657-2_Cover.jpg

Titel der amerikanischen Originalausgabe Stepping Out of Self-Deception

Erschienen bei Shambhala Publications, Inc., Bosten MA, USA
www.shambhala.com

© 2010 by Rodney Smith

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt
von Maike und Stephan Schuhmacher

1. Auflage 2011

Vollständige EBookausgabe der im Windpferd Verlag erschienenen Erstausgabe Frei von Sekbsttäuschung

© 2010 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Oberstdorf

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Kuhn Communication Design, Amden (CH)

unter Verwendung von Illustration (123rf/Shutterstock)

Lektorat: Sylvia Luetjohann

Printed in Germany

ISBN 978-3-86410-217-2

www.windpferd.de

Inhalt

Vorwort

Danksagung

Einleitung

1 Mit dem Erwachen in Einklang

Täuschungen des Geistes

Das Potenzial des Laiendaseins aufdecken

Der Achtfache Pfad

Weise Sicht

Weise Absicht

Weise Rede

Weises Handeln

Weiser Lebensunterhalt

Weises Bemühen

Weise Achtsamkeit

Weiser Samâdhi

2 Die Ichempfindung

Ichlosigkeit

Die Entstehung der Ichempfindung

Die Überschneidung von Universen

Die Auflösung

3 Die Sicht der Verknüpftheit

Geschickte Mittel

Meditation und Weise Sicht

4 Die Verknüpftheit durch den Schmerz der Kontraktion finden

Symptom und Krankheit

Radikale Verantwortlichkeit

Die Umkehr des Anstoßes

5 Das Bekannte hinterfragen

Weise Fragen stellen

Die vertikale Frage

6 Ichlose Absicht

Primäre und sekundäre Absicht

Wert und Grenzen der sekundären Absicht

Vermischte Absichten und Sichtweisen

7 Das nötige Bemühen

Das Bemühen mit dem vertikalen Universum in Einklang bringen

Die vier Wege Weisen Bemühens

Entspannen

Loslassen

Preisgeben

Wiedervereinen

An unseren Bemühungen zweifeln

8 Von Sprache gefangene Sicht

Die Sprache der Evolution

Die Sprache des Jetzt

Vom weisen Gebrauch der Sprache

9 Handeln aus der Leere heraus

Drei Ausdrucksweisen verkörperten Handelns

Nicht zielgerichtetes Handeln

Handeln mit Integrität

Handeln, das alten Mustern entgegenwirkt

Unsere Wahrheit leben

Weises Handeln und Leere

10 Erwachen durch Lebensunterhalt, Stress und Zeit

Weiser Lebensunterhalt

Interesse an der Arbeit

Widerstreitende Werte

Zeit und Stress bei der Arbeit

Das Aufteilen der Zeit

Zeit und Unvollständigkeit

11 Das Bewusstsein von der Kontrolle des Ich befreien

Weniger Tun und mehr Sein

Achtsamkeit, die untrennbar vom Achtfachen Weg ist

12 Die Fälschung der Ichlosigkeit

Fälschungen des Geistes

Helfen als Fälschung des Dienens

Nettigkeit als Fälschung von Freundlichkeit

Ernsthaftigkeit als Fälschung von Aufrichtigkeit

Toleranz als Fälschung von Offenheit

Das Aufblühen des Herzens

13 Der ruhige Geist

Samâdhi und der interessierte Geist

Den denkenden Geist und den Emotionskörper erwecken

14 Die Auflösung des Paradoxes

Gegen das Paradox Stellung beziehen

Im Paradox ruhen

15 Reifes Erwachen

Reife

Von Eins zu Null

Endnoten

Hinweise zur Übersetzung

Anmerkungen des Übersetzers

Rodney Smith

Es gibt keine andere spirituelle Praxis als die, der Selbsttäuschung zu entkommen und nicht mehr darum zu ringen, spirituelle Zustände zu erlangen. Lass das einfach sein, denn es gibt keine andere Spiritualität.

Chögyam Trungpa Rinpoche,

Der Mythos Freiheit

Vorwort

Gelegentlich erscheint ein Buch, das unser Verständnis davon, wer wir sind und worum es in unserem Leben geht, erneuert. Frei von Selbsttäuschung ist ein solches Buch. Es ist einerseits eine wunderbar frisch und gut geschriebene Darstellung des Pfades des Erwachens, und es stellt andererseits manche der Vorstellungen, die wir uns auf dem Weg machen, infrage.

Ich kenne Rodney Smith seit vielen Jahren und er ist wohl am ehesten als ein buddhistischer Revolutionär zu beschreiben. Er gibt sich nicht mit formelhaften Ausdrucksformen der Lehren zufrieden, hat sich in den Kern des Erwachens vertieft und hat diese Freiheit inmitten unseres alltäglichen Lebens gefunden. Seine Leidenschaft für das Wachsein – genau jetzt – wird auf jeder Seite dieses bemerkenswerten Buches deutlich. Bei seiner Ergründung der Frage, was uns helfen kann, den Geist zu befreien, schöpft er aus seiner eigenen reichen Lebenserfahrung – als buddhistischer Mönch in Thailand und Indien, als langjähriger Direktor eines Hospizes, als liebevoller und engagierter Ehepartner und als langjähriger Lehrer.

Wollen wir die Selbsttäuschung hinter uns lassen, dann müssen wir aus dem Ich heraustreten, nicht nur in unseren weltlichen Beziehungen, sondern, was wohl noch wichtiger ist, in unseren spirituellen Bestrebungen. Rodney Smiths Lehren sind ein Spiegel für unseren Geist*; sie legen ihren Finger mit unmissverständlicher Klarheit auf die Stellen, wo wir uns selbst etwas vormachen, und weisen darauf hin, dass es jederzeit möglich ist, aufzuwachen. In diesem engagierten und von Herzen kommenden Buch geht es nicht darum, ein bisschen bequemer zu leben oder einige der rauen Kanten unserer Psyche zu glätten, obgleich auch dies geschehen kann. Es geht um die lebendige Unmittelbarkeit des Augenblicks, der, frei von jeglicher Selbsttäuschung, wach ist für die Wunder, die eine solche Freiheit mit sich bringt.

Joseph Goldstein

Barre, Massachussetts

September 2009

*

Zum Gebrauch des Begriffs „Geist“ siehe „Hinweise zur Übersetzung“. Weitere Anmerkungen des Übersetzers sind mit römischen Zahlen gekennzeichnet und finden sich bei „Anmerkungen des Übersetzers“.

