Sardinien – ein Smaragd im Mittelmeer
Cagliari & der Südwesten
1Alt trifft Modern – Cagliari mit Castello-Viertel
2Kirchen und ein frommer Märtyrer – Stampace
3Hippes Hafenviertel – La Marina
4Markt für alle Sinne – Mercato di San Benedetto
Route durch den Südwesten
5Pinke Federpracht – Naturpark Molentargius
6Zu Füßen des Teufelssattels – Poetto
7Im Dorf der Kunst – San Sperate
Sardiniens Küste
8Architektur der Phönizier und Römer – Nora
9Sicheres Badeparadies – Chia
10Für Sanddünenfreaks – Porto Pino
11Kultureller Schmelztiegel – Sulcis-Archipel
Sardiniens Tier- und Blumenpracht
12Stillgelegte Gruben – die Küste bei Masua
13Fast wie in der Sahara – Costa Verde
Westen & Nordwesten
14Auf den Spuren einer Volksheldin – Oristano
15Geschichte, Strände und Lagunen – Sinis
16Kleiner Ort mit großem Tor – S’Archittu
17Romantisch, idyllisch und wild – Planargia
Route durch den Nordwesten
18Ein erloschener Vulkan – Montiferru
19Burg mit malerischer Altstadt – Bosa
20Im Zeichen der Krone von Aragón – Alghero
21Märchenhafte Höhlenlandschaft – Capo Caccia
22Erbe aus ferner Zeit – Nuraghe Palmavera
23Wein mit Geschichte – Cantina Sella & Mosca
Sardiniens Nuraghen
24Das Paradies kann warten – Stintino
25Schwere Jungs und weiße Esel – Asinara
26Spektakulärer Tempelturm – Monte d’Accoddi
Norden & Nordosten
27Mittelalterliche Festungsstadt – Castelsardo
28Universitätsstadt mit Trachtenfest – Sassari
Sardinien zum Feiern
29Im Bann der Farben – Trinità d’Agultu e Vignola
30Wildnis, Weiden, Banditen – Valle della Luna
Route durch den Norden
31Wunderland der Felsformationen – Capo Testa
32Grandiose Ausblicke – Capo d’Orso und Punta Sardegna
33Wer ist die Schönste? – Arcipelago di La Maddalena
34Einsam, sanft, idyllisch – Isola di Budelli
35Die exklusive Küste – Costa Smeralda
Mauerkunst
36Hip, schick und nobel – Porto Cervo
37Insel für Individualisten – Tavolara
38Kirchen, Palazzi und Piazza – Orosei
39Im Reich der Zikaden und Flamingos – Oasi di Biderosa
Osten & Südosten
40Wilde Schönheit – Golfo di Orosei
41Verstecktes Strandparadies – Cala Luna
42Meisterwerk der Natur – Cala Goloritzè
Route entlang der Ostküste
43Hafenort mit Flair – Arbatax
44Eldorado für Baderatten – Costa Rei
45Trendiges Sommerziel – Sarrabus
So kocht Sardinien
46Area Marina Protetta (AMP) Capo Carbonara
Inland
47Abgeschiedene Bergwelt – Gennargentu und Supramonte
48Einsame Dörfer, fröhliche Feste – Barbagia
Route durch das Inland
49Aus der Bronzezeit – Barumini
Langes Leben
50Im Reich der Wildpferdchen – Giara di Gesturi
Register
Impressum
1Cagliari und das Castello-Viertel
2Stampace
3Hafenviertel La Marina
4Mercato di San Benedetto
5Naturpark Molentargius-Saline
6Poetto
7San Sperate
8Ruinenstadt Nora
9Chia
10Porto Pino
11Sulcis-Archipel
12Die Küste bei Masua
13Costa Verde
14Oristano
15Sinis
16S’Archittu
17Planargia
18Montiferru
19Bosa
20Alghero
21Capo Caccia
22Nuraghe Palmavera
23Weingut Sella & Mosca
24Stintino
25Asinara
26Monte d’Accoddi
27Castelsardo
28Sassari
29Trinità d’Agultu e Vignola
30Valle della Luna
31Capo Testa
32Capo d’Orso und Punta Sardegna
33Arcipelago di La Maddalena
34Isola di Budelli
35Costa Smeralda
36Porto Cervo
37Tavolara
38Orosei
39Oasi di Biderosa
40Golfo di Orosei
41Cala Luna
42Cala Goloritzè
43Arbatax
44Costa Rei
45Sarrabus
46AMP Capo Carbonara
47Gennargentu und Supramonte
48Barbagia
49Barumini und Nuraghe Su Nuraxi
50Giara di Gesturi
1,6 Millionen Einwohner, noch einmal fast genauso viele Schafe und mehr als 240 Strände, von denen einige zu den schönsten der Welt zählen. Sardinien hat aber auch andere Facetten: grüne Täler, murmelnde Bäche, schroffe Berge, wilde Granitfelsen und geheimnisvolle Ruinen, dazu zahlreiche Feste und eine exquisite regionale Küche. Am meisten bekommt davon mit, wer auf Entdeckungsreise geht.
