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Fürstenkrone Classic
– 11 –

Aschenputtel im eigenen Schloss?

Komtess Amelie hat es nicht leicht

Cora von Ilmenau

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-078-1

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»Wohin soll’s denn gehen bei dem Sturm?«, fragte der Kutscher verwundert. Nicht gerne verließ er bei diesem Wetter die warme Kutscherstube des Gasthofs.

»Nach Schloss Hochwald muss ich! Ich kann auch bezahlen«, antwortete die Frau, die gesehen hatte, wie zweifelnd der Mann sie ansah. Sie war einfach, aber sauber gekleidet und schien noch jung zu sein. Im Arm trug sie ein Bündel, auf das sie sorgsam achtgab.

»Nach Hochwald hinauf? Alle Wetter. Ist wohl dort eine Stelle freigeworden?«

»Na, das wär’ wohl was«, erwiderte die Frau und seufzte. Sie wies auf das Bündel in ihrem Arm. »Ich bringe dem Grafen Hochwald sein Enkelkind.«

Man trat vor die Tür des Gasthauses.

Eine Windböe kam auf und riss das schützende Tuch weg. Nun konnte man sehen, dass in dem Bündel tatsächlich ein Säugling eingewickelt war.

»Sein Enkelkind!«, rief der Kutscher erstaunt aus. »Dann wollen wir mal schnell losfahren.«

Es war spät im Herbst. Die Nacht kam früh heute, noch früher als sonst, denn der Himmel war schon den ganzen Tag wolkenverhangen gewesen. Nun brach das Unwetter mit ganzer Macht los. Obwohl es erst gegen fünf Uhr abends sein mochte, war es bereits so dunkel wie in der tiefs­ten Nacht.

Zudem peitschte ein kalter böiger Wind die Bäume und Büsche, die die Straße säumten. Wer auch immer das Pech hatte, bei diesem Wetter unterwegs sein zu müssen, hatte ein schlechtes Los gezogen.

Und dennoch – das kleine armselige Gefährt mühte sich die Anhöhe, die in den Wald hineinführte, hinauf. Man mochte es schwerlich eine Kutsche nennen, so klein und klapprig war es, und es wurde von einem Pferd gezogen, das wie die kleine Kutsche schon bessere Tage gesehen hatte. Durch Unebenheiten im Boden wurde der kleine Wagen hin und her geworfen wie ein Schiff auf den Wellen im Sturm. Als die Anhöhe geschafft und der Wald erreicht war, wurde der Weg etwas besser. Schützend hatte der Wald seit jeher seine Hand über den Weg gehalten und ihn vor den Folgen von Wind und Wetter bewahrt.

Nun hielt die Kutsche an. Der Kutscher, der sich eben noch vor dem Sturm auf dem Kutscherbock zusammengekauert hatte, drehte sich um und klopfte an die Scheibe. Er muss­te seine Stimme anstrengen, denn man war nun zwar durch den Wald vor den schlimmsten Windböen geschützt, dennoch tobte der Sturm noch laut und mächtig.

»Es ist nun nicht mehr lang!«, rief er dem unglücklichen durchgeschüttelten Fahrgast zu.

»Wird auch Zeit«, war die mürrische Antwort. Die Reise hatte der jungen Frau ziemlich zugesetzt und ihre ohnehin schon schlechte Laune noch verschlimmert. Musste ausgerechnet sie dem alten Grafen sein Enkelkind bringen? Von dem er, wie man sich erzählte, gar nichts wusste? Was war, wenn sie das unselige Würmchen gar nicht los wurde?

Das Kind selbst hatte sich die ganze Zeit über zum Glück recht brav verhalten. Ein kleines Mädchen war es, kaum ein halbes Jahr alt. Im Moment schlief es ruhig, da es weder die Gefahren des Sturms kannte noch die Ablehnung durch den alten Grafen fürchtete.

Mit einem Ruck setzte sich das Gefährt jetzt wieder in Bewegung. Geduldig nahm das alte brave Pferd die letzten Steigungen des Weges auf sich. War es diesen Weg doch früher, in besseren Zeiten, oft gegangen.

Die Straße machte eine letzte Wendung und führte danach sanft einen leichten Abhang hinauf. Wäre es Tag gewesen, so hätte sich den Reisenden ein stolzer Anblick geboten: Dort lag, umgeben von einem prächtigen Garten, in dem im Sommer Rosen blühten, Schloss Hochwald. Es war ein mächtiges, großes Gebäude, das auf jeden großen Eindruck machte. Früher war es sogar eine Burg gewesen. Davon waren nun aber nur noch die Burggraben und die Zugbrücke darüber übrig geblieben.

Freilich lag die ganze Pracht im Moment im Dunkeln, und da auf Hochwald niemand mit Besuch rechnete, waren auch die Laternen, die den Eingang zum Schloss säumten, nicht angezündet.

