Die Karikaturen stammen von Rainer Kainrath.

2016 · Dritte Auflage

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© by Athesia AG, Bozen (2002)

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Vorwort

Im Volksglauben spielten Geister von jeher eine große Rolle, und so galten Hausgeister als übernatürliche Beschützer und Helfer, um deren Gunst man bemüht war.

Von allen guten Geistern verlassen ist eine oft benützte Redewendung, die verdeutlichen soll, wie arm jemand dran ist, dem sie den Rücken gekehrt haben. Auch in diesem Buch handelt es sich um eine Art Hausgeister, hilfreich und gut, sofern man mit ihnen umzugehen versteht. Sinnvoll angewandt, sind es zweifellos gute Geister, die sich in unseren Hausschnäpsen ansiedeln. Der heilige Augustinus meint ja auch (wenn wir diesen Ausspruch auf dieses Thema beziehen dürfen): Der Geist kann nicht im Trockenen wohnen.

Es liegt an der Freigebigkeit der Natur, dass sehr viele Heilkräuter auch in Verbindung mit Alkohol eine gute Wirkung zeigen. Mit einer Einschränkung allerdings: Der Alkohol ist ein nicht ungefährliches Medium dieser Kräfte. Jeder weiß, was damit gemeint ist.

In alten Kräuterbüchern wird den destillierten Wässern breiter Raum gewidmet und für alle Leiden und Gebrechen scheint sich ein wohltuender Schluck anzubieten. Vieles verleitet uns heute zum Schmunzeln, aber so manches hat seine Gültigkeit bis in unsere Tage bewahrt. Der geneigte Leser wird die alten Recepte zu beurteilen wissen.

Kräuterschnäpse gehören zum Hausschatz der bäuerlichen Bevölkerung, aber nicht nur in diesen Kreisen weiß man sie zu schätzen. Meist sind es die Hausfrauen, die sich darum kümmern und nach überliefertem Brauch ihre Schnäpse ansetzen. Anderswo steht mehr die Experimentierfreudigkeit im Vordergrund. Das vorliegende Buch soll in diesem Sinne neue Anregungen geben und so nebenbei einen Blick in die Welt der feinen Spirituosen freigeben.

Der Verfasser wünscht nun allen Interessierten viel Freude an den guten Geistern und ein rechtes Gespür für Maß und Ziel.

Christoph Mayr

Bozen, im Herbst 2002

Heiltrank und Genussmittel

Zur Kulturgeschichte der Spirituosen

Seit der Antike verehrt und besungen, galt der Heiltrank als Geschenk der Götter, der den Bedürftigen Heilung und Labung brachte. Die Urform des Heiltrankes ist wohl im Wasser zu suchen, aber erst durch die Verwendung von Arzneipflanzen entwickelte er sich zu einem wirkungsvollen Heilmittel. Dem Mythos nach überreichte Artemis, Tochter des Zeus, dem heilkundigen Kentauren Cheiron die Heilpflanze Artemisia (Wermut). Über Jahrtausende bildete der Wein die Grundlage der kostbaren Heiltränke, bis im Mittelalter der hochprozentige Alkohol als Träger pflanzlicher Heilkräfte an Bedeutung gewann.

Altarabische Darstellung einer Destillation aus dem Dampfbad

Die Historie des Alkohols stellt in ihren Anfängen manch ungelöste Frage, und einige Forscher zerbrechen sich heute noch den Kopf, wann, wo und wie die ersten »Feuerwässer« entstanden sein könnten und wer auf diesem Gebiet die Pionierleistung erbrachte. Selbst die Bibel gibt ein Rätsel auf, denn im 5. Buch Mose steht: Nimm Geld, um alles zu kaufen, wonach deine Seele gelüstet, sei es Wein oder starkes Getränk, auf dass du fröhlich seiest (Dt 14, 26). Als logische Folgerung müsste man daraus schließen, dass etwas gemeint sei, das den Wein an Wirkungskraft übertrifft. Aber machen wir uns darüber keine großen Gedanken und schließen uns der allgemeinen Meinung an, dass die Technik der Destillation erstmals im Orient erprobt wurde. Anfangs wohl nur im Dienste der Kosmetik. Das Wort Alkohol verdanken wir jedenfalls den Arabern. Nach einer der verschiedenen Auslegungen bedeutet al cohl das Feinste, das Gute. Den Arabern verdanken wir also den Namen, sie selbst, als Anhänger des Islams, können davon keinen Gebrauch machen. Wenn auch nur auf dieser Erde, denn im Paradies, verspricht Mohammed, fließen Bäche von Wein.