Am Anfang war Tyrrhenis. Der Kontinent bezauberte durch eine unberührte, üppige Vegetation und eine faszinierende Tierwelt. Eines Nachts im Känozoikum brach der Zorn des Allmächtigen über dieses Land herein. Riesige Wellen trafen auf die Küste und machten fast alles dem Erdboden gleich. Der Erdteil drohte im Wasser zu versinken. Doch so plötzlich wie die Zerstörung begonnen hatte, hörte sie auch wieder auf. Gottes Groll war verflogen. Bevor der starke Sog das letzte verbleibende Fleckchen Paradies ins Meer reißen konnte, trat er mit dem Fuß darauf, um es festzuhalten, und hinterließ vor Italiens Stiefel seinen Abdruck für die Menschheit. Aus der Luft betrachtet, sieht es zumindest so aus.
Oder, ganz anders: Nach der Erschaffung der Kontinente war von allen schönen Dingen, die die Erde zu bieten hatte, nur noch ein Haufen Steine übrig. Also nahm Gott die Felstrümmer, warf sie ins Meer und trat sie mit seinem Fuß fest. Später machte er sich daran, aus den anderen Ländern alles Schöne zu holen, woran es diesen paar nackten, aus den Wellen ragenden Steinen fehlte: Wälder, Flüsse, Dünen und Weideflächen, Fische, Schafe und Vögel. Es gelang ihm ein Meisterwerk – und das ist, basierend auf der Schöpfungsgeschichte der Bibel, jetzt etwa 6000 Jahre her.
Beide Geschichten sind alte Schöpfungsmythen von Sardinien. Doch gleichgültig, wie es bei der Entstehung der Mittelmeerinsel auch zugegangen sein mag, das Eiland punktet noch heute mit abwechslungsreichen und paradiesischen Landschaften. Nichts ist homogen. Alle paar Straßenkurven ändert die Insel, die als kleiner Teil der Welt einen ganzen Kontinent in sich trägt, ihr Gesicht: auf der einen Seite majestätische Kalksteinklippen mit einsamen Buchten, Höhlen und Grotten, auf der anderen goldfarbene Sandstrände und meterhohe Dünen. Auf rosa Mittagsblumen und weiße Strandlilien folgen wilder Wacholder, Myrte, Mastixsträucher und Zistrosen, die an sanften Hängen gedeihen. Ein Stückchen höher dann Haine mit knorrigen Kork- und Steineichen. Im Gebirge stehen Schafe und Ziegen zwischen blühendem Thymian und Ginster auf der Weide. Bis zu 1834 Meter ragt die Punta La Marmora mit atemberaubendem Blick über endlose Weiten im Gennargentu-Massiv in den Himmel. In den teils ausgetrockneten Flussläufen des Supramonte tun sich plötzlich zerklüftete Canyons und Gräben auf. Nicht weniger eindrucksvoll türmt sich bizarr erodiertes Granitgestein am Capo Testa. Im Süden ist der Sand mancher Strände so hell, dass er blendet, und das Meer erscheint noch ein wenig azurblauer als sonst. Und wenn die Hitze des Sommers gewichen ist, kann man in den seichten Lagunen eine prächtige Vogelwelt – darunter Reiher, Stelzenläufer und rosa Flamingos – bewundern. Überdies kann sich die Insel jahrtausendealter Nuraghen, Felsengräber, trutziger Wehrtürme, stolzer Burgen und charmanter Altstädte rühmen.
