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Lise Gast

Das große Lise-Gast-Buch

Bilder von
Ingeborg Haun

Loewes Verlag

Saga

Reiterlied

Ein rotes Hemd und eine Bux

Aus abgeschabtem Leder,

So sitz’ ich auf dem schlanken Fuchs,

Und neben mir springt hoch der Lux,

Mein schwarzer Mischmaschköter.

Die Mütze hat mir weggeweht

Ein frischer Wind aus Osten;

Er bläst, daß mir der Haarschopf steht,

Wenn es im Trabe feldwärts geht,

Die Frühlingsluft zu kosten.

Der letzte Schnee liegt schmutzigweiß

Noch in den braunen Gräben,

Doch Pferd und Hund und Reiter weiß:

Der Frühling ist schon auf der Reis’,

Der Frühling und das Leben!

Ein Eselchen wird geboren

Erste Sonne, Tau, Düfte von allen Seiten, Kühle – ein Morgen, wie er nicht schöner sein kann. Ich hatte Besuch von einer mir sehr lieben Schwägerin, der Schwester meines Mannes, mit der ich von ihm sprechen kann, was ich mir immer so heiß wünsche. Ein „Weißt-du-noch“ nach dem andern kommt dann zutage, das geliebte alte Pfarrhaus in Sachsen, in dem er geboren ist, der große Garten, die alten Linden, der Friedhof gleich daneben, die kleine Kirche, in die wir zum Erntedankfest Obst und Gemüse schleppten, die langen, wunderbaren Radtouren... Ich freute mich schon auf das Frühstück mit diesem Besuch, wollte aber zuerst noch nach den Pferden sehen, die die Nacht auf der Waldwiese im elektrischen Zaun verbracht hatten und nun heimgeholt werden konnten. Der Tisch auf der Veranda war schon gedeckt und die Kaffeemaschine in Gang. Hoffentlich war keins der Pferde ausgerückt!

Sie waren noch alle innerhalb des Zauns. Aber außerhalb dieses Zauns, am Waldrand, entdeckte ich jemanden, der sich davongemacht hatte, Richtung Ponyhof, wohl weil dort Heimat und Geborgenheit warteten: unsere Eselin Schnütchen. Sie stand da und sah zu mir herüber, und dann legte sie sich hin.

Bei mir schlug es blitzartig ein: Sie fohlt! Ich rannte zurück, um Steffi zu holen, und bewunderte wieder einmal die Ruhe und Umsicht meiner jüngsten Tochter: Sie regte sich, im Gegensatz zu mir, überhaupt nicht auf, sondern ergriff das Fläschchen mit dem Holzteer, den Nagelknipser, den Filmapparat und rief nach Moritz, demjenigen ihrer kleinen Söhne, der zur Zeit als einziger zu Hause war. „Komm, heute kannst du was Wunderbares erleben!“

Ich rannte los. Steffi machte lange Schritte und hielt damit mein Tempo, ohne außer Atem zu geraten, während ich vor Aufregung schon keine Luft mehr bekam. Wir knieten am Waldrand neben Schnütchen nieder, und Steffi knipste sich in aller Seelenruhe die Fingernägel kurz, um helfen zu können desinfizierte sich die Hände, griff zu...

Moritz und ich hielten den Atem an. Jetzt – jetzt – jetzt – die Eselin lag auf der Seite, hob ein wenig das eine Hinterbein an – zwei kleine Hüfchen schoben sich zwischen ihren Schenkeln hervor, daraufgedrückt eine winzige Schnauze. Steffi hatte den Filmapparat in Stellung gebracht, schon lange war es ihr Wunsch, einmal eine Fohlengeburt zu filmen. Ich sah wie gebannt auf das sich entwickelnde Eselkind, da hörte ich meine Tochter ärgerlich schnaufen.

„Kein Film drin, so ein Pech“, murrte sie und legte die Kamera weg. Und dann griff sie vorsichtig und mit geschickten Händen zu.

Es ist ein Wunder, eins der größten Wunder dieser Erde, das die Natur uns schenkt. Aus einem Tier werden zwei – und das zweite ist das winzige, bis in die kleinste Kleinigkeit perfekte, entzückende Abbild des großen. Und kleine Tiere kommen vollendet hübsch auf die Welt, unbeschreiblich vollkommen, unbegreiflich schön. Neugeborene Menschen sehen oft kummervoll, runzlig und verdrückt aus – man nimmt sie trotzdem voll atemlosem Entzücken ans Herz–, schöner aber sind kleine Tiere. Moritz und ich fühlten es gleich stark, knieten beide vor dem Wunder, das sich da begab, und konnten es nicht fassen, während Steffi mit Seelenruhe den Nabel desinfizierte und die erste Hilfe beim Aufstehen leistete. Denn auch das haben Tiere dem neugeborenen Menschen voraus: Sie stellen sich sofort auf die eigenen Beinchen. Mühsam, mit vielen vergeblichen Anläufen und Pannen versuchen sie, auf vier Beine zu kommen; und stehen sie endlich, so suchen sie sofort die mütterliche Quelle, an die man die Babys auch erst heranführen muß. Freilich, saugen tun Kinder genauso begabt und geschickt wie sie, sonst aber ist das Tier ihnen hier weit voraus. Ich habe einmal auf die Uhr gesehen, als ein Fohlen geboren wurde: Anderthalb Stunden nach der Geburt galoppierte es schon, und der Mensch braucht ein Jahr, um erst einmal auf beiden Beinen zu stehen...!

