Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

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ISBN 978-3-86764-768-7 (Print)

ISBN 978-3-7398-0269-5 (EPUB)

ISBN 978-3-7398-0270-1 (EPDF)

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© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2017

Einbandgestaltung: Susanne Füllhaas, Konstanz

Einbandmotiv: istockphoto.com / Monika Lewandowska

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Vorwort

Das Instrument der Kennzahlenrechnung stellt immer noch das bedeutendste Instrument zur Analyse von Jahresabschlüssen dar. Die Kennzahlenrechnung wird daher auch häufig als traditionelle Bilanzanalyse bezeichnet. Im vorliegenden Buch werden die Auswertungsmöglichkeiten ebenso wie die Grenzen der Analysemöglichkeiten ausführlich beleuchtet.

Das Buch ist als Lehr- und Arbeitsbuch konzipiert und richtet sich an Studierende von Hochschulen sowie die Jahresabschlussadressaten, wie Aktionäre, Aufsichtsräte, Manager, Banker etc.

Das Werk stellt die üblichen Techniken und Methoden zur Analyse von Einzel- und Konzernjahresabschlüssen vor. Hierbei wird großen Wert auf die Interpretation der Kennzahlen und die Erläuterung der möglichen Einflussfaktoren gelegt.

Die praktische Anwendung wird anhand eines Beispielunternehmens, für das die einzelnen Kennzahlen ermittelt und interpretiert werden, verdeutlicht und diskutiert.

Das Buch berücksichtigt auch die wesentlichen Änderungen im Bereich der Rechnungslegung, soweit diese Einfluss auf die Kennzahlen haben. Die Neuerungen durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) wurden ebenso berücksichtigt wie Neuerungen der jüngeren Vergangenheit bei den International Financial Reporting Standards.

Mit der zweiten Auflage des Buches wird die bisher vornehmlich interne Betrachtungsweise der Bilanzanalyse mit Fokus auf die aktuelle und ureigene Situation des Unternehmens, um die praxisrelevantere Perspektive des externen Analysten ergänzt und vertieft. Dabei stehen insbesondere Informationsasymmetrien und deren Überwindung, aber auch die strukturierte, vergleichende Informationsgewinnung im Vordergrund. Des Weiteren wird mit einer Einführung zu den Konzepten Peer-Grouping und Benchmarking, sowie Anklängen zu Digitalisierung und Expertensystemen, eine ganzheitliche Betrachtung der zielbezogenen Bilanzanalyse mit deren besonderen Aspekten ermöglicht.

Besonders Danken wollen wir Herrn Prof. Dr. Uwe Stehr für die mühevolle Überarbeitung und die hilfreichen Vorschläge. Ebenfalls wollen wir Frau Ulrike Mayer und Herrn Fabian Weis für die Aktualisierung und Überarbeitung des Manuskripts danken.

Stuttgart, Juni 2017

Thomas Barth Andreas Giannaku

Inhalt

  1. Bedeutung des Jahresabschlusses und Zielsetzung
  2. Aufbereitung der gewonnenen Daten für den Erkenntnisgewinn
  3. Bilanzanalyse als Kennzahlenrechnung
  4. Vergleich der Bilanzierung nach HGB und IFRS
  5. Planung des Beispielunternehmens Kfz-Zulieferer GmbH
  6. Finanzwirtschaftliche Bilanzanalyse
  7. Erfolgswirtschaftliche Bilanzanalyse
  8. Fazit

Abkürzungsverzeichnis

AfA Absetzung für Abnutzung
AG Aktiengesellschaft
AHK Anschaffungs- und Herstellungskosten
BilMoG Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
BilRUG Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz
CCC Cash Conversion Cycle
DCF Discounted Cash-Fow
DRSC Deutsches Rechnungslegungs Standards Committee e.V.
DVFA e.V. Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung
EAT Earnings After Tax
EBIT Earnings Before Interest and Taxes
EBT Earnings Before Taxes
EK Eigenkapital
EKR Eigenkapitalrendite
Fifo-Methode First In – First Out Methode
FK Fremdkapital
F&E Forschung und Entwicklung
GJ Geschäftsjahr
GK Gesamtkapital
GKR Gesamtkapitalrentabilität
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GuV Gewinn und Verlust Rechnung
HGB Handelsgesetzbuch
i Fremdkapitalzinssatz
IAS International Accounting Standard
IFRS International Financial Reporting Standards
Jahresüberschuss
LiFo-Methode Last In - First Out Methode
LuL Lieferung und Leistung
KBV Kurs-Buchwert-Verhältnis
KCV Kurs-Cash-Flow-Verhältnis
KGV Kurs-Gewinn-Verhältnis
KUV Kurs-Umsatz-Verhältnis
OCI Other Comprehensive Income
PEG Price-Earnings-Growth-Factor
ROA Return on Assets
ROI Return on Investments
SA Sachanlagen
SAV Sachanlagevermögen
SEC Securities and Exchange Commissions

