch nicht – die ganz im Gegenteil –, aber die Anrainer des Schwarzes Meers waren solche und solche, das hatten die Arwenacks schon spitzgekriegt.

Mit Allahs Weisheiten hätte sich Hasard bei den Russen kaum entschuldigen können. Die wären vermutlich noch rabiater geworden. Aber als er so an diesem Morgen achtern auf der Dubas stand, die bis vor wenigen Stunden noch diesen wüsten Rabauken gehört hatte, da ging ihm einiges durch den Kopf – eben solche Fragen an das Gewissen, ob man hier nicht ein bißchen geschummelt hatte.

Aber wer schummelte nicht?

Diese russischen Rabauken hatten eh nicht gezeigt, daß ihnen die Milch der frommen Denkungsart ein willkommenes Getränk war. Die nicht! Die hielten es weder mit Allah noch mit dem Schöpfer des Himmels und der Erde.

So grübelte der Kapitän der Arwenacks achtern auf der ehemals russischen Dubas über gewisse Eigentumsveränderungen zugunsten des einen und zum Nachteil des anderen, aber im ganzen gesehen hatte er auch Sonne im Herzen. Da war im übrigen der feine Wind aus Nordosten, der die Dubas südwärts trieb, entlang der bulgarischen Küste. Ob dieser Kurs in das Mittelmeer führte?

Zwei von den Arwenacks hatten keine Sonne im Herzen, nämlich der Kutscher und Mac Pellew. Zwar hatten die sich auch über das größere Schiffchen gefreut, allerdings in der Erwartung, bei Übernahme auf eine gut bestückte Proviantlast zu stoßen – was auch einer der Gründe gewesen war, dieses Schiffchen hoppzunehmen.

Irrtum!

Mac und der Kutscher stellten nach gründlicher Besichtigung der Proviantlast fest, daß die Kerle zwar ein unheimlich scharfes Gesöff, einen klaren Branntwein, an Bord hatten – da waren noch vier Fässer voll –, doch dieser Rachenputzer ersetzte ihrer Meinung nach keineswegs das, was zum Füllen des Magens gehörte.

Also: in der Proviantlast herrschte eine ziemliche Ebbe. Was sich dort an miesen Resten in Säcken und Truhen befand, war auch nicht angetan, die beiden Kombüsenmänner jubeln zu lassen, ganz abgesehen davon, daß Kakerlaken-Geschwader nach Freibeutermanier Ernte hielten.

Nun hatten diese beiden, für die Verpflegung der Arwenacks verantwortlichen Männer bei ihrer Proviantbesichtigung allerdings die erwähnten vier Fässer geprüft, weil es ja hätte sein können, daß sie Essig oder schlichtes Wasser oder vielleicht Wein enthielten. Insofern taten sie ihre Pflicht.

Mac Pellew tat seine Pflicht mehr als der Kutscher, der angesichts von Branntwein immer etwas zimperlich wurde. Aber wie gesagt, sie überprüften die Inhalte der vier Fässer.

Dem ausgekochten Mac Pellew war bereits beim ersten Faß klar, daß sie auf etwas ganz Scharfes gestoßen waren – und daß die drei anderen Fässer Gleiches enthalten mußten. Denn die standen beieinander und glichen sich wie ein Ei dem anderen.

Der Kutscher wiederum war viel zu nervös, um Gleichheit festzustellen. Er sagte immer nur „Jaja“, wenn Mac darauf hinwies, man müsse auch noch das andere Faß anzapfen, um es zu prüfen. Während der Kutscher also Kisten, Truhen und Säcke auslotete, ließ Mac aus dem jeweiligen Faß klaren starken Branntwein in eine Muck gluckern, randvoll, versteht sich. Und wenn der Kutscher gebeugt über einer Kiste stand, kippte sich Mac den Inhalt der Muck hinter die Binde. Wenn sich der Kutscher zu ihm umdrehte, war Mac am Zapfen, um mit ihm „gemeinsam“ den Inhalt des neuen Fasses zu probieren. Der Kutscher kostete von dem Zeug – es handelte sich um hochprozentigen Wodka – ein Fingerhütchen voll. Den Rest gurgelte Mac weg.

Nach der Kostprobe vom vierten Faß urteilte der Kutscher wie beim ersten und bezeichnete den Branntwein als „fürchterliches Zeug“. Nach dem vierten Fingerhütchen blieb er weiterhin stocknüchtern, nur sein Durchblick war geschärfter geworden, aber der bezog sich auf die Proviantvorräte.

Er sagte: „Katastrophal!“

„Hä?“ fragte Mac. Er wußte tatsächlich nicht, was der Kutscher meinte. Außerdem stierte er auf seine Latschen und wunderte sich. Es mußten nach seiner Rechnung zwei Latschen sein. Aber er sah vier – zwei linke und zwei rechte.

Der Kutscher sagte unwirsch: „Mit unserem Proviant und dem Kram hier reichen wir allenfalls noch zwei Tage.“

Mac stellte die leere Muck auf das vierte Faß und betrachtete sie mißtrauisch. Sie verdoppelte sich ebenfalls.

„Hasard muß informiert werden“, sagte der Kutscher. „Melde ihm, daß wir noch knapp für zwei Tage Proviant haben. Wir müssen den nächsten Hafen anlaufen, um uns neu zu versorgen.“

Mac plierte den Kutscher an. Er tat es wie Sir John, die „Krachente“ Carberrys, nämlich ein Auge auf, das andere zu. Auf diese Weise sah er den Kutscher nur in einmaliger Ausführung. Sobald er auch das andere Auge öffnete, hatte der Kutscher einen Doppelgänger.

Der Kutscher runzelte die Stirn. „Hast du mich verstanden?“

„Nein.“

„Mann! Der Proviant reicht nur noch für zwei Tage!“ fauchte der Kutscher. „Das sollst du Hasard melden. Verstanden? Was kneifst du das linke Auge zu?“

„Die Kerle sollen nicht soviel fressen“, maulte Mac, öffnete das linke Auge, sah den Kutscher doppelt und kniff rasch das rechte Auge zu. „Warum immer ich? Geh du doch zu Hasard.“

Das Schott krachte auf. Carberry erschien.

„Na, Leute!“ röhrte er freundlich. „Alles klar hier?“

„Nichts ist klar“, murrte der Kutscher. „Möchte mal wissen, was die Russen gefuttert haben.“

„Wieso?“ fragte Carberry.