Wir hatten, als das Eselchen geboren wurde, gerade einen neuen Hund, allerdings keinen jungen. Steffi hatte ihn aus Mitgefühl übernommen; er hatte die ersten drei Jahre seines Lebens an der Kette verbringen müssen. Solche Hunde sind schwierig umzugewöhnen – es ist ein Riesenschnauzer, kohlschwarz, wunderschön, aber ein gewaltiger Kerl, vor dem ich großen Respekt habe –, und er hatte vielleicht noch nie ein neugeborenes Tier erlebt. Was würde er zu Klein-Eselchen sagen? Lieber nahmen wir das vierbeinige Baby mit heim in die schützende Box.

Wir warteten, bis Mutter Schnütchen aufgestanden war, und dann hob Steffi das Tierkind auf die Arme, trug es, die Mutter hinter sich herlockend, über die Wiese dem Ponyhof zu. Ich sammelte alles, was umherlag, auf und gab auch Moritz etwas zu tragen, dessen hellblaue Augen noch immer vor Staunen weit aufgerissen waren.

Wir betteten das Eselchen auf Stroh und gaben seiner Mutter das erste heilige Brot, das jeder jungen Mutter zusteht, und dann ihr Wochensüppchen. Und nun sauste ich schnellstens zurück in mein Haus, um meiner Schwägerin das freudige Ereignis mitzuteilen.

„Und weil alles so gut und glatt gegangen ist, fahre ich dich heute zu Seelchen“, schloß ich, um ihr eine ganz große Freude zu machen. Zu Seelchen, das heißt: nach Langenburg. Dort spielt jenes Buch, das sie seit über fünfzig Jahren kennt und liebt, „Die Heilige und ihr Narr“. Ich selbst lese es auch immer wieder einmal, wenn ich Trost brauche, und sie dorthin zu fahren, bedeutet ein ganz großes Glück für sie.

Der Tag der Eselgeburt hatte leider ein etwas betrübliches Nachspiel. Gerade für diesen Tag hatte sich ein mir sehr wichtiger Besuch angesagt. Eine Frau wollte kommen, die mir auf meine Bücher hin liebe- und verständnisvoll geschrieben, mit der ich mich verabredet hatte und auf die ich mich sehr freute. Das alles vergaß ich über dem kleinen Wunder mit dem seidigen Fell und den langen, langen Ohren...

Steffi erzählte es mir am Abend. Ich schlug mir die Hand vor die Stirn. Wie konnte ich nur! „War sie sehr traurig?“

„Klar, war sie. Aber ich hab’ ihr den Esel gezeigt, und das hat sie getröstet“, sagte Steffi.

Vom Pony zum Großpferd

Auch unsere Kinder stiegen eines Tages vom Pony auf das Großpferd um. Nicht für immer, denn Ponys sind nach wie vor unsere liebsten Hausgenossen und besten Kameraden auf Reitplatz und Koppel. Aber weil die Kinder nicht nur wild reiten, sondern richtigen Unterricht haben sollten, schickte ich sie in den Reitverein des Kreisstädtchens, und dort wird natürlich auf Großpferden geritten. Auch das Reitabzeichen machten sie dort. Und die Turniere lockten.

Ich glaube nicht, daß ich zu den ehrgeizigen Müttern gehöre, zu denen, die ihre Kinder überall als Erste sehen wollen: in der Schule, beim Sport, in der Musik – und auch beim Reiten. Es ist schön zu sehen, wie sie Fortschritte machen, wie sie sich immer mehr zutrauen und auch allmählich Besseres leisten. Aber das ist kein häßlicher Ehrgeiz.

Unsere Kinder machten also das Abzeichen, und dann fingen die Turniere an. Himmel, war das eine Aufregung, als unser Jüngster das erste Mal „gemeldet“ hatte.

Für Turniere werden Programmhefte gedruckt, in denen Pferde und Teilnehmer stehen; so auch für dieses. Die ganze Familie stürzte sich auf das Heft und suchte nach dem Namen des Zwölfjährigen. Da aber gab es eine Enttäuschung. Statt Christoph hatte man Christian hineingesetzt, und der Nachname lautete Böhm – wieso, ist uns immer schleierhaft geblieben. Also war es nichts mit dem Aufheben dieses ersten Dokumentes im Familienarchiv.

Unser Jüngster ritt damals außer im Reitverein auch noch die Stute eines Bauern, ein ausgesprochen ländliches Pferd, das noch auf dem Acker arbeitete, aber bereits jahrelang in Turnieren gestartet war. Fanny ist ein Schatz, ruhig, vernünftig, ohne Mucken. Sie geht Dressur, springt und ist auch auf dem Geländeritt zuverlässig. Was sie nie leiden konnte, sind Fässer; über die springt sie nicht gern. Sonst aber macht sie bei Hindernissen im A-Springen keine Schwierigkeiten. (A bedeutet Anfänger, L leicht, M mittel und S schwer.) Christoph hatte also für A gemeldet, und wir borgten alles zusammen, was zur korrekten Reitausrüstung gehört: Hose, Jackett – das hatte „Onkel Heinrich“ gehört, dem Bruder eines mit uns befreundeten Reitkinder-Vaters, und es schlotterte etwas um die schmalen Schultern unseres Bürschleins. Aber was machte das! Eine Kappe, die über die Augen rutschte, so daß wir sie mit ein paar Seiten „Pferd und Reiter“ ausstopften, Gummireitstiefel und Gerte. Fertig. Sporen gab es noch nicht für ihn.