1 Bedeutung des Jahresabschlusses und Zielsetzung

1.1 Bedeutung des Jahresabschlusses

Im Allgemeinen dient der Jahresabschluss dazu Informationen über den Erfolg der Geschäftstätigkeit sowie die wirtschaftliche Situation des Unternehmens, speziell über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage, zu liefern. Der Jahresabschluss als Spiegelbild der Vergangenheit eines Unternehmens muss mindestens einmal jährlich erstellt werden – er stellt damit einen Rechenschaftsbericht des Managements über erfolgte Geschäftsführung (Geschäftsjahr) dar. Neben dieser Vergangenheits- und Gegenwartsorientierung bilden die Informationen des Jahresabschlusses auch die Grundlage für Prognosen über zukünftige Entwicklungen des Unternehmens. Diese Projektionen erfordern jedoch die Zuhilfenahme weiterer Analyseschritte. § 242 HGB stellt die gesetzliche Grundlage für die Aufstellung des Jahresabschlusses in Deutschland dar. Instrumente zur Rechenschaftslegung stellen der Jahresabschluss sowie der Lagebericht dar. Dem Rechnungslegungsstandard sei an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit geboten. HGB und IFRS unterscheiden sich bereits in ihrer Grundausrichtung. Während nach HGB keine konkreten Ziele der Rechnungslegung genannt werden, zielt IFRS auf eine möglichst korrekte Darstellung der finanziellen Situation sowie der Leistung des Unternehmens als Grundlage für wirtschaftliche Entscheidungen ab. Seit 2005 erfolgt die Anwendung der IFRS gemäß § 315 a HGB auf gesetzlicher Grundlage. Demnach müssen kapitalmarktorientierte Unternehmen ihre Konzernabschlüsse nach den IFRS aufstellen.

1.2 Inhalt des Jahresabschlusses

Für den Jahresabschluss und dessen Inhalt wird zwischen Einzelkaufleuten/Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften unterschieden. Der Jahresabschluss für Einzelkaufleute und Personengesellschaften wird in den §§ 242 bis 256 HGB geregelt und besteht aus der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung. Der Jahresabschluss ist nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) aufzustellen. Demnach muss der Jahresabschluss klar und übersichtlich sein und bedarf besonderer Beachtung der Formvorschriften, Ansatzvorschriften sowie Bewertungsvorschriften. Die darüberhinausgehenden Vorschriften für Kapitalgesellschaften sind in den §§ 264 bis 289 HGB geregelt. Bestandteile des Jahresabschlusses einer Kapitalgesellschaft sind die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Anhang. Der Lagebericht dient als eigenständiges Instrumentarium und wird dem Jahresabschluss nicht direkt zugerechnet. Zur Aufstellung eines Abschlusses nach IFRS sind alle kapitalmarktorientierten (Konzern-) Unternehmen verpflichtet. Kapitalmarktorientierung bedeutet, dass Wertpapiere, insbesondere Aktien, von den Unternehmen zum Handel ausgegeben werden. Die Bestandteile eines Abschlusses nach IFRS ergeben sich aus IAS 1.8. Demnach besteht ein vollständiger IFRS-Abschluss aus den folgenden Komponenten: Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Eigenkapitalveränderungsrechnung, Kapitalflussrechnung sowie Anhang.

Der Jahresabschluss für Einzelkaufleute und Personengesellschaften hat folgende Funktionen:

Für Kapitalgesellschaften hat der Jahresabschluss zusätzlich folgende Funktionen:

Es zeigt sich ein Unterschied der Funktionen der Jahresabschlüsse für Einzel- und Personengesellschaften einerseits und Kapitalgesellschaften andererseits1.

Im Nachfolgenden werden die einzelnen Komponenten kurz erläutert:

1.3 Der Jahresabschluss und Interessengruppen

Der Jahresabschluss ist ein Rechenschaftsbericht über das vergangene Geschäftsjahr und wird damit für Interessengruppen am Unternehmen genutzt, als Grundlage der Information und Transparenz. Hierbei lässt sich vorab eine Unterscheidung nach Adressaten und Interessenten vornehmen.

1.3.1 Adressaten des Jahresabschlusses

Für die Adressaten des Jahresabschlusses ist vorrangig die ex-post Betrachtung in Form eines Rechenschaftsberichtes des Managements über das vergangene Jahr von Interesse. Dadurch kommt das Management seiner gesetzlich vorgegebenen Pflicht der Rechenschaftsablegung nach und ermöglicht den Adressaten des Jahresabschlusses sich über die in der Vergangenheit (ex-post) gezeigte Leistung des Managements im Umgang mit dem Unternehmensvermögen zu informieren. Die Adressaten interessieren sich somit hauptsächlich für die ex-post Berichterstattung und Rechenschaftsablegung.

Die Hauptadressaten des Jahresabschlusses nach HGB sind die Gesellschafter und Gläubiger. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl anderer Interessensgruppen:

Nach IFRS stellen die Hauptadressaten die Kapitalanleger und andere am Unternehmen Interessierte dar. IFRS liefert im Framework (F. 9) genaue Angaben zu den Adressaten sowie den dazugehörigen Informationsbedürfnissen.