Danksagung

Ich hatte das große Glück, Lehrern aus vielen Traditionen zu begegnen, die mich aus einem hartnäckigen Muster nach dem anderen hinausbugsiert haben. Für all ihre Anstöße verneige ich mich in tiefer Dankbarkeit. In Hinsicht auf dieses Buch verdienen zwei Lehrer besonderen Dank: Ajahn Buddhadassa, der mir meine Natur offenbarte, indem er auf die Natur zeigte, und Nisargadatta Maharaj, der es so schwierig machte, ihn zu ignorieren, dass ich mich ihm überantworten und ihn in mich einlassen musste. Andere, die sich unauslöschlich in mein Bewusstsein eingeprägt haben und sich direkt auf den Inhalt dieses Buches ausgewirkt haben, sind Jiddu Krishnamurti, Tulku Urgyen, Adyashanti und Eckhart Tolle.

Besonderer Dank gilt Joseph Goldstein und Narayan Liebenson Grady, die mir halfen, einige Aspekte des Dharma neu zu formulieren, und Guy Armstrong, der geduldig die Quellenangaben für mehrere Suttas (Sûtras) ausfindig machte.

Jedes Buch benötigt einen vertrauenswürdigen objektiven Leser, der das Geschriebene kritisieren kann. Ich hatte das Glück, Parker Huey zu haben, die das Manuskript akribisch las und immer wieder prägnante und taktvolle Kommentare beisteuerte. „Rodney“, pflegte sie zu sagen, „könntest du vielleicht in Erwägung ziehen, diese Stelle folgendermaßen … zu verändern?“ Wer könnte derart höflich vorgebrachten Vorschlägen schon widerstehen?

Einleitung

In den vergangenen fünfzig Jahren sind buddhistische Praktiken im Westen immer populärer geworden. Achtsamkeit wird mit Stressreduktion, erhöhter Abwehrkraft des Immunsystems, psychischem Wohlbefinden und tiefen Glückszuständen in Verbindung gebracht. In vielen Fällen wurde die Übung von Achtsamkeit vollkommen von den Lehren Buddhas abgekoppelt und zu einer eigenständigen kognitiven Therapieform zur Behandlung verschiedener geistiger Störungen von Depression bis hin zu Zwangsneurosen gemacht.

Das Konzept des Anattâ (skrt. anâtman)I, welches besagt, dass es kein dauerhaft bleibendes Ich beziehungsweise keine unsterbliche Seele gibt, bildet das Herzstück der buddhistischen Lehre, doch da wir im Westen die psychische Gesundheit dermaßen betonen, ist es vielleicht unvermeidlich, dass dieser wesentliche Aspekt der Lehre entweder heruntergespielt oder gar ausgespart wird. Leere steht schließlich im Gegensatz zu vielen unserer wichtigsten Werte, wie etwa der Eigenständigkeit, der individuellen Initiative sowie dem Streben nach Vergnügen. Wir wünschen uns die Zufriedenheit und das Glück, die der Buddha uns versprochen hat, aber mit einem vollkommen stabilen und intakten „Ich“.

Diese selektive Herangehensweise an den Buddhismus scheint es möglich zu machen, uns das Beste aus der östlichen und der westlichen Welt herauszupicken. Wir können die Techniken und Praktiken verwenden, die unseren unmittelbaren Zwecken dienen, ohne die spirituellen Fragen stellen zu müssen, die unsere Existenz betreffen. Das Tolle daran ist, dass die Methoden funktionieren und die größere Achtsamkeit intensive und wohltuende Auswirkungen sowohl auf unsere geistige Gesundheit wie auch auf unser alltägliches Wohlbefinden hat.

Die Geschichte fände hier ein glückliches Ende, wenn es nicht einen Haken dabei gäbe, den Dharma (die Lehren Buddhas) derart zurechtzustutzen. Im Äußeren sehen wir, wie die Umwelt der Erde vor unseren Augen kaputtgeht, wie die Bevölkerungszahl emporschnellt und wie unsere natürlichen Ressourcen abnehmen. Wir sehen, wie beispiellose Gier und Aggression auf einem ständig schrumpfenden Planeten zu immer größeren Spaltungen führen. Zu einer Zeit, in der die Welt nach Freundlichkeit und Mitgefühl hungert, sehen wir, wie Kulturen ihr altes Gezänk fortsetzen und dabei ihr gemeinsames Erbe vergessen.

Innerlich bestehen unsere Probleme ebenfalls weiter. Wir leiden und verstehen nicht, woran. Angst, Begehren und Kummer erfüllen unser Leben. Unsere ausgefeilten psychologischen Methoden sollten unsere Probleme eigentlich lösen, aber all die Therapien und Selbsthilfemethoden scheinen unsere Isoliertheit und Getrenntheit nicht mindern zu können. Wir würden gern Mitgefühl für alle Wesen empfinden, aber unsere eigenen Probleme nehmen uns so sehr in Beschlag, dass wir wenig Zeit haben, andere in unser Herz mit aufzunehmen. Wir versuchen diese Mängel durch mehr sozial engagierte Aktivitäten zu kompensieren, stellen jedoch fest, dass unsere Motivation oft auf Rechthaberei beruht, welche die Welt weiter aufspaltet.

Durch all unsere Techniken und Behandlungsmethoden hindurch bleibt die Ichempfindung der Eckpfeiler unserer Existenz. Wenn wir unsere Erfahrung betrachten, scheinen wir der Mittelpunkt des Universums zu sein. Alle Erfahrungen scheinen unseren zentralen Platz im Leben zu bestätigen und jede Wahrnehmung wird durch die Brille des Ich betrachtet. Wir hören von der verderblichen Macht des Ego, scheinen jedoch unfähig zu sein, diese allgegenwärtige Ichempfindung abzuschütteln. Die Autorität des Ich scheint absolut zu sein und die meisten von uns beugen sich letztlich seiner Herrschaft. So üben wir denn den Dharma, indem wir die Ichempfindung im Herzen unserer spirituellen Entwicklung mit uns tragen.

Viele von uns verbinden mit ihrer Praxis ein freundlicheres und sanfteres spirituelles „Ich“, das im Gegensatz zu dem weltlichen „Ich“ steht, dem uns Probleme bereitenden Zwilling, der einer Therapie bedarf. Wir spielen dann das vertraute Spiel von „Teile und herrsche“ und nehmen mit unseren spirituellen Idealen den Kampf gegen unsere weltlichen Reaktionen auf. Doch dem Ego nur verschiedene Namen zu geben, so erkennen wir schließlich, führt lediglich dazu, seine umfassende Kontrolle noch zu verstärken, was unausweichlich zu größerem Leiden und größerer Feindseligkeit führt.

Einige von uns folgen dem Weg der Weisheit und es gelingt ihnen, den Einfluss des Ego zu schwächen, sodass sie einzigartige Einsichten in die Substanzlosigkeit des Ego erfahren, aber sie können aus diesen Offenbarungen zurückkehren, ohne dass Macht und Stärke ihres „Ich“ wesentlich vermindert wurden. Das Ego bringt es fertig, auf seinen eigenen Untergang Bezug zu nehmen, indem es sagt: „Oh, ich habe gerade eine Erfahrung meiner eigenen Leere gemacht.“ Ganz gleich, was wir tun, ganz gleich, wie viele Einsichten in unsere wahre Natur wir gewinnen, wir scheinen die Welt noch immer um die Grundprämisse herum zu organisieren, die da lautet: „Ich“ bin hier drinnen und sehe nach draußen auf alles Übrige.