Wir besaßen damals noch kein Auto und mußten uns bei jemandem einladen, der sowieso hinfuhr. Das Turnier fand etwa vierzig Kilometer von unserem Städtchen entfernt statt. Da wir immer zu mehreren auftreten, war das nicht einfach, klappte aber dann doch. Geladen voll Spannung fuhren wir los, wie immer viel zu spät, hatten Angst, das erste Auftreten unseres Jüngsten zu verpassen, rannten, kaum aus dem Wagen gestürzt, dem Turnierplatz zu und erreichten ihn noch zur Zeit. Das A-Springen begann gerade. Als Christoph mit seiner Fanny im Lautsprecher genannt wurde, klopfte uns allen das Herz so, daß man glaubte, man sähe es durch die Bluse hindurch randalieren.

Nun war es keineswegs das erste Mal, daß eins meiner Kinder oder sogar mehrere in einem Turnier mitwirkten. Bisher aber hatten sie entweder nur in einer Gruppe mitvoltigiert, waren auf ihren Isländern außer Konkurrenz gestartet oder von der Turnierleitung aufgefordert worden, eine Pause auszufüllen. Christoph mit seinem kleinen Hengst Winnetou, einem Shetlandschimmel, den er fünf Jahre lang ritt, war schon bekannt beim Publikum. Winnetou hatte den Leuten oft Spaß gemacht, wenn er startete. Er hatte nämlich die Angewohnheit, wenn er springen sollte, bis nahe ans Hindernis heranzugaloppieren und dann stehenzubleiben, so daß es aussah, als röche er an der Stange. Wenn Christoph ihn dann trieb, sprang er doch noch, zwar aus dem Stand, steil, oft wie ein Ziegenbock mit allen vieren auf einmal, aber er sprang.

Alles lachte.

Auch gefahren hatte er ihn schon, das erstemal zufällig mit dem Bauern als Konkurrenz, dem die Fanny gehört und mit dem er seither gut befreundet ist. Schorsch, dieser Bauer, fuhr mit dem Einspänner seine Fanny, groß und hager im Wagen sitzend, mit der langen Peitsche vorschriftsmäßig Zeichen gebend, wenn es um die Ecken ging. Christoph im Dogcart mit Winnetou davor mußte sich beeilen, um Schritt zu halten, er hatte noch dazu die Außenbahn, und Winnetou setzte seine Hüfchen rasend schnell, um nicht zurückzubleiben. Es war ein Bild für Götter. Als die Disziplin zu Ende war, schöpfte das gesamte Publikum so hörbar Atem, als wäre es mit Winnetou gerannt.

Jetzt aber startete unser Benjamin erstmals auf einem Großpferd. Als Mutter überschätzt man die Gefährlichkeit eines ländlichen Turniers haushoch; ich erinnere mich noch genau, daß ich immerzu nur Daumen hielt und vor mich hin sagte: „Nur nichts passieren lassen! Nur nicht stürzen!“, als wäre es mindestens ein M-Springen. Den großen Geschwistern ging es ähnlich. Ich fühlte den Ellbogen meiner ältesten Tochter an meinem – wer von beiden zitterte mehr? Jetzt: Flagge herunter. Die beiden gingen in Galopp. Im Halbkreis um die Bahn – erstes Hindernis – das waren Fäßchen! Wir hatten vorher gar nicht danach gesehen. Und prompt blieb Fanny stehen.

So hatten wir uns das ja nicht gedacht. Gleichzeitig erleichtert und empört starrten wir auf das Unglaubliche – und hörten, wie Schorsch, der hinter uns stand, ärgerlich brummte: „Weck sie auf!“

Das tat Christoph. Richtete rückwärts, trieb, zwang dem Pferd seinen Willen auf, und Fanny sprang. Über die Fäßchen, über das nächste Rick, über das übernächste – ruhig und unerregt ging sie ihren Parcours, und als die Ziellinie durchritten war, machte sich unsere überstandene Angst in wilden Ovationen Luft: „Bravo, bravo! Nur drei Fehler!“

Das war das erste Turnier.

Es folgten noch viele. Auch Steffi, die jüngste Tochter, startete – ich hatte manchmal nicht genug Daumen, die ich gern gedrückt hätte. Eine Zeitlang waren wir Sonntag für Sonntag ausgebucht, auf lauter kleinen, liebenswerten ländlichen Turnieren. Entweder Christoph oder Steffi oder Uli waren dabei und verschiedene Beinahesöhne und -töchter. Die größeren Kinder waren schon von daheim fortgewesen, als wir die Reiterei endlich beginnen konnten. Sie ritten zwar auch – in Uni-Reitställen oder Reitvereinen –, aber nicht auf Turnieren. Das besorgten die „Kleinen“, die schnell heranwuchsen.