Die Kutsche nahm den Weg über die Zugbrücke und rumpelte in den mit Steinen gepflasterten Innenhof. Dort kletterte der Kutscher vom Wagen. Ihm waren von der Fahrt bei dem kalten nassen Wetter die Knochen steif geworden.

»Da wären wir! Schloss Hochwald!«, rief er der jungen Frau im Wagen zu.

»Was das nun werden wird mit dem Kind? Zum Glück hab’ ich mit der Geschichte jetzt nichts mehr zu tun«, murmelte er vor sich hin, als er die Hand hob, um mit dem eisernen Ring, der an der schweren Tür hing, zu klopfen.

Mehrmals musste er den schweren Ring gegen die Tür fallen lassen, dann konnte man endlich Schritte hören. Mit einem Quietschen ging das große Holztor auf.

»Was gibt’s denn?« Das Gesicht einer alten Dienstmagd schob sich durch den Türspalt. Zum Schutz gegen Wind und Wetter hatte sie sich ein Tuch um den Kopf gebunden, das nun heftig im Wind flatterte.

»Dem Herrn Grafen hätt’ ich was zu bringen! Komm heraus, Mädchen, die Fahrt ist zu Ende!«, rief der Kutscher in Richtung des Wagens. Die junge Frau stieg aus, das Kind auf dem Arm. Es war in eine dicke Decke gewickelt worden, um es vor der Kälte zu schützen.

»Und was bringt man dem gnädigen Herrn bei diesem Wetter?«, fragte die alte Schlossangestellte verwundert. Die junge Frau schlug die Decke vom Kopf des Kindes zurück und sagte:

»Dem Herrn Grafen sein Enkelkind. Das von seiner einzigen Tochter. Sie ist nun tot, und das Kind soll hierbleiben.«

»Ach herrjeh!«, war die Antwort der alten Line.

»Ich kann’s nicht behalten. Ich muss auch morgen zurück!«, gab die junge Magd zurück.

»Nun kommt erst mal rein. Das arme Ding friert sich hier draußen noch zu Tode. Und dir wird eine heiße Suppe auch recht sein«, meinte Line. »Ach, was wird der gnädige Herr nur sagen. Hoffentlich nimmt er’s gut auf«, fügte sie noch hinzu. Sie brachte die junge Frau und das kleine Kind in die warme Küche. Der Kutscher hatte sich gleich auf den Rückweg gemacht.

In der Küche gab es heißen Kaffee und eine gute Suppe für die unwillige Reisende. Das Kind war aufgewacht und schaute mit großen blauen Augen um sich. So, als wollte es seine neue Heimat kennenlernen.

»Es sieht wirklich ganz aus wie die junge Komtess Sophie!« Da war man sich einig. Die Älteren der Dienerschaft erinnerten sich noch gut daran, wie die fröhliche schöne Grafentochter als kleines Kind ausgesehen hatte.

»Nun erzähl erst mal, was es mit dem Kind auf sich hat!«, rief Gertrud, die Köchin. Sie war immer für eine gute Geschichte zu haben. Es hatte sich auch schnell herumgesprochen, dass in der Küche etwas Besonderes im Gange war, und so waren viele von der Hochwalder Dienerschaft herbeigeeilt.

»Je nun«, seufzte die junge Frau, »da gibt’s nicht viel zu sagen über das Kind. Ein Mädchen ist es. Ist heute genau vor einem halben Jahr zur Welt gekommen. Auf den Namen Amelie Sophie ist es getauft. Die Mutter ist vor zwei Wochen gestorben. Sie hat wohl den Tod des Mannes nie überwunden. Ich war da als Köchin für die gnädige Frau. Anna Schmitt ist mein Name. Und eigentlich hab’ ich gar nichts mit dem Kind da zu tun.«

Hedi, das junge Stubenmädchen, hatte mit großen Augen und offenem Mund gelauscht. Sie hatte oft reden hören von der schönen jungen Komtess und ihrer heimlichen Hochzeit mit dem eleganten jungen Offizier von Eschenheim. Der so arm war und so tapfer. Nun war er im Krieg gefallen und die Komtess Sophie aus Kummer darüber gestorben.

Hedi wischte sich eine Träne aus den Augen. Sie konnte nicht verstehen, wie man so herzlos sein konnte und das arme kleine Ding loswerden wollte, so wie diese Köchin. Da war Gertrud, die Köchin auf Hochwald, viel netter.

»Aber wer bringt es dem Herrn Grafen bei?«, fragte der Hausdiener Johann nun. »Der war doch so gegen die ganze Geschichte und wollt’ nichts mehr wissen von der Komtess Sophie!«

In diesem Moment schrillte die Glocke.

»Der gnädige Herr!«, ertönte ein erschrockener Ruf durch die Küche.

»Es ist für dich, Magda. Spute dich!«, rief Gertrud. Magda war eines der Zimmermädchen.