Alten Aufzeichnungen nach zu schließen, sollen die ersten Versuche der Destillation auf europäischem Boden Mitte des 4. Jahrhunderts in Wales erfolgt sein. Wie dieses Wissen vom Orient an die Irische See gebracht wurde, dürfte ebenfalls ein Rätsel bleiben. Im 8. Jahrhundert waren es die Sarazenen, die Kenntnisse der Destillation nach Spanien brachten. Als eigentliche Geburtsstätte des Schnapses kann aber die süditalienische Stadt Salerno angesehen werden. Hier war die berühmte Naturwissenschaftliche Hochschule beheimatet, die allgemein als Wiege aller medizinischen Fakultäten Europas angesehen wird. In der Zeit um 1050 entdeckte man dort bei der Destillation von Wein den Alkohol. Der Codex des Magisters Salernus (gestorben 1167) enthält die früheste Beschreibung der Bereitung von Aqua ardens aus Wein. Es waren vor allem die Klöster, die sich auf das Brennen von Wein, Getreide und Obst verstanden und mit Kräutern den Destillaten eine gesundheitsfördernde Kraft gaben. Man experimentierte mit allen möglichen Stoffen und Mixturen. Bereits im 15. Jahrhundert waren die Produktionsmethoden so verfeinert, dass einige der nach streng gehüteten Rezepten hergestellten Klosterspirituosen einen weit reichenden Ruf erlangten. Einige der nach alten Rezepten hergestellten Kräuterdestillate haben sich bis heute erhalten. Im Mittelalter hatten Ärzte und Apotheker die heilsame Wirkung hochprozentiger Kräuterwasser erkannt und propagiert, so dass man sich auch außerhalb der Klostermauern mit der Herstellung von Spirituosen beschäftigte. Der berühmte Arzt und Naturforscher Petri Andrea Mattioli hat in seinem Kräuterbuch (1590) die Destillierverfahren allem anderen vorangestellt und in einem ausführlichen Vorwort den Destillierapparat sogar mit dem menschlichen Körper verglichen.

Dem Forschungsgeist und den weit reichenden Beziehungen der Klöster verdankt die Volksmedizin einen großen Teil ihrer Heilmittel. So stellten sie auch ihre kraftvollen Kräuterschnäpse in den Dienst der von Beschwerden geplagten Bevölkerung. So mancher Schluck mag wohl auch zum eigenen Wohle bestimmt gewesen sein.

Das südholländische Hafenstädtchen Schiedam entwickelte sich zu einem Zentrum der europäischen Schnapsproduktion, nicht weniger als 400 Brennereien soll es Mitte des 17. Jahrhunderts dort gegeben haben. Dieser enorme Aufschwung war vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die oft monatelang auf offener See fahrenden Schiffsleute mit Schnaps bei Gesundheit hielten – wenn man dies so sagen kann – und Unmengen von hochprozentigem Alkohol verbrauchten. In Schiedam wusste man diesen Umstand gut zu nutzen und spezialisierte sich auf die Belieferung der Schiffe mit dem begehrten Kraftstoff. Heute bildet Schiedam das Zentrum der Genevererzeugung.