Einmal hatte Christoph in Ludwigsburg gemeldet. Ludwigsburg war für Süddeutschland damals das, was Aachen für den Westen war. Eine Ehre für ihn, überhaupt mitmachen zu dürfen. Bei der Dressur stand ich nahe am Richterwagen – das werde ich aber nie wieder tun. Man hört nämlich, was der Richter in die Maschine diktiert, und zwar diktiert er nur das Negative, also die Schnitzer. Ich weiß noch genau, wie er anfing: „Einreiten leicht schwankend“. Da wurde mir bereits blümerant. Und dann mußte ich alles, alles mit anhören, was da nicht ganz so klappte, wie es klappen sollte. Mir wurde immer schwächer. Ich wunderte mich nur, daß sie ihn nicht vom Platz verwiesen. Nachher hatte er aber doch eine gute Gesamtnote. Ja, man lernt nie aus...

Inzwischen hatten wir eine Turnierhose gekauft, man kann ja nicht dauernd borgen gehen. Da er sie nur zu Turnieren trug, übersahen wir, daß er wuchs, ja, in einem Jahr geradezu schoß – das war das Jahr, in dem er von Winnetous Rücken Abschied nehmen mußte, einen für alle traurigen Abschied. Fünf Jahre waren sie unzertrennlich gewesen, die zwei. Gottlob wuchsen in den Enkeln neue Winnetou-Reiterlein nach. Ich sehe meine älteste Enkelin, damals zweijährig, noch auf Winnetou durch den Bach reiten, nur ein Unterhöschen an und auf dem Kopf einen hellblauen Südwester. Wir hatten Reitbesuch, und dessen Ponys wollten nicht durchs Wasser, da machte sie es auf Winnetou vor.

Christoph also war sehr plötzlich gewachsen, und als er, wieder einmal in Ludwigsburg, Dressur ritt, sah ich mit Entsetzen, daß seine beiden Hosenbeine an den Knien einrissen und bei jedem Trabschritt, den Fanny machte, ratsch, ratsch, ratsch, ein Stück weiter aufgingen. Wenn ich nicht so gebannt auf ihn hätte schauen müssen, hätte ich wahrscheinlich mein Haupt verhüllt. Wie lange dauert eine Dressur? Ob er dann als Seppel mit nackten Knien da oben saß?

Ganz so schlimm wurde es nicht. Die Richter hatten es zwar auch gesehen und schmunzelten, was mir sehr peinlich war. Ich sehnte den Schluß der Dressur herbei. Kaum war der Gehorsamssprung geschafft und der Reiter abgesessen, da zerrte ich ihn hinter ein Zelt.

„Gib die Hose her, ich flick’ sie dir – zieh deine alten Jeans an.“ Er mußte ja noch zur Siegerehrung. Aber es erwies sich als fast unmöglich, auf einem Turnier Nadel und Faden zu beschaffen. Ich versuchte es im Bierzelt, beim Roten Kreuz und der Feuerwehr – nichts zu machen. Schließlich verließ ich den Turnierplatz und ging in Ludwigsburg von Haus zu Haus, klingelnd, bittend: „Hätten Sie vielleicht...“ Die meisten schlugen die Tür wieder zu, weil sie dachten, ich würde spinnen oder erlaubte mir einen dummen Witz.

In einem Jubiläumsjahr des Ludwigsburger Reitvereins hatte er drei Siege und war damit erster ländlicher Reiter; er bekam die goldene Schärpe, die nur alle zehn Jahre verliehen wird. Wir platzten fast vor Stolz. In einem anderen Jahr aber, er war schon erwachsen, ritt er ein schwieriges Pferd und hatte eigentlich eine gute Chance, denn es wurde nur nach Stil und Fehlern beurteilt, die Zeit war gleichgültig. Auf einem kleinen Turnier im Filstal hatte er, sozusagen als Hauptprobe, einen sehr guten und überlegten Ritt hingelegt, mit keinem Abwurf und in korrekter Haltung. Diesmal aber... Die großen Jungen brachten ihre Pferde natürlich selbst zum Turnier, verluden immer abends und schliefen die Nacht in Ludwigsburg im Stall. Christoph und sein Kumpan aber hatten es sich anders überlegt. Statt zu verladen, kegelten sie den ganzen Abend und die halbe Nacht, bis früh um zwei, luden um vier die Stute ein – es war nicht mehr Fanny, sondern Iris, eine Julmond-Enkelin (von Julmond muß ich noch berichten) – und zuckelten mit dem Trecker nach Ludwigsburg. Die Stute stand einigermaßen geschützt im Anhänger, die beiden großen Jungen aber saßen in der Morgenkälte auf dem Traktor und bibberten, obwohl sie natürlich nicht zugaben, daß sie frören. Es war Mai, aber nachts noch sehr kalt. Steif gefroren und durch das Bier, das sie am Abend bei der Kegelei konsumiert hatten, ebenfalls leicht angeschlagen, stiegen sie in Ludwigsburg ab. Der Ritt, der bald darauf folgte, wurde zu keinem Ruhmesblatt unseres Jüngsten. Ein Klotz nach dem anderen fiel, und er wurde von siebzehn Teilnehmern der sechzehnte. Das war noch nicht dagewesen. Was aber machte er sich daraus? Nichts. Als ich endlich zu ihm durchgedrungen war, um ihn zu trösten – in Ludwigsburg herrscht immer ein Volksgewimmel, daß man kein Bein auf die Erde bekommt –, gab er gerade hübschen Mädchen Autogramme. Mir blieb der Mund offen. „Wa-was machst du denn da?“

Er lachte.