Irgendwann realisiert ein den Dharma Übender, dass seine innere Welt von abstrakten Diskussionen angefüllt und die äußere Welt von Konflikt und Kampf belastet bleibt, solange das „Ich“ die treibende Kraft hinter Gedanken und Emotionen ist. Wir beginnen zudem zu verstehen, dass die Ursache unseres Leidens nicht in dem liegt, was wir tun, sondern in der Weise, wie wir wahrnehmen, und solange wir mit diesem Hindernis nicht fertig werden, wird alles, was wir mit Körper, Rede und Geist tun, unweigerlich unsere alten Wahrnehmungen von Ich und anderen, Problem und Lösung, Einschränkung und Freiheit verstärken.

Spirituelle Praxis heißt, der vermeintlichen Realität des „Ich“ zu entfliehen, indem man begreift, was das „Ich“ ist, und seinen ständigen Fixierungen Energie entzieht. Der Buddha stellte die Verwirklichung und Integration von Anattâ in den Mittelpunkt seiner Lehren. Wir besitzen keine getrennte Existenz; das ist eine Tatsache. Wenn wir all unsere Praktiken und Bemühungen auf diese Tatsache hin ausrichten, wird der spirituelle Weg recht einfach und transformiert alles, was wir tun. All die Klöster, Entsagungen, Beschränkungen, geschickten Mittel, Lotos-Sitzhaltungen und alles Richten der Aufmerksamkeit auf die Nasenspitze haben nur diesen einen Zweck. Ein wesentlicher Punkt wird sich in immer neuen Ausdrucksformen durch das ganz Buch ziehen, und der ist, dass wir sehr aufpassen müssen, die Annahme der Getrenntheit nicht in unsere Praktiken hineinzutragen, die den ausdrücklichen Zweck haben, die Selbsttäuschung hinter sich zu lassen. Tun wir das, werden wir die Konditionierung durch unser Ego nur noch verstärken und uns von der Freiheit Buddhas entfernen.

Meine frühe Praxis war noch stark von diesem Widerspruch geprägt. Mein Herz strebte ernsthaft nach der Wahrheit, aber ich hielt die Verwirklichung von Freiheit für einen sehr langen und mühseligen Prozess, der zielgerichteter Entschlossenheit und harter Arbeit bedurfte. Meine Bemühungen richteten sich darauf, mich selbst zu überwinden. Mein „Ich“ war das Problem und „ich“ wollte mittels Anstrengungen „mein“ Problem lösen. Meine Lehrer sprachen häufig von mehreren Leben, die notwendig seien, um zum Erwachen zu gelangen, und der langen Kultivierung geistiger Qualitäten, von denen die Freiheit abhinge. Ich stellte mir Freiheit als etwas vor, auf das ich hinarbeitete, das aber jetzt nicht erreichbar war.

Nach einigen Jahren strengen Rückzugs ließ ich mich zum buddhistischen Mönch ordinieren und begab mich im Januar 1980 auf eine Pilgerreise nach Bombay in Indien, um den berühmten Weisen Nisargadatta Maharaj aufzusuchen. Ich hatte ihn einige Jahre zuvor durch sein Buch Ich bin kennengelernt. Nachdem er mich einige Tage lang immer wieder wegen meines Haftens am Mönchsdasein gehänselt hatte, sagte er: „Sie sind wie ein Mann, der eine Taschenlampe hält und versucht, über deren Lichtstrahl hinaus zu laufen. Die Sichtweise, mit der Sie die von Ihnen verwendeten Methoden ausüben, unterminiert Ihre Absicht.“ „Sie verstehen den Buddhismus nicht“, erwiderte ich. „Sie verstehen die Wahrheit nicht“, entgegnete er.

Ich wollte recht behalten, aber er hatte recht, und seine Botschaft traf ins Schwarze. Ich saß vor ihm, präsentierte meine buddhistische Tradition, verteidigte meine Meditationserfahrungen und beharrte auf meiner spirituellen Ausrichtung. Er zeigte in eine Richtung, in die ich noch nicht gegangen war und in die ich auch nicht sehen wollte. Es war, als sprächen wir verschiedene Sprachen. Im Laufe der Zeit verlor ich jedoch meine Arroganz und meine Identifikation mit den buddhistischen Roben und fand mich entblößt und ungeschützt wieder. Während einer unserer Sitzungen kam es zu einer Wandlung, und ich sah die Bodenlosigkeit, auf der er stand. Dies veränderte meine Auffassung vom Buddhismus für immer und die Möglichkeiten der Lehre reichten auf einmal weit über den begrenzten Horizont hinaus, den ich mir zuvor gesetzt hatte.

Indem Nisargadatta direkt auf die Wahrheit zeigte, zerstörte er meine spirituelle Struktur und Ausrichtung sowie meinen Orientierungsrahmen. Als diese weggefegt waren, erwachte mit einem Aufwallen von Energie etwas, das sich unmöglich eindämmen ließ. Es explodierte nach außen und offenbarte mir, wohin der Buddha zeigte. Der Weg, den Nisargadatta mir wies, war kein Suchen, sondern ein Finden, kein Kämpfen, sondern ein Verweilen, keine Schulung, sondern etwas, das allem innewohnte. Ich hatte mich dem Geist der ausdauernden Übung verpflichtet gefühlt, nicht aber der Essenz, nicht der unmittelbar verfügbaren natürlichen Freiheit. Aus diesem Blickwinkel gesehen gab es viel zu viel Methodik in dem Buddhismus, den ich praktiziert hatte, und nicht genug Freiheit.

Je nachdem, wie wir ihn anwenden, kann der Achtfache Pfad Buddhas entweder auf der Ichempfindung aufbauen oder sie niederreißen. Wenn er im Einklang mit seinen inneren Prinzipien ist, erscheint der Pfad wie ein vollkommen geschliffener Diamant, bei dem jede Facette zur Schönheit des Ganzen beiträgt. Nach meiner Begegnung mit Nisargadatta wurden die Lehren Buddhas in ihrer Schlichtheit und Eleganz atemberaubend. Der ganze Pfad steht, und stand schon immer, offen. Längere Klausuren oder Unterhaltungen beim Abendessen hatten den gleichen Bezugspunkt. Es gab nichts, das im Konflikt mit seinem Gegenteil stand. Jede Übung und Handlung hatte ihren richtigen Ort und ihre angemessene Zeit, widersprach jedoch nicht dem oder verstärkte das, was bereits vorhanden war. Alles war ein vollkommener Zusammenhalt, und jede Bewegung entstand aus dieser Vollkommenheit.