„Wieso, wieso!“ ereiferte sich der Kutscher und beschrieb mit dem rechten Arm einen weiten Kreis. „Hier herrscht Ebbe, keine Vorräte, nichts, alles leer bis auf ein paar vergammelte Reste.“

„Das ist nicht korrekt“, nuschelte Mac Pellew. „Vier Fässer sind voll.“

„Von dem Zeug wird man aber nicht satt“, sagte der Kutscher wütend.

„Satt nicht, aber keiner braucht zu verdursten.“ Mac hatte jetzt Schwierigkeiten mit dem Sprechen.

„Was ist denn in den vier Fässern?“ erkundigte sich Carberry interessiert.

„Irgend ’n Magenputzer“, sagte der Kutscher verächtlich.

Carberry horchte auf. „Magenputzer? Meinst du ’n Schnaps?“

„Ja“, erwiderte der Kutscher unwillig. „Dieses Zeug, das die Russen saufen.“

Mac Pellew wackelte bereits quer durch den Proviantraum zu einem der vier Fässer, um für den Profos eine Kostprobe in die Muck abzuzapfen. Er steuerte Kollisionskurs. Zwar sah er zwei Deckspfosten und meinte, zwischen ihnen hindurchkurven zu können. Tatsächlich handelte es sich aber um einen Pfosten. Mac sah ihn doppelt – wie alles, seit er vier Mucks voll mit Wodka heruntergegurgelt hatte.

In seinem Magen spürte er eine angenehme Hitze. Daß ihm das Hirn dösig wurde, bemerkte er nicht – bis auf die Doppelungen im Umkreis, die er sich nicht erklären konnte.

Er hatte den Kopf etwas vorgeschoben, um die Mitte zwischen den beiden Pfosten genau anzupeilen. Er meinte, gut hindurchzupassen.

So prallte er mit der Stirn vierkant gegen den Pfosten – Holz auf Holz, wie der Kutscher später mit einer gewissen Schadenfreude sagte.

Dem Pfosten war der Anprall egal. Der war aus Hartholz, wie sich das für einen tragenden Schiffspfosten gehört. Von so einem Bums blieb der völlig unberührt.

Mac hingegen empfand einen Huftritt, als habe ein Maultier ausgekeilt. Er stand mit wackligen Puddingknien da, und als die blitzenden Sterne davongestoben waren, umarmte er seufzend den Pfosten und rutschte an ihm in sich zusammen. Er versammelte sich sozusagen auf den Planken.

Die Muck kollerte dem Profos vor die Stiefel. Er hob sie auf und roch an ihr. Einen besonderen Geruch konnte er nicht feststellen – eine Eigenart des Wodkas. Er schüttelte verblüfft den Kopf, starrte auf den dahingesunkenen Mac hinunter und dann zum Kutscher.

„Was ist denn mit dem los?“ fragte er.

Dem Kutscher war längst ein Seifensieder aufgegangen: statt mit ihm sorgsam die Proviantlast zu überprüfen, hatte sich dieser verdammte Bastard heimlich hinter seinem Rücken die Hucke mit dem Schnaps vollgesoffen.

„Typischer Fall von total bezecht“, sagte er erbittert und klatschte die rechte Faust in die linke Handfläche. „Ich hätte es wissen müssen, verdammt! Während ich mich hier umgeschaut habe, hat er sich diesen Fusel in die Gurgel gegossen – muckweise, versteht sich! Dieser Pfeifenarsch!“ Der Kutscher knurrte wie Plymmie, die Bordhündin, wenn sie was witterte, das Gefahr bedeutete. Das schmale Kutscherlein war mächtig in Braß.

Und der Profos? Der feixte bis zu den Ohren. Der kannte seinen Mac Pellew. Wenn Mac an Schnaps rankam, dann gab er nicht eher Ruhe, bis der Pegel auf Niedrigwasser stand.

„Da gibt’s überhaupt nichts zu grinsen!“ fauchte der Kutscher. „Außerdem bin ich dafür, daß dieses Teufelszeug außenbords gekippt wird!“

Der Profos zuckte zusammen.

„Bist du verrückt?“ fuhr er den Kutscher an. „Das ist mutwillige Vernichtung wichtiger Nahrungsstoffe!“

Der Kutscher schnappte nach Luft. Fast verschlug’s ihm die Sprache. Dann legte er seinerseits los: „Vernichtung wichtiger Nahrungsstoffe? Du spinnst wohl? Dieser Sprit ist das reinste Rattengift! Die Wirkung siehst du ja bei diesem Blödmann!“ Er deutete zu Mac. „Dem hat diese Russenpisse die Augen verdreht! Geschielt hat er! Darum ist er gegen den Pfosten geknallt!“

Der Profos – selbst ein Meister im Erfinden nicht ganz stubenreiner Ausdrücke – zeigte sich plötzlich entrüstet, aber das war natürlich Heuchelei.

„Ts-ts!“ äußerte er. „Sagtest du eben ‚Russenpisse‘, Mister Kutscher? Ich muß doch sehr bitten und dich zur Ordnung rufen. Außerdem nanntest du Mac einen ‚Pfeifenarsch‘. Beide Ausdrücke sind unziemlich, äh, unflätig und gehören sich nicht …“

„Steig mir doch in die Tasche!“ unterbrach der erboste Kutscher die Predigt Carberrys.

„Wenn ich das tue“, höhnte der Profos, „dann brichst du zusammen, Kutscherlein. Deine Tasche ist für mich auch nicht groß genug, in die paßt allenfalls ’ne Maus, aber als eine solche bin ich wohl kaum zu bezeichnen. Sag mal, was verdrehst du dauernd die Augen? Fängst du auch an zu schielen?“ Der Profos drohte mit dem Finger. „Hast du dich ebenfalls an dem Schnaps gelabt, mein Guter? Na, wie finde ich denn das? Da verdrücken sich unsere beiden Kombüsenheringe in die Proviantlast und hängen ihre Schnorchel an die Zapfhähne von Schnapsfässern! Das muß man sich mal vorstellen! Von Solidarität keine Spur. Den Kameraden den Schnaps wegsaufen – das schmeckt mir vielleicht!“

„Sag doch gleich, daß du scharf auf den Fusel bist!“ fauchte der Kutscher.

„Ich?“ Der Profos dehnte das Wörtchen und spielte den Scheinheiligen. „Aber das ist wirklich eine gute Idee, Kutscherlein. Als Profos habe ich die verdammte Pflicht, für die ganze Mannschaft nachzuprüfen, ob der Schnaps gesundheitsgefährdend ist. Da hast du völlig recht, mit Rattengift ist nicht zu spaßen.“

Und schon marschierte der Profos mit der Muck zu einem Faß und zapfte ab – mit einem andächtigen Gesicht und einem versteckten Grinsen in den grauen Augen. Und natürlich drehte er den Zapfhahn erst ab, als die Muck voll war, wie der Kutscher ergrimmt feststellte.