„Ich weiß auch nicht. So viele hab’ ich noch nie geben müssen. Von allen Seiten kommen sie. Ich glaub’, die halten mich für Schockemöhle. Und merken erst, wenn sie meinen Namen lesen, daß da ein kleiner Irrtum vorliegt...“

Schockemöhle war nämlich auch da und damals schon sehr erfolgreich. Ich tauchte schleunigst wieder in der Menschenmenge unter. Trotzdem – wenn er zur Zeit verladen hätte, wäre diese Pleite nicht passiert. Ich ärgerte mich für ihn. So albern können nur Mütter sein.

 

Württemberg hat ein altes, berühmtes Haupt- und Landesgestüt, Marbach auf der Alb, das vor vierhundert Jahren gegründet wurde. Dort gibt es für Kinder und junge Leute Reitkurse, die sehr begehrt sind. Man muß sich lange vorher anmelden, wenn man dort reiten will. Dafür ist es aber einmalig und unvergeßlich schön in seiner strengen Zucht und herrlichen Kameradschaft. Alle meine reitinteressierten Kinder waren dort, manche mehrfach. Jetzt reiten schon die Enkel dort.

In Marbach stand als Hauptdeckhengst jahrelang der Trakehner Julmond. 1945, als die Russen näher rückten, ritt der dortige Stallmeister mit diesem Hengst von Trakehnen bis Schleswig-Holstein, machte dort Quartier, ritt zurück und führte den Treck mit den kostbaren Zuchtstuten und rettete sie dadurch. Er hat diesen Ritt in wenigen Wochen während eines fürchterlichen Winters dreimal gemacht, wahrhaftig eine Leistung von Pferd und Reiter! Julmond kam später nach Marbach und vererbte dort seine guten Eigenschaften, seine Zähigkeit, seine Härte, sein Durchhaltevermögen, und machte das Württemberger Pferd leichter. Das war ja bis dahin eigentlich nur Arbeitspferd, jetzt will man das Sportpferd herauszüchten. Julmond wurde dreiundzwanzig Jahre alt und ist in Marbach begraben. Meine Kinder haben ihn noch persönlich gekannt.

Julmonds Söhne vererben weiter, alle ihre Namen beginnen mit einem I oder J, das gilt in Züchterkreisen als ein Buchstabe. Ikarus und Jäger zum Beispiel – Ikarus ist der Vater der Stute, die Christoph ritt, und Julmond ihr Großvater.

Auch meine jüngste Tochter war oft in Marbach zu Kursen, machte das Examen als Reitwart und unterrichtete später in Feuchtwangen, wo sie einen ihrer Reitschüler heiratete. Mit ihm und ihren gemeinsamen drei Söhnen führt sie den Ponyhof weiter, den ich gründete, viel sachverständiger als ich und in größerem Stil. Viele Kinder haben bei ihr die Grundbegriffe des Reitens gelernt. Als sie zwei Söhne hatte und das dritte Kind erwartete, wurde sie manchmal gefragt, ob es diesmal eine Tochter werden sollte.

„Wenn es nur gesund ist und vier Beine hat“, sagte sie. Dieser Versprecher ist typisch für sie, die dauernd mit Vierbeinern umgeht. Bei einem großen Reiter übrigens, Fritz Thiedemann, unvergessen durch seinen Meteor, wurde Wahrheit, was sie aus Versehen gesagt hatte. Da kamen zwei Söhne auf einmal auf die Welt... Diese Jungen reiten natürlich längst!

Auch meine jüngste Tochter reitet Turniere, ja sie ritt sogar einmal, was ich gottlob nicht wußte, eine Military mit. Dazu gehört ein schwerer Geländeritt mit gefährlichen Hindernissen. Ich erfuhr es erst hinterher und war sehr glücklich, daß alles gutgegangen war, aber auch darüber, daß Militarys bei uns nicht an der Tagesordnung sind. Viele von euch kennen solche schwierigen Ritte sicherlich vom Fernsehen her. Wenn man sie in Wirklichkeit sieht, bleibt einem manchmal fast das Herz stehen.

Mein Jüngster kaufte sich vor einiger Zeit ein Pferd, ein Großpferd, sehr sprungfreudig, das er auf einem Turnier beobachtet hatte, vor allem an der Kombination. Das ist ein Hindernis, das aus zwei oder drei Sprüngen besteht, deren Zwischenräume genau ausgemessen sind; Hindernisbauen ist ja eine Kunst und muß erlernt werden. Diese Stute setzte zwischen den Sprüngen nur einmal auf, wo die anderen Pferde zwei Galoppsprünge machten. Sie hat also ein enormes Greifvermögen. Die kaufte er, und als ich ihn fragte, was er damit vorhabe, sagte er, „unter anderem auch Militarys reiten“. Das versetzte mir einen kleinen Schock.