Damit fing ich an, den Laienbuddhismus zu verstehen. Ein Laienbuddhist ist jemand, der sein gesamtes Leben in Arbeit, Familie und Beziehungen ganz und gar verkörpert, ohne einer der Aktivitäten spirituell einen höheren Wert beizumessen. Aus dieser Perspektive gesehen sind alle Augenblicke gleichermaßen kostbar, und ob wir nun formelle Meditation in Klausur üben oder uns in gewöhnlichen Momenten unseres Laienlebens befinden mögen, die Freiheit wird niemals gemindert. Die vorbehaltlose Entschlossenheit, uns nicht von dort, wo wir sind, fortzubewegen, ist wesentlich. Haben wir den Glauben, es gäbe einen spirituell nützlicheren Augenblick als denjenigen, in dem wir uns jetzt gerade befinden, erst einmal fallen gelassen, dann haben wir das ganze Leben angenommen und es mit der Energie des Erwachens durchtränkt.

Ich glaube, es ist ganz gesund, den Buddhismus von Zeit zu Zeit abzustauben, zeitgemäße Fragen zu stellen und zu sehen, wie er darauf antwortet. Will er relevant sein, muss er in der jeweiligen Zeit lebendig und im Rahmen seiner unvergänglichen Wahrheiten flexibel sein, um eine Antwort auf die gegenwärtigen Ausdrucksformen des Schmerzes liefern und den bestehenden Umständen des Übenden begegnen zu können. Obwohl ich die buddhistischen Lehren über viele Jahre unmittelbar erfahren habe, bin ich kein buddhistischer Gelehrter, noch neige ich zu spitzfindigen Unterscheidungen zwischen einzelnen philosophischen Standpunkten. Ich schränke meine Worte oder Vorstellungen nicht nur auf „das, was der Buddha sagt“ ein, als könnte die buddhistische Tradition nur eine Interpretation bestimmter Vorstellungen umfassen. Dieses Buch wurde als pragmatischer Führer für Praktizierende geschrieben, die mehr an der Freiheit interessiert sind, die Buddhas Botschaft enthält, als an ideologischer Reinheit.

Es ist zwar so, dass wir die Einheit aus den Augen verlieren, doch sie verlässt uns niemals. In diesem Buch geht es darum, wie wir die Sicht der Einheit wiedergewinnen und Anattâ in unser Leben integrieren können. Als ich mich 1983 zum letzten Mal von meinem Heimatkloster Wat Suan Mok verabschiedete, sagte mein Lehrer Ajahn Buddhadassa zu mir: „Lehre Anattâ und scheue dich nicht, die Menschen aufzurütteln.“

1 Mit dem Erwachen in Einklang

Komme zum Ursprung der Wurzel deines Ich.

Rumi

Was erwarten wir von unserer spirituellen Praxis und wie definieren wir deren Ziel? Benutzen wir die richtigen Methoden und Techniken, um die gewünschten Resultate erzielen zu können? Viele von uns sind so eifrig bemüht, loszulegen und in den Genuss der viel gerühmten Wohltaten der Achtsamkeit zu kommen, dass diese tieferen Fragen außer Acht gelassen werden. Doch die Richtung, die wir einschlagen, und die Mittel, die wir benutzen, werden unsere Praxis von Anfang bis zum Ende grundlegend lenken.

Schon wenn wir uns zum ersten Mal zur Kontemplation über unsere spirituelle Absicht und Ausrichtung hinsetzen, wird deutlich, dass in alles, was wir tun, sofort Gedanken eindringen und die Stille, die wir für so leicht erreichbar hielten, stören. Wie wir unser letztes Ziel und unsere Ausrichtung definieren, wird die Weise, auf die wir mit diesen Gedanken arbeiten, unmittelbar beeinflussen. Wenn wir uns zum Beispiel Gemütsruhe wünschen, dann nehmen wir an, dass die Gedanken im Gegensatz zu der Ruhe stehen, die wir suchen, und wir werden nach dem Frieden eines gedankenfreien Geistes streben. Geht es uns jedoch darum zu verstehen, was der Geist ist und wer wir darin sind, dann möchten wir die Natur des Denkens, was es ist und wie es uns antreibt, beobachten. Während wir vorwärtsstreben, stellen wir außerdem fest, dass, je mehr wir uns bemühen, unsere Gedanken zu eliminieren, umso mehr Gedanken aus dieser Anstrengung entstehen, und dass umgekehrt unser Geist umso ruhiger wird, je mehr wir unsere Gedanken beobachten und den Geist verstehen.

Während wir die Natur des Geistes kennenlernen, müssen wir in unserer Ausrichtung und Zielsetzung offen für Veränderung sein. Wie das oben angeführte Beispiel zeigt, mögen wir mit einer Ausrichtung beginnen, doch den Kurs ändern, während wir die Prinzipien, die den Geist beherrschen, beobachten. Diese Prinzipien unterscheiden sich erheblich von den Standards, denen wir im alltäglichen Leben folgen, und wenn wir störrisch nur danach streben, das von uns gewünschte Ergebnis zu erhalten, wird dieses Bemühen sicherlich frustriert werden. Bei jedem Auftreten eines Hindernisses in unserer Praxis müssen wir zuerst einen Schritt zurück tun und die Gesetzmäßigkeiten dieses Hindernisses begreifen, bevor wir weitergehen können. Schließlich werden wir erkennen, dass dieses Zurücktreten der Weg nach vorn ist.

Wir können uns dem Geist nicht herzlos nähern, wie wir es bei vielen weltlichen Angelegenheiten tun, denn die Weise, wie wir die Sache angehen, und die Methodik, die wir benutzen, haben eine bestimmte Auswirkung auf das, was wir suchen. In den Geist einzutreten ist in erster Linie eine Entdeckungsreise, und Entdeckung erfordert Einfühlungsvermögen, Bewusstheit, Urteilsvermögen und ein allgemeines Interesse an der Dynamik des Geistes. Können wir zuerst die Gesetze verstehen, die den Geist beherrschen, und auch, wer wir innerhalb all der Kommentare des Geistes sind, dann wird sich der Weg zu unserem Ziel vielleicht abzeichnen.

An jedem geistigen Scheideweg lauern potenzielle Täuschungen, die uns verwirren und unser Fortschreiten behindern können, und unsere spirituelle Reise muss uns durch dieses Minenfeld mentaler Fallen und Fallstricke hindurchführen, sodass wir diesem Blendwerk auf die Schliche kommen. Eine solche Reise in das Innere unseres Geistes verlangt von uns leichtes Gepäck, vorsichtiges Auftreten und extreme Wachsamkeit. Wie ein Grubenarbeiter schnallen wir den Lichtstrahl unserer Aufmerksamkeit auf unseren Helm und stürzen uns in die Dunkelheit unseres Bewusstseins, wobei wir unsere Meinungen beiseitelassen und jede Erfahrung ganz unvoreingenommen betrachten.