„Geht’s nicht noch voller?“ sagte er aufgebracht.

„Leider nicht“, erwiderte der Profos unverfroren. „Und ich stimme dir zu, daß man zum Probieren eigentlich ein größeres Gefäß braucht, nicht so ’ne Nußschale wie diese Muck, in die kaum was reingeht.“

Und damit kippte er den Inhalt der Muck hinter die Binde, nachdem er vorher kurz geschnüffelt hatte.

„Uaaahh!“ sagte er und rieb sich mit der Linken den Bauch. Seine Augen glänzten. „Seidenweich! Und Medizin für den Magen. Ich spüre wohlige Wärme. Das ist kein Rattengift, Russen … äh, Russendingsda schon gar nicht.“ Und er peilte das nächste Faß an.

Der Kutscher kriegte sich nicht mehr ein. Am liebsten hätte er einen Affentanz aufgeführt und wäre bis unter die Oberdecksplanken gehüpft.

Na klar doch! Dieses Ungeheuer von Profos war um keinen Deut besser als sein Kumpan Mac Pellew, mit dem er schon Zechtouren unternommen hatte, die jeder Beschreibung spotteten. Der dünne, schlaksige Mac Pellew und der klotzige Edwin Carberry mit dem harten Rammkinn – das war vielleicht ein Gespann! Die hatten schon beim alten Francis Drake – Gott hab ihn selig! – die wüsteten Bolzen gedreht.

Das alles schoß dem Kutscher in diesem Augenblick durch den Kopf, während er gleichzeitig fieberhaft überlegte, wie er den verrückten Profos davon abhalten sollte, den drei anderen Fässern zu Leibe zu rücken. Denn darauf lief’s hinaus. Und der Kutscher zweifelte nicht, daß er es dann mit einer zweiten Schnapsleiche zu tun haben würde.

Vater unser – was für ein Zirkus!

Indessen kehrte Mac Pellew ins Dasein zurück, und das war ein Segen, denn der Profos mußte seine weitere Zapftour verschieben. Im Moment hatte der angeschlagene Mac Vorrang.

„Oh, oh, oh!“ jammerte Mac und betastete seine Stirn. Auf der war ihm ein Ding von Beule erblüht, das sich sehen lassen konnte. Eine Art Horn, das sich vorwölbte und einen Lilafarbton hatte.

„Tut’s weh, Mackilein?“ erkundigte sich der Profos mitfühlenden Herzens.

„Dämliche Frage“, knurrte der Kutscher.

„Ich sterbe“, ließ sich Mac vernehmen. „Es ist aus. Das Ende naht …“

„Quatsch!“ fuhr der Kutscher dazwischen. „An einer lausigen Beule ist noch keiner gestorben! Stell dich nicht so an, du Saufbold!“

Mac zog den Kopf ein. „Nicht so laut! Das hält mein Kopf nicht aus – oh, oh, oh! Mein armer Kopf. Wehe-wehe!“

„Vielleicht ist da was gebrochen“, sagte der Profos besorgt.

„Bei dem Holzkopf bricht nichts“, erklärte der Kutscher ungerührt. „Der jammert nur, damit er sich vom Kombüsendienst drücken kann.“

„Kutscher!“ sagte der Profos grollend. „Mir gefällt nicht, wie du über einen schwerverletzten Mann unserer Crew sprichst. Das geht mir zu weit.“

„Schwerverletzt?“ schnappte der Kutscher. „Der hat Selbstverstümmelung betrieben! Erst hat er sich heimlich mit Schnaps vollgepumpt, und dann ist er mit seinem vernebelten Poller gegen den Pfosten gerannt! Das ist die gerechte Strafe fürs Saufen. Hätte er die Pfoten vom Zapfhahn gelassen, wäre das nicht passiert. Aber nein, ihr gebt ja beide keine Ruhe, sobald ihr den billigsten Fusel wittert. Genau das ist es! Aber hinterher jammern und stöhnen, das könnt ihr!“

„Es ist deine Pflicht, dich um einen Verletzten zu kümmern!“ dröhnte der Profos.

„Ich denke nicht daran!“ brüllte der Kutscher zurück, jetzt hochrot im Gesicht vor Wut – und das passierte selten bei ihm, denn er war im Grunde ein zurückhaltender Mensch, der Selbstdisziplin übte und kaum einmal die Fassung verlor.

Was ihn so erboste, das war der jammernde Mac, der seine Beule selbst verschuldet hatte. Und zum anderen regte ihn der Profos auf, der genauso wie Mac scharf auf den Schnaps war und den Trunkenbold sogar noch in Schutz nahm.

Nun konnte der Profos den schmalen Kutscher am steifen Arm verhungern lassen, will sagen, er war ihm an körperlicher Kraft haushoch überlegen. Aber Carberry war über den ungewohnten Ausbruch des Kutschers derart verblüfft, daß er sogar zurückwich und beschwichtigend beide Hände hob.

„Mann, Mann“, sagte er hastig, „nur keine Panik. Kein Grund, sich aufzuregen. Soll ich dir einen Schnaps abzapfen?“

Das war ja wohl das Allerletzte. Fast wäre der Kutscher schon wieder explodiert, doch da meldete sich Mac erneut. Wenn er vorhin einen getrübten Blick gehabt hatte – sein Gehör hatte nicht gelitten. Und was wollte er?

„Ein Schnaps würde mir guttun!“ erklärte er unverfroren.

Der Kutscher stieß einen scharfen Zischlaut aus und warf dem Profos einen funkelnden Blick zu.

Aber der steuerte bereits richtigen Kurs. Er schüttelte den Kopf und sagte: „Für Kopfverletzte ist Schnaps nicht gut, Mac. Dann könntest du wirklich sterben.“

„Genau das“, sagte der Kutscher. „Apoplexia cerebri.“

„Was ist das denn nun wieder?“ fragte der Profos mißtrauisch.

„Gehirnschlag“, erwiderte der Kutscher lakonisch.

„Aha! Und wie äußert sich der?“

„Ohrensaus’ und aus“, sagte der Kutscher kurz und bündig, überlegte einen Augenblick und fügte hinzu: „Ach ja, Apoplexia cerebri kann auch nur zu Lähmungen führen, zu Lähmungen einzelner Glieder und so weiter.“

„Glieder?“ fragte der Profos etwas genervt.

„Ja, Glieder, Arme oder Beine, links- oder rechtsseitig.“

„Ach so“, murmelte der Profos und schien erleichtert zu sein.