1.3.2 Unterscheidung von internen und externen Interessengruppen

Nachdem ein Überblick über die unterschiedlichen Adressaten eines Jahresabschlusses gegeben werden konnte, wird nun konkreter auf die Interessen der Hauptadressaten, ihre Ziele, Informationsbeschaffungsmöglichkeiten und jeweilige Position gegenüber dem Unternehmen eingegangen. Für diese Interessengruppen besteht ein besonderes Interesse an der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens, da hier Bindungen mit dem Unternehmen für die Zukunft (ex-ante) eingegangen werden. Folglich bietet ihnen die Rechenschaftsablegung bezogen auf die Vergangenheit (ex-post) keine ausreichende Grundlage für ihre zukunftsgerichtete Entscheidung. Daher stellt der Jahresabschluss für diese Interessenten nicht nur einen bloßen Rechenschaftsbericht dar, sondern ist auch die Informationsgrundlage um Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu schaffen. Anhand ihres Interesses am spezifischen Unternehmen können folgende Gruppierungen unterschieden werden:

Perspektive und Zukunftsplanung des Managements (Intern)

Dem Management selbst liegen alle im Unternehmen verfügbaren Daten unverfälscht vor. Somit ist es jederzeit in der Lage eine akkurate und realistische Einschätzung über die Lage des Unternehmens abzugeben. Durch die im Jahresabschluss allgemein aufbereiteten und offengelegten Informationen strebt das Management konkret an über die spezifische Unternehmenssituation sowie die gezielt getroffenen Maßnahmen zur Renditeerhöhung zu informieren, um damit Grundlage zu einhergehenden positiven Kursbewegungen zu schaffen (also Investorenwerbung im Sinne des sogenannten „Shareholder Value-Ansatzes“). Somit stellt der Jahresabschluss auch ein Kommunikationsmittel des Managements dar, um die Erreichung der dem Management gesetzten Ziele zu gewährleisten. Hierbei ist zu beachten, dass das Management jedoch selbst kein unternehmerisches Risiko trägt, da es nur im Auftrag der Aktionäre/Investoren die Führung des Unternehmens übernimmt. Da sich zudem oft ein erheblicher Teil des Gehalts an der Maximierung des Shareholder Value orientiert, mag dies zu Interessenskonflikten zwischen Management (Angestellter und Renditebegünstigter) und den eigentlichen Unternehmenseignern (Investoren, Risikoträger und Renditebegünstigter) führen. Durch solche Vergütungsmodelle werden für das Management möglicherweise Anreize geschaffen, die nicht im besten Interesse der individuellen Situation des Unternehmens sind, sondern auch in ihrem Eigeninteresse zu handeln. Diese Problematik kann sich somit also auch schon bei der internen Aufbereitung der Daten des Jahresabschlusses niederschlagen und zur eigenen Herausforderungen für externe Interessengruppen führen. Fazit: Das Management hat das Interesse im Jahresabschluss die Einzigartigkeit der eigenen Leistungen zu betonen sowie die spezifischen Besonderheiten des Unternehmens herauszustellen.

Perspektive und Zukunftsplanung des Investors (Extern)

Dem Investor steht im Gegensatz zum Management nicht der gleiche Umfang an Informationen zur Verfügung. Er muss sich in Bezug auf die sorgfältige Geschäftsführung des Managements für seine eigene Investitionsentscheidung wesentlich auf die durch das Management veröffentlichten Informationen im Jahresabschluss verlassen. Dieser Informationsvorsprung des Managements gegenüber dem Investor hat in Konsequenz zur Folge, dass ihm eine neutrale Entscheidung erschwert wird. Da ein Investor letztendlich aus einem unendlichen Investitionsuniversum wählen kann, muss er sich für das für ihn passende Investment entscheiden. Der Investor hat also ein großes Interesse Unternehmen auf gleicher (homogener) Informationsbasis zu vergleichen, um sich für das für ihn geeignetste Investment zu entscheiden. Die Zukunftserwartung eines Investors an eine Investition ist in der Regel eine Schaffung von Rendite durch positive Wertentwicklung sowie Kapitalerträge in Form der Gewinnausschüttungen. Zusätzlich zu beachten gilt es jedoch hier, dass der Investor durch den Erwerb eines Eigenkapitalanteils am Unternehmen zugleich auch das unternehmerische Risiko selbst übernimmt. Deshalb muss er vor dem Investment vom Potenzial des Unternehmens überzeugt sein, das konsistent mit der investoreneigenen zukünftigen Liquiditäts- und Risikoplanung einhergeht. Der Investor hat damit die Qual der Wahl. Um diese bedeutsame Entscheidung treffen zu können, benötigt er folglich Informationen über das Unternehmen, die ihm einen effektiven Investmentalternativenvergleich ermöglichen. Dazu bedarf es Informationen, welche oft über die im Jahresabschluss zur Verfügung gestellten hinausgehen, sowie eigenes Know-how um die Alternativen entsprechend zu bewerten. Diese erweiterte Informationsgrundlage gewährt ihm somit einen tieferen Einblick in die Lage des Unternehmens und trägt dazu bei, Vertrauen in die zukünftige Performance des Unternehmens zu schaffen sowie zugleich den Informationsvorsprung des Managements zu minimieren. Fazit: Der Investor ist interessiert an einem effektiven Investmentalternativenvergleich, der ihm eine Abstimmung mit der eigenen Erwartungshaltung erlaubt. Er ist an einem symmetrischen Risikoprofil (Chancen und Risiken) interessiert.