Mit 24 090 Quadratkilometern ist Sardinien die zweitgrößte italienische Mittelmeerinsel. Für ihre Größe besitzt das Eiland eine erstaunlich lange Küstenlinie mit kleinen Landzungen, malerischen Buchten und bildschönen Stränden. Inselweit stehen mehr als 240 zur Auswahl, jeder mit seinem ureigenen Charme. Manch einer hält die Costa Smeralda für den Küstenabschnitt mit den herrlichsten Stränden. Andere behaupten das Gleiche von der Costa Verde oder der Costa Rei, wieder andere schwören auf Chia oder Villasimius. Die mondän eleganten und wildromantischen »Sandbäder« haben tatsächlich alle ihren Reiz, doch welcher nun der schönste ist, bleibt Geschmackssache. Ein Juwel an der Südostküste mit Sand, der fein und weiß wie Puderzucker ist, glitzernden Granitbrocken und türkisblauem Meer ist die Punta Molentis. Makellos zeigt sich auch Tuerredda an der Südwestküste mit türkisfarbenem, glasklarem Wasser, kalkweißem Sand und duftender Macchia. Glaubt man der europäischen Umweltstiftung Fee, breiten sich die schönsten Strände der Insel an der Ostküste bei Arbatax aus, am windumtosten Capo Testa im Nordosten und auf dem La Maddalena-Archipel. Mehrfach preisgekrönt sind die atemberaubenden Buchten Cala Mariolu, Cala Luna und Cala Goloritzè, die sich im Osten an die gewaltige Steilküste im Golf von Orosei schmiegen. Auch La Pelosa, nördlich von Stintino, bietet alles im Überfluss, was Strandgänger sich wünschen. In Piscinas türmen sich goldene Dünen zu einer wahren Sandwüste auf, in Capriccioli aalten sich schon Filmstars und Prinzen in der Sonne. Wer sich nicht entscheiden kann, ob er einfach nur faul in der Sonne liegen, Flamingos beobachten, surfen, schnorcheln oder tauchen möchte, klappert einfach mehrere Strände ab. Am besten außerhalb der Saison, wenn Platz und Ruhe reichlich vorhanden sind.
Mit den verschiedenen Jahreszeiten kommen die Feste. Aus Bergen riesiger Holzscheite steigen züngelnde Flammen in den blauen Himmel, es riecht nach gerösteten Mandeln, Frauen in sardischer Tracht rühren in zentnerschweren Kupferkesseln, Musiker mit Launeddas und Ziehharmonika spielen auf Dorfplätzen. Dunkle Masken und weiße Felle erobern die Innenstädte: Mamuthones, Thurpos, Boes und Merdules läuten den Ausnahmezustand ein, bis am Tag nach Aschermittwoch wieder alles vorbei ist. In der Osterwoche schreiten Kapuzenmänner, begleitet von Gesängen, durch die Gassen. Sie tragen lebensgroße Jesusfiguren, die den Leidensweg des Heilands symbolisieren. Angeblich werden auf Sardinien mehr als 1000 Volks- und andere Feste gefeiert, denn jeder Weiler hat zwei bis drei eigene, oft mit einer Prozession oder seltsam anmutenden Bräuchen verbundene Feiern. Manche, wie die Wallfahrt zu Ehren des Heiligen Ephisius nach Nora, das wilde Pferderennen von Sedilo oder das historische Sternstechen in Oristano, sind weltberühmt. Andere wie das frivole Treiben beim Karneval in Bosa, das Hochzeitsfest nach altem maurischem Brauch in Santadi und die zahlreichen Herbstfeste der Barbagia sind noch immer ein Geheimtipp.
Wer mitfeiert, sollte nicht gerade auf Diät sein, denn egal, wo die Festlichkeiten stattfinden, auf dem Dorfplatz oder auf dem Land, überall steht das gute Essen im Mittelpunkt. Die Inselküche ist authentisch und einfach: Die Spaghetti werden z.B. mit Seeigel oder der Bottarga di Muggine, dem Rogen der Meeräsche, serviert, der Tintenfisch mit gekochten Kartoffeln kredenzt und das deftige Spanferkel nur mit Salz und Myrtenzweigen aromatisiert. Als Nachtisch folgen Teigtaschen mit Käsefüllung und glasiertem Honig. Der Genuss kommt dabei nicht zu kurz, ganz im Gegenteil, denn der fangfrische Fisch, das erntefrische Gemüse, die würzigen Kräuter und das samtige Olivenöl verheißen wahre Geschmacksexplosionen bei jedem Gericht und sind zudem offenbar überaus gesund. Denn was sonst ist der Grund dafür, dass ausgerechnet auf Sardinien so viele Menschen ihren Fünfundneunzigsten oder gar Hundertsten feiern und Ernährungsmediziner seit Jahren die mediterrane Küche bewerben? Fest steht, dass die Insel allerlei einfache Speisen bietet – kulinarische Leckerbissen, die auch bei keiner Feierlichkeit fehlen dürfen. Wer daran teilnimmt, kann hausgemachtes Pane Carasau, feine Culurgiones mit Kartoffelfüllung, gegrilltes Zicklein, Honignougat oder Mandelgebäck schlemmen. Wird dann noch ein vollmundiger, rubinroter Cannonau gereicht, muss man sich einfach wie im siebten Himmel fühlen.