Der Kutscher runzelte die Stirn. „Was dachtest du denn?“

„Ach, nichts – nur weil du ‚Glieder‘ sagtest – äh …“ Der Profos verstummte.

„Jawohl, Körperglieder, Gliedmaßen“, erläuterte der Kutscher, „auch das Gesicht. Bei Doc Freemont hatten wir ein paar solcher Fälle. An einen erinnere ich mich sehr gut – ein stadtbekannter notorischer Säufer. Der hatte linksseitige Gesichtslähmung, rechts bewegte sich alles, links war alles steif, das Augenlid hing schlaf nach unten, starrer Blick, rechts bewegten sich die Lippen beim Sprechen, links blieben sie unbewegt. So sah das aus!“ Und der Kutscher zeigte mit beachtlichem schauspielerischem Talent, wie der stadtbekannte notorische Säufer ausgesehen hatte. Nämlich reichlich blöd.

Mac zog sich hastig an dem Pfosten hoch und verkündete, daß er sich eigentlich ganz gesund fühle.

„Nur ein bißchen Kopfbrummen“, sagte er.

„Das kommt vom Schnaps“, sagte der Kutscher.

„Aber auch von der Beule“, meinte der Profos. „Vielleicht sollte er einen feuchten Umschlag um den Kopf legen.“

„Das kann er von mir aus tun“, sagte der Kutscher gleichmütig, „aber für den Borddienst ist er voll verwendungsfähig.“

„Schon gut, schon gut“, murmelte der Profos, „aber ein bißchen Rücksicht auf seine Kopfverletzung sollte man doch nehmen.“

„So?“ sagte der Kutscher spitz. „Ich bin da anderer Ansicht. Aber wie’s beliebt! Wenn sich hier an Bord Trunkenbolde die Köpfe einrennen und dann auch noch gepäppelt und gehätschelt werden, dann können wir uns bald einsargen lassen. Dürfte ich die Gentlemen nunmehr sehr höflich bitten, den Proviantraum zu verlassen. Es gibt hier nichts mehr zu untersuchen. Außerdem muß ich dem Kapitän Bericht erstatten, daß die Proviantlage mehr als trübe ist.“

Der Profos fügte sich – mit einem bedauernden Blick zu den vier Fässern. In seinem Magen spürte er immer noch eine angenehme Wärme. Aufgeschoben war nicht aufgehoben, was, wie?

Sie verließen den Proviantraum, den der Kutscher demonstrativ hinter sich abschloß und dann den Schlüssel einsteckte.

Mac sah noch grämlicher aus als sonst, auch käsig, darum wirkte die lilafarbene Beule so besonders attraktiv.

2.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen – wie wahr!

Als die drei Mannen an Oberdeck erschienen, war es Smoky, der die Beule auf der Stirn Mac Pellews zuerst entdeckte und sofort zu kichern begann.

„Hö-hö-hö!“ prustete er los. „Wolltest du mit der Rübe durch die Bordwand, mein alter Mac?“

Sein alter Mac war sauer, was ihm nicht viel nutzte. Ein Mauseloch gab’s auf der Dubas nicht, wo er sich hätte verstecken können. Die ganze Bande war sofort alarmiert, und da ging das Gewiehere los. Nicht daß die Arwenacks hämisch oder schadenfroh waren, nein, damit täte man ihnen unrecht. Aber der griesgrämige Mac Pellew wirkte häufig genug – eben wegen seiner Griesgrämigkeit – als Clown. Und wenn er jetzt mit einer derart leuchtenden Beule auftrat, dann war die Reaktion nur zu verständlich.

Auf der alten „Isabella“ hätte Mac vielleicht in der Kombüse unterschlüpfen können, ohne daß allzu viele Mannen von ihm etwas bemerkt hätten. Auf der russischen Dubas war das nicht der Fall. Jeder sah ihn, zumal sich alle an Deck befanden, und das Gelächter brandete über den Zweimaster mit den Lateinersegeln, der mit Steuerbordbug, Wind aus Osten, in Sichtweite der Küste südwärts segelte.

Als das Gelächter verebbte, sagte Philip Hasard Killigrew: „Na, Mac? Irgendwo gegengestoßen?“

„Aye, Sir.“ Mac starrte auf seine Latschen. Nein, er sah sie nicht mehr doppelt. Sie waren so, wie sich das gehörte, einer links, einer rechts. Und er wiederholte: „Aye, Sir, alles klar soweit.“

„Hm-hm. Darf man sich erkundigen, wie das passiert ist?“

„Bin wo gegengerannt.“

„Richtig, wenn man gegen etwas stößt, ist man gegengerannt, das ist durchaus logisch. Ich fragte nur, wie das passiert ist. Na?“

„Da war ’n Pfosten im Weg, Sir“, sagte Mac. „Den muß ich übersehen haben.“

Der Kutscher räusperte sich gemessen.

„Ja, Kutscher?“ fragte Hasard.

„Das war im Proviantraum, Sir“, sagte der Kutscher mit unbewegter Miene. „Mac und ich überprüften die Vorräte. Aber von solchen kann keine Rede sein.“

„Du meinst, wir seien knapp an Proviant?“

„Das meinte ich, Sir. Unsere Vorräte reichen noch knapp zwei Tage.“

Hasard war nun doch verwundert.

„Soll das heißen“, fragte er, „daß die Russen nichts zu futtern an Bord hatten?“

Bevor der Kutscher antworten konnte, platzte der Profos heraus: „Nur flüssige Nahrung ist an Bord, Sir, nämlich vier Fässer Wodka.“

„Fusel“, korrigierte der Kutscher kühl.

„Ah!“ sagte Hasard. Sein eisblauer Blick wanderte zu Mac Pellew und blieb auf dessen lilafarbener Beule haften. Ihm ging ein Lichtlein auf, warum „’n Pfosten im Weg“ gewesen war.

Wie hatte der Kutscher gesagt? „Mac und ich überprüften die Vorräte!“

Hasard hatte das Bild genau vor Augen: ein halbdunkler Laderaum, vier Wodka-Fässer, und während der Kutscher nach den Vorräten schaut, „besichtigt“ Mac die Fässer. Und er tut das gründlich.

„Hat’s geschmeckt, Mac?“ fragte Hasard freundlich.

„Sir?“ Mac stellte sich dumm.

„Den Wodka meine ich“, sagte Hasard.

„Den Wodka? Ach so!“ Mac plierte hilfesuchend zu Carberry hinüber.

Der fuhr auch gleich ein Ablenkungsmanöver.

„Ein feiner Wodka, Sir!“ tönte er. „Soll ich dir eine Kostprobe holen?“

„Hast du auch probiert, Ed?“ fragte Hasard.