Perspektive und Zukunftsplanung des Gläubigers (Extern)

Die Gläubiger (Banken, Lieferanten, Kunden, Arbeitnehmer) wollen eine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen eingehen, um eine eigene dauerhafte Planung zu gewährleisten. Ein Gläubiger (z.B. eine Bank, die dem Unternehmen Finanzierungsmittel bereitstellt) sieht sich mit ähnlichen Herausforderungen wie ein Investor konfrontiert, nämlich der Abstimmung des Investments mit der eigenen Planung. Die Gläubiger müssen sich wiederum auf die vom Management aufbereiteten Daten über das Unternehmen beziehen und so z.B. darüber entscheiden, welchen Kreditnehmer (Finanzierungsrisiko) die Bank im Einzelfall in der Zukunft begleiten will. Die Zukunftsplanung der Bank unterscheidet sich jedoch grundsätzlich von der des Investors, da sie für die temporäre Überlassung von Finanzierungsmitteln lediglich Zins- und Rückzahlung verlangt. Dabei ist die Bank nicht an der Übernahme des unternehmerischen Risikos interessiert und ist folglich auch nicht an einer positiven Entwicklung des Unternehmens beteiligt. Demzufolge bewahrheitet sich die Zukunftsplanung des Gläubigers nur dann, wenn die Leistungen des Unternehmens vertragsgemäß erfüllt werden. Es existiert also kein Szenario bei dem der Gläubiger mit einer positiven Abweichung rechnen kann. Dies wird als asymmetrisches Risiko bezeichnet, da nur negative Abweichungen zur Zukunftsplanung des Gläubigers möglich sind. Das Hauptinteresse der Bank/Gläubiger am Jahresabschluss ist also die Beurteilung der Fähigkeit des Unternehmens/Schuldners den Schuldendienst bzw. die Unternehmensleistung aus einer stabilen und dauerhaften operativen Tätigkeit zu gewährleisten. Ebenso wie der Investor muss der Gläubiger also auch Anstrengungen unternehmen, um den Informationsvorsprung des Managements zu reduzieren und zu einer Entscheidung zu gelangen. Fazit: Der Gläubiger ist an einem Vergleich zur dauerhaften Leistungsfähigkeit von Unternehmen interessiert, der die eigene Planungsstabilität unterstützt. Er ist in diesem Sinne eher als risikoavers einzuordnen.

Abbildung 1: Jahresabschluss, Interessenskonflikte, Informationsasymmetrien und Transparenzanforderungen

Es wird also deutlich, dass externe Interessengruppen des Unternehmens, vornehmlich Investoren und Gläubiger, durch den Wissensvorsprung des Managements in ihren Entscheidungsfindungen vor Herausforderungen gestellt werden, die überwunden werden müssen. Dies liegt darin begründet, dass auch bei identischem Know-how aller Parteien zur Analyse des Jahresabschlusses der genannten Interessengruppen Unterschiede ausschließlich in Informationszugang und -detailliertheit sowie den eigenen Erkenntnisinteressen bestehen. Obwohl das Management seiner Rechenschaftsablegung für die Vergangenheit (ex-post) und dem Augenmerk auf die gegenwärtige Aufstellung des Unternehmens nachkommt, ist dies für den Investor und sein zukunftsorientiertes Interesse (ex-ante) nicht ausreichend.

Die Unterschiede in den Erkenntnisinteressen zwischen Rechenschaftsablegung und Zukunftsfähigkeitsbetrachtung von Management und den externen Analysten führen dazu, dass die Darstellung von Informationen im Jahresabschlusses trotz gesetzlich vorgegebener Normierung von den Interessen des Managements beeinflusst sein können und dabei zugleich nicht die umfängliche Informationsgrundlage für den Investor und sein zukunftsorientiertes Interesse an einem Vergleich darstellen. So führt dies bei gleichem Analyse-Know-how bei allen Interessierten dazu, dass durch die gegebenen Informationsasymmetrien, Jahresabschlüsse durch externe Analysten so aufbereitet werden müssen, dass diese einen entsprechend homogenen Informationsgehalt liefern, der einen effizienten und wirklichkeitsnahen Alternativenvergleich gewährleistet.

1.4 Der Begriff der Bilanzanalyse

Unter dem Begriff Bilanzanalyse, die einen Teil der ganzheitlichen Unternehmensanalyse darstellt, wird die Aufbereitung und Bewertung von unternehmensspezifischen Informationen mittels Kennzahlen, Kennzahlensystemen und weiteren Methoden verstanden. Der Begriff der Bilanzanalyse wird oftmals auch als die Analyse und Durchsicht von Jahresabschluss und Lagebericht (bei Kapitalgesellschaften) zum Zweck der Informationsgewinnung verstanden. Durch die Bilanzanalyse soll ein möglichst korrektes Bild über das Unternehmen sowie dessen wirtschaftliche Lage geschaffen werden. Isoliert betrachtet bietet die Bilanzanalyse jedoch verhältnismäßig limitierte Aussagekraft für diese Zielsetzung, da sie nur eine Erfassung von Vergangenheitswerten (ex-post) ermöglicht. Aus diesem Grund ist die Bilanzanalyse um eine Potenzialanalyse zu erweitern. Diese und weitere Schritte, welche durch eine ganzheitliche Perspektive, die Bilanzanalyse zu einer Unternehmensanalyse transformieren, werden in den nachfolgenden Kapiteln behandelt. Zunächst wird jedoch bei der Bilanzanalyse nach Art des zur Verfügung stehenden Datenmaterials, zwischen interner und externer Bilanzanalyse unterschieden2.

1.4.1 Die interne Bilanzanalyse

Bei der internen Bilanzanalyse, die auch als Betriebsanalyse bezeichnet wird, haben die Bilanzanalysten unbeschränkten und zeitnahen Zugriff auf sämtliche Informationen, die im Unternehmen vorliegen. Hierbei werden nicht die extern veröffentlichten Informationen herangezogen, sondern interne Informationen, welche an keine gesetzlichen Regelungen gebunden sind. Die interne Bilanzanalyse steht allerdings im Regelfall nur dem Management zeitnah und auch mit Plankennzahlen zur Unternehmenssteuerung zur Verfügung. Daraus abgeleitete Handlungen/Entscheidungen des Managements finden dann allerdings auch im zu veröffentlichenden Jahresabschluss ihren Niederschlag.