Nach der Gründung durch die Phönizier wurde Cagliari im Mittelalter von den Pisanern erobert und zu einer beinahe uneinnehmbaren Festung ausgebaut. Mächtige Schutzwälle, trutzige Türme, alte Kirchen und verwinkelte Gassen bestimmen das »Castello«. Heute, fast 800 Jahre nach dem Bau des Kastells, ist das alte Burgviertel in der Oberstadt das schönste Aushängeschild der südlichen Inselmetropole.
Lebendig und abwechslungsreich, überschaubar und idyllisch, mehr als 2800 Jahre alt und dennoch modern geblieben: Das alles ist Cagliari, und genau diese Mischung macht für viele Besucher seinen Reiz aus. Eingebettet in den Golfo degli Angeli und umgeben von riesigen Salzseen liegt die Nordafrika zugewandte Metropole im Süden von Sardinien. Sie ist das wirtschaftliche, politische und kulturelle Zentrum der Insel – hier wird regiert, gewirtschaftet, geplant und geforscht.
Die etwas mehr als 150 000 Einwohner zählende Gemeinde hat ihren historischen Charakter bewahrt und gilt für viele als eine der schönsten Städte Sardiniens. Die in vier Ortsteile unterteilte Altstadt bildet das Zentrum Cagliaris. Auf dem Schlossberg, auf dem die Pisaner im 13. Jahrhundert eine Burg errichteten, liegt das malerische, mittelalterliche Castello-Viertel. Unterhalb der mächtigen Festungsmauern und um den Stadthügel herum erstrecken sich die hübschen Gassen und Fassaden der weiteren drei Stadtteile: das Hafenviertel La Marina, Stampace, das Viertel der Händler und Kunsthandwerker, sowie Villanova, der Bezirk, in dem die Bauern einst ihre Felder und Weingärten hatten. Geschichte geschrieben wurde in Cagliari freilich schon viel früher. »Tyrio fundata potenti«: Mit diesen Worten beschrieb Claudian, der bedeutende lateinische Dichter der Spätantike, die Gründung von Karalis durch die Phönizier im 8. Jahrhundert v. Chr. Später sammelten Punier, Römer, Vandalen und Byzantiner hier ihre Truppen, um die gesamte Insel zu erobern. Zur 1. Jahrtausendwende wurde Cagliari freie Stadt und das mächtigste der vier Judikate der Insel. Noch einmal knapp zwei Jahrhunderte später eroberte Lamberto Visconti di Eldizio diesen wichtigen Handels- und Hafenplatz. Auf einem Kalkmassiv gründeten die Pisaner das befestigte Castel di Castro. Bereits knapp hundert Jahre später kam die Stadt in den Besitz der Krone Aragons, die das mächtige Kastell einnahm und belagerte. Die Burgherren wurden vertrieben und siedelten sich in der Marina an. Erst der Spanische Erbfolgekrieg Anfang des 18. Jahrhunderts beendete die Ausbeutung durch Aragonien. Danach gelangte Cagliari für Jahre in den Besitz des Hauses Savoyen. Trotz heftigen Bombenhagels im Zweiten Weltkrieg sind viele Spuren und Zeugnisse der wechselhaften Stadtgeschichte erhalten geblieben: eindrucksvolle Mauern, offene Türme, gefährliche Tore und ein mittelalterliches Schlossviertel, das wie ein Wachposten über der Inselmetropole und dem tiefblauen Meer thront.
