cover
Karin Kaiser

Time Machine

Der etwas andere Club





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Ein geheimnisvoller Fund

Der Mond spiegelte sich in einer großen Pfütze und der Asphalt glänzte schwarz vor Nässe. Das Mondlicht war die einzige Lichtquelle, die die dunklen Häuserfassaden zu Rias Rechten und Linken silbern beleuchtete. Ein paar Laternen in der Straße hatten soeben den Geist aufgegeben, aber das kümmerte Ria wenig. Durch den Tränenschleier sah sie sowieso alles verschwommen, und daher spielte es keine Rolle, ob es hell oder dunkel war. Eigentlich war Ria heute in den »Palace« gegangen, um dort die ultimative Halloween-Party zu feiern. Und heute war sie achtzehn geworden, da hatte sie es ordentlich krachen lassen wollen. Sie hatte sich die Haare kupferrot gefärbt und helles, fast weißes Make-up aufgelegt. Ihre bernsteinfarbenen Augen waren sie mit dickem dunklem Kajal umrandet und die Lippen mit dem knallroten Lippenstift ihrer Mutter gefärbt. Dazu trug sie die Gothic-Bluse mit den langen Spitzenärmeln, eine Weste und Jeans in Schwarz. Es war eine abgefahrene Party, viele tanzten schon zu der Mischung aus Hip-Hop und Popmusik. Aber der rechte Spaß an der Veranstaltung wollte bei Ria nicht aufkommen. Ihre Clique hatte - ob absichtlich oder nicht - vergessen, ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Es war so ärgerlich, dass sie anscheinend in dieser In-Clique nur geduldet war und es auch nach einem halben Jahr noch keiner nötig gehabt hatte, mit ihr eine engere Freundschaft einzugehen. Vor einem Jahr wollte sie unbedingt zu diesen jungen Leuten gehören, aber langsam ging Ria das Geschwätz dieser Mädchen auf den Wecker, und die Musik in diesem Laden war auch mehr als öde. Um die Sache noch schlimmer zu machen, hatte sie ihren Freund Simon in einer dunklen Ecke mit einer glutäugigen Schönheit herumknutschen gesehen. Deshalb war wohl wochenlang keine Zeit vorhanden gewesen, sich bei ihr zu melden. Aber für schnellen Sex war sie gut genug gewesen. Das hatte ihr den Rest gegeben, sie hatte ihm den teuren Cocktail ins Gesicht geschüttet und war aus der Disco geflüchtet. Wahrscheinlich war ihr Verschwinden von ihrer Clique noch nicht einmal bemerkt worden.

Ria wusste nicht, wie lange sie dort auf dieser kalten Bank vor der Diskothek gesessen hatte, als sie eine leichte Berührung an der Schulter spürte. Erschrocken fuhr sie zusammen. Vor ihr stand ein Mädchen, mit langem schwarz gefärbtem Haar und großen, dunklen Augen, deren Kajal-Strich um die Augen noch dicker war als Rias. Sie trug eine Fliegerjacke aus Leder, eine weiße Bluse und eine schwarzes Corsage darüber. Eine enge dunkle Hose komplettierte ihr Outfit. Ria sah das Mädchen fragend an, bis sie endlich ihre Cousine Miriam erkannte. Hinter ihr standen ein blondes Mädchen in der gleichen Aufmachung wie Miriam und ein junger Mann, der komplett schwarz gekleidet war und sich blass geschminkt hatte wie ein Vampir. Ria kannte die beiden, es waren Lars und Melanie aus Miriams Klasse. Ein betretener Ausdruck erschien auf ihren Gesichtern, als sie Rias verweintes Gesicht sahen. Reizvoll sah sie bestimmt nicht aus mit der verlaufenen Wimperntusche.

»Was ist mit dir los?«, fragte Miriam heiser.

»Frag mal den bescheuerten Simon«, antwortete Ria bitter und versuchte hektisch, die Mascara-Spuren von den Wangen zu wischen.

Miriam warf ihr Haar zurück und setzte sich zu Ria auf die Bank.

»Ich glaube, wir gehen mal«, sagte Lars, nachdem er einen Blick mit Melanie gewechselt hatte.

»Geht klar.«

Als die beiden sich verzogen hatten, atmete Ria auf.

»Jetzt kannst du mir ja endlich sagen, was passiert ist«, forderte Miriam Ria auf und legte den Arm um sie. Stockend fing Ria an zu berichten und je mehr sie erzählte, desto schmaler wurden Miriams Lippen. Erst als Ria ihr erzählte, wie sie Simon voller Wut ihr Getränk ins Gesicht geschüttet hatte, lachte sie laut auf.