„Natürlich, Sir“, sagte der Profos treuherzig. „Muß doch prüfen, ob der Inhalt der Fässer einwandfrei ist. Hätte ja sein können, daß diese russischen Lümmel Rattengift reingekippt haben. Oder ’n Schlafmittel oder so was. Haben wir ja neulich erlebt, was, wie? Edwin Carberry, hab’ ich mir gesagt, da mußt du verdammt lausig aufpassen, daß deine Leute nicht vergiftet werden oder dieses Dingsda erleiden – äh – Alexia beri-beri …“

„Apoplexia cerebri“, knirschte der Kutscher.

„Richtig, genau das“, sagte der Profos. „Da ist nämlich nicht mit zu spaßen, Sir. Ohrensaus’ und aus, verstehst du? Und dein Glied ist gelähmt – äh – Arme oder Beine oder dein linkes Ohrläppchen, meine ich. Einfach furchtbar, was da alles passieren kann.“

„In der Tat“, sagte Hasard und schien sehr beeindruckt zu sein. „Aber ich sehe – bis auf Macs Beule –, daß ihr weder vergiftet noch gelähmt seid. Also ist der Wodka genießbar.“

„Du sagst es, Sir.“ Der Profos nickte.

„Da bin ich anderer Ansicht“, sagte der Kutscher erbittert.

„Du weißt ja immer alles besser!“ schnappte der Profos.

„Allerdings“, entgegnete der Kutscher spitz, „mein Gehirn ist ja auch nicht von billigem Fusel vernebelt, nicht wahr?“ Er wechselte den Blick zu Hasard. „Wie gesagt, Sir, wir haben vier Fässer mit miesem Sprit an Bord, den man wegschütten sollte …“

„Niemals!“ brüllte der Profos. „Nur über meine Leiche!“

„Ed!“ mahnte Hasard. „Nicht so laut. Und wegen der vier Wodka-Fässer zur Leiche zu werden, lohnt sich nicht. Fassen wir zusammen: Der Wodka hat zumindest Macs Sicht getrübt, sonst wäre er nicht gegen den Pfosten gerannt. Als Proviant ist er wohl nicht zu bezeichnen. Und der Kutscher meldet, die Vorräte reichten noch knapp zwei Tage. Das heißt, wir müssen schleunigst zusehen, irgendwo Proviant zu übernehmen. Möchte mal wissen, wie die Russen das gehalten haben. Die müssen doch vor dem gleichen Problem gestanden haben. In Varna hätten sie sich versorgen können.“

„Nicht unbedingt“, sagte jetzt Ben Brighton und lächelte hintergründig. „Ich schätze, die haben von der Hand in den Mund gelebt und sich dort bedient, wo sie was klauen konnten. Ihre Vorratswirtschaft beschränkte sich darauf, Wodka an Bord zu haben. Ziemlich bezeichnend für diese Rabauken, finde ich.“

„Das wäre eine Erklärung“, sagte Hasard. „Na gut, wir bleiben in Sichtweite der Küste. Sobald ein Hafen gesichtet wird, laufen wir ihn an und decken uns mit Proviant ein – gegen klingende Münze, versteht sich. Bis dahin schnallen wir den Gürtel enger. Alles klar, Freunde?“

Der Profos räusperte sich.

„Ja, Ed?“

„Schlage zum Frühstück einen Schluck Wodka vor, Sir“, sagte der Profos.

Der Kutscher stieß einen wütenden Zischlaut aus. Dieser Profos war unmöglich. Der war noch schlimmer als Mac Pellew.

„Auf nüchternen Magen, wie?“ fragte Hasard ein bißchen ironisch.

„Wer einen schwachen Magen hat, scheidet natürlich aus“, erklärte der Profos.

Jetzt war es der Kutscher, der Todesverachtung zeigte.

„Nur über meine Leiche!“ verkündete er wie zuvor Carberry. „Außerdem habe ich den Schlüssel zur Proviantlast. Und den rücke ich nicht heraus – basta!“

„Daß du ein alter Knicker bist, weiß hier jeder“, knurrte der Profos.

„Und wer der übelste Trunkenbold ist, dürfte auch bekannt sein!“ fauchte der Kutscher.

„Herrschaften, jetzt ist Schluß!“ sagte Hasard scharf. „Kutscher, gib mir den Schlüssel.“

„Glaubst du etwa, ich laß mir den Schlüssel von diesem Saufsack klauen, Sir?“ fragte der Kutscher empört.

„Ich glaube überhaupt nichts. Her mit dem Schlüssel!“ Hasard streckte die Rechte aus.

Widerwillig übergab ihm der Kutscher den Schlüssel. Er fühlte sich gekränkt, daß ihm der Kapitän nicht vertraute.

Der Profos grinste bis zu den Ohren, aber das verging ihm. Denn Hasard sagte: „Ich bitte um Verständnis, Kutscher. Ich will Mister Carberry gar nicht erst in Versuchung führen. Bei mir ist der Schlüssel gut aufgehoben und absolut sicher vor trickreichen Langfingern. Nicht wahr, Ed?“ Und er grinste den Profos freundlich an.

Der sah ziemlich vernagelt aus und brummte: „Versteh gar nicht, für was man hier alles gehalten wird.“ Und in einem Anflug von Selbstverleugnung fügte er hinzu: „Von mir aus könnt ihr das Zeug vergammeln lassen oder euch in die Haare schmieren! Mich kratzt das nicht.“

„Eben sagtest du was anderes, als der Kutscher vorschlug, den Wodka wegzuschütten“, erinnerte Hasard.

„Darüber müßte auch abgestimmt werden“, erklärte der Profos unbeeindruckt. „Und da würde ich dagegen stimmen, weil man nicht etwas wegschüttet, das dem Wohle der Allgemeinheit dient.“

„Nicht dem Wohle, sondern der Trunkenheit und dem Laster“, sagte der Kutscher.

„Jetzt fängt der auch noch an zu predigen!“ maulte der Profos. „Ist hier Bibelstunde, oder was?“

„Wäre für deine Läuterung gar nicht schlecht“, erwiderte der Kutscher. „Sich in die Bibel zu vertiefen, hat schon so manchem Sünder geholfen, wieder den rechten Weg zu finden.“

„Dann lies sie fleißig und laß dir helfen“, entgegnete der Profos. „Ich empfehle dir Römer zwölf, Vers zwanzig, der da lautet: So nun dein Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn!“ Der Profos räusperte sich. „Vor allem letzteres lege ich dir warm ans Herz, und ich wiederhole: Dürstet ihn, so tränke ihn!“

Der Kutscher war sprachlos, und das wollte etwas heißen.