Schmale Gassen, von denen einige mit Rundbögen überspannt sind, ein Stadttor mit eindrucksvollem Fallgitter, dazu mittelalterliche Fassaden und Kopfsteinpflaster, wohin das Auge reicht: Im 1217 gegründeten Burgviertel Castello, oder Castéddu ’e susu, wie die alten Sarden es nennen, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Viel Fantasie braucht der Besucher des 21. Jahrhunderts nicht, um sich hier edle Ritter in blitzenden Kettenhemden auf reinrassigen Rössern und liebliche Burgfräulein mit ihren Zofen und Mägden vorzustellen. Das auf einem Kalkmassiv ruhende Schlossviertel von Cagliari erinnert mit seinem geschlossenen Mauerring und seinen Wachtürmen immer noch an die wehrhafte Stadt der Pisaner. Einst lebte an diesem Ort nur der Adel. Regierung, Verwaltungsbeamte und Klerus hatten hier ihre prunkvollen Amts- und Wohnsitze. Die Domkirche Cattedrale Santa Maria Assunta e Santa Cecilia dominiert den Piazza-Palazzo, vor dem sie seit Jahrhunderten steht. Um sie herum tut sich eine Welt voller großartiger Paläste auf: prachtvolle Herrschaftshäuser, das erzbischöfliche Palais, die kleine Chiesa di Nostra Signora della Speranza, das frühere Rathaus, einst Sitz der spanischen und piemontesischen Vizekönige sowie der Königspalast, in dem heute die Präfektur residiert. Die Kathedrale ist Sitz des Bistums Cagliari der römischkatholischen Kirche, das die gleichnamige Provinz und einen kleinen Teil der Provinz Nuoro umfasst. Wer am Fuß der Kirche steht, kann sich kaum vorstellen, dass die Fassade eigentlich fast neu ist. Mit dem Bau des Gotteshauses durch die Pisaner wurde im 13. Jahrhundert begonnen. Als Baumaterial diente heller Kalkstein, den es in dieser Gegend im Überfluss gab, und blitzender Marmor, der mit dem Schiff von Genua hierher transportiert wurde. Doch schon wenig später nahmen die Spanier barocke Anbauten und Änderungen am ursprünglich gotisch-romanischen Bau vor. In den 1930er-Jahren riss man die überladene Fassade ab und baute sie im pisanisch-lucchesischen Stil wieder auf. Heute erstrahlt die helle Marmorfront mit ihren Säulenreihen, Mosaiken und eingelegten Farbrauten wieder im ursprünglichen Glanz. Einmalig im Inneren der Kirche ist die Krypta mit 179 Grabkammern von sardischen Märtyrern. In das barocke Gewölbe sind 584 unterschiedliche Rosetten gemeißelt. Ein weiteres Schmuckstück ist die prunkvolle Marmorkanzel des italienischen Steinmetzen Guglielmo, die der auch »Wilhelm von Innsbruck« genannte Meister ursprünglich für den Dom von Pisa fertigte.
Zum festen Bestandteil des alten Stadtteils gehören auch die im Jahr 1305 durch den sardischen Architekten Giovanni Capula erbaute Torre di San Pancrazio im Norden sowie ihr zwei Jahre später errichteter Zwilling, die Torre dell’Elefante im Westen des Castello. Die beiden alten, zum Schlossviertel hin offenen Türme sind nicht nur eines der Wahrzeichen der Stadt, sondern überdies ein eindrucksvolles Beispiel für die Militärarchitektur des Mittelalters. Die mehr als 30 Meter hohen Tortürme dienten als Eingang zum Burgviertel. Ihre aus weißem Kalkstein bestehenden, fast drei Meter dicken Turmmauern weisen mehrere schmale Schießscharten auf und erinnern an die Verteidigungsaufgaben der Warten. Im Inneren der Wehrtürme, die zur Zeit der Aragonier auch als Pulverkammer, Waffenarsenal und Gefängnis dienten, gab es mehrere Etagen, zu denen der Zugang streng geregelt war. Mit seinem drohenden Fallgitter mit rostigen Spitzen zieht vor allem der Elefantenturm aus dem Jahr 1307 große wie kleine Besucher in seinen Bann. An dem kleinen Marmorelefanten über dem Durchgang wurden früher die Köpfe der Hingerichteten öffentlich zur Schau gestellt. Heute sind beide Torri als Aussichtsturm begehbar. Auf steilen Holztreppen, die die verschiedenen Etagen miteinander verbinden, gelangt man zur obersten Turmplattform. Von hier hat man einen atemberaubenden 360-Grad-Blick über die Stadt und das tiefblaue Meer.