Die erste Frage, die sich stellt, ist, ob es möglich ist, den Geist zu beobachten, ohne daran zu denken, was wir sehen – sozusagen an einem neutralen Ort Posten zu beziehen, wo wir still mit der dafür notwendigen Unparteilichkeit beobachten können. Wir können nicht verstehen, was etwas wirklich ist, solange wir es nicht frei von den Einmischungen unserer Gedanken mit ihren Geschichten betrachten können, und der Geist bildet da keine Ausnahme. Um diese Frage beantworten und die Täuschungen, die uns erwarten, verstehen zu können, müssen wir tief in die Natur des Geistes und des Menschen, der da beobachtet, eindringen.

Täuschungen des Geistes

Der denkende Geist ist nicht unser Feind; er ist im Grunde ein für das Funktionieren in der Welt lebenswichtiges Organ, aber seine Macht ist übermäßig groß und wird zudem missbraucht. Wenn wir uns umsehen, erkennen wir sofort, welchen Wert das Denken für die vielen Erfindungen und Annehmlichkeiten hat, die es der modernen Welt beschert hat. Der Verstand ist ein wunderbares und wesentliches Werkzeug zur Steuerung des Lebens, und über weite Strecken unserer Evolution war es auch das perfekte Organ zur Gewährleistung unserer Sicherheit. Wenn der Verstand einen Löwen sich nähern sah, vermochte er den Löwen von einem Baum zu unterscheiden und einen Ablauf von Handlungen in Gang zu setzen, um hin zu dem einen und weg von dem anderen zu rennen.

Das Problem besteht darin, dass wir diese Kampf-Oder-Flucht-Strategie verinnerlicht haben und Löwen sehen, wo überhaupt keine sind. Wir haben uns vom Leben zurückgezogen, indem wir eine Reihe mentaler Grenzen gezogen haben, die uns vor inneren und äußeren Raubtieren schützen sollen. Diese Grenzen haben wir uns selbst auferlegt und durch Gedanken geschaffen, weil der Verstand noch immer annimmt, dass der Organismus bedroht sei. Eine dieser Grenzen wurde zwischen dem Organismus und der äußeren Umgebung errichtet, eine andere trennt unseren Körper vom Geist, und noch andere bilden Begrenzungen innerhalb des Geistes, die das „Bild von mir“ von mentalen Eigenschaften, die für unser Selbstbild nicht akzeptabel sind, abtrennen. All dies ist imaginär, aber wir haben uns in einer Ecke unseres Geistes eingerichtet, und wir empfinden Stress und Spannungen, die mit der Aufrechterhaltung dieser Abschottungen in Zusammenhang stehen.

Das Denken hat unser Leben in Beschlag genommen, und es ist hilfreich zu begreifen, wie es dazu gekommen ist. Wenn wir mit dem Rohmaterial beginnen, aus dem sich der Geist zusammensetzt, sehen wir, dass unsere Sinne die Daten liefern, die wir zum Unterscheiden, zum logischen Denken und letztlich zur Reaktion auf die Welt benutzen. Im Geist treffen die verschiedenen Sinneswahrnehmungen zusammen und er organisiert die Daten in verständliche Bits, indem er das Gedächtnis als Schablone zur Wiedererkennung und Orientierung benutzt. Wir gehen voran, indem wir wissen, was in der Vergangenheit geschehen ist. Wissen ist die Sicherheitsformel des Geistes und er geht nur im Rückgriff auf seine Geschichte voran. Dieses Wissen schränkt uns auf eine feste Beziehung zu den Objekten ein, was, wie wir in den späteren Kapiteln sehen werden, das Heilige verschleiert.

Auch wenn es für den Geist eine biologische Notwendigkeit ist, den Organismus von der Umgebung zu trennen, entspricht diese Trennung nicht der Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass alle Dinge auf eine Weise miteinander verbunden sind, die zu erfassen unser Geist nicht fähig ist; deshalb können wir ihn nicht dazu verwenden, um zu beurteilen, was letztlich wahr ist. Er reagiert in Übereinstimmung mit seiner Organisation der Daten und denkt daher in Kategorien von Getrenntheit. Da der Geist zudem nur ein Teil der Wahrheit aller Dinge ist, ist er nicht in der Lage, die Wahrheit durch die Pforten der Sinneswahrnehmung zu erkennen. Der Geist verwendet die Sinne, um Objekte zu externalisieren, und nimmt „Gott“ daher als etwas wahr, das sich außerhalb seiner selbst befindet. Wir können nicht im selben Augenblick die Wahrheit sein und die Wahrheit wahrnehmen.

Der unvermeidliche Fallout dieser mentalen Neustrukturierung der Realität ist der Glaube an ein getrenntes Ich, das durch diese Neustrukturierung gebildet wird und das Subjekt dazu verleitet zu glauben, es gäbe eine Realität außerhalb von ihm selbst. Ist das „Ich“ erst einmal aufgebaut, beginnen wir die Dinge so zu arrangieren, dass sie unseren Wünschen und Ängsten entsprechen, und reagieren dann so auf die Realität, als ließe sie sich unseren Bedürfnissen und Wünschen anpassen. Dies ist der Punkt, an dem die Hölle losbricht, denn Realität ist nicht geteilt, und wenn wir auf die Realität reagieren, als seien wir getrennt von ihr, schafft dies den Schmerz und das Leiden der Welt.

Das grundlegende Prinzip, an das wir uns erinnern müssen, wenn wir den spirituellen Weg einschlagen, ist, dass „wir“ keinen Geist „haben“. Der Geist hat das Gefühl von „Du“ und „Ich“ durch seine Weise geschaffen, wie er die Wirklichkeit wahrnimmt. Die Wahrheit ist, dass der Geist „uns“ in sich enthält. „Wir“ sind nicht die Besitzer des Geistes, und der Geist ist nicht etwas, das uns widerfährt, so als würden wir von außen auf etwas in unserem Inneren schauen. „Wir“ sind ein Teil der mentalen Verarbeitung des Geistes. Die Gedanken des Geistes und die Ichempfindung sind nicht zwei verschiedene Dinge. „Wir“ existieren lediglich, weil der Geist uns in die Schöpfung denkt.

Was sich aus dieser Wahrheit ergibt, hat immense Auswirkungen auf unsere spirituelle Praxis. Eine Erfahrung wird durch die Sinne vom Geist empfangen, das „Ich“ reagiert auf die Informationseingabe und ringt damit. Da die Ichempfindung nur aus Gedanken, Emotionen und mentalen Phänomenen besteht, ist das Bemühen, Kontrolle über eine Erfahrung zu erlangen, das „Ich“ des Geistes, wie es gegen die Interpretation ankämpft, die es den Daten selbst gegeben hat. Jeder Willensakt, einschließlich aller Bemühung, Kontrolle, Vermeidung, Verleugnung und allen Widerstands, ist eine innere Reaktion auf die Bedeutung, die der Geist dieser Erfahrung beigelegt hat. Wenn sich der Geist auf die Seite seiner Reaktion auf seine Interpretation stellt, drängt er diese Erfahrung nach außen, als etwas, das ihm zustößt. Je mehr der Geist versucht, durch Willenskraft ein Gleichgewicht herbeizuführen, desto unversöhnlicher wird der Zwist zwischen seiner Reaktion und der beigelegten Bedeutung – zwischen „Ich“ und der Welt da draußen. Er hält sich für getrennt und schneidet sich selbst von der Welt ab, indem er innerlich mit seinen eigenen Prozessen ringt.