Der griesgrämige, verbeulte Mac Pellew lebte auf: „Wahr gesprochen, mein lieber Edwin! Uns dürstete, aber er tränkte uns nicht. Statt dessen führte er lästerliche Reden und drohte wegzuschütten, wonach uns dürstete.“

Der Kutscher hatte sich von seiner Verblüffung erholt. Jetzt wetterte er los: „Wonach euch dürstet, ist Schnaps, ihr schlitzohrigen Halunken! Wenn es um den geht, stellt ihr sogar die Bibel auf den Kopf. Schämen solltet ihr euch!“

„Das empfehle ich auch“, erklärte Hasard. „Im übrigen gebe ich dem Kutscher recht. Außerdem: wenn euch dürstet, könnt ihr Wasser trinken – von nichts anderem ist in dem zitierten Römer-Vers die Rede, und das wißt ihr beide sehr genau.“

„Aye, Sir“, murmelte der Profos.

„Aye, Sir“, murmelte auch Mac Pellew, und er sah dabei so grämlich aus, daß bei seinem Anblick sogar ein Bruder Lustig zum Trauerkloß geworden wäre.

Er drehte sich um und schlurfte in Richtung der kleinen Kombüse.

Hinter ihm sagte Dan O’Flynn tiefsinnig: „Unser Mackilein ist heute morgen wieder in Höchstform – eine richtige Frohnatur, voll schäumender Lebenslust und wie immer zum Scherzen aufgelegt. Man könnte direkt heulen!“

Die Mannen grinsten, und sie grinsten noch mehr, als Mac sich noch einmal umdrehte und seiner Verachtung Ausdruck gab, indem er Dan O’Flynn einen „pinseligen Pickelhering“ nannte.

„Besser das“, rief Dan O’Flynn erheitert, „als eine lila-gehörnte Miesmuschel!“

„Phh!“ äußerte Mac, und hinter ihm krachte das Kombüsenschott zu, daß die beiden Masten wackelten.

„Jetzt schmollt er drei Tage“, sagte Dan O’Flynn.

So begann also der Morgen dieses sonnenreichen Tages, und er fand eine halbe Stunde später seine Krönung, als es den beiden Jungmannen Hasard und Philip gelang, mit ihren Blinkern einen Mordsburschen von Stör zu angeln und an Bord zu ziehen.

Es war ein sogenannter Hausen aus der Stör-Familie, und er hatte eine Länge von fast vier Yards, was die Arwenacks für enorm hielten, obwohl der Kutscher es mal wieder besser wußte und kundtat, daß solche „Fischlein“ die Kleinigkeit von acht bis neun Yards Länge erreichten.

Es grenzte an ein Wunder, daß die Angelschnur nicht gerissen war. Allerdings hatte der Stör selbst dabei geholfen, sich an Bord der Dubas zu befördern. Er hatte sich aus dem Wasser geschnellt, und diesen Moment hatten die Zwillinge genutzt, ihn mit einem ruckartigen Zug an der Angelleine binnenbords zu holen.

Immerhin reichte die Beute für mehrere Mahlzeiten, und die Arwenacks brauchten ihre Gürtel noch nicht enger zu schnallen. Zum Frühstück gab’s Kaviar – den Beluga-Kaviar, den der Kutscher mit Zitrone schmackhaft zubereitete und mit gerösteten Brotscheiben darbot.

„Igitt – Fischeier, so ein Schweinkram!“ lamentierte der Profos und geriet schon wieder mit dem Kutscher aneinander.

„Danach lecken sich Kaiser und Könige die Finger, du Blödmann!“ entgegnete der Kutscher. „Denn Kaviar vom Hausen ist das Köstlichste vom Köstlichen, und man sagt ihm nach, daß er die Manneskraft fordere und die Geisteskraft steigere. Aber keiner zwingt dich, davon zu essen. Von mir aus friß deine Schuhsohlen und sieh selbst zu, wie du satt wirst. Mir ist das doch piepe, du verdammter Mecker-Philipp!“

Der Kutscher rannte offene Türen ein. Der Profos hörte schon gar nicht mehr hin – die „Manneskraft“ war das Zauberwort gewesen, und er hatte zugelangt. Von dem Moment an schaufelte er buchstäblich Kaviar in sich hinein und stöhnte vor Behagen. Und als Hasard für jeden Mann ein paar Daumenbreiten Wodka freigab, kannte des Profosen Wonne keine Grenzen.

„Was geht’s uns wieder gut, Leute!“ tönte er lauthals. „Ich hab’s ja gleich gesagt: das Beste am Stör ist der Kaviar! Dagegen sind lausige Heringseier die reinsten Pickel und schmecken rauf wie runter!“ Und strahlend schob der Profos eine weitere Ladung nach, über daumendick auf die Röstscheibe gepackt, die er krachend zermalmte.

Der Kutscher konnte nur noch den Kopf schütteln.

Am Nachmittag dieses Tages umsegelte die Dubas das Kap Emine und stieß mit Südwest-Kurs in den Golf von Burgas vor. Jetzt lag sie platt vorm Wind, das vordere Lateinersegel nach Backbord und das achtere Lateinersegel nach Steuerbord ausgebaumt wie die Schwingen eines Riesenvogels. Sie lief rauschende Fahrt.

Hasard war gespannt, wohin der Kurs führte. Eine größere Ortschaft an der Küste auf Steuerbord hatten sie noch nicht passiert. Bisher hatte die Küste fast genau einen Nord-Süd-Verlauf gehabt. An dem Kap war sie scharf nach Westen abgebogen, dann nach Südwesten. Es war klar geworden, daß sie in einen Golf segelten. In der Regel – das war eine Erfahrung der Arwenacks – bot sich in der Tiefe eines Golfs immer ein günstiger Platz an, wo man einen Hafen angelegt und eine Siedlung gegründet hatte.

Es konnte auch sein, daß dort ein Fluß mündete, der im Lauf von Jahrtausenden die Küste in einen Trichter verwandelt hatte. Vielleicht befand sich ganz hinten im Westen des Golfes sogar jene Verbindung zum Mittelmeer, die sie suchten. Das waren natürlich Spekulationen.

Hasard spähte zum Vorschiff der Dubas. Dort stand am Bug Old Donegal, beschattete mit der Rechten die Augen gegen die im Südwesten stehende Sonne und starrte voraus. Dann schüttelte er den Kopf, zog sein Spektiv aus dem Gürtel und setzte es ans rechte Auge.

„Jetzt hat er was entdeckt“, sagte Dan O’Flynn neben Hasard. Er hatte seinen Alten ebenfalls beobachtet.