Eine herrliche Aussicht eröffnet sich auch von der beeindruckenden Bastione di Saint Remy. Wer von der Piazza Costituzione die 170 Stufen der imposanten Marmortreppe bis zur Aussichtsterrasse Terrazza Umberto I erklimmt, genießt einen Panoramablick über die Altstadt, den Golfo degli Angeli, die Hügel von Monte Urpino und Bonaria sowie die brackigen Lagunenseen im Hintergrund. Mit seinem extravaganten Triumphbogen ist der klassizistische Monumentalbau im Süden des Castello-Viertels kaum zu übersehen. Die hoch aufragende Bastei aus hellem Kalkstein wurde in den Jahren 1896 bis 1901 auf der alten, aus spanischer Zeit stammenden Bastione dello Sperone neu gebaut und nach dem ersten piemontesischen Vizekönig, Filippo-Guglielmo Pallavicini, Baron von Saint Remy, benannt. Vor allem im Sommer trifft man sich bei Sonnenuntergang zum Plauderstündchen oder zum Aperitif auf der weißen Terrasse. Allein die Aussicht lässt einen nachvollziehen, was den berühmten englischen Schriftsteller D. H. Lawrence Anfang des 20. Jahrhunderts in Verzückung geraten ließ, als er die Stadt in einem Reisebuch Das Meer und Sardinien beschrieb: »Ein nacktes, bernsteinfarbenes Juwel, das sich plötzlich, wie eine Rose, aus der Tiefe der breiten Bucht öffnet.«
Im Mittelalter residierte innerhalb der Schlossmauern auch eine kleine jüdische Gemeinde, die wie die christlichen Kaufleute von der Bedeutung Cagliaris als eine der wichtigsten Handelsstädte der Insel profitierten. Amtliche Eintragungen bezeugen die kurzlebige Geschichte der Cagliaritaner Juden, die von 1323 bis 1492 um die Via Santa Croce und die Via Stretta im Burgviertel gelebt haben. Recherchen ergaben, dass es hier neben einer Synagoge auch Werkstätten, Läden, eine Bäckerei, einen Markt und etliche Privathäuser gegeben hat. Heute steht nur noch die Basilika di Santa Croce, die einmal das jüdische Gotteshaus war. Als die Spannungen zwischen Christen und Juden im 15. Jahrhundert wuchsen und zum Ausbruch kamen, ordneten die damals amtierenden katholischen Könige Ferdinand II. von Aragon und Isabella I. von Kastilien die Ausweisung aller Menschen jüdischen Glaubens aus dem Gebiet der spanischen Krone an. Bis zum 31. Juli 1492 mussten alle, die nicht zum Christentum übergetreten waren, das Burgviertel und die Insel verlassen. Der verwaiste Besitz der Vertriebenen wurde öffentlich versteigert, und die Synagoge wurde katholisch. Die Basilika, die heute zum Ritterorden der beiden Heiligen, Mauritius und Lazarus, gehört und deren Fassade noch das Wappen des Jesuitenordens trägt, wurde 1661 renoviert und vergrößert. Neben der Kirche liegt das ehemalige Studien- und Ausbildungshaus des Ordens, in dem zurzeit die Fakultät für Architektur untergebracht ist. Nicht weit entfernt, schwebt hoch über dem Abgrund eine Kaserne, die fälschlicherweise Ghetto degli Ebrei genannt wird. Der Gebäudekomplex entstand 1738 unter savoyischer Herrschaft und diente bis zu 300 Soldaten und 40 Pferden als Unterkunft. Heute wird das alte Gebäude noch für Ausstellungen und Tagungen genutzt.
Für die Aussicht und das Dolcefarniente auf der angrenzenden Bastione di Santa Croce muss man nicht Schlange stehen. Auf dem Platz mit Palmen, die sich im Wind wiegen, geht alles einen langsamen Gang. Man setzt sich auf eine der Parkbänke und schaut dem regen Treiben zu, oder man geht ein paar Schritte zum kleinen Café »Libarium Nostrum«, um dort sardisches Fingerfood zu essen und ein Glas Weißwein zu trinken. Hier regiert das italienische Lebensgefühl!
PANORAMATOUR DURCH CAGLIARI IN DER APIXEDDA
Im Kultfahrzeug der 1960er-Jahre können Besucher durch die Inselhauptstadt knattern und sich den Duft von Dolce Vita um die Nase wehen lassen. Die Fahrt in der dreirädrigen Biene führt durch die historischen Stadtviertel. Mit Zwischenstopps am neugotischen Rathaus und an der Piazza Yenne zuckelt die Apixedda hinauf zum archäologischen Nationalmuseum, zur Kathedrale, zum Elefantenturm und wieder runter zur Bastion von Saint Remy. Zum Ende der Tour hält die Ape Calessino im Schlossviertel – in der trendigen Bar »Libarium«. Das bezaubernde Terrassen-Lounge-Café neben Palmen bietet Cappuccino, Latte macchiato und mehr. Durchgerüttelt, aber zufrieden kann man beim Espresso oder Aperitif noch einmal die Retro-Atmosphäre und das tolle Cabriolet-Feeling in Gedanken vorüberziehen lassen. Abfahrt: Via Roma auf der Höhe des Caffè Roma.