Mein Ältester tröstete mich. „Du lebst doch von Katastrophen, die gut ausgehen“, sagte er, aus seiner mich weit überragenden Höhe auf mich herabblickend. „Wenn er jetzt diese Stute reitet, hängst du am Katastrophen-Dauertropf und brauchst keine anderen mehr.“ Da mußte ich doch lachen.

Meine Tochter ritt einmal auf einem Turnier eine Schaunummer im Damensattel. Langes schwarzes Reitkleid aus Samt, Dreimaster auf dem Kopf. Es sah bezaubernd aus. Sie erzählte nachher, man säße im Damensattel auch sehr sicher, besonders schön wäre der Galopp. Eine andere meiner Töchter ritt aus Übermut ohne Sattel im Damensitz, trabte sehr vergnügt, flog dann aber doch durch einen nicht vorhersehbaren Zufall herunter und bekam eine Gehirnerschütterung. Ach ja, Gehirnerschütterungen gab es bei uns häufig. Ich war manchmal froh, wenn ich die Kinder dann für eine Weile auf Nummer Sicher im Bett hatte. Der jüngste Enkel verabschiedete sich (mit sieben Jahren!) im Krankenhaus, wo man ihm eine Platzwunde genäht hatte, mit einem „Na, dann bis bald!“

Als der älteste vier Jahre alt war, trat er das erste Mal in einem Turnier auf, auch als Schaunummer. Er sah süß aus mit der viel zu großen schwarzen Kappe auf den Locken und ritt an der Hand seiner älteren Kusine. Der Lautsprecher gab bekannt:

„Sie sehen jetzt die Kinder unserer bekannten Reiterin“ – es folgte der Name –, „die schon ihrerseits als Kind unsere Turniere verschönte. Bitte einfahren! Das große Brüderchen hat das kleine Schwesterchen am Führzügel...“ Das große Brüderchen war die Nichte, das kleine Schwesterchen der Sohn. Macht nichts, goldig sahen sie auf jeden Fall aus.

In Cannstatt auf dem Hauptfest der Landwirtschaft fand einmal ein Turnier statt, zu dem auch Christoph gemeldet hatte. Es war einer der übermäßig heißen Sommer der vergangenen Jahre, hatte wochenlang nicht geregnet, die Sonne brannte wie ein Scheinwerfer herab, und wir bedauerten die Reiter in ihrer schwarzen Kluft. Kurz vor Beginn des Turniers zog sich ein Wetter zusammen. Ich suchte Christoph, der mit der ersten Equipe starten sollte.

„Hast du was gegessen?“ fragte ich. Mütter denken ja immer, ihre Kinder fallen vom Fleisch. Er wehrte ab.

„Ja, ja, hab’ ich. Muß auf den Abreiteplatz...“

Ich verzog mich. Los ging’s. Der Himmel hatte sich bezogen, und dann schüttete es herab, als wollte Petrus alles nachholen, was er wochenlang versäumt hatte. Wer in einem solchen Guß starten muß, hat Pech, Rücksicht auf das Wetter kann nicht genommen werden.

Es war kein leichtes Reiten. Nachdem der erste Ärger gehabt hatte – sein Pferd verweigerte schon beim ersten Hindernis –, startete Christoph. Er ritt gegen einen Regen an, daß man sich wunderte, wie er die Zahlen an den Hindernissen erkennen konnte. Schorsch, jener Bauer mit der Fanny und der Iris, hat einmal gesagt, als unsere jüngste Tochter sich im Parcours irrte: „Reiten kann die und springen auch, alle Achtung. Nur bis zwölf zählen, das muß sie noch lernen.“

Christoph verzählte sich nicht. Dafür schlug sein Pferd jedes Hindernis an, über das es sprang, bolzte dagegen, daß es bebte, aber keins fiel. Nach jedem Sprung drehte er sich auch noch um und vergewisserte sich: Fehler? Nein. Einmal wakkelte die Stange noch, als er schon die übernächste ankrachte.

„So scheußlich bin ich noch nie gesprungen, so faßbeinig“, sagte er hinterher und nahm die Kappe ab. Durchgeregnet war er bis auf die Haut. „Ich hab’ halt zu gut gegessen.“

„Was denn?“ fragte ich.

„Eisbein mit Sauerkraut und sooo eine Maß dazu...“ Er deutete mit der Hand vom Boden. Mir wurde schwach. Und das vorm Springen!

„Was willst du denn? Ich war eingeladen, brauchte nicht zu bezahlen.“

 

Michael, der eine meiner Beinahesöhne, schenkte sich und seiner Frau zur Hochzeit eine Stute, Jola. Christoph und Schorsch hatten sie mit ausgesucht. Wir waren alle sehr stolz auf sie.

Der Pferdekauf war vor sich gegangen, wie sich das gehört. Die drei Männer standen mit dem Bauern im Stall, sahen das Pferd an, sagten nichts. Daß der Preis, den der Besitzer forderte, viel zu hoch war, hatten sie natürlich anfangs gleich gesagt. Nun wurde geschwiegen. Von Zeit zu Zeit nahm einer den Hut, setzte ihn auf und lief hinaus – einmal der Bauer und ein andermal einer von den drei Kauflustigen. Der Preis wurde in Fünfzigmarkraten heruntergehandelt. Um die letzten hundert Mark wurde man nicht einig. Die drei verließen grußlos den Stall, das Gehöft und das Dorf und kamen heim. Ich wartete gespannt. „Na?“

„Nichts na.“ Sie erzählten. Ich fand sie blöd. Wegen hundert Mark!

