Für Hannah & Christer

1. TRILL

»Hey! Hey, du da!«

Kurt öffnet die Augen und sieht etwas Rot-Grau-Schwarzes davor flattern.

»Oh. Du hast auch noch blaue Augen! Bisschen kitschig.«

»Zieh Leine«, antwortet Kurt.

»Ich wollte nur sehen, ob es echt ist«, sagt der Vogel und nimmt auf Kurts Nase Platz. »Also, ob DU echt bist.«

»Hmpf«, macht Kurt und schüttelt den Kopf, sodass der Vogel durch die Luft gewirbelt wird und sich schließlich auf einem Zweig genau über Kurt niederlässt.

»He«, beschwert er sich. »Das war eben sehr unhöflich!«

»Leute aus dem Schlaf zu reißen, ist auch unhöflich!« Kurt vergräbt sich ein wenig tiefer im hohen Gras und versucht erneut einzuschlafen.

»Wenn man einen guten Grund hat, ist es notwendig, nicht unhöflich.«

Etwas Weißes, Nasses landet mit einem satten »Klatsch« direkt vor Kurts Nase.

Kurt rümpft die Nüstern. »Und dass du eben genau auf mein Kopfkissen gekackt hast, findest du auch nicht unhöflich?«

»Das ist eine Maßnahme für äußerste Notfälle. Ich brauche dich nun mal ganz dringend. Ich bin übrigens Trill.«

Kurt steht auf, streckt sich und stapft los.

»Ist das nicht der Moment, in dem du mir sagst, wie du heißt?«, fragt der Vogel, der neben ihm herflattert.

»Nein«, sagt Kurt. Er hat so was von keine Lust auf diese Unterhaltung.

Der Morgen riecht nach Klee und Tautropfen und Sonne. Zeit fürs Frühstück. Ein Stückchen weiter fängt Kurt an zu grasen.

»Ich weiß schon«, ruft Trill. »Du willst ein Spiel draus machen, stimmt’s? Ich soll deinen Namen erraten, stimmt’s? Was ist, wenn ich ihn errate?«

Kurt hebt den Kopf und sieht Trill in die Augen. »Ja«, sagt er. »Das ist die Frage, was dann ist.« Er überlegt kurz. »Wenn ich dir meinen Namen sage, lässt du mich dann in Ruhe?«

Der Vogel überlegt ebenfalls. »Nein«, sagt er dann.

»Warum sollte ich ihn dir dann sagen?«

»Aber ich kann dich nicht in Ruhe lassen!«, erklärt Trill. »Ich brauch doch deine Hilfe! Ich habe überall nach dir gesucht! Nach einem schneeweißen, blauäugigen, edlen, selbstlosen, hilfsbereiten, starken, magischen …«

»Dir haben sie wohl zu viele Märchen erzählt«, unterbricht Kurt. »Ich will jetzt frühstücken. Schönen Tag noch.«

Er schüttelt seinen Schweif, und bei jeder Bewegung geht daraus ein Schauer rosa glitzernder Sterne nieder. Missmutig betrachtet Kurt das rosa glitzernde Gras um sich herum. »Peinlich«, murmelt er.

»Ich weiß, wie du heißt!«, jubelt Trill. »Sternenschweif! Hab ich recht, oder hab ich recht?«

»Weder noch«, sagt Kurt. »Du hast einen Knall!«

»Dann heißt du Sturmwind?«

»Nein.«

»Mondstrahl?«

»Nein.«

»Wolke?«

»Nein.«

»Abendstern?«

»Nein.«

»Luna?«

»Das ist ein Mädchenname!«

»Oh. Tut mir leid. Saphira?«

»Treib’s nicht zu weit, du!«

»Crystallo?«

»Nei-enn. Himmel noch mal. Mein Name ist Kurt. Wenn du’s unbedingt wissen willst.«

Trill sieht Kurt mit schief gelegtem Kopf an. »Du willst mich veräppeln.«

»Veräppeln nicht. Verkloppen vielleicht.«

»Aber du bist ein Einhorn.«

»Scharf beobachtet.«

»Einhörner heißen nicht Kurt. Das ist unpassend.«

»Sagt wer?«

»Ich … ich weiß nicht … ich meine, Kurt, der Hirschkäfer, okay. Kurt, der Eber, meinetwegen. Aber Kurt, das Einhorn …«

»Du wirst dich damit abfinden müssen.«

»Aber was haben sich deine Eltern bloß dabei gedacht? Es gibt so tolle Einhorn-Namen … Turmalin und Diamant und Andromeda – äh … Andromedooo … und …«

»Alles schon tausendmal da gewesen«, unterbricht Kurt. »Meine Eltern wollten eben was Besonderes.« Tatsächlich weiß Kurt nicht, was seine Eltern wollten, denn er hat sie nie kennengelernt. Aber er hat nicht vor, das dem kleinen, frechen Vogel auf den Schnabel zu binden.

»Und deshalb gaben sie dir den klangvollen Namen …«

»Kurt«, sagt Kurt. »Genau. Und jetzt pass auf, was du sagst. So ein Einhorn-Horn macht nämlich ganz schnell Geflügelgulasch aus dir.«

»Haha, du bist ganz schön witzig«, japst Trill kichernd. »Du bist einer von den Guten, ob du willst oder nicht.«

»Ach ja?« Kurt macht mit seinem Horn eine blitzschnelle Bewegung, und ein dicker Ast kracht genau neben dem kleinen Vogel auf den Waldboden.

»Uuups«, macht Trill erschrocken und hört erst mal auf zu kichern. »Aber, aber …«, japst er dann.

Kurt hebt abwartend eine Augenbraue. Offenbar hat er dem vorlauten Vogel jetzt doch etwas Respekt eingeflößt.

Wahrscheinlich reicht das, um ihn auf Nimmerwiedersehen zu verscheuchen. Kurt stapft weiter Richtung Bach, da blühen ein paar fette Frühstücks-Sumpfdotterblumen. Endlich Ruhe.

»Aber … aber«, trillert es da wieder genau neben seinem Ohr. »Wenn die Einhornjungs jetzt Kurt heißen oder Emil oder Ernst … wie heißen dann neuerdings die Mädchen-Einhörner? Gerda? Eulalia? Elfriede?«

»Das ist mir so was von schnuppe«, sagt Kurt und dreht Trill sein schneeweißes Hinterteil zu.

»Siehst du, ›Schnuppe‹, das ist ein Einhorn-Name!«, erklärt Trill und lässt sich wieder genau über Kurts Kopf auf einem Ast nieder. »Oder noch besser ›Sternschnuppe‹! Und wenn’s schon was mit ›K‹ sein soll, dann doch bitte ›Komet‹! ›Komet‹ klingt fast wie Kurt, findest du nicht? Nur schöner! Darf ich dich ›Komet‹ nennen?«

»Nein.«

»Ach, komm schon! Sei kein Spielverderber! Nur bis du die Prinzessin gerettet hast, dann kannst du meinetwegen auch ›Hans-Dietrich‹ heißen oder ›Ewald‹! Du, Komet, stimmt es eigentlich, dass die Pupse von Einhörnern nach Rosen duften?«

»Hältst du eigentlich nie die Klappe?«, unterbricht Kurt. »Und was soll das Gelaber von der Prinzessin? Ich kenne keine Prinzessin. Ich will auch gar keine kennen.«

»Aber du bist ein Einhorn

Kurt seufzt. »Fängt diese Unterhaltung jetzt von vorne an?«

»Einhörner und Prinzessinnen gehören zusammen! Das weiß doch jedes Kind!«