J. Volstead aus Minnesota war einer der eifrigsten Verfechter der Prohibition. Er befürwortete Gesetze, die für Übertreter Strafen bis zu lebenslangem Zuchthaus vorsahen und in Lokalen dichte Fenstervorhänge und mattierte Glasscheiben unter Verbot stellten. Gleichzeitig entwickelte sich ein neuer Verbrechertyp: der Gangster. In einem straff organisierten Syndikat gab sich der Boss als Gentleman und ließ die Untergebenen ihr schmutziges Handwerk ausführen. Durch Winkelzüge willfähriger Anwälte und Bestechung von Beamten waren sie vor Verfolgung sicher. Das Gangstertum war geboren, und Al Capone, das Narbengesicht, wurde zum Schrecksymbol seiner Zeit.

Alkohol, der ursprünglich zu Heilzwecken dienen sollte, wurde bald zum Genussmittel und zum Volksgetränk. Der rasch ansteigende Verbrauch und der hemmungslose Umgang mit diesen Feuerwässern nahm volksschädigende Formen an, die auch die bäuerliche Bevölkerung betraf. Hippolyt Guarinoni (1571–1654), Stiftsarzt und Stadtphysikus zu Hall in Tirol, kämpfte gegen den zu häufigen Wirtshausbesuch und die zu leichtfertige Kreditgewährung an die Bauern, die der Alkohol nicht selten um Haus und Hof brachte. Auch der Benediktinerpater Edmund Hager führte einen erbitterten Feldzug gegen die Schnapspest und sparte nicht mit abschreckenden Beispielen. Im Jahre 1902 veröffentlichte er in Innsbruck eine Streitschrift, in der u. a. über eine makabre Obduktion eines verstorbenen Schnapstrinkers berichtet wird. Nachdem … der Arzt die Schädeldecke vom Haupte abgenommen, sagte er zu den Anwesenden, er wolle Ihnen etwas zeigen. Er fuhr mit einem brennenden Zündhölzchen zum offenliegenden Gehirn, und sogleich züngelte eine gelbliche Flamme empor – der Leichnam stand in Brand! Ein Entsetzen erfaßte alle bei diesem Anblicke.1

Im Laufe der Zeit mehrten sich die Gegner und es traten Vereinigungen auf, die den Alkoholgenuss verteufelten und ein striktes Verbot forderten. Die besonders eifrigen Puritaner erreichten es schließlich, dass der amerikanische Präsident Wilson zu Beginn des Jahres 1919 durch ein Verfassungsgesetz allen Amerikanern die Herstellung, den Verkauf, Handel, Transport und die Einfuhr von Alkohol aus dem Ausland verbot. Die Prohibition war geboren, aber das hohe Ziel einer allgemeinen Enthaltsamkeit schon bald in Frage gestellt, denn in Wirklichkeit förderte sie nur das Gangstertum, das nun ein großes Geschäft witterte und auch zu nutzen verstand. Im Jahre 1928 galt der Alkohol-Schwarzhandel mit 800.000 Beschäftigten als größtes Gewerbe der USA.2 Es war ein Phänomen, dass trotz aller Erschwernisse in den USA nie so viel getrunken wurde, als während der Prohibition. Unverständlich, dass Menschen, die vor dem Verbot keinen Alkohol tranken, plötzlich daran Gefallen fanden und sich einer vielseitigen Gefahr aussetzten. Mit primitivsten Vorrichtungen wurde im Keller oder im Bad ein gesundheitsschädigender Fusel zusammengebraut. Tausende von Bürgern wurden beim Alkoholschmuggel erschossen, oder starben an der oft vergifteten Schmuggelware. Im Jahr 1933 versprach Roosevelt im Wahlkampf die Aufhebung des Alkoholverbotes und gewann dadurch die Wahlen. Eine wohl gemeinte Aktion, die dem Volke Glück und Frieden bringen sollte, aber das Gegenteil erreichte, war damit besiegelt.