„Teilt euch doch drein! Jeder kommt dem anderen mit fünfzig Mark entgegen!“

Sie behaupteten, davon verstünde ich nichts. Das könnte man nicht. Man verlöre dann an Gesicht. Worauf ich mich ans Telefon hängte, dem Bauer versprach, ich würde fünfzig Mark drauflegen, wenn er auch um diesen Betrag zurückginge. Er willigte ein. Am anderen Tag holten wir Jola. Alles strahlte um die Wette.

Jola gewöhnte sich gut ein, kam zum Hengst, nahm auf – das erste Mal – und erwartete im nächsten Frühjahr ihr erstes Fohlen. Das ist immer sehr spannend, und oft kommt man nicht aus den Kleidern, weil man dabeisein will und Nacht für Nacht wacht. Am liebsten fohlen die Stuten allein. Schorsch belauerte einmal eine von seinen Tag und Nacht. Wenn er nicht bei ihr sein konnte, mußte seine Frau ihn ablösen. Sie frühstückten auch getrennt. Eines Morgens, als beide nacheinander – der andere war im Stall – ihren Frühimbiß zu sich genommen hatten, übernahm Schorsch wieder die Wache.

„Ach, trag mir doch die Milchkanne mit hinunter“, bat seine Frau. Schorschs Anwesen liegt direkt an der Straße, das Milchauto hält immer dort und nimmt die Kanne mit. Schorsch faßte mit an. Als er nach kaum drei Minuten wieder in den Stall kam, war das Fohlen gerade geboren.

Es gibt Züchter, die dreißig Jahre lang züchten und keine Geburt miterlebt haben. Ein uns bekannter alter Bauer ließ sich schließlich den Lehnstuhl in den Stall tragen und hinter die Box der Stute stellen, deren Geburt längst überfällig war. In diesem Stuhl bezog er Posten. Nachdem er einmal kurz eingeduselt war, schrak er plötzlich auf – und sah das Fohlen, bereits auf den Beinen stehend, heftig an der Mutter saugen.

Wir haben mehr Glück gehabt. Ich habe mindestens fünf Fohlengeburten miterlebt, obwohl Isländer womöglich noch scheuer sind als Großpferde. Sie als halbe Wildpferde haben das Gefühl, schwach zu sein in diesem Moment, und da wollen sie von niemandem beobachtet werden. Einmal war ich ganz allein zu Hause, als eine Stute das erste Mal fohlte. Ich stellte mich hinter die Hausecke und beobachtete sie, ohne daß sie es merkte. Vom ersten Moment an, da sie hin und her trat, im Kreis ging und sich dann niedertat, bis zu dem Moment, wo das Fohlen aufzustehen versuchte. Da hielt ich es nicht mehr aus, sprang zu und riß die Eihaut auf. Was ist man da glücklich und dankbar!

Bei Jola ging es glatt, ohne Hilfe, aber die Komplikationen kamen hinterher. Sie nahm das Fohlen nicht an. Sobald es sich ihr näherte, biß sie nach ihm. Das tun manche junge Pferdemütter, vor allem, wenn das Euter schon straff voller Milch ist und es weh tut, wenn ein Fohlenmäulchen dranstößt. Daß es danach besser wird, kann man der Stute hundertmal sagen, so gescheit ist sie wiederum nicht, das zu glauben.

Jedenfalls war es Jola nicht. Wir versuchten alles, schmeichelten mit ihr, hielten sie fest, versuchten abzumelken – das ging nicht, kein Gedanke daran! – und streuten Kleie auf das nasse Fohlen, damit sie es ableckte. Nichts half. Schließlich mußten wir sie in eine Box stellen, die mit einem Holzzaun von ihrer eigenen getrennt war, so daß sie das Fohlen sehen und riechen, es aber nicht erreichen konnte. Vielleicht gewöhnte sie sich daran. Sorgenvoll warteten wir, ob sie nicht zu Verstand kommen würde.

Am nächsten Morgen ließ sie die Milch laufen, das war ein Glück, denn so gab es keine Euterentzündung. Aber an Trinkenlassen war nicht zu denken. So besorgten wir Milupa, und Michaels Frau, von uns „Mausel“ genannt, zog Agapi, so hieß das Fohlen, mit der Flasche auf. Das hört sich leicht an, ist aber nicht so romantisch, wie man es sich vorstellt. Alle zwei Stunden, auch nachts, muß das Fohlen getränkt werden, und es trank manchmal vier Flaschen hintereinander. Es war zwar sehr rührend zu sehen, wie Agapi ihrer Ziehmutter entgegenrannte, sobald diese erschien, aber deren Schlaf wurde stark beeinträchtigt, und sie ist nicht nur Hausfrau, sondern auch berufstätig. Wir anderen lösten sie manchmal ab, aber das war Agapi nicht recht. Deshalb suchten wir nach einer Amme, telefonierten und fuhren umher, und schließlich, nach etwa vier Tagen, hatten wir eine gefunden. Nun standen Agapi und ihre Pflegemutter zusammen in der Nachbarbox, streng beobachtet von Jola, und die erste Ziehmutter konnte wieder schlafen.

