Game of Thrones. 100 Seiten

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Ein eisernes Gitter gleitet nach oben und gibt den Weg frei für drei Männer, die nun durch einen dunklen, vereisten Tunnel in eine verschneite, unwirtliche Gegend reiten, in ihrem Rücken die enorme Mauer, die sie gerade durchquert haben. Sie durchsuchen getrennt einen Wald, der jüngste der drei findet Körperteile und Köpfe in einer seltsamen, kultischen Anordnung. Er sieht ein Mädchen, leichenblass, an einen Baum genagelt.

Schnitt: »Was willst du, das sind Barbaren!«, so sein Vorgesetzter arrogant. Und: »Machen dir die Toten Angst?« Als die Männer zurückgehen, sind die Toten verschwunden. Der junge Mann wird weggeschickt, sie zu suchen. Der ältere findet etwas Blutiges im Schnee. Als sein Vorgesetzter fragt, was das sei, wird er von einem dunklen Wesen, das nicht richtig zu erkennen ist, von hinten geköpft.

Schnitt: Der junge Mann ist allein im Wald, er hört seltsame Geräusche, vielleicht sind es Stimmen, auf jeden Fall Schreie, dann galoppieren drei Pferde an ihm vorbei. Als er sich umdreht, sieht er jemanden im Wald stehen – es ist das tote Mädchen, das ihn nun aus eisblauen Augen anstarrt. Er läuft panisch davon, der ältere Mann kommt auf ihn zu gerannt, und als die beiden einander fast erreicht haben,

 

Kaum jemals hat der Begriff cold open – die Eröffnungssequenz eines Films noch vor dem Vorspann – so viel Sinn gemacht wie im Pilotfilm von Game of Thrones. Kälte und Eis sind förmlich zu spüren. Und nachdem sich das eiserne Gitter wie ein Vorhang vor den Augen der Zuschauer gehoben (und dabei kurz den Bildschirm geschwärzt und bilderlos gemacht) hat, tritt man hinaus in eine wirklich beängstigend fremde, andere Welt. Wenn man fröstelt, dann nicht nur, weil sie sehr, sehr kalt ist, sondern auch sehr, sehr finster.

Doch wer glaubt, er sei in einer typischen Fantasyserie mit Orks, Zombies oder anderen Finsterlingen gelandet, der irrt. Denn nachdem der Vorspann der Serie gelaufen ist, findet man sich in einer mittelalterlichen Welt wieder, aus der das Phantastische erst einmal für längere Zeit verschwunden oder besser: an den Rand gedrängt ist. Es geht viele Episoden lang um die politischen Ränke und Intrigen verschiedener Adelshäuser, die auf dem Kontinent Westeros um die Vormacht und den Königsthron kämpfen. Die Mittel des Kampfes sind: List, Tücke, Versprechen, Verrat, Drachenfeuer, Sex, Eheschließungen, Menschenopfer, Magie, Krieg, just to name a few. Auf Essos, dem zweiten Kontinent, macht sich derweil die letzte Überlebende der ehemaligen Königsdynastie mithilfe dreier Drachen daran, ebenfalls den umkämpften Eisernen Thron zurückzuerobern, nicht ohne vorher etliche Abenteuer mit einem Khalasar der Dothraki, einem Nomadenvolk, erlebt und drei Städte von der Sklaverei befreit zu haben.

Back in the 90’s

George R. R. Martin, der Autor der literarischen Serienvorlage A Song of Ice and Fire begann Fantasy zu schreiben, weil in diesem Genre alles größer sein könne als in der Realität. Doch selbst er dürfte überrascht sein, wie groß Fiktion werden kann. 1996 kam das erste Buch A Game of Thrones mit einigen Tausend Exemplaren auf den US-amerikanischen und mit gerade mal 1500 Exemplaren auf den englischen Markt. Danach wuchs die Leserschaft stetig an, bis sich das fünfte und bislang letzte Buch A Dance with Dragons in den USA 300 000-mal verkaufte – allein an dem Tag, als es rauskam. Weltweit setzte die Verlagsgruppe Random House mehr als 58 Millionen Exemplare des Romanzyklus um, Stand 2015. Die Zeiten, in denen Martin sich freute, wenn ein paar Dutzend Menschen zu seinen Lesungen kamen, sind lange vorbei, heute müssen Fans

Mit einer Verfilmung seines Opus magnum hatte der als Drehbuchschreiber und Serienentwickler mit dem Filmbusiness vertraute Martin nie gerechnet und Anfragen auch abgelehnt – zu aufwendig, zu teuer. Doch David Benioff und D. B. Weiss überzeugten ihn als begeisterte Leser von A Song of Ice and Fire im Laufe eines fünfstündigen Essens, ihnen den Stoff anzuvertrauen. Die Zusage gab Martin allerdings erst, nachdem sie sein Rätsel, wer die Mutter des Helden Jon Schnee sei, gelöst hatten.