Mutter Anna von Sachsen

Das Land an der Elbe ist den Tirolern zwar etwas fremd, aber an der Kurfürstin Anna von Sachsen kommt keiner vorbei, der sich mit der Geschichte der Kräuterschnäpse etwas ausführlicher beschäftigen will. Und so fremd sind uns die Sachsen ja auch wieder nicht, denn so mancher von ihnen hat in unseren Bergen eine sportliche Glanzleistung vollbracht. Auch erinnern uns Namen von Schutzhütten an Sachsen und schließlich ist auch einer der schönsten und eindrucksvollsten Dolomitenwege nach dem Sachsenkönig Friedrich August benannt. Zu Andreas Hofers Zeiten war das Verhältnis weniger gut, denn in der Sachsenklemme bei Graßstein im oberen Eisacktal wurden die Sachsen von den Tiroler Bauern so richtig in die Mangel genommen. Aber dies alles nur so nebenbei.

Mit der Erfindung der Buchdruckkunst um 1450 fanden die früher als kostbare Unikate gehüteten Schriftwerke über Pflanzen und deren heilkundliche Anwendung eine weite Verbreitung.

Mutter Anna, wie die Kurfürstin von ihren Untertanen liebevoll genannt wurde, war eine Tochter des Dänenkönigs Christian III. und hatte einen gewissen Hang zum gebrannten Wasser wohl mit in die Wiege bekommen. Der Heilkunst voll und ganz verschrieben, sah sie im Alkohol einen wirkungsvollen Vermittler pflanzlicher Heilkräfte. Mit unbeschreiblichem Eifer spürte sie alten Rezepten nach und setzte alle Mittel ein, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Sie korrespondierte mit Kaiser und Königen, Klosterleuten, Ärzten und Gärtnern und ließ in den eigens eingerichteten Laboratorien im Dresdner Schloss experimentieren und produzieren. Nach einer Beschreibung des Historikers Hasche war dieses Laboratorium alles eher als eine der üblichen Schnapsküchen. Es hatte ein Ausmaß von zweihundert Schritt ins Gevierte, mit Wall und Wassergraben, in dem vier große Öfen standen. So große Destillierkolben wollte man haben, dass in den sächsischen Glashütten neue Öfen gebaut werden mussten, um den technischen Anforderungen des sächsischen Königshofes gerecht zu werden. Die weitum verschickten Proben brachten ihr Dank und Anerkennung ein. Ob nun die Anwendung ausschließlich vom Gedanken der Heilung geleitet war, bleibt dahingestellt. Jedenfalls ersuchte man öfters um weitere Lieferungen. So erbat die Herzogin von Braunschweig dringend um Nachschub – zur Notdürftigkeit meines schwachen Magens. Einen guten Teil ihres Wissens verdankte die Kurfürstin ihrer Lehrerin, der Gräfin Dorothea von Mansfeld, die eine Expertin auf dem Gebiete der Lebenswasser war. In einem Brief wird über eine wunderbare Heilung Folgendes berichtet: Es war ein Mann ins Wasser gefallen und unter das Eis gekommen, konnte ihn nicht wieder erretten, da kam Einer und sagte, die alte Gräfin zu Mansfeld hat mir lebendig Wasser gegeben, thut es ihm in den Mund, sie gossen ihm ein und er ward lebendig.

Als die Kurfürstin im Jahre 1585 in Dresden verstarb, hinterließ sie eine Sammlung von 181 Rezepten für Kräuterschnäpse und andere Spirituosen, die sie alle selbst ausprobiert und verkostet haben soll.3