Wenn wir glauben, entweder von der Erfahrung oder vom Geist, der erfährt, getrennt zu sein, werden unsere Bemühungen die Trennung von „Welt“ und „Ich“ verschärfen. An diesem kritischen Punkt entwickeln sich zwei verschiedene Stile spiritueller Praxis. Wenn wir denken, wir befänden uns außerhalb des Geistes, der eine schwierige Erfahrung macht, werden wir das Problem zu lösen suchen, indem wir Anstrengungen unternehmen und danach streben, das Problem von außen nach innen zu lösen. Wir werden uns verhalten, als sei die Ichempfindung von dem Geist, der die Schwierigkeiten hat, getrennt. Wir werden den Geist tatsächlich weiter in getrennte und miteinander konkurrierende Gebiete aufteilen, womit wir sicherstellen, dass das Kernproblem einer isolierten und abgetrennten Ichempfindung aufrechterhalten bleibt. Wenn an diese Sichtweise geglaubt und nach ihr gehandelt wird, dann wird alles andere in unserem Leben von dieser Warte aus gesehen und die Getrenntheit wird alle Situationen von Grund auf bestimmen.

So schleppt denn auch die spirituelle Reise dieses Paradox von Anfang bis Ende mit sich herum. Wir gehen aus von dem geteilten Geist, der der Organisator und Lenker dieser Suche ist und der gleichzeitig das Leiden schafft, welches er zu überwinden sucht. Wie ein geschickter Zauberkünstler benutzt der geteilte Geist Kunststückchen, um den Eindruck zu erwecken, die Reise verliefe erfolgreich, während er das wahre spirituelle Hindernis der Selbsttäuschung unangetastet lässt. Der Geist beharrt hartnäckig darauf, genau dieses Problem der Dualität als spirituelle Lösung zu benutzen, um Einheit zu erlangen.

Wenden wir das genannte grundlegende Prinzip an, dann können wir auch erkennen, dass eine klug ausgerichtete spirituelle Praxis dem Geist gestattet, ungeteilt zu sein. Da der Geist eins ist, wenn man ihn in Ruhe lässt, besteht die einzige Arbeit, die von „uns“ verlangt wird, darin, nicht mehr Partei zu ergreifen. Ohne unseren Kommentar wird nicht länger ein Teil des Geistes gegen einen anderen ausgespielt, und wenn er ganz, heil oder eins ist, kann der Geist nicht leiden. Ohne den Widerstand und die Verdunkelung, die durch die konkurrierenden Beziehungen zwischen den zwei Hemisphären verursacht werden, wird eine neue Dimension zugänglich. Nichtwiderstand beendet auch die Vorherrschaft des „Ich“, denn das „Ich“ baut auf dieser Streitsüchtigkeit auf. Sobald der Geist durch die Beendung der inneren Auseinandersetzung ganz wird, implodieren die Ichempfindung, der Geist und alle äußeren Objekte zu einer untrennbaren Einheit. Ein Geist, der eins ist, umfasst alle Dinge und ist von ihnen nicht zu unterscheiden. Dies ist das Ende des Leidens und letztlich die in Buddhas Lehren verheißene Freiheit. Ein ähnlicher Zug findet sich im Christentum, wenn Jesus in Matthäus 5:48 sagt: „Darum sollt ihr eins sein, gleichwie euer Vater im Himmel eins ist.“II

Dieses Prinzip des ungeteilten Geistes ist für eine Wandlung unseres Verständnisses grundlegend und wirkt sich auf alle Bereiche unserer spirituellen Praxis aus. Wenn der Geist in eine weise Richtung arbeiten soll und wir die Fiktion der Dualität durchschauen wollen, dann muss der ganze spirituelle Weg von Anfang bis Ende um diese Wahrheit herum organisiert werden. Wenn unser Geist mit der Vorstellung, die Ichempfindung befände sich außerhalb des Geistes und habe den Anspruch, den Geist zu besitzen, eine unweise Richtung einschlägt, dann werden all unsere Bemühungen einfach nur die vom Geist geschaffene fälschliche Wahrnehmung der Getrenntheit verstärken.

Wenn wir den ungeteilten Geist im Licht unserer Praxis betrachten, erkennen wir unmittelbar, wie er alles, was wir tun, bestimmt. Das Prinzip des ungeteilten Geistes beinhaltet, dass es sinnlos ist, dem Geist zu widersprechen, und dass nichts ausgeschlossen oder vermieden werden kann. Je mehr wir versuchen, eine Erfahrung zu vermeiden, desto mehr gewährleisten wir, dass sie zurückkehrt. Wir können nicht entscheiden, was in den Geist kommt und was nicht. Wir können nur alle Einschränkungen fallen lassen und alle Umstände und Erfahrungen willkommen heißen. Gibt es Kommentare oder eine Neigung hin zu oder weg von einer bestimmten Erfahrung, wird die Ichempfindung ihre Parteilichkeit wieder aufnehmen und der Geist wird aufgespalten in das, was er ist, und das, was er will.

Wir können keinen Teil von uns selbst hinter uns lassen. Wir müssen die Gesamtheit des Geistes annehmen, oder wir werden ein zersplittertes Bewusstsein haben, das unablässig versuchen wird, sich mittels weiterer Unterteilungen einen Weg aus der Aufteilung herauszubahnen. Außerdem können wir uns nicht selbst in den Prozess einbringen, weil das nämlich hieße, die Vorstellung, dass wir von dem beobachteten Geist verschieden sind, aufrechtzuerhalten. Und schließlich können wir unseren Weg zur Freiheit nicht durch Strategien finden. Freiheit ist nicht etwas, das wir selbst herstellen könnten. Wir müssen die Kontrolle Kräften überantworten, die nicht unsere eigenen sind.