»Warte.« Gertrud drehte sich zu Anna Schmitt um. »Ich komme mit und du auch. Schließlich hast du das Kind gebracht. Da kannst du dem gnädigen Herrn noch so manches erklären.«

So machte sich die kleine Prozession auf den Weg, der Rest der Dienerschaft blieb in der Küche und überlegte aufgeregt, wie Graf Hochwald sein Enkelkind wohl empfangen würde. Es war doch so ein herziges kleines Ding und so brav, da konnte man es doch schlecht wieder vor die Tür setzen?

*

Oben vor dem Salon blieben die drei Frauen stehen. Dann ging Magda hinein, um wie gewünscht für Graf Friedrich von Hochwald ein warmes Feuer im Kamin anzuzünden. Bald loderten die Flammen hell auf, und eine wohlige Wärme verbreitete sich.

»Das ist gut bei diesem Wetter«, seufzte der alte Herr. »So spüre ich die Gicht wenigstens nicht ganz so stark wie sonst.«

Er war ein feiner, aristokratisch aussehender Mann, immer noch groß und schlank, und er war in seinen bes­ten Jahren eine imposante Erscheinung gewesen. Seit dem Tod der Gräfin, seiner Frau, war er jedoch nicht mehr der alte. Auch hatte ihn die Flucht seiner innig geliebten einzigen Tochter schwer getroffen. Musste sie auch einem armen Schlucker ihr Herz schenken? Und dann noch zur Schande der Familie heimlich heiraten! Da war es ihm ganz egal gewesen, dass der junge Offizier von Eschenheim aus guter Familie stammte.

»Hungerleider sind das!«, hatte er immer erbost geschimpft und sich geweigert, Alexander von Eschenheim als Gatten seiner Tochter anzuerkennen. »Eine Komtess Hochwald kann nicht von den paar Groschen leben. Und dann ist er noch Offizier. Was ist, wenn er im Krieg fällt?«

Nachdem dann die Flucht der jungen Komtess bekannt geworden war, hatte Graf Hochwald getobt und gedroht: »Der soll sich unterstehen, und mir noch einmal unter die Augen kommen! Und Sophie will ich auch nicht mehr sehen! Die Suppe, die sie sich eingebrockt hat, wird sie auslöffeln müssen.«

Auch jetzt, als er dem Stubenmädchen beim Feuer machen zugesehen hatte, hatte Graf Hochwald an seine Tochter denken müssen. Eben so einen stürmischen kalten Tag hatte sie sich vor zwei Jahren aussuchen müssen, um ihr Elternhaus zu verlassen! Und jetzt, was war jetzt doch alles geschehen! Graf Hochwald seufzte und ließ den Brief sinken, in dem er gerade gelesen hatte. Er unterbrach seine Gedanken, denn er sah das Stubenmädchen vor sich stehen.

»Gibt es noch etwas, Magda?«, fragte er müde.

»Gnädiger Herr, da ist … warten Sie, ich hole sie herein.« Magda hatte sich nicht mit der Sprache heraus getraut. Nun eilte sie vor die Salontür und holte die Köchin Gertrud und Anna Schmitt mit dem Säugling herein.

»Herr Graf«, begann die Köchin Gertrud. Ihre Stimme zitterte etwas, denn wusste man, wie der alte Herr die Nachricht vom Tod seiner Tochter aufnahm? Und das Kind, das würde er vielleicht ablehnen und ins Waisenhaus stecken lassen.

»Was möchtest du mir sagen, Gertrud?« Die Stimme Graf Hochwalds klang müde, noch müder als sonst.

»Nun.« Gertrud hob das Kinn. Raus musste die Sache, und je eher, je besser. »Ihre Tochter, die Komtess Sophie ist vor zwei Wochen von uns gegangen. Sie hinterlässt dieses unschuldige kleine Wesen und bittet Euch, es gnädig aufzunehmen.«

»Komm näher!«, befahl der alte Herr. Anna Schmitt, die mit dem Kind auf dem Arm neben der Köchin stand. »Sophie!«, rief der Graf gleich darauf erschüttert. »Ja, so hat sie auch ausgesehen, als sie so alt war.« Die Stimme des Grafen zitterte leicht. »Auch so große blaue, staunende Augen. Und so goldblondes Haar.« Erinnerungen stürzten in das Gedächtnis des Grafen und drohten ihn zu überwältigen.

»Gib mir einmal das Kind her«, sagte er schließlich.

Das Kind wurde auf den Arm des alten Mannes gelegt, und wieder schaute es mit seinen großen Augen prüfend um sich. Brav war das kleine Mädchen, ganz so, als ob es wüsste, dass seine Zukunft davon abhinge.

»Sei willkommen auf Schloss Hochwald. Du kannst ja nichts für die ganze Geschichte.« Seufzend strich Graf Hochwald seiner Enkeltochter über das blonde Haar. »Sieh mal, ich wusste schon, dass du kommst.« Der alte Herr sprach leise, fast wie zu sich selbst. »Das steht alles in dem Brief hier, den ich gerade gelesen habe. – Nun«, fuhr er dann mit lauterer Stimme fort und wandte sich an Anna Schmitt. »Was hat meine Enkelin noch mitgebracht, außer sich selbst?«