Das Heilig-Geist-Spital als Schnapslieferant

Ein Spital weckt alle möglichen Vorstellungen, nur nicht die einer Schnapshandlung. Aber das im 13. Jahrhundert gegründete Bozner Heilig-Geist-Spital war für die damalige Zeit nicht nur ein bedeutendes Krankenhaus, sondern auch ein wirtschaftlich ausgerichteter Betrieb mit großem Grundbesitz. Wenn auch der Weinhandel die größte Erwerbsquelle darstellte, so erbrachte auch der Verkauf der Weinderivate Schnaps und Essig einen beachtlichen Erlös. Essig und Branntwein galten ja immer schon als begehrte Kellerspezialitäten. Im 18. Jahrhundert, wo der Weinhandel stagnierte, versuchte man durch eine verstärkte Produktion von Branntwein und Essig einen finanziellen Ausgleich zu schaffen. Wie aus den Spitalsraittungen (Rechnungsbücher) hervorgeht, erbrachte im Jahre 1765 der Verkauf von Branntwein einen Erlös von 715 Gulden, allerdings bei einem sehr niederen Verkaufspreis von 12 Gulden 23 Kronen die Yhrn. Damals war in Bozen die Yhrn das im Wein- und Branntweinhandel übliche Maß – 1 Yhrn hatte 12 Pazeiden oder 881/5 Maß bzw. 82 Liter). Im folgenden Jahr erzielte man wohl einen höheren Preis, aber einen geringeren Absatz, der nur 303 Gulden einbrachte. Der Erlös des Weines betrug in diesem Jahr 2524 Gulden, während er im Jahre 1796 eine Rekordhöhe von 13.622 Gulden erreichte. In der heutigen Währung ausgedrückt würde dies ungefähr 130.000 Euro bedeuten aber eine höhere Kaufkraft darstellen.

Interessant ist der Abnehmerkreis. Am meisten genannt werden Grattlziacher, dann Kraxentrager und Fuhrleute, die als Kleinverteiler den Schnaps an den Mann brachten. Die Grattlziacher oder Karrner zogen einen mit einer Plache überspannten Karren durch die Gegend, in dem die eigenen Habseligkeiten und verschiedene Verkaufswaren untergebracht waren, die in der Hauptsache aus selbst gefertigtem Korbgeflecht bestanden. Im Doppelgestänge des zweirädrigen Karrens zog der Mann die Hauptlast. Seitlich unterstützte ihn die Frau, und die älteren Kinder besorgten den Vorspann. Weib und Kinder bedienten sich der Zugbänder, die am Karren angebracht waren. So war man besonders im Vinschgau unterwegs. Die Kraxentrager beförderten die schwere Last, die aus allerlei Gebrauchsgut bestand, auf dem Rücken über Berg und Tal. Aber auch Gastwirte und Geschäftsleute wurden mit Schnaps beliefert. Johannes Miller und Thomas Jäger aus Schwaben und ein Herr Biolei aus Augsburg zählten zu den ausländischen Kunden. Im Jahre 1696 war Pietero nono aus Grödn der Hauptabnehmer, ansonsten waren es die Brothüter, die über die Qualität und den Verkaufspreis des Brotes zu wachen hatten und nebenbei einen Branntweinhandel betrieben.

Im Gefühl seiner Freiheit blickte der Karrner mit einem gewissen Stolz, ja fast mit Verachtung auf seinen Brotherrn, den Bauern, herab. Als einmal eine Karrnerjungfrau einen Bauernburschen heiratete, bedeutete ihr der Vater voll Unmut: »Nein, dass du mir das antust. Du hättest doch den besten Karrner gekriegt.«4

Im Jahre 1706 wurde an Anton Ritsch, Brothüter zu Bozen, um 300 Gulden Branntwein geliefert. Das Franziskanerkloster bezog im Jahre 1703 eine im Vergleich bescheidene Menge von 14 Maß, … so zumVergulden gewisser heiliger Leiber appliziert wirdt. Der Schnaps gereichte also nicht zum Wohle der Patres, sondern zum Vergolden von Holzskulpturen. Im Jahre 1737 wurde den Windischen Fuhrleuten um 175 Gulden Branntwein verkauft.