Hier ist nicht einfach nur von Wohlfühlprinzipien oder Strategien für die Praxis die Rede. Es geht um eine Grundlage für unsere Praxis und unser Leben in der Wahrheit unseres Seins. Die Wahrheit soll einen Kanal erhalten, durch den sie sich manifestieren kann, wenn unsere Praxis nach ihren Prinzipien angelegt ist, und Freiheit kann nur dann aufsteigen, wenn all unsere Energien auf dieses Ziel ausgerichtet sind. Diese Prinzipien sind aus einer erwachten Dimension abgeleitet, und wollen wir diese Dimension betreten, so bedeutet das häufig, dass wir erst einmal nach ihren Regeln leben müssen, bevor wir zu ihren Wahrheiten erwachen können. In den weiteren Kapiteln wird all dies noch eingehender erörtert, aber dieser wichtige Punkt musste zuvor unterstrichen werden. Wenn das Ziel unserer spirituellen Ausrichtung die Freiheit des Buddha ist, so hängt ihre Verwirklichung davon ab, ob wir bei jedem Schritt auf dem Weg in Einklang mit der Wahrheit unserer Natur in Körper, Rede und Geist sind. Es ist, wie Nisargadatta Maharaj 1980 zu mir sagte: „Wenn du weiterhin versuchst, den Buddha durch individuelle Anstrengungen zu finden, wird er immer mehr vor dir zurückweichen.“

Das Potenzial des Laiendaseins aufdecken

Der Verwirklichung des Potenzials, das im Leben des Laienbuddhisten steckt, stehen drei Einstellungen im Wege. Die Erste ist der Glaube, das Mönchstum und lange Klausuren stellten den einzigen Weg dar, auf dem man seine eigene Natur verwirklichen könne. Die Klöster Asiens haben lange als zentrale Schulungsstätte für nach Befreiung strebende Praktizierende des Buddhismus gedient, und da dieser über so lange Zeit innerhalb einer monastischen Tradition überliefert wurde, entstammen viele seiner Ausdrucksformen dieser formellen Kultur. Heute, da der Buddhismus in den Westen kommt, spielen die Klöster eine zunehmend geringere Rolle in der Schulung und Lehre des Buddhismus. Ihren Platz haben Klausurzentren für die stille Meditation eingenommen. Der buddhistische Laie im Westen nimmt häufig an intensiven Schulungen in Klausuren statt, die von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten dauern können, ähnlich wie seine Vorgänger in den Klöstern es in den vergangenen Jahrhunderten getan haben. All dies hat der Vorstellung Vorschub geleistet, dass ein stilles, zurückgezogenes Leben für die buddhistische Schulung von zentraler Bedeutung sei.

Nur für wenige Menschen ist es jedoch der richtige Weg, als Mönch zu leben oder viele Jahre in Klausur zu verbringen. Jeder Einzelne von uns besitzt seine einzigartigen spirituellen Anlagen, die ihn zur Freiheit hin ziehen. Problematisch wird es, wenn wir in Hinsicht auf unseren Weg auf andere hören oder glauben, wir „müssten“ etwas tun, nur weil andere es in der Vergangenheit getan haben. Spirituelles Wachstum ist eine Feinabstimmung unseres Ohres auf die Bedürfnisse unseres Herzens.

Was dieses Verständnis in vielen von uns verschleiert, ist die Vorstellung, dass stiller Rückzug den Vorrang vor anderen Ausdrucksformen des Lebens haben sollte. Wenn wir glauben, wir befänden uns nicht dort, wo wir für das spirituelle Wachstum sein sollten, dann geben wir dem alltäglichen Leben eine zweitrangige Bedeutung. Wir steigen energetisch aus unserem spirituellen Leben aus und warten auf den geeigneten Augenblick in der Zurückziehung, um uns vollkommen zu engagieren. Jegliche Neigung hin zu einer Erfahrung oder weg von ihr erzeugt die Erwartung einer Erfüllung in der Zukunft, und das Heilige, das hier und jetzt vorhanden ist, geht verloren. Das Heilige in allen Augenblicken zu entdecken ist jedoch das Markenzeichen des Erwachens.

Wir empfinden unseren Alltag oft als eine Ablenkung von unserer spirituellen Intention. Wo dies der Fall ist, wird das Leben in heilig und profan aufgeteilt, und der Geist spielt ein Konzept gegen das andere aus. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, modelliert der Glaube die Realität, und wenn wir den Glauben aufrechterhalten, das Heilige läge irgendwo anders als im Jetzt, wird unser spirituelles Leben von dieser Einschränkung beherrscht. In Wahrheit ist die Ichempfindung nicht von dem Augenblick, in dem sie auftaucht, getrennt – genauso wenig, wie sie sich außerhalb des Geistes befindet, den sie zu besitzen glaubt. Begreifen wir, dass der Geist ungeteilt ist, so heilt das in der Tat auch die dualistische Vorstellung eines außerhalb des Augenblicks vorhandenen „Ich“.

Wir dürfen das völlige Annehmen des Augenblicks nicht hinausschieben, denn das hieße, die Aufteilungen innerhalb des Geistes, zwischen Geist und Körper und zwischen dem Organismus und seiner Umgebung aufrechtzuerhalten. Alle Aufteilungen sind Versuche, uns von der Wahrheit dessen, was genau hier ist, abzusondern. Wenn der wahrhaft Übende das versteht, kann es kein Zögern, kein Aufschieben, kein Zurückziehen und kein Warten auf den rechten Augenblick mehr geben. Es geht buchstäblich um „jetzt oder nie“.

Durchbrechen wir dieses Zögern, so kann die geistige Energie in den Augenblick einfließen und unser gewöhnliches Dasein in das Heilige transformieren. Plötzlich findet sich der Buddha inmitten von Beziehungen, Arbeit und Familie – in allen Aktivitäten, Reaktionen, Gedanken und Gefühlsreaktionen. Nichts steht außerhalb des Jetzt, weil keine Grenzen gezogen werden, die das Jetzt vom Dann trennen. Die Botschaft Buddhas ist an allen Orten zu allen Zeiten gleichermaßen relevant. Solange wir dies nicht vollkommen realisiert haben und solange wir noch danach streben, dieser Umgebung zugunsten besserer spiritueller Umstände zu entfliehen, solange werden wir weiter leiden.

Die zweite Behinderung der Entfaltung des Laienbuddhismus ergibt sich aus einem Missverständnis der Lehren über den mit großer Ausdauer geschulten Geist. Der Buddhismus ist voller Zeitmetaphern, die uns entwaffnen. „Ihr habt mehr Tränen geweint, als sämtliche großen Ozeane an Wasser enthalten“, sagt der Buddha und spricht in Begriffen unvorstellbarer Zeiträume von unseren unendlich vielen Leben.

Angesichts solcher Zahlen verfallen manche Schüler der Hoffnungslosigkeit. Sie interpretieren diese Metaphern dahin gehend, dass es endlos viele Reinkarnationen braucht, um Freiheit zu erlangen. Ich glaube, der Buddha verwendet diese Analogien, um zur Geduld zu mahnen. Die von ihm verwendeten Zahlen sind so unermesslich, dass er die Zeit auszulöschen scheint, aber ganz gewiss will er uns nicht von unseren Bemühungen abhalten. Wenn die Zeit aufgehoben wird, wird auch die Erwartung aufgehoben, dass sich irgendetwas irgendwann in der Zukunft ereignen wird. Erwartung ist im Grunde kontraproduktiv für die Praxis, denn indem wir auf unsere Erfüllung in der Zukunft warten, schweifen wir von dem ab, was unmittelbar präsent ist.