1.4.2 Die externe Bilanzanalyse

Die externe Bilanzanalyse basiert ausschließlich auf extern zugänglichen, veröffentlichten Informationen des Unternehmens. Bei diesen Informationen sind die gesetzlichen Vorgaben (z.B. Rechnungslegungsgrundsätze nach HGB oder IFRS) normierend einzuhalten. Aufgrund der gesetzlichen Rahmenvorgaben und Eigeninteressen des Managements entsprechen die veröffentlichten Informationen jedoch im Einzelfall nicht immer der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens, da z.T. andere Zwecke (z.B. optimierte Steuerzahlung) verfolgt werden (siehe Abschnitt 1.5 Informationsasymmetrien als Herausforderung an die Jahresabschlussanalyse). Die publizierten Informationen geben dem externen Analysten also lediglich eine Grundlage zur Analyse, die dann auf den verzögert verfügbaren Vergangenheitswerten sowie dem „optimierten“ Rechenschaftsbericht basieren.

Hier wird nochmals deutlich, dass die existierenden Unterschiede in der Informationsgrundlage zwangsläufig nicht nur zu unterschiedlichen Ansätzen bei der Analyse führen, sondern auch zu unterschiedlich differenzierten Interpretationen der Werte/Analyseergebnisse führen können.

1.4.3 Von der Bilanzanalyse zur Unternehmensanalyse

Das primäre Ziel des externen Analysten ist zunächst die Vermögenserhaltung und Verminderung der Wahrscheinlichkeit eines Verlustes durch eine vergleichende Bewertung seiner Alternativen. Für diesen Zweck benötigt er jedoch, wie in Abschnitt 1.4.2 verdeutlicht, mehr als nur eine bloße Bilanzanalyse. Das Hauptaugenmerk ist auf das Unternehmen als Gesamtheit zu legen und es in seiner direkten Umwelt zu betrachten und zu bewerten. Folglich muss die Analyse über die bloße Bilanzanalyse hinaus auch zu einer umfassenden Unternehmensanalyse ausgedehnt werden. Die Unternehmensanalyse erweitert die Bilanzanalyse um die Potenzialanalyse auf Basis des Wettbewerbsumfeldes. Durch diese Erweiterung wird nicht mehr nur auf die augenblickliche Aufstellung gemäß dem aktuellen Jahresabschluss eingegangen. Im Vordergrund steht vorrangig das Erkennen von Potenzialen, die auch eine adäquate Einschätzung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens erlauben.

Abbildung 2: Komponenten der ganzheitlichen Unternehmensanalyse

Bei der Bilanzanalyse wird zunächst auf Grundlage der veröffentlichten und testierten Jahresabschlüsse eine erste Positionsbestimmung für das Unternehmen vorgenommen und die konkret umgesetzte Geschäftsidee des Unternehmens analysiert. Durch Stichtagsbezogenheit und Vergangenheitsorientierung ermöglicht die isolierte Bilanzanalyse jedoch nur eine Beurteilung der ex-post gezeigten Leistung des Managements. Nichtsdestotrotz lassen sich hierbei durch gegenüberstellende Vergleiche mit Vergangenheitswerten bereits erste Dynamiken (durch Management induzierte Verhaltensänderungen) erkennen, die eindeutig dem Unternehmen zugeordnet werden können.

Nach der erfolgreichen Aufbereitung müssen die Informationen entsprechend dem Erkenntnisinteresse des Analysten bewertet werden. Diese Auswertung erhebt einen zusätzlichen Anspruch an die Analyse, da hier tiefergehende Informationen gewonnen werden sollen, die auf erste Sicht nicht aus dem Jahresabschluss ersichtlich sind. Im Rahmen der Auswertung kann der externe Analyst auf eine Vielzahl unterschiedlicher Instrumentarien zurückgreifen. Diese lassen sich wie folgt systematisieren:

Dadurch können in einer ersten ex-post Betrachtung Aussagen über die Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz und Liquidität des Unternehmens und damit dessen in der Vergangenheit gezeigte Risikotragfähigkeit getroffen werden. Zudem finden innerhalb dieser Größen auch die zuvor behandelten, zukunftsgerichteten Analyseinteressen erstmalig Berücksichtigung. Mit der Effizienz eines Unternehmens assoziierte Größen sind hierbei vorrangig Kosten, Prozesse und der Gewinn. Weiterhin kann durch die Betrachtung von Größen wie Cash-Flow, Cash und Kreditlinien die Liquiditätssituation beleuchtet werden.

Im Kontext der Bilanzanalyse kann zudem eine Klassifizierung der im Jahresabschluss enthaltenen Komponenten nach dem spezifischen Erkenntnisinteresse des Analysten vorgenommen werden.

Aktiva Passiva
Mittelverwendung Mittelherkunft
Die Struktur der investierten Geschäftsidee, die durch das Know-how des Managements anhand der Einzigartigkeit der Geschäftsidee ausgerichtet ist. Die finanzielle Absicherung der investierten Geschäftsidee. Dabei ist die Finanzierung ebenso auf die besonderen Bedürfnisse der Geschäftsidee abzustimmen und sicherzustellen.