WEITERE INFORMATIONEN
www.cagliariturismo.it,
www.cagliaritouring.com
Zwischen 1652 und 1656 wütete die Pest in Cagliari und den umliegenden Dörfern der Insel. In ihrer Not legten die Bürger das Gelübde ab, alle Jahre im Gebet zum heiligen Ephysius nach Nora zu pilgern, wenn das große Sterben ein Ende nähme. Seitdem startet die Wallfahrt alljährlich Anfang Mai in der kleinen Kirche Sant’Efisio im historischen Stadtviertel Stampace.
Historische Gebäude und Gassen, imposante Kirchen, belebte Plätze und Straßencafés mit südländischem Flair – auch in Stampace, dem historischen Stadtteil westlich des Castello-Viertels, gibt es jede Menge zu sehen. Ein architektonisches Meisterwerk ist beispielsweise das nach Plänen des Turiner Stararchitekten Annibale Rigotti (1870–1968) entworfene neue Rathaus, dessen beide achteckigen, hohen Türmchen und die schneeweiße Fassade schon bei Ankunft mit der Fähre im Hafen zu bestaunen sind. Das in den Jahren 1899 bis 1907 im neugotischen Stil entstandene Gebäude mit Verzierungen aus der Zeit des Jugendstils ist heute Sitz der Gemeindeverwaltung.
Zahlreiche Kirchen wie die frei stehende aus dem 18. Jahrhundert stammende Collegiata di Sant’Anna, die sich mit einer weitläufigen Freitreppe, zwei hübschen Glockentürmen und mehreren Kuppeln schmückt, ziehen unzählige Kulturinteressierte an. Nicht weit von der Stiftskirche entfernt passt sich die Chiesa di San Michele nahtlos in die Häuserzeile ein. Das Gotteshaus der Jesuiten stammt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und zählt zu den wichtigsten Beispielen barocker Kunst auf der Insel. Ein paar Straßen weiter lädt die Chiesa di Santa Restituta aus dem 17. Jahrhundert zum Besuch ein. In der großen Krypta der Kirche, die ursprünglich ein punisches Hypogäum war, soll die heilige Restituta di Sora der Legende nach ihr Martyrium erlitten haben. Wer die schöne Aussicht auf die Altstadt und die Lagune von Santa Gilla genießen möchte, muss den Hügel hoch zur piniengesäumten Buoncammino-Allee laufen. Der am Botanischen Garten und am römischen Amphitheater vorbeiführende Weg ist ebenso ein Erlebnis wie der atemberaubende Sonnenuntergang am Ende des Tages. Gemütliche Bars, Cafés und Restaurants locken in vielen Gassen in Stampace. Der Ausgehplatz schlechthin ist aber die Piazza Yenne am Schnittpunkt der drei Stadtteile Marina, Castello und Stampace. Restaurants wie »Down Town« oder »Grotta Marcello«, Bars und Lounge-Cafés wie »Metzcal« oder »Mojito« und die Eisdiele L’isola del Gelato sind nicht nur angesagt, sondern auch sehenswert.
Ein Stadtbummel bietet noch mehr Sehenswertes. Ein beliebtes Fotomotiv ist die äußerlich unauffällige, barocke Chiesa di Sant’Efisio, in der das Standbild des heiligen Ephysius von Elias aufbewahrt wird. In einem unterirdischen, punischen Felsengewölbe im Unterbau der Kirche soll der Märtyrer vor seiner Enthauptung in Nora aufgrund seines christlichen Glaubens eingesperrt gewesen sein. Als im Jahr 1652 die Pest in Cagliari ausbrach, fiel fast die Hälfte der damaligen Bevölkerung der grausamen Seuche zum Opfer. In ihrer Not legten die Gläubigen ein Gelübde ab: Sollte der Schwarze Tod die Stadt verschonen, wollten sie Ephysius künftig mit einem Fest ehren und von den Wundertaten des Pestheiligen erzählen. Das Gelübde zeigte Wirkung, und zum Dank für die Rettung lösten die Gläubigen am 1. Mai 1656 dieses andachtsvolle Versprechen mit einer vier Tage währenden Wallfahrt ein. Seitdem machen sich Christen aller Pfarreien alljährlich bei der Sagra di Sant’Efisio auf den Weg nach Nora, um den Heiligen, dessen prächtig gekleidetes Standbild in einer goldenen Kutsche von Ochsen gezogen wird, in einer Prozession zu würdigen. Der feierliche Umzug, der über Giorgino, La Maddalena, Su Loi, Villa D’Orri, Sarroch, Villa San Pietro und Pula führt, wird von Reitern und Folkloregruppen in traditionellen Kostümen, die aus Teilen der Insel kommen, begleitet.