Vielleicht ist Buddhas Gebrauch von Zeit außerdem ein Versuch, uns aus unserer Selbstgefälligkeit herauszulocken. Mittels dieser Analogien scheint er darauf hinzuweisen, dass sich nichts ändern wird und wir unendlich viele Leben in unserem geteilten Geist umherirren werden, wenn wir nichts tun. Diese Beispiele sind ein Aufruf der Dringlichkeit, einer Dringlichkeit aber, die durch Geduld gemäßigt ist. Geduld ist auf dem spirituellen Weg unverzichtbar, nicht aber das Aufschieben. Geduld bringt die Zeitlosigkeit wieder ins Spiel und die Praxis wird zu einem Spiel des Erwachens und nicht des Erwartens, denn Geduld ist der Zustand vollkommener Wachheit.

Für einen Laienbuddhisten ist es am wichtigsten zu begreifen, dass das Erwachen unmittelbar greifbar ist. Erwachen muss nicht nach einer langen und langwierigen Zeit der Praxis eintreten – es sei denn, wir glauben, das sei notwendig. Wir schieben unser Bereitsein gern absichtlich auf, weil wir geteilter Meinung über das sind, was wir wirklich wollen. Wir praktizieren, bis wir es müde sind, uns auf etwas vorzubereiten, das schon immer hier und jetzt existiert hat, und dann werden wir still und geben uns hin.

Die Frage des Bereitseins ist in Wirklichkeit eine Frage der Absichtlichkeit. Wollen wir bereit sein oder nicht? Wenn ja, müssen wir unsere miteinander konkurrierenden Interessen genauer untersuchen. Wir nutzen unsere Zeit am geschicktesten, wenn wir den Wert und die Begrenzungen unserer gegensätzlichen Wünsche beobachten. Ein voll engagiertes Laiendasein lässt ein ständiges Feedback in Hinsicht auf unsere Interessen zu. Die meisten von uns geben eher ihren Wünschen nach, als dass sie etwas über deren Begrenzungen lernen, aber diese Gelegenheit zum Lernen ist stets vorhanden. Wieder ist es die Aufrichtigkeit der Lernenden, die bestimmt, ob ihr Leben ein Hemmnis oder eine Unterstützung ihres spirituellen Wachstums ist.

Ein drittes Hemmnis für den Weg des Laien zu spiritueller Erfüllung besteht darin, bestimmten Praktiken und Bedingungen Heiligkeit zuzusprechen. Als ich jünger war, machte ich einmal ein Experiment, das Krishnamurti vorgeschlagen hatte. Ich legte einen Stein, der für mich keinerlei besondere Bedeutung besaß, auf ein Sims und verneigte mich jeden Tag vor ihm. Ich tat dies bewusst, um zu sehen, ob ich einem so vollkommen gewöhnlichen Ding eine einzigartige Qualität verleihen konnte, indem ich es einfach in mein Morgenritual integrierte. Am Ende des Monats nahm der Stein einen besonderen heiligen Platz in meiner Wahrnehmung ein.

Die Buddhastatue, das Zafu (Sitzkissen), auf dem wir sitzen, das heilige Bild oder Gedicht, die in Meditation, Einsamkeit oder gar der Natur selbst erreichten Geisteszustände – all dem lässt sich eine außergewöhnliche Bedeutung geben, indem wir diesen Dingen besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Wenn wir das Heilige an bestimmten Umständen festmachen, fühlen wir uns nur dann spirituell, wenn wir ebendiese Erfahrungen machen. Der Rest des Lebens geht spirituell unbemerkt an uns vorüber.

Spirituelle Formen und Rituale können zur Fokussierung unserer Ausrichtung sehr hilfreich sein und ein Tor zur Heiligkeit allen Lebens darstellen. Sie können die Empfindsamkeit des Herzens erwecken und unserem Geist erlauben, still zu werden. Formen und Rituale werden allerdings dann zu einem Problem, wenn sie kein Tor zu unserem selbst mehr darstellen und zu einer exklusiven Repräsentation des Heiligen werden – wie etwa der Glaube, die einzige Art, mit Gott zu kommunizieren, sei, in die Kirche zu gehen oder einen Spaziergang in der Natur zu unternehmen; oder die einzige Art zu meditieren sei, in einer stillen Umgebung allein zu sein. Wenn wir Rituale und Formen für den einzigen Zugang zum Heiligen halten, bleibt der Rest unseres Lebens in einer spirituellen Warteschleife.

Der Laienbuddhist beginnt deshalb das Heilige in den entlegensten Winkeln seines Lebens aufzudecken, inmitten von Schwierigkeiten und Unzufriedenheit, Einsamkeit und Verzweiflung. Die Realität der Probleme wird hinterfragt und erforscht, und das Leben beginnt frei von Umständen und Bedingungen zu gedeihen. Das Herz übernimmt die Führung und wird aus den konditionierten Gewohnheiten des Gemüts errettet.

In ihrem Streben nach Verwirklichung ihrer Ganzheit verteidigt die Laienbuddhistin sich nicht, sie sucht keinen Schutz und vermeidet keinen Konflikt. Genau hier, inmitten unseres totalen Engagements, kann sich die Alchemie des Geistes am besten vollziehen. Unser Leben wird um diese Transformation als unsere wichtigste Zielsetzung im Leben kreisen. Wir finden alles, was wir brauchen, direkt vor uns, inmitten der Umstände und Bedingungen, die wir so lange nicht ausstehen konnten. Spirituelles Wachstum steht in Hülle und Fülle zur Verfügung und wird nicht mehr mit einer ganz bestimmten Repräsentation oder Form assoziiert.

Der Achtfache Pfad Buddhas ist ein Heilmittel für die drei beschriebenen engstirnigen Sichtweisen, die spirituelle Entwicklung hemmen, aber nur dann, wenn er aus der richtigen Perspektive und in seiner Gesamtheit gesehen wird. Ein kurzer Überblick kann die ganze spirituelle Reise ins rechte Licht rücken, besonders, wenn wir einen bestimmten Schritt, wie etwa die Achtsamkeitsmeditation, überbetonen.

Der Achtfache Pfad

Die Lehren Buddhas stellen eine umfassende Matrix für das Erwachen dar. Die Ursachen und Bedingungen für das Unbefriedigtsein haben sich in den etwa 2600 Jahren seit Buddha nicht verändert. Die in Buddhas Achtfachem Pfad enthaltene Medizin lässt sich heute noch genau so anwenden wie damals, als sie zum ersten Mal definiert wurde. Dieses Buch will zeigen, dass bestimmte Aspekte des Achtfachen Pfades im Laienbereich eine neue Relevanz bekommen und wie diese Lehren unter Verwendung zeitgenössischer Metaphern formuliert werden können, damit sie einen heute Lebenden direkt ansprechen.