Diese Klassifizierung macht bereits deutlich, dass die Bilanzstruktur stark von der Geschäftsidee geprägt wird. Je brillanter also die Geschäftsidee strukturiert ist und je effizienter deren Umsetzung (GuV) durch das Management, desto höher die Liquiditätsgenerierung (Cash-Flow) aus dieser Idee.

Die Analyse zur Dauerhaftigkeit der Geschäftsidee auf Basis des Jahresabschlusses erfolgt durch die Betrachtung der Wettbewerbsfähigkeit. Dabei fällt das Augenmerk vornehmlich auf Märkte, Produkte und Wettbewerb. Auf der Basis des Jahresabschlusses erlaubt die Analyse der Geschäftsidee jedoch zunächst nur ex-post überstandene Risiken und Risikopuffer für das Unternehmen selbst in seinem direkten Umfeld. Hierdurch kann aber immer noch kein klares Bild über die zukünftige Lage des Unternehmens gegeben werden, da bisher keine Vergleichsmöglichkeiten mit Wettbewerbern existieren.

Dies kann nur durch die Potenzialanalyse erzielt werden. Hierbei wird die durch das Unternehmen umgesetzte Geschäftsidee aus ihrer Isolation herausgehoben und ein wesentlicher Fokus auf die Umwelt und damit auf anderweitig beeinflussende Datenkränze gelegt. Die Analyse der Abweichung von Referenzgrößen wie Wettbewerbern, Benchmarks oder Indizes legt dabei das Einzigartige der Geschäftsidee offen und ermöglicht zudem eine Einschätzung von Potenzialen in der zukünftigen Entwicklung. Nur durch diese vergleichenden Bewertungsanalysen lassen sich aussagekräftige Erkenntnisse gewinnen, die Aufschluss über die Einzigartigkeit (Alleinstellungsmerkmale) der verfolgten Geschäftsidee geben und dem Analysten eine ganzheitliche Betrachtung des Unternehmens ermöglichen. Letztendlich wird in diesem Schritt auch der Informationsvorsprung des Managements aufgehoben, da es für die Potenzialanalyse des eigenen Unternehmens und die damit verbundene Notwendigkeit der Auswertung von Daten Dritter (z.B. Bilanzen von Wettbewerbern) den externen Analysten und deren Herausforderungen bei der Informationsgewinnung letztlich gleichgestellt ist.

Die Umfänglichkeit der benötigten Informationen für diese ganzheitliche Unternehmensanalyse erfordert also zusätzlich zu den im Jahresabschluss enthaltenen Daten weitere Auswertungen und Analysemethoden. Jedoch stellen schon die durch den Informationsvorsprung des Managements bestehenden Informationsasymmetrien für den externen Analysten eine erste Hürde bei seiner Unternehmensanalyse dar. Die damit verbundenen Herausforderungen bei der Informationsgewinnung sowie mögliche Lösungsansätze für den externen Analysten werden im nachfolgenden Kapitel behandelt.

1.5 Informationsasymmetrien als Herausforderung an die Jahresabschlussanalyse

Der Begriff der Informationsasymmetrie oder der asymmetrischen Informationsverteilung wird in der Fachliteratur meist im Zusammenhang mit der Principal-Agent-Theorie nach George A. Akerlof beschrieben. Dabei wird dieses Phänomen stets innerhalb einer Transaktion zwischen einem Auftraggeber (Principal) und einem Auftragnehmer (Agent) beleuchtet. Informationsasymmetrie taucht somit also in nahezu allen Tauschakten auf, die zwei Akteure miteinander vollziehen. Dabei wird davon ausgegangen, dass einer der beteiligten Akteure einen Informations- oder Wissensvorsprung gegenüber dem anderen Akteur hat und bereit ist diesen auch zum Nachteil des anderen Akteurs für die Erreichung seiner eigenen Ziele zu nutzen. Dies kann also auch auf die Beziehung zwischen Investor (Auftraggeber: Eigentümer des Unternehmens) und Management (Auftragnehmer: Führung des Unternehmens) und deren unterschiedliche Zukunftsplanungen/Interessen gelten.

1.5.1 Ursprung und Konsequenzen von Informationsasymmetrien im Jahresabschluss

Im Jahresabschluss besteht dieses Verhältnis grundsätzlich zwischen dem Management und den externen Interessensgruppen. In diesem Verhältnis ergibt sich ein Wissensvorsprung des Managements auf der zuvor beschriebenen vollständigen Informationsgrundlage.

Abbildung 3: Ursprung von Informationsasymmetrien im Jahresabschluss

In Abbildung 3 wird dieses Verhältnis der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Management (intern) und Analysten (extern) verdeutlicht. Das Management erstellt den Jahresabschluss und der externe Analyst analysiert diesen. Betrachtet man nun die Interessensdivergenzen der beiden Akteure (Abbildung 1) und die daraus resultierende Priorisierung der jeweiligen Informations- und Transparenzanforderungen an den erstellten Jahresabschluss, wird die sich daraus ergebende Problematik überaus deutlich. Die Transparenzanforderungen der beiden Akteure an den Jahresabschluss sind somit als gegensätzlich (asymmetrisch) festzustellen.