Hasard seufzte. „Hoffentlich keinen Wassermann.“

Es war kein Wassermann.

Old Donegal drehte sich halb um und rief nach achtern: „Voraus Fischerboote!“

„Na bitte“, sagte Dan, „kein Wassermännchen oder was Hübscheres mit Fischschwanz und rundem Busen.“

Stenmark, der die Ruderwache ging, fragte: „Kurs beibehalten, Sir?“

Die Frage war berechtigt, denn Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Es konnten auch keine Fischerboote sein oder Boote, die sich nur als solche getarnt hatten und dann als was anderes entpuppten, zum Beispiel als die Fahrzeuge von Küstenwölfen.

„Auf Kurs bleiben, Sten“, sagte Hasard. „Wenn es Fischer sind, dann erfahren wir vielleicht etwas über diesen Golf und den weiteren Verlauf der Küste.“

„Aye, Sir, auf Kurs bleiben“, sagte Stenmark.

„Und wenn es keine Fischer sind?“ fragte Dan O’Flynn.

„Dann haben wir Pech gehabt“, erwiderte Hasard. „Was soll’s! Wir müssen eben jede Gelegenheit wahrnehmen, um etwas über dieses Meer in Erfahrung zu bringen.“

Dan O’Flynn nickte und brummelte: „Wird auch lausig Zeit.“

„Nervös?“

„Das nicht, eher kribbelig. Diese Küstenschleichfahrt geht mir allmählich auf den Geist.“

„Ist aber die einzige Möglichkeit, den Durchschlupf ins Mittelmeer zu finden“, sagte Hasard.

„Und wenn’s keinen gibt?“

„Dann haben wir noch mal Pech gehabt“, entgegnete Hasard lakonisch. „Aber wo Fischerboote sind, da muß es auch eine Ansiedlung geben. Da können wir zumindest unseren Proviant ergänzen und weiterfragen.“

„Hoffentlich.“ Dan O’Flynn schien skeptisch zu sein, was sonst nicht seine Art war.

Immerhin wurden die gesichteten Boote jetzt deutlicher. Es waren Fischerboote, sie fischten mit Schleppnetzen, das war klar zu erkennen.

Soweit, so gut. Die Dubas hielt auf sie zu. Und dann wurden sie gesichtet. Ein Mann in einem der Boote brüllte etwas, gestikulierte und deutete erregt zu dem Zweimaster mit den ausgebaumten Segeln.

Wieso erregt?

Auch die anderen Köpfe fuhren herum und starrten zu dem Segler. Was dann folgte, konnte man nur mit hektischer Betriebsamkeit bezeichnen. Auf zwei Booten holten sie wie die Irren die Netze ein, auf einem wurden die Schleppleinen einfach gekappt, drei andere Boote drehten nach Süden ab – sie waren unter Segeln und wurden jetzt zusätzlich gepullt.

„Sieht nicht so aus, als sei man über uns entzückt“, sagte Dan O’Flynn.

„Hm.“ Das war alles, was Hasard äußerte.

„Vielleicht sollten wir zu erkennen geben, daß wir nichts Übles von ihnen wollen“, sagte Dan O’Flynn.

Hasard grinste. „Und wie willst du ihnen das mitteilen? Vielleicht eine Bibel hochhalten, oder was?“

„Man könnte freundlich winken.“

„Dann wink mal freundlich. Vielleicht solltest du auch ‚Ju-hu‘ rufen“, empfahl Hasard. Er grinste immer noch, woraus hervorging, was er von dem freundlichen Winken hielt, nämlich gar nichts.

Aber Dan trat ans Backbord-Schanzkleid und winkte. Er winkte mit beiden Armen und ließ die Hände flattern. Eine entfernte Ähnlichkeit mit Sir John – wenn der mit den Flügeln schlug – war nicht zu verkennen. Die Mannen grinsten.

Die Antwort erfolgte prompt, und sie war auch wenig freundlich. Man hielt wohl nichts von einer Anbiederung.

In einem der drei Boote, wo man die Netze einholte, bückte sich ein Mann und förderte einen Schießprügel zutage, ein ziemliches Ding von Schießprügel, eine Donnerbüchse, die der Kerl auf eine Gabel auflegte.

„Der wird doch wohl nicht“, sagte Carberry erzürnt.

Und da krachte auch schon der Schuß. Vielleicht hatte der Kerl auf Dan gezielt, der immer noch winkte. Aber die Kugel zischte über den Schädel von Carberry und hätte ihm einen feinen Scheitel gezogen, wenn er nicht etwas in die Knie gegangen wäre.

„Du Affenarsch!“ röhrte der Profos zornerfüllt. „Ich habe doch gar nicht gewinkt!“ Das war nun ziemlich unlogisch, aber vielleicht hatte der „Affenarsch“ Dans Winken als Drohgebärde aufgefaßt.

Immerhin war die Gabel beim Schuß einem anderen auf die Füße geflogen, und der Schütze selbst betastete seine Wange, denn da hatte er vom Kolben eine gewischt gekriegt. Das hielt ihn nicht davon ab, die andere Faust zu schwingen und zu der Dubas etwas hinüberzubrüllen, das nicht so klang, als sei es eine herzliche Begrüßung.

Philip junior übersetzte sofort. „Scheint ’n Türke zu sein – der Sprache nach. Er verflucht uns in den finstersten Schlund der Hölle und wünscht uns die Pest an den Hals. Außerdem nennt er uns stinkende Ratten, schmutziges Gesindel und Abschaum der Menschheit.“

Wenn es nach Carberry gegangen wäre, dann hätte es jetzt eine handfeste Keilerei gegeben – längsseits gehen und drauf!

Aber Hasard ließ das achtere Lateinersegel nach Backbord übergehen und etwas anluven, um sich von den Booten deutlich abzusetzen. Weil von der Dubas keine Reaktion erfolgte, wurden die Fischer offenbar mutiger. Jedenfalls schimpften sie hinter den Arwenacks her, drohten mit den Fäusten, und der schießwütige Kerl ballerte noch einmal drauflos, ohne jedoch Schaden anzurichten.

Die Arwenacks waren ziemlich geladen. Schließlich hatten sie keinerlei feindliche Absichten gezeigt oder irgendwie gedroht – im Gegensatz zu den Fischern. Es schmeckte ihnen gar nicht, gewissermaßen vor einem einzigen Schießprügel ausgerissen zu sein. Und sich als stinkende Ratten und so weiter bezeichnen zu lassen, paßte ihnen noch weniger.

Am meisten plusterte sich der Profos auf. Er verspürte wohl immer noch den sengenden Lufthauch der Kugel auf seinem Kopf.