Dass Benioff und Weiss Texte zu dechiffrieren vermögen, ist wenig erstaunlich. Beide haben nicht nur creative writing und am Trinity College in Dublin Irische Literatur studiert (wo sie sich kennenlernten), sondern auch als Autoren und Drehbuchschreiber gearbeitet. Zwar konnte David Benioff, 1970 in New York geboren, erst mit seinem dritten Roman The 25th Hour reüssieren, dafür wurde dieser aber 2002 von Spike Lee verfilmt, der sich mit Spiderman-Darsteller Tobey Maguire die Rechte gesichert hatte. Benioff verfasste das Drehbuch, ebenso wie zu Blockbustern wie Troja oder X-Men Origins: Wolverine. Daniel Brett Weiss, 1971 in Chicago geboren, veröffentlichte nach seinem Studium 2003 den Roman Lucky Wander Boy, der von Videospielen handelte. Anschließend wirkte er an Filmprojekten im Themenkreis Science-Fiction und Fantasy mit.

Dass A Song of Ice and Fire kein Projekt für eine Kinofilmadaption war, wurde schnell deutlich; nur eine Serie würde die

Mit Game of Thrones betraten Benioff und Weiss Neuland: Für beide war es die erste Fernsehproduktion. Und tatsächlich floppte der erste Pilot – in dem George R. R. Martin einen Cameo-Auftritt hatte – und musste überarbeitet werden. Unter der Regie von Timothy van Patten, der Tom McCarthy ersetzte, wurden über neunzig Prozent neu gedreht. Auch zwei Schauspielerinnen wurden ausgetauscht: Nicht mehr Jennifer Ehle, sondern Michelle Fairley spielt Lady Stark, und zu Daenerys Targaryen wurde nicht Tamzin Merchant, sondern Emilia Clarke, die erst zwei kleinere Rollen gespielt hatte. Für die als Arya Stark gecastete Maisie Williams war es die erste Rolle überhaupt. Skepsis beim Vorsprechen erzeugte Kit Harrington – weniger aufgrund des Veilchens, Resultat einer vorabendlichen Prügelei, sondern weil er für die Rolle des im Buch vierzehnjährigen Jon Schnee zu alt schien. Man entschied, auch aufgrund der Sex- und Heiratsszenen, einige sehr junge Figuren älter darzustellen. Nur zwei Besetzungen hatten in der von britischen und irischen Schauspielern dominierten

Auch die Titelsequenz wurde unter Federführung von Creative Director Angus Wall geändert: Zur Musik von Ramin Djawadi bauen sich die Orte der Handlung wie Uhrwerke auf, dreht sich das von Sonnenstrahlen erhellte Astrolabium, das auf seinen Bändern Teile der Vorgeschichte zeigt. Die Sequenz erhielt noch im gleichen Jahr einen Emmy, ebenso wie Peter Dinklage als bester Nebendarsteller.

Dies waren die zarten Anfänge einer globalen Erfolgsgeschichte, die sich von Staffel zu Staffel steigerte. Die Serie wird in über 180 Ländern ausgestrahlt, 17,4 Millionen Zuschauer sahen – legal! – die erste Folge der achten Staffel in den USA, wohl Hunderte Millionen verfolgten die Serie weltweit, sie wurde vielfach ausgezeichnet und prämiert. Game of Thrones erfreut sich prominenter Zuschauer und Bewunderer – nicht zuletzt aus der politischen Sphäre, in der die Serie spielt: Die Queen besuchte den Eisernen Thron (setzte sich aber nicht drauf, da das Protokoll ihres Herrschaftshauses dies verbietet), und Barack Obama durfte, damals noch US-Präsident, als Einziger Staffel 6 vorab sehen, worauf eine Journalistin einen Antrag auf Herausgabe dieses Geheimwissens stellte – schließlich ging es um die Frage, ob Jon Schnee wirklich tot war! (2017 wurden auf anderem Wege Geheimnisse bekannt: HBO wurde gehackt und erpresst, Dokumente und TV-Folgen wurden gestohlen und teilweise geleakt.) 2016 memorierte Obama in