Das oberste Ziel des Managements stellt die Darstellung der eigenen Performance und somit die Besonderheiten der im Unternehmen erzielten Rendite dar. Daher verfolgt es durch den Jahresabschluss primär ein Zeugnis der eigenen spezifischen Leistungen zu erstellen. Die Transparenz des Jahressabschlusses zu Vergleichszwecken (erste Priorität Analyst (Investor)) stellt folglich nur das sekundäre Ziel des Managements dar. So wird im Jahresabschluss vorwiegend auf die Herausforderungen und unternehmerischen Rahmenbedingungen eingegangen, um damit abermals die Leistung hervorzuheben. Hingegen ist die Transparenzanforderung an den Jahresabschluss zu Vergleichszwecken für den Investor das primäre Ziel, da er bei gegebenen vielfältigen Investitionsmöglichkeiten diese Transparenz benötigt, um jede Alternative im Sinne seiner Erwartungen auf gleicher Datengrundlage zu analysieren und entsprechend zu bewerten.

Der beschränkte Informationszugang stellt hier eine signifikante Limitation dar. Die Darstellung der Leistungsfähigkeit im Jahresabschluss (1. Priorität Management) ist von sekundärem Interesse für den Investor und dient lediglich der Überwachung bereits bestehender Investments. Dies unterstützt ihn jedoch nicht ausreichend bei der jederzeit notwendigen Neu-Bewertung seiner möglichen Investitionsalternativen.

Für den Analysten gilt es somit diese Faktoren, welche den Aussagegehalt des Jahresabschlusses verwässern, zu identifizieren, zu analysieren und dann die zu Grunde liegenden Informationsasymmetrien durch geeignete Korrekturmaßnahmen zu verringern. Trotz der gesetzlichen Vorschriften und Normierung gibt es eine Vielzahl von Faktoren welche sich nachteilig auf die Aussagekraft des Jahresabschlusses auswirken können. Diese limitierenden Eigenschaften gilt es anhand der nachfolgenden Kategorisierung zu erläutern:

  1. Zeitbezug der Informationsgrundlage
  2. Bilanzpolitik
  3. Off-Balance-Sheet Aktivitäten

1.5.1.1 Zeitbezug der Informationsgrundlage

Vergangenheitsorientierung der Informationen

Der Jahresabschluss bezieht sich auf einen abgeschlossenen und vergangenen Zeitraum und enthält somit nur Informationen zur Vergangenheit des Unternehmens. Die Erwartung der Geschäftsverlauf der Vergangenheit (ex-post) würde sich analog in der Zukunft fortsetzen ist so nicht garantiert. Da der Analyst jedoch vorranging Aussagen über die dauerhafte Zukunft (ex-ante) des Unternehmens treffen will, muss er spezifische Vergleichsmerkmale schaffen und entsprechende Korrekturposten bilden, die dann die individuellen Jahresabschlüsse für seine Zwecke der Investmentalternativenentscheidung homogenisieren.

Aktualität der Informationen

Die Informationen des Jahresabschlusses stehen in der Regel nicht unmittelbar nach der Erstellung zur Verfügung, sondern werden erst zeitlich versetzt zum Bilanzstichtag veröffentlicht. Faktisch ist damit der Jahresabschluss zum Analysezeitpunkt oftmals bereits schon überaltert, denn das Unternehmen kann sich zum Analysezeitpunk bereits erheblich verändert haben3. Hier mag eine Quartalsberichtserstattung zwar hilfreich sein, löst aber dennoch nicht das grundsätzliche Problem.

Auch als problematisch für einen effizienten Vergleich erweist sich, dass einige Unternehmen den Berichtszeitraum aus individuellen Besonderheiten heraus abweichend vom Kalenderjahr festlegen (Stichtag ungleich 31.12.).

Stichtagsbezug und Manipulationsanfälligkeit der Informationen

Die Bilanzanalyse bezieht sich immer nur auf eine Momentaufnahme der Bilanz am Ende des Geschäftsjahres. Das Vermögen (Struktur der investierten Geschäftsidee), das Eigenkapital und die Schulden (Absicherung der Geschäftsidee) verändern sich jedoch fortlaufend – gar täglich während eines Geschäftsjahres. Der Stichtag zur Erfassung ist damit eher eine Augenblicksaufnahme zum Stichtag als eine Darstellung des Geschäftsjahres. Damit spiegelt der Jahresabschluss nicht den gesamten Zeitraum als solchen wider, sondern ist auch anfällig für gezielte Steuerung oder Manipulation zum Stichtag, damit ein eventuell gewünschtes Bild vermittelt werden kann. Ein Beispiel hierfür ist die gezielte Einflussnahme auf Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens, um die Gesamtsituation des Unternehmens in ein besseres Licht zu rücken (der Abbau der Lagerbestände an Rohstoffen zum Bilanzstichtag und deren Wiederauffüllen exakt zum Tag nach dem Bilanzstichtag wäre eine solche Möglichkeit). Allgemein gilt je liquider eine Bilanz ist, desto anfälliger ist diese in Bezug auf stichtagsbezogene Manipulationen.

Allgemein ergibt sich aus den oben genannten Argumenten, dass der Jahresabschluss auf Grundlage des Zeitbezugs für den Investor lediglich eingeschränkte Möglichkeiten zur vergleichenden Beurteilung der augenblicklichen Situation von Unternehmen bietet.

1.5.1.2 Bilanzpolitik

Bilanzierungsstandards, Bewertungsvorschriften und Buchführungsgrundsätze

Bewertungsunterschiede können sich bereits aufgrund der Anwendung unterschiedlicher Bilanzierungsstandards und den verbundenen Bewertungsvorschriften wie dem HGB, US-GAAP oder IFRS/IAS ergeben.