»Das hat der Blödmann echt verdient. Und deine tolle Clique hatte wohl auch gerade keine Zeit, dich zu trösten.«

Eine steile, ärgerliche Falte erschien zwischen Rias Augenbrauen.

»Die blöden Hennen sind abgeschrieben.«

Wieder stürzten ein paar Tränen aus Rias Augen, aber trotzdem fühlte sie sich erleichtert. Miriam drückte mitfühlend ihre Hand.

»Endlich hast du es kapiert, dass die Weiber nicht zu dir passen. Komm, darauf trinken wir einen.«

»Ich habe aber keine Lust zum Feiern mehr«, erwiderte Ria matt. »Ich gehe nach Hause.«

»Lass mich nicht im Stich, Ria. Ich möchte Lars und Melanie nicht die ganze Zeit beim Knutschen zuzusehen. Komm, ich kenne einen Gothic-Club, wo sie coole Musik spielen. Und wenn dann deine Stimmung nicht steigt, kannst du immer noch nach Hause gehen.«

Miriam sprang auf und zog Ria am Arm hoch. Auffordernd blitzten ihre dunklen Augen Ria an.

»Das ist doch die beste Möglichkeit, diesen Idioten und die anderen zu vergessen. Außerdem hast du heute Geburtstag. Lass dir den Abend nicht von Simon und den dämlichen Gänsen verderben.«

Damit traf Miriam voll den Nerv. Sie hatte ja auch recht. Niemand hatte das Recht, ihr ihren besonderen Tag zu verderben.

»Überredet. Feiern wir den ersten Tag meines neuen Lebens.«

»Das ist meine Ria«, antwortete Miriam lachend und hängte sich bei Ria ein.

Die nächtliche Beleuchtung wurde immer spärlicher, je weiter sie gingen und als sie in die nächste Querstraße einbogen, brannte dort nur eine Laterne. Dunkle Wolken schoben sich vor den vollen Mond und die mehrstöckigen alten Häuser des Abrissviertels erhoben sich wie düstere Riesen links und rechts von Ria und Miriam.

»Bist du dir sicher, dass da bald ein Club kommt?«, fragte Ria und runzelte etwas entnervt die Stirn. Miriam blieb stehen und blickte sich unsicher um.

»Mir scheint, sie haben den Laden doch vorzeitig abgerissen«, erwiderte Miriam und blickte nachdenklich auf den leeren Platz zwischen zwei Abbruchhäusern. »Die hätten eigentlich noch zwei Wochen drin bleiben dürfen.«

»Komm, lass uns umkehren. Hier ist es unheimlich.«

Ria erschauerte, als sie sich in der düsteren Gegend umsah. Sie drehten um und als sie gerade diese Straße halb durchquert hatten, fing die einzige leuchtende Laterne an zu blinken und ging dann ganz aus. Ria und Miriam hielten sich aneinander fest, wie damals, als sie noch Kinder waren und sich abends Gruselgeschichten erzählt hatten. Ängstlich blickten sie sich um. Kein Mensch war hier zu sehen, aber sie hörten lauter Geräusche, die sie nirgends zuordnen konnten. War ja nicht schwer, sich düstere Gedanken zu machen, wenn es stockdunkel war. Ria kramte ihr Handy aus der Jackentasche und kurze Zeit später erhellte das Licht der Taschenlampe den nassen Asphalt vor ihnen.

Plötzlich fiel Rias Blick auf etwas Glänzendes unter einem Busch. Neugierig ging sie hin und schob die nassen Zweige beiseite. Dort auf dem Erdboden lag ein kreuzförmiges Amulett, das mit grünen Steinen besetzt war. Ria konnte nicht widerstehen, es aufzuheben.

»Was hast du da?«, fragte Miriam verwundert.

»Ein Amulett. Schön, nicht?«

Geheimnisvoll funkelten die grünen Steine im Dunkeln. »Wer das verloren hat, wird jetzt ganz schön geknickt sein. Behältst du es?«

Ria legte das Amulett an. Sofort breitete sich eine wohlige Wärme auf ihrer Haut aus.

»Es – es fühlt sich so seltsam an«, sagte sie heiser. »Fast, als hätte es ein Eigenleben. Als würde es zu seinem Besitzer zurückwollen.«

Miriam blickte Ria zweifelnd an. »Du hattest schon immer eine blühende Fantasie. Aber es ist wirklich wunderschön.«

Sie nahm den Anhänger in die Hand und strich bewundernd über die funkelnden grünen Edelsteine. Auf einmal fing die Umgebung an zu verschwimmen, die düsteren Häuser verschwanden, die Straße schien sich in Luft aufzulösen und Ria und Miriam fielen in bodenloses Dunkel.