SA TORRADA DE SANT’EFISIO
Die Sagra di Sant’Efisio bietet Besuchern nicht nur am 1. Mai eine feierliche Atmosphäre. Die Rückkehr des heiligen Ephysius bei Fackelschein und religiösen Gesängen am Abend des 4. Mai ist mindestens genauso spannend und bedeutsam. Es ist ein mystischer Moment, der das wahre Wesen des Eides anschaulich macht. Bereits am Morgen macht sich die Pilgerprozession mit zahlreichen Gläubigen von Pula auf den Weg zurück in die Inselhauptstadt. Unterwegs wird die Wallfahrt immer wieder unterbrochen, denn zahlreiche Kirchengänger bedenken Ephysius am Wegesrand mit Gaben und Spenden. Um das feierliche Versprechen jedoch einzulösen, muss der Heilige vor Mitternacht in der Chiesa di Sant’Efisio eintreffen. Nicht selten steuern Reiter, Folkloregruppen, Wallfahrer, Bruder- und Schwesternschaft gegen 23.30 Uhr im Eilschritt die kleine Kirche im Stampace-Viertel an, um das Gelübde zu erfüllen.
WEITERE INFORMATIONEN
www.cagliariturismo.it
Über dem alten Hafenviertel Cagliaris liegt noch ein Hauch seines früheren Charmes. In den engen Gassen lebten einst Fischer und Händler, und in den schmuddeligen Spelunken am Hafenbecken pulsierte das Leben. Heute ist die Marina von Mittag bis Mitternacht ein angesagtes Ausgehviertel.
Im Süden des Castello-Viertels zieht die schnurgerade, vierspurige, alte Prachtstraße Via Roma eine messerscharfe Grenze zum Hafen. Hinter dem von klassizistischen Prunkfassaden gesäumten Boulevard beginnt das ehemalige Fischer- und Matrosenviertel mit seinen historischen Gebäuden, einstigen Lagerhallen, kleinen Kirchen, Cafés und Restaurants. Bänke und Blumenkübel zieren die Plätze. Gaukler und Straßenmusiker unterhalten Passanten. Viele Häuser könnten einen neuen Anstrich vertragen, an einigen bröckelt der Putz. Der kleine Stadtteil hinter den Arkaden der Via Roma erscheint wie ein idyllisches Dorf in der lärmenden Inselmetropole.
Wäschestücke hängen vor den Balkonen, Nachbarn unterhalten sich über die Gassen hinweg von Fenster zu Fenster, Küchendüfte erfüllen die Luft und vermengen sich mit dem Aroma von geröstetem Kaffee. In diesem Straßengewirr reiht sich ein Lokal an das andere. Dicht an dicht schieben sich die Menschenmassen zur Mittags- und Abendstunde vor allem über die Via Sardegna. Die kleine Straße bildet die längste Restaurantmeile Cagliaris. Das Angebot reicht vom Seebarsch bis zur Meeräsche, aber auch Langusten und Garnelen fehlen nicht in den üppigen Meeresfrüchte-Auslagen. Abends leiten ein Teller Spaghetti und ein Glas Weißwein perfekt über in das Nachtleben der Marina. Vom Restaurant bis zur Piazza oder in die Bars sind es oft nur ein paar Schritte. Etwas versteckt liegen die Piazze Savoia und San Sepolcro. Hier kann man den Tag gemütlich ausklingen lassen.
INFO: www.cagliariturismo.it
Ob Meeräschen, Miesmuscheln, Zucchini, Pfirsiche, Schafskäse oder Olivenöl – wer fangfrischen Fisch, sonnenverwöhntes Gemüse, duftendes Obst und sardische Leckerbissen sucht, wird in der Markthalle mehr als fündig. Zu jeder Jahreszeit bieten Händler eine üppige Vielfalt an regionalen Spezialitäten an.