Offenbar wurden auch medizinische Schnäpse hergestellt, wie aus einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1568 hervorgeht: … Samstag und Sonntag in der Creuzwochen (im Mai) vmb fillum fallum (Lilium convallium) wasser daraus zu prennen.5 Eigenartig, dass gerade das Maiglöckchen erwähnt wird, das ja als stark giftig gilt und andere, sicher weit mehr genutzte Kräuter unerwähnt bleiben. Es gab allerdings eine Zeit, da die Bedeutung der Convallaria so groß war, dass man glaubte, jede Krankheit damit heilen zu können. In Russland wird das Maiglöckchen heute noch in der Volksmedizin bei Herzerkrankungen angewandt. Dass die herrlich duftenden Blüten in den Schnupftabak gegeben wurden – weil sie getrocknet und zerrieben einen starken Niesreiz ausüben – sei nur am Rande erwähnt.

Der Kurat von Sankt Josef am See

Es ist wohl eine bedrängte Idylle, das Weindörfchen Sankt Josef am Kalterer See, denn erbarmungslos braust der Verkehr über die dicht am Kirchlein vorbeiführende Straße. Im malerischen Widum, in der dem See zugewandten Veranda, ist der Lärm wie weggeblasen und man darf in wohltuender Abgeschiedenheit den herrlichen Blick auf den schilfbestandenen See genießen. Hier, in diesem reizvollen Ambiente, hütet Kurat Heinrich Dichristin einen besonderen Schatz: In einem großen Schrank befindet sich hinter einer blickschützenden Gardine ein Regiment kleiner Fläschchen mit über 130 verschiedenen Schnapssorten. Da gibt es einen Rosen-, Kastanienblüten- und Weidenrutenschnaps und sonst noch alles Erdenkliche.

Das Kirchlein Sankt Josef am Kalterer See mit dem malerischen Widum

Kurat Dichristin kam zu diesem Steckenpferd durch reinen Zufall. In einem Weinbaugebiet ist es üblich, dass Bauern aus gegebenem Anlass mit einer Flasche Schnaps aufwarten. So wurde auch ab und zu der Herr Kurat mit Hochprozentigem bedacht. Da er nicht recht wusste, was damit anfangen, kam er auf die Idee Kräuter anzusetzen und so dem etwas derben Treber ein angenehmeres, nutzbringenderes Gepräge zu geben. Das richtige Ansetzen verlangt schon einigen Sachverstand und eine reichliche Portion Geduld. Erste Voraussetzungen zum guten Gelingen sind die sorgfältige Auslese und vor allem das behutsame Trocknen der Kräuter und Beeren, denn frisch verwendet enthalten sie zu viel Wasser und das Aroma würde nicht voll zur Geltung kommen. Den besten Beweis dafür liefert der Erdbeertraubenschnaps, den es in drei verschiedenen Varianten gibt. Mit reifen Beeren, frisch von der Rebe gelesen, schmeckt der Schnaps labelet, er hat also wenig Geschmack. Mit vollreifen, im Spätherbst gelesenen Trauben, mundet er schon deutlich besser. Unvergleichlich ist aber das Aroma, wenn die luftgetrockneten Beeren ein volles Jahr lang gelagert und erst dann im Schnaps angesetzt werden. Als Grundstoff für seine Kräutergeister verwendet Kurat Dichristin grundsätzlich einen echten Treberschnaps, alles andere ist ihm suspekt. Der bei feineren Kräuteraromen durchdringende Eigengeschmack des Schnapses stört ihn dabei nicht.