Ein eigenes Universum

George R. R. Martin hat nicht nur eine fiktive Welt erschaffen, sondern ein »Martiversum« (Susan Johnston / Jes Battis) initiiert, das weit über Bücher und Serie hinausreicht: Die Fankultur mit Portalen und Wikis, in der Informationen gesammelt und analysiert werden, verbindet sich mit der Erweiterung des Fiktiven, in der man nicht nur Rezipient ist, sondern in Computer- oder Pen-&-Paper-Spielen, in Fan-Fiction oder Fan-Art das Geschehen erweitert, T-Shirts mit den Wappen der Häuser trägt, Miniaturfiguren sammelt, valyrischen Schmuck kauft und seine Kinder Arya, Khaleesi oder Tyrion tauft. Für Liebhaber exotischer Sprachen stehen Lehrbücher der für die Serie kreierten Sprache der Dothraki bereit, ein Kochbuch

George R. R. Martin hat nicht nur die Populärkultur bereichert, sondern ist selbst Bestandteil von ihr geworden. Er sei sich selbst schon auf Comic-Conventions und an Halloween begegnet, da es sein Outfit – Kastenbrille und Kappe auf dem Kopf, Weste oder Hosenträger überm Bauch – mittlerweile als Verkleidung zu kaufen gibt: »Manche sehen echter aus als ich.«

George R. R. Martin bei der Premiere der dritten Staffel am 18. März 2013 in Los Angeles

Teil der Populärkultur zu werden, ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal von Game auf Thrones. Im Golden Age der Fernsehserien und des Quality TV gibt es etliche Serien, die kultisch verehrt und von ihren Fans geliebt werden: Es reicht, ältere oder neuere Titel wie The Sopranons, Mad Men, Dr. Who, The Wire, The Walking Dead, House of Cards oder The Handmaid’s Tale in eine lahmende Partyrunde zu werfen, und der Abend ist gerettet. Serien sind längst nicht mehr nur etwas für Serienjunkies, Nerds oder sonstige seltsame Mitmenschen, sondern haben definitiv ihren Platz im Mainstream erobert. Wäre da nicht ein markanter Unterschied: Game of Thrones ist eine Fantasyserie, und da steigen normalerweise die meisten gleich aus bzw. gar nicht erst ein. Und doch hat es diese Serie geschafft, nicht nur ein globales Millionenpublikum an sich zu binden, sondern auch die hochkulturellen Zitadellen zur Mitarbeit anzuregen: Seriöse Zeitungen und Magazine rekapitulieren und bewerten die Episoden oder erstellen Hilfsmittel

Was macht diese Serie so erfolgreich, was ist ihr Geheimnis, ihr Suchtfaktor?

Game of Thrones spielt in einem fiktiven europäischen Mittelalter. Für seine politische Geschichte des Kampfes um den Königsthron hat sich Martin als passionierter Leser historischer Stoffe von Ereignissen wie den englischen Rosenkriegen inspirieren lassen. Doch diese Anleihen sind eben genau das: Anleihen. Denn das Problem bei historischen Stoffen sei, so Martin, dass man wisse, wie sie ausgingen. Und das ist entschieden nicht das Ziel dieses Autors. Expect the unexpected, erwarte das Unerwartete – würde Game of Thrones ein Hausmotto brauchen, wäre es wohl dieser Satz, der mit der schockierenden Enthauptung des positiven und aufrechten Helden Ned Stark am Ende der ersten Staffel ihren ikonischen Moment gefunden hat.

Ein Witz über George R. R. Martin, berühmt to kill his darlings:

»Warum twittert dieser Autor nicht?«

»Weil er alle 140 characters umgebracht hat!« [characters bedeutet sowohl ›Zeichen‹ – Twitter erlaubt maximal 140 – als auch ›Figuren‹]

Dem Motto »Expect the unexpected« blieb die Serie auch unfreiwillig treu, denn die letzte Staffel enttäuschte Fans und Kritiker schwer, ja den Machern schlug richtiggehend Zorn entgegen. Dazu mehr im Abspann dieses Buches. Und bei

Game of Thrones ruft die Bilderwelten des Mittelalters auf und kombiniert sie mit fremden, überraschenden Elementen. Manches, wie das Turnierwesen oder die Schwertkämpfe, ist vertraut, anderes scheint Martins Phantasie entsprungen zu sein – wie etwa die poetisch-dunkel klingenden Schattenwölfe, die das Banner des Hauses Stark zieren und von denen die Stark-Kinder anfangs Welpen finden. Tatsächlich haben sie einen realen, erdgeschichtlichen Hintergrund, denn die im Original dire wolf – lateinisch canis dirus10000