Im HGB ist das Vorsichtsprinzip beherrschend (zum Niederstwertprinzip bilanzieren), wohingegen in den USA die Fair-Value-Bewertung dominiert. Somit ist bereits aufgrund der unterschiedlichen Bewertungsvorschriften ein Vergleich deutscher und amerikanischer Unternehmen schwierig.

Außerdem gewähren Bewertungswahlrechte innerhalb eines Standards bilanzpolitischen Gestaltungsraum für das Management und rufen somit nicht nur Inter-Standard-Differenzen, sondern auch Intra-Standard-Differenzen hervor. So können die Bewertungswahlrechte wie FIFO, LIFO etc. den Grad der Informationsasymmetrie noch weiter erhöhen. Aber auch eingegangene Pensionsverpflichtungen sind in Bezug auf die Bewertung zu hinterfragen.

Darüber hinaus können die nach dem deutschen HGB geltenden Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) weitere Verzerrungen der Realität erzeugen. Dies liegt darin begründet, dass der Jahresabschluss unter Beachtung der GoB erstellt werden muss. Bestimmte Grundsätze entziehen dem Jahresabschluss jedoch Informationen, z.B. müssen gemäß dem Imparitätsprinzip, welches im § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB verankert ist, drohende Verluste, die zum Bilanzstichtag entstanden sind, berücksichtig werden. Vorhersehbare Chancen und Gewinne, die zum Zeitpunkt des Bilanzstichtags noch nicht realisiert wurden, dürfen jedoch nicht berücksichtigt werden.

Steueroptimierung

Da in Deutschland der handelsrechtliche Jahresabschluss auch für den steuerrechtlichen Abschluss relevant ist, können auch Überlegungen zur Optimierung der Steuerbelastung in die Gestaltung der Handelsbilanz einfließen und diese somit weiter von der Realität entfernen. Eine solche Überlegung wäre Vermögensgegenstände des Unternehmens für den privaten Gebrauch zu nutzen oder auch private Ausgaben als Aufwendungen innerhalb der unternehmerischen Tätigkeit steuerlich geltend zu machen. Dies hat zur Folge, dass für den externen Analysten nicht deutlich wird welche Vermögensgegenstände zur Geschäftsidee gehören und somit zum Erfolg beitragen. Ein weiterer Hauptbestandteil der Steueroptimierung ist die Abschreibungsmethode. So entsprechen die gesetzlich vorgegebenen Abschreibungsregelungen selten der Unternehmensrealität und unterscheiden sich signifikant von den tatsächlichen kalkulatorischen Abschreibungen eines Unternehmens, welche den wirklichen Wertverzehr durch die geschäftliche Nutzung abbilden.

Weitere Möglichkeiten zur Einflussnahme durch bilanzpolitische Maßnahmen auf das Erscheinungsbild des Unternehmens stellen die individuelle Wahl von Konsolidierungskreis (z.B. Banktöchter bei Automobilherstellern), unterschiedliche Aggregationsebenen (z.B. beim Umsatz im Mehr-Produktbetrieb) und unterschiedliche Festlegung geeigneter Wechselkurse in der Konzern-, wie auch der Einzelbilanz dar.

All diese gesetzlich gegebenen Wahlrechte erhöhen somit allgemein die Intransparenz des Jahresabschlusses. Auswirkungen auf das operative Ergebnis aber auch das Finanzergebnis ermöglichen dem Analysten in dieser Form keine realitätsnahe Beurteilung von Geschäftsmodell und Risikoumfang des Unternehmens.

1.5.1.3 Off-Balance-Sheet Aktivitäten

Zu den Off-Balance-Sheet Aktivitäten gehören alle Aktivitäten des Unternehmens, die anhand der einschlägigen Bilanzierungsstandards nicht in der Bilanz aufgenommen werden müssen und somit ein verzerrtes Gesamtbild des Unternehmens in der Bilanz selbst zeigen. Die wichtigsten dieser Aktivitäten sind:

  1. Pensionen
  2. Forderungsverkauf, z.B. durch Factoring/Forfaitierung/Asset Backed Securities (ABS)
  3. Eventualverbindlichkeiten/Garantien/Bürgschaften
  4. Finanzinstrumente wie bspw. Derivate/Versicherungen
  5. nicht konsolidierte Unternehmensteile

Diese Aktivitäten führen zu einem Verlust der Transparenz und erschweren die Vergleichbarkeit von Unternehmen für den Analysten erheblich. Das Management verfolgt durch diese Maßnahmen, wie oben erwähnt, eigene Interessen zur Selbstdarstellung aber auch eine individuelle Optimierung des Geschäftsmodells. So kann z.B. durch Off-Balance-Sheet Aktivitäten eine umfangreiche Investition getätigt werden, die ansonsten nur durch eine hohe Finanzierung und Erhöhung des Anlagevermögens (Aktiv-Passiv-Mehrung) möglich wäre ohne dabei eine sichtbare Bilanzverlängerung zu erzeugen. Hierdurch kann sogar oftmals eine Bilanzverkürzung herbeigeführt werden, die positiven Einfluss auf bestimmte Bilanzrelationen ausübt und das Unternehmen mit einer überproportionalen Leistungssteigerung darstellt. Diese Leistungssteigerung würde in der Bilanz den Anschein erwecken lediglich auf der Effizienz des UnternehAbschnitt 4.8 Bilanzrichtlinien-Umsetzungsgesetz – BilRUG