Kurat Dichristin vor seinem Geisterschrank

Nach seinen liebsten Kreationen befragt, nennt er den Forstmeister und den besonders wohlschmeckenden Schlehenschnaps. Nach entsprechender Zubereitung und Lagerung könne er es mit einem Cognac aufnehmen. Leider sind die Beeren nicht mehr so häufig vorzufinden. Da den Vögeln die natürlichen Nahrungsquellen immer mehr entzogen werden, wird in den verbliebenen Hecken meist radikal abgeräumt. Was sich noch finden lässt, wird zu Allerheiligen geerntet, zuerst an der Sonne und dann im Ofen getrocknet, bis nur mehr Haut und Boaner bleiben und die runzeligen Beeren so richtig klappern. Als wirkungsvollsten Heiltrunk bezeichnet Kurat Dichristin den Weidenschnaps. An einer Grippe leidend, empfahl man ihm einen Tee aus Weidenholz zu trinken. Als dieser Gesundheitstee seinen Zustand rasch verbesserte, war es für den Kuraten eine Selbstverständlichkeit, dies auch auf den Schnaps umzusetzen. Bei einer so starken Grundlage müsste sich die Wirkung ja noch steigern lassen, und siehe da, der Weidenschnaps wirkte wahre Wunder. Er muss aber schon bei den ersten Anzeichen einer nahenden Grippe eingenommen werden. Dann ist er ein ausgezeichnetes Antigrippin und könnte Aspirin ersetzen, weil ja auch in dieser Volkspille der Weidenwirkstoff Salicin vertreten ist. Da der Herr Kurat in keiner Weise daran denkt, sein Grippemittel kommerziell zu verwerten, braucht sich Bayer um die Zukunft des Aspirins keine Sorgen zu machen.

Zillertal, du bist mei’ Freid …

Es wird schon an der rauen Bergluft liegen, dass im Gebirge mehr Schnaps getrunken wird, als in wärmeren Klimazonen. Das Verlangen nach Hochprozentigem ist einfach größer, wenn es kalt ist, es harte Arbeit zu verrichten gilt und manchmal die schwere Kost den Magen belastet. Der zünftige Tiroler findet jedenfalls bald einen Anlass, zu einem Schnäpschen zu greifen. So gesehen, könnte man vom schnapsfreudigen Land Tirol sprechen, schon weil Zillertal in seinem Herzen liegt. Zillertal gibt nämlich ein gutes Beispiel, wie die Schnapserzeugung eine ganze Talschaft beeinflussen kann.

Bei Musikkapellen und anderen folkloristischen Aufmärschen werden die Hauptpersonen der ersten Reihe von hübschen Mädchen flankiert. Das Attribut dieser Marketenderinnen ist ein kleines Holzfässchen, das sie an der Schulter tragen. Nicht als Attrappe, sondern mit Schnaps gefüllt, um in Not geratene Teilnehmer zu stärken und zu laben.

Die Geschichte des Branntweinbrennens im Zillertal sowie der Handel mit den heimischen Schnäpsen reicht ein halbes Jahrtausend zurück. In einem im Jahr 1905 erschienenen Wegweiser für Einheimische und Fremde wird über das Schnapsbrennen im Tale Folgendes vermerkt: … auch die Schnapsbrennerei wirft einen nennenswerten Betrag ab. Heute befinden sich insgesamt 948 Schnapsbrennereien im Zillertale unter behördlicher Kontrolle. Diese große Zahl erklärt sich dadurch, weil nicht bloß jeder Besitzer eines größeren Obstgartens sein eigenes ›Brennwerch‹ (primitive Vorrichtung zum Schnapsbrennen) hat, sondern solche Brennwerke selbst in den höchstgelegenen Bauernhöfen und Asten droben zu finden sind, wo Vogelbeeren, Enzianwurzeln, Wacholder- und Holunder- insbesondere aber Heidelbeeren gebrannt werden. Leider werden, wie dies zumeist auch für den Butter der Fall ist, die guten Sorten fast alle nach auswärts verkauft und dafür billige Waren eingeführt. In Anbetracht solcher Zahlen gibt es keinen Zweifel, dass die Schnapsherstellung und der Konsum im Zillertal beträchtlich waren. In der Beschreibung des Erzstiftes und Reichsfürstentums Salzburg, die 1796 erschienen ist, werden die Zillertaler auch entsprechend charakterisiert: Da er (der Zillertaler) eine große Neigung zur Ungebundenheit äußert, die manchmal durch häufiges Branntweintrinken befördert wird, so muß er immer gelinde behandelt werden, wenn er nicht zu tumultartigen Auftritten gereizt werden soll.