„So was muß sich unsereins von verlausten Heringsbändigern bieten lassen!“ wetterte er. „Da soll doch gleich der Gehörnte dreinfahren! Die gehörten geteert, gefedert und gekielholt, diese fischtranigen Lümmel!“

„Laß es gut sein, Ed!“ rief Hasard. „Wir legen uns doch nicht mit harmlosen Fischern an!“

„Harmlos, Sir?“ böllerte der Profos. „Dieser türkische Wasserfloh hätte mich beinahe erschossen – einfach so! Dabei bin ich völlig friedlich gewesen, das können alle bezeugen.“

„Weiß ich, Ed. Aber wenn’s dich beruhigt: Dan ist noch wütender. Schließlich hat er den Fischern freundlich zugewinkt.“

„Aber auf mich ist geschossen worden!“

„Das ist uns allen bekannt, aber getroffen hat er nicht“, sagte Hasard geduldig.

„Hätte er aber, wenn ich mich nicht geduckt hätte. Dann läge ich jetzt hier als Leiche mit ’nem Kopfschuß“, ereiferte sich der Profos. „Mausetot für immer, und ihr hättet keinen Profos mehr. Der alte Will hätte mich in Segeltuch einnähen müssen, und ihr hättet mich hier versenkt. Und keiner hätte sich mehr um mein armes hinterbliebenes Sir Jöhnchen gekümmert …“

Hasard platzte der Kragen. Der Profos schien sich so richtig ausjammern zu wollen.

„Red’ keinen Quatsch, Ed!“ fuhr er ihn an. „Du lebst, und wie ich dich kenne, wirst du wahrscheinlich hundert Jahre alt, es sei denn, du verschluckst dich am Schnaps!“

„Ich könnte jetzt einen vertragen“, erklärte der Profos prompt und ohne rot zu werden.

Hasard wurde einer Antwort enthoben.

Old O’Flynn meldete sich. Er stand immer noch am Bug, hatte den Kieker am Auge und rief: „Backbord voraus ein Hafen und Häuser in Sicht! Muß sich um einen größeren Ort handeln!“

„Hoffentlich sind die freundlicher“, sagte Dan O’Flynn.

„Du kannst ja wieder winken“, meinte Hasard.

3.

Burgas – wie die Seewölfe später erfuhren – lag an einer verträumten Bucht zwischen goldgelbem Sandstrand und jäh abstürzenden Felsriffen. Hinter dem Ort erhoben sich ausgedehnte Weinberge, unterbrochen von üppig-grünen Küstenwäldern. Der Hafen war von Kais gesäumt, von denen aus kräftige massive Holzstege ins Hafenbecken ragten. An ihnen waren einige Einmaster sowie Fischerboote wie jene, auf die sie draußen gestoßen waren, vertäut. Am Strand waren Fischernetze zum Trocknen oder Flicken ausgespannt.

Hasard ließ noch vor dem Hafen die Segel einnehmen und ging mit auslaufender Fahrt an einem freien Quersteg längsseits. Da niemand bereit stand, um die Leinen wahrzunehmen, sprangen die Zwillinge auf den Steg und vertäuten die Dubas.

Erst jetzt wurde den Arwenacks bewußt, daß sie offenbar einen Geisterhafen angelaufen hatten. Jedenfalls war kein Mensch zu sehen. Über dem Hafen kreischten Silbermöwen, hinten bei den weißgekalkten Häusern mit den niedrigen Dächern stolzierten ein paar Hühner herum. Irgendwo meckerte eine Ziege.

Plymmie, die Wolfshündin, sprang an Land, schnüffelte auf dem Steg herum, schnürte zum Kai und setzte dort ihre Marke an einen Steinpoller. Dann trollte sie zurück und wedelte mit dem Schwanz.

„Nicht viel los hier“, murmelte der Profos.

Nicht viel los? Das war mächtig übertrieben. Es war überhaupt nichts los.

Nils Larsen, der blonde Däne, packte noch drauf und sagte grinsend: „Wo kommen bloß die vielen Leute her? Ein Massenandrang ist das, so was hast du noch nicht erlebt!“

Paddy Rogers, der Schnelldenker der Crew, hatte wieder Schwierigkeiten, die Tatsachen unter einen Hut zu bringen.

„Massenandrang?“ fragte er verwundert. „Aber ich seh niemanden, Nils.“

„Du mußt genau hinschauen, Paddy“, sagte Nils, „dann siehst du, wie die Leute drängeln.“

Paddy reckte den Hals, was aber auch nichts brachte. Das Bild blieb gleich.

„Laß dich doch nicht verulken, Paddy“, sagte Jack Finnegan und warf Nils Larsen einen scharfen Blick zu. „Hier ist der Arsch der Welt. Jedenfalls sind hier keine Leute zu sehen.“

Das stimmte nicht, wie sich Minuten später herausstellte. Aus einem größeren Gebäude am Hafen trat eine Gruppe von Männern, alle uniformiert gekleidet und mit Musketen über der Schulter. Sie geleiteten einen etwas dicklichen Menschen zum Kai und dann auf den Steg, an dem die Dubas vertäut war. Ihr Tritt dröhnte auf den Holzbohlen.

Der dickliche Mensch war sehr sorgfältig und gut gekleidet und hatte ein freundliches Vollmondgesicht, das ein schwarzer Sichelbart zierte. Da er von den Uniformierten geleitet wurde, mußte er eine Respektsperson sein – was ja auch seine Kleidung andeutete.

Eine Waffe trug er nicht. Um seinen dicken Bauch war eine Schärpe geschlungen. Seinen Kopf bedeckte ein roter Fez mit goldener Quaste.

Hasard beschloß, den Dicken auf dem Steg zu empfangen, zusammen mit seinen beiden Söhnen, die er zum Dolmetschen brauchte.

Als die Prozession vor ihm hielt, lächelte er den Dicken freundlich an, verneigte sich leicht und ließ sich von Jung Hasard als Philip Hasard Killigrew vorstellen.

Der Dicke schaute erstaunt, runzelte die Stirn, betrachtete die Zwillinge, dann den großen, breitschultrigen Mann, zu dem er hochblicken mußte, und fragte: „Sind Sie Russe?“

Hasard verneinte. „Engländer. Wir sind aus England.“

„Inghilterra“, wiederholte der Dicke in der türkischen Sprache, wie Jung Hasard das übersetzt hatte, und schüttelte den Kopf, als begreife er nicht ganz. Vielleicht wußte er nicht, wo „Inghilterra“ lag. Wenn er es aber doch wußte, dann mußten die Engländer auf der Dubas für ihn so etwas Ähnliches wie die Männchen von einem anderen Planeten sein.