Agapi ist groß und schön geworden, Michael reitet sie, wir lieben sie alle. Einmal hatte Mausel sie früh auf die Koppel gelassen, die ein wenig abschüssig ist, und Michael sah mittags nach ihr. Er fand sie mit einem Knüppel, der schräg durch ihre Brust gebohrt war, am Zaun stehend. Der Stock ich habe ihn selbst in der Hand gehabt, und mich hat geschaudert – war so dick wie ein Besenstiel und etwa einen halben Meter lang und ragte auf beiden Seiten aus dem Fell heraus. Michael entfernte ihn – er war dazu auch noch splittrig – und holte natürlich sofort den Tierarzt. Der wusch die Wunde aus, desinfizierte sie und verklebte die Ränder. Was keiner zu hoffen wagte: Agapi überstand den Unfall. Keine Blutvergiftung trat ein, die beiden Wunden heilten.

Wie das Unglück passierte, haben wir uns lange nicht denken können. Michael fand schließlich eine Spur im nassen Gras, unten am Koppelzaun, da muß Agapi ausgeglitten und in ein Stück Zaun hineingerutscht sein. Trotzdem ist so etwas kaum vorstellbar und selten – noch seltener ist es jedoch, daß ein Pferd es übersteht. Da hat ihr der heilige Georg freundlich beigestanden!

Wenn Schorschs Stuten zum Hengst müssen, reitet Christoph sie meist hin. Einmal sollte er zwei nach Ludwigsburg bringen, das sind etwa fünfzig Kilometer. Die Stuten mit Handpferd zu reiten, über Autostraßen und Bahnübergänge – er war damals vielleicht siebzehn Jahre alt –, das ist schon eine Aufgabe. Als ich davon hörte, bot ich mich sogleich an mitzureiten, die zweite Stute zu übernehmen, damit er es leichter habe. Christoph sah mich an, schluckte kurz und sagte dann: „Gut. Wenn du dir’s zutraust...“

Ich war damals schon Großmutter. Mit einer Vernunft, die meine Jahre überstieg – so sagten meine Kinder –, nahm ich Abstand von diesem meinem heißen Wunsch. Ich war so gerührt, daß er nicht „Spinnst du“ oder „Das schaffst du nicht“ gesagt hatte, sondern, liebenswürdig, wie er ist, zustimmte. Ich habe später weitere Ritte gemacht, vor allem in Island, aber immer auf Robust- und nie auf Großpferden, die ich nicht so gewöhnt bin.

Leidenschaftlich spielen wir Reitersuchen. Das ist ein Spiel, von uns erfunden, das uns immer aufs neue begeistert. Wenn einer von uns – meist Christoph oder die Ponyhoftochter – über Land reitet, sagt er nicht, welchen Weg er nimmt. Wir fahren dann nach einiger Zeit mit dem Auto nach. Es gehört zum Spiel, daß wir suchen müssen. Im Wagen hat man je nach der Jahreszeit heißen oder kalten Tee in der Thermosflasche, dick belegte Brote für den Reiter und Mohrrüben für das Pferd. Und nun wird gemutmaßt, wo der Reiter sein kann, und ausgespäht...

Einmal spielten wir es im Winter. Ich hatte die damals noch ziemlich kleinen Jungen meiner Tochter im Wagen und hielt an einer Kreuzung, über die die Reiter vermutlich kommen würden. Dabei unterhielt ich mich mit den Jungen. Moritz, der mittlere, saß bei mir vorn. Ich fragte, ob er kalte Füße hätte.

„Hm“, sagte er gleichmütig und lutschte weiter an seinem Gummibären. Ich zog ihm probeweise einen Gummistiefel vom Bein. Darin stand das Eiswasser sicherlich fünf Zentimeter hoch, und aus seinem Strumpf lief es wie aus einer aufgedrehten Wasserleitung.

„Junge, wie hältst du das nur aus?“ fragte ich entsetzt, zog auch den anderen Stiefel herunter und verbrachte die Wartezeit, bis die Reiter auftauchten, damit, ihm die erstarrten, glasig rosa Füße in der Hand zu wärmen, sie anzuhauchen und in Schal und Mütze einzuwickeln.

Ja, so ein Reiterleben ist hart.

Aber schön! Es wird mit nie endender Arbeit bezahlt, aber es lohnt sich. Wir alle möchten nicht tauschen, auch wenn wir winters mit erstarrten Händen Wassereimer schleppen oder im Sommer in glühender Hitze Zäune umsetzen müssen. Dafür sind weiche Pferdenasen da, die an uns schnobern und uns freundlich anstoßen: „Hast du mir nichts mitgebracht?“ Dafür können wir reiten, wenn es die Zeit erlaubt, und erleben immer wieder Neues und Schönes. Als Kind auf dem Pony, als Größerer auf Pferden – es ist schon eine alte, immer neue Wahrheit, daß dort das Glück der Erde liegt!