Dass in früheren Zeiten im Zillertal der Schnaps allgegenwärtig war, leitet sich auch von einer kirchlichen Verordnung aus dem Jahre 1577 ab. Bei einer Kirchenvisitation wurde dem Pfarrer von Fügen, Remigius Ottenthaler, vorgeworfen, dass er gestatte, dass selbst während des Gottesdienstes Branntwein in der Nähe der Kirche verkauft wurde (vendere vina adusta prope templum); es wurde ihm nahe gelegt, dies zu verhindern.6

Inzwischen haben sich im Zillertal die Zustände längst normalisiert, und es wäre verfehlt, dieses schöne Tal nur mit dem Schnaps in Verbindung zu bringen. Die Zillertaler sind ein tüchtiges, lebensfrohes Volk, das sich auch in schweren Zeiten zu behaupten wusste, Hervorragendes geleistet und große Söhne hervorgebracht hat. Nicht nur die Schürzenjäger.

Die bäuerliche Schnapsküche

In einem Weinbaugebiet, wo beim Einkellern des Hausweines Maischerückstände anfallen, hatte fast jeder Weinbauer für den Eigenbedarf eine kleine Brennvorrichtung. Um ja keinen Argwohn zu wecken, wollen wir diesen guten Brauch nur im Lichte der Vergangenheit betrachten.

Bäuerliche Brennanlage für den Hausgebrauch. Ein gute Ware im Kupferkessel, ein lebendiges, gleichmäßiges Feuer und eine sachgerechte Steuerung des Destillationsvorganges lassen ein gutes Ergebnis erwarten.

Der bäuerliche Brennvorgang spielte sich meistens in der Waschküche ab, einem kleinen, etwas abseits stehenden Zubau des Bauernhofes. Dort befand sich über der Feuerstelle ein großer Kupferkessel, in dem die Wäsche ausgekocht wurde. Des weiteren eine Yhre, in der die Wäsche – und alle heiligen Zeiten die Hausbewohner selbst – zur Reinigung eingeweicht wurden. Im Spätherbst, nach der Weinlese erhielt die Waschküche eine ganz andere Zweckbestimmung, denn da unterbrach der Bauer die weibliche Geschäftigkeit und widmete sich der verantwortungsvollen Aufgabe des Schnapsbrennens. Zuvor wurden die Brennutensilien aus der Verwahrung genommen und einer sorgfältigen Reinigung unterzogen. Herzstück der bäuerlichen Brennvorrichtung waren der Brennkessel, in welchem das Brenngut stark erhitzt wurde und eine Kühlvorrichtung, die den entweichenden Dampf verflüssigen ließ. Sie bestand aus schlangenförmigen Kupferrohren, durch die das Kühlwasser geleitet wurde. Diese beiden Grundelemente waren mit einem Kesselaufsatz, dem Huet, verbunden. Das Kühlsystem sowie die ganze Anlage wiesen die unterschiedlichsten Konstruktionsmerkmale auf und entsprachen den finanziellen Möglichkeiten und der handwerklichen Geschicklichkeit des Bauern. Die Kühlvorrichtung älterer Brennapparate bestand lediglich aus zwei Kupferröhren, die quer durch ein Holzfass führten, in dem kaltes Wasser zirkulierte. Wichtig war ein gleichmäßiges Feuer, das nicht zu stark sein durfte, da sonst die Maische anbrennen konnte, was eine Unterbrechung des Brennvorganges und eine Zeit raubende Reinigung des Kessels zur Folge gehabt hätte. Um den Alkoholgehalt des Destillates zu kontrollieren, stand ein Schüttelglas bereit. Die Schüttelprobe bestand im Beurteilen der sich beim Schütteln bildenden Luftbläschen, den Grallen. Anzahl und Dauer ihres Bestandes ermöglichten Rückschlüsse auf den Alkoholgehalt. Bei einem guten Schnaps sollten die Bläschen einen Vaterunser lang halten. Ein kurzes Gebet konnte bei dieser Beschäftigung nicht schaden.